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Heimkehr von Faith

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Vorwort

Original-Veröffentlichung auf der Seite Ein Herz für Probie
Heimkehr


Der Zug schwankte und polterte. Jede Weiche konnte man in den engen Personenwagen spüren. Jonas seufzte, dann wandte er sich wieder seiner Lektüre zu. Gedankenverloren starrte er auf den weißen Buchumschlag. Er hatte sich einfach ein Buch gegriffen, bevor er, mit leichtem Gepäck, das Stargatecenter verlassen hatte.
Er hatte viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, bis O’Neill eingewilligt hatte ihn gehen zu lassen, aber diesen Gang konnte er nur allein gehen.
Begonnen hatte alles vor drei Tagen…
Er hatte wie immer in Dr. Jacksons Büro gesessen und Inschriften übersetzt, als die Nachricht kam. Eine Nachricht von P2S-4C3 - Kelowna.
Er hatte es nicht glauben können, doch ein Irrtum war ausgeschlossen. Aufgeregt und ein wenig ängstlich hatte er die Bildübertragung entgegen genommen.
Die neue Regierungsrätin Ma’rel höchstpersönlich hatte ihm eine Einladung nach Kelowna zukommen lassen. Sie hatte berichtet, dass es zu Beginn des Krieges, noch bevor die Generäle die Naquadria-Bombe hatten zünden können, einen Putsch gegeben habe. Die Regierung war abgesetzt worden und eine neue Volksregierung war nun an der Macht. Über den Verbleib von Heerführer Hale und des Ersten Ministers Valez hatte sie keine Angaben machen wollen. Doch sie hatte berichtet, dass die neue Regierung umgehend einen Friedensvertrag mit den Andari und Tiraniern geschlossen hatte.
„Seither ist ein Ruck durch das Land gegangen“, hatte sie stolz berichtet. „Wir werden nun alles zum Besseren wenden“, hatte sie verkündet und Jonas eingeladen seine Heimat zu besuchen und somit die Beziehungen zur Erde wieder aufzubauen.
Nicht ohne Stolz hatte sie auch von der neuen Regierung gesprochen. Sie residierte nun nicht mehr in der Hauptstadt, sondern einige Zugstunden von dort entfernt auf dem Lande.
„Näher am Volke“, hatte sie gestrahlt.
Nachdem Jonas schließlich einem Besuch zugestimmt hatte, wurde er ein paar Tage später, von einem Abgesandten der Regierung am Stargate empfangen und zum Zug geleitet. Nun reiste Jonas allein nach Kornora, dem Ort, wo die Regierung tagte.

Jonas’ Blick wanderte zu den anderen Zugreisenden. Sie schwiegen. Obwohl ausnahmslos junge Leute mit ihm in diesem Abteil saßen wirkten sie kraftlos, alt und unendlich müde. Sie saßen auf ihren Plätzen, ihre Blicke schienen irgendeinen weit entfernten Punkt außerhalb seines Sichtfeldes zu fixieren. Ihre Hände klammerten sich an ihr spärliches Gepäck.
Nun wandte sich Jonas endgültig seiner Lektüre zu. Wahllos schlug er eine, der vielen Kurzgeschichten auf und begann zu lesen:

„Sie hingen auf den Stühlen. Über die Tische waren sie gehängt. Hingehängt von einer fürchterlichen Müdigkeit. Für diese Müdigkeit gab es keinen Schlaf. Es war eine Weltmüdigkeit, die nichts mehr erwartet. Höchstens mal einen Zug. Und in einem Wartesaal. Und da hingen sie dann hingehängt über Stühle und Tische. Sie hingen in ihren Kleidern und in ihrer Haut, als ob sie ihnen lästig wären, die Kleider. Und die Haut. Sie waren Gespenster und hatten sich mit dieser Haut kostümiert und spielten eine Zeitlang Mensch. Sie hingen an ihren Skeletten wie Vogelscheuchen an ihren Stangen. Vom Leben hingehängt zum Gespött ihres eigenen Gehirns und zur Qual ihrer Herzen. Und jeder Wind spielte mit ihnen. Sie hingen in einem Leben, hingehängt von einem Gott ohne Gesicht. Von einem Gott, der nicht gut und nicht böse war. Der nur war. Und nicht mehr. Und das war zu viel. Und das war zu wenig.“

Entsetzt schlug er das Buch wieder zu. Verstört sah er aus dem Fenster. Große Felder zogen an ihm vorbei, auf den Gräsern am Rande und auf einigen Bäumen glitzerte Raureif. Zwischen ein paar Sträuchern, die nun immer näher kamen, erkannte er plötzlich merkwürdige Konturen. Je näher der Zug kam, desto deutlicher wurde das, was dort an der Erde lag. Erst schien es ein Bündel Lumpen zu sein, doch als der Zug nun ganz nahe kam, erkannte Jonas, um was es sich handelte: es waren ein paar Menschen, nicht sehr groß, vielleicht Kinder. Ihre Augen waren weit geöffnet, ihre Gesichter fahl. „Wie frisch gefallener Schnee“, dachte das SG 1 Mitglied, als der Zug an ihnen vorbei eilte.

Nach endlos scheinenden zwei Stunden verließ Jonas den Zug. Seine Glieder schmerzten und er war froh sich bewegen zu können. Der Bahnhof von Kornora war nicht groß, es gab nur zwei Bahnsteige und ein winziges Häuschen, in dem man Fahrkarten kaufen konnte. Es war einmal gelb gewesen, doch jetzt war die Farbe fast vollständig abgeblättert und der graue Putz war zu sehen. Die rostbraunen Schindeln, die das Dach bildeten, schienen auch schon bessere Tage gesehen zu haben.
Auf dem Bahnsteig war wenig betrieb. Ein paar Pendler stiegen in den Zug und wenige andere verließen ihn. Jonas musste sich nicht lange umsehen, schon kam ein uniformierter Herr auf ihn zu. Er stellte sich als Oberst Jukov vor, der ihn zum Regierungsgebäude geleiten sollte.
Auf dem Weg dorthin entschuldigte er sich viele Male, dass er ihn nicht fahren konnte. „Mein Wagen ist stehen geblieben, wissen Sie. Benzin ist leider noch immer knapp und nicht leicht zu bekommen.“ Es schien dem Oberst offensichtlich sehr peinlich den Besucher von einer anderen Welt, sei er Landsmann oder Außerirdischer, per pedes durch die Stadt zu geleiten. Allerdings war Stadt nicht der richtige Ausdruck für Kornora. Der Ort oder besser das Örtchen, bestand aus einer Hauptstraßen und einem dutzend Häusern, die vom Krieg arg mitgenommen waren. Die Dächer waren kaputt und die Fassaden wiesen viele Einschussspuren auf. Die Gärten waren verwüstet und nur wenige Menschen waren auf der Straße. Ihre Blicke streiften die beiden Männer misstrauisch. Auch die Leute hier wirkten auf Jonas alt und müde, ein kalter Schauer rann ihm über den Rücken.
Als der Kelownaner und sein Begleiter die Straße herab geschritten waren, erkannte Jonas in einiger Entfernung ein großes Herrenhaus. Es war schneeweiß gestrichen und mit makelloser Fassade. Der Garten darum war gepflegt und die Wachen am Eingang ließen keinen Zweifel zu: Sie hatten den Sitz der Regierung erreicht.
Die Soldaten salutierten, als Jukov und sein Begleiter passierten. Jukov öffnete Jonas die Tür und ließ ihn ein. Der Kelownaner betrat staunend eine große, helle Eingangshalle. Kaum hatte er diese betreten, kamen ihm die Botschafterin Dray’loc und die erste Regierungsrätin Ma’rel entgegen. Sie begrüßten ihn herzlich, auch Dray’ loc, sie schien über ihr letztes Treffen hinweg lächeln zu wollen. Höflich. Eine Spur zu höflich, fand Jonas.
Nach der knappen aber herzlichen Begrüßung führte ihn Jukov in einen anderen Teil des Hauses. Hier sollte er über Nacht bleiben und sein Gepäck abstellen. Der Oberst gab dem Wissenschaftler die Möglichkeit sich ein wenig umzusehen und die geeignete Geraderobe zu finden für den „kleinen Empfang“, wie er es nannte, der Jonas zu Ehren gegeben wurde.

Kaum fünfzehn Minuten später geleitete Jukov den Kelownaner durch eine Anzahl weitläufiger Korridore zu einem großen Saal. Auch er war hell und freundlich. Das Parkett strahlte, frisch gebohnert, im hellen Licht der Kronleuchter. In der Mitte des Raumes war eine große Tafel angerichtet, Kellner reichten Sekt und Orangensaft. Am Kopfende der Tafel war ein Rednerpult aufgestellt. Alles wirkte sehr festlich. Wieder beschlich Jonas dieses unbeschreibliche Gefühl, als Dray’loc und Ma’rel auf ihn zukamen, einen jungen Mann von knapp dreißig Jahren, militärisch gekleidet und bemüht höflich lächelnd, im Schlepptau.
„Dr. Quinn“, sprachen sie ihn an. „Dürfen wir vorstellen, das ist Botschafter Oman, Vertreter der Andari Föderation.“ Der Mann reichte Jonas die Hand.
„Freut mich“, der Wissenschaftler nahm die ausgestreckte Hand entgegen und erwiderte ein ebenso angestrengtes Lächeln.
Dann zog ihn Ma’rel auch schon zum nächsten wichtigen Vertreter. „Folan, schön, dass sie kommen konnten!“, begrüßte die Regierungsrätin den Mann. „Das ist Dr. Quinn, er ist Vertreter von der Erde.“
Der Mann nickte Jonas freundlich zu, ging dann aber seiner Wege. „Das war Folan, der Stellvertreter von Botschafter Oman, von den Andari, netter Mensch nur etwas wortkarg“, plauderte sie.
„Leider konnten die meisten Vertreter so kurzfristig nicht erscheinen, aber ich denke dass wir dennoch einen passenden Rahmen für die Feierlichkeiten bieten können“, Ma’rel setzte ein honigsüßes Lächeln auf und hielt einen weiteren Militär auf. „General Sulimen, schön sie zu sehen!“
„Rätin Ma’rel, Guten Abend“, grüßte Sulimen militärisch korrekt. Dann wandte sich der General an Jonas: „Sie müssen Dr. Quinn sein.“
Der Kelownaner nickte. „Ich hoffe, dass aus dem heutigen Abend eine lange und fruchtbare Partnerschaft hervorgeht.“
Wieder nickte Jonas: „Das hoffe ich auch.“

„General Sulimen“, erklärte Ma’rel, nachdem der Militär sie verlassen hatte, „ist der Vertreter der Tiranier hier in Kelowna. Er leitet eine der zwei entmilitarisierten Zonen an der Grenze.“
„So?“, Jonas war erstaunt und neugierig, „Was ist…?“
„Davon werde ich ihnen ein anderes Mal erzählen“, winkte Ma’rel ab und hatte sich schon ein neues Opfer gesucht.
Nach einigen weiteren Begrüßungen nahm die kleine Gruppe an der Tafel platz und nachdem man sich ausgiebig gestärkt hatte, kam der Teil, der Jonas am wenigsten behagte.
Die Regierungsrätin verlieh Jonas den Volksverdienstorden Kelownas für seine Verdienste um das kelownanische Volk. Es war ein großer, goldener Orden, zusammen mit einer großen Urkunde, die ihm herausragende soziale Kompetenz bescheinigte und ihn als Gewissen Kelownas pries.
Anschließend widmete man sich wieder ausgiebig dem Sekt und anderen alkoholischen Getränken.
Nun sah Jonas die Chance mehr über die Nachkriegsordnung Kelownas herauszufinden. Zielstrebig ging er auf Folan zu, der, leicht gelangweilt, am Eingang des Saales stand und eine Zigarette rauchte. „Botschafter Folan“, sprach ihn Jonas an.
„Dr. Quinn“, er grinste und hielt ihm ein goldenes Zigarettenetui entgegen.
Jonas winkte ab: „Ich rauche nicht.“
Wieder grinste Folan: „Gute Einstellung, Doktor. Ich sollte eigentlich auch nicht rauchen, aber die Sucht…“ Er ließ den Satz unbeendet im Raum stehen. Jonas nickte höflich, Verständnis vortäuschend. Folan bemerkte, dass Jonas etwas auf dem Herzen hatte und sprach ihn an: „Was gibt es Dr. Quinn? Wie kann ich ihnen helfen?“
Jonas schluckte. Er wusste nicht genau wie beginnen sollte: „Ich habe mich gefragt, wie wohl die, ähm, Kompetenzverteilung derzeit geregelt ist.“
Das Grinsen in Folans Gesicht wurde breiter: „Sie wollen wissen, was nach dem Krieg aus ihrer Heimat geworden ist?“
„Richtig“, nickte Jonas. Folan drückte seine Zigarette aus: „Folgen sie mir.“
Folan führte Jonas ein paar Meter den Gang herunter in ein kleines Arbeitszimmer. Hinter einem wuchtigen, massiven Schreibtisch aus Eiche, hing an der Wand eine Karte. Sie zeigte Kelowna so, wie er es kannte, die lange gewundene Küste mit dem Ausläufer der kelownischen Nährung und die gezackte Grenze im Norden, wo das Andragebirge Kelowna und die Gebiete der Tiranier teilte. Im Osten lag der tiefblaue Okesh See, wo Jonas oft seinen Urlaub verbracht hatte, direkt an der Grenze zur Andari Föderation.
„Das ist Kelowna, so wie ich schätze, dass sie es kennen“, sagte Folan. Dann fuhr er mit seinem Finger über den Okesh See: „Hier rings herum und entlang des Andragebirges wurde eine entmilitarisierte Zone errichtet. Zusätzlich hat Kelowna das Gebiet um Cum’ra an die Föderation abgetreten, sowie die westlichen Gebiete der kelownischen Nährung. Die gingen allerdings an die Tiranier.“
Jonas schluckte heftig, seine Heimat hatte große Verluste hinnehmen müssen, doch alles zur Sicherung des Friedens, so beruhigte er sich.
„Und was wird aus den Menschen in den Gebieten?“, Jonas machte eine ausholende Handbewegung und umriss grob die abgetretenen Gebiete.
„Die, die werden umgesiedelt.“, sagte Folan gleichgültig.
„Umgesiedelt? Aber das sind doch tausende!“, entsetzt sah der Kelownaner auf die Karte und dann aus dem Fenster. Draußen herrschte noch immer klirrende Kälte, die dünnen Fenster waren mit Eisblumen bedeckt.
„Wann werden sie umgesiedelt?“, fragte er, banger Ahnung.
„Na jetzt“, Folan schien es das Normalste der Welt zu sein.
„Aber…“, noch ehe Jonas Widersprechen konnte, wurde ihm das Wort abgeschnitten.
Ma’rel hatte bemerkt, dass ihre Gäste verschwunden waren und hatte sie, nach kurzer Suche, schließlich hier gefunden.
„Dr. Quinn, es mag ihnen unmenschlich vorkommen, aber wir mussten Kompromisse eingehen.“, dann sah sie ihn durchdringend an und fuhr fort: „Zum Wohle des ganzen Volkes.“
Der Wissenschaftler nickte ergeben. Sie hatte sicher Recht. Bestimmt hatte sein Volk auch viele Vorteile aus dieser Regelung ziehen können.
„Wir haben auch viel für uns verbuchen können“, berichtete Ma’rel im Plauderton, als die Drei das Arbeitszimmer verließen. „Stellen sie sich vor, wir haben uns darauf einigen können, dass die im Krieg verloren gegangene Beutekunst innerhalb des nächsten Jahres wieder in den Besitz des kelownanischen Volkes übergeht. Ist das nicht fabelhaft?!“, sie strahlte, als habe sie im Lotto gewonnen.
Jonas sah sie mit großen Augen an: „Wie bitte?“ Er glaubte nicht recht gehört zu haben.
„Nicht wahr, es ist unglaublich!“, Ma’rel hatte nicht verstanden worauf Jonas abzielte.

Übelkeit stieg in ihm auf. Er wusste nicht ob er vor Wut schreien sollte oder weinen vor Traurigkeit.
Die Gesichter der Kinder, die er vom Zug aus gesehen hatte, erschienen vor seinem Inneren Auge. Ob auch sie Teil der „Umsiedlung“ gewesen waren?
„Entschuldigen sie mich bitte“, sagte Jonas. Er beeilte sich zu seiner Unterkunft zu gelangen. Keinen Moment länger hielt er es in der Gegenwart dieser Menschen aus.

Müde und voller Trauer setzte sich Jonas auf sein Bett. Sein Blick wanderte durch den Raum und blieb schließlich an seiner Lektüre haften. Unschlüssig sah er das weiß eingebundene Buch an. Doch dann nahm er es auf und begann erneut zu lesen:

„Gott ließ sie nur atmen. Grausam und grandios. Und sie atmeten. Wild, gierig, gefräßig. Aber einsam, dünnstimmig einsam. Denn ihr Geschrei, ihr furchtbares Geschrei, drang nicht mal zum Nebenmann, der mit am Tisch saß. Nebenan. Am selben Tisch.“

Am nächsten Morgen trafen sich Ma’rel und Jonas. Es war ein kurzes Gespräch, denn eigentlich war man sich einig. Sie vereinbarten Hilfslieferungen von der Erde nach Kelowna. Für das nächste halbe Jahr sollte die Lebensmittel- und Medikamentenversorgung der Kelownaner gewährleistet werden.
Am Nachmittag verließ Jonas das Ratsgebäude, dieses Mal ging er allein zum Bahnhof.
Es war totenstill. Sein Blick wanderte die Straße herunter. Zwischen all den müden Menschen sah er plötzlich jemanden, in schwarzen Anzug und mit einer Aktentasche, der sehr emsig schien. Eiligen Schrittes ging er auf den Bahnhof am Ende der Straße zu.
In der Hoffnung in diesem Mann einen Gesprächspartner zu finden, beschleunigte Jonas seine Schritte ebenfalls, bis er auf gleicher Höhe mit dem Mann war.
„Guten Tag“, grüßte Jonas, froh sich mit jemandem unterhalten zu können.
„Tag“, grüßte der Eilige zurück, dann sah er auf seine Uhr und verlangsamte seine Schritte etwas. „Ein bisschen Zeit habe ich noch“, grinste er.
Erst jetzt bemerkte das SG 1 Mitglied, dass dieser Mann, im Gegensatz zu allen anderen auf der Straße, recht beleibt war. Der dunkle Anzug spannte sich über seinem Bauch und es schien fast so, als wolle er jeden Moment platzen. Sein feistes Gesicht war gerötet von der Anstrengung des schnellen Gehens.
„Zeit ist Geld, wissen Sie“, auch der Dicke schien bemüht eine Unterhaltung zustande zu bekommen. Jonas nickte.
„..und im Moment laufen die Geschäfte gut, was sage ich, hervorragend!“, der Mann schenkte Jonas ein verunglücktes Lächeln, es erinnerte mehr an ein breites Grinsen, als an ein wohlwollendes Lächeln.
„Was für Geschäfte tätigen sie den?“, fragte Jonas höflich nach.
„Ich bin Bestattungsunternehmer“, der Dicke strahlte wie ein Honigkuchenpferd und fuhr fort, „Aber ich sehe mich eher als opportunistischen Geschäftsmann. Früh genug einen Trend wittern und auf’s richtige Pferd setzen, so macht man Geschäfte, junger Mann.“
Jonas’ Magen krampfte sich zusammen. Er war froh den Bahnhof erreicht zu haben, denn hier trennten sich ihre Wege. Jeder ging zu einem anderen Bahnsteig.
Der Wissenschaftler sah sich um. Der Bahnsteig war noch leer, niemand war zu sehen, nicht einmal ein Schaffner. Zögernd nahm Jonas auf einer wackligen Bank nahe dem Bahnhäuschen platz. Er zog seine Lektüre hervor.

„Ich komme ausm Krieg und ich will nach Hause. Siehste. Und zu Hause will ich mit meinen Eltern morgens auf dem Balkon sitzen und Kaffee trinken. Das hab ich mir den ganzen Krieg lang gewünscht. Morgens aufm Balkon sitzen und mit meinen Eltern Kaffee trinken. Siehste. Und jetzt bin ich unterwegs. Und da kommt diese Verrückte und sagte einfach, sie will sich das Leben nehmen. Das hält doch kein Mensch aus, wenn man das einfach so sagt: Ich will mir das Leben nehmen.
Das sagte der Soldat. Und der Brothändler nahm seine Augen aus der Unergründlichkeit seines Kaffees hoch und machte eine Na-was-sag-ich-Gebärde und sagte dazu: Das ist ja meine Rede, sagte er, das ist ja doch dauernd meine Rede. Genau wie mit den Broten. Wenn ich das so einfach hinausposaunen wollte, wie? Morgen haben viertausendachthundert Kinder kein Brot, wie? Wie wird Ihnen denn dabei, wie? Wer soll denn das aushalten. Das hält doch keiner mehr aus, meine Herren.“


Jonas sah auf die Uhr. In wenigen Minuten musste sein Zug eintreffen. Er stand auf und ging zum anderen Ende des Bahnsteiges. Mittlerweile hatte er sich etwas gefüllt. Eine Anzeigetafel verkündete, dass vor seinem Zug ein weiterer den Bahnhof ansteuerte, ihn allerdings nur passierte. Eine junge Frau neben dem Wissenschaftler sah nervös auf die Uhr.
„Ein paar Minuten noch“, Jonas nickte ihr zu, in der Hoffnung seine Worte hätten sie beruhigt. Sie schenkte ihm ein scheues Lächeln: „Ich möchte meinen Zug nicht verpassen, wissen Sie.“ Er nickte verständnisvoll. Schon hörten sie das Poltern des herannahenden Zuges. Die junge Frau trat ein paar Schritte an die Bahnsteigkante heran, doch der Zug behielt weiter seine Fahrt.
„Der hält hier nicht“, wies Jonas sie freundlich auf die Informationstafel hin, „der fährt nur durch.“
Der Zug war nun fast bei ihnen. Wieder lächelte die Frau und flüsterte dann, kaum hörbar: „Ich weiß.“
Im nächsten Moment war sie verschwunden. Entsetzt ließ Jonas sein Buch, das er unter den Arm geklemmt hatte, fallen. Sein Mund war offen, doch ihm entwich kein Ton.
Entsetzensschreie erfüllten den Bahnhof. Der Zug hatte die junge Frau einige hundert Meter weit mit sich geschleift. Jede Hilfe kam zu spät.
Benommen starrte Jonas noch einige Zeit auf die Stelle, an der die Frau gestanden hatte, bis schließlich sein Zug eintraf. Wie in Trance nahm Jonas sein Buch auf und stieg in den Zug. Hier drehte er es um. Beim Fallen hatte es sich geöffnet, nun sah er sich die Seite an, die auf den Asphalt getroffen war.

„Aber da riss er den Mund auf zu einem furchtbaren Schrei. Aber er schrie nicht. Der Schrei war so furchtbar, dass er ihn nicht fertig brachte. Er blieb ganz tief in dem Buchmann stecken. Nur der Mund stand weit auf, weil ihm die Luft ausging. Der Buchbesitzer starrte auf den vierten Stuhl, wo das Mädchen gesessen hatte. Der Stuhl war leer. Das Mädchen war weg. Da sahen die drei Männer auf dem Tisch ein kleines Glasröhrchen. Es war leer. Und das Mädchen war weg. Und die Tasse, die Tasse war leer. Und das Mädchen war weg. Der Stuhl. Und das Glasröhrchen. Und die Tasse. Leer. Ganz leise, unauffällig leer geworden. Ob sie Hunger hatte? Fragte der Brotmann die anderen dann endlich. Sie war verrückt, sagte der Soldat fröhlich, sie war verrückt, sag ich doch immer. Kommen Sie, sagte der zu dem mit dem Buch, setzen Sie sich wieder hin. Sie war bestimmt verrückt. Der Buchbesitzer setzte sich langsam und meinte: Vielleicht war sie einsam? Sie war sicher zu einsam?
Er ließ das Glasröhrchen über den Tisch rollen. Es fiel runter. Und war kaputt. Und Gott? Er hörte das kleine hässliche Geräusch nicht. Ob ein Glasröhrchen zersprang - oder ein Herz: Gott hörte von all dem nichts. Er hatte ja keine Ohren. Das war es. Er hatte ja keine Ohren.“

Jonas konnte nicht verhindern, dass eine Träne sich ihren Weg über seine Wange bahnte. Mit zitternden Händen legte er das Buch beiseite. Den Rest der Fahrt sah er schweigend aus dem Fenster, auf die reifüberzogene, graue Landschaft außerhalb des Zuges.

Der Wissenschaftler war froh, als er das Stargatecenter wieder erreicht hatte. Das Debriefing war kurz gewesen. Er hatte General Hammond die Wunschliste der Kelownaner übergeben und die Nachkriegsordnung kurz erläutert. Danach hatte er sich in Dr. Jacksons Büro zurückgezogen. Er hatte keine Lust auf Fragen, er wollte mit niemandem reden.
Er starrte auf den Schreibtisch vor sich. Wie immer türmten sich darauf Notizen, Zeichnungen und jede Menge Bücher, deren Seiten in bunten Farben markiert waren und einige Randnotizen aufwiesen. Doch nun lag, in Mitten von Jonas’ Arbeitsunterlagen, eine große weiße Urkunde. Sie trug ein großes, rotes Siegel und war von Regierungsrätin Ma’rel unterschrieben.
„Dr. Jonas Quinn für seine herausragenden Dienste am kelownanischen Volke“
stand in fetten Lettern auf dem weißen Papier. Schneeweiß. Weiß, wie die Gesichter der Kinder. Weiß, wie das Eis an den Fensterscheiben des Arbeitszimmers. Weiß, wie Fassade des Regierungsgebäudes.
Daneben lag der große goldene Orden. Er glänzte im Schein der Schreibtischlampe. Jonas’ Gesicht spiegelte sich in dem Schmuckstück. Doch sein Gesicht zeigte keine Freude, keinen Stolz. Es wirkte alt und müde. Kraftlos.
Er hatte den Tod von tausenden verhindern wollen, als er das Naquadria gestohlen und seinem Planeten den Rücken gekehrt hatte. Er hatte gehofft, dass seine Landsleute eine bessere Zukunft haben würden. Doch trotz allem starben sie. Tausende. Sinnlos. Jeden Tag.

Wieder und wieder hörte er Ma’rels Worte: „Wir werden nun alles zum Besseren wenden.“ und „Wir mussten Kompromisse eingehen, zum Wohle des ganzen Volkes“
Hatte er denn alles falsch gemacht?
Oder gab es so etwas wie Schicksal?
War das Leid seines Volkes vorherbestimmt gewesen?
Sein Blick haftete noch immer an der Urkunde, die vor ihm lag.
Das Gewissen Kelownas. Herausragende soziale Kompetenz.
War er das wirklich?
Im nächsten Augenblick nahm er die Urkunde auf und ging entschlossen in die gegenüberliegende Ecke des Raumes.
Hier stand ein Papierkorb. Achtlos knüllte Jonas das Dokument und beförderte es mit einem gezielten Wurf, aus einigen Metern Entfernung, in den Korb. Einen Moment später folgte klimpernd der Orden.
Zum ersten Mal nachdem er auf Kelowna gewesen war, schlich sich ein zufriedenes kleines Lächeln auf Jonas’ Gesicht.
Auf einmal fühlte er sich leichter, nicht mehr das Gewissen Kelownas sein zu müssen.

- Ende-
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