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Once in a lifetime von Jolli

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Vorwort

Short-Cut: Unsere Kindheit entscheidet, was für Menschen wir werden. Durch einen unglücklichen Vorfall landen Rodney und Elizabeth in der Vergangenheit des Kanadiers und müssen sich dort nicht nur mit Schule und üblen Mitschülern rumschlagen, sondern auch mit den verrückten Gefühlen des Teenagerlebens.
Spoiler: 2. Staffel
Charaktere: Weir, McKay, OC
Kategorie: Friendship, Romance
Rating: PG-13
Author's Note: Ich konnt's nicht lassen ^^ Dieses Plot Bunny ist mir über den Weg gehüpft, als ich das Lied gehört hab: American Hi-Fi - Geeks get the girls.
Widmung: -
Disclaimer: Stargate Atlantis und alle vorkommenden Charakter sind Eigentum von MGM Television Entertainment.
Feedback: Immer doch. - Jollinar2002@aol.com

Once in a lifetime
Es war ein Anblick, wie man ihn nicht anders gewohnt war. Egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit man dieses Labor betrat, stets traf man einen arbeitswütigen Rodney McKay an, der nichts anderes im Kopf zu haben schien außer Computersimulationen und Objektanalysen außerirdischer Artefakte.
Vermutlich hätte er allein ebenso viel Stunden hier verbracht, wie all die Wissenschaftler seines Teams zusammen, wenn er nicht auch Teil eines Missionsteams gewesen wäre, weshalb er oft auf Fremdwelten unterwegs war.
Jeder Vorgesetzte hätte sich natürlich über so Jemanden gefreut, der so eifrig für seine Arbeit lebte, doch man konnte alles auch ein klein wenig übertreiben.
Es gab Tage, da machte sich Elizabeth Weir fast schon ein bisschen Sorgen. Auch wenn sie Rodneys unermüdlichen Bemühungen sicher mehr als einmal zu verdanken hatten, dass Atlantis überhaupt noch existierte, hätte dem kanadischen Astrophysiker ein gewisses Maß ein Freizeit bestimmt gut getan.
Zum Glück gab es immer mal wieder eine Gelegenheit, um ihn von seinem Labortisch wegzulocken, auch wenn hierzu sehr viel Überredungskunst nötig war.
Als Elizabeth an diesem Abend ihren Fuß in das Labor setzte, sah sie genau das, was man stets zu sehen bekam, wenn man hier war: ganz allein brütete McKay über seinem Laptop und der kritische Ausdruck in seinem Gesicht verriet, dass nicht alles nach seinen Vorstellungen funktionierte.
Sie bemerkte das kleine schwarze Kästchen, das auf dem Tisch stand und identifizierte es als das Artefakt, das McKay von seiner letzten Mission mitgebracht hatte. Dem Muster nach zu urteilen, mit dem die Verschalung verziert war, ließ darauf schließen, dass es von den Antikern stammte. Das war aber auch schon die einzige Erkenntnis, die man dem kleinen Ding abgewinnen konnte.
Leise seufzend schüttelte Elizabeth den Kopf. Sie hatte nichts anderes erwartet, als dass der Kanadier wie besessen daran arbeitete, anstatt dort zu sein, wo man ihn jetzt eigentlich erwartete.
"Hier stecken Sie also", stellte sie fest, um auf sich aufmerksam zu machen.
Rodney hob nur kurz den Blick, um sich zu vergewissern, dass seine Ohren die Stimme richtig identifiziert hatten, aber dann war er schon wieder damit beschäftigt in den Laptop zu starren.
"Ich könnte ausrasten!", fluchte er, als sie näher trat, ohne sich um ein Wort der Begrüßung zu bemühen.
"Egal, was ich versuche, es regt sich einfach nicht. Keine Energiesignaturen, keine visuellen Erkennungszeichen. Nichts!" Dies schien im Moment wohl sein einziges Problem zu sein. Elizabeth zog nur eine Augenbraue hoch und musterte das Kästchen ratlos. Bisher hatte noch niemand auch nur die leiseste Ahnung, wozu es da war, geschweige denn wusste man, wie es funktionierte. Möglicherweise dachten sie auch nur viel zu kompliziert. Manchmal lagen die Antworten näher, als man glaubte.
"Vielleicht ist es auch einfach nur ein Briefbeschwerer", merkte sie beiläufig an, wofür sie von Rodney mit einem Blick gestraft wurde, der Bände sprach. Sie liebte es, ihn auf diese Weise aufzuziehen, weil ihr klar war, dass ihn nichts mehr ärgerte, als sich zu keiner Lösung herantasten zu können. So was machte ihn fast wahnsinnig und dennoch gab er nie auf. Sein Ehrgeiz trieb ihn immer wieder dazu an, so lange weiter zu tüfteln, bis Fortschritte erkennbar waren.
Als er sich wieder dem Computer zuwandte, beschloss Elizabeth das Thema zu wechseln und sich wieder auf den eigentlichen Grund ihres Hier seins zu besinnen.
"Ihnen ist klar, dass heute Sheppards Geburtstag ist, oder?", fragte sie herausfordernd. Sie hätte sich nicht gewundert, wenn er es in all seiner Arbeit vergessen hätte. Doch zu ihrem Erstaunen entgegnete er lässig: "Ich gebe ihm sein Geschenk später." Elizabeth runzelte die Stirn. Offensichtlich hatte er daran gedacht, dann war es wohl Absicht, dass er nicht zu dem kleinen Fest aufgetaucht war, das sie für den Colonel veranstaltet hatten.
"Dann würde ich vorschlagen, Sie lassen das Ding jetzt stehen und kommen mit mir in die Cafeteria", wies sie ihn an und unterstrich dies mit einer auffordernden Geste,aber Rodney schaute sie nur verständnislos an.
"Ich habe keine Zeit", gab er mürrisch zurück. "Ich stehe vielleicht kurz vor dem Durchbruch!"
Elizabeths Miene verfinsterte sich. Mit dieser Ausrede hätte er sie vielleicht früher einmal abwimmeln können, aber in der Zwischenzeit war sie um einiges schlauer geworden.
"Rodney, Sie arbeiten jetzt schon seit geschlagenen zwei Tagen an diesem Gerät, ohne irgendetwas herausgefunden zu haben. Nehmen Sie sich doch einfach mal eine Auszeit!"
"Elizabeth, Sie müssten doch am Besten verstehen, wie wichtig jede Erkenntnis für uns sein könnte", beharrte er.
Die Expeditionsleiterin schnaubte leise. Rodney war einfach ein verdammt dickköpfiger Mensch, aber Beharrlichkeit gehörte genauso auch zu ihren Stärken.
"Wenn Sie nicht freiwillig kommen, befehle ich es Ihnen", meinte sie frech.
Wenn Blicke töten könnten! Der Kanadier machte ein Gesicht, wie das eines kleinen Jungen, dem man verboten hatte von den Süßigkeiten zu naschen. Doch auf einmal platze es aus ihm heraus.
"Ich habe einfach keine Lust dorthin zu gehen! Wissen Sie, was er mir zu meinem Geburtstag geschenkt hat? Boxershorts! Mit Zitronenmuster! Können Sie sich das vorstellen? Zitronen!"
Er fuchtelte wie wild mit den Armen herum, vollkommen verärgert über das Vergehen, dem sich der Colonel erdreistet hatte.
Elizabeth hingegen fand diesen Gag äußerst amüsant und brach in schallendes Gelächter aus. Nicht nur, weil sie sich gerade den Astrophysiker in Zitronen-Boxershorts vorgestellt hatte, sondern viel mehr, weil sie noch nie erlebt hatte, dass sich Jemand über so etwas dermaßen aufregen konnte.
"Ich finde das nicht witzig!", protestierte er beleidigt, weshalb sich Elizabeth mühsam dazu zwingen musste, sich wieder zu beruhigen. Ohnehin kam es ihr so vor, als wäre McKay in letzter Zeit nicht besonders gut auf Sheppard zu sprechen, auch wenn ihr der Grund dafür nicht geläufig war. Vielleicht sollte sie ihn irgendwann einmal darauf ansprechen, aber jetzt war sicher kein guter Zeitpunkt dafür.
Sie entschloss sich zu einer anderen Methode, von der sie wusste, dass es Rodney nahezu unmöglich war, nein zu sagen.
"Ach kommen Sie!", bat sie ihn leise und schaute ihn mit dem treuesten Hundeblick an, den sie zustande brachte. "Jetzt seien Sie doch nicht so nachtragend. Er würde sich sicher freuen, wenn Sie kommen. Und ich auch."
Bingo! Zufrieden beobachtete sie, wie er inne hielt und leise seufzte. Ein klares Zeichen, dass sie ihn soweit hatte.
"Na schön", grummelte er und blickte sie leicht vorwurfsvoll an. Es gab nicht viele Leute, die wussten, wie man Rodneys Dickschädel knacken konnte, aber Elizabeth zählte zweifellos dazu.
Grinsend sah sie zu, wie er sich erhob und den Laptop herunterfuhr, um seine Arbeit zu beenden. Sie war sich ihres Sieges bereits sicher, als sie mit ihm Richtung Tür marschierte, doch dann wendete sich das Blatt plötzlich. Nahezu unhörbar gab der kleine Kasten ein leises Piepsen von sich. Sie registrierte es zwar, ignorierte es aber gekonnt. Der Kanadier hingegen hatte es natürlich nicht überhört und ignorierte es auch nicht. Augenblicklich fuhr er herum und war mit wenigen Schritten und einem aufgeregten "Was war das?" zurück zum Labortisch geeilt.
Genervt verdrehte Elizabeth die Augen. Das durfte doch jetzt nicht wahr sein! Wieso musste dieses verfluchte kleine Ding ausgerechnet jetzt einen Laut von sich geben? In ihr regte sich der Drang, den Kasten zu packen und einfach aus dem Fenster zu werfen. Dummerweise ließen sich die Fenster hier nicht öffnen.
"Das hat doch noch bis später Zeit", quengelte sie, an der Grenze ihrer Geduld und erhielt seitens des Astrophysikers ein schlichtes "Ja ja, ich komm ja gleich."
Dabei hing er mit seiner Nase schon wieder viel zu nah am Laptop, ohne ihr weismachen zu können, dass er sich in unmittelbarer Zeit wieder davon losreißen könnte. Es machte den Anschein, als hätte das Kästchen diesen Kampf gewonnen, aber so leicht ließ sich Elizabeth von einem solchen Ding, das zudem noch recht hässlich aussah, nicht ins Boxhorn jagen.
"Das gibt es doch nicht!", lachte Rodney und strahlte wie ein kleines Kind vor dem Weihnachtsbaum. "Es muss von selbst angesprungen sein. Jetzt kann ich endlich raus finden, wie es funktioniert."
Elizabeths Finger trommelten unruhig gegen ihr Hosenbein. Somit wäre ihre Mission gescheitert. Unter solchen Umständen würde er keinen Fuß mehr aus diesem Labor setzen. Es mussten drastischere Maßnahmen her und Elizabeth hatte keine Skrupel sie einzusetzen.
Kurz entschlossen packte sie das Kästchen einfach und riss es an sich.
Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Entsetzt fuhr Rodney auf und stieß ein entgeistertes "Sind Sie wahnsinnig?" aus, ehe er eilig den Tisch umrundete, um das Kästchen wieder in seinen Besitz zu bekommen.
Elizabeth hatte nicht damit gerechnet, wie weit der Kanadier gehen würde, um sie aufzuhalten. Verdutzt fand sie sich in einem Handgemenge mit ihm wieder, das sie jedoch tapfer bestritt. So leicht würde sie ihre Trophäe sicher nicht hergeben.
"Sie machen es kaputt!", schimpfte er, obwohl er es war, der kräftig daran riss. Dem standen Elizabeths Bemühungen jedoch in nichts nach.
"Lassen Sie endlich los!", fuhr sie ihn an und zog so fest daran, dass Rodney beinahe gestolpert wäre.
Wie lange sich dieser Kampf noch dahin gezogen hätte, war schwer zu sagen. Nachgegeben hätte wohl keiner. Tatsache war jedoch, dass das Schicksal schlussendlich die Partei ergriff.
Keiner hatte mit dem Licht gerechnet, das plötzlich den Raum erfüllte. Es war so grell, dass es alles einhüllte, was irgendwie sichtbar gewesen wäre, sogar der Ton wurde von ihm verschluckt. Und ehe sich die Beiden versahen, wurden sie mit ihm hinfort gezogen.

Es war eine hartnäckige schwarze Wolke, die sie nicht loslassen wollte. In ihrem Kopf brummte etwas, das der Turbine einer Boing 747 nahe kam und als sie mühsam versuchte die Augen aufzuschlagen, nahm sie zunächst alles nur verschwommen wahr.
Ihre Hände registrierten einen dünnen Teppichboden unter sich, während sich über ihr eine weiße Zimmerdecke spannte, an der sie schemenhaft kleine Leuchtsterne ausmachen konnte, mit denen man offensichtlich versucht hatte, den Sternenhimmel nachzubilden.
Verwirrt blinzelte Elizabeth und setzte sich dann langsam auf. Irgendetwas sagte ihr, dass dies hier nicht Atlantis war.
Ihr Blick schweifte über ein voll beladenes Bücherregal zu einer Pinnwand, die mit Zeitungsartikeln behaftet war, streifte dann weiter zu dem Schreibtisch, auf dem sich ein Chaos aus Notizblöcken, Heften und Büchern ausbreitete und wanderte über das Bett bis hin zum Fenster, zu dem die Sonne herein schien.
Es gab keinen Zweifel: dies war ein Zimmer auf der Erde.
Vergeblich versuchte sie sich einen Reim darauf zu machen, wie sie hier hergekommen sein könnte, denn alles woran sie sich noch erinnerte, war die Auseinandersetzung mit Rodney. Danach war alles wie ausgelöscht. War das kleine Kästchen womöglich ein Teleporter? Aber wieso transportierte er sie dann ausgerechnet hierher?
Noch ehe sie Zeit fand, genauer darüber nachzudenken, vernahm sie plötzlich ein leises Stöhnen, das von irgendwo zwischen der anderen Seite des Bettes und dem Fenster auszumachen war. Ihr erster Gedanke galt Rodney, der vermutlich ebenso wie sie mit den Folgen dieses Vorfalls zu kämpfen hatte. Und so wartete sie geduldig, bis auch er so weit war, dass er sich aufsetzen konnte. Sie hoffte, dass wenigstens er eine Erklärung für all das hatte.
Doch als schließlich ein Kopf zum Vorschein kam, dessen Gesichtsausdruck recht benommen wirkte, wurden Elizabeths Augen immer größer.
Es war nicht Rodney, der sich langsam über die Augen rieb. Der Junge, den sie vor sich sah, war nicht älter als 15 und er trug Kleidung, wie sie auf der Erde üblich war. Verdattert beobachtete sie, wie er plötzlich überrascht zu ihr hinüber blinzelte und sein Gesicht einen entgeisterten Ausdruck annahm.
Nein, das ist nicht möglich!, schoss es ihr fassungslos durch den Kopf, als sie in seine blauen Augen sah. Und obwohl ihr Verstand keine logische Erklärung dafür fand, wie so etwas sein konnte, kombinierte sie alle Merkmale von den Augen, bis hin zu den dunklen Haaren und kam zu einer Schlussfolgerung.
"Rodney?", brachte sie endlich heraus und erhielt als Antwort ein ebenso verwirrtes: "Elizabeth?"
Dies war sowohl Bestätigung für ihren Gedanken, als auch der Grundstein für einen Verdacht. So wie er sie anstarrte und der Ton, mit dem er seine Gegenfrage stellte, ließ sich nur auf eines schließen: sie war ebenfalls nicht mehr ganz sie selbst.
"Sie…Sie sind…", begann sie zögerlich, wurde aber sofort von ihm unterbrochen: "Sie auch!"
Zum ersten Mal wagte sie es, an sich hinunter zu sehen. Doch da war keine Expeditionsuniform mehr und ein Blick auf ihre Hände verriet, was sie befürchtet hatte: sie steckte ebenso in einem jüngeren Körper.
Ohne Vorwarnung sprang Rodney auf und stolperte zum Spiegel, der an der Wand hing, nur um eine Bestätigung zu erhalten. Fassungslos starrte er in sein eigenes Gesicht, das ihm auf seltsame Weise fremd und doch vertraut war.
"Was um alles in der Welt ist hier passiert?", fragte er verdattert.
Elizabeth holte tief Luft, ehe sie sich dazu durchrang aufzustehen.
"Was fragen Sie mich das?", gab sie mürrisch zurück. "Sie haben sich mit dem Artefakt beschäftigt."
"Wenn Sie es mir nicht aus der Hand gerissen hätten, wäre das hier gar nicht erst passiert", entgegnete er beleidigt und schaute sie dabei mit einem Blick an, der sie zu durchbohren schien, aber von so was ließ sich jemand wie Elizabeth sicher nicht einschüchtern.
"Ach, jetzt ist es auch noch meine Schuld!", gab sie eingeschnappt zurück und stemmte die Fäuste in die Hüften. "Wenn Sie nicht so besessen von diesem Ding gewesen wären und zur Feier gekommen wären, hätte ich nicht zu solchen Maßnahmen greifen müssen."
Rodney schnaubte nur. Ein Zeichen dafür, dass er zur Einsicht gekommen war, obwohl er dies niemals offen zugegeben hätte.
Er beschloss, nicht weiter darauf einzugehen und grübelte stattdessen über die Dinge nach, die er noch hatte lesen können, bevor dies passiert war. Es war nicht viel gewesen, aber in der Aufregung war es schwer gewesen, dies alles im Gedächtnis zu behalten.
Völlig ohne Vorwarnung stand Elizabeth auf, ging schnurstracks auf Rodney zu und verpasste ihm einen nicht gerade harten, aber dennoch unsanften Faustschlag gegen die Schulter.
"Au!"
Rodney fuhr erbost zu ihr herum und blitzte sie beleidigt an, während er sich über die getroffene Stelle rieb. Es hatte zwar nicht wirklich wehgetan, doch er war so überrascht von dieser Reaktion, dass sich automatisch ein Reflex eingeschalten hatte.
"Was sollte das denn?", blaffte er eingeschnappt und beobachtete verwirrt ihren nachdenklichen Gesichtsausdruck.
"Ich wollte nur testen, ob das ein Traum ist", entgegnete sie unbeeindruckt und erhielt dafür prompt eine Retourkutsche des Astrophysikers. Nun war sie es, die ihn grimmig anfunkelte.
"Hey!"
"Hat sich das wie ein Traum angefühlt?"
Elizabeth zog nur eine beleidigte Grimasse, konnte sich aber mit einem Konterschlag noch zurückhalten. Gut möglich, dass dies die jüngeren Hormone waren, die sie so handeln ließ, denn sie konnte sich nicht vorstellen, sich auf diese Weise mit Rodney zu zanken, wenn sie in Atlantis gewesen wären. Naja, mal abgesehen von dem letzten Handgemenge, das zu dieser Situation geführt hatte.
Sie holte tief Luft und stieß sie geräuschvoll wieder aus. Es nützte nichts, wenn sie sich weiter gegenseitig die Schuld zuschoben. Sie mussten gezielt nach einer logischen Erklärung suchen, wenn sie hier weg wollten.
"Na schön, sagen wir, es ist kein Traum. Was ist es dann?"
Zum Glück war Rodney zu demselben Schluss gekommen und so ging er umgehend darauf ein.
"Es kann auf keinen Fall ein einfacher Zeitsprung sein, weil wir sonst nicht in diesen Körpern stecken würden", erklärte er und fing an auf und ab zu gehen, als helfe ihm dies beim Nachdenken. "Aber wir können die Zeit auch nicht zurückgedreht haben, denn dann könnten wir uns nicht an das Leben auf Atlantis erinnern."
"Was ist mit einer virtuellen Realität?", warf Elizabeth ein und brachte Rodney so zum Stehen.
"Sie meinen eine Welt, in der wir praktisch noch Kinder sind?", fragte er zweifelnd.
"Wieso nicht? Irgendetwas muss der Kasten ja bewirkt haben. Vielleicht kreiert er eine Welt, die er aus unseren Erinnerungen schafft."
Zufrieden stellte sie fest, dass er stutzte. Das bedeutete also, dass er ihr Argument für plausibel hielt. Dies gab ihr Mut, den Faden selbst weiter zu spinnen.
"Das würde auch heißen, dass dieser Raum eine bestimmte Bedeutung hat. Nur welche? Weil ich bin hier noch nie in meinem Leben gewesen."
Ein weiteres Mal schaute sie sich genau um. Es war definitiv das Zimmer eines Jugendlichen, wie sie es im Moment ja auch waren. Doch so sehr sie sich auch bemühte, sie erkannte nichts wieder und als ihr Blick an den Buchtitel im Regal hängen blieb wurde ihr klar, was Rodney in diesem Augenblick bestätigte.
"Ich weiß, weil…das mein Zimmer gewesen ist."
Seltsam, seine Stimme hatte einen merkwürdigen Unterton, den Elizabeth nicht recht deuten konnte. Es schien fast so, als wäre es ihm peinlich, dass sie dies zu sehen bekam und so beschloss sie, die Lage dadurch wieder etwas aufzulockern, indem sie ihn ein wenig aus der Reserve lockte, weshalb sie frech zurückgab: "Ach wirklich? Ich habe mir immer eingebildet, Jungs in dem Alter hätten lauter nackte Frauen an der Wand hängen."
Ein breites Grinsen zog sich über ihr Gesicht, als sie beobachtete, wie der Kanadier sie empört anstarrte. Sie konnte sich auch irren, aber sie glaubte, dass der Farbton seines Gesichts einen leichten Rotstich angenommen hatte. Dabei konnte sie nur hoffen, dass dies keine Wut war.
"Witzig", murmelte er schließlich nur grimmig und schnaubte leise.
Elizabeth verkniff sich ein Lachen. Es war irgendwie ungewöhnlich ihn so zu sehen. Einerseits erkannte sie Rodney eindeutig in seiner Gestik und Worten, und trotzdem sah er ganz anders aus. Sicher ging es ihm da genauso.
"Es bringt jedenfalls nichts, wenn wir hier bleiben und uns den Kopf zerbrechen. Wenn wir weiterkommen wollen, sollten wir uns zumindest mal noch ein wenig umsehen", schlug er schließlich vor und Elizabeth war einverstanden. Vielleicht ergaben sich noch ganz neue Möglichkeiten.
Als Rodney ihr zustimmendes Nicken erkannte, entschloss er sich dazu, die Initiative zu ergreifen und machte sich Richtung Tür auf. Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte er, dass Elizabeth ihm folgte, doch völlig ohne Vorwarnung blieb sie plötzlich stehen.
"Oh mein Gott!"
Erschrocken wirbelte er herum. Ein solcher Aufruf aus ihrem Mund war stets ein Alarmzeichen. Verwirrt stellte er fest, dass sie vor dem Spiegel stand und entsetzt hineinstarrte.
"Was ist?", fragte er aufgeregt, aus Angst, mit ihr wäre etwas geschehen, was er selbst noch nicht bemerkt hatte. Die Antwort ließ erstaunlich lange auf sich warten, da Elizabeth zunächst viel zu sehr damit beschäftigt gewesen war ihr Gesicht aus allen Winkeln zu betrachten.
Dann wandte sie sich wieder Rodney zu und schaute ihn mit einem fast schon verzweifelten Ausdruck in den Augen an.
"Hatte ich damals wirklich so viele Pickel?"

Es war ein merkwürdiges Gefühl, durch dieses Haus zu laufen. Im Grunde wusste sie, dass sie hier eigentlich nicht hingehörte. Dies war Rodneys Welt, ein Teil seines Lebens, der ihr verborgen gewesen war und den sie auch nie zu sehen bekommen hätte, wenn sie nicht hier gelandet wären.
Neugierig musterte sie jeden Winkel, während sie ihm die Treppe hinab folgte. Es war eine Gelegenheit, die sich kein zweites Mal bieten würde, denn eines war ihr schon bald klar geworden: Rodney sprach nicht gern über seine Vergangenheit und Elizabeth hütete sich davor, ihn danach zu fragen. Sie hatte gelernt, sich damit abzufinden, wenn die Leute nicht von sich aus über private Dinge sprachen und deshalb hatte sie auch nie Anstalten gemacht in dieser Hinsicht nachzuhaken. Dennoch konnte sie nicht leugnen, dass sie neugierig war. Es war eines der vielen Rätsel um Rodney McKay, die sie zu lösen versuchte.
"Hübsches Haus", meinte sie nach einer Weile, als sie unten ankamen und im Flur stehen blieben. Rodney gab lediglich ein vieldeutiges Brummen von sich, als Zeichen, dass er sie gehört hatte, ohne jedoch weiter darauf einzugehen. Trotzdem stellte Elizabeth fest, dass es hier recht ruhig war, zu ruhig nach ihrem Geschmack.
"Ist sonst niemand da?", fragte sie deshalb.
"Nein."
"Wieso nicht?"
Rodney zuckte nur mit den Schultern und blickte sich recht ratlos um, als er überlegte, wie sie weiter vorgehen sollten.
"Ich war oft allein zu Hause", entgegnete er dann.
Elizabeth versuchte, sich ein Bild von ihrer Umgebung zu machen. Es war im Grunde eingerichtet, wie jedes Haus einer ganz normalen Familie. Nichts, was auf Geldprobleme hingedeutet hätte und auch kein großer Pomp war zu sehen. Ein wenig hatte Chaos Einzug gehalten, aber nicht mehr als in jedem Haus, dem man ansah, das in ihm gelebt wurde. Aber trotz der freundlichen Einrichtung wirkte es trostlos, wenn es so verlassen war.
"Sehen Sie es doch von der guten Seite, dann hatten Sie immer sturmfreie Bude für Partys", grinste sie. Jeder Teeny in diesem Alter hätte sich die Finger danach geleckt, die Gelegenheit zu haben, im Haus für Halli Galli zu sorgen, wenn die Eltern nicht da waren.
Dummerweise ging ihr Scherz gründlich in die Hose, denn Rodneys Antwort wirkte erstaunlich kühl, als er erwiderte: "Nein, eher nicht."
Da war er wieder, dieser seltsame Unterton in seiner Stimme und sie fragte sich, weshalb er so lange die Kellertür musterte, mit einem Blick, der etwas Besorgtes ausdrückte. Irgendwas sagte ihr, dass er ihr eigentlich nur halb zugehört hatte und stattdessen in Erinnerungen versunken war. Kein Wunder, schließlich musste hier jeder Winkel eine Geschichte für ihn verborgen halten. Ihr würde es nicht anders ergehen, wenn sie jetzt in ihrem Haus gewesen wären, in dem sie aufgewachsen war.
Zu gerne hätte sie jetzt seine Gedanken gelesen. Vielleicht hätte sie dann vieles besser verstanden, was in ihm vorging, obwohl sie eigentlich auch so vermuten konnte, dass der Keller sicher keine angenehmen Erinnerungen weckte, so wie sie seinen Blick deutete. Wenn sich die Gelegenheit bot, würde sie ihn vielleicht einmal danach fragen.
Noch ehe sie aber dazu kam, etwas zu sagen, hörte sie plötzlich ein vertrautes Geräusch hinter sich. Jemand steckte einen Schlüssel ins Schloss. Keine zwei Sekunden später öffnete sich die Tür und helles Tageslicht fiel in den Gang.
Überrascht wandten sich die Beiden um und sahen sich einem Mann gegenüber, dessen Gesichtsausdruck nicht minder überrascht wirkte. Er war sogar so verblüfft, dass er zunächst vergaß die Hand vom Schlüssel zu nehmen, der noch immer steckte.
Man hätte selbst eine Stecknadel fallen hören, so still war es auf einmal. Elizabeth merkte sogar, wie Rodney neben ihr den Atem anhielt.
Im Laufe der Jahre hatte sie gelernt so viele Merkmale ihres Gegenübers wie möglich in den ersten Sekunden sofort zu erfassen. So ließ sich viel auf den Menschen schließen.
Tatsache war, dass ihr der durchdringende Blick der dunklen Augen nicht entging, kombiniert mit dem kurzen Schnitt der dunklen Haare und der Art, wie perfekt die Kleidung saß, ließ sich vermuten, dass er ein Mann war, der wusste, was er wollte und Möglichkeiten fand, dies in die Tat umzusetzen.
Elizabeth hatte keine Zweifel über ihre Erkenntnis, wer er sein musste und trotzdem gab es so vieles, was irgendwie nicht ins Bild passte.
Elizabeth wartete vergeblich darauf, dass ein Wort fiel und sie spielte bereits mit dem Gedanken, selbst das Schweigen zu brechen, auch wenn es wohl sehr unpassend gewesen wäre, schließlich war das nicht ihr Vater, der vor ihr stand.
All das änderte sich jedoch, als plötzlich der dunkle Dauerwellenschopf einer Frau zum Vorschein kam, die neben dem Mann zum Stehen kam und etwas unbeholfen lächelte.
"Rodney…", begann sie überrascht. "Du bist schon da?"
Innerlich musste Elizabeth schmunzeln. Dieselben Augen. Jetzt wusste sie, nach wem der Astrophysiker schlug. Was ihr aber nicht entging war die Schlinge, in der sie einen verbundenen Arm hielt und obwohl Elizabeth nur Spekulationen anstellen konnte, vermutete sie, dass die Beiden von einem Arztbesuch zurückkamen.
"Wie war dein Klavierunterricht, Schatz?", fragte die Frau noch immer lächelnd, worauf sich Elizabeth nur schwer ein Grinsen verbeißen musste und stattdessen zog sie erstaunt die Augenbrauen hoch. Er hatte ihr nie erzählt, dass er Klavier spielen konnte und daran, wie er mit roten Ohren den Blick senkte, erkannte sie, dass er es auch lieber für sich behalten hätte.
"Ganz gut", log er schließlich kleinlaut und nun konnte Elizabeth nicht anders, als amüsiert zu schmunzeln. Sie hatte noch nie Jemanden gesehen, der Rodney derart unter Kontrolle hatte. Normalerweise scheute er sich nie vor schlagfertigen Bemerkungen und sie hätte vermutet, dass er ein recht aufsässiges Kind gewesen war.
"Willst du uns deiner Freundin nicht vorstellen?" fragte sein Vater plötzlich und Rodney schaute sofort wieder auf.
Nervös wanderten seine Augen zwischen Elizabeth und seinen Eltern hin und her. Sie konnte ihm nicht verdenken, durch den Wind zu sein, schließlich musste das ein eigenartiges Gefühl sein, den Eltern nach so langer Zeit wieder gegenüberzustehen. Elizabeth wusste noch nicht einmal, ob sie in Wirklichkeit eigentlich noch lebten. Wenn nicht, dann musste es erst recht eine merkwürdige Begegnung für ihn sein.
"Mum…Dad…das ist…Elizabeth…W-Weir", stammelte er mühsam.
Sie setzte ihr höflichstes Lächeln auf, auch wenn sie sich fragte, warum sie die beiden so beeindrucken wollte.
"Elizabeth Weir?", wiederholte Rodneys Vater nachdenklich und setzte dabei eine grüblerische Miene auf, wie sie es bei seinem Sohn schon so oft gesehen hatte.
"Habt ihr nicht das Haus in der Baker Street gekauft?"
Elizabeths Augen wurden immer größer. Baker Street? Das sagte ihr nichts. Nein, sie war schließlich noch nie in ihrem Leben hier gewesen. Er musste sie sicher verwechseln.
Sie setzte bereits zu einer Verneinung an, als sie plötzlich Rodneys harten Ellenbogen in ihren Rippen spürte.
"Ja, genau!", antwortete sie wie auf Kommando, nicht sicher, weshalb sie dieses Spiel noch immer mitspielte.
Andererseits, was erwartete sie jetzt? Dies war nicht die Realität und trotzdem konnte sie ihr Misstrauen nicht preisgeben, sonst wäre ihre nächste virtuelle Adresse die nächste virtuelle Psychiatrie.
Die Eltern schienen jedenfalls zufrieden mit ihrer Antwort zu sein, auch wenn das Gesicht des Vaters ausdruckslos blieb und die Mutter fast schon ein wenig zu sehr lächelte. Sie versteckte etwas hinter diesem Lächeln, etwas, das Elizabeth zu gern gewusst hätte.
"Wir haben überhaupt keinen Besuch erwartet. Bleibst du trotzdem zum Essen?", fragte sie freundlich. Essen klang gut, da konnte sie womöglich noch mehr Dinge über diese Familie herausfinden, ganz egal, was Rodney davon hielt. Sie öffnete bereits den Mund, doch Rodney kam ihr unerwartet schnell zuvor.
"Nein."
Eilig klappte Elizabeth den Mund wieder zu. Was, um alles in der Welt, sollte das denn werden?
"Wir…wir wollten gerade gehen", fügte Rodney nervös hinzu und ignorierte gekonnt den finsteren Blick, der ihn von der Seite traf. Trotzdem war auf Elizabeth so weit verlass, dass sie sich darauf einließ und nicht widersprach.
"Wie schade", stellte die Mutter enttäuscht fest, was Elizabeth aber mit einem höflichen "Vielleicht ein andermal. Es hat mich gefreut, Mrs. McKay" wieder wett zu machen versuchte.
Der Plan ging auf, die verpatze Lage war gerettet, als die Frau beruhigt lächelte und vom Vater sogar ein verständnisvolles Nicken kam.
"Ich bring sie nach Hause", bemerkte Rodney eilig und zog Elizabeth einfach mit sich, bevor diese irgendwie reagieren konnte. Recht verdutzt traten die Eltern beiseite, um sie durchzulassen. Aber ihre Verwirrung war bei solch ungewöhnlichem Verhalten sicher verständlich.
"Vergiss nicht deine Schwester auf dem Rückweg bei den Dawsons abzuholen. Ich mag nicht, wenn die Kleine um diese Zeit allein nach Hause läuft", rief ihm die Mutter hinterher und zum Glück sah sie nicht, wie ihr Sohn genervt die Augen verdrehte. Trotzdem ließ er sich nichts anmerken, als er ein gehorsames "Ja, mach ich!" erwiderte.
Rodney eilte so schnell durch den Vorgarten auf die Straße hinaus, dass Elizabeth zunächst Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten. Erst, als sie endlich außer Hörweite waren, holte sie vollends zu ihm auf und musterte ihn vorwurfsvoll.
"Was wird das bitte, wenn das fertig ist?"
"Glauben Sie mir, Sie können von Glück reden, dass ich Ihnen das erspart habe", brummte er zurück, stur auf die Straße vor sich blickend, ohne sich darum zu kümmern, ob Elizabeth das Tempo halten konnte.
"Ich weiß gar nicht, was Sie haben, ich fand sie eigentlich ganz nett", wandte sie ein und entlockte Rodney damit ein sarkastisches Lachen.
"Ja, sicher! Solange jemand Außenstehendes dabei ist."
Elizabeth sah ein, dass es keinen Sinn mehr hatte darüber zu diskutieren. Rodney versuchte sie noch immer aus diesem Teil seines Lebens fern zu halten, was aber sicher auf Dauer schwierig werden würde, schließlich befand sie sich bereits mitten drin.
"Wo gehen wir hin?"
"In die Baker Street. Ich hab doch gesagt, ich bringe Sie nach Hause."
"Das ist doch verrückt!", platzte es aus Elizabeth heraus. "Was zum Teufel soll ich da? Das ist nicht mein Zuhause! Ich kenne diese Stadt nicht, ich kenne diese Leute nicht!"
Sie fuchtelte wild in der Gegend herum, wie ein Pinguin, der zu fliegen versuchte und ihr Blick wanderte dabei über die ruhigen, menschenleeren Straßen, an denen sich Häuser in der Abendsonne reihten. Das kleine verschlafene Nest war vielleicht gut für einen Erholungsurlaub, aber nicht, wenn man hier leben sollte, ohne auch nur eine Menschenseele zu kennen.
Regelrechte Wut kochte in ihr auf, als Rodney keine Anstalten machte, sich von seinem Vorhaben abbringen zu lassen. Oh, wie sie diesen Dickschädel hasste! Er konnte sie doch nicht einfach irgendwelchen wildfremden Leuten ausliefern, die sie als Tochter akzeptieren sollten!
"Das ist nicht mein Leben!", fuhr sie aufgebracht fort. "Das ist nicht mein Haus! Das ist nicht meine…"
Familie hatte sie sagen wollen, aber alle Worte blieben ihr mit einem Male im Hals stecken, als sie den Mann sah, der zur Tür heraustrat, vor der sie stehen geblieben waren. Elizabeth spürte, wie ihr Herz zu rasen begann, als sie ihn erkannte, wie er mit den dunklen, leicht zerzausten Haaren und den einfachen Klamotten, die er sich wohl schnell übergeworfen hatte, aus dem Haus trat. So oft hatte sie das gesehen und dennoch konnte sie es nicht fassen.
"Dad?", murmelte sie tonlos und auch wenn er sie aus der Entfernung wohl kaum gehört haben konnte, wandte er sich ihr in diesem Augenblick zu und strahlte.
"Lizzie, da bist du ja! Ich hab mich schon gefragt, wo du so lange steckst", rief er ihr zu und warf ein paar Taschen, die er bei sich getragen hatte, zur offenen Beifahrertür des Autos hinein, das vor der Garage stand.
Jetzt wusste sie, wie es Rodney zuvor ergangen war. Dieses unbeschreibliche Gefühl einem Menschen wieder gegenüber zu stehen, den man schon so lange verloren geglaubt hatte. Sie war vollkommen sprachlos, auch, als ihr Vater die Autotür zumachte und auf sie zukam.
Noch einmal fiel ihr Blick auf das kleine Haus, mit dem einfach gehaltenen, aber nicht verwilderten Vorgarten. Nein, sie war ganz sicher noch nie hier gewesen.
"Oh, wie ich sehe hast du schon Bekanntschaft geschlossen", stellte er erfreut fest und blieb vor den Beiden stehen, die noch immer wie angewurzelt in der Auffahrt zur Garage standen.
Es hätte nichts gegeben, was seine gute Laune je getrübt hätte. Ihr Vater war stets voller Enthusiasmus und Lebensfreude gewesen, egal, wie schlecht die Zeiten manchmal auch gewesen waren.
Er erwartete eine Erklärung von ihr, das stand eindeutig fest, aber dazu musste sie erst einmal einen klaren Gedanken fassen.
"Das ist Rodney…McKay. Er…er wohnt die Straße runter", erklärte sie schließlich. Eine genauere Beschreibung brachte sie von einem Ort, den sie nie zuvor gesehen hatte, leider nicht zustande. Doch ihr Vater begnügte sich vollkommen damit und streckte Rodney ganz ungezwungen die Hand entgegen.
"Schön dich kennen zu lernen", lächelte er und Rodney musste sich schwer dazu zwingen, dies einigermaßen überzeugend zu erwidern, als er ein unsicheres "Hi" entgegnete und langsam die Hand schüttelte. Er schien es nicht gewohnt zu sein, dass jemand so offen auf ihn zuging.
Dies störte den Mann nicht und ohne Umschweife fuhr er deshalb fort: "Es ist gut, wenn man jemand hat, dem man sich anschließen kann. Wir sind erst hier eingezogen und müssen uns hier erst einmal einleben."
Seltsamerweise behagte Rodney irgendetwas nicht an dieser Bemerkung, denn sie merkte, wie er nervös seinen Blick gen Boden richtete, als forderten die kleinen Grasbüschel zwischen den Pflastersteinen seine volle Aufmerksamkeit.
Elizabeths Vater hingegen klatschte voller Tatendrang in die Hände und rieb sie aneinander, ehe er sich wieder seiner Tochter zuwandte.
"Ich muss leider los und ein paar Dinge erledigen. Du musst dir selber etwas zu Essen zaubern, aber es steht alles im Kühlschrank. Isst dein neuer Freund mit?"
Augenblicklich wurde Elizabeth hellhörig. Jetzt war die Zeit der Rache gekommen! Besonders groß war die Verlockung, als sie sah, wie Rodney antworten wollte.
"Nein, tut er nicht!", gab sie deshalb wie aus der Pistole geschossen zurück, nicht ohne einen herausfordernden Unterton, den nur Rodney deuten konnte und um noch einen drauf zu setzen, grinste sie ihn frech an und fügte hinzu: "Er muss noch seine kleine Schwester nach Hause bringen."
Sie konnte förmlich spüren, wie in Rodney der Zorn aufkochte, als er sie mit seinem Blick aufzuspießen versuchte. Aber Elizabeth dachte nicht im Traum daran, diesen Sieg nicht zu genießen und schmunzelte nur vieldeutig.
"Ah, verstehe", meinte ihr Vater nickend, ehe er sich zum Gehen wandte. "Wir sehn uns dann also später."
Er hob noch einmal kurz die Hand zum Abschied und verschwand schließlich im Inneren des Autos. Schweigend verfolgten die beiden, wie er rückwärts auf die Straße rollte und dann davonfuhr.
"Was jetzt?", fragte Elizabeth, während sie ihrem Vater eine Weile hinterher schaute.
"Das ist einfach nur verrückt!", murmelte Rodney kopfschüttelnd. "Ich meine…irgendwie ist alles so real wie damals und doch ganz anders."
Elizabeth lachte leise auf. "Wem sagen Sie das?"
Sie wandte sich ihm wieder zu und seufzte leise.
"Haben Sie eine Idee, wie wir hier wieder rauskommen?"
Sie sah ihm an, dass er scharf nachdachte und schließlich nickte. Allerdings nicht, weil er zu einer Lösung gekommen wäre, sondern einen Plan für ihr weiteres Vorgehen hatte.
"Ich würde vorschlagen, wir spielen einfach so lange mit, bis wir etwas haben. Ich werde zumindest mal meine Bücher durchgehen, vielleicht finde ich was."
Das war schon mal nicht schlecht für den Anfang. Obwohl sie zugeben musste, dass es ihr ein mulmiges Gefühl bereitete, wenn sie daran dachte, ihre Kindheit noch mal zu durchleben. Naja, ein richtiges Kind war sie ja nicht mehr und sie konnte nicht behaupten, dass diese Zeit besonders schrecklich gewesen wäre, aber ein Zuckerschlecken war es dennoch damals auch nicht gewesen.
Sie stand noch lange vor diesem Haus, das sie nicht kannte, während sie Rodney nachschaute, wie er schließlich die Straße hinunter lief. Wieder fragte sie sich, weshalb der Kasten wohl ausgerechnet den Großteil seiner Erinnerung genutzt hatte, um diese Welt zu erschaffen und nicht die ihrigen. Vielleicht war es einfach Zufall. Vielleicht war Rodney derjenige gewesen, der im Handgemenge aus Versehen den Einschaltknopf betätigt hatte. Vielleicht gab es aber auch einen bestimmten Grund, den sie einfach noch nicht kannten, aber den sie herauszufinden versuchen würden.

Frustriert musste Rodney schon bald feststellen, dass er den Mund zu voll genommen hatte. Er war es gewohnt, schnell zu einer Lösung zu kommen, weil ihm stets die richtigen Mittel zur Verfügung standen. Aber hier gab es keine Antiker-Datenbank oder Missionsberichte; kein Computernetzwerk und keine spezielle Fachliteratur.
Alles, was er hier hatte, war ein Regal voller Bücher, die man in jedem Laden bekam und viel zu Allgemein waren, um irgendetwas herauszufinden, was jetzt wichtig gewesen wäre.
Dennoch lag er den ganzen Abend auf dem Teppichboden seines Zimmers und blätterte alles durch, was ihm in die Hände fiel, aber da war nichts von Wurmlochphysik oder Parallelwelten. Das bisschen Zeitreisen half ihm auch nicht wirklich weiter.
Es wurde zu einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen und dabei vergaß er völlig, wie schnell man in diesem Alter müde wurde. Zum Glück war ihm aber sein Ehrgeiz geblieben und dieser trieb ihn dazu an, hartnäckig weiter zu suchen, ohne auf die Zeit zu achten, oder an die Konsequenzen zu denken. Nein, er wollte nicht darüber nachdenken, was passieren würde, wenn er scheiterte. Er wollte nicht wissen, wie es sein musste, diesen Abschnitt seines Lebens noch einmal durchzumachen. Solche Zweifel hätten ihn abgelenkt, ihm vielleicht sogar Angst gemacht, also betäubte er sie wie üblich durch Arbeitswut.
Er wurde erst gestört, als sich langsam die Zimmertür öffnete. Verdutzt blickte er von dem Buch auf, in dem er gerade las und blinzelte kurz gegen das Licht des Flurs, das hereinfiel und heller war, als das gedämpfte Licht seiner Nachttischlampe.
Nur ein kurzer Augenblick war nötig, um zu erkennen, wer sich in sein Zimmer schlich.
Das hatte ihm gerade noch gefehlt!
"Was willst du?", fragte er genervt, als seine kleine Schwester eintrat. Sie tauchte immer dann auf, wenn er es am Wenigsten gebrauchen konnte. Dabei hatte er sich immer eine solche Gelegenheit gewünscht.
Er hatte damals viele Fehler gemacht und war wohl nie ein besonders sorgsamer Bruder gewesen, obwohl Jeanie das manchmal vielleicht gebraucht hätte. Er hatte sich vorgenommen, die Zeit, in der er hier festsaß, zu nutzen, um einiges besser zu machen, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass ihm ihre kindliche Art derart auf die Nerven gehen würde. So hatte sich letztendlich an der Situation eigentlich nichts geändert.
Jeanie ließ sich jedenfalls nicht von seinem abweisenden Tonfall einschüchtern und sprang stattdessen grinsend auf sein Bett.
"Dad hat gesagt, du hast ‚ne Freundin", plapperte sie einfach drauf los.
Irgendwas zog sich in Rodney zusammen, als er sie reden hörte. Hatte sie damals wirklich eine so piepsige Stimme gehabt? Erstaunt musste er ebenso feststellen, dass ihm nie die Sommersprossen in ihrem Gesicht aufgefallen waren, jedenfalls mussten die irgendwie im Laufe der Jahre verschwunden sein.
"Es ist nicht meine Freundin, sondern eine Freundin", wies er sie zähneknirschend zurecht, deutlich an der größten Spannweite seines Geduldsfadens. War ja klar, was sie wieder dachte, aber es war weniger die übliche Wut eines Jungen dem seine kleine Schwester auf den Keks ging. Viel unangenehmer war ihm, dass Mädchen bzw. Frauen immer ein heikles Thema bei ihm waren. Mehr als bei anderen Jungs in seinem Alter.
Jeanie wusste das und sie nutzte das gnadenlos aus, um ihn auf die Palme zu bringen.
"Wie heißt sie?"
"Elizabeth."
"Und hast du sie lieb?"
"Geht dich nichts an!"
"Habt ihr euch geküsst?"
"Halt endlich die Klappe!"
Kurzentschlossen sprang Rodney auf und warf ihr den furchteinflößendsten Blick zu, den er zustande brachte. Am liebsten hätte er ihr den Hals umgedreht, aber so bedrohlich konnte er wohl doch nicht aussehen, denn Jeanie saß noch immer grinsend an Ort und Stelle. Er hasste es, wenn man ihn nicht ernst nahm, vor allem, wenn er sich Jüngeren gegenüber nicht durchsetzen konnte, die ihm auf der Nase herumtanzten.
"Wissen Mum und Dad eigentlich, dass du nicht mehr zum Klavierunterricht gehst?", fragte sie herausfordernd.
Es brachte das Fass zum Überlaufen. Damit wollte sie ihn also erpressen, dieses kleine verlogene Luder! Aber darauf ließ er sich nicht ein.
"Raus hier!", rief er warnend und als sie noch immer keine Anstalten machte sich zu bewegen, versuchte er sie zu packen. Er hatte kein Problem damit, sie persönlich aus dem Zimmer zu zerren.
Jeanie hingegen ahnte bereits, dass die Situation brenzlig wurde und entging knapp Rodneys Hand, indem sie eilig vom Bett rutschte. Jetzt war es also Zeit, den Rückzug anzutreten. Allerdings konnte sie ein kicherndes "Rodney hat ‚ne Freundin! Rodney hat ‚ne Freundin!" nicht verkneifen, als sie fluchtartig aus dem Zimmer huschte.
Kochend vor Wut, knallte er die Tür hinter ihr zu und schloss sie vorsichtshalber ab, ehe er sich mit dem Rücken dagegen lehnte und frustriert seufzte.
Vor ihm würde eine anstrengende Zeit liegen.

Sie hatten vereinbart das Spiel mitzuspielen, solange sie nicht sicher sein konnten, wie lange sie hier festsaßen. Das bedeutete aber auch, die unangenehmen Pflichten dieses Lebens in Kauf zu nehmen und dazu zählte für sie leider auch die Schule.
Wenn man erwachsen wurde, vergaß man mehr und mehr die Einzelheiten dieser Zeit. Man erinnerte sich nur noch daran, welche Lehrer man gern hatte und welche man gehasst hatte; in welchen Unterricht man gerne ging und wo man die Stunde einfach über sich ergehen ließ. Doch man dachte nicht mehr daran, wie mühsam es war so viele unterschiedliche Fächer zu meistern und wie hart man lernen musste, um den Anforderungen gewachsen zu sein.
Für Rodney war es ein Graus. In seinem ganzen Leben hatte er hart dafür gekämpft, um Stück für Stück auf der Karriereleiter nach oben zu klettern und nun war er mit einem Male wieder ganz unten. So was war schwer hinzunehmen, wenn man weit mehr Potential hatte, doch klammerte sich an die Hoffnung, dass dieser Spuk bald vorüber sein würde.
Und noch etwas half ihm, diese Aufgabe zu bewältigen. Er hatte nicht damit gerechnet und daher war er ein kleinwenig überrascht, als Mrs. Smith an diesem Morgen der Klasse ihre neue Mitschülerin vorstellte. Es war nicht so, dass irgendeine Bemerkung fiel, die darauf hingedeutet hätte, dass er und Elizabeth sich bereits kannten und leider war auch kein Tisch neben ihm frei, aber irgendwie breitete sich ein beruhigendes Gefühl in ihm aus, als ihm klar wurde, dass sie in seiner Nähe war. Unter all den Menschen, zwischen denen er sich so eingeengt fühlte, war sie diejenige, von der er wusste, dass er ihr vertrauen konnte und das half ihm Zuversicht zu bewahren.
Keinem fiel auf, wie er ihr ein erleichtertes Lächeln zuwarf, als sie sich ein paar Reihen weiter an einen freien Tisch setzte und sich ihm schließlich zuwandte, kaum dass der Unterricht begonnen hatte.
Sie erwiderte das Lächeln, als hätten sie eine stumme Vereinbarung getroffen, den wohl schwierigsten Teil dieser Situation gemeinsam durchzustehen.

Die Beiden hatten an diesem Morgen leider keine große Gelegenheit miteinander zu reden. Kaum, dass die Pause angebrochen war, stürzte sich eine Horde kichernder und aufgeregter Mädchen auf Elizabeth, um sie mit Fragen über ihre Herkunft und ihre Interessen geradezu zu löchern. Die übliche Kampfstrategie: sofort testen, ob die Neue in das Profil der Clique passte.
Elizabeth gab sich jedenfalls größte Mühe, einigermaßen vernünftige Antworten zu geben, auch wenn sie es bedauerte, durch diese Belagerung keine Möglichkeit zu haben, mit Rodney zu reden.
Hinzu kam, dass sich im Laufe des Vormittags ihre Wege aufgrund ihrer unterschiedlichen Interessen trennten. Elizabeth war für den sprachwissenschaftlichen Zweig eingeteilt worden, während Rodney den Naturwissenschaftskurs belegte und so verloren sie sich für einige Zeit aus den Augen.
Erst zur Mittagspause in der Cafeteria bot sich wieder eine Möglichkeit. Zumindest hatte Elizabeth das gehofft. Mit Sandwich und einem Becher Wasser bewaffnet, setzte sie sich an einen freien Tisch, den sie absichtlich so wählte, dass Rodney sie sofort entdecken würde, wenn er zur Tür herein kam.
Dummerweise wurde sie dadurch auch von jedem Anderen gesehen, der eintrat. So wie die Fraktion kichernder Hühner aus ihrer Klasse, die es noch immer nicht aufgegeben hatten, Elizabeths volle Aufmerksamkeit zu fordern. Und noch ehe sie sich versah, hatten sie ihre Hintern bereits auf alle Stühle gepflanzt, die an ihrem Tisch noch frei gewesen waren.
Innerhalb von Sekunden breitete sich um die völlig perplexe Elizabeth ein aufgeregtes Geschnatter aus, dem sie in ihrer Überraschung kaum folgen konnte. Sie war nicht mal sicher, ob sie überhaupt mit ihr sprachen und schon gar nicht wusste sie, was sie in diese Konversation einbringen sollte. Verwirrt stellte sie fest, dass sie, ohne es zu merken, bereites im Kreis der Grazien aufgenommen worden war und das, obwohl sie das eigentlich nie gewollte hatte.
Hilfesuchend wandte sich ihr Blick der Tür zu, als hoffe sie, dass Rodney sie endlich aus dieser Situation retten würde.
Und tatsächlich, in diesem Augenblick betrat das einzig vertraute Gesicht auf dieser Schule den Saal. Erleichtert atmete sie auf. Vielleicht würden sich die Hühner endlich beruhigen, wenn er sich zu ihnen setzte. Zufrieden stellte sie fest, dass er sie sofort bemerkte, aber anstatt auf sie zuzukommen, blieb er einfach am Eingang stehen und sah mit einem Blick hinüber, der irgendetwas mit Enttäuschung gemein hatte.
Elizabeths Lächeln verblasste augenblicklich. Ohne ein Wort zu sagen wandte Rodney sich um, holte sich etwas zu Essen und setzte sich dann einen Tisch am anderen Ende der Cafeteria.
Nun war Elizabeth vollends verwirrt und das musste ihr wohl auch anzusehen gewesen sein, denn ohne, dass sie damit gerechnet hatte, richtete eines der Mädels das Wort an sie.
"Ach, das ist Rodney", bemerkte sie abfällig, während sie ihre knallroten Fingernägel betrachtete. Elizabeth glaubte sich daran zu erinnern, dass sie Lara hieß, aber so genau konnte sie das nicht sagen, denn vom Aussehen unterschied sie sich nicht groß von Kelly, die sich die halbe Make-up-Industrie ins Gesicht geschmiert hatte.
"Stör dich nicht dran, er ist verrückt. Hält sich für ein Genie oder so was. Geb dich besser nicht mit ihm ab."
Umgehend änderte sich Elizabeths Stimmung von Verwunderung zu Wut. Das war genau die Sorte ignoranter, eingebildeter Schnepfen, die sie schon seit ihrer Schulzeit nicht ausstehen konnte. Wer gab ihnen das Recht, über Menschen zu urteilen, die sie kaum kannten? War strohblondes Haar und ein IQ unter jeder Gürtellinie die Berechtigung zu bestimmen, mit wem sie sich anfreunden durfte? Abgesehen davon, dass sie entschieden zu Rodney hielt, hatte sie nicht vor, sich irgendwelchen Cliquengesetzen unterzuordnen.
Wortlos, aber mit einem Blick, der Bände sprach, packte sie ihr Tablett und stand so ruckartig auf, dass die Schönheitsköniginnen verblüfft aufsahen.
Nein Liz, es ist keine gute Idee, gleich am ersten Tag einen Streit anzufangen, ermahnte sie sich, als ihr spitzfindige Bemerkungen in den Sinn kamen. Also schluckte sie die kränkenden Worte, die ihr auf der Zunge lagen, hinunter und beließ es stattdessen bei einem deutlich hörbaren Schnauben, ehe sie auf dem Absatz kehrt machte und davon rauschte.
Von ihr aus konnten diese wandelnden Bohnenstangen allein ihren Kalorienplan aufstellen und es kümmerte sie ebenso wenig, was in ihren von Hohlraum geprägten Köpfen vorging, als sie sich schlussendlich an Rodneys Tisch niederließ.
Dieser schaute sie zunächst nur mit großen Augen an, als sie gegenüber von ihm Platz nahm und ein grinsendes "Hi!" von sich gab.
Beinahe wäre ihm die Ladung Käsenudeln von der erhobenen Gabel gerutscht, so sprachlos war er im ersten Moment. Erst, als er sich wieder gefasst hatte, ließ er die Gabel langsam sinken, ohne etwas gegessen zu haben.
"Sind Sie wahnsinnig?", raunte er nur völlig verdattert.
"Wieso?", gab Elizabeth ruhig zurück und biss von ihrem Sandwich ab. "Nur weil ich lieber bei Ihnen sitze, als bei diesen Barbie-Puppen?"
"Das sind Cheerleader."
"Na und?"
Sie riss sich beiläufig ein Stück Rinde von ihrem Brot ab und schob sie sich in den Mund, ehe sie mit den Schultern zuckte. "Das war ich früher auch mal."
Nun war es eindeutig nicht mehr zu leugnen, dass ihm der Kinnladen offen stand. Ja, es war wohl etwas, was man ihr schwer zugetraut hätte. Nicht, dass sie nicht das Zeug dazu gehabt hätte, nur es passte irgendwie nicht in das Bild, das man von ihr hatte.
"Das ist die Highsociety", fuhr Rodney fort, als er seine Sprache wieder gefunden hatte. Nicht, ohne einen nervösen Blick zu den tuschelnden Mädchen hinüberzuwerfen. "Wenn Sie es sich mit denen gleich am Anfang verscherzen, bekommen Sie keinen Fuß mehr auf den Boden."
Elizabeth ließ sich erstaunlich lange Zeit, um den Bissen zu kauen und lehnte sich dann mit einem vieldeutigen Schmunzeln etwas zurück.
"Was wird das? Machen Sie sich etwa Sorgen um mich?"
Ganz Unrecht hatte er sicher nicht, schließlich hieß es in einer ungeschriebenen Regel der Schulrangordnung, dass sich eine Cheerleaderin nie an den Tisch eines Freaks setzte und das war Rodney bei Gott nun mal, das konnte selbst Elizabeth nicht leugnen. So war man schnell mal unten durch, aber solche Regeln gingen ihr schon seit jeher buchstäblich am Allerwertesten vorbei und nun würde sie da keine Ausnahme machen.
Stattdessen fügte sie mit Blick auf seine knallroten Ohrläppchen ruhig hinzu: "Mein erster Freund war Mitglied im Schachclub."
Sie merkte, wie er eilig seinen Blick im Nudelteller versteckte, was aber nicht verbergen konnte, wie unangenehm ihm dieser Punkt der Unterhaltung war, an dem sie sich befanden. So entschloss sie sich das Thema zu wechseln, schließlich gab es noch eine andere Frage, die sie brennend interessierte.
"Mir sind die Anderen egal, glauben Sie mir. Verraten Sie mir lieber, was Sie gestern Abend noch herausgefunden haben."
Augenblicklich sah er wieder auf und sie war erleichtert zu sehen, dass er sofort bei der Sache war.
"Leider nicht viel", antwortete er. "Die Bücher haben mich nicht wirklich weitergebracht, aber ich habe noch lange darüber nachgedacht, was ich noch gelesen habe, bevor das hier passiert ist und da fiel mir wieder ein, dass die Energie recht knapp gewesen ist."
"Wie knapp?"
"Etwa bei zwanzig Prozent."
"Und was passiert, wenn sie ganz ausgeht?"
Besorgnis spiegelte sich in Elizabeths Blick. Das war sicher kein gutes Zeichen. Solange sie nicht sicher sein konnten, wie der Kasten auf sie einwirkte, bestand jedenfalls die Möglichkeit, dass ein völliger Energieverlust ihnen ernsthafte Probleme bereiten konnte.
Sie wusste, dass Rodney dasselbe dachte, aber zu ihrer Verwunderung knallte er nicht wie üblich die Fakten auf den Tisch, sondern entgegnete: "Wir brauchen auf jeden Fall noch mehr Informationen. Ich habe heute ein paar Bemerkungen gegenüber meines Physiklehrers fallen lassen und ich hatte den Eindruck, dass er noch ein paar Dinge weiß, die uns weiterhelfen könnten. Ich werde ihn auf jeden Fall noch nach der Schule abfangen."
Elizabeth nickte zustimmend. Sie war froh, dass Rodney in der ganzen Lage einen kühlen Kopf behielt. Schließlich war dies ein Problem, das nur mit seinem Wissen zu lösen war, aber im gleichen Augenblick, als ihr klar wurde, was er vorhatte, kam ihr noch etwas in den Sinn, was sie stutzen ließ.
Es war klar, dass Rodney ihr nachdenkliches Gesicht nicht verborgen blieb und so trank er einen Schluck aus seinem Becher, ehe er verwundert fragte: "Was ist?"
Unsicher sah sie ihn an. Sie wusste, dass er erwartete, sie würde ihn zu seinem Lehrer begleiten oder zumindest so lange warten, bis er fertig war, aber sie hatten nun mal beschlossen, hier mitzuspielen und das bedeutete auch, sich wieder in eine Familie zu integrieren.
"Ich habe meinem Vater versprochen, sofort nach Hause zu kommen, um mit ihm Muffins zu backen", antwortete sie kleinlaut und wäre am liebsten im Boden versunken, als sie beobachtete, wie er nur vieldeutig eine Augenbraue hochzog.
Ja, ihr war klar, wie verrückt das klingen musste, besonders, wenn man bedachte, dass sie vor 24 Stunden noch eine erwachsene Frau gewesen war, die ganz allein ihr Leben bestimmt hatte und nun spielte sie wieder die gehorsame, brave Tochter.
Aber sie hatte es ihm nun mal versprochen und die Gelegenheit einen Menschen, der ihr stets so viel bedeutet hatte, nun wieder um sich zu haben, war ihr wichtig genug, um ihn nicht auf diese Weise zu enttäuschen.
"Er braucht sie für den Einstand in seiner neuen Arbeitsstelle und wenn er sie allein backt, werden sie so furchtbar schmecken, dass man ihn sofort wieder feuert", rechtfertigte sie ihr Handeln umgehend. Sie kannte die Koch- und Backkünste ihres Vaters gut genug, um zu wissen, dass man das Endergebnis Niemandem zumuten konnte und so war sie ihm stets zur Hand gegangen.
Rodney seufzte übertrieben laut. Das war sicher seine Rache für die Bemerkung mit seiner Schwester, die ihr am Tag zuvor herausgerutscht war, doch zum Glück beschloss er, nicht weiter darauf einzugehen und nickte schließlich.
"Morgen ist schulfrei. Ich würde vorschlagen, wir treffen uns nach dem Mittagessen am Fluss und besprechen, was ich herausfinden konnte, in Ordnung?"
Elizabeth stimmte zufrieden zu. Sie würde da sein.

Schauspieler zu sein war nie ein Beruf, der auf seiner Wunschliste ganz oben gestanden wäre. Manchmal fragte er sich, wie sich ein Schauspieler fühlte, wenn er in eine Rolle schlüpfen musste, die ihm eigentlich gar nicht behagte und dann wurde ihm bewusst, dass sein Leben eigentlich oft wie eine Inszenierung war; ein ständiges Vorspielen falscher Tatsachen, nur um zu verhindern, dass ihm Jemand zu nahe kam.
Er hatte sich ein Reich aufgebaut. Ein großes Reich, das bis in eine andere Galaxie reichte und immer wieder spazierten Menschen hindurch, aber leben tat er ganz allein hier.
Als Rodney die Straße hinunter lief, registrierte er zum ersten Mal wieder diese innere Anspannung. Was er erfahren hatte, hatte ihn nicht gerade beruhigt und die Vorstellung, er müsse sein halbes Leben noch mal von vorne beginnen, rieb ihn innerlich dermaßen auf, dass es ihm schwer fiel stillzuhalten.
Hinzu kam, dass es ihn irgendwie nervös machte, wenn er daran dachte, den Rest des Tages allein zu bewältigen; ohne Elizabeth. Auch wenn sie nicht viel ausrichten konnte, half ihm der Gedanke, dass es hier einen Menschen gab, dem er blind vertrauen konnte und es half ihm auch, die komplizierte Situation leichter zu ertragen.
Er nahm sich fest vor, so schnell wie möglich nach Hause zu laufen und sich dort in seinem Zimmer zu verbunkern. Er wollte Niemanden sehen, nur warten, bis der nächste Tag anbrach.
Was er nicht ahnen konnte war, dass ihm dieser Wunsch nicht so ohne Weiteres erfüllt werden konnte. Der Schulbus war leider längst weg, aber er hatte das Glück, sein zu Hause auch zu Fuß erreichen zu können, auch wenn dies mehr Zeit in Anspruch nahm.
Er hatte sein Ziel schon fast erreicht und war tief in Gedanken versunken, als ihm zum ersten Mal das reflektierte Sonnenlicht am Ende der Straße auffiel. Automatisch wurden seine Schritte langsamer. Es war das Blitzen von Fahrrädern, die auf ihn zukamen.
Rodney spürte, wie sich alles in ihm verkrampfte. Er kannte die Jungs, die die Straße hinuntergedüst kamen. Zu oft war er ihnen in seinem Leben begegnet und wenn nicht sie, dann andere von ihrem Schlag.
Es war lange her, dass er diese Angst in sich auf kommen spürte. Angst, die fast schon in Panik umschwenkte. Seltsam, man hätte meinen können die Erfahrung, unter ständiger Bedrohung durch die Wraiths zu leben, hätte ihn mutiger gemacht und trotzdem setzte auf einmal irgendwas in ihm aus.
Eilig entschloss er sich zuerst einmal die Straßenseite zu wechseln. Dort gab es eine Seitenstraße, in die er ausweichen konnte. Noch ermahnte er sich zur Ruhe und zwang sich, nicht zu rennen. Sein Herz klopfte wie wild, als er es wagte über die Schulter zu blicken. Vielleicht fuhren die ja einfach vorbei und sahen ihn nicht. Er erkannte, dass ein paar Schritte weiter die Straße eine Kurve machte. Hinter ihr wäre er in Sicherheit, da man ihn dann von der Hauptstraße nicht mehr sehen würde.
Doch der Blick zurück, war ein Blick zu viel. Erschrocken musste er feststellen, dass die Jungs angehalten hatten und ihn von Weitem beobachteten.
Rodney schluckte schwer. Das war doch verrückt! Er war viel stärker, als diese Halbwüchsigen, zumindest war er das mal gewesen, aber von seiner Stärke und seinem Mut war nun nichts weiter übrig geblieben, als das Bewusstsein eines 14jährigen, der viel zu genau wusste, in welcher Gefahr er schwebte.
Er versuchte, so zu tun, als hätte er sie nicht gesehen und konnte dabei nicht verhindern, sich etwas kleiner zu machen, als wolle er sich einfach in Luft auflösen. Dies funktionierte natürlich nicht und als er sah, wie ihm die Jungs nachfuhren, verlor er die Nerven.
So schnell er konnte rannte er davon, nicht wissend, wohin er eigentlich fliehen wollte.
Er hatte keine Chance. Innerhalb kürzester Zeit hatten sie ihn eingeholt und er blieb wie angewurzelt stehen, als einer von ihnen ihm mit quietschenden Reifen den Weg versperrte.
Rodney kannte ihn nur zu gut. Sein Name war Jimmy, jedenfalls wurde er so von allen genannt und zu seinen Lieblingsbeschäftigungen zählte es, alle zu terrorisieren, die ihm nicht in den Kram passten.
Seine Gefolgsleute umzingelten den nervösen Rodney innerhalb von Sekunden, sodass dieser keine Möglichkeit mehr hatte zu entkommen.
"Hey, Panthy-Rod!", rief Jimmy grinsend und zog sich den Helm von seiner Draufgängerfrisur. Verdammt, wie lange war es her, dass er diesen furchtbaren Spitznamen das letzte Mal gehört hatte? Dass ihm dieser Mistkerl einst die Klamotten nach dem Sportunterricht versteckt hatte und er so ohne Hose nach Hause laufen musste, war nur eine der viele Demütigungen, die er sich von ihm hatte gefallen lassen müssen. Aber ebenso hasste er alles an ihm, inklusiver seiner Machoart, mit der er versuchte, sich an die Mädchen ranzumachen. Wieso nur war genau das die Sorte, die immer zu den Gewinnern zählte? Menschen, die alles erreichen konnten? Menschen, die überall respektiert wurden? Menschen, wie Sheppard.
Rodney erschrak bei diesem Gedanken. Niemals durfte er seinen Freund in dieselbe Reihe wie Jimmy stellen, demjenigen, den er so sehr hasste.
Unsicher sah er sich um. Wieso kam er sich so wie ein Zwerg unter ihnen vor? Hatte er mittlerweile nicht gelernt, seine Angst unter Kontrolle zu halten?
"Wieso hast du es denn so eilig?", lachte Jimmy hämisch, deutlich seine Machtposition genießend. "Hast du noch was vor?" "Was wollt ihr von mir?", brachte Rodney endlich heraus.
Er hätte so gerne mehr Entschlossenheit vor ihnen ausgestrahlt. Jedes Fünkchen Angst, das er offenbarte, stachelte sie nur noch mehr an. Doch seine Bemühungen scheiterten.
"Schaut ihn euch an! Der Kleine macht sich ja fast in die Hosen vor Angst", rief einer der Jungs lachend, dessen auffälligstes Merkmal seine rotblonden Haare waren. Er gehörte ebenso zu dieser Gang, wie Hank, der schon allein durch sein imposantes Auftreten für den nötigen Respekt sorgte, was er zweifellos seiner Vorliebe für Fastfood zu verdanken hatte. Ben war da weit mickriger, aber Rodney wusste aus eigener Erfahrung, dass sein Klassenkamerad die fiesesten Tricks beherrschte, wenn es zu einer Prügelei kam.
Sie alle waren auf der ganzen Schule gefürchtet für ihre skrupellose Art und soweit respektiert, dass es niemand wagte sich mit ihnen anzulegen. Aber es gab Menschen, die das Pech hatten, durch ihre bloße Existenz die Jungs zu provozieren und Rodney war klar, dass er leider einer dieser Kandidaten war.
Wie ein verängstigtes Reh, das von hungrigen Wölfen umzingelt worden war, stand er da, nicht fähig, einen Ton herauszubringen, aber zu seinem Erstaunen ergriff Jimmy die Initiative und funkelte seinen frechen Kumpanen böse an.
"Hey Mann, halt die Klappe!", fauchte er, ehe er sich wieder Rodney zuwandte und ihn fast schon voller Verständnis anschaute.
"Wir wollen uns nur ein bisschen mit dir unterhalten, nichts weiter", erklärte er unschuldig und ein Teil von Rodney wünschte sich, ihm glauben zu können. Argwöhnisch blickte er in die Runde und schaute in ausdruckslose Gesichter. Es war in der Tat seltsam, dass sie sich so friedlich gaben.
"Lasst mich in Ruhe!", platzte es auf einmal aus ihm heraus und er war stolz darauf, wie energisch seine Worte gefallen waren. Doch es hätte ihn gewundert, wenn dies die gewünschte Wirkung erzielt hätte. Gespielt beeindruckt gaben die Jungs ein spöttisches "Uuuuhhhh" von sich, verstummten aber sofort, als Jimmy sie mit einer Geste anwies, damit aufzuhören.
"Hey Rod, ich meins ernst. Was haben wir dir denn getan?"
Er nickte ihm kurz zu, ehe er bereits fortfuhr: "Mir gefallen deine Schuhe."
Verwirrt sah Rodney auf seine Schuhe hinab, nicht wissend, was Jimmy so toll an ihnen finden konnte. Gut, sie sahen recht neu aus, aber besonders toll waren sie sicher nicht. Er hatte einfach angezogen, was sein Kleiderschrank hergegeben hatte.
"Wo hast du die her?", erkundigte sich Jimmy, noch immer ungewöhnlich freundlich. Noch nie hatte Rodney erlebt, dass er einfach Smalltalk hielt. Was führte der Kerl bloß im Schilde?
"Ich…ich weiß nicht mehr", gab Rodney schließlich wahrheitsgemäß zurück. Er hatte beschlossen, das Spiel vorerst mitzuspielen. Etwas anderes blieb ihm auch gar nicht übrig, wenn er nicht wie ein alter Klappstuhl vermöbelt werden wollte.
"Schade", gab Jimmy nachdenklich zurück, immer noch Rodneys Schuhe betrachtend. Erst nach einigen Sekunden hob er den Blick und seufzte bedauernd.
"Dann muss ich sie mir wohl von dir holen."
Auf Rodneys Stirn traten verständnislose Falten hervor.
"Was?"
"Oh, tut mir leid, dass ich mich nicht in deinem Niveau ausgedrückt habe", erwiderte Jimmy gespielt entsetzt über sich selbst und legte demütig eine Hand auf die Brust. "Das Schuhwerk zu deinen Füßen sollte nun umgehend in meinen Besitz übergehen."
Die Anderen brachen in schallendes Gelächter aus, während sich Jimmy nur mühsam ein spöttisches Grinsen verkneifen konnte.
Rodney starrte ihn nur erschrocken an. Er hatte gewusst, dass dieser Mistkerl noch etwas geplant hatte. Inzwischen kannte er doch seine Vorliebe, anderen die Sachen wegzunehmen. Es ging ihm hier doch gar nicht um die Schuhe, sondern allein darum, ihn zu drangsalieren.
Und auf einmal erfasste ihn Wut. Dieses Mal würde er sich nicht kleinkriegen lassen. Er riskierte fast täglich für Atlantis sein Leben. Wenn er gegen die Gefahr von Kreaturen ankam, die einem das Leben aussaugen konnten, dann konnte er auch gegen eine Bande Unterbelichteter bestehen.
"Nein!", blaffte er entschlossen und funkelte dabei Jimmy zornig an. Er sollte ihm ruhig ansehen, wozu er bereit war. Und tatsächlich war sein Gegenüber zunächst ziemlich verwirrt.
"Wie war das?"
"Du bekommst meine Schuhe nicht. Und jetzt lass mich durch!"
Entschlossen drängte er sich an dem Fahrrad vorbei, das ihm den Weg versperrte, ohne noch darauf zu achten, was die Anderen taten. Doch er kam nicht weit, ehe ihn Jimmy wieder an der Schulter packte und ihn festhielt.
"Hey, hey, hey! So nicht, Freundchen!"
Er wollte ihn zurück in den Kreis drängen, aber Rodney ließ sich das nicht gefallen.
"Lass mich los!", schrie er ihn an und schlug im gleichen Moment die Hand weg, die ihn zu kontrollieren versuchte.
Es war ein Fehler. In seiner Hast schlug er dermaßen zu, dass Jimmy auf seinem Rad den Halt verlor und hinfiel.
Rodney erschrak nicht mehr, als die anderen Jungs, die genau wussten, wie wütend ihr Anführer werden konnte, wenn er provoziert wurde. Erschrocken beobachtete er, wie sich Jimmy langsam aufrichtete und kurz die Stelle an seinem Arm betrachtete, die er sich durch den Sturz leicht aufgeschürft hatte.
Rodneys Herz raste. Er musste hier weg, er konnte Jimmys Zorn bereits aufkochen spüren. Er wollte wegrennen, aber er war nicht schnell genug. Jimmy hatte ihn sofort gepackt und zu Boden geworfen, ehe er sich auf ihn stürzte. Seine Freunde feuerten ihn eifrig dabei an, wie er den wehrlosen Rodney zusammenschlug und halfen schließlich sogar tatkräftig mit.
Rodney hatte nicht den Hauch einer Chance. Alles, was ihm blieb, war, abwehrend die Arme zu heben, um zumindest ein paar Schläge abzublocken, aber der Schmerz blieb und ebenso die demütigende Gewissheit unterlegen zu sein, Es hat sich nichts an deinem Leben geändert, sagte er sich frustriert. Gar nichts!
Ein Tritt in den Bauch ließ ihn aufschreien, dann wurde er von groben Händen festgehalten, sodass er nicht verhindern konnte, dass sie ihm die Schuhe wegnahmen.
Jetzt hatten sie, was sie wollten und ließen endlich, jubelnd über ihren Sieg, von ihrem Opfer ab. Stolz befestigte Jimmy seine Trophäe mit den Schnürsenkeln am Lenker seines Fahrrads und grinste auf den zitternden und keuchenden Rodney hinunter.
"Das nächste Mal kannst du ja nach seiner Hose verlangen", lachte Ben, als er sich ebenfalls wieder auf sein Bike schwang. "Stimmts, Panthy-Rod?"
Er antwortete nicht. Er blieb einfach zusammengekauert am Boden liegen, hoffend, dass sie endlich verschwanden. Er hatte nie mehr durch diese Hölle gehen wollen. Verzweifelt kämpfte er gegen einen Schmerz, der weit tiefer lag, als der der Schläge, die er eingesteckt hatte.
"Hey, schau mal, da kommt dein Wachhund, Rod. Oder soll ich sagen, dein Dackel?"
Hanks Bemerkung ließ Rodney aufhorchen. Seltsamerweise keimte in ihm die Hoffnung auf, dass er Elizabeth gemeint haben könnte. Sie würde ihm hier raus helfen, da war er sich ganz sicher, aber als er den Kopf hob, musste er feststellen, dass es hier nicht um Elizabeth ging. Es war Jeanie, die die Straße hinunter gerannt kam und Rodney spürte, wie sich alles in ihm zusammenzog.
"Lasst ihn in Ruhe, ihr Idioten!", piepste sie schon von Weitem. Für die Jungs war dies aber kein Grund zur Beunruhigung. Sie sahen ohnehin nur eine kleine Witzfigur in ihr.
"Ist das nicht süß? Die kleine Schwester muss auf den großen Bruder aufpassen", spöttelte der Blondschopf und traf dabei genau Rodneys wunden Punkt. So gut es Jeanie sicher meinte, ihr kläglicher Auftritt stellte ihn nur noch mehr bloß.
Welcher Junge ließ sich schon gerne von seiner kleinen Schwester beschützen? Es war ein Zeichen von Schwäche.
"Los, lasst uns abhauen, bevor er noch zu heulen anfängt", beschloss Jimmy endlich und erhielt von allen Seiten Zustimmung. Es kümmerte ihn wenig, dass Jeanie mittlerweile zu ihnen aufgeholt hatte und ihn wild beschimpfte. Er tätschelte ihr nur provozierend den Kopf, ehe er seinen Kumpanen das Zeichen zum Aufbruch gab.
Erleichtert sah Rodney ihre Räder in der Ferne verschwinden, bis er es wagte, sich zumindest einmal aufzusetzen. Er spürte noch immer alle Spuren dieser Auseinandersetzung, aber er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Auch diese blauen Flecken würden irgendwann einmal verheilen. Ihre Spuren tief im Inneren jedoch nicht.
"Wieso wehrst du dich nicht endlich mal?"
In Jeanies Blick lagen Vorwürfe, die Rodney nur noch wütender machten. Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Was fiel ihr eigentlich ein, ihm jetzt auch noch die Schuld an dieser Situation zu geben? Schließlich ließ er sich das doch nicht mit Absicht gefallen.
Er wollte ihre Hilfe nicht! Er wurde schon irgendwie allein damit fertig.
"Ach, halt einfach die Klappe", fauchte er eingeschnappt, nachdem er endlich seine Schulsachen zusammengesucht hatte, die nach dem Sturz auf der ganzen Straße verteilt gewesen waren.
Es war nicht allein die Wut auf Jeanie, die in ihm kochte, als er barfuß die Straße hinunter stapfte. Es war die Wut auf sich selbst, weil er genau wusste, dass seine Schwester Recht hatte. Solange er sich nicht wehrte, würde es immer so weiter gehen gehen, aber so sehr er sich auch bemühte, er war immer der Schwächere. So war es schon immer gewesen und daran würde sich wohl nie etwas ändern und so mischte sich nicht die Wut auf das Schicksal hinzu, das stets seine eigenen Wege ging. Es entschied, wer ein Gewinner war und wer ein Verlierer und aus dieser Einteilung kam man nie mehr heraus.
Was er aber nicht wusste, als er gefrustet und mit bloßen Füßen über den rauen Asphalt nach Hause trottete, war, dass er von zwei Augen heimlich beobachtet worden war.

Es war ein beruhigendes Geräusch, das leise Gluckern und Rauschen des Baches, der sich um die kleinen Felsen schlängelte. Leise und doch bestimmend und mit einer ruhigen Gleichmäßigkeit. Die Sonne glitzerte auf der Wasseroberfläche und spiegelte sich in einigen Bäumen des Waldes wieder, die ihr Blätterdach über den Bach spannten.
Es war ein ruhiger, einsamer Ort, den Elizabeth sofort ins Herz schloss. Sie konnte Rodney gut verstehen, als er ihr gestand, dass er in seiner Kindheit oft hierher gekommen war, wenn er allein sein wollte und Zeit zum Nachdenken brauchte.
Es war der ideale Ort, um sich ungestört unterhalten zu können, da sie ungern bei ihren - für andere sicher verrückten - Gesprächen belauscht wurden.
Schon seit einiger Zeit saßen die Beiden im weichen Gras der Wiese und besprachen ihre Situation. Besser gesagt, Rodney redete und Elizabeth hörte zu.
Allerdings fiel es ihr schwer seinen Worten zu folgen. Nicht, dass sie gelangweilt oder völlig überfordert gewesen wäre. Sie driftete nur ohne es zu wollen immer weiter in ihre Gedanken ab.
Während sie Rodney schweigend beobachtete, kamen ihr die Erinnerungen des letzten Tages wieder in den Sinn. Sie war eigentlich nur ein wenig durch die Straßen gestreift, um sich ein Bild von ihrer Umgebung zu machen. Sie war schon wieder auf dem Weg nach Hause gewesen, als sie den Tumult in der Ferne gesehen hatte.
Als erstes waren ihr nur die Fahrräder aufgefallen, aber dann hatte sie auf einmal Rodney unter ihnen entdeckt, wie er sich mit einem der Jungs anlegte, bis plötzlich alle auf ihn losgegangen waren.
Elizabeth war zunächst so geschockt gewesen, dass sie nur wie angewurzelt stehen bleiben konnte. Erst, als ihr klar wurde, dass sie ihm zu Hilfe kommen musste, war die Prügelei bereits vorbei gewesen und sie sah, wie ein kleines Mädchen in die Auseinandersetzung platzte.
Im Nachhinein kam sich Elizabeth recht feige vor. Sie hätte eingreifen müssen, aber sie erkannte, wie frustriert Rodney auf das Herbeeilen des Mädchens gewesen war, das wohl seine Schwester sein musste. Und so hatte sie beschlossen, ihm nicht davon zu erzählen, wovon sie Zeuge geworden war. Vermutlich wäre es ihm peinlich gewesen, denn so sehr ihm Vieles manchmal zusetzte, er versuchte, Stärke zu beweisen. Dabei hatte sie längst begriffen, was hier lief.
Wovor zu zurückschreckte war, ihr zu offenbaren, dass er nicht viele Freunde hatte, im Grunde genommen eigentlich gar keine. Die Anderen lästerten hinter seinem Rücken oder hatten ihren Spaß daran ihn zu hänseln und zu schlagen und trotzdem ließ sich Rodney nichts anmerken, um ja keine Schwäche vor ihr zu zeigen.
"Elizabeth?"
Augenblicklich schreckte sie aus ihren Gedanken und fing seinen fragenden Blick ein. Erschrocken musste sie feststellen, dass der Kanadier sie bei ihrer Unachtsamkeit ertappt hatte.
"Sie haben mir nicht zugehört, oder?", fragte er leicht enttäuscht und bevor Elizabeth überhaupt realisierte, was sie sagte, entgegnete sie sofort: "Doch, doch!"
Aber ein Blick in seinen kritischen Gesichtsausdruck verriet, dass er ihr das nicht abkaufte und so seufzte sie leise und entgegnete dann: "Es fällt mit einfach schwer Ihnen zu folgen. Ich bin nun mal keine Wissenschaftlerin. Ich kann mit Dingen wie…verschiedene Bewusstseinsebenen und…Verschiebung virtueller Realitäten…nichts anfangen."
Das waren sie, die einzigen Stichworte, die bei ihr hängen geblieben waren und nicht mal da war sie sich sicher, ob sie sie in den richtigen Kontext brachte. Den Rest hatte sie zu ihrem Entsetzen schlichtweg überhört.
Sie schaute ihr Gegenüber um Verzeihung heischend an, was ihr zum Glück recht erfolgreich gelang. Normalerweise war Rodney schnell beleidigt, wenn man ihm nicht zuhörte, aber im Grunde war er doch ein gutmütiger Mensch, der nur oftmals an der Oberfläche ziemlich aufbrausend wirkte.
"Na schön, eigentlich ist es ganz einfach erklärt", gab er seufzend nach. "Um die Wirkung des Artefakts zu stoppen müssten wir das Objekt selbst haben. In unserer derzeitigen Situation kommen wir aber weder an das Artefakt, noch an irgendwelche Geheiminformationen ran."
"Dann können wir gar nichts tun?"
"Uns bleiben eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder die anderen finden von Außen eine Lösung…vorausgesetzt sie suchen nach einer, wovon ich ausgehe….oder wir warten, bis die Energie verbraucht ist."
"Was aber auch bedeuten könnte, dass wir sterben."
Rodney hatte keine andere Wahl, außer zustimmend zu nicken. So lagen nun mal die Tatsachen. Ein Energieverlust könnte ebenso eine tödliche Wirkung auf ihre Gehirnfunktionen haben, als auch dazu führen, dass sie aufwachten.
Zum Glück war Elizabeth ein Mensch, der sogar in solchen Lagen noch die Nerven behielt, anstatt hysterisch zu werden und so fragte sie ruhig: "Wie lange noch?"
"Schwer zu sagen. Tage, Wochen, Monate…"
"Jahre?"
Er biss sich kurz auf die Unterlippe, ehe er nickte. "Durchaus möglich. Wir dürfen nicht vergessen, dass sich hier alles auf einer Bewusstseinsebene abspielt. Während für uns Tage vergehen, sind es in Wirklichkeit womöglich nur ein paar Stunden."
Elizabeths Blick wandte sich ab, fixierte stattdessen wieder den kleinen Bach zu ihren Füßen. Sie erinnerte sich an die Replikatoren, denen es gelungen war, ihr eine virtuelle Welt vorzugaukeln, die sie für real hielt und die doch nur in ihrem Kopf existiert hatte. Wie lange war sie dort gefangen gewesen, obwohl in Wirklichkeit nur ein paar Stunden vergangen waren? Womöglich verlief das hier nicht anders.
Einen wesentlichen Unterschied gab es jedoch: damals war sie allein gewesen. Die Replikatoren hatten ihr einfach den wichtigsten Teil ihres Lebens weggenommen, doch nun war noch immer Rodney bei ihr und solange sie zusammenhielten, bestand Hoffnung.
Ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht, ehe sie nachdenklich murmelte: "Da wünscht man sich so oft, man könnte etwas in der Vergangenheit ändern und wenn man dann die Gelegenheit hat…"
Sie schüttelte seufzend den Kopf, ohne den Satz zu Ende zu führen. Sicher interessierte es sie oftmals, wie ihr Leben ausgesehen hätte, wenn sie sich manchmal anders entschieden hätte. Es gab so viele Fehler, die sie gemacht hatte, aber schlussendlich hatte es zu dem Leben geführt, das sie jetzt hatte und das war gut so.
"Vielleicht sollten wir das wirklich so sehen", entgegnete Rodney nach einer erstaunlich langen Pause des Schweigens. Sie sah auf und entdeckte prompt das aufmunternde Lächeln, das sich leicht auf seinem Gesicht abzeichnete, ehe er fortfuhr: "Als Chance, es diesmal besser zu machen."
Sie konnte nicht leugnen, verblüfft zu sein. Normalerweise war Rodney kein Held großer Aufmunterungen, doch es rührte sie, wie viel Zuversicht er sich damit auch sich selbst zusprach. Schließlich wusste sie, dass seine Kindheit nicht einfach gewesen war. Trotzdem schien er beschlossen zu haben, dem tapfer ins Auge zu blicken und das bewunderte sie sehr.
Sie erwiderte das Lächeln, ehe sie sich zurücklehnte, um sich auf ihre Unterarme gestützt rückwärts ins Gras zu legen.
Vieles ging ihr durch den Kopf, jetzt, da ihr klar war, wie lange sie womöglich in dieser Situation ausharren musste. Schweigend beobachtete sie die Blätter über sich, die teilweise von der Sonne beschienen wurden und hoch über sich sah sie ein paar weiße Wolken am Himmel vorbeiziehen. Sie würde versuchen, das Beste draus zu machen.
"Darf ich Sie etwas Persönliches fragen?"
Verdutzt wandte sie den Blick, als sie Rodneys zögerliche Worte vernahm. Es war ungewöhnlich für ihn, so etwas zu fragen und sie sah ihm deutlich seine Nervosität an. Aber sie scheute sich nicht davor, ihm ein lächelndes "Ja, sicher" zu entgegnen. Schließlich befand sie sich mitten in seinem Leben, das er ihr sonst wohl nie freiwillig offenbart hätte, da war es nur fair, wenn sie ihm auch ein paar Dinge anvertraute, die sie betrafen.
"Wo ist eigentlich Ihre Mutter?", fragte er schließlich.
Elizabeth zögerte einen Moment, in dem sie nachdenklich vor sich hinblickte. Es war klar, dass diese Frage irgendwann einmal auftauchen würde.
Rodney hingegen fürchtete sofort, einen wunden Punkt getroffen zu haben, als sie nicht antwortete und murmelte deshalb banger Ahnung: "Ist sie…?"
"Nein, nein, sie ist nicht tot", fiel sie ihm ruhig ins Wort. "Man kann sagen, dass sie mit schlechtem Beispiel voranging. Sie war Auslandskorrespondentin und viel unterwegs. Ich habe sie eigentlich kaum gesehen."
"Tut mir leid", gab Rodney zurück und erstaunte Elizabeth damit nur noch mehr. Sie hätte nicht erwartet, von ihm Mitgefühl zu bekommen, doch sie konnte nun mal nicht verbergen, dass die Tatsache, nie eine wahre Mutter gehabt zu haben, ihr schon zu schaffen machte. Gut, später, als sie selbst in die Fußstapfen ihrer Mutter getreten war, da sahen sich die Beiden öfter und sie hatte ihre Mutter auch oft besucht, nachdem diese in den Ruhestand gegangen war. Aber es war die Kindheit, in der sie sie manchmal gebraucht hätte und genau dort war sie nicht da gewesen.
"Mein Vater und ich haben ein recht unstetes Leben geführt. Er hat viele Jobs verloren, aber er hat nie aufgegeben. Wir haben im Grunde vom Geld meiner Mutter gelebt, aber es war trotzdem nicht immer einfach."
Sie seufzte leise, als ihr die vielen Erinnerungen wieder in den Sinn kamen. Natürlich war sie oft traurig gewesen. Natürlich hatte sie oft wach im Bett gelegen und sich gefragt, wieso andere eine richtige Familie hatten und sie nicht. Aber der Mut und der Enthusiasmus ihres Vaters hatten schon früh auf sie abgefärbt und so hatte sie sofort gelernt, was Selbstständigkeit war und wie man sich durchs Leben biss.
"Trotz allem war mein Vater immer für mich da", fügte sie leise hinzu und lächelte bei diesem Gedanken. Sicher hatten ihn oft Sorgen geplagt, aber gegenüber seiner Tochter war er stets zuversichtlich und geduldig gewesen. Sie hätte keinen liebevolleren Vater haben können.
Lange Zeit fiel kein Wort und Elizabeth fragte sich, was Rodney wohl durch den Kopf gehen musste, als er völlig in Gedanken versunken vor sich hinschaute. Sein Blick war ernst und dennoch konnte sie ihn nicht recht deuten.
"Darf ich Sie auch etwas fragen?", brach sie auf einmal das Schweigen, woraufhin er sich ihr wieder zuwandte. Er reagierte weit zögerlicher, als sie es getan hatte, sicherlich der Tatsache wegen, weil er persönliche Dinge nur ungern preisgab. Dennoch nickte er.
"Wieso haben Sie mir nie gesagt, dass Sie Klavier spielen können?"
Es war nicht wirklich eine Frage, die ihm ungenehm sein musste, aber trotzdem merkte sie, wie er unruhig ihrem Blick auswich, bis er leise antwortete: "Naja…weil ich es nicht kann."
Verwirrt runzelte Elizabeth die Stirn. Sie war sich sicher, dass seine Mutter ihn nach dem Klavierunterricht gefragt hatte, aber schon dort war ihr seine Reaktion irgendwie seltsam vorgekommen.
"Ich wollte immer Pianist werden", erklärte er bereitwillig, aber vermied es noch immer sie anzusehen. "Ich habe mich wahnsinnig gefreut, als sich meine Eltern dazu bereit erklärt haben, mich zu einem Klavierlehrer zu schicken. Einige Zeit ging es gut, bis mir der Lehrer an den Kopf warf, dass ich nicht das geringste Talent hätte. Zusammen mit ein paar anderen kränkenden Bemerkungen."
Er holte tief Luft und schloss einen Moment die Augen, als verdränge er die Erlebnisse sofort wieder.
"Das Problem ist nur, dass meine Eltern lange Zeit nichts davon wussten. Ich habe einfach so getan, als wäre alles in bester Ordnung."
Sicher nicht die klügste Lösung, aber Elizabeth konnte es gut nachvollziehen. Sein Vater war durchaus ein Mensch mit Prinzipien und bei so jemand war es schwer Niederlagen einzugestehen. Sie konnte sich vorstellen, wie Rodney sich immer wieder vorgenommen hatte, etwas zu sagen und dann im letzten Moment den Mut verlor. Ebenso schwer musste es für ihn gewesen sein, dass mit einem Mal sein Traum geplatzt war. Für ein Kind in seinem Alter sicher ein harter Schlag.
"Sie müssen es von der guten Seite sehen", wies sie ihn schließlich hin und sah, wie Rodney sich ihr wieder zuwandte, neugierig, was sie damit andeuten wollte. "Wären Sie Pianist geworden, wären Sie nie nach Atlantis gekommen."
Im ersten Augenblick schaute er sie nur recht verdutzt an, aber mit dem Moment, an dem ihm das Ausmaß ihrer Worte bewusst wurde, erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht.
Dies war nichts weiter als einer der vielen Vorfälle, in die sie in der Pegasus-Galaxie verwickelt wurden. Ihre Zukunft war ungewiss, aber worin sie sich sicher sein konnten war, dass sie sich aufeinander verlassen konnten.

Das Wochenende verging viel zu schnell und die Schule stand wieder auf der Tagesordnung. Sie hatten beschlossen, das Beste aus ihrer Situation zu machen und Elizabeth hatte sich fest vorgenommen, den turbulenten Start wieder auszubessern.
Sollte ruhig jeder wissen, dass sie mit Rodney befreundet war, egal, ob viele ihn womöglich für einen komischen Kauz hielten. Sie legte keinen Wert darauf in das Idealbild der Cheerleader zu passen und vielleicht ließen sie sie ja dann endlich mal in Ruhe. Das sahen die aber anscheinend anders. Kaum, dass sie an diesem Morgen einen Fuß in den Schulbus setzte, fuchtelten die Mädels bereits mit ihren Armen von der letzten Sitzbank zu ihr herüber.
"Elizabeth! Hier! Wir haben dir extra einen Platz frei gehalten."
Sie waren gerade zu versessen darauf, dass sie sich zu ihnen setzte, ohne zu merken, wie unschlüssig sie verharrte. Ihr Blick wanderte zu Rodney, der nicht weit von ihr am Fenster saß und sie stumm beobachtete. Elizabeth bemühte sich vergebens seinen Gesichtsausdruck zu deuten, was vermutlich daran lag, dass er sich schnell wieder abwandte und teilnahmslos aus dem Fenster schaute.
Natürlich hätte sie sich viel lieber auf den freien Platz neben ihm gesetzt, aber wie würden die Mädels dann reagieren?
"Komm schon, Elizabeth! Du willst dich doch nicht etwa zu diesem Loser setzen, oder?", rief Kelly plötzlich durch den ganzen Bus und ließ nicht nur Elizabeth zusammenzucken.
Betrübt sah sie, wie Rodney ein kleines bisschen mehr in sich zusammen zu sacken schien, aber er tat noch immer so, als höre er das alles gar nicht.
Sie bezweifelte, dass es ihm gleichgültig war, wie sie sich entschied. Nein, Elizabeth vermutete eher, dass er die Tatsache einfach hinnahm, keine Chance in diesem Duell zu haben. Er ertrug es einfach, kampflos und ergeben.
Zum Glück gab es jemanden, der ihr die Entscheidung abnahm. Noch während sie verunsichert im Mittelgang verharrte, drängte sich plötzlich jemand recht rücksichtslos an ihr vorbei, sodass sie beinahe dem kleinen Jungen auf den Schoß gefallen wäre, der in der ersten Reihe saß.
Verdutzt schaute sie der Gestalt in modisch aufgegelten Haaren und glänzend schwarzer Lederjacke nach, die zielstrebig nach hinten marschierte und sich dann kommentarlos auf den einzig freien Platz zwischen den Mädchen niederließ.
"Hey, Jimmy, was soll das?", protestierte die kleine Schwarzhaarige, von der Elizabeth wusste, dass sie Victoria hieß.
Dies schien den Jungen allerdings kaum zu stören. Elizabeth brauchte einen Moment, bis ihr klar wurde, wo sie dieses Gesicht schon einmal gesehen hatte. Es war der gleiche Junge, der Tage zuvor noch Rodney verprügelt hatte, aber so sehr sie ihn dafür hasste, in diesem Augenblick war sie ihm mehr als dankbar für die Rettung. Trotz der Proteste seitens der Mädchen machte er nämlich keine Anstalten seinen Hintern von dem Sitz zu erheben und machte sich viel lieber einen Spaß daraus die Mädels zu necken.
So waren sie viel zu beschäftigt, um zu bemerken, wie sich Elizabeth zufrieden neben Rodney setzte.
"Tja, wie dumm, schon besetzt", murmelte sie mit einem sarkastischen Grinsen, während sich der Bus langsam in Bewegung setzte. Für einen kurzen Augenblick erwiderte Rodney dieses Grinsen, sichtlich erleichtert, dass sie nun neben ihm saß. Aber schon gleich darauf wanderte sein Blick wieder aus dem Fenster, vermutlich um zu verbergen, wie viel Sorgen in seinen Augen lagen.
Es würde nicht das letzte Mal sein, dass sich so etwas zutrug und was Rodney bereits ahnte und Elizabeth noch nicht zu begreifen schien war, dass ihre Freundschaft unter diesen Bedingungen schon bald vor eine harte Probe gestellten werden würde.

Im Verlauf der Tage lernte Elizabeth, dass vieles anders war, als es zunächst schien. Von den Mädchen, die noch immer nicht aufgaben sie für sich zu gewinnen, waren nicht alle nur eingebildete Schnepfen. Mit Ausnahme von Lara und Kelly stellten sie sich sogar als recht nett und tolerant heraus. Sie schienen zumindest akzeptiert zu haben, dass sie mit Rodney befreundet war und hüteten sich deshalb davor, auch nur ein schlechtes Wort über ihn zu verlieren. Dies rechnete sie ihnen hoch an und so beschloss sie, im Gegenzug nicht mehr ganz auf Abwehrhaltung zu gehen.
Sie freundete sich sogar mit ihnen an und verbrachte mehr und mehr Zeit mit ihnen, ungeachtete dessen, dass Rodney dies nicht zu passen schien.
Immer wieder beobachtete sie, wie er ihr aus dem Weg ging, was dazu führte, dass sie kaum noch miteinander sprachen und immer dann, wenn sie sich vornahm, die Sache zu klären, tauchte April Bingham auf. Sie gehörte zu den wenigen Leuten, die sich ab und an mit Rodney abgaben, was vermutlich daran lag, dass die beiden sich schon seit der Grundschule kannten. April war in Elizabeths Augen irgendwie eine merkwürdige Person, aber sie spürte dennoch immer so ein rätselhaftes Gefühl in der Magengegend, wenn sie die Beiden zusammen sah, was schlussendlich dazu führte, dass sie sich ihnen nicht näherte.
Als Rodney in dieser Nacht in seinem Bett saß und nachdenklich aus dem Fenster blickte, registrierte er zum ersten Mal seit langem wieder dieses Gefühl von Trübseeligkeit. Er dachte wieder daran, was sich in den letzten Tagen zugetragen hatte; dass er eigentlich kaum mehr Zeit mit Elizabeth verbrachte. Im Unterricht saßen sie zu weit voneinander entfernt und in den Pausen stand sie meist bei den verrückten Hühnern, um die er lieber einen großen Bogen machte. Diese hinterhältigen Biester hatten Elizabeth inzwischen so weit gebracht, dass sie sich ebenfalls als Cheerleader beworben hatte.
Rodney spürte eine Mischung aus Wut und Traurigkeit in sich aufkommen, wenn er daran dachte. Auch, als ihm die Gerüchte wieder in den Sinn kamen, dass Jimmy ein Auge auf Elizabeth geworfen hatte.
Er wusste, dass er eigentlich um sie hätte kämpfen müssen. Freundschaft fiel einem schließlich nicht einfach so in den Schoß, aber irgendetwas in ihm war einfach nicht stark genug. Er hatte Angst Fehler zu machen; sie vielleicht ganz zu verlieren, wenn er versuchte, die Anderen zu verdrängen. Was, wenn sie auch etwas für Jimmy übrig hatte? Sie kannte schließlich nicht das Gefühl, ein Außenseiter zu sein und jeden Tag in der Schule praktisch ums Überleben zu kämpfen.
Sie gehörte zu den Gewinnern, er zu den Verlierern. Und es tat weh, zu spüren, wie diese Freundschaft, die ihm so viel bedeutet hatte, nun langsam in die Brüche ging.
Er zuckte leicht zusammen, als für einen kurzen Moment ein Blitz die Nacht erhellte und das drohende Donnergrollen ließ nicht lange auf sich warten.
Rodney blieb nur regungslos im Bett sitzen. Als Kind hatten ihm Gewitter immer Angst gemacht, aber seit er als Astrophysiker die genaue Bedeutung dieses Naturphänomens kannte, fand er es sogar faszinierend den Blitzen zuzusehen, wie sie am Himmel aufzuckten.
Unbarmherzig prasselte der Regen gegen die Fensterscheibe. Nichts weiter als ein übliches Sommergewitter. Er würde ohnehin nicht einschlafen können, bei den vielen Gedanken, die ihm durch den Kopf schossen.
Doch plötzlich wandte er sich verdutzt um, als er das leise Geräusch einer Tür hörte, die sich öffnete. Im ersten Moment erschrak er, als er eine Person entdeckte, die im Türrahmen stand, bis er trotz der Dunkelheit die kleine Gestalt als seine Schwester identifizierte.
"Ich kann nicht schlafen", jammerte sie schüchtern und rieb sich dabei unbeholfen mit einer Hand über ihre schlaftrunkenen Augen.
Er konnte es ihr nicht verdenken, schließlich tobte es da draußen ganz schön heftig, was einem kleinen Mädchen mit Sicherheit Angst machte.
Es war die typische Ausgangssituation, wenn Kinder ängstlich zu ihren Eltern ins Bett krochen, um bei ihnen Schutz zu suchen, doch diese Option stand ihnen nicht offen. Das Schlafzimmer der Eltern war leer. Wo sie waren wussten die beiden Kinder nicht, doch es kam nicht selten vor, dass die Eltern einfach lange in der Nacht wegblieben und sich rücksichtslos darauf verließen, dass Rodney ein Auge auf seine kleine Schwester hatte.
Er seufzte leise, ehe er die Decke aufschlug und Jeanie zu sich winkte.
"Na komm schon", forderte er sie leise auf, was sich das Mädchen nicht zweimal sagen ließ. Flux huschte sie ins Bett und schmiegte sich eng an ihren Bruder, der sorgsam einen Arm um sie legte, um ihr das Gefühl zu geben, keine Angst mehr vor dem Gewitter haben zu müssen.
Er konnte sich nicht daran erinnern, damals je so etwas getan zu haben. Er konnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob Jeanie es überhaupt je versucht hatte. Vielleicht, weil er meist nur mit sich selbst beschäftigt gewesen war. Ein Fehler, den er heute sehr bereute.
Während es draußen weiter blitzte und donnerte, merkte er, wie Jeanie langsam neben ihm einschlief. Rodney hingegen schaute nur weiterhin gedankenverloren in den Nachthimmel.
Er hatte sich schon einmal durch dieses Kapitel seines Lebens gekämpft. Er würde es auch diesmal schaffen.

Elizabeths Kugelschreiber hüpfte aufgeregt auf und ab, während sie den Sekundenzeiger der Uhr betrachtete. Sie war längst fertig mit der Aufgabe, wo andere sich noch den Kopf zerbrachen und wurde dann endlich von der Schulglocke erlöst.
In Windeseile hatte sie ihre Sachen zusammengepackt und flitzte auf den Gang hinaus, durch den bereits die aufgeregten Schüler strömten. Sie alle hatten das gleiche Ziel: ab nach Hause!
Aber diesmal würde Elizabeth schneller sein. Diesmal würde sie ihn nicht davonkommen lassen.
Aufgeregt platzte sie zur Eingangstür hinaus und hechtete die Stufen hinab, ehe sie zum ersten Mal inne hielt, um sich umzusehen.
Auf dem Hof wimmelte es von Leuten. Sie strömten in alle Richtungen, zu den Bussen, zu den Autos, zu den Fahrrädern. Und dann sah sie ihn endlich.
Rodney lief bereits die Straße hinunter, begleitet von seiner Schwester, die mindestens zwei Köpfe kleiner war als er. Eigentlich hatte Elizabeth gehofft, ihn allein zu erwischen, aber es war ihr lieber Jeanie als Zeugin zu haben, als April.
Eilig rannte sie den Beiden hinterher und musste erst mal tief durchatmen, als sie sie endlich eingeholt hatte.
"Hey Rodney, jetzt warte doch mal!", keuchte sie, als er keine Anstalten machte, seine Schritte zu verlangsamen. Sie waren mittlerweile zum Du übergegangen, aus dem simplen Grund, dass es sich mehr als seltsam anhören musste, wenn sich zwei Jugendliche in ihrem Alter mit Sie ansprachen.
"Wo willst du denn so schnell hin?"
"Nach Hause, wohin sonst?", knurrte er zurück, noch immer stur vor sich hin schauend. Es war genau wie Elizabeth befürchtet hatte, Rodney spielte den Eingeschnappten und dann war er erst recht unerträglich.
"Was ist eigentlich los mit dir?", platzte es auf einmal aus ihr heraus.
Seit Tagen redete er kein einziges Wort mehr mit ihr, fuhr nicht mehr mit dem Bus nach Hause und ging ihr trotzig aus dem Weg. Elizabeth war sich keiner Schuld bewusst, aber sie hatte beschlossen, die Sache hier und jetzt zu klären.
"Wieso fragst du nicht deine neuen Freunde?", giftete der Kanadier mürrisch zurück, was dazu führte, dass sich Elizabeths Mine verfinsterte.
Also von daher wehte der Wind! Auf einmal fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Aber gleichzeitig regte sich Wut in ihr. Nur, weil er nicht mit ihnen klar kam, bedeutete dies anscheinend sofort ein Verbot für sie, sich mit ihnen abzugeben? Das war nicht minder egoistisch, als die anfänglichen Versuche der Mädels, sie von Rodney fern zu halten.
"Das ist ja wohl das Kindischste, was ich je gehört habe!", empörte sie sich und musste im nächsten Augenblick überrascht inne halten, als Rodney ohne Vorwarnung stehen blieb und zum ersten Mal zu ihr herumfuhr.
"Falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, ich bin ein Kind!", schrie er aufgebracht.
Peng! Elizabeth war wie vor den Kopf gestoßen. Weniger des harschen Tonfalls wegen, sondern viel mehr, da ihr klar wurde, was hier passierte. Sie verhielten sich längst nicht mehr wie zwei vernünftige Menschen, sondern wie durchgeknallte Teenager und Rodneys Bemerkung bestätigte nur ihren Verdacht, dass ihm die Lage langsam über den Kopf wuchs. Trotzdem gelang es ihr nicht, einfach über diese Angelegenheit hinwegzusehen, vor allem nicht, als Rodney vorwurfsvoll hinzufügte: "Aber wenigstens lasse ich nicht meine Freunde hängen."
Es traf sie tiefer, als Rodney es vermutlich beabsichtigt hatte. Doch Worte, im Zorn gesagt, waren nicht mehr rückgängig zu machen. Noch nie hatte ihr jemand dermaßen offen ins Gesicht gesagt, dass sie ihn im Stich gelassen hatte. Es kränkte sie und machte sie gleichzeitig nur noch wütender, sodass sie ohne Umschweife zurückfauchte: "Wie kann man eigentlich nur so verbittert sein?"
In ihrer Aufregung schien aber keiner zu bemerken, dass sie doch eigentlich gar nicht alleine waren. Sie registrierten nicht, wie Jeanie nur nervös zwischen den beiden Streitenden hin und her schaute, bis sie endlich den Mut zusammennahm und protestierend piepste: "Hört doch endlich auf zu streiten!"
Das hatte gerade noch gefehlt! Musste sich diese kleine Göre auch noch einmischen?
"Halt den Mund, dich hat keiner gefragt!", blaffte Elizabeth sie erbost an und musste schon im nächsten Augenblick einen Schritt zurückweichen, als Rodney sich zwischen die beiden Mädchen stellte und Elizabeth zornig anblitzte.
"Lass Jeanie aus dem Spiel, verstanden?", zischte er drohend und entlockte Elizabeth damit ein Schnauben. So weit war es also schon gekommen, dass er sich lieber auf die Seite seiner Schwester stellte.
In Elizabeth brodelte der Zorn. Noch nie hatte sie dermaßen den Drang verspürt, etwas Verletzendes zu erwidern.
Doch es passierte. Noch viel schneller, als sie es hätte kontrollieren können.
"Kein Wunder, dass keiner etwas mit dir zu tun haben will", fauchte sie, ungeachtet des Schrecks, der für einen kurzen Augenblick über das Gesicht ihres Gegenübers huschte.
Doch sie wirbelte nur herum und stapfte wütend davon.

Eisige Stimmung trat ein. Wo sie in den letzten Tagen kaum miteinander gesprochen hatten, fiel jetzt kein einziges Wort mehr zwischen ihnen. Es war nun mal eine Tatsache, dass beide einen Dickschädel besaßen und diesen auch unbarmherzig einsetzten, wenn sie eingeschnappt waren.
Elizabeth hätte schwören können, April jetzt noch öfter in Rodneys Nähe zu sehen, was sie dazu veranlasste, erst recht ihre Zeit mit den Mädels zu verbringen.
Es war ein kalter, lautloser Krieg, den Beide für sich zu entscheiden versuchten.
Doch nachts, wenn Elizabeth allein im Bett lag und in den Sternenhimmel blickte, da spürte sie, wie die Traurigkeit in ihr aufkam. Von Tag zu Tag wurde ihr mehr bewusst, was sie getan hatte. Sie hatte ihm wehgetan, das sah sie ganz deutlich in den wenigen Momenten, in denen sie die Chance hatte, ihm in die Augen zu sehen.
Und sie registrierte ein Gefühl in sich, das sie nie hatte spüren wollen: das Gefühl, feige zu sein. Doch genau das war sie.
Das war sie, wenn sie schwieg, während andere in ihrer Gegenwart über Rodney lachten. Das war sie, wenn sie wegsah, wenn er gehänselt wurde.
Sie sah, wie sie ihn zu Boden schubsten, jagten, ihm Sachen wegnahmen. Sie hörte, wie sie ihn verspotteten und beschimpften. Und sie tat nichts.
Sie ließ es geschehen und war damit nicht viel besser, als all die anderen Idioten der Schule. Gewissensbisse nagten sich tief in sie. Das war der Mann, dessen Freundschaft ihr einst alles bedeutet hatte. Der Mann, der für sie sein Leben riskiert hatte und alles, was sie tat, war die Augen zu verschließen, wenn er ihre Hilfe brauchte.
Schlimmer noch, sie war diejenige gewesen, die ihn verraten hatte und damit hatte sie ihn härter getroffen, als es sonst jemand je schaffen würde.
Es war früher Abend, als Elizabeth die Situation nicht mehr ertragen konnte. Sie bereute so sehr, was geschehen war, genauso wie die verletzende Bemerkung, die sie ihm als letztes an den Kopf geworfen hatte. Es hatte Momente gegeben, da waren ihr Tränen gekommen. Sie schämte sich vor sich selbst und sie litt unter der Angst, Rodney durch diesen Streit womöglich für immer zu verlieren.
Deshalb beschloss sie, mit der Angelegenheit aufzuräumen und das sofort! In der Schule gab es nicht genug Möglichkeiten, um ungestört miteinander reden zu können, also musste sie ihn dort aufsuchen, wo ihnen Niemand dazwischen kam, nämlich bei ihm zu Hause.
Sie kannte sich mittlerweile recht gut aus im Ort. Dennoch brauchte sie erstaunlich lange, bis sie das Haus erreichte. Nicht, weil der Weg so weit gewesen wäre, sondern da sie sich selbst Zeit verschaffen wollte, um sich die richtigen Worte parat zu legen. Hier war es schließlich nicht mit einem einfachen Entschuldigung getan.
Vor dem Haus blieb sie schließlich stehen. Was war, wenn er ihr nicht zuhörte? Wenn seine Enttäuschung und die Wut zu groß waren, um ihr verzeihen zu können?
All das würde sie nie erfahren, wenn sie sich nicht Gewissheit verschaffte, hier und jetzt!
Sie holte tief Luft, ehe sie allen Mut zusammennahm und die Schritte bis zur Haustür zurücklegte. Wenn sie Glück hatte, war er vielleicht sogar allein zu Hause.
Doch genau in jenem Moment, als sie die Hand hob, um zu klingeln, wurde sie von einer lauten Stimme gebremst.
"Das ist nicht wahr!", hörte sie Rodney rufen, definitiv aus dem Inneren des Hauses. Er klang aufgebracht und fast schon ein wenig verzweifelt.
"Nicht in diesem Ton!", entgegnete jemand ebenso schreiend und Elizabeth brauchte nur einen kurzen Moment, bis ihr bewusst wurde, dass es die Stimme seines Vaters war. Sie glaubte, die Beiden ganz in ihrer Nähe ausmachen zu können und obwohl sie sehr genau wusste, wie unverschämt es war, andere zu belauschen, überwog ihre Neugier und sie schlich vorsichtig um die Ecke, bis sie zu einem Fenster kam, von dem man einen Blick in das Wohnzimmer hatte.
Dort sah sie die Beiden. Den Jungen, der nervös zu seinem Vater aufsah, der sich wutentbrannt vor seinem Sohn aufgebaut hatte.
Elizabeth konnte sonst Niemanden entdecken, aber sie spürte die Anspannung, die in der Luft lag.
"Wieso kannst du nicht einmal etwas richtig machen?", brüllte der Vater und fuchtelte dabei wild mit seinen Armen herum.
Elizabeth erschrak, als sie sah, dass seine Hände zu Fäusten geballt waren und fragte sich, was sich zugetragen haben musste, dass der Mann so wütend war.
"Ich bin maßlos von dir enttäuscht! Nichts bringst du zustande! Gar nichts!"
Elizabeth spürte einen Stich in ihrer Magengegend, denn auch ohne Rodney in die Augen sehen zu können, genügte der Anblick, wie er bedrückt zu Boden sah und ein kleinwenig mehr in sich zusammen zu sinken schien.
Nichts konnte einem tiefer treffen, als keine Anerkennung von den Eltern zu bekommen. Worte, so hart wie Schläge, schlugen oft tiefere Wunden, als es jede Hand tun konnte.
Zum ersten Mal sah Elizabeth klar, weshalb Rodney zu dem Menschen geworden war, der er jetzt war.
"Ich sagte doch, es tut mir leid!", schrie dieser plötzlich zurück, deutlich hörbar mit den Tränen kämpfend. Es war ein Fehler.
Schon im nächsten Augenblick donnerte ihm sein Vater eine zornige Ohrfeige ins Gesicht, sodass Elizabeth erschrocken zusammenzuckte.
Stille entstand. Für ein paar Sekunden schien die Zeit wie eingefroren, ehe ein zweiter Schlag folgte.
Sie spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete, sie war unfähig sich zu regen. Sie hatte gewusst, dass Rodney damals Probleme in seinem Elternhaus gehabt hatte, aber dass er geschlagen worden war, erschreckte sie.
"Geh mir aus den Augen!" brüllte der Vater, während man Rodney deutlich ansah, dass er krampfhaft versuchte Stärke zu beweisen. Es war wohl weniger der Schmerz an sich, der ihn so hart getroffen hatte, sondern vielmehr der Schock, dass sich all der Schrecken seiner Kindheit nun wiederholte.
Trotz der Entfernung konnte sie erkennen, dass er zitterte und auch, wenn er anderen in solch einer Situation wohl trotzig entgegengetreten wäre, ordnete er sich seinem Vater bedingungslos unter Ohne ein weiteres Wort machte er kehrt und rannte aus dem Zimmer.
Elizabeth wandte sich ab und lehnte sich einen Moment mit dem Rücken gegen die Hauswand. Mehr denn je bereute sie, was sie getan hatte. Sie war genau wie all die Anderen gewesen, die nicht sehen wollten, welchen Kampf Rodney jeden Tag führen musste.
Auf Atlantis hatte sie längst erkannt, dass er gezeichnet war von Spuren aus seiner Vergangenheit. Doch wo die Ursachen waren und wie tief diese Wunden lagen war ihr nicht klar gewesen und anstatt Rücksicht darauf zu nehmen, hatte sie alles nur noch schlimmer gemacht.
Aber diesen Fehler würde sie wieder korrigieren, dazu war sie fest entschlossen.

Elizabeth bezweifelte, dass irgendjemand registrierte, wie unwohl sie sich in ihrer Lage fühlte. Lange hatte sie überlegt, wie sie vorgehen sollte; was sie sagen sollte. Erwischte sie den falschen Moment, war vielleicht alles umsonst.
Also hatte sie beschlossen, sich wie jeden Morgen auf ihren Busplatz in der letzten Reihe zu setzen, zwischen die aufgeregten Mädchen, die innerhalb einer Minute mehr Worte von sich geben konnten, als eine P90 unter Dauerfeuer Kugeln schießen konnte und Jimmys Bande, die sich längst mit den Mädels zusammengetan hatte.
Nichtsdestotrotz waren dies die Menschen, die Rodney täglich das Leben schwer machten und sie saß mittendrin. Sie konnten es auch an diesem Morgen nicht lassen, als Ben den letzten Bissen seines Schokoriegels verschlang, ehe er das Papier zusammenknüllte und quer durch den Bus warf. Prompt verfehlte er dabei Rodney, der im vorderen Teil des Busses saß, nur um Haaresbreite, was der Blondschopf Mike sehr amüsant fand.
"Du hast den Mülleimer nur knapp verpasst", lachte er, worauf alle in das schadenfrohe Gelächter einstimmten.
Elizabeth spürte den Stich in ihrer Brust und ihr hilfloser Blick wanderte nach vorne, doch Rodney reagierte nicht. Er tat so, als wäre nichts geschehen, obwohl er mit Sicherheit alles mitbekommen hatte. Die irrsinnige Strategie sich nicht zu wehren und zu hoffen, dass die Anderen irgendwann das Interesse verloren.
"Hört auf!", murmelte sie plötzlich, allerdings nicht laut genug, um die lachenden Jungs auf sich aufmerksam zu machen. Allein Kelly, die neben ihr saß, hörte sie, doch auch sie hatte ein ebenso schadenfrohes Grinsen auf den Lippen. Die Mädchen genossen die Show. Für sie war Rodney nichts weiter als ein Mittel, um sich die Busfahrt unterhaltsamer zu gestalten.
"Komm schon, lass ihnen doch den Spaß", kicherte Lara, die mit ihren Blicken Jimmy förmlich zu verschlingen versuchte.
Sie merkte auch nicht, wie Elizabeth sie entsetzt anstarrte. Hatte sie da gerade wirklich Spaß gesagt? War es Spaß einen Menschen derart fertig zu machen? War es gerecht, Spaß mit Leid und Angst zu bezahlen?
Noch ehe sie eine Gelegenheit hatte etwas zu kontern, beobachtete sie, wie Jimmy etwas aus seiner Hosentasche zog, das wie ein kleines Stück Metall aussah. Mehr konnte sie nicht erkennen, bevor er es mit voller Wucht durch den Bus warf, sodass er Rodney damit hart am Hinterkopf traf.
"Volltreffer!", rief Mike pustend vor lachen, im Chor mit seinen Kumpanen.
Elizabeth erschrak, aber Rodney zuckte nur kurz unter der Attacke zusammen, wagte es aber trotz des Schmerzes nicht, sich etwas anmerken zu lassen.
Das war der Moment, im dem ihr der Geduldsfaden riss.
"Hört auf!", protestierte sie diesmal lauter und erreichte damit endlich, dass sich Jimmy zu ihr umwandte.
"Ach komm schon, Liz", grinste er spitzbübisch. "Sei doch keine Spielverderberin!"
Das war zu viel für sie. Das war längst kein Spiel mehr und so war das nächste Geräusch, das erklang, die schallende Ohrfeige, die Jimmys Gesicht traf.
Es war ein Schock für alle Beteiligten. Jimmy fiel aus allen Wolken, während die Anderen sie nur entsetzt anstarrten. Noch nie hatte ihm ein Mädchen derart Parole geboten, vor allem dann nicht, wenn er sich darum bemüht hatte, sie anzubaggern.
Noch immer völlig perplex glotzte er sie an, während Elizabeth ihn nur zornig anfunkelte, ehe sie fauchend entgegnete: "Lass ihn endlich in Ruhe!"
Damit sprang sie von ihrem Platz auf, stapfte quer durch den Bus und ließ sich schließlich ohne ein Wort zu sagen neben Rodney nieder.
Sie spürte all die Blicke, die sie trafen. All die Fassungslosigkeit der Anwesenden. Auch Rodney mit eingeschlossen.
Sie sah allerdings keinen von ihnen an, starrte nur grimmig auf einen Fleck am Boden. Sie wusste, dass sie hiermit eine Entscheidung getroffen hatte, aber sie war sich sicher, dass es das Richtige gewesen war. Man musste wissen, auf welcher Seite man stand. Und das wusste sie jetzt auch.

Trotz allem fiel kein Wort zwischen ihnen. Weder auf dem Weg zur Schule, noch in irgendeiner Pause. Sie schwiegen sich an, nicht aus Wut oder Trotz, sondern aus Unsicherheit. Keiner von Beiden wusste, wie er die Lage am Besten klären sollte und so ging jeder seinen Weg allein.
Erst gegen Mittag entschied sich Elizabeth, endlich die Gunst der Stunde zu nutzen. Sie hatte Rodney Richtung Bibliothek laufen sehen und kam zu dem Schluss, dass dies ein guter Ort war, um in Ruhe miteinander zu reden.
Leise trat sie ein und sah sich zunächst nur etwas orientierungslos um, ehe sie den Kanadier an einem der Tische sitzen sah, wo er in ein Buch vertieft war und dabei eifrig Notizen in ein Heft kritzelte. Sein Fleiß war unübertroffen. Jeden Tag tat er sich im Unterricht hervor, auch wenn er dafür oft mit eifersüchtigen Blicken gestraft wurde, aber das änderte nichts daran, dass er der beste Schüler der Klasse blieb.
Hier war der einzige Ort, an dem er sich sicher fühlte. Hier, zwischen all den Büchern, fand ihn Niemand, der ihn verprügeln hätte können und hier war es zu still, um Beschimpfungen zu rufen.
Elizabeth atmete noch einmal tief durch, ehe sie auf den Tisch zuging und sich ohne ein Wort auf den freien Stuhl ihm gegenüber setzte. Sie bemerkte, dass er unauffällig aufsah, allerdings nicht soweit, um ihr wirklich ins Gesicht sehen zu können, geschweige denn, dass er etwas sagte.
Es war kein beleidigtes Schweigen, so wie in den Tagen zuvor. Ihr war klar, dass sein konzentriertes Arbeiten nur vorgetäuscht war. Sie erkannte es an den vielen Fehlern, die er immer wieder korrigieren musste.
Nein, er suchte nur krampfhaft nach Worten, dass sah sie ihm an, aber mittlerweile war Elizabeth so weit, dass sie dazu bereit war, ihn aus dieser Lage zu erlösen, indem sie selbst den ersten Schritt wagte.
"Ich bin hier, um mich zu entschuldigen", sagte sie leise. "Was ich dir vor einigen Tagen an den Kopf geworfen habe, war nicht fair und es tut mir aufrichtig leid. Ich war einfach wütend und habe nicht gemerkt, dass ich dir damit wehtue."
Hilflos wartete sie auf eine Reaktion, die allein darin bestand, dass er aufhörte zu schreiben, ohne aber den Kopf zu heben. Er dachte lange nach, sicher auch darüber, was an diesem Morgen im Bus geschehen war. Dass ihn jemand verteidigte war etwas, was er selten erlebt hatte. So etwas verlangte nicht nur Mut, sondern auch Freundschaft.
"Ist schon OK", sagte er schließlich leise, ehe er weiter schrieb, als wäre es ein tödliches Verbrechen, ihr in die Augen zu sehen.
Elizabeth bemerkte, wie sich ein schwerer Kloß in ihrem Magen bildete, als ihr vor ihrem inneren Auge die Szenen des letzten Abends wieder gegenwärtig wurden. Ihr war bewusst, dass dies nie für sie bestimmt gewesen wäre; dass er ihr davon nie erzählt hätte.
Aber vielleicht lag ja genau darin ihr Problem. Wie sollten sie in dieser Situation zusammenhalten, wenn sie sich darauf konzentrierten dem Anderen etwas zu verheimlichen, anstatt ihm zu vertrauen?
"Ich war gestern Abend bei deinem Haus", fing Elizabeth plötzlich an zu erzählen und sah, wie Rodney augenblicklich inne hielt. "Ich wollte mich bei dir entschuldigen, aber da habe ich gesehen…"
Sie stockte, obwohl Rodney sicher längst wusste, worauf sie hinaus wollte.
"Ich habe gesehen, wie du dich mit deinem Vater gestritten hast", rückte sie endlich mit der Sprache heraus, froh darum, es endlich gesagt zu haben.
Rodney schwieg. Noch immer schaute er stur in sein Buch, ohne es wirklich zu sehen, bis er für einen kurzen Moment die Augen schloss und unhörbar seufzte. Dies war der Augenblick, in dem die Mauer in sich zusammenfiel wie ein Kartenhaus.
"Ich kann das einfach nicht mehr", brach er endlich sein Schweigen und legte den Stift weg, ehe er es zum ersten Mal wagte mit hilflosem Blick aufzusehen.
"Ich dachte, ich könnte vieles besser machen, aber das kann ich nicht. Alles läuft noch genauso beschissen wie damals."
Dieselben dummen Sprüche, die sie ihm nachriefen. Dieselben idiotischen Mitschüler. Dieselben lieblosen Eltern. Es war ein Kapitel, das er abgehakt hatte. Atlantis war für ihn ein totaler Neuanfang gewesen, mit einer Aufgabe, an der er wuchs und mit Menschen, die zu ihm hielten. Und nun wurde er erneut in diesen dunklen Teil seines Lebens zurückgestoßen.
"Was da passiert ist, wird nicht wieder passieren, das verspreche ich dir", sagte Elizabeth schließlich, während sie ihm voller Verständnis, aber mit Entschlossenheit, in die Augen sah.
"Ich weiß, dass wir es schaffen werden, solange wir zusammenhalten."
Große Worte für jemanden, der gerade noch Verrat an der Freundschaft begangen hatte, aber wie sie versprochen hatte, so würde ihr ein solcher Fehler kein zweites Mal passieren. Dies war Rodneys Leben und ihre Aufgabe war es, ihm dabei zu helfen, es durchzustehen.

Es war bereits später Nachmittag, als die Beiden zusammen das Schulgebäude verließen. Es war ein gutes Gefühl, diesen Streit aus der Welt geschafft zu haben und es würde hoffentlich nicht mehr lange dauern, bis der letzte Nachgeschmack verflogen war.
Um diese Zeit war es auf dem Schulgelände bereits ruhiger geworden und die Beiden machten sich nicht die Mühe, sich zu beeilen, um noch irgendeinen Bus zu erreichen. Es war ein angenehm warmer Sommernachmittag, an dem sie in Ruhe nach Hause laufen wollten.
Als sie ihr Weg an einer Treppe vorbeiführte, die zu einem Nebengebäude gehörte, registrierte Elizabeth plötzlich, wie Rodneys Schritte langsamer wurden. Verwirrt folgte sie seinem Blick, um in Erfahrung zu bringen, was seine Unsicherheit auslöste und entdeckte dabei prompt Jimmys Bande auf den Stufen sitzend.
Ihre Mine verfinsterte sich, während sie Rodney entschlossen dazu drängte weiterzugehen.
"Lass sie einfach links liegen", raunte sie ihm zu, das gleichmäßige Aufschlagen eines Basketballs im Ohr, den Ben gelassen vor sich hin prellte. Sie alle beobachteten sie schweigend und regungslos, wie Raubtiere, die ihrer Beute auflauerten.
Elizabeth hatte keine Angst vor ihnen. Die Jungs waren feige Idioten, doch bisher hatten sie sich noch nicht dazu herabgelassen, ein Mädchen zu schlagen.
Aber sie spürte, wie Rodney versuchte, sich kleiner zu machen, als wolle er am liebsten im Boden versinken. Keine gute Reaktion, wenn man jemandem die Stirn bieten wollte.
Zunächst schien es auch so, als blieben die Jungs dieses Mal still sitzen, vielleicht, weil sie immer noch an Elizabeths Aktion im Bus knabberten.
Sie hatten sie schon fast passiert, da stand Jimmy auf einmal auf.
"Elizabeth!"
Sie hielt inne und blitzte hinauf. Er sollte ruhig merken, dass sie sich nicht von ihm einschüchtern ließ, doch zu ihrer Verwunderung wirkte sogar ihr Gegenüber unsicher.
Er zögerte einen Augenblick, ehe er die Stufen hinunter kam und vor ihr stehen blieb. Er wirkte anders als sonst; ruhiger und geduldiger, nicht so wie jemand, der ohne mit der Wimper zu zucken Schwächere zusammenschlug.
Dennoch merkte sie, dass er Rodney keines Blickes würdigte.
"Kann ich kurz mit dir reden?", fragte er vorsichtig, fast schon ein wenig schüchtern.
Argwöhnisch wechselte sie einen kurzen Blick mit Rodney, der nicht minder überrascht schien. Jimmy war kein Freund von Worten, es sei denn, es waren Beschimpfungen. Trotzdem stimmte Elizabeth bereitwillig zu. In ihrem Leben hatte sie gelernt, jedem eine zweite Chance zu geben, wenn er dazu bereit war.
Es entging ihr nicht, wie Rodney ihnen unruhig hinterblickte, als sie sich ein paar Schritte entfernten, um ungestört miteinander reden zu können. Sie gab ihm jedoch mit einem unauffälligen Nicken zu verstehen, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte. Noch waren Jimmys Kumpanen ruhig und blieben regungslos an ihrem Plätzchen auf den Stufen sitzen, auch wenn es Rodney bevorzugte, ein paar Schritte Abstand zu gewinnen.
"Ich habe mich heute morgen wohl ziemlich blöd verhalten", fing Jimmy schließlich leise an, als er sich außer Hörweite glaubte, dabei fiel ihm wohl kaum auf, dass Elizabeth fast ihren Ohren nicht trauen konnte. Solche Reue passte einfach nicht zu ihm, aber sie beschloss, vorerst zu schweigen.
"Hör zu, Liz. Ich weiß, du hältst das jetzt sicher für eine billige Anmache, aber ich habe dich wirklich sehr gern."
Ihr drohten sämtliche Gesichtszüge zu entgleiten, während sie ihm nur gebannt in seine grün-blauen Augen sah, in denen sie zum ersten Mal so etwas wie Aufrichtigkeit entdeckte.
War das wirklich möglich? Sie hatte ja schon das Gerücht vernommen, dass Jimmy ein Auge auf sie geworfen hatte, doch sie hatte es für ein simples Spiel gehalten, so wie bei jedem Hintern, dem er hinterher glotzte.
"Mir ist klar geworden, dass ich mich ändern muss. Und ich willl mich auch ändern, glaub mir!"
"Jimmy…"
"Ich verspreche dir auch, dass wir Rodney in Ruhe lassen!"
Elizabeths Augen verengten sich misstrauisch. Sollte das so etwas wie ein Deal sein?
"Es geht hier nicht allein um Rodney", wies sie ihn eindringlich hin. Sie dachte dabei an die vielen anderen Opfer, die täglich vor Jimmy und seiner Bande zurückschreckten. Auf der ganzen Schule wagte es keiner, sich die Jungs zum Feind zu machen.
"Ich weiß", nickte Jimmy mit gesenktem Blick, ehe er sie wieder ansah und das charmanteste Lächeln zauberte, das sie je bei ihm gesehen hatte.
"Aber ich habe mal gehört, es gäbe Menschen, für die es sich lohnt, sich zu ändern. Und ein solcher Mensch bist du, Elizabeth."
Ihre Kinnlade wurde ein Opfer der Schwerkraft, ungeachtet ihrer Augenbrauen, die überrascht nach oben wanderten. Im ersten Moment fragte sie sich, ob man Jimmy über Nacht einer Gehirnwäsche unterzogen hätte.
Dann kam ihr der Gedanke, ob es sich womöglich um eine Fehlfunktion im Artefakt handelte, das diese Welt erschaffen hatte. Doch als der erste Moment der Verblüffung vorüberging, stellte sich ein mulmiges Gefühl ein.
Hing das Schicksal vieler Schüler, die sich vor Jimmy in Acht nahmen, von ihrer Entscheidung ab? Konnte sie vielleicht tatsächlich einen besseren Menschen aus ihm machen? Möglicherweise waren es genau diese Enttäuschungen, die Menschen wie Jimmy so verbittert und brutal gemacht hatten. Sollte sie ihm nun einen Korb geben, würde es mit Sicherheit nur noch schlimmer werden.
"Jimmy, ich…ich weiß nicht, was ich sagen soll", gab sie ehrlich zu, als ihr langsam wieder Worte kamen. Irgendwie fühlte sie sich auf einmal in die Enge gedrängt. Zum ersten Mal war sie überfordert mit einer solchen Entscheidung.
"Wie wär's, wenn wir heute Abend zusammen ins Kino gehen würden? Und dann beweise ich dir, wie ernst ich es meine."
Elizabeth setzte an, etwas zu entgegnen, hielt aber sofort inne. Da war der Fehler! Sicher unbeabsichtigt, aber schwer von einer geübten Diplomatin zu verbergen, war aus diesem Satz eine Botschaft herauszulesen.
Alles nur Show! Das ging alles viel zu schnell, um wirklich ernsthaft gemeint zu sein. Was meinte er wohl mit beweisen? Dieser Kerl log, sobald er den Mund aufmachte, auch wenn sie zugeben musste, dass er ein Talent zur Schauspielerei besaß.
Ihr Blick wanderte an ihm vorbei, zu Kelly und Co, die im Schatten eines Baumes miteinander tuschelten und alles genau beobachteten. Sie sponnen sich ihr persönliches Märchen zusammen. Von der schönen Prinzessin, die neu auf die Schule kam und den unbestrittenen Kronprinzen küsste.
Nur, dass Prinzen edel waren und an Jimmy waren nicht einmal seine abgekauten Fingernägel edel und eine Prinzessin wollte sie schon gar nicht sein. Auch nicht für all die Anderen, die heimlich zu ihnen hinüber sahen. Oder für Jimmys Freunde, die nur darauf warteten, dass ihr Anführer eine neue Trophäe an Land zog.
Jeder andere hätte sich wohl geehrt gefühlt, vom bestaussehendsten Jungen der Schule um ein Date gebeten zu werden, aber gutes Aussehen allein reichte Elizabeth nicht.
Und dann sah sie Rodney, wie er an der Wand des Hauses lehnte, hoffend, dass ihn die Jungs in Ruhe ließen und der einzige unter den Anwesenden, dem die Szene nicht behagte.
Elizabeth dachte an die Zeit auf Atlantis, an all das, was sie gemeinsam durchgestanden hatten und an ihren letzten Streit. Auf einmal wurde ihr klar, dass er derjenige war, vor dem man eigentlich Respekt haben sollte, weil er nie aufgab, obwohl er es weiß Gott nicht leicht hatte; weil er kämpfte, ohne Unschuldige zu verletzen und weil noch Niemand erkannt hatte, wie viel Vertrauen man ihm schenken konnte.
"Tut mir leid", antwortete sie schließlich an Jimmy gewandt. "Aber heute Abend habe ich schon etwas vor."
Nun war er es, der recht dumm aus der Wäsche schaute, vor allem, als Elizabeth auf dem Absatz kehrt machte und davon stapfte. Es widersprach gegen all seine Logik und gegen das ungeschriebene Gesetz der Schule.
Einem Jungen wie Jimmy hatte man nicht zu widersprechen, sonst war man entweder dumm oder verdammt mutig. Und genau auf diesen Mut war Elizabeth stolz.
"Du willst mir doch nicht etwa erzählen, dass du deine Zeit lieber mit diesem Freak vergeudest!", rief ihr Jimmy plötzlich nach, worauf sie wie angewurzelt stehen blieb, ehe sie sich mit finsterem Blick zu ihm umdrehte.
Sie hätte große Lust ihn von diesem Podest hinunter zu stoßen, von dem er auf alle anderen hinab sah und auf einmal sah sie ganz klar, wie sie das tun konnte. Und das hier und jetzt!
Ohne jeglichen Kommentar ging sie auf Rodney zu, legte ihre Arme um ihn und küsste ihn.
Es war, als hielten für einen kurzen Moment Alle den Atem an. Ganz vorneweg Rodney, der aus allen Wolken fiel. Er kannte ja Elizabeths Vorliebe für spontane Aktionen, aber damit hätte er niemals gerechnet.
Sie merkte, wie er erschrocken zurückweichen wollte, was er natürlich nicht konnte, da er mit dem Rücken zur Wand stand.
Aber dann spürte sie seine Hände, die sie unsicher festhielten, ehe er den Kuss zögerlich erwiderte. Genau in jenem Moment, als Alle um sie herum pfiffen und klatschten.
Ohne es zu sehen, wusste Elizabeth, dass Jimmy vor Schreck beinahe die Augen aus den Höhlen fielen. Diese Niederlage würde er so schnell nicht wieder vergessen. Aber diesmal stand der Sieger eindeutig fest: er hieß Rodney McKay.

Auf dem Weg nach Hause lachten die Beiden noch lange über manch ein dummes Gesicht, das ihnen nachgeschaut hatte.
Rodney versuchte - offenbar mit Erfolg - zu verstecken, wie erstaunt er eigentlich selbst über all das war. Elizabeth Weir hatte ihn tatsächlich geküsst. So etwas hätte er nicht einmal zu träumen gewagt, aber er machte nicht den Fehler, viel hineinzuinterpretieren.
Ihm war klar, dass sie es nur getan hatte, um Jimmy eins auszuwischen, auch wenn er zugeben musste, dass es eine interessante Erfahrung gewesen war. So überrumpelt war er nicht mehr gewesen, seit April ihm damals den ersten Kuss seines Lebens gegeben hatte. Seltsam, trotzdem hatte sich zwischen ihnen nie etwas entwickelt, obwohl er sie, je älter er wurde, mehr und mehr für attraktiv hielt. Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn diese Sache nicht gewesen wäre.
Unmerklich verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck, wenn er daran dachte, aber er kam nicht dazu, sich noch lange über diese Erinnerungen den Kopf zu zerbrechen, denn in jenem Moment hörte er das leise Schluchzen eines Kindes und sowohl er, als auch Elizabeth sahen auf.
Es war Jeanie, die in Tränen aufgelöst auf sie zu gerannt kam und sich schließlich hilfesuchend in die Arme ihres Bruders flüchtete. Sie schien völlig durcheinander zu sein und Rodney spürte plötzlich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend, als ihm bewusst wurde, dass Jeanie meist nur aus einem Grund so geweint hatte.
"Was ist los?", hörte er Elizabeth fragen, die nicht minder überrascht zu sein schien und erhielt sogleich eine Bestätigung für seinen Verdacht, als Jeanie mit zitternder Stimme antwortete: "Sie streiten wieder."
Sie! Er musste nicht erst fragen, wen sie damit meinte. Aus dem Haus, das vor ihnen lag, drangen die wütenden Stimmen seiner Eltern. Zu oft hatte er das mit anhören müssen. Er spürte, wie sich seine sämtlichen Nackenhaare sträubten, als der Zorn in seine Ohren drang. Vielleicht war das ein natürlicher Reflex. Vielleicht ging der menschliche Körper sofort auf Abwehrhaltung, wenn ihm Hass von Menschen entgegenschlug, von denen man eigentliche Liebe erwartete.
Doch so etwas hatte er in diesem Haus sowieso nie erfahren.
Er zuckte erschrocken zusammen, als etwas klirrend zu Bruch ging, so wie einst seine Hoffnung zerbrochen war, sie könnten je so etwas wie eine richtige Familie sein.
Eher unbewusst legte er beide Arme um seine Schwester, in dem irrsinnigen Glauben, sie beschützen zu können. Er selbst hatte mittlerweile gelernt, darüber hinwegzukommen, aber Jeanie war diese Zeit noch nicht gegeben worden.
"Wenn ihr wollt, könnt ihr zu mir kommen", meldete sich Elizabeth plötzlich, die bislang die Szene nur schweigend beobachtet hatte. Sie war ebenfalls recht geschockt, vermutlich, da es zu ihren Stärken zählte, sich gut in anderen Menschen hineinversetzen zu könnenund sich daher sehr genau ausmalen konnte, was in ihnen vorging.
Erstaunt wandte er sich um und fing ihren mitfühlenden Blick auf. Mit einem solchen Angebot hatte er nicht gerechnet.
"Wir haben noch ein großes Gästebett frei, da könnt ihr heut Nacht schlafen, wenn ihr wollt", fuhr sie fort. "Ich glaube, es ist keine gute Idee, wenn ihr jetzt da rein geht."
Sein Blick wanderte zunächst zurück zum Haus, aus dem noch immer der Streit zu hören war, ehe er Jeanie ansah, die mit feuchten Augen zu ihm aufsah. Er sah ihr an, dass sie sofort mit Elizabeths Vorschlag einverstanden war und so hob er den Blick und nickte zustimmend. Ihre Eltern würden ohnehin nicht merken, wenn sie nicht da waren und Elizabeth hatte Recht, wenn sie jetzt nach Hause gingen, würden sie unweigerlich selbst mit in diesen Streit gezogen werden.
Sie liefen schweigend die Straße hinunter, während Rodney noch einmal zurückschaute. Was musste er tun, damit sich all das nicht wiederholte?

Für Rodney war es eine völlig neue Welt. Elizabeths Vater strahlte über das ganze Gesicht, als er seine beiden Gäste begrüßte und er fragte auch nicht nach dem Grund für den unerwarteten Besuch. Er empfing die Beiden mit einer solchen Herzlichkeit, dass Rodney mit dem Gedanken spielte, sich den Rest der Zeit in dieser virtuellen Welt hier zu verstecken.
Martin Weir war ein fröhlicher Mensch, der den ganzen Abend damit verbrachte allerhand Dinge zu erzählen, die er bereits erlebt hatte - inklusive aller Peinlichkeiten, die Elizabeth als kleines Kind angestellt hatte.
Er verstand es, die Anwesenden zum Lachen zu bringen und sorgte so dafür, dass Jeanie bald den Streit der Eltern vergessen hatte.
Rodney hingegen war beeindruckt mit welcher Selbstständigkeit Elizabeth die Dinge meisterte. Sie war es, die das Abendessen für sie kochte und das Gästezimmer herrichtete. Rodney konnte sich vorstellen, dass sie als einzige Frau des Hauses mit einem Vater, der eher ein Chaot war, schnell gelernt hatte den Haushalt zu führen und wie es aussah, hatte sie dabei auch alles im Griff.
Jeder andere wäre über alle Maße verblüfft gewesen, aber Rodney kannte ihr Organisationstalent. Vielleicht war dies auch der Grundstein für ihre spätere Aufgabe, das größte Abenteuer der Menschheit anzuführen. Er hatte stets den größten Respekt vor ihr. Eine solche Expedition zu leiten verlangte nicht nur Mut, sondern auch sehr viel Kraft, abervor allem musste man mit dem Herzen dabei sein und das war Elizabeth, in allem was sie tat.
Trotz der Aufregung wurde Jeanie recht bald von der Müdigkeit übermannt und so brachte Rodney sie ins Bett, wo sie auch schon bald eingeschlafen war.
Vorsichtig nahm er die Decke und zog sie ihr sorgsam bis zum Hals, ehe er sanft durch ihre weichen Haare strich.
Ihm war klar, dass er sich einst wohl nie so sehr um seine kleine Schwester gekümmert hatte, aber das war auch bevor ihm klar geworden war, was im Leben wirklich zählte. Wenn jeder Tag der letzte sein konnte, dann sah man plötzlich, dass nicht das eigene Leben an vorderster Stelle stand. Freundschaft war etwas geworden, was ihm viel bedeutete und wofür er alles geopfert hätte.
Er bemerkte zunächst nicht, dass er beobachtet wurde. Im freundlich eingerichteten Zimmer brannte allein die kleine Nachttischlampe, die nicht genug Licht gab, um Elizabeths Gesicht in der offenen Tür zu erhellen. Sie genoss die Momente, in denen sie einfach so tun konnte, als wäre sie unsichtbar.
Rodney McKay war ein Mann, der Seiten in sich besaß, die er immerzu zu verstecken versuchte. So viele Dinge, von denen niemand etwas wusste, aber die ihn in einem ganz anderen Licht erscheinen ließen.
Keiner würde ihr wohl glauben, würde sie erzählen, wie liebevoll er sich um andere Menschen kümmern konnte. Vielleicht war das einer der guten Seiten dieser Situation. Sie hatte gelernt, ihn aus einer anderen Sicht zu sehen, sie kannte nun einen Teil von ihm, der ihr sonst verborgen geblieben wäre. Genau das fügte alles zu einem völlig neuen Bild zusammen, durch das sie gelernt hatte, ihn noch besser zu verstehen und dadurch auch noch mehr zu schätzen.
Als ob er ihren Blick gespürt hätte, sah er plötzlich auf, ohne aber ein Wort von sich zu geben. Es hatte Zeiten gegeben, da wäre es ihm vermutlich unangenehm gewesen, wenn sie ihn in einer solch privaten Situation angetroffen hätte, aber diese Scheu hatte er zum Glück verloren.
Als sie näher kam, wandte er sich ab. Sie vermutete, dass er ihr einfach Zeit lassen wollte, bis sie ganz eingetreten war, doch noch ehe sie ihn erreicht hatte begann er plötzlich zu sprechen.
"Einmal kam mein Vater sehr spät nach Hause", fing er an, ohne aufzusehen.
Verwundert darüber, sich plötzlich in einer Konversation wieder zu finden, hielt sie inne. Was sie zu hören bekommen würde, kostete ihn wohl viel Überwindung. Allerdings schien es ihm ebenso ein Bedürfnis zu sein darüber zu reden und Elizabeth rechnete es ihm hoch an, dass er sie dazu auserwählt hatte, an seinen Gedanken teilhaben zu dürfen.
"Jeanie und ich waren schon im Bett, aber ich hörte wie sich meine Eltern stritten. Ich wollte runter und nachsehen, was los war. Und dann hab ich gesehen, wie er meine Mum geschlagen hat."
In Elizabeth zog sich alles zusammen, aber sie wagte es nicht, einen Mucks von sich zu geben, der ihn womöglich unterbrochen hätte. Sie wollte ihm die Gelegenheit geben, so lange zu erzählen, wie er es für richtig hielt.
"Beim Sturz hat sie sich den Arm gebrochen. Am nächsten Morgen hat sie allen erzählt, sie wäre im Garten gestolpert."
Er kniff die Augen zusammen und schluckte mühsam die Tränen hinunter, die mit diesen Erinnerungen aufgekommen waren.
Automatisch sah sich Elizabeth noch einmal in die Ausgangssituation dieses virtuellen Abenteuers zurückversetzt, als sie Rodneys Eltern zum ersten Mal gegenübergestanden war. Ihr war sofort der Gips am Arm der Mutter aufgefallen und schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie jetzt wusste, woher diese Verletzung stammte. Für Rodney war der Moment wie ein Schock gewesen, das hatte sie damals sofort erkannt und nun war ihr auch klar, wieso er so reagiert hatte.
Nur hatte sie vermutet, es wäre allein die Überraschung, die Eltern wieder zu sehen.
Unwillkürlich machte sie die letzten Schritte, die noch zwischen ihnen lagen und legte ihm schließlich mitfühlend eine Hand auf die Schulter. Sie wollte, dass er nie vergaß, dass er all das hier nicht allein durchstehen musste. Sie würde immer für ihn da sein, auch wenn sie - so hoffte sie zumindest - bald diese Welt verlassen würden.
Er sah langsam zu ihr auf und schaute ihr lange Zeit nur schweigend in die Augen. Er hatte auf einmal das Gefühl, ihr alles anvertrauen zu können, etwas, was er sonst eigentlich nie tat. Er suchte nach Verständnis, das sie ihm aber nur geben konnte, wenn sie die Tatsachen kannte.
"Du weißt nicht, wie das ist, zu wissen, dass man der einzige Grund ist, warum zwei Menschen geheiratet haben, die sich eigentlich nie geliebt haben", fuhr er leise, ja fast schon flüsternd, fort.
James und Sarah, zwei junge Menschen, die geglaubt hatten, sich auf ein Liebesabenteuer einzulassen; ein Abenteuer mit weitreichender Konsequenz. Zu unerfahren, aber unter der gesellschaftlichen Pflicht in den Bund der Ehe einzutreten, hatten sie schließlich geheiratet, bevor Sarah das Kind, mit dem sie ungeschickterweise schwanger war, zur Welt kam.
"Mein Vater behauptete manchmal sogar, ich wäre nicht sein Sohn, ich wäre ihm überhaupt nicht ähnlich. Und er hat Recht. Ich wollte auch nie so sein wie er."
Sie erinnerte sich an die kalten, dunklen Augen seines Vaters, ganz anders als das Ozeanblau von Rodney, in dessen Blick oft ein neugieriges Leuchten lag.
Aber es kam oft vor, dass sich die Merkmale der Kinder ganz anders ausprägten, zumal Rodneys Mutter die gleichen Augen hatte und meist der erste Sohn nach der Mutter schlug.
Doch ebenso oft kam es vor, dass Väter zu hohe Ansprüche an ihre Söhne stellten, weil sie wollten, dass sie so wurden wie sie selbst.
Vielleicht war Rodney deshalb so ehrgeizig, vielleicht kämpfte er aus diesem Grund um jedes bisschen Aufmerksamkeit, aber so sehr er sich einst auch bemüht hatte, er hatte nie die Erwartungen seines Vaters erfüllen können.
"Du bist, wer du bist und das ist gut so", ergriff Elizabeth schließlich das Wort, während sie sich neben ihn setzte.
Mochte es sein, dass Rodney oft arrogant und überheblich war. Mochte es sein, dass er andere manchmal grob behandelte und seine Kommentare nervtötend sein konnten, aber das alles war nur die Außenhülle. Im Inneren war er ein liebenswürdiger Mensch, der sich einfach davor scheute anderen Menschen zu Nahe zu kommen.
Er hatte zu oft die Erfahrung gemacht enttäuscht zu werden und hatte sich so eine dicke Schutzmauer aufgebaut, doch viele auf Atlantis kannten inzwischen seinen wahren Kern, schätzten seinen Mut, seine Intelligenz und seine Bereitschaft, sich für seine Freunde einzusetzen. Vielleicht hatte ihm das aber einfach noch niemand gesagt.
Tatsache war, dass in diesem Augenblick die Dankbarkeit in seinen Augen schimmerte und für einen kurzen Moment huschte sogar ein Lächeln über sein Gesicht, ehe er seufzend murmelte: "Ich bin froh, wenn das alles hier vorbei ist."
Elizabeth nickte zustimmend.
"Ich bin sicher, Zelenka arbeitet hart an einer Lösung."
Sie stellte sich oft vor, wie es sein würde, wenn sie in Atlantis zurückgeblieben wäre. Mit Sicherheit würde sie alles daran setzen Rodney zurückzuholen und sie kannte Zelenka gut genug, um zu wissen, dass er mit ebensolchem Eifer versuchte, sie zu retten.
Zu ihrer Verwunderung stutzte Rodney jedoch.
"Zelenka?", hakte er überrascht nach.
"Ja, natürlich", gab Elizabeth zurück, verwirrt darüber, wie er daran zweifeln konnte. Aber das waren nicht allein Zweifel in Rodneys Gesicht. Sie sah sogar so etwas wie Ratlosigkeit.
"Was ist?"
"Der Name sagt mir etwas, aber ich kann ihm überhaupt kein Gesicht zuordnen."
Elizabeth sah ihn entsetzt an. Radek Zelenka war doch nicht nur Rodneys engster Mitarbeiter in der wissenschaftlichen Abteilung, sondern auch ein guter Freund von ihm. Wie konnte er da vergessen haben, wer er war?
Rodney grübelte einen Moment, bis ihm plötzlich ein Gedanke zu kommen schien, der ihm ganz offensichtlich Angst machte, denn sie erkannte die Sorge in seinen Augen, als er plötzlich aufsah und banger Ahnung fragte: "Elizabeth, was ist, wenn wir anfangen zu vergessen?"

Sie hätten es ahnen müssen. Sie steckten in einem Körper, der weder etwas von Atlantis, noch von irgendwelchen anderen Dingen wissen konnte, die sie im Verlauf ihres Lebens erlernt hatten. Zelenka blieb nicht der einzige schwarze Fleck.
Immer öfter kam es vor, dass ihnen Dinge entfielen und so beschlossen sie, heimlich aufzuschreiben, was sie für wichtig hielten, aus Angst irgendwann vielleicht alles zu vergessen, was sie von der Pegasus-Galaxie wussten.
Heiße Sommertage gingen ins Land und das Schuljahr neigte sich dem Ende zu. Beide waren froh darüber, hatten sie doch nun ein Problem weniger, mit dem sie sich herumschlagen mussten. Aber noch war das Jahr nicht ganz zu Ende.
Der Schulball stand bevor. Es gab Schüler, die kein anderes Thema mehr kannten, darunter natürlich auch Kelly und Co, deren tagesfüllende Beschäftigung darin lag, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was sie anziehen sollten.
Elizabeth ging das alles recht gelassen an. Ihr stand nicht wirklich der Sinn danach, den Abend mit irgendwelchen Teenies zu verbringen, die sich einbildeten erwachsen zu sein.
Auf der anderen Seite schloss sie es aber auch nicht ganz aus, dorthin zu gehen. Es waren jedenfalls einige Jungs zur Stelle, die ihr Glück versuchten, sie als Begleiterin zu erwählen. Und das, obwohl die meisten der Jungs überzeugt waren, sie wäre mit Rodney zusammen, nachdem sie dies durch ihren unübersehbaren Kuss angedeutet hatte. Zumindest sorgte es dafür, dass Jimmys Bande Rodney in Ruhe ließ.
Als Elizabeth an diesem Morgen nach dem Spanischkurs durch den Gang streifte und gerade um die Ecke biegen wollte, musste sie unwillkürlich inne halten.
Rodney, der wohl soeben von seinem Physikunterricht kam, war gerade an sein Schließfach getreten, als April hinzukam.
Elizabeth musste zugeben, dass sie die Beiden in den letzten Wochen nicht mehr so oft zusammen gesehen hatte und gleichzeitig verfluchte sie sich dafür, das Mädchen mit solch einem Misstrauen gestraft zu haben.
Im Nachhinein war ihr klar geworden, wie albern ihre Eifersucht gewesen war, zumal April ihr nie etwas getan hatte.
Inzwischen war Elizabeth bewusst, dass sie ihr keine Ablehnung mehr entgegenbringen sollte, denn schließlich gehörte sie zu der Seltenheit dieser Schule, die mit Rodney wirklich befreundet war.
Doch aus irgendeinem Grund wollte Elizabeth in jenem Augenblick nicht dazu stoßen. Ihre Neugier trieb sie viel eher dazu an, sich hinter der Ecke versteckt zu halten, während sie die Beiden heimlich beobachtete.
Rodney hatte gerade seinen Spint geöffnet, als ihn April ansprach.
"Hey", grüßte sie ihn freundlich, was er erwiderte, ohne sie anzusehen. Seine Aufmerksamkeit galt dem Durcheinander in seinem Schrank, was April allerdings nicht zu stören schien.
"Ich habe dein Buch dabei, das du mir ausgeliehen hast", erklärte das Mädchen und hielt ihm einen dicken Schinken über Phänomene im Weltraum entgegen, von dem Elizabeth bezweifelte, dass sie je auch nur einen Blick hineingeworfen hatte.
Rodney nahm es dankend an und verstaute es sofort zwischen seinem Chaos.
Elizabeths Augen verengten sich misstrauisch. Rodney schien gar nicht zu merken, wie April nervös herumdruckste, als warte sie auf den richtigen Moment, um etwas zu sagen. Sie holte tief Luft, ehe sie endlich anfing: "Rodney, ich wollte dich noch etwas fragen."
Noch immer keine Reaktion seitens ihres Gegenübers, aber davon ließ sie sich nicht entmutigen.
"Du weißt, in ein paar Tagen ist der Schulball und ich wollte dich fragen ob…ob du vielleicht mit mir hin gehen möchtest."
Mit einem Mal fuhr er zu ihr herum und starrte sie an, als hätte sie ihm soeben vom Untergang der Welt berichtet.
Elizabeth verkniff sich ein Grinsen, als sie seinen total verdatterten Gesichtsausdruck bemerkte. Er war noch nie ein Frauenheld gewesen und auf die Initiative der weiblichen Partei reagierte er meist recht unbeholfen. Das war wohl seit eh und je so gewesen.
"Du willst mit mir zum Schulball?", wiederholte er fassungslos, was April mit einem strahlenden Lächeln bestätigte.
"Ich würde mich wirklich sehr, sehr freuen."
Völlig perplex wandte er sich ab. Vermutlich musste er das erst mal verarbeiten, denn eine Einladung zum Schulball kam in mancher Hinsicht einem Date gleich und Rodney war nicht gerade die Sorte Mensch, die solche Einladungen oft bekam.
Er schien lange nachzudenken, bis seine Mine plötzlich erstaunlich ernst wurde und er schließlich entgegnete: "Es geht nicht, tut mir leid."
Elizabeths Grinsen war sofort wie weggewischt, ebenso wie Aprils Lächeln. Hatte er ihr tatsächlich soeben einen Korb gegeben?
April schien zumindest nicht minder verwirrt zu sein und gab deshalb ein fassungsloses "Was?!" von sich.
"Ich kann nicht mit dir zum Schulball", wiederholte er entschlossen.
"Wieso nicht?"
"Eben…weil", wich er grummelnd aus, weiter in seinem Schließfach kramend, nur um wahnsinnig beschäftigt zu wirken.
April verstand die Welt nicht mehr, genauso wenig wie Elizabeth. Sie hätte erwartet, dass er sich darüber freuen würde.
Stattdessen ging er absolut auf Distanz und weckte so den Ärger in April, die diesen Rückschlag als Bestätigung für die Gerüchte hielt, die überall auf der Schule kursierten.
"Du gehst schon mit dieser Elizabeth hin, hab ich Recht?", platzte sie empört heraus und ließ damit nicht nur Rodney erstarrten.
Elizabeth hatte plötzlich das Gefühl von Aprils Wut erdrückt zu werden, obwohl sie sie unmöglich durch die Wand hätte sehen können. Sie war es also, die eifersichtig war, nicht umgekehrt. Daran hatte Elizabeth nie zuvor gedacht.
"Das ist doch nicht dein Ernst! Die spielt doch bloß mit dir!", protestierte April weiter, nur leider hatte Elizabeth keine Möglichkeit zu sehen, wie Rodney reagierte, da er ihr mit dem Rücken zugewandt stand und sie ihm somit nicht ins Gesicht sehen konnte. Aber an der Art, wie er hastig im Schrank wühlte, war ihr klar, dass er sich deutlich zur Ruhe ermahnen musste.
"Wie kann man nur so naiv sein? Rodney, wach endlich auf, das wird nie was mit euch! Ihr seid viel zu verschieden!"
Peng!
Ohne jede Vorwarnung knallte Rodney die Tür des Schließfaches dermaßen laut zu, dass sowohl April, als auch Elizabeth erschrocken zusammenfuhren. Nun war die Wut in seinem Blick deutlich erkennbar und sie kam spätestens dadurch zur Geltung, als er sie gehässig anfuhr: "Ich gehe nicht zum Schulball. Ende der Diskussion!"
Und noch ehe ein weiteres Wort fiel, fuhr er herum und stampfte davon.

Beim Mittagessen war Rodney ungewöhnlich still. Elizabeth beobachtete ihn lange schweigend, während er nur seine Nudeln in sich hineinschaufelte, ohne sie auch nur einmal anzusehen.
Sie fragte sich, was ihm wohl mehr durch den Kopf spukte; dass er April tatsächlich eine Abfuhr erteilt hatte, oder womöglich dachte er sogar über ihre Bemerkungen nach.
Ihr seid viel zu verschieden, hatte sie gesagt und Unrecht hatte sie da nicht. Aber in einer Freundschaft war so etwas nicht von Bedeutung und mehr war zwischen ihnen doch nicht.
Oder?
"Wann willst du mich eigentlich fragen?", rutschte es ihr auf einmal heraus und sie bewirkte damit nur ein verwundertes Stirnrunzeln im Gesicht des Kanadiers.
"Was fragen?", gab er mit vollem Mund zurück, offensichtlich nichts ahnend. Aber Elizabeth zeigte keine Gnade.
"Ob ich mit dir zum Schulball will", antwortete sie geradeheraus.
Für einen kurzen Moment sah sie noch, wie sich seine Augen vor Schreck weiteten, ehe er sich abwenden musste, da er sich verschluckt hatte und kräftig zu husten begann.
Sie hatte ihn also voll erwischt und das trieb ihr ein amüsiertes Grinsen aufs Gesicht. Manchmal konnte sie es sich einfach nicht verkneifen, auch mal fies zu sein. Auch nicht, wenn Rodney mit hochrotem Kopf um Luft rang.
Aber schließlich sah sie ein, dass sie ihn lange genug zappeln gelassen hatte und so klopfte sie ihm auf den Rücken, bis der Anfall endlich vorbei war und er erst mal einen kräftigen Schluck Wasser trinken musste.
"Tut mir leid", meinte sie kichernd. "Ich hab nur zufällig mitbekommen, wie du dich mit April unterhalten hast."
Der Hustenanfall hatte ihm Tränen in die Augen getrieben, die er sich nun eilig wegwischte, ehe er mit kratzender Stimme entgegnete: "Dann müsstest du sicher auch gehört haben, dass ich nicht zum Schulball gehe."
Elizabeth legte den Kopf etwas schief. Er hatte also nicht wegen ihr abgelehnt, das war schon mal beruhigend. Gleichzeitig weckte es aber die Neugier nach dem wahren Grund.
"Hat sie dich damals eigentlich auch gefragt?", wollte sie deshalb herausfordernd wissen und fing sich dafür einen finsteren Blick ein.
"Ja, hat sie", brummte er dann.
"Und du hast ja gesagt?"
Er zögerte, nickte dann aber. Sofort lehnte sich Elizabeth ein Stück nach vorn, als ob es hier um eine Verschwörung ging.
"Na, und? Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!"
Rodney stocherte etwas unruhig in seinem Essen herum, ein Zeichen dafür, dass er nur ungern mit der Sprache herausrückte. Schließlich seufzte er leise und legte die Gabel beiseite, ehe er sich dazu durchrang Elizabeth anzusehen.
"Ich habe mich wahnsinnig gefreut. Ich meine…es gab nicht viele Mädchen, die mich so was gefragt hätten."
Gespannt beobachtete Elizabeth das Glitzern in seinen Augen, das für einen kurzen Moment aufflackerte. Sie hörte ihm gern zu, wenn er über solche Dinge sprach. So, wie es sich anhörte, musste es wirklich ein Glücksmoment für ihn gewesen sein. Aber dann legte sich plötzlich ein dunkler Schleier über dieses Leuchten und ein verbitterter Unterton schwang mit den Worten mit, die folgten.
"Wir wollten uns vor der Schule treffen. Ich war wahnsinnig nervös, aber schließlich kam sie…" Er schluckte schwer. "…zusammen mit Jimmy. Die Beiden hatten schon von langer Hand geplant, zusammen zum Schulball zu gehen und fanden es wahnsinnig komisch mich an der Nase herumzuführen."
Er schüttelte frustriert den Kopf und wandte sich ab. "Ab da bin ich zu keinem Schulball mehr gegangen."
Elizabeth spürte einen tiefen Stich, als sie dies hörte. Ohne selbst dabei gewesen zu sein, glaubte sie die Szene vor ihrem inneren Auge zu sehen und es schürte sowohl Mitgefühl als auch Wut in ihr auf. Unter all den Gemeinheiten, die Rodney in seiner Jugend über sich ergehen lassen musste, zählte diese Erfahrung sicher zu den Dingen, die am schmerzhaftesten gewesen sein mussten. Der Schulball konnte zu den schönsten Abenden im Jahr werden, aber ebenso zu einer Hölle, durch die man auf Dauer gezeichnet war.
Aprils Verrat hatte ihn tief getroffen. Je mehr man sich auf etwas freute, desto tiefer fiel man in die Enttäuschung, aberer hatte seine Konsequenz daraus gezogen.
Für einen Moment musterte Elizabeth nur nachdenklich den Tisch vor sich. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, ihn danach zu fragen. Sie hatte nicht beabsichtigt, ihn mit schlechten Erinnerungen zu konfrontieren, aber war es nicht genau das, was ihm jeden Tag hier passierte?
"Ich würde sehr gern…mit dir zum Schulball gehen", sagte sie plötzlich, als hätte sie damit eine Antwort auf eine Frage ausgesprochen, die er nie zu stellen gewagt hatte. Sie wusste nicht, woher diese Entschlossenheit plötzlich kam. Vielleicht, um am Ende der Sieger über diejenigen zu sein, die Rodney einst wehgetan hatten. Vielleicht aber auch einfach, um ihm die Chance zu geben, das nachzuholen, was ihm einst verwehrt geblieben war.
Sie erkannte seine Verwunderung, aber der Ausdruck in ihren Augen veränderte sich nicht. Sie war nicht wie April. Sie war ihm eine Freundin, der er vertrauen konnte und die ihn nicht im Stich lassen würde. Und sie würde sich an das Versprechen halten, das sie gegeben hatte.
Vermutlich waren es genau diese Gedanken, die auch ihm in jenem Moment durch den Kopf gehen mussten, als er sie nur schweigend ansah.
Aber schlussendlich tauchte auf seinem Gesicht ein zögerliches Lächeln auf, das sie erleichtert erwiderte. Das war ihr Antwort genug.

Rodney wusste nicht zum wievielten Mal er einen Blick auf seine Uhr warf. Diese Bewegung schien sich vollkommen ohne sein Zutun abzuspielen und ohne, dass er wirklich realisierte, wie spät es war. Spätestens nach zwei Sekunden hatte er es ohnehin schon wieder vergessen.
Er fing an, unruhig auf und ab zu gehen und stupste dabei einen kleinen Stein an, der daraufhin in die Wiese kullerte. Damals war er nicht minder nervös gewesen. An genau dieser Stelle war er gestanden, ebenso innerlich aufgewühlt, nicht fähig auch nur eine Sekunde still zu halten.
Die Erinnerungen an jenen Abend lagen ihm schwer im Magen. Noch heute konnte er dieses Gefühl von Enttäuschung spüren. Vielen hätte er so was zugetraut, aber niemals April. Sie war ihm stets eine Freundin gewesen.
Zwar niemand, der sich übermäßig oft mit ihm abgab, oder auf die er sich blind verlassen hätte, aber er hatte ihr vertraut. Er hatte nicht gesehen, wie sie ihren eigenen Weg einschlug. Ein Weg, der sie weg von ihm und hin auf die Seite der Menschen führte, die ihn nicht akzeptierten. Von ihnen waren viele in seinem Leben aufgetaucht. Sogar sein eigener Vater war einer von ihnen gewesen.
Diese Erkenntnis hatte wehgetan, das war ihm immer im Gedächtnis geblieben.
Er war vorsichtiger damit geworden, wem er sein Vertrauen schenkte und vor wem er zurückwich. Wer allein dastand musste lernen ein Einzelkämpfer zu werden und das war er tatsächlich geworden. Er hatte sich um niemanden mehr geschert, als um sich selbst. Sie kümmerten sich schließlich auch nicht um ihn. Es machte vieles einfacher, es gab niemanden mehr, der ihn bloßstellen konnte. Einzig und allein die Einsamkeit blieb ein ständiger Begleiter.
Erst die Atlantis-Expedition hatte sein Leben völlig über den Haufen geworfen. In der Pegasus-Galaxie hatte er erkannt, was es hieß für das Leben anderer verantwortlich zu sein, wie weit man bereit sein musste zu gehen und wie viel Mut selbst in ihm steckte. Zum ersten Mal gab es Menschen, die ihm ihre Freundschaft schenkten und sich für ihn einsetzten, wenn er Hilfe brauchte. Er fand etwas, nach dem er sein Leben lang gesucht hatte: ein zu Hause.
Elizabeth war nicht wie April. Sie würde ihr Versprechen halten.
Und trotzdem war er total nervös. Es war die Angst einen Fehler zu machen; selbst womöglich der Auslöser für eine Enttäuschung zu sein; Erwartungen nicht erfüllen zu können. Letzteres war eine Angst, die ihn seit seiner Kindheit verfolgte wie ein Hund, der ihn beißen wollte. Er bemühte sich, vor ihr zu fliehen, aber nicht immer gelang es ihm.
Elizabeth bedeutete ihm viel und er wollte alles daran setzen sie nicht zu enttäuschen.
Leise Schritte ließen ihn plötzlich aufhorchen und er sah auf. Es war der Moment auf den er seit einer, für ihn schier endlosen, Ewigkeit gewartet zu haben schien und vor dem er sich ebenso sehr gefürchtet hatte.
Alle Worte, die er sich mühsam zurechtgelegt hatte, entflohen ihm plötzlich und verschwanden in der tiefschwarzen Nacht. Dieses Mädchen in dem umwerfenden smaragdgrünen Kleid blieb vor ihm stehen und strahlte ihn mit ihren wunderschönen Augen an, in denen sich das Glitzern der Sterne über ihnen widerspiegelte. Ein sanfter Wind strich durch ihre weichen dunklen Haare, an denen nichts übertrieben gestylt war und die trotzdem umwerfend wirkten.
Rodney verlor jedes Zeitgefühl, als er sich ganz dem Moment hingab, in dem er sie einfach nur ansehen konnte. Jede einzelne Haarsträhne, jeder Stein in ihrer Kette, die sie um den Hals trug und ihr bezauberndes Lächeln, das sie ihm schenkte. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so sprachlos gewesen zu sein.
Es war schwer zu fassen und doch wahr. Vor ihm stand Elizabeth Weir.
Alles, was seine verschwommenen Erinnerungen an das Leben auf Atlantis ihm noch innerlich vor Augen führten, war eine Frau, die getrieben von ihrer Arbeit kaum ihre Uniform abgelegt hatte.
Selbst wenn das kaum ihrem Reiz Abstriche machte, so konnten sie schon solche Kleinigkeiten wie ein Kleid zu einer wunderschönen Frau machen.
Und diese Frau hatte ihn tatsächlich gefragt, ob er mit ihr zum Schulball wollte?
Er merkte gar nicht, wie er sie nur völlig baff anstarrte, nicht einmal, als Elizabeth grinsen musste.
Sie hatte nicht erwartet ihn so aus der Fassung zu bringen, auch wenn sie zugeben musste, selbst beeindruckt zu sein. Sie kannte den Astrophysiker nur in seiner Uniform, nicht in einem Anzug und zum ersten Mal hatte er seine recht störrischen Haare unter Kontrolle gebracht.
Innerlich musste sie schmunzeln. Rodney hatte als Kind so anders ausgesehen und trotzdem war das helle, neugierige Leuchten in seinen blauen Augen das Gleiche geblieben.
"Wollen wir reingehen?", fragte sie schließlich und holte damit Rodney endlich wieder in die Realität zurück. Eilig nickend bot er ihr einen Arm an, den sie mit einem zufriedenen Lächeln ergriff und zusammen machten sie sich zum Eingang der Halle auf, in der der Ball schon im vollen Gange war.
Musik drang bereits schon von Weitem nach draußen, genau wie das Lachen und Stimmengewirr der Gäste. Sie amüsierten sich, dachten an nichts Böses, genossen den Abend.
Die angenehme Raumtemperatur verwandelte sich für Rodney umgehend in unerträgliche Hitze. Es war die Nervosität, die ihn erneut ergriff. Er hatte gesehen, wie sehr sich Elizabeth auf diesen Abend freute, aber es gab hier so viele Menschen, die ihn nicht leiden konnten. Sie würden ihn beobachten, jeden Schritt, den er an diesem Abend tun würde und jeder Fehler, den er machte, blamierte nicht nur ihn, sondern auch Elizabeth. Soweit durfte es niemals kommen, aber allein der Gedanke reichte aus, dass es ihm schwer fiel zu atmen. Er spürte ihre Blicke, vom ersten Moment, als er den Raum betrat. Er wagte es kaum woanders hinzusehen, als auf den Boden vor sich. Nur ab und zu riskierte er einen Blick in ihre Gesichter.
Lachten sie über ihn? Straften sie ihn mit Abweisung?
Er bezweifelte, dass man ihm seine Unruhe nicht anmerkte. Vielleicht war das auch der Grund, warum er plötzlich spürte, wie Elizabeth sanft seinen Arm drückte. Verwundert sah er sie an und erkannte sogleich das aufmunternde Lächeln auf ihren Lippen. Sie wollte ihm Mut machen, zeigen, dass er nicht allein war.
Und plötzlich wurde ihm klar, dass all die Menschen um sie herum nicht ihn anstarrten. Das war keine Abweisung in ihren Blicken, das war Begeisterung. Elizabeth veränderte die Atmosphäre mit dem Augenblick, in dem sie ihren Fuß in die Halle setzte. Sie war lange nicht so aufgestylt wie viele Mädchen, die sich unter einer Schicht von Make-up und Haarspray versteckten. Und sie trug auch kein Kleid, dessen Ausschnitt bis zum Bauchnabel reichte, aber die Art, wie es ihr gelungen war das Natürliche zu unterstreichen und gleichzeitig ein zauberhaftes Auftreten zu besitzen, machte sie zum schönsten Mädchen in diesem Raum. In manchen Augen lag Neid, in anderen Verblüffung, aber die meisten bewunderten sie.
Und er war der Glückliche, der mit diesem Mädchen zum Schulball gehen durfte. Keiner wagte es auch nur ihn einmal schräg anzusehen. Dies gab ihm soviel Mut, dass er anfing seine Scheu zu verlieren und seine Nervosität wich dem Stolz. Dies sollte einer der schönsten Abenden seines Lebens werden.
Auf einmal sprachen ihn Leute an, mit denen er noch nie auch nur ein Wort gewechselt hatte. Sie lachten mit ihm, nicht über ihn und er gehörte zu ihnen. Er fing an, den Abend zu genießen und merkte, dass Elizabeth dies genauso tat. Er hätte sich nicht träumen lassen, dass sein Leben eine so plötzliche Wende durchmachen konnte.
Dennoch blieb es dabei, dass Manche es vorzogen einen Bogen um ihn zu machen. Zu ihnen gehörte leider auch April, deren finsteren Blick er aus einiger Entfernung einfing, ehe sie sich wieder an Jimmy heftete und mit ihm in der Menge verschwand.
Für einen kurzen Moment blitzte noch einmal die Erinnerung auf. Er sah sie mit diesem Mistkerl an ihm vorbeistolzieren, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Sie hatte ihn einfach stehen lassen, als existiere er überhaupt nicht.
So in Gedanken versunken und noch immer mit Blick auf den Punkt, an dem er sie zwischen den Leuten verschwinden sehen hatte, hätte er beinahe zum falschen Glas gegriffen, das vor ihm auf dem Buffet stand. Doch zum Glück war Elizabeth achtsam genug, ihm das Glas Zitronenlimonade rechtzeitig wegzunehmen, bevor der Abend womöglich im Krankenhaus endete und so gab sie ihm stattdessen ein Wasserglas in die Hand, seinen überraschten Blick ignorierend.
"Vergiss sie einfach", sagte sie leise, wissend, was ihn zu seinem Fehler verleitet hatte.
Er nickte ihr nur dankbar zu. Sie hatte Recht. Heute hatte er gewonnen. Heute hatte er April bewiesen, dass er ein Mensch war, den man respektieren musste.
Noch während er einen Schluck trank und seinen Blick kritisch durch die Menge schweifen ließ, begann die Band auf der Bühne ein neues Lied zu spielen. Er nahm diese Tatsache eigentlich eher nur am Rande wahr, Elizabeth hingegen wurde dadurch sofort zu einer Idee angeregt.
"Wollen wir tanzen?", fragte sie grinsend und hätte beinahe bewirkt, dass Rodney sich erschrocken verschluckte.
"Ich bin kein besonders guter Tänzer", gestand er kleinlaut und stellte vorsichtshalber sein Glas weg. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Elizabeth konnte morgen sicher keinen Schritt mehr gehen, so oft würde er ihr auf die Füße treten, aber diese Sorge schien sie nicht zu haben.
"Das macht nichts, ich auch nicht", entgegnete sie geradeheraus. "Schauen wir einfach zu, wie es die Anderen machen."
Das war Elizabeth Weir, voller verrückten Ideen und durch nichts davon abzubringen. Noch ehe er sich versah fand er sich auch schon im bunten Discolicht zwischen all den hüpfenden Teenies wieder und wirkte sichtlich unbeholfen. Er war immer der Meinung gewesen wie eine Witzfigur auf der Tanzfläche zu wirken, aber daran störte sich Elizabeth offensichtlich nicht. Eifrig bewegte sie sich zu dem flotten Rhythmus und setzte all ihre Künste dazu ein, Rodney aus seinem Schneckenhaus zu locken.
Dieser reagierte darauf nur recht zögerlich, aber als er ihr Grinsen sah, las er nur eine Botschaft daraus: was kümmerte es ihn, was die Anderen dachten? Das war sein Abend und an dem konnte er sich so benehmen, wie er es wollte.
Mit einem Mal war all die Sorge vergessen und er machte es einfach all den Anderen gleich. Sehr zur Zufriedenheit von Elizabeth.
Sie hatten einfach ihren Spaß, ungeachtet ihrer derzeitigen Situation. Sie wollten das Beste daraus machen und das taten sie.
Als das Lied schließlich zu Ende war, waren beide recht außer Puste, aber hatten ein fröhliches Lachen im Gesicht. Manchmal musste man eben doch ein wenig verrückt sein.
Rodney war der Ansicht, das Feld nun wieder den Anderen zu überlassen und bewegte sich bereits wieder Richtung Bar, wo er sein Glas stehen gelassen hatte.
Er kam jedoch nicht weit, denn als er den zweiten Schritt machen wollte, merkte er, dass Elizabeth seine Hand festhielt. Verdutzt wandte er sich um und schaute sie fragend an.
Um sie herum war das Licht gedämpft worden und die langsamen Töne eines melancholischen Liebesliedes begannen den Raum zu erfüllen. Er sah das freche Blitzen in ihren Augen, kurz bevor er seine Umgebung durch das spärliche Licht nur noch schwach wahrnahm.
Sie kehrte zurück, die Nervosität. Sie standen einfach nur da, sich in die Augen blickend, umgeben von innigen Umarmungen. Sein Verstand setzte völlig aus, obwohl er wusste, was sie bezwecken wollte, aber er war nicht im Stande sich zu regen, nicht so lange ihn diese Unsicherheit so fest im Griff hielt.
Er hörte das aufgeregte Schlagen seines Herzens in den Ohren, er fing an schwerfällig zu atmen und fühlte, dass seine Knie unsicher wurden. Sie registrierte es mit Sicherheit, doch all das hielt sie nicht davon ab, an ihn heranzutreten und ihre Arme um ihn zu legen.
Er glaubte vor Anspannung den Boden unter den Füßen zu verlieren, als er ihren Kopf an seiner Schulter spürte und sie damit die letzte Distanz zwischen ihnen überwand.
Für einen Moment wagte er es nicht einmal zu atmen. Träumte er?
Sämtliche Muskeln hatten sich in ihm angespannt und in seinen Augen zeichnete sich ein hilfloser Blick ab. Er war so lange davongelaufen, hatte sich vor dieser Wärme versteckt, die nun langsam zu ihm vordrang. Er hatte plötzlich Angst, ihr mit einer falschen Bewegung womöglich wehzutun. Diese starke Frau, zu der er immer aufgesehen hatte, wirkte auf einmal so zerbrechlich und in ihm regte sich der Drang sie zu beschützen. Vielleicht sahen die Menschen nicht, dass sie tief in ihrem Inneren ein Mädchen geblieben war, das Schutz suchte. Vielleicht sah er jetzt zum ersten Mal eine ganz andere Seite von ihr.
Seine zittrigen Hände zogen sie vorsichtig zu sich, ehe er allmählich anfing sich zur langsamen Melodie des Liedes zu bewegen. Hätte ihm vor ein paar Wochen jemand gesagt, er würde mit der Leiterin der Expedition eng umschlungen zu einem Lovesong tanzen, hätte er ihn wohl in die nächste Anstalt einweisen lassen.
Aber er stand tatsächlich hier und hielt das Mädchen in seinen Armen, das er als eine Frau kannte, die schon immer einen wichtigen Platz in seinem Leben eingenommen hatte.
Er begann seine Zurückhaltung zu verlieren, schloss die Augen, so wie sie es getan hatte. Er verlor sich in der Musik, begann, in den Moment hineinzuträumen. Er hatte so etwas noch nie getan. Es hatte noch niemanden gegeben, der ihn so weit brachte, die Realität völlig loszulassen, aber Elizabeth schaffte es. Ihre Nähe hüllte ihn ein und gab ihm eine Wärme, die er bis dahin noch nie gekannt hatte.
Er fing an sich zu wünschen, dass dieses Lied noch auf ewig so weiter ging und dieser Augenblick nie vorüber gehen sollte. Dieser Augenblick, der ihn zum glücklichsten Menschen auf Gottes weiter Welt gemacht hatte.

Das gleichmäßige Zirpen von Grillen begleitete die Beiden, als sie nebeneinander die Straße entlang liefen. Sie schwiegen, genossen die Stille der Nacht. Es gab Augenblicke, da waren keine Worte nötig.
Rodney hatten sich so viele neue Eindrücke offenbart, die er zuerst einmal verarbeiten musste und er war dankbar dafür, dass Elizabeth ihm diese Zeit gab. Dieser Abend war ganz anders verlaufen, wie es sich einst wirklich abgespielt hatte.
Allmählich hatte er das Gefühl, etwas sagen zu müssen und dennoch traute er sich nicht die Stille zu unterbrechen. Er wusste nicht recht, wie er anfangen sollte, um ihr zu verdeutlichen, wie dankbar er ihr für diesen Abend war. Er wollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, fand aber nichts, um eine gewöhnliche Konversation zu beginnen. Alles wirkte so unpassend und tollpatschig.
"Es ist ziemlich kalt geworden", stellte Elizabeth plötzlich fest, als hätte sie gespürt, dass es Zeit war das Schweigen zu brechen und nahm ihm damit die schwerste Hürde ab.
Dennoch gelang es ihm lediglich mit einem leisen "Mmhm" zu antworten, ohne dabei den Blick zu heben.
Einige Schritte lang versuchte er zu ignorieren, dass sie ihn grinsend von der Seite musterte, als warte sie auf eine bestimmte Reaktion, die Rodney aber noch nicht mal erahnen konnte. Schließlich hielt er diesem Blick nicht mehr stand und so sah er sie verwirrt an und fragte: "Was ist?"
"Du bist nicht wirklich gut in so was, oder?", kicherte sie leise.
"In was?", hakte er völlig verdattert nach.
Mussten Frauen denn immer solche zweideutigen Bemerkungen machen? Kein Wunder, dass es so viele Meinungsverschiedenheiten zwischen Mann und Frau gab, wenn nicht einmal eine gemeinsame Kommunikationsbasis bestand.
"Naja…wenn eine Frau in einem Kleid erwähnt, dass es kalt ist, dann will sie damit eine bestimmt Botschaft ausdrücken", erklärte sie, nur mühsam ein Grinsen unterdrückend.
Rodney war noch nie ein besonders geübter Frauenversteher gewesen und schon gar nicht, wenn er ohnehin schon total durch den Wind war.
Er antwortete ihr schlicht mit einem ratlosen Stirnrunzeln, worauf sie ihm ein vieldeutiges Nicken entgegnete, das ihm endlich zu verstehen gab, was sie meinte.
"Oh", stieß er aus und streifte sich dann eilig seine Jacke ab, ehe er sie behutsam über Elizabeths Schultern legte. Zum Glück war die Nacht zu dunkel, als dass sie seinen hochroten Kopf hätte sehen können, den er auf ihr lächelndes "Dankeschön" gen Boden senkte.
Sie hatte Recht, in so was war er noch nie gut gewesen, aber im Moment war er ohnehin nicht in der Lage seine Gedanken richtig zu ordnen.
Schon seit sie die Halle verlassen hatten war ein merkwürdiger Wind ihr Begleiter, der ein nahes Unwetter ankündigte. Rodney hatte bereits den einen oder anderen Tropfen auf seiner Haut gespürt, erst recht, als er keine Jacke mehr trug.
Doch völlig ohne Vorwarnung häuften sich die Tropfen plötzlich auf ein Maß, das nicht mehr zu ignorieren war und sich schließlich innerhalb von Sekunden in einen heftigen Sommerregen verwandelte.
Auf den ersten Schreck hin rannten die Beiden los, als besäßen sie die unglaubliche Fähigkeit unter den Regentropfen hindurch zu rennen, aber spätestens ab dem Moment, an dem sie durch Pfützen hüpfen mussten, wurde aus der anfänglichen Flucht plötzlich ein verrücktes Spiel.
Über ihnen schütteten die Wolken ihren gesamten Inhalt aus, während Rodney und Elizabeth nur lachend über die Straße hüpften. Sie wichen keiner Pfütze mehr aus, sprangen hinein, so dass das Wasser darin in alle Richtungen verspritzt wurde und hielten erst wieder inne, als sie klatschnass auf Elizabeths überdachter Veranda ankamen.
Noch immer lachend mussten sie erst mal Luft holen, während um sie herum der Regen weiter unbarmherzig zu Boden prasselte. Rodney konnte sich nicht erinnern in seiner Kindheit je so etwas gemacht zu haben. Er war wasserscheu gewesen und hatte sich bei jedem Tropfen sofort ein trockenes Plätzchen gesucht. Er hätte nie geahnt, was für ein befreiendes Gefühl es war den Regen zu spüren und welch ein Spaß es sein konnte, wenn man dieses Gefühl mit einem anderen Menschen teilen konnte.
Allmählich kam er wieder zu Atem und beobachtete Elizabeth, die noch immer mit den Nachwirkungen des Lachanfalls zu kämpfen hatte. Der Regen hatte ihr Outfit zweifellos ruiniert und ihre klatschnassen Haare hingen ihr wild ins Gesicht, aber trotzdem war sie noch immer der bezauberndste Mensch, den er je gesehen hatte.
Als sie seinen Blick bemerkte, wurde auch sie leiser und schaute ihn schweigend an. Soviel Stärke lag in ihren smaragdgrünen Augen und gleichzeitig eine so wunderbare Sanftmütigkeit. Dünne Tropfen lösten sich von ihren Haarsträhnen und rannen ihr lautlos über das Gesicht.
Vor ihm stand ein Mädchen, aber es hinderte ihn nicht daran, die Frau in ihr zu sehen, die sie war. Die vergangenen Tage hatten ihm etwas vor Augen geführt, was er lange nicht hatte wahrhaben wollen. Ein Gefühl, das er verdrängt hatte.
In jedem anderen Moment hätte er es wohl nie gewagt, aber auf einmal fiel alle Zurückhaltung von ihm ab. Er wollte diesen Augenblick einfach einfangen. Für die Ewigkeit.
Und so beugte er sich langsam zu ihr und küsste sie.
Es war nicht so, wie vor einigen Tagen, als ihr Kuss nur Mittel zum Zweck gewesen war. Es waren unmissverständliche Gefühle, die in diesem Moment lagen. Und alles, wofür Rodney die nötigen Worte fehlten, um es ihr zu verdeutlichen, zeigte er auf diese Weise.
Nur zögerlich rang er sich dazu durch die Berührung ihrer weichen Lippen zu beenden, aber er blieb ihr nahe genug, um ihr noch einmal tief in die Augen zu sehen.
Er erkannte, dass sie überrascht war; dass ihr jegliche Worte fehlten, aber er wollte auch nichts hören. Genauso sollte der Moment bleiben.
"Gute Nacht", sagte er schließlich leise und unterstrich dies mit einem liebevollen Lächeln. Er musste gehen, bevor ihm klar wurde, was er getan hatte; bevor womöglich Zweifel aufkamen.
Ohne ein weiteres Wort lief er ein paar Schritte rückwärts, nur, weil er seinen Blick von der völlig überrumpelten Elizabeth nicht abwenden konnte.
Dann aber drehte er sich um und sprang in den Regen hinaus.
Elizabeth stand einfach nur da und starrte ihm nach. Wie in Zeitlupe berührte sie mit zwei ihrer Finger die Lippen, als könne sie noch immer nicht glauben, was soeben passiert war. Eine einzige wortlose Geste hatte genügt, um ihr vor Augen zu führen, was er für sie fühlte. Und obwohl sie damit nie gerechnet hatte, wartete sie vergeblich darauf, dass ihr diese Tatsache unangenehm war.
Es war jedoch das Gegenteil, sie fühlte sogar so etwas wie Glückseeligkeit in sich; eine innere Ruhe, die Zufriedenheit, dass zusammenkam, was zusammengehörte.
Aber plötzlich riss sie etwas in die Realität zurück, als sie etwas bemerkte, dass nicht ihr gehörte.
"Deine Jacke!", rief sie ihm eilig nach, als gäbe es nichts Wichtigeres, um dass er sich Gedanken machen musste. Fast hätte sie bezweifelt, dass er sie noch gehört hatte, aber dann vernahm sie doch ein entferntes: "Kannst du behalten!"
Elizabeth schüttelte unmerklich den Kopf, während sie Rodney im dunklen Regenschleier der Nacht verschwinden sah. Dieser Abend hatte so vieles auf den Kopf gestellt. Etwas, womit sie überhaupt nicht gerechnet hatte.
Es passiert immer dann, wenn man es am Wenigsten erwartet, hatte ihre Großmutter immer gesagt. Meist sind es die Menschen, mit denen wir am Wenigsten gerechnet haben.
Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, während sie die Tür öffnete, um ins Innere des Hauses zu verschwinden. Ihre Großmutter war eine weise Frau gewesen.

Sie wusste, dass sie eigentlich hätte schlafen müssen, aber sie bekam einfach kein Auge zu. Immer wieder spürte sie die Müdigkeit in sich aufkommen, aber sie bekämpfte sie. Sie war viel zu aufgeregt, um jetzt zu schlafen.
Sie drehte sich im Bett hin und her, zupfte an den Ohren ihres Teddys und lauschte dem leisen Trommeln der Regentropfen vor ihrem Fenster. Wie lange dauerte das denn noch?
Endlich hörte sie das entfernte Geräusch einer Tür, die ins Schloss fiel und die leisen Schritte, die die Treppe hinaufkamen.
Innerhalb von Sekunden war Jeanie aus dem Bett gesprungen und eilte zur Tür, die sie einen Spalt weit öffnete, um nach draußen zu spähen. Im Gang brannte kein Licht. Ihr Bruder gab sich alle Mühe seine Rückkehr in aller Heimlichkeit vonstatten ziehen zu lassen, aber nicht heimlich genug, um ihr zu entgehen.
Er hatte seine Zimmertür schon fast erreicht, da bemerkte er die zwei neugierigen Augen, die ihn beobachteten. Sie wechselten einen stummen Blick, was durch die Dunkelheit gar nicht so einfach war, aber es genügte, um es Rodney zu ermöglichen die stumme Frage aus den Augen seiner Schwester herauszulesen und er antwortete ihr mit einem vieldeutigen Grinsen.
Im Laufe der Wochen, in denen er gezwungen war, wieder mit ihr unter einem Dach zu wohnen, hatte er erst recht gemerkt, was sie ihm bedeutete. Sie waren zu Verbündeten geworden.
Sie war es gewesen, die mit ihm den halben Kleiderschrank durchwühlt hatte und ihn mit Ratschlägen zugetextet hatte, damit er heute Abend auch ja keinen Fehler machte.
Er beließ es bei dieser wortlosen Antwort und verschwand in seinem Zimmer, nicht wissend, dass Jeanie hinter ihm in leisem Jubel ausbrach, ehe sie wieder in ihr Bett huschte.

*~*~*

Es war ein anderes Gefühl aufzuwachen. Es fiel ihr so schwer und alle Glieder ihres Körpers weigerten sich zu gehorchen.
Ein merkwürdiger Geruch lag in der Luft. Nicht der Flieder, der vor ihrem Zimmer blühte und dessen Duft jeden Morgen durch das offene Fenster herein zog. Kein Vogelgezwitscher, sondern merkwürdige Piepsgeräusche. Und das Licht, das sie umgab, fühlte sich zu künstlich an, als das es die Sonne hätte sein können.
"Elizabeth?"
Diese Stimme! Sie war so vertraut und doch so weit weg. Aufgeregt erkämpfte sich ihr Verstand seinen Platz zurück. Mit aller Kraft zwang sie sich die Augen zu öffnen.
Carson! Es war Carson Beckett, der neben ihr stand, umgeben von medizinischen Geräten.
Ein erleichtertes Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit, als sie die Augen aufschlug, doch sie konnte gar nicht beschreiben, wie viele Gedanken plötzlich auf einmal durch ihren Kopf schießen wollten.
"Schön, dass Sie wieder bei uns sind", stellte der Arzt zufrieden fest, ließ ihr aber geduldig Zeit, um sich zunächst ein Bild von ihrer Umgebung zu machen.
Tatsächlich! Sie war zurück auf Atlantis, zurück in der Wirklichkeit, zurück in ihrem natürlichen Körper. Noch fühlte es sich so an, als wäre eine Herde Wildpferde über sie hinweggetrampelt, aber sie vermutete, dass dies wohl die Nachwirkungen des Artefakts sein mussten.
"Was ist passiert?", brachte sie mühsam heraus und rieb sich dabei kurz über die Augen. Sie erinnerte sich noch daran, wie sie in ihrem Bett eingeschlafen war, den Kopf voller verrückter Erinnerungen an den zurückliegenden Abend. Und dann war sie wieder hier aufgewacht, wie war das möglich?
"Das Gleiche wollten wir eigentlich Sie fragen", vernahm sie eine zweite Stimme, auf der anderen Seite des Bettes. Verwirrt wandte sie sich um und erstarrte im ersten Moment.
Jimmy?! Nein verdammt, das war Sheppard!
Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass die Beiden rein äußerlich doch recht viel gemeinsam hatten.
Der Colonel sah sie fragend an, während er erklärte: "Wir haben Sie vor drei Tagen bewusstlos im Labor gefunden."
Vor drei Tagen. Dann hatte Rodney also wirklich Recht gehabt. Die Zeit war für sie wesentlich schneller vergangen, als es in der Realität der Fall war.
Plötzlich erschrak sie bei einem Gedanken und fuhr ohne Vorwarnung auf.
"Rodney!", rief sie entsetzt. "Wo ist…"
Sie führte ihren Satz nicht zu Ende, als sie erkannte, dass der Kanadier nur ein paar Schritte entfernt in einem Krankenbett lag und schlief. Medizinische Monitore überwachten seine Körperfunktionen, genau wie es bei ihr der Fall war.
"Es geht ihm gut", beruhigte Carson sie verständnisvoll und legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter, damit sie sich wieder hinlegte. Noch durfte sie sich nicht zu sehr anstrengen.
"Sein Zustand hat sich sehr verbessert. Ich bin mir sicher, dass er auch jeden Moment aufwacht."
Elizabeth befolgte seine wortlose Anweisung, aber ihr Blick löste sich nicht von Rodney. Sie konnte gar nicht sagen, wie erleichtert sie war, ihn wohlauf zu sehen, nach all ihren Befürchtungen.
Zudem brauchte sie einen Augenblick, um sich daran zu gewöhnen, nicht mehr den Jungen vor sich zu sehen.
"Zelenka hat alles getan, was ihm möglich gewesen war, aber schlussendlich konnte er nichts dagegen unternehmen, dass dem Artefakt die Energie ausgegangen ist", hörte sie Sheppard sagen.
Elizabeth kam nicht umhin zu schmunzeln. Rodneys Theorie war also aufgegangen und zum Glück hatte der Energieverlust kein böses Ende für sie genommen.
Ihre Reaktion verwirrte den Soldaten und so fragte er noch einmal: "Was genau ist da passiert?"
Elizabeth wandte sich ihm zum, doch eine Antwort gab sie ihm nicht. Es gab so vieles, was sie hätte erklären müssen, doch die Müdigkeit, die plötzlich zurückkehrte, machte ihr das sehr schwer und so warf sie ihm lediglich ein vieldeutiges Lächeln zu.
Sie hatte noch genug Zeit, die Lage zu schildern und vorher musste sie sich erst einmal darüber klar werden, wie viel sie davon überhaupt erzählen wollte.
Carson verstand offenbar ihre Situation, denn er kam ihr zu Hilfe, indem er sich an Sheppard wandte und ernst erklärte: "Ich denke, es wäre gut, wenn sie sich erst mal ausruht."
Elizabeth war ihm dankbar für diese Unterstützung, auch wenn sie Sheppards Neugier nachvollziehen konnte. Ihr würde es sicher an seiner Stelle nicht anders ergehen.
Widerwillig gab sich der Colonel geschlagen und nickte. Und dann geschah etwas, was Elizabeth zum ersten Mal aus ganz anderen Augen sah.
Sie fing sein Lächeln auf, das auf ungewohnte Weise irgendwie viel vertrauter wirkte als sonst, bis er leise bemerkte: "Kommen Sie schnell wieder auf die Beine."
Damit verließ er das Krankenzimmer.
Elizabeths Blick folgte ihm lange und nachdenklich. Nicht mehr lange, dann würde sie den Schutz des Krankenbettes verlassen müssen und dann musste sie sich einigen Tatsachen stellen, denen sie sich erst jetzt bewusst geworden war.

Rodneys Mine verfinsterte sich, ehe er sich kritisch mit dem Stift an der Schläfe kratzte. Vielleicht wäre es klüger gewesen ins Bett zu gehen. Das Artefakt musste so etwas wie eine alkoholische Wirkung haben, bei der man hinterher noch tagelang einen Kater hatte, aber er genoss es einfach, wieder seiner gewohnten Arbeit nachgehen zu können. Zudem war er um diese Zeit noch der Einzige im Labor und das bedeutete, keine nervenden Fragen, was er in den letzten Tagen erlebt hatte.
Er hatte sich noch immer nicht an seinen Bericht gesetzt, obwohl sich das bestimmt nicht vermeiden ließ. Ansonsten wusste kaum jemand bescheid. Die einzige Person, der er zur Schilderung verpflichtet war, war selbst dabei gewesen, allen Anderen verschwieg er die näheren Details.
Zuallererst musste er es selbst verarbeiten und vor allem musste er sich darüber im Klaren werden, wie er jetzt damit umgehen sollte. Noch hatte er kaum ein Wort mit ihr gewechselt, seit sie zurück waren, aber früher oder später musste er sich Klarheit verschaffen.
"Oh nein, sag jetzt nicht, du arbeitest schon wieder an diesem Ding!"
Überrascht hob Rodney den Blick und sah in Elizabeths entsetztes Gesicht, die an der offenen Labortüre stand. War das so was wie ein Dejà-vu?
Aber diesmal kam er nicht umhin zu grinsen, ehe er den Kopf schüttelte und beschwichtigend erwiderte: "Keine Sorge, dieses Ding hat überhaupt keine Energie mehr. Ich brauche es nur als Vergleichsobjekt für die Datenbank." Sichtlich erleichtert, aber noch immer argwöhnisch, kam sie näher und blieb neben dem Labortisch stehen.
"Und weißt du mehr?"
Er nickte.
"Ich habe endlich einen Eintrag gefunden. Ist eine ziemlich dramatische Geschichte. Anscheinend hat ein Antiker dieses Gerät erfunden, um für sich und der Liebe seines Lebens, mit der er in dieser Welt nicht zusammen sein konnte, eine künstliche Realität zu erschaffen, die er durch seine Erinnerungen kreierte."
Elizabeth zog in einer für sie typischen Geste eine Augenbraue hoch, während sie den unscheinbaren Kasten noch einmal musterte.
"Klingt nach einer tollen Lovestory", stellte sie wenig begeistert fest.
"Zumindest beweist es, dass wir mit unserer Vermutung Recht hatten", fuhr er ungeachtet dieser Bemerkung fort. "Es erschafft eine künstliche Realität, die durch Erinnerungen gesteuert wird. Der Grund, warum du in meinen Gedanken warst und nicht umgekehrt, lag einfach daran, dass ich das Antiker-Gen besitze und dadurch das Gerät mehr beeinflusst habe."
Elizabeth nickte, ohne ihn anzusehen. Für sie war das Erklärung genug. Sie brauchte nicht mehr darüber zu wissen, um diesen Kasten in den hintersten Winkel der Abstellkammer zu verfrachten, wo ihn niemand mehr finden würde.
Nicht, dass er besonders bedrohlich gewesen wäre! Aber er hatte einiges durcheinander gebracht, was jetzt erst noch geordnet werden musste.
Außerdem wussten sie noch immer nicht, was passiert wäre, wenn die Energie nicht ausgegangen wäre. Sie hätten noch auf Jahre dort festsitzen können.
"Rodney, da ist noch etwas, was ich dich fragen wollte", ergriff sie erneut das Wort, als er bereits wieder damit begonnen hatte in seinen Laptop zu schauen.
Verwirrt sah er auf. Ihr Tonfall ließ ihn nichts Gutes erahnen.
"Als ich dich damals gefragt habe, ob du an Sheppards Geburtstagsfeier kommst…warum hast du abgelehnt?"
Hatte er ihr das nicht schon erklärt? Aber noch bevor er eine voreilige Antwort geben konnte, kam sie ihm schnell zuvor.
"Und sag jetzt nicht, es wäre wegen dieser Boxershorts gewesen, das ist albern!"
Rodney verzog mürrisch das Gesicht. So albern war das nicht! Er wollte sie mal sehen, wenn ihr jemand einen Spinnentanga schenkte.
Dennoch seufzte er leise. Sie würde nicht fragen, wenn sie nicht bereits einen Verdacht gehabt hätte. Seit sie zurück waren, verharrten sie auf einem schmalen Grad, auf der sie weder die erlebten Ereignisse ansprachen, noch sie als unwichtig abtun konnten.
"Na schön…ich war eifersüchtig", gab er schließlich kleinlaut zu und blickte dabei stur auf den Tisch vor sich. Verdammt, seine Ohren begannen sofort wieder zu glühen! Wieso hatte er ihr das gesagt?
Er konnte ihr nicht in die Augen sehen. Was gesagt war, war gesagt und konnte nicht mehr rückgängig gemacht werden.
"Du warst eifersüchtig", wiederholte Elizabeth total baff. "…auf Sheppard?"
Alles in ihm spannte sich an. Musste sie das jetzt auch noch so betonen? Er wäre am liebsten in Grund und Boden versunken bei dem Gedanken, dass er tatsächlich das Wort eifersüchtig benutzt hatte. Eifersüchtig war man nur, wenn es tatsächlich um Gefühle ging, aber hatte er ihr das je klar gemacht?
In seiner Unbeholfenheit regte sich plötzlich Wut in ihm und er konnte nicht anders, als plötzlich aufgeregt zu entgegnen: "Jeder hier weiß doch, wie er den Frauen auf Atlantis den Kopf verdreht. Von denen da draußen auf anderen Planeten mal ganz zu schweigen. Überall ist er der gutaussehende Held, der mit seinem Charme die Herzen erobert. Glaubst du, ich merke nicht, wie er dich in letzter Zeit ansieht?"
So, jetzt war es also raus! So wenig es ihm behagte, wie sie womöglich reagieren könnte, so froh war er auch, dass er jetzt endlich ausgesprochen hatte, was sich schon so lange in ihm aufgestaut hatte. All das hätte er ihr auch schon damals erzählen können, als sie ihn zur Party mitschleppen wollte, aber erst jetzt hatte er den Mut dazu gefunden.
Es hatte ihn schon immer geärgert, wenn sich Sheppard überall als Casanova aufführte. Was hatte dieser Kerl, was er nicht hatte?
Doch wann überschritt man die Grenze zwischen bloßem Neid und wahrer Eifersucht? In dem Moment, in dem eine Frau ins Spiel kam, die ihm etwas bedeutete!
Elizabeth war sprachlos. Sie hatte noch nie erlebt, wie Rodney mit ihr so offen über diese Dinge gesprochen hatte.
Tagelang hatte sie beobachtet, wie angespannt das Verhältnis zwischen ihm und dem Colonel war, ohne, dass sie begriffen hatte wieso. Nun kannte sie den Grund und musste gestehen, dass er Recht hatte. Nicht nur, dass Sheppard eindeutig der Frauenheld schlechthin war, sondern auch, dass selbst ihr nicht entgangen war, dass er sich ihr gegenüber in letzter Zeit verändert hatte. Sein Lächeln war charmanter geworden, der Blick, mit dem er sie bedachte, tiefer und seine Bemerkungen zweideutiger. Das war ihr erst neulich so recht bewusst geworden, als sie auf der Krankenstation zu sich gekommen war, aber es war durchaus nicht von der Hand zu weisen. Dennoch brauchte es für so was immer Zwei, wenn daraus etwas entstehen sollte.
"Sheppard und ich sind gute Freunde, mehr nicht", erklärte sie schließlich ruhig und sah nur, wie Rodney mit gesenktem Kopf nickte.
Freunde, so wie wir?, schoss es ihm durch den Kopf, aber er wagte es nicht, dies auszusprechen. Diese Bemerkung sagte ihm viel mehr, als sie sicher beabsichtigt hatte.
Einst hatte es nichts gegeben, was ihm wichtiger gewesen wäre, als ihre Freundschaft. Aber inzwischen - nach allem, was sie in den letzten Tagen zusammen erlebt hatten - gab es etwas, was er sich noch viel mehr wünschte. Etwas, was er wohl nie bekommen würde.
Elizabeth beobachtete ihn lange schweigend. Sie sah es nicht gerne, wenn er so niedergeschlagen wirkte. Was sie sehen wollte war das Leuchten in seinen Augen, das Lächeln auf seinen Lippen.
Aber all das schien auf einmal wie weggewischt und sie war schuld daran. Nur, weil sie nicht den Mut fand ihm die Wahrheit zu gestehen.
"Vielleicht sollten wir aus all dem etwas lernen", brach sie endlich ihr Schweigen.
"Und was?", brummte er mürrisch, noch immer ihrem Blick ausweichend.
Elizabeth trat bis ganz an den Labortisch und stützte sich schließlich mit ihren Unterarmen darauf, um zu versuchen, ihm in die Augen zu sehen.
"Dieser Antiker hat das Gerät erschaffen, weil er hier nicht mit der Frau zusammen sein konnte, die er geliebt hat", stellte sie fest. "Aber warum hat er nicht versucht, hier um sie zu kämpfen?"
"Vielleicht weil er Angst vor den Konsequenzen hatte", antwortete er vieldeutig.
Elizabeth stutzte. Sie sah die Traurigkeit ihn seinen Augen. Der Antiker hatte sich vor den Konsequenzen seiner Gefühle gefürchtet, so wie Rodney?
Spätestens ab dem Moment, als er sie vor ihrer Tür geküsst hatte, war ihr klar geworden, was er für sie fühlte. Sie war aus allen Wolken gefallen, weil sie damit nicht gerechnet hatte, dabei hatte ein Teil von ihr längst gemerkt, dass etwas anders war. Und das nicht nur bei ihm.
"Vielleicht hat die Frau aber auch viel zu spät ihre eigenen Gefühle erkannt."
Augenblicklich sah er auf und schaute sie verblüfft an. Seine Bemerkung hatte eine versteckte Botschaft enthalten, aber die ihre auch?
Was wäre geschehen, wenn sie nicht aufgewacht wären? Wenn auch der nächste Morgen in der virtuellen Realität angebrochen wäre? Es hätte nichts gegeben, was einer Beziehung im Wege gestanden hätte. Und jetzt?
Zum ersten Mal wünschte er sich zurück. Alles hätte er in Kauf genommen, wenn sie ihm dafür ihr Herz schenkte.
Er wollte etwas erwidern, aber er konnte nicht. Alles war wie weggeblasen. Er konnte nur stumm in ihre Augen sehen, in diese Sanftmütigkeit, die ihm immer so viel Wärme gegeben hatte.
Und plötzlich veränderte sich alles.
Lange hatte sie seinen Blick erwidert, bis sie endlich alle Sorge abwarf, sich zu ihm beugte und ihn küsste.
Sie wollte ihm das zurückgeben, was er ihr an jenem Abend geschenkt hatte. Er hatte sie wachgerüttelt und gleichzeitig in einen Traum entführt. In seinen Traum.
Was kümmerte es sie, was Andere dachten? Sie hatte sich auch nicht darum geschert, was all die eingebildeten Barbiepuppen gedacht hatten oder Jimmy und seine hirnlosen Wachhunde.
Ja, sie liebte Rodney, den Mann, der sich heimlich still und leise in ihr Herz geschlichen hatte.
Als sie sich wieder von ihm löste kam sie nicht umhin zu grinsen, als sie seinen völlig verdatterten Gesichtsausdruck erkannte. Es war offensichtlich, dass er damit nicht gerechnet hatte.
"Aber…Sheppard…", stammelte er unbeholfen.
"Vergiss Sheppard!", unterbrach sie ihn mit einem vieldeutigen Schmunzeln, ehe sie ihn von jeglicher weiteren Bemerkung abhielt, indem sie ihm einen weiteren Kuss gab, den er sofort erwiderte.
Für einen kurzen Moment musste er an Jimmy denken und an die Tatsache, dass auch ein Geek den Sunnyboy schlagen konnte. Dies war der Beginn einer neuen Welt, einem weiteren Kapitel seines Lebens. Es war eine Welt, die ihn zum glücklichsten Menschen im Universum machte.

ENDE
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