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Die Schwester meines besten Freundes von Jolli

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Vorwort

Short-Cut: Trotz aller Bemühungen kann Carson seine Gefühle für Jeannie nicht leugnen, doch er weiß auch, dass ihr Herz längst einem anderen gehört. Bis etwas Unvorhergesehenes passiert…
Spoiler: 3. Staffel
Charaktere: Jeannie/Beckett, Jeannie/Ford, Multi-Charakter
Kategorie: Friendship, Romance
Rating: R-16
Author's Note: Wie auch bei anderen FFs, die ich schon geschrieben hab, geht die Ausgangssituation von den Gegebenheiten aus New Hope aus.
Disclaimer: Stargate Atlantis und alle vorkommenden Charakter sind Eigentum von MGM Television Entertainment.
Feedback: Gerne - Jolli

Die Schwester meines besten Freundes


Leiser Regen prasselte gegen die Scheibe. In gleichmäßigen Abständen trommelten die Tropfen einen sanften Rhythmus, ehe sie lautlos ihre Bahnen nach unten zogen. Durch ihren Schleier hindurch konnte man den von grauen Wolken verhangenen Himmel erkennen, der sich über den aufgewühlten Ozean spannte.
Kleine Unwetter waren keine Seltenheit und im Inneren der Stadt bekam man davon meistens nicht viel mit, wenn man nicht gerade aus dem Fenster schaute.
Auch Carson Beckett widmete nicht viel seiner Aufmerksamkeit dem trüben Wetter. Er konzentrierte sich - oder versuchte es zumindest - auf eine der unzähligen Personalakten, die man ihm in die Hand gedrückt hatte. Seit die Verbindung zur Erde wieder bestand und die Expedition immer weiter wuchs, war es auch dringend nötig, das medizinische Personal aufzustocken. Aber das war alles andere als einfach. Alle vorgeschlagenen Personen waren exzellent in ihrem Beruf und machten es so praktisch unmöglich, eine Auswahl unter ihnen zu treffen.
Seine Hand griff zur Kaffeetasse, die auf dem Tisch stand. Er versuchte den Blick nicht von der Akte abzuwenden, als er einen Schluck trank. Doch es gelang ihm nicht.
Durch das leise Stimmengewirr und das Klappern von Geschirr, welches die Cafeteria erfüllte, hob sich ein Lachen ab, das sofort seine Aufmerksamkeit forderte.
Langsam hob Carson den Blick und ließ die Tasse sinken. Er wollte es nicht. Wie oft hatte er sich schon ermahnt, nicht zu ihr hinüber zu sehen? Aber so sehr er auch mit sich kämpfte, er schaffte es nicht.
Es war ihm nicht möglich, ein Wort von dem zu verstehen, was sie sagte. Aber das brauchte er auch nicht. Es genügte ihm ihr helles Lachen zu hören und das Strahlen in ihren tiefblauen Augen zu sehen. Zugegeben, sie saß zu weit weg, um ihm wirklich einen Blick in ihre Augen zu ermöglichen, aber er begnügte sich mit Erinnerungen.
Damals, als sie ihm zum ersten Mal gegenüber gestanden und ihn sofort mit ihrem schüchternen Lächeln in ihren Bann gezogen hatte. Und schon dort hätte ihm klar sein müssen, dass er sich keine falschen Hoffnungen machen brauchte. Er hatte ihn verpasst, den ersten alles entscheidenden Moment und jemand anderes war ihm zuvor gekommen.
Ohne jede Vorwarnung schob sich ihm eine weitere Person ins Blickfeld und ließ sich mit einem gebrummten "Hey, Carson" an seinem Tisch nieder.
Der Schotte war nicht sicher, ob er vielleicht sogar schon froh über dieser Störung war und entgegnete somit leise: "Guten Morgen, Rodney."
Schweigend verfolgte Carson, wie sich der Kanadier seinem Wackelpudding widmete und sofort damit begann, seinem Frust über ein paar Kollegen freien Lauf zu lassen. Es dauerte nur einen kurzen Moment, ehe Carsons Aufmerksamkeit abdriftete.
Im Laufe der Zeit hatte er gelernt, dass man Rodney am besten einfach reden ließ. Normalerweise störte es ihn auch nicht. Als Arzt war er es gewohnt anderen Menschen zuzuhören. Hinzu kam, dass Rodney eigentlich schon sehr lange sein Freund war. Eigentlich sogar sein bester. Natürlich gab es auch Momente, in denen er dem Kanadier am liebsten den Hals umgedreht hätte. Aber der Grund warum sie sich so gut verstanden, war vermutlich Carsons schier unerschöpfliche Geduld. Sie stand im krassen Gegensatz zu Rodneys oft sehr forschen Art. Doch der Schotte hatte längst erkannt, dass auch ein anderer Mensch in McKay stecken konnte.
Es hatte Nächte gegeben, da war er wach im Bett gelegen und hatte überlegt, ob er es ihm sagen sollte. Zu lange schon fraß er alles in sich hinein und Rodney war ein Freund, dem er vertrauen konnte. Aber in diesem Fall war es einfach zu schwer.
"Carson?"
Es dauerte einen Augenblick, bis ihm klar wurde, dass er angesprochen worden war.
"Hey, Carson!"
Rodney schnippte ungeduldig mit den Fingern vor seiner Nase herum, wodurch er endlich wieder in die Realität zurückkehrte. Ihm war gar nicht aufgefallen, wie tief er in Gedanken versunken gewesen war.
McKay ließ seine Hand sinken und musterte ihn kritisch.
"Hast du mir überhaupt zugehört?", fragte er mürrisch.
"Ja, es ist nicht zu fassen, dass Dr. Biro fast einen Generator zur Explosion gebracht hat, nur weil er nicht richtig gelesen hat", entgegnete Carson wie aus der Pistole geschossen. Zum Glück hatten sich Rodneys Worte völlig unbewusst in seinem Gedächtnis abgespeichert. Der Astrophysiker hasste es, wenn man ihm nicht zuhörte und Carson ließ sich ungern dabei erwischen.
Dennoch blieb der Gesichtsausdruck seines Gegenübers argwöhnisch.
"Kann es sein, dass du heute ein kleinwenig durch den Wind bist?"
Carson wandte eilig seinen Blick ab, um zu verstecken, dass er sich ertappt fühlte. Das war ganz und gar nicht der richtige Zeitpunkt, um über dieses Thema zu sprechen und so suchte er nervös nach einem Weg abzulenken.
"Ich arbeite mich nun schon den ganzen Morgen durch diese Personalakten", wich er aus und deutete auf den Stapel neben sich.
"Ja, ich weiß, das ist furchtbar", grummelte der Kanadier mit Blick auf die Akten. Gott sei Dank, er schien den Köder geschluckt zu haben.
Aber das Schicksal meinte es an diesem Tag nicht gut mit Carson. Nur für einen kurzen Moment huschten seine Augen wieder zum anderen Tisch hinüber, so als ob ein unsichtbarer Magnet ihn anziehen würde. Doch es war der falsche Augenblick.
Carson spürte einen leichten Stich in seiner Brust, als er mitverfolgte, wie sie eng umschlungen den anderen Mann küsste. Unmerklich verkrampften sich seine Finger um den Henkel seiner Kaffeetasse. Er sah es nicht zum ersten Mal, aber es löste heute mehr denn je ein beklemmendes Gefühl bei ihm aus.
Rodney entging der entsetzte Blick des Schotten natürlich nicht und so wandte er sich verdutzt um, um zu sehen, was sich dort abspielte.
"Das darf ja wohl nicht…", begann er, nicht minder geschockt, doch sicher aus einem anderen Grund. Sein Gesicht hatte schon fast einen gequälten Ausdruck, als er sich wieder Carson zuwandte und zähneknirschend hinzufügte: "Können die das nicht woanders machen?"
Carson gelang es endlich seinen Blick abzuwenden und er senkte betrübt den Kopf.
In dieser Hinsicht war er mit Rodney einer Meinung. Selbst der Astrophysiker hatte durch seine Zeit hier auf Atlantis ein gewisses Maß an Toleranz angenommen.
Aber nicht, wenn es um seine Schwester ging.
Fast zwei Monate war es nun schon her - Carson hatte sich den Tag gemerkt, denn seither plagten ihn die vielen schlaflosen Nächte - dass die Daedalus mit ihr eingetroffen war.
Jeannie McKay, eine junge aufgeweckte Wissenschaftlerin, die sich in vieler Hinsicht von ihrem Bruder unterschied.
Sie war ein Mensch, den man praktisch vom ersten Augenblick an gern haben musste. In ihren strahlend blauen Augen, die die Verwandtschaft mit Rodney unverkennbar machten, lag stets ein vorwitziges und gleichzeitig geheimnisvolles Leuchten, das Carson sofort fasziniert hatte.
Jeder hier in Atlantis mochte sie und es war ihr nicht schwer gefallen Freunde zu finden. Einen Menschen jedoch hatte sie ganz besonders in ihr Herz geschlossen: Aiden Ford.
Wie sich die beiden zum ersten Mal begegnet waren, wusste Carson nicht. Tatsache war, dass sich Aidens jugendhafte Art und sein wagemutiger Charme hervorragend mit Jeannies Talent, Männer um den kleinen Finger zu wickeln, ergänzt hatten. Heraus kam dabei das Traumpaar von Atlantis.
"Ich habe ihr schon hundert Mal gesagt, sie soll sich nicht so aufführen", schimpfte Rodney in seinen Wackelpudding hinein.
Wäre die Situation anders gewesen, hätte Carson schmunzeln können. Der Kanadier hatte sich einst um niemanden gekümmert, außer um sich selbst. Aber Jeannie ließ er nie aus den Augen. Die Beziehung zu Aiden hatte sich allerdings zu schnell entwickelt, als dass er sie hätte verhindern können. Aber es war offensichtlich, dass er nicht damit einverstanden war.
"Sie ist kein Kind mehr, Rodney", wies Carson ihn leise darauf hin.
Er staunte über sich selbst. Er war doch tatsächlich dabei, die beiden zu verteidigen, obwohl er selbst gerne die Zeit zurückgedreht hätte, um es anders machen zu können. Aber so war er nun mal. Es lag ihm fern die Beziehung anderer Menschen anzuzweifeln, oder gar ihr Glück zerstören zu wollen. Es tat ihm sogar gut, gegenüber Rodney die Stimme der Vernunft zu spielen, da es ihm half die Dinge so zu akzeptieren, wie sie nun mal waren.
"Trotzdem braucht sie sich nicht so aufzuführen, wie ein verknallter Teenager", fauchte Rodney mit vollem Mund. Je mehr er sich in seinen Ärger hineinsteigerte, desto schneller schaufelte er die vollgeladenen Löffel Wackelpudding in sich hinein. "Schon gar nicht mit diesem Kerl!"
Carson schaute ihn verdutzt an. Plötzlich war er sich nicht mehr so sicher, ob es seinem Gegenüber einfach nur darum ging, dass seine Schwester einen Freund hatte oder ob ihm tatsächlich die Tatsache zu schaffen machte, wer ihr Freund war.
"Was hast du gegen Ford? Ich dachte ihr wärt Freunde", bemerkte er überrascht.
Fast zwei Jahre lang gehörten die beiden nun schon zu einem Team. Dass sie sich ab und zu zankten war nichts Ungewöhnliches. Gab es überhaupt jemand in Atlantis, mit dem sich McKay noch nicht in die Wolle gekommen war?
Aber sie waren ein Team. Sie standen gefährliche Missionen gemeinsam durch. Carson bezweifelte, dass er wirklich etwas gegen den jungen Soldaten hatte und Rodneys Antwort bestätigte seinen Verdacht.
"Nicht, wenn es um Jeannie geht", wies er den Schotten hin und fuchtelte dabei aufgeregt mit seinem Löffel herum. "Du kennst doch diese Air Force Typen. Sie kommen daher, wickeln die Frauen mit ihre charmanten Lächeln und ihrem Heldenmut ein, ziehen sie ins Bett und lassen sie dann eiskalt fallen. Und so was hat sie nicht verdient."
Carson schaute ihn verblüfft an. Es war kaum zu fassen, welche Seite in Rodney zum Vorschein kam, seit Jeannie hier war. Dass er sich wirklich so um seine kleine Schwester sorgte, hätte man ihm gar nicht zugetraut.
"Marines", entgegnete ihm der Schotte schließlich mit Blick auf die Akte vor sich.
"Was?"
Carson sah wieder auf.
"Ford gehört nicht zur Air Force, sondern zu den Marines."
"Ach, das ist doch alles sowieso dasselbe", knurrte McKay und manschte grimmig in seinem Pudding herum.
Carson musste grinsen. Rodney hasste es, wenn man ihn verbesserte. Noch dazu, wenn es um solche Haarspaltereien ging. Aber ihm war längst klar geworden, warum der Kanadier plötzlich so gereizt war.
"Weißt du, was ich glaube?", fragte Carson deshalb neckisch. Rodney sah ihn verwundert an. "Es geht dir gar nicht um Ford. Du bist einfach nur eifersüchtig."
Er selbst hatte keine Geschwister, aber er hörte es nicht zum ersten Mal, dass so etwas vorkam, vor allem bei älteren Brüdern. Und die Art wie Rodney beleidigt die Mine verzog und dabei mit seinem Löffel sein Frühstück erstach, bewies nur, dass er direkt ins Schwarze getroffen hatte.
"Blödsinn!", erwiderte Rodney eingeschnappt und wandte sich mit gereiztem Blick ab. Vermutlich wollte er versuchen den Beleidigten zu spielen, aber er hielt es nicht lange aus. Schon nach wenigen Sekunden sah er wieder auf und fuhr aufgeregt fort: "Aber eines sage ich dir…das klingt jetzt zwar sicher uncharakteristisch poetisch von mir, aber…ich werde jedem das Leben zur Hölle machen, der es wagt ihr weh zu tun. Und das gilt für jeden hier! Auch für Ford, auch für Sheppard und auch für dich!"
Beinahe hätte Carson vor Schreck seine Tasse fallen lassen. Er konnte nicht verhindern, plötzlich kreidebleich zu werden.
Warum kam er in dieser Aufzählung vor? Ahnte Rodney etwa irgendetwas? Das war der Grund, weshalb er es nicht wagte mit ihm darüber zu reden. So gute Freunde sie auch waren, Rodney würde ihn genauso wenig als Jeannies Freund akzeptieren wie Ford. Was, wenn ihre Freundschaft genau aus diesem Grund kaputt gehen würde?
"Ich…ich muss los", brachte er schließlich heraus, wissend, dass sein Verhalten nur noch mehr Misstrauen erwecken würde.
Rodney beobachtete völlig verdattert, wie der Schotte eilig seine Akten zusammenkramte. "Das…das sollte doch nur ein Beispiel sein", murmelte er überrascht. Er schien tatsächlich nicht zu verstehen, was plötzlich in ihn gefahren war und das beruhigte Carson zumindest ein wenig. Trotzdem spürte er auf einmal ein unangenehmes Gefühl von Übelkeit in sich.
"Nein, das hat nichts damit zu tun", log er. "Ich…ich hab einfach noch eine Menge Arbeit vor mir."
Endlich hatte er alles zusammengepackt und war bereit zu verschwinden.
"Alles in Ordnung?", fragte Rodney noch immer irritiert.
Carson zwang sich zu einem Lächeln. "Ja, sicher. Wir sehn uns."
Damit wandte er sich um und hastete Richtung Tür. Er wusste, dass er völlig falsch reagiert hatte, aber es war ihm einfach nicht gelungen darüber hinwegzusehen. Er wollte nur noch raus, ohne auf etwas um sich herum zu achten. Auch einen Blick zu Jeannie riskierte er nicht mehr.

Arzt zu sein verlangte mehr, als nur Begriffe auswendig zu lernen und um den richtigen Umgang mit medizinischen Geräten Bescheid zu wissen. Carson war Arzt geworden, weil er den Menschen helfen wollte. Ein Lächeln im Gesicht seines Patienten war ihm mehr wert, als jede wissenschaftliche Erkenntnis.
Es änderte jedoch nichts daran, dass auch er sich oft mit langwierigem Papierkram herumschlagen musste. Er hatte sich extra einen kleinen Nebenraum ausgesucht, der sein ganz persönliches Büro geworden war. Hier stapelten sich Krankenakten und reihten sich Reagenzglasproben. Es war nicht wirklich ein Ort, an dem er völlig ungestört war, denn er verfügte über keine Tür und war unmittelbar mit dem nächsten Krankenzimmer verbunden, damit er jederzeit an Ort und Stelle sein konnte. Wirklich arbeiten konnte er dort nur, wenn ruhigere Zeiten auf der Krankenstation herrschten. So wie im Moment.
Die meisten seiner Kollegen hatten sich eine Mittagspause geleistet. Nur ein paar Schwestern huschten herum, um die vereinzelten Patienten im Auge zu behalten, deren Verletzungen nur von harmloser Natur waren. Es würde ein ruhiger Tag werden, so hoffte Carson und so kritzelte er ein paar Notizen an den Rand seines Berichts, den er kürzlich verfasst hatte.
Erst ein zaghaftes Klopfen ließ ihn aufhorchen. Verwundert hielt er inne und wandte sich um. Augenblicklich merkte er, wie sich sein Puls beschleunigte.
"Stör ich?", erkundigte sich Jeannie vorsichtig und schaute ihn fragend an. Carson war sofort bereit, alles stehen und liegen zu lassen. Es kam nicht oft vor, dass er sie hier zu sehen bekam, was ja eigentlich ein gutes Zeichen war, denn normalerweise kamen die Leute hierher, wenn ihnen etwas fehlte.
Lächelnd schüttelte er den Kopf, während er sich in Gedanken ganz automatisch die Frage stellte, ob mit ihr alles in Ordnung war.
"Wie kann ich Ihnen helfen?", fragte er höflich, während er sich von seinem Stuhl erhob. Vielleicht ging es auch um eine Fachfrage. Im entfernten Sinn waren sie Kollegen. Er beschäftigte sich mit den Menschen und sie mit den Tieren. Gut, eigentlich war ihr Spezialgebiet die Verhaltensforschung, aber im Grunde waren sie beide Biologen.
"Ich wollte nur wissen, ob die Ergebnisse schon fertig sind", erklärte Jeannie mit einem bezaubernden Lächeln.
Natürlich! Wie hatte er das vergessen können? Er hatte sie auf das ATA Gen getestet und jetzt wollte sie wissen, was dabei herausgekommen war.
"Richtig!"
Carson fuhr herum und suchte eilig nach der Akte. In seiner Nervosität fand er sie nicht sofort und er spürte Jeannies Grinsen im Genick. Zum Glück wurde er schließlich doch noch fündig und so wandte er sich ihr wieder zu, mit Blick in die Akte vergraben, um zu verhindern, dass er zu allem Überfluss auch noch rot wurde.
"Es ist leider negativ. Aber das war zu erwarten."
Er wagte es aufzusehen, weil er merkte, wie sie den Blick gesenkt hatte. Sie wirkte enttäuscht, als sie nickte. Aber glücklicherweise gab es eine Lösung und ihr schien dies ebenfalls klar zu werden, denn sie schaute ihn wieder an und fragte: "Und nun schlagen Sie die Gen-Therapie vor?"
Carson nickte und verfolgte zufrieden, wie sich ihre Mine wieder aufhellte. Es gefiel ihm um einiges besser, wenn sie lächelte.
"Und wann?"
"Wenn Sie wollen, jetzt gleich."
Jeannie war sofort einverstanden. Innerlich musste Carson schmunzeln. In dieser Hinsicht war sie genauso wie ihr Bruder. Auch Rodney war total versessen darauf gewesen, endlich das Gen zu bekommen.
"Setzen Sie sich einfach auf die Liege und machen Sie sich frei!", forderte er sie auf, hielt dann aber erschrocken inne.
Jeannie, die bereits dem ersten Teil der Anweisung nachgekommen war, schaute ihn verwirrt an, weshalb er sich hastig korrigierte: "…den Arm! Ich meinte…machen Sie den Arm frei."
Diesmal spürte er ganz deutlich, wie sein Gesicht rot anlief und er versteckte es, indem er ihr eilig den Rücken zuwandte, um die Spritze vorzubereiten. Er glaubte vor seinem inneren Auge zu sehen, wie Jeannie nur mühsam ein Lachen unterdrücken konnte. Warum stellte er sich heute nur so an? Einfach die Nerven bewahren!
Er holte nochmal tief Luft, ehe er sich ihr wieder zuwandte. Er musste sich jetzt konzentrieren. Er nahm einen Stuhl und setzte sich ihr gegenüber, ehe er den Klemmgurt nahm und ihn ihr um den Arm schnallte.
"Das piekst jetzt ein bisschen", warnte er sie leise, obwohl er wusste, dass er sich diesen Kommentar hätte sparen können. Das es piekste war ja klar und sie war kein Kind mehr, das man vor der Spritze beruhigen musste. Carson war ohnehin stolz, von sich behaupten zu können, dass man seine Spritzen kaum spürte. Nachdem er den Gurt wieder entfernt hatte und nun die Nadel einstach, zuckte Jeannie kurz zusammen, aber sie sagte nichts.
"Wie gut stehen die Chancen, dass es funktioniert?", wollte sie schließlich wissen.
"Nun der Erfolg liegt bei 48%", antwortete er ihr wahrheitsgemäß. "Aber da es bei Rodney funktioniert hat, sieht es nicht schlecht aus."
Sie nickte nur wortlos, während sie nachdenklich die Flüssigkeit in der Spritze beobachtete, die langsam weniger wurde.
Carsons medizinisch fachmännischer Blick wurde kritisch.
"Alles in Ordnung?", erkundigte er sich.
Er hatte auch schon erlebt, dass die Leute durch die Spritze umgekippt waren. Aber Jeannie machte nicht den Eindruck, als ginge es ihr in irgendeiner Weise schlecht, als sie ihn wieder ansah und lächelte.
"Jaja, alles bestens, Doktor."
Carson atmete unmerklich auf und zog dann vorsichtig die Nadel aus der Vene, während er entgegnete: "Ich glaube, ich habe Ihnen schon mal angeboten, mich Carson zu nennen."
Jeannie kicherte leicht verlegen, ohne darauf zu achten, wie der Schotte einen Wattepad auf die Einstichstelle drückte.
"Das liegt sicher daran, dass ich als Kind immer Angst vor Männern in weißen Kitteln hatte", erklärte sie grinsend.
"Oh, ich hoffe, das hat sich inzwischen geändert. Oder mache ich Ihnen etwa auch Angst?" Er schaute sie mit einem Unschuldsblick an, was sie umgehend zum Lachen brachte.
Das waren die Momente, die Carson gerne in Erinnerung behielt. Es waren meist nur kurze Augenblicke, aber sie gehörten allein ihm und Jeannie.
"In spätestens einer Stunde müsste sich herausstellen, ob es funktioniert hat", erklärte er weiter, während er ein Pflaster auf ihre Haut klebte. "Seien Sie am Anfang aber bitte noch vorsichtig." Jeannies Grinsen wurde noch einen Tick breiter, als sie lässig von der Liege rutschte und sich wieder ihre Uniformjacke anzog.
"Ich weiß schon, keine fremden Antiker-Artefakte anfassen, solange ich nicht weiß, wozu sie gut sind", entgegnete sie amüsiert, was auch Carson zum Schmunzeln brachte.
Jeder hier in Atlantis kannte die Geschichte, wie Rodney kurz nachdem er das ATA Gen bekommen hatte, sofort ein Antiker-Schutzschild aktiviert hatte und dann nicht mehr wusste, wie man es abschaltete. Aufgewecktheit und Tatendrang mochte zweifellos bei den McKay-Geschwistern in den Genen liegen, dennoch handelte Jeannie meist besonnener, als ihr Bruder. Carson hatte keine Bedenken, dass sie mit ihren neuen Fähigkeiten irgendwelchen Unsinn anstellen könnte.
"Ich werde mich melden", meinte sie schließlich und als sie sich Richtung Tür bewegte, legte sie einen Moment lang ihre Hand auf seinen Oberarm. Carson glaubte, dass sein Blut zu Eis gefrieren würde. Dieses Strahlen, das in ihren Augen lag, als sie sich verabschiedete und diese kurzen Sekunden, in denen sie ihn berührte, ließen ihn vollkommen erstarren. Es war einer jener Momente, in denen er sich wünschte, es ihr einfach sagen zu können. Aber das würde wohl nie der Fall sein.
Gedankenverloren beachtete er, wie sie die Krankenstation verließ, ohne sich nochmal umzudrehen.

Es passierte immer dann, wenn man es am wenigsten erwartete. Und vor allem dann, wenn man es am wenigsten gebrauchen konnte. So sehr er es hasste, sich über seine unfähigen Kollegen zu ärgern, er hätte sich lieber damit beschäftigt, weiter in den Laptop zu starren und vor sich hinzufluchen.
Cintlay hatte ihn gerufen. Einer der wenigen, der seinen Job im Kontrollraum einigermaßen gut machte. Es gab Probleme mit einem Diagnoseprogramm. Als ob er nichts Besseres zu tun hatte!
Aber Rodney sah sich das besser selbst an, bevor es jemand anderes nur noch schlimmer machte. Erst der Alarm hatte den Kanadier bei seiner Arbeit unterbrochen.
"Unangekündigte Aktivierung von Außen!", meldete Cintlay diensteifrig. Sofort befanden sich alle in heller Aufregung. Elizabeth Weir war aus ihrem Büro herausgeeilt gekommen. Soldaten nahmen sofort Verteidigungsposition im Gateraum ein. Das vertraute Geräusch des sich aktivierenden Schutzschildes drang Rodney ins Ohr.
Vor Überraschung war ihm nicht mehr gelungen, als sich langsam von seinem Platz zu erheben, während Cintlay Elizabeth mitteilte, dass es Major Lornes Identifikationscode eingegangen war.
Kein gutes Zeichen! Das Team hätte erst in fünf Stunden zurückkehren sollen.
Damit nicht genug. Lornes Team war nicht allein zu den Wetribanern aufgebrochen. Das Volk hatte sich erst vor kurzem nach einer Flucht vor einer herannahenden Sturmflut in einer neuen Welt angesiedelt. Und nun hätten die letzten Aufbauarbeiten mit Hilfe der Expedition durchgeführt werden müssen. Nichts, was das Interesse eines Astrophysikers geweckt hätte und Sheppard lag mit einer schweren Erkältung in seinem Quartier. So hatten sich nur Ford und Teyla der Mission angeschlossen. Die Tatsache, dass sie jetzt weit früher als geplant zurückkehrten, ließ Böses erahnen.
Cintlay deaktivierte auf Weirs Befehl hin das Schild. Es dauerte keine zehn Sekunden, ehe die ersten Teammitglieder in den Torraum gestürmt kamen.
Rodney folgte ehe unbewusst Elizabeth, die besorgt die Stufen hinabgeeilt war.
"Was ist passiert?", wollte sie umgehend wissen, als Lorne aus dem Ereignishorizont herausgesprungen kam.
"Die Wraith!", keuchte der Major, während er sich umdrehte, um sich zu vergewissern, dass die anderen ihm folgten. "Sie sind plötzlich aufgetaucht. Wir hatten keine Chance!"
Nervös beobachtete Rodney wie Teyla auftauchte und den verletzten Sgt. Grandy stützte. Am Rande registrierte er, wie Elizabeth ein medizinisches Team anforderte, doch dann geschah etwas, was den Kanadier erstarren ließ.
Das Sternentor schaltete sich ab. Ohne es selbst sehen zu können, spürte Rodney, dass er kreidebleich wurde. Seine Augen blieben noch einen Augenblick am deaktivierten Tor hängen, ehe sie unruhig hin und her wanderten. Ihm war längst bewusst geworden, dass das Team nicht vollständig war. Aber Elizabeth war diejenige, die es aussprach.
"Wo sind Capt. Miller und Lt. Ford?"
Schweigen.
Rodney erkannte die vielsagenden Blicke, die sie untereinander wechselten. Teyla schloss einen Moment die Augen, ehe sie mit ernstem Blick aufsah.
"Die Wraiths haben sie geholt."
Einen Moment herrschte erdrückende Stille. Rodney glaubte ein entferntes Pochen zu hören, bis ihm klar war, dass es sein eigener Herzschlag war. Die Wraith haben sie geholt. Diese Worte hallten in seinem Kopf immer und immer wieder.
"Nein!"
Der Schrei war wie ein Donnerhall in dieser Stille. Rodneys Verstand arbeitete viel zu langsam, aber er erkannte die Stimme dennoch, noch bevor er erschrocken herumwirbelte.
Ihr Gesicht war totenbleich, das konnte er selbst aus dieser Entfernung erkennen. Die Hände um das Geländer verkrampft, der Schrecken war ihr deutlich anzusehen.
"Jeannie…" Er brachte nicht mehr als ein Flüstern zustande, aber er reagierte sofort. Ohne weiter zu zögern rannte er so schnell er konnte die Stufen nach oben. Doch er kam zu spät. Noch ehe er den Kontrollraum erreichen konnte, musste er hilflos zusehen, wie seine Schwester ohnmächtig zu Boden sank.

Viele waren der Ansicht, ein solcher Blick war kritisch, ja fast schon besorgt. Carson selbst betonte strikt, dass dieser Blick nur zeigte, dass er sich konzentrieren musste. Und gerade in diesem Moment musste er sich stark zur Konzentration ermahnen.
Die Augen in die Untersuchungsergebnisse vertieft betrat er das Zimmer und seufzte leise. Nüchtern die medizinischen Daten betrachtend, musste er sich eigentlich keine Sorgen machen. Doch genau in diesem Fall konnte er nicht einfach nur die Fakten sehen.
Er klappte die Akte zu und sah auf. Er musste jetzt seinen Job machen, daran führte kein Weg vorbei. Einen Moment lang betrachtete er stumm die Situation.
Es war drückend still. Nur das leise Piepsen medizinischer Geräte erfüllte den Raum.
Jeannie so regungslos im Bett liegen zu sehen, machte den Schotten fast wahnsinnig. Aber er durfte es nicht zeigen. Jede Reaktion, die deutlich machte, wie nahe ihm die Sache wirklich ging, hätte ihn verraten.
Vielleicht war das der Grund, weshalb er Rodney fast schon beneidete. Der Kanadier stand schweigend neben dem Krankenbett. Seine Augen spiegelten die Sorge um seine Schwester wieder.
Vorsichtig kam Carson näher, ohne dass sein Freund Notiz davon nahm. Es gab nicht viele, die diese Seite an McKay kannten. Es war Rodneys Art seine eigene Schwäche zu verbergen, indem er sich hinter einer Mauer von Arroganz und Egoismus versteckte. Es war viel Geduld und Verständnis nötig, um durch diese Barriere durchzudringen.
Rodney scheute sich stets davor Mitgefühl zu zeigen, aber es gab Menschen, denen er so weit vertraute, dass er ihnen gegenüber dieses Versteckspiel aufgegeben hatte.
Seine Schwester zählte zweifellos dazu. Und Carson war stolz von sich behaupten zu können, dass er als sein bester Freund den wahren Kern des Astrophysikers kannte.
Es dauerte eine Weile, bis Rodney realisierte, dass Carson neben ihn getreten war. Im Moment hatte der Schotte das Gefühl, als sei Jeannie nicht die einzige, um die er sich Sorgen machen musste.
Rodneys Blick war fast schon hilfesuchend, als er sich ihm wie in Zeitlupe zuwandte. Es war der Schock, der ihm unmissverständlich ins Gesicht geschrieben stand. In den letzten Stunden war zu viel passiert, als dass es selbst an McKay spurlos vorübergegangen wäre.
"Sie hatte einen Nervenzusammenbruch", erklärte Carson sachlich. Aber er merkte, dass sich Rodney momentan wenig aus medizinischen Fachausdrücken machte.
"Keine Angst, sie wird schon wieder."
Rodney nickte stumm. Sein Blick wanderte zurück zu Jeannie und Carson beobachtete überrascht, wie er vorsichtig seine Hand auf die seiner Schwester legte.
Wie sehr wünschte sich Carson ebenso seine wahren Gefühle für sie zeigen zu können. Doch es war sicher nicht allein die Sorge um Jeannie, die Rodney zu schaffen machte.
"Es tut mir leid, was ist Ford passiert ist", sagte Carson leise. Es spielte keine Rolle, ob es Differenzen wegen der Beziehung mit Jeannie gegeben hatte oder ob die alte Konfrontation zwischen Militär und Wissenschaft aufgeflammt war; Rodney und Aiden waren Freunde gewesen. Sie hatten zum selben Team gehört und viele Gefahren gemeinsam durchgestanden. Carson wusste selbst, wie es war, Freunde zu verlieren.
Rodney schwieg, auch als ihm Carson eine Hand auf die Schulter legte. Seine einzige Reaktion war für einen Moment die Augen zu schließen.
"Wenn du jemanden zum Reden brauchst…"
"Schon gut!"
Rodneys plötzlicher Einwand ließ den Schotten verstummen. Es war zu erwarten gewesen. So sehr sich Carson auch bemühte ihm ein Vertrauter zu sein, Rodney bewältigte seine Sorgen lieber allein.
"Sag mir bitte Bescheid, wenn sie aufwacht", wies er Carson an, worauf dieser ein verständnisvolles "Natürlich" erwiderte. Mehr brachte der Astrophysiker im Moment nicht heraus. Er wandte sich ohne ein weiteres Wort um und marschierte Richtung Tür.
Carson schaute ihm hinterher, bis er im Gang verschwunden war. Er wusste, dass sich Rodney jetzt nur wieder in seine Arbeit vergraben würde. Es war seine Methode, um mit den Problemen fertig zu werden.
Der Schotte seufzte leise und wandte sich dann wieder Jeannie zu. Erneut beschlich ihn dieses grauenhafte Gefühl, wenn er sie so daliegen sah. Er kam sich so machtlos vor. Einige Zeit stand er einfach nur da, völlig in Gedanken versunken.
Er hörte und sah niemanden sonst. Keiner seiner Kollegen oder eine Schwester schien in der Nähe zu sein. Vielleicht war das der Grund, weshalb er seinen Mut zusammennahm, langsam eine Hand hob und mit ihr vorsichtig eine Strähne aus Jeannies Gesicht strich. Es würde eine schwere Zeit für sie anbrechen, aber Carson schwor sich ihr beizustehen.

Als die Uhr an seinem Arm leise piepste, registrierte er es kaum. Er war zu tief in Gedanken versunken. Carsons Blick hatte etwas Verträumtes, als er schweigend das Kalenderblatt an der Wand musterte. Wenn er sich ablenken wollte, dachte er oft an Schottland, seine Heimat, die so weit weg war.
Er redete sich ein, dass es eine heile Welt war, fernab jeder Sorge, die ihn hier plagte. Aber es war und blieb nun mal eine Wunschvorstellung. Vor den eigenen Problemen konnte man sich nicht verstecken. Nirgendwo.
Leise seufzend wandte er sich ab und stand auf. Elizabeth hatte ihm schon oft genug gesagt, dass er seine Arbeit auch mal seinen Kollegen überlassen sollte. Aber zu delegieren fiel ihm unglaublich schwer. Vor allem jetzt. Und so hatte er schon wieder die Nachtschicht übernommen, obwohl er sicher auf der Stelle eingeschlafen wäre, wenn er sich hingelegt hätte.
Kaum, dass er in das Krankenzimmer getreten war, blieb er augenblicklich stehen. Sein Herz machte einen Sprung. Jeannie war aufgewacht. Schweigend blickte sie an die Zimmerdecke über sich.
Vorsichtig kam Carson näher und blieb neben ihrem Bett stehen. Was hätte er jetzt darum gegeben, seiner waren Erleichterung Ausdruck zu verleihen, indem er sie einfach in den Arm genommen hätte. Doch stattdessen musste er schlicht stehen bleiben und die trockene medizinische Frage stellen: "Wie fühlen Sie sich?"
Für einen Moment fürchtete er, dass sie ihn gar nicht gehört hatte, denn ihr leerer Blick war noch immer stur auf einen weit entfernten Punkt gerichtet. Dann aber wanderten ihre Augen langsam zu ihm hinüber und Carson erschrak.
Noch nie hatte er diesen Ausdruck in ihnen gesehen. Er hätte erwartet Traurigkeit in ihnen erkennen zu können. Aber stattdessen war da Wut.
Sie antwortete ihm nicht, aber ihr Blick war ihm Antwort genug. Er rang mit sich, etwas zu sagen, aber Jeannie wandte sich bereits wieder ab.
Der Schotte schluckte schwer. Er hatte sich noch nie so hilflos gefühlt, was einen seiner Patienten anging. Auch ein Arzt konnte nicht alle Wunden heilen.
"Hören Sie…ich wollte Ihnen nur sagen…wie leid mir das alles tut", startete er einen schwachen Versuch, ihr seine Anteilnahme zu verdeutlichen. "Und wenn Sie…"
"Wo ist Rodney?", unterbrach sie ihn plötzlich, ohne ihn anzusehen.
Entschlossen, kalt und direkt.
Carson verstummte sofort. Sie hatte nicht laut gesprochen, aber lauter, als man es einem Menschen in ihrer Situation zugetraut hätte. Es war verständlich, dass sie nach ihrem Bruder fragte. Immerhin brauchte sie jetzt jemanden, der ihr nahe stand.
"Ich nehme an, in seinem Labor", antwortete er schließlich. "Er hat mich ohnehin gebeten, ihn sofort zu informieren, sobald Sie aufwachen."
"Er soll sofort damit anfangen, die Flugbahn des Basisschiffes zu berechnen."
Carson starrte sie fassungslos an. Mit vielem hatte er gerechnet, aber nicht damit. Sie verschwendete nicht eine Minute damit, mit der Lage fertig zu werden. Stattdessen behielt sie einen erstaunlich kühlen Kopf. Hatte er sich etwa in ihr getäuscht? Setzte sie womöglich ebenso wie Rodney darauf, ihre Schwäche um jeden Preis zu verstecken?
Sie sah ihn wieder an. Mit demselben dunklen entschlossenen Blick.
"Aiden lebt noch. Und wir müssen versuchen, ihn zu finden."
Endlich gelang es Carson die Fassung zurückzugewinnen.
"Ich verstehe ja, dass Sie etwas unternehmen wollen…" Voller Unbehagen beobachtete er, wie sie misstrauisch die Augen verengte. "Sie sollten sich dennoch erst mal beruhigen."
Sicher durfte man noch nicht aufgeben. Ein Gefangener der Wraith zu sein hieß nicht, dass es keine Hoffnung mehr gab. Sie durfte sich aber deshalb nicht gleich überfordern. Immerhin musste sie sich zunächst von dem Zusammenbruch erholen.
"Beruhigen?", wiederholte Jeannie aufgebracht. "Ich bin ruhig! Aber je länger wir hier diskutieren, desto mehr Zeit geht verloren."
Sie setzte sich langsam auf, ohne ihren Blick abzuwenden. In ihren Augen lag mehr als nur Entschlossenheit. Da war Hass; abgrundtiefer Hass auf die Wraiths.
"Aiden lebt noch und ich werde ihn finden. Und keiner wird mich davon abhalten können."
Carson spürte, wie sich ein Kloß in seinem Hals bildete, als er den Zorn in ihren Augen funkeln sah. Richtete sich ihre Wut etwa auch auf ihn?
"Auch Sie nicht", fügte sie kalt hinzu und machte es Carson somit unmöglich, noch etwas zu entgegnen. Zum ersten Mal spürte er etwas in ihrer Gegenwart, was er nie erwartet hätte.
Angst.

In den folgenden Tagen sah er sie kaum noch. Sobald es möglich gewesen war, hatte Jeannie die Krankenstation verlassen und beteiligte sich an der Suchaktion. Von den meisten Missionen schloss man sie wegen den gefährlichen Gegebenheiten ohnehin aus, aber sie tat, was sie konnte, um Erfolge zu erzielen. So bekam sie Carson kaum noch zu Gesicht. Aber es erschreckte ihn, was er zu hören bekam. Dass sie selbst auf die riskantesten Missionen bestand, ungeachtet dessen, dass es Menschenleben - und darunter sogar das ihres Bruders - aufs Spiel setzte. Man konnte behaupten, dass sie geradezu besessen davon war, Aiden wieder zu finden. Um jeden Preis.
Einige Male hatte er sich vorgenommen, mit ihr zu reden, aber er fand nie den passenden Moment. Und so vergingen die Tage. Und aus ihnen wurden Wochen und sogar Monate.
Als Carson an diesem Abend die Cafeteria betrat, fand er einen leeren Raum vor. Es war schon spät und das Personal längst gegangen. Nur noch eine Kaffeemaschine war zur Selbstbedienung zurückgeblieben. Er griff nach einer Tasse und füllte diese, ehe er sich umdrehte, um wieder auf die Krankenstation zurückzukehren. Doch in diesem Augenblick erkannte er, dass er nicht allein war.
In einem stillen Winkel, nahe dem Fenster, saß jemand. Und er brauchte nicht lange, um zu realisieren, dass es Jeannie war.
Zum ersten Mal seit Wochen sah er sie nicht mehr in Hektik und Aufregung. Ihr Blick war aus dem Fenster hinaus in die Nacht gewandert und er bezweifelte, dass sie überhaupt bemerkt hatte, dass er da war.
Vielleicht war das ja der Moment, auf den er so lange gewartet hatte. Langsam näherte er sich ihrem Tisch.
Sie bemerkte ihn aber erst, als er bereits neben ihr stehen geblieben war und sie unsicher anschaute.
"Darf…ich mich setzen?", fragte er vorsichtig.
Ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie sich wohl lieber in der trüben Einsamkeit verloren hätte, aber sie nickte dennoch wortlos, während sie beide Hände um die Tasse legte, die vor ihr auf dem Tische stand.
Sie schwieg und vermied es, ihn anzusehen. Es machte ihm Sorgen, sie so betrübt zu sehen und er überlegte, wie er ihr am besten helfen konnte. Aber zunächst war es schon schwierig genug, ein Gespräch zustande zu bringen.
"So spät noch auf?", fragte er nach einer Weile.
Eine dumme Frage. Carson hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Aber zumindest funktionierte es, denn sie antwortete: "Ich konnte nicht schlafen."
Ihre Stimme klang erschreckend leise. Ganz ohne die Entschlossenheit, die sie die letzten Wochen lang angetrieben hatte.
Sie schaute auf. Mit ihren traurigen Augen.
"Dr. Weir hat mir heute mitgeteilt, dass sie die Suchaktion offiziell einstellt. Aiden gilt jetzt als im Einsatz vermisst."
Sie sprach den letzten Teil des Satzes mit besonderer Verbitterung aus. Ihm war klar, dass dies ein herber Rückschlag für sie sein musste. Mit anderen Worten hieß es aufzugeben.
"Tut mir leid", entgegnete er verständnisvoll, wusste aber nicht, wie er fortfahren sollte. Zum Glück sprach Jeannie von sich aus weiter.
"Ich kann es ihr nicht verübeln. Sie hat getan was sie konnte."
Ihr Blick wanderte zurück in die Tiefen ihrer Kaffeetasse. Wie lange es wohl gedauert hatte, bis sie es eingesehen hatte? Acht Wochen war es nun schon her, seit Aiden verschwunden war. Acht lange Wochen voller Suchen, Bangen und erfolglosen Missionen.
Niemand wird zurückgelassen, das oberste Gebot. Elizabeth hatte tatsächlich alle Hebel in Bewegung gesetzt. Aber am Ende hatte es nicht geholfen. Acht Wochen waren zu lange, als das noch eine Chance bestand, dass die Wraiths ihren Gefangenen noch nicht getötet hatten.
"Es mag hart klingen", fuhr Jeannie leise fort. "…aber manchmal wünschte ich mir, zu wissen, dass er tot ist. Dann wüsste ich woran ich bin. Aber so habe ich ständig das Gefühl, er müsste jeden Augenblick durch das Tor marschieren."
Carson hörte ihr voller Mitleid zu. Ihm war das Zittern in ihrer Stimme nicht entgangen. Sie kämpfte mit den Tränen und das konnte er durchaus nachvollziehen. Wie sollte sie je schaffen, einen Schlussstrich ziehen zu können? Sie hatte es nicht verdient für den Rest ihres Lebens von der Ungewissheit getrieben zu werden. Carson hätte sie so gerne davor beschützt, aber er wusste nicht wie.
"Es kommt mir einfach wie Verrat vor", jammerte sie. "Er hat mir versprochen, immer wieder zurückzukommen, solange ich fest an ihn glaube. Und jetzt…"
Sie brach mitten im Satz ab und schüttelte resigniert den Kopf. Er sah die Tränen in ihren Augen und konnte es kaum noch ertragen, das mitanzusehen. Sie brauchte jetzt jemand, der für sie da war und das wollte er sein.
Vorsichtig rückte er ein Stück näher und legte einen Arm um ihre Schulter.
"Auch wenn alle anderen aufgeben, bedeutet das nicht, dass Sie das Gleiche tun müssen", beruhigte er sie leise. Er hätte es ihr auch ausreden können; sie dazu bringen können, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und wieder nach vorne zu sehen. Aber er brachte es nicht über sicher, ihr das jetzt abzuverlangen. Es wäre ihm vorgekommen, als nutze er die Situation für seine eigenen Zwecke aus und das wollte er nicht. Es half ihm schon, ihr wenigstens einmal nahe zu sein. So nahe, dass er spürte, wie sie leicht zitterte.
"Wichtig ist nur, dass Ihnen klar ist, dass Sie nicht allein sind", sprach er ruhig weiter. "Wir sind für Sie da."
Und damit meinte er vor allem sich selbst, doch das wagte er nicht auszusprechen. Lange Zeit schwieg sie, ehe sie den Kopf hob und ihn ansah. Für einen kurzen Augenblick glaubte er zu beobachten, wie die Sorge und die Traurigkeit wichen und wieder das Glitzern in ihren ozeanblauen Augen zum Vorschein kam.
Nur für einen kurzen Augenblick.
Und sogar ein schwaches Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie leise, ja fast schon flüsternd entgegnete: "Danke, Carson."
Er spürte, wie sein Herz zu rasen anfing. Noch nie hatte er sich ihr so nahe gefühlt wie jetzt. Und erneut wurde ihm bewusst, was ihm diese Frau bedeutete. Er wünschte sich, endlich den Mut fassen zu können, ihr das zu zeigen, aber er konnte es nicht. Nicht jetzt, wo es womöglich noch Salz in ihre tiefen Wunden gestreut hätte.
Zudem spürte er, wie sich Jeannie unter seiner Hand leicht anspannte und schließlich ein Stück von ihm wegrückte, damit er sie loslassen musste.
"Ich wäre jetzt lieber gern allein."
In Carsons Blick lag etwas Hilfloses. Es kam ihm so vor, als hätte sie seine lieb gemeinte Geste abgeschreckt, anstatt ihr geholfen. Vielleicht bildete er sich das aber auch nur ein. Es war durchaus verständlich, wenn sie jetzt etwas Zeit für sich brauchte.
Und so nickte er nachgiebig, ehe er ein paar leise Worte des Abschieds murmelte und dann die Cafeteria verließ.
Trotzdem spürte er, dass etwas anders war. Er konnte es nur noch nicht recht deuten.

Zwei weitere Tage vergingen, ehe er sie wieder sah. Er hatte eingesehen, ihr Zeit geben zu müssen, damit sie wieder ihren Weg fand. Und das schien sie auch zu tun, denn sie fing wieder an, sich ihrer Tierforschung zu widmen. Sie verbrachte viel Zeit in ihrem Labor und war kaum mehr woanders anzutreffen.
Manchmal überlegte Carson, ob es vielleicht eine gute Idee wäre, mit Rodney zu reden. Als Bruder wusste er womöglich mehr darüber, was in Jeannie vorging. Aber auf der anderen Seite war der Astrophysiker noch nie dafür bekannt gewesen, die Gefühle anderer Menschen zu verstehen.
Als Jeannie an jenem Abend plötzlich in der Tür der Krankenstation stand, war Carson mehr als überrascht. Er war das Gefühl nicht losgeworden, dass sie ihm die letzten Tage aus dem Weg gegangen war. Und nun stand sie hier.
Noch ehe ein Wort fiel, registrierte der Schotte, dass etwas nicht stimmte. Sie wirkte verunsichert und stand zunächst einfach nur da, ehe sie zögerlich erklärte: "Eine meiner Mäuse hat mich gebissen. Ich hab mich zwar schon um die Wunde gekümmert, aber ich dachte, vielleicht sehen Sie es sich besser nochmal an."
"Aber natürlich!"
Er winkte sie zu sich, worauf sie sofort eintrat und sich auf die Kante eines Krankenbettes setzte. Carson stellte zunächst jeden persönlichen Gedanken aus. Er musste sich zu allererst um die Verletzung kümmern. Er zog einen Stuhl heran und setzte sich vor sie, ehe er vorsichtig ihre Hand nahm, um die sie einen provisorischen Verband gelegt hatte, den er nun entfernte.
"Wissen Sie von irgendwelchen Krankheiten?", fragte er mit Blick auf die kleine Bisswunde. Sie war leicht gerötet, aber nichts, worüber er sich Sorgen machen musste.
"Die Tiere sind gegen alles geimpft, was ansteckend ist", antwortete sie ihm kopfschüttelnd. Carson nickte und stand auf, um ein paar Sachen aus einem Schrank zu holen.
"Ich werde die Wunde nochmal verbinden, aber wie ich das sehe, ist alles in Ordnung", erklärte er, als er sich wieder setzte.
Langsam fragte er sich, ob die Bisswunde vielleicht nur ein Vorwand gewesen war, um zu kommen. Jeannie malte normalerweise nämlich nicht gleich bei jeder Kleinigkeit den Teufel an die Wand. Eine solche Bisswunde hätte selbst sie nicht beunruhigt.
Aber was war dann der Grund?
Er konzentrierte sich darauf, die Wunde zu versorgen, aber er spürte wie sie ihn beobachtete. Noch nie hatte er so deutlich ihren Blick gespürt. Es kam ihm so vor, als wolle sie ihm etwas sagen und wagte es nicht anzufangen.
"Und wie geht es Ihnen sonst?", fragte er deshalb vorsichtig. Vielleicht musste er sie nur einfach aus ihrer Verschlossenheit herauslocken. Möglicherweise würde sie ihm so irgendwann einmal vertrauen.
"Ich…ähm…es ist nur…", begann sie unsicher.
Er wollte sie nicht noch mehr nervös machen, als sie es ohnehin schon war, weshalb er wortlos mit seiner Arbeit fortfuhr. Doch Jeannie brachte den Satz nicht zu Ende. Und als er mit dem Verband zufrieden war, schaute er schließlich auf.
Kein Wort wurde mehr gesprochen. Sie sah ihn an und er erwiderte den Blick. Es war schwer zu sagen, ob Sekunden oder Minuten verstrichen. Carson jedenfalls glaubte, dass die Zeit angehalten worden war.
In ihren Augen lag etwas. Etwas, was er nicht benennen konnte, aber er auf unerklärliche Weise zu verstehen glaubte.
Ihm war nicht klar, wieso er es genau in diesem Moment völlig klar sah, was er zu tun hatte. Er hatte einfach auf einmal keine Zweifel mehr und auch keine Angst vor den Konsequenzen. Noch bevor ihm überhaupt bewusst war, was er tat, hatte er sich bereits erhoben, lehnte sich zu ihr und küsste sie.
All seine Gefühle für sie, die er so lange vor ihr verborgen hatte, legte er nun in diesen einen Augenblick. Eine Botschaft, die er ihr nie in Worte hätte klar machen können. Einen Moment, auf den er so lange gewartet hatte.
Doch dann dämmerte ihm allmählich, was er getan hatte. Er löste langsam den Kuss, hoffte darauf, dieselben Gefühle auch in ihren Augen lesen zu können, aber stattdessen entdeckte er etwas anderes: Furcht.
Der Überraschung wich Unsicherheit. Und dann nahm ihr Blick einen verschreckten, ja geradezu entsetzten Ausdruck an.
Es tut mir leid, wollte er stottern, aber alle Worte blieben ihm im Hals stecken. Er wusste, dass er einen Fehler begangen hatte. Einen schwerwiegenden Fehler. Anstatt ihr näher zu kommen, hatte er sie dazu getrieben zurückzuweichen.
Für den Bruchteil einer Sekunde starrte sie ihn nur an und ihr Blick sagte alles, was Carson am liebsten nie erfahren hätte.
Dann rutschte sie ohne weiter zu zögern vom Bett und rannte fluchtartig davon.
Er wollte ihren Namen rufen, aber er brachte nicht mehr als ein Stammeln zustande. Er wollte ihr nachlaufen, aber er konnte sich nicht bewegen. Ihm war bewusst geworden, dass er soeben alles zerstört hatte.

Noch nie hatte sich Carson so furchtbar gefühlt. Schlaflose Nächte plagten ihn wieder. Und morgens hätte er sich am liebsten die Decke über den Kopf gezogen und hätte keinen Schritt aus seinem Quartier gemacht. Er wollte nichts mehr von den Leuten wissen.
Er sah Jeannie nicht mehr. Nicht einmal, als er einmal allen Mut zusammennahm und in ihr Labor ging. Ob sie ihn womöglich schon kommen gesehen hatte und daraufhin das Weite gesucht hatte, wusste er nicht.
Tatsache war, dass sie ihm auswich und er einsah, dies zu akzeptieren. Aber je mehr Tage vergingen, desto mehr Schuldgefühle machten sich in ihm breit. Er selbst wollte plötzlich auch ihr nicht mehr über den Weg laufen. Ja, sogar vor Rodney hatte er auf einmal Angst, weil er fürchtete, der Kanadier könne seine Warnung, jedem das Leben zur Hölle zu machen, der seiner Schwester zu nahe kam, wahr machen.
Es waren grauenhafte Tage und Nächte, die sich dahinzogen und Carson wünschte sich immer mehr, diesen Moment auf der Krankenstation rückgängig machen zu können. Aber das war nun mal nicht möglich.
Er hatte keine Ahnung, was noch passiert wäre, wenn sich dieses Drama noch weiter dahingezogen hätte. Aber eines Morgens fand er einen kleinen Zettel auf seinem Schreibtisch. Es waren nur wenige Worte darauf geschrieben worden, aber mehr waren nicht nötig.
Wir müssen reden. Darunter eine kurze Angaben über das Wann und Wo. Er brauchte nicht erst die Unterschrift zu lesen, um zu wissen, dass die Nachricht von Jeannie war.
Auf der einen Seite war er froh drum, endlich Klarheit schaffen zu können. Aber andererseits war er mehr als nervös vor diesem Treffen. Sie würde alle Antworten von ihm verlangen.
Er erschien pünktlich zum vereinbarten Treffpunkt auf dem Westbalkon. Sie war schon da.
Sie stand am Geländer und blickte auf den weiten Ozean hinaus. Es war schwer zusagen, da sie mit dem Rücken zu ihm stand, aber er bezweifelte, dass sie seine Ankunft nicht bemerkt hätte. Trotzdem wartete sie geduldig, bis er neben sie getreten war, ehe sie leise seufzend aufblickte.
"Ich habe nur eine Frage an dich. Und ich erwarte eine ehrlich Antwort."
Ihr Tonfall klang ernst und gefasst, aber das kostete sie wohl einiges an Mühe. Sie schaute ihm direkt in die Augen. Entschlossen und ohne jede Spur von Verunsicherung.
"Hast du diesen Kuss wirklich ernst gemeint?"
Carsons Herz raste. Genau mit dieser Frage hatte er gerechnet. Er bekam nur noch schwer Luft. Er konnte nicht länger davonlaufen. Er wäre ein Feigling gewesen, wenn er jetzt einen Rückzieher gemacht hätte.
"Ich hab mich an dem Tag in dich verliebt, als du mir zum ersten Mal gegenübergestanden bist", gab er schließlich zu. Es war ein herrlicher Sonnentag gewesen. Er war auf dem Weg in Elizabeths Büro gewesen, als ihm unterwegs Ford begegnet war, in Begleitung einer umwerfenden Frau. Damals hatte Carson noch keine Ahnung gehabt, wer sie war. Nur, dass sie die liebenswerteste Person war, die er bis dahin getroffen hatte.
"Es würde keinen Sinn machen, das noch länger vor dir zu leugnen."
Jetzt war es raus. Es war offen ausgesprochen, was sich so lang in ihm aufgestaut hatte, bis er es kaum noch ausgehalten hatte.
Sie schwieg. Der warme Wind fuhr ihr kurz durch ihre Haare, die in der Abendsonne glänzten. Ihr Blick wandte sich ab. Sie schien nachzudenken. Aber ihr Schweigen brachte den Schotten fast um den Verstand. Hätte sie doch bloß irgendwie reagiert. Ob sie ihm um den Hals gefallen wäre oder ihm eine Ohrfeige verpasst hätte.- Ganz egal! Hauptsache nicht dieses Schweigen.
"Weißt du, Carson…", begann sie nach schier endloser Zeit. "…ich habe in den letzten Tagen viel nachgedacht." Sie zwang sich wieder dazu, ihn anzusehen. "Du bist Rodneys Freund und eigentlich hab ich in dir auch nie etwas anderes gesehen."
Carson schluckte schwer. Ihm war klar, in welche Richtung sich dieses Gespräch bewegte. Ich teile deine Gefühle nicht, aber wir können doch Freunde bleiben.
Jeannie zögerte, sprach dann aber weiter: "Aber je länger ich überlegt habe, desto mehr wurde mir bewusst, dass das, was ich für dich fühle, weit über die Gefühle für einen Freund hinausgehen."
Im ersten Moment glaubte er, sich verhört zu haben. Er hatte gerade damit begonnen, sich damit abzufinden, aufgeben zu müssen. Und nun verliehen ihm ihre Worte plötzlich neue Hoffnung. Was, wenn er sich getäuscht hatte? Wenn sie trotz ihrer Liebe zu Aiden, immer auch für ihn einen Platz in ihrem Herzen hatte? Mehr verlangte er doch auch gar nicht von ihr.
"Dann gib mir eine Chance!", entgegnete er hoffnungsvoll und machte entschlossenen einen Schritt auf sie zu. Zu seiner Enttäuschung wich Jeannie allerdings zurück.
"Ich liebe dich, Jeannie", beharrte er. Er war jetzt nicht bereit, nachzugeben. "Bitte gib mir eine Gelegenheit, dir das zu beweisen."
Verschwunden war die Entschlossenheit in ihrem Gesicht. Vielleicht war sie sogar selbst erschrocken über das, was sie soeben zugegeben hatte.
"Wie stellst du dir das vor?", gab sie hilflos zurück. "Man kann Gefühle nicht einfach so abstellen. Auch nicht, wenn der andere nicht mehr da ist."
Es war der Augenblick, in dem ihm klar wurde, dass er den Kampf bereits verloren hatte. Carson liebte diese Frau nicht nur wegen ihres Aussehens, sondern weil er so viele Eigenschaften an ihr schätzte. Dass sie gutmütig war und aufrichtig. Und es zählte ebenso dazu, dass sie wusste, was Treue bedeutete. Gut möglich, dass sie Gefühle für ihn hegte. Aber sie würden nie gegen ihre Liebe zu Aiden bestehen können.
Und als ihm das bewusst wurde, merkte Carson, wie ihm die Tränen in die Augen stiegen und so wandte er sich eilig ab, damit sie sie nicht bemerkte.
Ein aussichtsloses Unterfangen. Sie hatte sie längst gesehen. Und es tat ihr ebenso weh, der Auslöser für sie zu sein. So sehr, dass selbst ihre Augen feucht wurden.
"Ich kann das einfach nicht, verstehst du?", flüsterte sie verzweifelt.
Er erwiderte nichts, schaffte es auch nicht, sie anzusehen. Es kostete ihn zuviel Kraft die Tränen zurückzuhalten. Natürlich konnte er es nachvollziehen. Aber einsehen wollte er es nicht. Er wollte weg. Ganz weit weg. Sie nie wieder sehen. Nie mehr den Schmerz des Verlustes spüren.
Aber dann geschah etwas, womit er nicht gerechnet hätte.
Jeannie kam langsam auf ihn zu und küsste ihn. Nur für wenige Sekunden vergaß er seine Verzweiflung und zählte nur das Glück, das ihn zum letzten Mal zu packen schien. Viel zu schnell ging dieser Augenblick jedoch vorüber und so ließ er die Augen geschlossen, auch nachdem sie den Kuss bereits gelöst hatte.
Doch sie legte vorsichtig beide Hände an seinen Kopf und drückte behutsam seine Stirn gegen die ihrige. Fast so, als wolle sie sich für immer verabschieden.
"Es tut mir leid, Carson", flüsterte sie mit zitternder Stimme.
Dann hielt sie es nicht mehr aus. Sie ließ ihn los und rannte davon, bevor er ihre Tränen sehen konnte.

Sie wusste nicht, wie sie es geschafft hatte, hierher zu kommen, ohne dass sie jemand auf ihren aufgelösten Zustand ansprach. Es war ihr sogar gelungen, so lange die Fassung zu bewahren, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. Hier war sie ganz allein und brauchte sich vor niemandem mehr zu verstecken. Hier erst konnte sie es wagen, aufzuhören gegen sie anzukämpfen.
Weinend sank sie zu Boden und kauerte sich zusammen. Es war längst nicht mehr so warm wie zuvor. Rot glühend verschwand die Sonne am Horizont und wurde vom Ozean verschluckt.
Es war nur ein kleiner Balkon. Nicht mehr als ein Aussichtspunkt auf einem Turm, den keiner kannte. Hierher kam niemand, der sie jetzt stören könnte. Er lag zu abgelegen und das war auch gut so. Sie wollte niemanden mehr sehen. Sie hatte keine Ahnung, was sie noch tun sollte. Die Welt um sie herum hatte sich in den vergangenen Wochen so schnell gedreht, dass sie die Orientierung verloren hatte.
Gut möglich, dass es einen Ausweg gab, aber sie sah ihn nicht mehr. Egal wie sie sich entschieden hätte, es wäre falsch gewesen. Sie zitterte vor Kälte. Und dem Mangel an menschlicher Nähe. Sie hatte Aiden verloren und jetzt auch Carson, einen Mann, von dem ihr erst jetzt bewusst wurde, wie viel er ihr bedeutete.
Sie hörte leise Schritte, die sich näherten und schließlich wieder verstummten. Es kostete sie viel Überwindung, tief einzuatmen und dann langsam den Kopf zu heben. Sie wusste, wer gekommen war. Außer ihr gab es nur noch einen, der diesen Ort kannte.
"Wie hast du mich gefunden?", fragte sie mit einer durch die Tränen völlig veränderten Stimme. Als sie blinzelte, rann eine von ihnen über ihr Gesicht und sie wischte sie sich eilig mit dem Ärmel ihrer Uniformjacke aus dem Gesicht.
"Ich komm auch immer hierher, wenn ich nachdenken muss", entgegnete ihr Rodney leise und legte die letzten Schritte bis zu ihr zurück.
"Ich denke nicht nach. Ich will allein sein", gab Jeannie trotzig zurück und wandte sich schniefend ab. Sie wusste nicht, ob sie wirklich allein sein wollte. Dafür konnte sie nicht klar genug denken.
Rodney achtete aber nicht auf ihre abweisende Bemerkung und setzte sich stattdessen neben sie auf den Boden. Jeannie hatte bis vor wenigen Wochen nicht daran geglaubt, was für ein Mensch in ihrem Bruder stecken konnte. Er war es gewesen, der ihr nach Aidens Verschwinden beigestanden hatte. Er hatte ihr zugehört und ihr Mut gemacht und das obwohl sie immer geglaubt hatte, er wäre gegen ihre Beziehung gewesen.
Schweigen folgte. Jeannie vergrub das Gesicht in ihren Händen und weinte lautlos weiter. Sie erkannte auch ohne aufzusehen, dass Rodney sie unschlüssig beobachtete, ehe er es endlich wagte, das Wort zu ergreifen.
"Es ist wegen Carson, hab ich Recht?"
Augenblicklich hob sie den Kopf und starrte ihn überrascht an. In all den Tagen hatte sie nicht ein Wort darüber verloren. Sie hatte erlebt, zu welchen Spannungen es geführt hatte, als sie mit Aiden zusammen gewesen war. Sie hatte nicht gewollt, dass sie durch ein falsches Wort womöglich auch noch die Freundschaft zwischen ihm und dem Schotten kaputtmachen könnte. Umso mehr wunderte sie es, wie er es herausgefunden hatte
"Woher weißt du das?", fragte sie deshalb tonlos.
Ein schwaches Lächeln huschte über sein Gesicht.
"Ich kenne euch beide gut genug. Ich hätte blind sein müssen, wenn ich das nicht gemerkt hätte."
Jeannies Blick blieb weiterhin verblüfft. Wie lange wusste er wohl schon Bescheid? Und trotzdem hatte er nie etwas dagegen gesagt? Bedeutete das etwa, dass er einverstanden gewesen wäre?
Lange Zeit sah sie ihn einfach nur wortlos an, während die letzten Sonnenstrahlen ihr Gesicht berührten, auf dem schließlich erneut Tränen auftauchten. Schluchzend vergrub sie es in seiner Schulter. Sie hatte zu lange versucht, Stärke zu beweisen. Jetzt konnte sie einfach nicht mehr.
"Es spielt sowieso keine Rolle mehr", murmelte sie, während sie spürte, dass Rodney einen Arm um sie legte. Es nutzte nichts, weiter darüber zu diskutieren. Sie hatte dem ein Ende gesetzt, so schmerzlich das auch gewesen war.
"Du liebst ihn, oder?", hörte sie Rodney fragen. Dabei war es eher eine Feststellung. Wie lange war sie vor dieser Frage davongelaufen? Immer hatte sie sich eingeredet ein Nein darauf antworten zu können, nur weil sie sich nicht eingestehen wollte, dass es die Wahrheit war. Und nun musste sie nicken, ohne dass sie es wagte aufzusehen.
Ja, zum Teufel, sie liebte Carson. Und wenn die Situation anders gewesen wäre, hätte sie ihn das ohne jedes Zögern wissen lassen. Aber die Lage war nun mal wie sie war. Es kam ihr vor, als wäre sie nur einen Schritt von der Freiheit entfernt und doch war sie gefesselt.
"Das ist einfach nicht fair", jammerte sie schniefend. "Ich weiß, dass es falsch ist. Aber wer bestimmt, dass man nur einen Mann lieben darf?"
Sie hatte sich so lange dafür gehasst, Aiden so zu verraten. Aber je länger sie darüber nachgedacht hatte, desto mehr fragte sie sich, ob es möglich war, dass es reines Pflichtgefühl war, das sie an ihn band. Es war nicht dasselbe Carson zu lieben. Er war ein ganz anderer Mensch als Aiden. Aber ihre Gefühle waren dennoch genauso stark und sie konnte nichts dagegen tun, dass sie jeden Tag wuchsen.
"Vielleicht solltest du einfach lernen loszulassen", meinte Rodney vorsichtig. "Konzentrier dich auf das, was vor dir liegt. Du weißt so gut wie ich, dass Aiden nicht mehr zurückkommen wird."
"Hör auf!"
Jeannie kniff die Augen zusammen und widerstand nur knapp der Versuchung, sich die Ohren zuzuhalten. So als ob ihr Bruder soeben etwas Verbotenes gesagt hatte, was sie schnell wieder aus ihrem Kopf verbannen wollte. Und doch wusste sie, dass er nur aussprach, was sich langsam auch in ihren Verstand nagte. Trotzdem weigerte sie sich, diese Zweifel zuzulassen. Eine Stimme ermahnte sie wieder und immer wieder, weiter zu glauben.
"Jeannie!"
Zum ersten Mal klang Rodneys Stimme laut und mahnend, sodass sie leicht zusammenzuckte, ehe sie ihn mit ihrem verheulten Gesicht anschaute.
"Sieh es endlich ein!"
Das sagte er so einfach. Es war so schwer loszulassen. Ihr war klar, dass er mit seinem durchdringenden Blick nur erreichen wollte, dass sie endlich aufwachen musste aus ihrem Traum. Dass sie wieder die Realität erkannte. Das Leben.
Sie atmete zitternd ein, ehe sie sich wieder mit dem Kopf an ihn lehnte und nachdenklich den Boden vor sich musterte. Der Wind ließ allmählich ihre Tränen trockenen. Sie hatte aufgehört zu weinen, weil ihr schlicht die Kraft dazu fehlte. Sie spürte, dass sie allmählich von der Erschöpfung gepackt wurde und nun war sie auch froh, nicht allein sein zu müssen.
"Ich weiß, ich war früher ein furchtbarer Bruder", gestand Rodney leise, während er seiner Schwester vorsichtig über den Kopf strich. "Aber ich habe mir geschworen, das jetzt besser zu machen. Ich will doch nur, dass du glücklich bist, verstehst du?"
Jeannie schwieg. Solche Worte passten so gar nicht zu ihm, aber sie war beeindruckt von seiner Bemühung, ihr zu helfen.
"Ich bin einfach noch nicht soweit, Rodney", entgegnete sie ihm schließlich fast schon flüsternd.
"Das weiß ich", gab er verständnisvoll zurück. "Und Carson weiß das auch. Niemand verlangt von dir, dass du Aiden von jetzt auf gleich vergessen sollst. Du brauchst Zeit, das ist klar. Aber ich kenne Carson gut genug, um zu wissen, dass er bereit ist, dir diese Zeit zu geben. Wenn du ihm dafür eine Chance gibst."
Jeannie entgegnete nichts darauf. Je länger er auf sie einredete, desto klarer sah sie die Dinge. Ihre Gedanken kreisten nur noch um eine Frage und plötzlich war ihr klar, dass sie diese Entscheidung jetzt treffen musste, sonst würde ihr das nie gelingen. Entweder sie entschied sich für die Vergangenheit oder für die Zukunft.

Er konnte nicht schlafen. Er war nicht einmal in der Lage ruhig liegen zu bleiben. Immer wieder wälzte er sich hin und her, bis sein Bett ein einziges Durcheinander war.
Also war er aufgestanden, war hin und her gelaufen wie ein Tiger im Käfig und war dann am Fenster stehen geblieben, um in die Dunkelheit hinaus zu starren.
Carson hielt es einfach nicht mehr aus. Der Gedanke, ihr womöglich jeden Tag über den Weg laufen zu müssen, brachte ihn fast um den Verstand.
Früher hatte er sich gewünscht, endlich Gewissheit zu haben und jetzt sehnte er sich wieder nach dieser Traumwelt zurück, in der er gelebt hatte. Er hätte auch nie gedacht, wie elend er sich deswegen fühlen konnte. Es machte ihn geradezu krank.
Angst ergriff ihn, wenn er daran dachte, ihr wieder gegenübertreten zu müssen. Vielleicht war es besser, wenn er sie nie wieder sehen würde. Aber das konnte er nur, wenn er dafür einen entscheidenden Schritt in Kauf nahm. Mit Sicherheit würde ihn Elizabeth für verrückt halten, wenn er aus einem solchen Grund Atlantis verließ. Aber im Moment sah er keinen anderen Ausweg.
Der Ozean verschwamm leicht vor seinen Augen und so biss er verzweifelt die Zähne zusammen, in der Hoffnung, so die Tränen zurückhalten zu können. Er wusste einfach nicht mehr, was er noch tun sollte.
Fast glaubte er schon sich den Tränen ergeben zu müssen, als er auf einmal durch ein Klopfen gestört wurde. Überrascht wandte er sich um. Wie spät war es? Ganz automatisch kam ihm der Gedanke, dass es sich vermutlich um einen medizinischen Notfall handeln musste. Und so riss er sich wieder zusammen, aktivierte das Licht und ging eilig auf die Tür zu, um diese zu öffnen.
Aber gegen seine Erwartung, einen aufgeregten Soldaten der Nachtwache anzutreffen, glaubte er fast, dass sein Herz vor Schreck stehen blieb, als er erkannte, dass Jeannie vor ihm stand.
Im Halbdunklen des Ganges war nicht wirklich etwas zu erkennen, aber es reichte, um ihre geröteten Augen zu bemerken, die verrieten, dass sie geweint hatte. Doch er war nicht in der Lage, ein Wort herauszubringen. Irgendetwas schnürte ihm den Hals zu und machte es ihm gleichzeitig unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen.
"Kann ich reinkommen?", brach sie schließlich ihr Schweigen.
Carson zögerte nicht, nickend zuzustimmen und sie bereitwillig eintreten zu lassen. Bittere Stille erfüllte den Raum, nachdem sich die Tür geschlossen hatte.
Er hätte sich gewünscht, hartnäckiger zu sein und jetzt trotzig darauf zu beharren, dass sie bereits einen Schlussstrich gezogen hatte. Aber er konnte nicht. Wenn er die Traurigkeit in ihren wunderschönen Augen sah, regte sich in ihm erneut der Wunsch, diese für immer vertreiben zu können, weil er nie anders können würde, als Jeannie trotz allem zu lieben.
"Hör zu, ich...", begann sie zögerlich, während sich ihre Finger ineinander verhakten. "…ich wollte nur…" Erneut stockte sie, aber Carson ließ sie geduldig ausreden. Sie holte tief Luft, was ihr offenbar half, sich besser auf ihre Worte zu konzentrieren.
"Es war nie meine Absicht, dir weh zu tun, Carson."
Dafür war es wohl schon zu spät. Die Angelegenheit hatte tiefe Wunden in ihm hinterlassen, die wohl so schnell nicht heilen würden.
"Es geht mir einfach alles viel zu schnell, begreifst du das? Ich kann nicht alles einfach so hinter mir lassen."
Ihr Tonfall wurde hastiger und aufgeregter. Wozu erzählte sie ihm das alles? Sie hatte ihm doch schon an diesem Abend klar gemacht, dass sie keine Zukunft hätten. Warum konnte sie es damit nicht endlich belassen, anstatt immer weiter darauf herumzureiten?
"Das verstehe ich", erwiderte er mit einem Nicken.
Aber was wäre, wenn er ein letztes Mal alles auf eine Karte setzen musste? Wenn er noch einmal das letzte bisschen Hoffnung, das ihm geblieben war einsetzte?
Er kam vorsichtig einen Schritt näher und als er beobachtete, wie sie hilflos den Blick senkte, da berührte er sie sanft an der Wange, worauf sie wieder aufschaute.
Hinter dem Schleier der Unsicherheit und Angst, glaubte er in ihren Augen wieder dieses Strahlen erkennen zu können, das ihn immer so in ihren Bann gezogen hatte.
Er zweifelte nicht mehr daran. Sie war gekommen, um ihm doch noch eine Chance zu geben. Sie wollte den letzten Schritt machen, aber sie würde Hilfe brauchen, um ihn zu bewältigen.
"Du sollst Aiden nicht vergessen", sagte er leise. "Ich will nicht seinen Platz einnehmen. Du musst nur wieder nach vorne sehen."
Ohne es zu ahnen, hatte er damit dieselben Worte wie Rodney benutzt. Es machte Jeannie endgültig klar, dass jetzt der Moment gekommen war, loszulassen. Denn wenn nicht jetzt, dann würde sie es nie schaffen.
"Hilfst du mir dabei?", fragte sie tonlos und schaute ihm dabei direkt in die Augen.
Carson erwiderte den Blick, ehe sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete, als ihm klar war, welche Botschaft hinter dieser Frage steckte.
"Ja, natürlich", antwortete er entschlossen und verfolgte fasziniert, wie die letzten Zweifel aus ihrem Blick wichen.
Keiner von beiden wusste, wer den Entschluss zuerst gefasst hatte, zu handeln. Tatsache war, dass beide den gleichen Gedanken hatten, als sie sich langsam näher kamen und sich schließlich küssten. Kein Kuss mit bösem Erwachen oder einer traurigen Endgültigkeit. Sondern der glücklichste Moment in Carsons Leben.

Das Schicksal hatte die Angewohnheit niemals zuverlässig zu sein. Immer dann, wenn man es am wenigstens erwartete, machte es eine dramatische Kehrtwendung.
Zum ersten Mal seit scheinbar unendlichen Wochen und Monaten war Carson mit einem Lächeln aufgewacht, als ihn die Sonne weckte. Er hatte fest daran geglaubt, dass es nichts geben würde, was seine Laune trüben würde.
Noch konnte man bei ihm und Jeannie nicht wirklich von einer richtigen Beziehung sprechen. Dafür war es noch zu früh. Aber mit jedem Tag merkte er, dass er sich ein kleines Stückchen mehr von Jeannies Herz eroberte.
Er hatte dem Tag mit Zuversicht entgegen gesehen, als er zum vereinbarten Termin in Elizabeths Büro erschien, um sie über die neuesten Erkenntnisse in seiner Untersuchung der Iratus-Käfer-Genetik zu unterrichten.
Als sich das Stargate aktivierte, schenkte Elizabeth dem wenig Beachtung. Es war kurz nach 13 Uhr. Das Team von Major Baker kehrte planmäßig von seiner Aufklärungsmission zurück.
Carson schaute nur kurz in den Gateraum hinunter, wo die Männer aus dem Ereignishorizont auftauchten, ehe er damit fortfuhr Elizabeth seine Forschungen zu erläutern.
Keiner von beiden bemerkte, wie sich Baker - kaum dass er richtig angekommen war - sofort auf den Weg machte die Treppen nach oben zu hasten und nicht eher anhielt, bis er in das Büro geplatzt kam.
"Dr. Weir!"
Baker war völlig außer Atem vor Aufregung. Verwirrt wandten sich die beiden um und Elizabeth trat umgehend hinter ihrem Schreibtisch hervor.
"Was ist los?", wollte sie erschrocken wissen, als sie erkannte, wie aufgewühlt der Mann war.
Carson beobachtete den Soldaten verwundert. Es war, als ob ihm eine Stimme bereits zu diesem Zeitpunkt zuflüsterte, dass etwas geschehen war, was alles verändern würde.
"Wir waren auf dem Weg zurück zum Stargate", berichtete Baker aufgeregt. "Und da fanden wir dann plötzlich das hier."
Er hielt seine Hand hoch, in der er offenbar einen Gegenstand hielt. Nervös streckte Elizabeth ihm ihre Hand entgegen, damit er ihr das rätselhafte Etwas reichen konnte. Carson glaubte ein metallisches Geräusch zu hören, als Baker ihrer stummen Aufforderung nachkam. Doch erkennen konnte er nichts. Nur der entsetzte Ausdruck in Elizabeths Gesicht, als sie den Gegenstand musterte, blieb ihm nicht verborgen.
"Oh mein Gott", murmelte sie, ehe sie aufsah und Carson mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Bedauern anstarrte.
Der Schotte verstand die Welt nicht mehr, weshalb er seine Hand ausstreckte, um zu sehen was ihr diesen Schock versetzt hatte. Elizabeth gab es bereitwillig an ihn weiter.
Er hätte sich gewünscht, dass sie es nicht getan hätte. Einen Moment lang zögerte er, seine Hand zu öffnen, denn er spürte bereits die vertrauten Konturen unter seinen Fingern.
Ein Verdacht beschlich ihn. Er spürte, wie ihm etwas die Kehle zuschnürte, als er langsam die Hand öffnete, um sich zu vergewissern und festzustellen, dass er sich nicht geirrt hatte.
Er merkte, wie ihn eisige Kälte beschlich, als ihm jegliche Farbe aus dem Gesicht wich. Und in die Totenstille, die sich über den Raum gelegt hatte, mischte sich das Klirren wie ein Peitschenschlag, als er sie fassungslos durch seine Finger hindurch gleiten ließ und sie so auf dem Boden aufschlugen.
Die Kennmarken von Lt. Aiden Ford.

Wenn ein Kind laufen lernte, sagte man ihm, dass es einen Schritt vor den anderen machen sollte. Wenn man nach einem kilometerweiten Marsch fast am Ende seiner Kräfte war, redete man sich ein, einfach einen Schritt vor den anderen zu machen, um ans Ziel zu kommen.
Und genau das tat Carson auch. Er machte einen Schritt vor den anderen.
Das feuchte Gras hatte bereits seine Spuren am Saum seiner Hosenbeine hinterlassen, während er unablässig weiterging, ohne aufzusehen. In seinem Leben hatte er sich schon so oft eingeredet, einfach weiterzugehen, egal was die Zukunft bringen mochte. Und immer wieder war er über einen der Steine gestolpert, die ihm das Leben in den Weg legte. Doch er hatte sich bisher immer wieder aufgerappelt und hatte seinen Weg fortgesetzt. Einfach einen Schritt vor den anderen.
Als er unhörbar ausatmete bildete sich für ein paar Sekunden ein schwacher Dunst in der unangenehm klammen Luft. Die Sonne hatte sich hinter grauen Wolken versteckt. Kein besonders einladender Planet. Carson sah ohnehin nicht viel von seiner Umgebung. Er konzentrierte sich darauf, stur auf den Boden vor sich zu starren und sich ganz in seine trübe Gedankenwelt zurückzuziehen.
Weshalb war er überhaupt hier? Jeder andere Arzt hätte diese Aufgabe ganz genauso gut erledigen können. Noch nie war ihm bei einer Mission so zumute gewesen.
"Alles o.k.?"
Carson hob überrascht den Kopf. Wie lange lief Rodney wohl schon neben ihm her? Carson hatte noch nicht mal gemerkt, dass sie den Waldrand schon fast erreicht hatten.
Carson nickte leicht, obwohl es gelogen war. Nichts war in Ordnung.
Als er es wagte wieder nach vorne zu sehen, erkannte er, dass der Abstand zwischen ihm und Jeannie noch größer geworden war. Sie hatte kein Wort mehr mit ihm gesprochen, seit sie es erfahren hatte. Alles was sie noch wollte, war auf diese Mission zu gehen und Aiden endlich wieder nach Hause zu holen.
Carson fühlte sich, als wäre er völlig ohne Vorwarnung ins kalte Wasser geworfen worden. Die Nachricht hatte sie vollkommen verändert. Zurückgekehrt war die Kämpferin, die nur noch besessen war von diesem einen Gedanken und alles, was Carson glaubte mit ihr aufgebaut zu haben, war mit einem Male zusammengefallen wie ein Kartenhaus.
Manchmal kam es ihm vor, als wären die vergangenen Tage einfach nur ein Traum gewesen. Ein Traum, aus dem man ihn nun unsanft wachgerüttelt hatte.
Ohne es direkt zu sehen, merkte er, dass Rodney ihn beobachtete. Aber kein Wort fiel. Was hätte er auch sagen sollen? Es hätte nichts geholfen.
Aber plötzlich schien es, als hielte der Kanadier das Schweigen nicht mehr aus und er versuchte schlagartig seine Schritte zu beschleunigen.
"Ich rede nochmal mit ihr", nahm er sich entschlossen vor, aber Carson reagierte schneller.
"Nein!"
Blitzartig hatte er seine Hand ausgestreckt und hielt Rodney zurück, worauf ihn dieser überrascht anblickte. Dennoch spürte Carson, dass er keine Anstalten machte, sich loszureißen und schlussendlich nachgab. Leise seufzend ließ der Schotte ihn los und fügte ruhig hinzu: "Es hätte doch keinen Sinn."
Carson musste sich eingestehen, dass es ihn rührte, dass sich Rodney bei seiner Schwester für ihn einsetzen wollte. Aber schlussendlich würde das sicher alles nur noch schlimmer machen. Es genügte, wenn er selbst mit der angespannten Situation fertig werden musste, da brauchte es nicht auch noch zu einem Geschwisterstreit ausarten.
"Aber wir wissen doch nicht einmal, ob Ford wirklich noch lebt", erwiderte Rodney, erstaunlich aufgeregt und schüttelte trotzig den Kopf, als er fortfuhr: "Eine Kennmarke ist dafür kein Beweis."
Carson schaute ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und Entsetzen an. Er wusste, welchen Gedanken der Kanadier verfolgt hatte und Carson hasste es, vor sich selbst zugeben zu müssen, dass es Momente gegeben hatte, in denen er genauso gedacht hatte.
"So was darfst du nicht sagen, Rodney!", sagte er schließlich bestimmt, aber leise. Ein Blick in seine Augen verriet dem Schotten, dass Rodney selbst wusste, dass es falsch war. Egal welche Gefühle im Spiel waren, sie durften deswegen einem Menschen nicht den Tod wünschen.
Carson beobachtete, wie sein Freund einsichtig den Blick senkte und für einige Sekunden schwieg. Aber es war selten der Fall, dass Rodney seine Meinung, egal wie sie aussah, einfach runterschluckte. Meist kam sie nach kurzer Zeit doch noch zum Vorschein.
"Trotzdem ist es nicht richtig, was sie tut", murmelte er schließlich.
Fast wäre es Carson sogar gelungen, ein wenig zu lächeln. Er konnte gar nicht sagen, wie dankbar er im Moment dafür war, zu wissen, dass wenigstens Rodney zu ihm hielt. Aber es änderte nichts an der Tatsache, dass er inzwischen eingesehen hatte, dass er diesen Kampf bereits verloren hatte.
"Lass gut sein!", sagte er in resigniertem Tonfall. Er musste schwer schlucken, als er Rodneys verständnislosen Blick auffing. Gut möglich, dass er an seiner Stelle noch nicht aufgegeben hätte, aber Carson wollte einfach nicht mehr.
"Ich hatte meine Chance", sprach er weiter, nicht lauter als ein Flüstern. "Und nun ist es vorbei."
Er spielte mit dem Gedanken, seine Schritte zu beschleunigen, um Rodney keine Chance zu geben, etwas zu entgegnete. Aber der Kanadier schien ohnehin sprachlos zu sein.
Noch ehe einer von beiden dazu kam, noch etwas zu sagen, war Ronons Stimme aus dem Wald zu hören. Der einstige Runner hatte die kleine Gruppe angeführt, da er das beste Talent im Spurenlesen hatte. So war er dem Rest ein paar Schritte voraus gewesen und war bereits seit einiger Zeit zwischen den Bäumen verschwunden. Die Art, mit der er nach Sheppard rief, machte aber umgehend deutlich, dass er etwas Interessantes gefunden hatte.
Carson beeilte sich den anderen nachzueilen, die dem Ruf gefolgt waren und sich ein paar Meter weiter um etwas versammelt hatten, das am Boden lag. Carson realisierte die Situation, noch ehe er die Gruppe ganz erreicht hatte.
Ronon hatte einen Toten gefunden. Daran, dass er auf dem Bauch lag und eine Schusswunde am Rücken aufwies, konnte man erkennen, dass es sich offenbar um einen Hinterhalt gehandelt haben musste. Aus dem Augenwinkel erkannte Carson, wie Jeannie für einen kurzen Moment erschrocken zurückweichen wollte. Ihm war klar, was sie erschreckt hatte. Der Tote trug eine Uniform der Atlantis-Expedition.
Auf den zweiten Blick jedoch war klar, dass dies nicht Ford war.
"Captain Miller", hörte er Sheppards Feststellung neben sich, während Ronon den toten Soldaten umdrehte. Der Colonel hatte Recht. Es war Millers Leiche und nach einem prüfenden Blick konnte Carson mit Sicherheit sagen, dass der Tod wohl schon vor mehreren Tagen eingetreten war.
"Sieht nach Genii aus", stellte Ronon fest, nachdem er die Schusswunde noch einmal gemustert hatte. Das hatte ihnen gerade noch gefehlt. War man vor diesem Volk denn nirgendwo sicher?
So grausam der Fund auch war, es gab zumindest ein wenig Hoffnung. Miller und Ford waren zusammen von den Wraiths geholt worden. Wenn es Miller geschafft hatte zu entkommen, dann war Ford höchstwahrscheinlich auch noch irgendwo. War er womöglich ein Gefangener der Genii geworden?
"Na schön!"
Alle Blicke richteten sich auf Sheppard, als dieser laut das Wort ergriff.
"Wir teilen uns auf. Baker, Sie schnappen sich Beckett und die McKays! Teyla, Ronon, Sinclair, ihr kommt mit mir! Der Rest kehrt zurück zum Gate und erstattet Weir Bericht."
Die Grüppchen fanden sich nach dem Befehl des Colonels zusammen. Dieser legte instinktiv eine Hand an seine P90, als er allen noch mal einen eindringlichen Blick zuwarf.
"Seid vorsichtig und haltet Funkkontakt!"
Dann wandte er sich um und marschierte mit einem lauten "Los geht's!" los.
Teyla, Ronon und Lt. Sinclair, der wie die anderen auch zu Bakers Team gehörte, folgten ihm, während sich Meyers und Bennet um die Bergung der Leiche kümmerten, um sich dann wie befohlen zurück zum Tor aufzumachen.
Carson warf nochmal einen kurzen Blick zurück, obwohl sich die anderen bereits auf den Weg machten. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Eine buchstäbliche Totenstille lag in der Luft und er war sich nicht sicher, ob das allein an Miller lag. Die Gefahr lauerte noch irgendwo. Sie wartete, um dann unerwartet zuzuschlagen.
Und mit diesen unruhigen Gedanken, wandte er sich um und folgte den anderen in den Wald hinein.

Die Füße raschelten leise durch das Laub, das über dem Waldboden verteilt war. Ansonsten fiel kaum ein Wort. Er hasste diese Stille, besonders wenn er bedachte, dass es noch so vieles gab, das endlich ausgesprochen werden musste.
Rodney war schon einige Zeit schweigend neben seiner Schwester einhergegangen. Sie hatte ihn nicht einmal angesehen. Ihr Blick war ernst und wirkte ungewöhnlich konzentriert, fast so, als rechnete sie jeden Augenblick damit, Aiden wieder zu sehen.
"Du könntest wenigstens mal mit ihm reden", knurrte der Astrophysiker schließlich, als es ihm nicht mehr gelang, seine Gedanken für sich zu behalten. Ihm war klar, Carson wollte nicht, dass er mit ihr darüber sprach, aber es war nicht seine Art, so etwas einfach so hinzunehmen.
"Halt dich da raus!", entgegnete ihm Jeannie kalt, ohne ihn anzusehen.
"Tut mir leid, dafür stecke ich schon zu tief drin", blaffte er eingeschnappt zurück. Jetzt wusste er, warum er sich geschworen hatte, jede Beziehung seiner Schwester mit Misstrauen zu sehen. Schlussendlich endete es nur in Problemen, die er ausbaden konnte. Einfacher wäre es mit Sicherheit gewesen, sich nicht einzumischen. Aber er konnte doch nicht einfach die Augen zumachen und so tun, als wäre nichts. Sie war immerhin seine Schwester und Carson sein bester Freund.
Zum ersten Mal schaute Jeannie ihn wieder an, aber es war ein drohender Blick.
"Ich brauche deine klugen Sprüche nicht", fauchte sie ihn trotzig an. Jetzt sollte noch einer behaupten, sie wäre kein Kind mehr. Damals hatte sie genauso wenig auf ihn gehört.
"Du willst einfach nicht einsehen, dass du dieses Mal im Unrecht bist", wies er sie aufgebracht hin. Ja, er gab es zu, sie war stets die Vernünftigere von ihnen gewesen. Wo er mit dem Kopf durch die Wand wollte, bewahrte sie die Ruhe. Wenn er sich auf seine eigene Meinung festfuhr, brachte sie ihn dazu, auch mal weiter hinaus zu sehen. So ungern er es sich eingestehen wollte, in den meisten Fällen behielt sie Recht.
Aber jetzt war das anders. Zum ersten Mal hatten sie die Rollen getauscht und es erschreckte ihn, wie stur seine Schwester die Tatsachen ignorierte und sie sich nicht einmal mehr von ihm etwas sagen ließ.
"Hauptsache, du kannst deinen Dickschädel durchsetzen", fügte er vorwurfsvoll hinzu und schüttelte verständnislos den Kopf. Völlig unerwartet blieb Jeannie stehen, als wäre sie vor eine unsichtbare Wand gelaufen. Rodney war so überrascht davon, dass er noch zwei Schritte weiter ging, ehe er sich verwundert umdrehte.
Voller Unbehagen registrierte er, wie die Wut in den Augen seiner Schwester funkelte.
"Hör auf, mich wie ein kleines Kind zu behandeln!", schrie sie ihren Bruder zornig an, so dass dieser sie nur völlig verdattert anschaute. Er hatte nicht damit gerechnet, dass ihre Stimme eine derartige Lautstärke annehmen konnte.
"Ich weiß selbst, was ich tue. Misch dich nicht in Dinge ein, die du nicht verstehst! Lass mich einfach in Ruhe!"
Damit warf sie ihm nochmal einen warnenden Blick zu, ehe sie aufgebracht davon stapfte.
Rodney hingegen blieb stehen, als hätte ihn jemand vor den Kopf gestoßen. Das war nicht die Jeannie, die er zu kennen geglaubt hatte. Sie hatte ihn noch nie so angeschrieen.
Noch immer durcheinander von dem Wortwechsel wollte er weiter gehen, zögerte aber, als Carson an ihm vorbeiging. Es war offensichtlich, dass er jedes Wort gehört hatte. Wie auch nicht? Der Streit musste im ganzen Wald zu hören gewesen sein.
Der Schotte sagte nichts, aber das betrübte Kopfschütteln verriet dem Astrophysiker, dass er genau damit gerechnet hatte und er deshalb nicht gewollt hatte, dass Rodney mit ihr redete.
Hinterher war man immer schlauer. Rodney schnaubte nur und folgte schließlich den anderen.

Nur ein kleines Stück weiter beobachtete Major Baker die Umgebung mit wachsamen Augen, während er sein Team anführte. Er war nicht sonderlich begeistert davon, einen Haufen Zivilisten um sich herum zu haben. Immerhin lauerten höchstwahrscheinlich noch die Genii hier irgendwo und bis auf Rodney McKay gehörte keiner seiner Begleiter zu einem Missionsteam. Das hieß aber noch lange nicht, dass er den Astrophysiker für einen solchen Einsatz fähig hielt. Naja, und Dr. Beckett hatte wenigstens auch schon das ein oder andere Mal einen Fuß auf Fremdwelten gesetzt. Zumindest hatte man ihm gezeigt, wie eine Waffe funktionierte. Aber ob er sie wirklich effektiv einsetzen konnte, wagte Baker zu bezweifeln. Und was ihn am meisten störte war, dass diese Tierforscherin mitkommen musste. Es war ihm egal, mit wem sie verwandt war oder was ihre Beweggründe für ihre Teilnahme an dieser Mission waren. Sie hatte noch so gut wie nie Fremdweltenluft geschnappt und das war seiner Meinung nach, in der gegenwärtigen Situation ein unzumutbares Risiko. Ihr Verhalten bestätigte dies nur. Sie stapfte sturköpfig vor sich hin, ohne auf mögliche Gefahren zu achten. Und musste sie ihre Familienverhältnisse ausgerechnet hier und in dieser Lautstärke klären?
Baker war kurz davor gewesen, dazwischen zu gehen, aber etwas erregte seine Aufmerksamkeit. Instinktiv verlangsamte er seine Schritte und strengte sein Gehör an. Er fühlte sich beobachtet. Irgendwo in der Nähe hatte ein Ast geknackt, da war er sich sicher. Und wenn es nicht einer seiner tollpatschigen Begleiter gewesen war, konnte dies nur auf eine Gefahr hindeuten.
Der Soldat ging inzwischen so langsam, dass er schlussendlich zum Stehen kam. Misstrauisch schaute er sich um, während seine Hand langsam zu seiner P90 wanderte. Hier war noch jemand, das spürte er ganz deutlich.
Hinter sich hörte er die Schritte der anderen, aber sie schienen noch nichts von seinem Argwohn gemerkt zu haben. Baker versuchte, sie zu ignorieren und konzentrierte sich auf sein Gespür. Und da…
Im nächsten Moment überschlugen sich die Ereignisse. Blitzschnell wirbelte der Soldat herum und zielte mit seiner Waffe auf den Punkt hinter dem er den Angreifer vermutete. Aber er war zu langsam. Ein Schuss fiel bereits, bevor Baker abdrücken konnte. Getroffen ging der Soldat zu Boden.
Rodney behielt einen erstaunlich kühlen Kopf. Geistesgegenwärtig hatte er seine Waffe gezogen und packte mit der anderen Hand seine Schwester, um sie hinter einen Baum in Deckung zu ziehen, während Carson umgehend zu dem getroffenen Soldaten gesprungen war und ihn ebenfalls aus der Schussbahn schleifte.
Hinter diesem Baum waren sie keineswegs sicher, aber nach der Richtung zu urteilen, aus der der Schuss gekommen war, befanden sie sich wenigstens nicht in unmittelbarer Gefahr. Zumindest reichte die Zeit, um den ersten Schreck zu überwinden und sich über Bakers Zustand zu vergewissern. Aber als Carson nach einem Puls suchte, blieb er erfolglos.
"Er ist tot", stellte er entsetzt fest und schaute auf, um in die geschockten Gesichter der McKay-Geschwister zu blicken. Aber es blieb keine Zeit, um noch irgendwelche Vorgehensweisen zu besprechen.
Ein weiter Schuss schlug zischend in den Baum ein und ließ Holzsplitter umherfliegen. Erschrocken sprang Carson auf und taumelte zur Seite. Der Schuss hatte ihn nur knapp verfehlt.
"Lauft! Los!", rief Rodney und stieß die beiden einen kleinen Hang hinunter, der ihnen zumindest für die ersten Sekunden Schutz auf ihrer Flucht bieten würde. Jeannie und Carson gehorchten widerspruchslos und hasteten los.
Immerhin gelang es Rodney trotz der Eile einen Notruf an Sheppard abzusetzen, was ihnen im Moment aber nicht besonders viel half. Den Schussgeräuschen zu urteilen waren es eindeutig Geniiwaffen gewesen und keiner konnte sagen, wie viele es waren und wo sie überall lauern konnten. Alles was sie tun konnten war zu rennen. Stehen zu bleiben bedeutete ein sicheres Ziel abzugeben und damit war man schon so gut wie tot.
Wenn sie doch nur ein Versteck gefunden hätten, indem sie wenigstens so weit in Deckung gehen konnten, um sich nur von einer Seite verteidigen zu müssen! Solange sie mit Sicherheit sagen konnten, aus welcher Richtung der Gegner kam, konnten sie ihm auch die Stirn bieten. Sie brauchten so etwas wie…wie eine Höhle!
Nur durch Zufall entdeckte Carson die Felsspalte zwischen den Bäumen. Das war momentan der einzige Ort, an den sie fliehen konnten.
"Da oben! Die Höhle!", rief er und rannte bereits los. Hinter sich hörte er hastige Schritte nacheilen. Er hoffte nur, dass sich dort drin nicht auch etwas Gefährliches verbergen würde. Völlig außer Atem stürmte er in die Höhle, huschte um einen Felsen und musste sich erst einmal mit dem Rücken an die Wand lehnen, um wieder Luft zu bekommen. Neben ihm tauchte Jeannie auf, nicht minder hechelnd. Es klang nicht so, als ob sie noch weiter unter Beschuss standen. Carson wagte einen vorsichtigen Blick um die Ecke und stellte zufrieden fest, dass ihnen offenbar niemand gefolgt war. Aber erst in diesem Augenblick erkannte er noch etwas.
"Wo ist Rodney?", fragte Jeannie erschrocken. Carson antwortete nicht. Seine Augen blickten nur entsetzt zum Höhleneingang, durch den noch immer niemand gekommen war. Er war sich sicher gewesen, dass er direkt hinter ihnen gewesen war.
In ihrer Verzweiflung griff Jeannie zum Funkgerät. "Rodney, hörst du mich?"
Keine Antwort. Stattdessen meldete sich Sheppard plötzlich.
"Was genau ist los bei euch?"
Carson holte tief Luft. Aber er konnte noch so hoffend auf den Eingang blicken, Rodney tauchte nicht auf.
"Wir sind angegriffen worden", berichtete er, nachdem er langsam die Sprechtaste seines Funkgeräts betätigt hatte. Er versuchte so sachlich wie möglich zu klingen, auch wenn es ihm schwer fiel. Doch jede Aufregung hätte Jeannie nur noch mehr verunsichert.
"Baker ist tot. Jeannie und ich sind in einer kleinen Höhle, aber wir haben Rodney aus den Augen verloren."
Er wagte es einen Blick zu ihr hinüber zu werfen und erkannte, wie ihr die Angst deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Es dauerte einen kurzen Moment, ehe sich der Colonel wieder meldete. "In Ordnung. Bleibt, wo ihr seid. Wir kümmern uns drum."
Damit war der Kontakt beendet. Abwarten sollten sie also. So gefährlich es da draußen auch war, er hätte nichts Schwereres verlangen können. Sie sollten einfach hier bleiben, ohne zu wissen, was vor sich ging.
"Wir müssen ihn suchen", entschied Jeannie plötzlich und wollte ohne jede Vorwarnung aus der Höhle laufen, doch Carson hielt sie fest.
"Bleib hier! Du kannst da nicht raus!"
"Aber was ist, wenn er unsere Hilfe braucht?"
Sie blickte ihn flehend an und es kostete ihn viel Mühe, nicht nachzugeben. Sie hatte doch Recht. Sie konnten sich hier nicht einfach verkriechen, während Rodney sie da draußen womöglich brauchte. Andererseits liefen sie wahrscheinlich direkt in eine Falle. Warum sonst hätten die Genii dann ihre Verfolgung aufgegeben?
"Du hast Sheppard gehört", gab er schließlich zurück. "Wir warten."
Er spürte, dass sie nachgab, aber nicht, weil sie einverstanden gewesen wäre. Carson schloss einen Moment die Augen, ehe er wieder zum Höhleneingang blickte. Er hoffte nur, dass es die richtige Entscheidung war.

Es war noch immer kalt und feucht. Carson verschränkte die Arme enger vor der Brust, während er einen vorsichtigen Blick nach draußen wagte. Es hatte angefangen zu regnen. Leise hörte man die Tropfen auf das Blätterdach des Waldes prasseln.
Aber ansonsten war es still. Niemand war zwischen den Bäumen zum Vorschein gekommen. Weder Freund noch Feind.
Betrübt wandte sich der Schotte ab und kehrte in die Höhle zurück. Wenn sie doch nur was von Sheppard gehört hätten. Aber bis jetzt hatte sich der Colonel noch nicht gemeldet und Carson wagte es nicht, ihn zu kontaktieren, aus Angst vielleicht seine Position zu verraten.
Für einen Augenblick blieb er unschlüssig stehen und beobachtete Jeannie schweigend. Sie hatte sich mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt und kauerte auf dem Boden, wo sie die Knie angezogen und ihre Arme um diese geschlungen hatte. Es war ihr deutlich anzusehen, wie entmutigt sie war.
Carson kam langsam näher und setzte sich dann neben sie. Ihm war bewusst, was sie so beschäftigte.
"Ich hab ihn angeschrieen", brach sie nach einiger Zeit ihr Schweigen, ohne aufzusehen. "Ich hab ihm gesagt, er soll mich in Ruhe lassen."
In ihre Verzweiflung mischten sich Schuldgefühle. Carson konnte nachvollziehen, welche Vorwürfe sie sich machte, ihrem Bruder solche Worte an den Kopf geworfen zu haben und nun vielleicht nie mehr eine Gelegenheit zu haben, sich dafür zu entschuldigen.
"Mach dir kein Sorgen", beruhigte er sie leise, während er einen Arm um sie legte. Es erschreckte ihn, wie sehr sie zittert. "Ich bin sicher, es geht ihm gut. Er hat sicher nur einen anderen Weg genommen."
Es klang wohl wie Wunschdenken, aber je mehr er darüber nachdachte, desto klarer erschien es ihm. Deshalb waren ihnen die Genii nicht gefolgt; weil Rodney sie abgelenkt hatte. Ein so riskantes Manöver hätte er dem Kanadier nicht zugetraut, aber seine Erfahrungen in Sheppards Team hatten ihm zweifellos solch strategisches Denken beigebracht.
"Wieso meldet er sich dann nicht?", hakte Jeannie hilflos nach. Eine berechtigte Frage.
"Vielleicht hatte er keine Gelegenheit", versuchte er eine schwache Erklärung. "Oder er hat sein Funkgerät verloren. Das ist alles schon vorgekommen."
Er musste aufhören damit. Je mehr er Jeannie beruhigen wollte, desto unglaubwürdiger wurden seine Erklärungen. Es waren jetzt nicht Worte, die sie brauchte, sondern die Gewissheit, dass jemand für sie da war, der sie beschützte. Und das würde Carson auch tun. Er war bereit dazu, Jeannie mit seinem Leben zu verteidigen.
Behutsam zog er sie enger zu sich, um ihr wenigstens ein kleinwenig Geborgenheit in dieser rauen Umgebung zu geben. Er spürte, wie ihre Hände ihn festhielten, als fürchte sie, er könne auch noch weggehen.
"Ich hab solche Angst, Carson", flüsterte sie verzweifelt, deutlich hörbar die Tränen unterdrückend. "Ich habe Aiden verloren. Wenn ich jetzt auch noch Rodney verliere…"
Sie brach mitten im Satz ab und klammerte sich noch fester an ihn. Sie würde das nicht verkraften, das wusste Carson. Er zweifelte nicht daran, dass Jeannie eine starke Frau war. Sie hatte in den letzten Wochen mehr an Stärke bewiesen, als man es ihr zugetraut hätte. Aber wenn das Schicksal ihr jetzt auch noch ihren Bruder wegnehmen würde, war er nicht sicher, ob Jeannie das durchstehen würde.
Er spürte, wie sie in seinen Armen zitterte.
"Shh, ist ja schon gut", beruhigte er sie leise und gab ihr einen liebevollen Kuss auf die Stirn. "Du brauchst keine Angst zu haben."
Er hörte sie leise schniefen, ehe sie hilfesuchend zu ihm aufblickte.
"Versprich mir, dass du bei mir bleibst!"
Er warf ihr ein aufmunterndes Lächeln zu, als er nickte und ihr eine Strähne aus dem Gesicht strich. "Ich versprechs dir."
Im Stillen hoffte er, dass sich alles zum Guten wenden würde. Dass Rodney wieder unversehrt auftauchte und sie alle sicher nach Atlantis zurückkehren konnten.
Er wusste nicht, wie lange sie so da saßen. Fast kam es ihm so vor, als würde Jeannie langsam einschlafen und auch ihm fielen kurz die Augen zu.
Aber dann hörte er plötzlich ein Geräusch. Schritte!
Alarmiert öffnete er die Augen und hob er den Blick. Augenblicklich erstarrte er.
Neben ihm regte sich auch Jeannie, als hätte sie ebenfalls die neue Anwesenheit gespürt. Doch kaum, dass sie sich vergewisserte, zuckte sie erschrocken zusammen.
Fassungslos starrte sie ihn an, ehe sie als erster die Worte wieder fand.
"Aiden…", stammelte sie nur völlig überrascht und blickte dem jungen Soldaten ins Gesicht, der vor ihnen im Eingang der Höhle stand.

Es war, als hörte die Welt um sie herum für einen kurzen Moment auf, zu existieren. Sie konnte nicht glauben, dass er tatsächlich vor ihr stand, nach allem, was in den letzten Wochen und Monaten passiert war. Sie wagte es nicht, sich zu bewegen oder auch nur zu blinzeln, aus Angst, es könne womöglich nur ein Traum sein, aus dem sie wieder aufwachen würde.
Nein, das war kein Traum. Das war die Realität. Aiden lebte. Hier und jetzt. Und nur noch wenige Schritte trennten sie von ihm.
Unverzüglich sprang sie auf. So musste es sich anfühlen, wenn man ein Wunder miterlebte. Sie wollte auf ihn zu rennen, ihm um den Hals fallen und ihn dann nie wieder loslassen. Aber irgendetwas hielt sie zurück. Sie wusste nicht, was. Vielleicht war es die Tatsache, dass Aiden kein Wort sagte, noch nicht einmal lächelte. Er stand einfach nur da und schaute sie mit ernster Miene an.
"Wo um alles in der Welt kommen Sie her?", hörte sie Carson fragen, der nun ebenfalls endlich seine Sprache wieder gefunden hatte und sich erhoben hatte. Doch Aiden antwortete nicht. Er schwieg weiterhin, ohne auch nur einen von beiden aus den Augen zu lassen.
Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. So viele Fragen waren noch offen. Wie es ihm gelungen war, den Wraith zu entkommen. Was er über die Genii wusste, die hier im Wald lauerten. Und was in all den Wochen passiert war, in denen sie nach ihm gesucht hatten.
Jeannie beschloss, sich ein Herz zu fassen. Was kümmerten sie all diese Fragen? Sie war nur überglücklich, ihn wieder zu sehen und sie wollte alle Zweifel über Bord werfen. Entschlossen wollte sie auf ihn zugehen, um ihn nach so langer Zeit endlich wieder in die Arme nehmen zu können. Jeden Meter, der sie noch trennte, hielt sie kaum noch aus.
Aber sie hatte gerade mal einen Schritt gemacht, da geschah etwas, womit sie nie gerechnet hätte. Aiden hob seine Waffe. Erschrocken blieb Jeannie wie angewurzelt stehen und starrte ihn entsetzt an.
Was zum Teufel sollte das bedeuten? Es wirkte fast so, als hätte er sich durch ihr Vorhaben bedroht gefühlt, dabei hatte sie geglaubt, dass es ihm genauso gehen müsste.
"Was soll das?", fragte Carson, nicht minder verwirrt.
Nun erst erkannte Jeannie, dass die Waffe nicht auf sie gerichtet war. Was ging hier bloß vor?
"Ganz hinten links gibt es einen Seitengang. Geht da rein!", forderte sie Aiden ohne jede Spur von Emotionen auf. Er benahm sich, als hätte er zwei Gegner vor sich, die er streng nach Dienstvorschrift in Gewahrsam halten musste, anstatt zwei alte Freunde wieder zu treffen - und darunter die Frau, die er liebte.
Sie sah vorsichtig über ihre Schulter und wechselte einen stummen Blick mit Carson, der ebenso verwundert über Aidens Verhalten war.
"Reingehen, hab ich gesagt!", schrie Aiden die beiden ungeduldig an, als diese seiner Aufforderung nicht umgehend nachkamen. Jeannie fuhr erschrocken zusammen. Das war nicht der Mann, den sie gekannt hatte. Irgendetwas musste mit ihm passiert sein. Hatten die Wraith womöglich eine Art Gehirnwäsche mit ihm gemacht? Erkannte er sie denn überhaupt noch?
Jeannie stand kurz davor, ihm all diese Fragen zu stellen, aber sie spürte, dass Carson sie kurz am Arm berührte, um ihr damit zu verstehen zu geben, dass sie besser auf das hörten, was Aiden ihnen befahl.
Unschlüssig folgte sie dem Schotten tiefer in die Höhle hinein und merkte, wie Aiden ihnen in sicherem Abstand folgte. Tatsächlich offenbarte sich hinter einem großen Felsen ein schmaler Gang, den man kaum gesehen hätte, wenn man nicht von ihm gewusste hatte. Diesen gingen sie gehorsam entlang, bis sie ein großes Gewölbe erreichten.
Staunend ließen die beiden ihre Blicke umherwandern. Das war nicht einfach nur eine Höhle. Das war ein Versteck, in dem wohl schon seit längerer Zeit jemand lebte. Steine waren wie zu kleinen Sitzgruppen angeordnet worden. An den Wänden spendeten Fackeln angenehme Lichtverhältnisse. Und in einer Ecke war Stroh angehäuft worden, um eine Schlafmöglichkeit zu bieten.
Jeannie war mehr als sprachlos. Ihr Verstand hatte längst realisiert, was das alles zu bedeuten hatte. Hier war Aiden also die ganze Zeit gewesen. All die Wochen, in denen sie vor Sorge um ihn fast verrückt geworden wäre, hatte er sich hier versteckt. Aber wieso bloß? Warum hatte er zugelassen, dass sie sich in ihrer Verzweiflung beinahe selbst in den Wahnsinn getrieben hätte?
"Darf ich fragen, was das werden soll?", ergriff Carson erneut das Wort, als Aiden ebenfalls aus dem Gang herausgetreten war und nun wieder vor ihnen stand. Er antwortete nicht. Seine dunklen Augen fixierten den Schotten mit durchdringendem Blick, während er seine Waffe noch immer auf ihn richtete. Ohne irgendeine Gefühlsregung, die gezeigt hätte, dass er sich freute, die beiden wieder zu sehen. Im Gegenteil. Er begegnete ihnen mit erschreckender Kaltherzigkeit.
Carson versuchte zu verstecken, dass ihm das Herz bis zum Hals schlug. Vor einem Monat hätte er sich noch nicht ausgemalt, dass er vor einem Mann um sein Leben fürchten musste, den er für seinen Freund gehalten hatte.
Und dann, völlig unerwartet, als habe plötzlich jemand einen Schalter umgelegt, lachte Aiden auf und ließ seine Waffe sinken.
"Sie sollten mal Ihr Gesicht sehen, Doc", bemerkte er grinsend, während er seine P90 lässig auf einem Felsen warf und amüsiert den Kopf schüttelte. "Aber Sie waren ja noch nie der Mutigste gewesen."
Sollte das gerade ein Witz gewesen sein? Carson starrte ihn nur völlig entgeistert an. Es war ihm unbegreiflich, wie ihm im ersten Moment diese steinerne Mine angeblickt haben konnte und nun plötzlich wieder dieses vertraute unbeschwerte Lachen auf Fords Gesicht auftauchte. Der Schotte war viel zu überrascht von diesem Stimmungsumschwung, als dass er irgendetwas sagen konnte, aber Jeannie packte schlagartig die Wut. Sie konnte herzlich wenig über diesen Scherz lachen.
"Hör auf!", rief sie aufgebracht und erreichte tatsächlich, dass Aidens Lachen verstummte und er sie fragend anblickte. Zugegeben, sie war erleichtert, wieder das vertraute Lächeln in seinem Gesicht zu sehen, das sie immer so an ihm geliebt hatte. Aber es fiel ihr schwer, über den Schrecken hinwegzukommen, den sein taktloser Streich soeben bei ihr hinterlassen hatte.
"Wo bist du überhaupt die ganze Zeit gewesen?", fuhr sie vorwurfsvoll fort, wobei sie aufgeregt mit ihren Armen herumfuchtelte. Sie drohte von ihren Emotionen übermannt zu werden. Wut, Verzweiflung, Erleichterung, Angst. Alles, was sie in den letzten Wochen an Gefühlen durchgestanden hatte, vermischte sich und entlud sich nun wie ein Vulkan. Es kam ihr fast so vor, als wäre er sich gar nicht darüber bewusst, was sie seinetwegen durchgemacht hatte. "Wir haben alle gedacht, du wärst tot."
Aiden holte tief Luft und nickte schließlich einsichtig, ehe er näher kam und vor ihr stehen blieb. "Das ist eine lange Geschichte, Jeannie", sagte er leise und berührte sie sanft an der Wange. Tief in ihr durchfuhr sie eine Welle von beruhigender Wärme. Umgehend löste sich ihre ganze Wut in Luft auf. Es war schwer zu begreifen, dass so ein kleiner Augenblick all die bösen Erinnerungen verdrängen konnte und nur einen Glücksmoment zurückließ. So wie er jetzt wieder vor ihr stand, sie mit seinen sanften dunklen Augen anblickte, da glaubte sie sich wieder in der Zeit zurückversetzt, als ob dies alles nie passiert wäre. Ergeben schloss sie für einen Moment die Augen. Ihr wurde erst jetzt wieder bewusst, wie sehr sie ihn vermisst hatte und wie gut es tat, seine Berührung zu spüren.
"Ich habe gewusst, dass du kommen wirst", fügte er lächelnd hinzu.
Ja, sie konnte es selbst kaum glauben, dass sie ihr Versprechen tatsächlich eingehalten hatte. Nach allem, was passiert war, hatte sie eigentlich gedacht, dass sie längst aufgegeben hätte.
Nur wenige Schritte von ihnen entfernt musste Carson seinen Blick abwenden. So sehr er sich auch zur Stärke ermahnte, er konnte es nicht ertragen, die beiden so zu sehen. Er fühlte sich wie ein Feldherr, der nach einer Schlacht, in der er seine gesamte Armee verloren hatte, nun die bittere Niederlage akzeptieren musste. Aiden war hier, ohne jeden Zweifel. Und er hatte sich seinen rechtmäßigen Platz in Jeannies Herzen zurückerobert.
"Ich hatte solche Angst", gestand sie leise und schaute Aiden wieder in die Augen.
"Tut mir leid", entgegnete ihr dieser, als er seine Hand zurückzog. "Aber ich brauchte Zeit, um einige Vorbereitungen zu treffen."
Jeannie runzelte für einen kurzen Augenblick die Stirn. Auf unerklärliche Weise spürte sie auf einmal wieder eine unangenehme Distanz zwischen sich und Aiden. Da war etwas in seinen Augen, das anders war als früher. Ein Ausdruck, den sie nicht kannte und der ihr Sorgen bereitete.
"Was für Vorbereitungen?", fragte sie deshalb mit einer Spur von Misstrauen.
Aiden hingegen schaute verschwörerisch zwischen ihr und Carson hin und her, so als ob er es kaum erwarten konnte, ihnen von seiner neuen Entdeckung zu erzählen.
"Interessiert es euch denn gar nicht, wie es mir gelungen ist, von einem Basisschiff zu entkommen?"
Keiner antwortete ihm.
Wieso hab ich das Gefühl, dass mir die Antwort nicht gefallen wird?, schoss es Carson durch den Kopf, während er den jungen Soldaten kritisch begutachtete. Dieser fing vor Begeisterung an, aufgeregt hin und her zu laufen, als ließe es eine innere Unruhe nicht zu, dass er auch nur eine Sekunde still stehen konnte.
"Auf Wetriban hat mich ein Wraith erwischt. Ich dachte schon, mein letztes Stündlein hätte geschlagen."
Er lachte auf, ohne darauf zu achten, dass die anderen beiden jede seiner Bewegungen mit Misstrauen verfolgten. So redete man doch nicht, wenn man knapp dem Tod entronnen war, oder doch? Man hätte fast glauben können, eine Spur von Wahnsinn herauszuhören.
"Und dann kam Miller", berichtete Aiden unbeirrt. "Ein echter Teufelskerl, sag ich euch. Er hat das Monster platt gemacht. Peng! Mit nur einem Schuss! Direkt in den Schädel!"
Er unterstrich seine Worte mit wilden Gesten, die Jeannie allerdings mehr erschreckten als begeisterten. Früher hatte er nie so respektlos über gefährliche Situation geprahlt.
"Dummerweise kam dann dieser Jäger und hat uns beide aufgesammelt", fuhr Aiden dessen ungeachtet fort und seine Miene wurde für einen kurzen Augenblick recht düster. "Aber sofort nachdem ich wieder zu mir gekommen bin, hab ich gemerkt, dass etwas anders war. Ich war auf einmal…stärker."
Er presste seine Hand zu einer Faust zusammen und lächelte triumphierend. Aber es war ein kaltes, beängstigendes Lächeln. "So konnte ich Miller und mich befreien. Ich! Ganz allein! Das ist unglaublich, oder?"
Er strahlte seine beiden Zuhörer erwartungsvoll an. Aber diese schwiegen. Keiner von ihnen wusste so recht, was entgegnen sollte. Aidens Geschichte klang irgendwie verrückt. Wie sollte es einem einzelnen Mann gelingen, gegen eine Armee von Wraith zu bestehen? Noch dazu, wenn er zuvor einem direkten Angriff ausgesetzt gewesen war.
Und plötzlich sah es Carson ganz klar vor sich, so als hätte ihm jemand eine Tür zur Antwort geöffnet.
"Das Enzym", stellte er beunruhigt fest. "Es ist das Enzym, richtig?"
Aiden wandte sich ihm zu und nickte eilig, offensichtlich froh darum, dass ihm jemand auf seinem Gedankengang gefolgt war.
"Genau zu diesem Schluss bin ich auch gekommen, Doc", entgegnete er grinsend und wedelte mit seinem Zeigefinger herum. "Es ist einfach großartig! Es macht mich schneller und stärker. Ich kann besser hören und sehen."
Genau die Reaktion, die Carson nicht gerne sah. Er hatte lang genug an diesem Gebiet geforscht und die Erkenntnisse waren nicht gerade erfreulich gewesen. Ein solches Enzym wirkte nicht anders als eine Droge. Und die Tatsache, dass Aiden so voller Begeisterung davon sprach, machte deutlich, dass er wohl keine Ahnung hatte in welcher Gefahr er sich befand.
"Aber…", begann Jeannie zögernd, nachdem sie wohl einige Zeit gebraucht hatte, um alles Gehörte zu kombinieren. "…müsste es sich nicht nach einiger Zeit abbauen?"
"Genau!", gab ihr Aiden eifrig Recht. Wie es aussah war er auf all ihre Reaktionen bereits vorbereitet. Sie folgten genau seinen Plänen und das ließ ihn in Carsons Augen unheimlich erscheinen.
"Das ist der Grund, wieso ich so lange gebraucht habe. Es ist mir gelungen herauszufinden, wie ich das Enzym von toten Wraiths extrahieren kann."
Carson starrte ihn geschockt an. Genau das hatte er befürchtet.
"Aber das bedeutet doch…", konterte Jeannie langsam, kam aber nicht dazu, weiter zu sprechen. Carson hatte genug von den naiven Ansichten des Soldaten. Es wurde Zeit, dass ihm jemand vor Augen führte, wo die Fakten wirklich lagen.
"Es wirkt wie eine Droge, Ford", wies er ihn ernst hin und er konnte nicht verhindern, dass sein Tonfall etwas Vorwurfsvolles innehatte. "Sie sollten besser an einer Lösung arbeiten, wie sie davon loskommen, nicht wie Sie noch abhängiger davon werden."
Vielleicht rührte seine plötzliche Wut auch daher, dass Ford aus diesem absurden Grund für so viel Aufregung gesorgt hatte. Aus reinem Egoismus hatte er hingenommen, dass seinetwegen Menschenleben auf gefährlichen Missionen riskiert wurden, dass sich ganz Atlantis nur noch auf diese eine Suchaktion konzentriert hatte und dass Jeannie eine der wohl furchtbarsten Zeiten ihres Lebens durchgemacht hatte. So etwas schürte Hass in Carson. Aber noch gelang es ihm, diesen zu unterdrücken.
Aiden hingegen zeigte wenig Einsicht. "Wieso? Was ist so verkehrt daran, ein besserer Soldat zu sein?", gab er herausfordernd zurück.
Carson erwiderte nichts darauf, sah ihn einfach nur mit ernster Mine an. Es musste die Wirkung des Enzyms sein, die ihn so denken ließ. Niemand sonst würde das Offensichtliche so gekonnt ignorieren.
Aiden wartete einige Sekunden geduldig auf eine Reaktion des Schotten. Als diese jedoch ausblieb, schüttelte er abfällig den Kopf. Er schien seine Bestätigung zu haben.
"Sehen Sie, genau das ist der Grund, weshalb ich nicht einfach zurückgekommen bin", erklärte er, während er ein paar Schritte auf Carson zumachte. "Sie hätten angefangen, an mir herumzuexperimentieren, hab ich Recht?"
"Reden Sie doch keinen Unsinn, mein Junge."
Ein mulmiges Gefühl beschlich den Schotten, als er den Ausdruck in den Augen seines Gegenübers erkannte. Es war derselbe dunkle Schatten, der auch über ihnen gelegen hatte, als er ihm im Höhleneingang gegenübergestanden hatte. Er verhinderte seine nächste Reaktion vorhersehbar zu machen und flößte zweifellos Angst ein.
"Stimmt, Ihnen hätte es hervorragend in den Kram gepasst, wenn ich nicht zurückgekommen wäre."
Er stand nun direkt vor ihm und funkelte ihn voller Verachtung an, so dass Carsons ganze Selbstsicherheit drohte in sich zusammenzufallen.
"Was redest du denn da?", erwiderte Jeannie empört, aber Aiden machte sich nicht die Mühe sie anzusehen. Stattdessen durchbohrte er den Schotten mit seinem finsteren Blick.
"Glaubt ihr etwa, ich hab es nicht gemerkt?", rief er aufgebracht. "Ich beobachte euch schon, seit ihr durch das Tor gekommen seid."
Carson spürte, wie sich etwas tief in ihm zusammenzog. Es macht mich schneller und stärker. Ich kann besser hören und sehen, hallten Fords Worte in seinem Kopf wieder. Das bedeutete also, er wusste alles. Der Streit zwischen Jeannie und Rodney, die Zeit, als sie am Höhleneingang ausgeharrt hatten. Ford hatte sie beobachtet und belauscht und es war nur logisch, dass er eins und eins zusammengezählt hatte. Deshalb war er zuerst so abweisend gewesen. Eifersucht und Hass brodelten in dem jungen Soldaten.
Carson warf einen nervösen Blick zu Jeannie hinüber, die diesen erwiderte. Keiner von ihnen wusste, was sie darauf erwidern sollten.
Ford beobachtete Carsons Angst jedoch voller Genugtuung und nachdem er einen Moment vergeblich auf eine Rechtfertigung gewartet hatte, machte er einen langsamen Schritt nach vorne. Umgehend wich Carson zurück. Er war sich nicht sicher, wie weit ein Mann unter den gegebenen Umständen und unter Einfluss des Enzyms gehen würde. Vor ihm stand nicht der Aiden Ford, den er gekannt hatte.
Erschrocken musste er feststellen, dass er bereits nach zwei Schritten mit dem Rücken gegen die Wand stieß.
"Jetzt haben Sie wohl die Hosen voll, was?", fauchte Aiden herausfordernd und kam so lange näher, bis er ihm Auge in Auge gegenüberstand. Das beunruhigende war, dass sich sein Tonfall ungewöhnlich ruhig anhörte. "Geben Sies doch zu! Sie hätten es lieber gehabt, mich tot zu finden."
Carson schluckte mühsam seine Furcht herunter, während er ihm unsicher in die Augen sah.
"Ford, hören Sie…", rang er sich dazu durch, etwas zu sagen. Aber wie sollte er fortfahren?
Nein, er hatte ihm nicht den Tod gewünscht. Manchmal waren ihm solche Gedanken durch den Kopf geschossen, aber er hatte sie schnell wieder verbannt. Für ihn zählte das Leben mehr als alles andere. So viel, dass er einen Eid darauf geschworen hatte, es zu bewahren. Wie könnte er ihm da den Tod wünschen?
Doch noch ehe er sich versah, hatte ihn Aiden bereits am Hals gepackt und drückte ihn mit voller Wucht gegen die Wand, so dass er keine Luft mehr bekam.
"Aiden!"
Entsetzt kam Jeannie herbeigeeilt und blieb neben den beiden stehen.
"Lass ihn los, Aiden! Ihr seid Freunde, hast du das vergessen?"
Sie fuhr ihn nicht an, sie war nicht hysterisch. Stattdessen redete sie mit einer beachtlichen Ruhe auf ihn ein, ohne dabei die Nerven zu verlieren. Ihr war klar geworden, dass sie ihn nicht von seinem Vorhaben abbringen konnte, wenn sie seine Wut noch weiter anstachelte.
"Freunde?", wiederholte der aufgebrachte Soldat spöttisch. "Ein toller Freund ist das, der mir meine Freundin ausspannt, sobald ich von der Bildfläche verschwunden bin."
Zornig biss er die Zähne zusammen und drückte noch fester zu. Carson kämpfte vergeblich um jedes bisschen Luft. Aiden war stark genug, um ihn so weit nach oben zu halten, dass er den Boden unter den Füßen verloren hatte. Keuchend versuchte er, etwas zu sagen, aber er brachte nichts heraus, sah stattdessen bereits die ersten schwarzen Punkte vor seinen Augen tanzen und glaubte mit seinem Leben abschließen zu müssen.
"Aiden, bitte", versuchte es Jeannie noch einmal eindringlich. Sie schaute nur Aiden an, auch wenn sie aus dem Augenwinkel erkannte, dass sich Carsons hochroter Kopf allmählich blau färbte.
Ford haderte mit sich. Jetzt hatte er die Gelegenheit, seinem Hass freien Lauf zu lassen und eine Stimme stachelte ihn immer weiter dazu an, als er sah, dass der wehrlose Schotte bereits die Augen verdrehte. Aber Jeannies Worte hallten in seinem Kopf immer wieder und so gab er endlich nach und ließ Carson los.
Keuchend sank dieser an der Wand entlang zu Boden, wo er nach Luft ringend liegen blieb. Jeannie atmete unhörbar auf. Es hatte sie viel Mühe gekostet, diese Ruhe zu bewahren.
"Sie bewegen sich auf verdammt dünnem Eis, Doc", fauchte Ford ungehalten auf den hustenden Schotten hinunter. "Ich warne Sie! Jeannie gehört mir! Und zwar mir allein!"
Damit wandte er sich um und entlud seinen Zorn, indem er ein paar Schritte davon stapfte und zornig gegen einen Stein trat. Er war wütend darüber, nicht zu Ende gebracht zu haben, was er angefangen hatte. Was fiel diesem Kerl eigentlich ein, zu glauben, er könnte seine Jeannie haben?
"Sie haben kein Recht, das zu sagen!"
Ford hielt augenblicklich in seiner Bewegung inne und drehte sich fassungslos um. Hatte er da gerade richtig gehört?
Carson hatte sich inzwischen mühsam wieder aufgerichtet. Er wirkte mitgenommen, strahlte aber eine ungeahnte Entschlossenheit aus.
"Wie war das bitte?", zischte Aiden zwischen den Zähnen hindurch. Innerlich brodelte bereits wieder seine Wut.
Carson hatte aber nicht vor, sich noch weiter einschüchtern zu lassen. Hier ging es nicht allein um ihn, sondern auch um Jeannie. Und wenn er sich schon nicht verteidigen konnte, so musste er wenigstens sie beschützen.
"Sie ist kein Gegenstand, der irgendjemandem gehört und den man nach Belieben hin und her schieben kann", fuhr er seinen Kontrahenten an und richtete sich trotzig auf.
Nochmal würde er nicht zurückweichen. Aber noch ehe er sich versah, war Ford bereits auf ihn zugestürmt gekommen und schlug ihn mit einem einzigen Schlag ins Gesicht nieder.
"Hört auf!", schrie Jeannie und ging dazwischen. Sie war nicht bereit, das noch länger mit anzusehen. Sie verabscheute Gewalt und noch mehr hasste sie es, wenn es sich dabei um ein solch unterschiedliches Kräfteverhältnis handelte. Egal wie mutig Carson auch sein mochte, er würde Aiden immer unterlegen sein. Aber sie konnte es nicht fassen, dass dieser trotzdem weiterhin so skrupellos auf jemanden einschlug, der schwächer war als er.
"Wieso tust du das?", fuhr sie ihn an. Vier Worte, die sie bitter bezahlen musste. Für einen kurzen Augenblick sah sie noch den Zorn in Aidens Augen aufblitzen, dann traf sie bereits eine schallende Ohrfeige.
Völlig verwirrt taumelte sie zurück und legte entgeistert eine Hand auf die schmerzende Stelle. Dies war mehr als nur ein Schlag ins Gesicht gewesen. Sie hatte mit vielem gerechnet, aber damit nicht. Sie hatte nicht aufgehört, an seine Vernunft zu glauben, aber jetzt hatte er diese Hoffnung unmissverständlich zunichte gemacht.
"So ist das also", fluchte Aiden mit vor Wut bebender Stimme. "Kaum bin ich weg, schmeißt du dich dem nächstbesten Kerl an den Hals. Und von so jemand dachte ich, dass er mich liebt."
Jeannie ließ ihre Hand sinken und sah ihn hilflos an. Ihr war die Enttäuschung nicht entgangen, die mit diesen Worten schwangen. Genau vor dieser Konfrontation hatte sie sich immer gefürchtet.
"Das tu ich doch", beharrte sie leise.
"Halt den Mund!", brachte er sie schreiend zum Schweigen. "Ich glaube dir kein Wort mehr."
Dann sah er kalt auf den Schotten hinunter, der sich inzwischen zumindest ein wenig aufgerichtet hatte und kurz mit dem Handrücken über sein Gesicht fuhr, um sich das Blut wegzuwischen, das aus seiner Nase getropft war.
"Ich hätte doch auf Sie schießen sollen, anstatt auf Baker."
Carson sah schockiert zu ihm auf.
"Das waren Sie?"
Erschrocken beobachtete er, wie Ford langsam unter seine Uniformjacke griff und schließlich eine Geniiwaffe hervorzog.
"Habt ihr wirklich geglaubt, es gäbe auf diesem gottverlassenen Planeten Genii?"
"Aber Miller…"
"Miller war ein Idiot." Er schüttelte verachtend den Kopf. "Er wollte zurück nach Atlantis. Heimlich, still und leise. Weil er mich für einen Irren hielt."
Das musste ein Traum sein. Ein Alptraum! Jeannie schüttelte den Kopf, in der Hoffnung aufzuwachen. Sie weigerte sich zu glauben, dass der Mann, der ihr einst mehr bedeutet hatte als irgendjemand sonst, einen Unschuldigen getötet hatte.
"Nein", stammelte sie leise. "Das bist nicht du. Das ist nicht der Mann, den ich geliebt hab."
"Ach nein?", gab er herausfordernd zurück. "Soll ichs dir beweisen?"
Ohne weiter zu zögern, packte er sie grob und drückte seine Lippen auf die ihrigen. Es kümmerte ihn nicht, dass sie sich wehrte und sich von ihm losreißen wollte. Er war sich seiner eigenen Stärke bewusst und wenn er Jeannie nicht freiwillig bekam, musste er sie eben dazu zwingen.
Carson erschrak. Hatte er jetzt etwa komplett den Verstand verloren? Unverzüglich sprang er auf und riss den Soldaten von ihr weg.
"Lassen Sie sie in Ruhe!", fuhr er ihn an und baute sich entschlossen vor ihm auf. Er würde Ford keine Gelegenheit mehr geben, Jeannie weh zu tun. Egal was passieren würde, er würde sie verteidigen. Ford zeigte sich aber wenig beeindruckt von Carsons Drohung.
"Sonst was, hm?"
Carson schluckte schwer. Er sah keinen anderen Ausweg mehr. Er wollte sich nicht schon wieder von ihm unterkriegen lassen. Bevor er überhaupt realisierte, was er tat, hatte er bereits seine Waffe gezogen und zielte auf seinen Gegenüber. Wenn das die einzige Möglichkeit war, ihn vom Leib zu halten, musste das eben so sein.
Im ersten Moment schien Ford tatsächlich etwas verunsichert von Carsons Reaktion zu sein. Normalerweise griff der Schotte wirklich nur im äußersten Notfall zur Waffe. Aber schließlich fasste er sich wieder und lachte leise auf.
"Na los doch!", stichelte er. "Versuchen Sie's, wenn Sie sich trauen."
Carsons Hand zitterte vor Wut. Er wollte, dass sich das Blatt wendete. Er wollte auch mal die Angst in seinem Gesicht sehen, anstatt sie selbst zu spüren. Wann konnte er ihm endlich beweisen, dass er ihn ernst nehmen musste?
Ford sah ihn einfach nur an, ohne irgendwelche Anstalten zu machen, sich zu wehren oder davon zu laufen. Er wartete einfach. Er wartete, in der Gewissheit, dass Carson auch diesmal nicht den Mut finde würde, seine Drohung wahr zu machen.
Ein Teil von ihm stand kurz davor abzudrücken. Der Gerechtigkeit willen. Für Miller. Für Baker. Aber vor allem für Jeannie.
Es war auf einmal ganz einfach, sich der Welle von Zorn, Hass und Gewaltbereitschaft zu ergeben. Nur eine kleine Bewegung und er hätte gewonnen.
Dann wurde ihm aber klar, was er gerade dabei war, zu tun. Ohne es selbst zu sehen wusste er, dass Jeannie ihn beobachtete. Und auch wenn sie kein Wort sagte, so war ihm klar, dass sie nicht wollte, was er hier tat. War er denn besser, wenn er sich jetzt auch zum Mörder machte? Ihm wurde bewusst, dass Jeannie nur deshalb nichts sagte, weil sie überzeugt war, dass er nicht abdrücken würde. Nicht, weil sie an seinem Mut gezweifelt hätte, sondern weil sie an das Gute in ihm glaubte.
Er atmete tief durch, ehe er sich dazu durchrang, die Waffe langsam sinken zu lassen. Es war nicht einfach, nachzugeben. Für manche mochte es schwächlich wirken, jetzt einen Rückzieher zu machen. Aber es verlangte noch viel mehr Stärke, eine Niederlage zu akzeptieren und dafür seinen Überzeugungen treu zu bleiben.
Vielleicht würde er Ford so zur Vernunft bringen, indem er ihm bewies, dass er nichts Böses im Sinn hatte. Immerhin waren sie doch Freunde.
Ford nickte zufrieden, als er verfolgte, wie Carson nachgab.
"Ich wusste doch, Sie sind ein Feigling", bemerkte er kalt, ehe er blitzschnell seine Waffe hob und schoss.

Alles war so unerwartet geschehen und doch hatte Carson das Gefühl gehabt, jedes einzelne Detail genau registriert zu haben. Auch wenn Ford rasend schnell reagiert hatte, war es Carson so vorgekommen, als hätte er die Waffe in Zeitlupe gezogen.
Er hatte keinen Versuch unternommen, dem irgendwie zu entgehen. Er hatte akzeptiert, dass es zu spät sein würde, um sich noch irgendwie gegen das Ende zu wehren.
Wie ein Verurteilter, der bereitwillig sein Todesurteil empfing. Vielleicht ergab dann ja doch noch alles einen Sinn. Ihm stand es nicht zu, das Schicksal in Frage zu stellen.
So viele Bilder blitzten in diesem Bruchteil der Sekunde vor ihm auf. Er sah seine Heimat, seine Mutter, den weiten Ozean von Atlantica. Unbedeutende Erinnerungen mischten sich mit Dingen, die ihm mehr als alles andere bedeuteten. Der Geruch von Kaffee in der Cafeteria, der Wind, der oftmals kalt und zugig war. Der Tumult, der oft auf seiner Krankenstation geherrscht hatte. Rodney, seinen besten Freund. Und Jeannie…
An diesen Gedanken klammerte er sich. Er spürte keinen Schmerz, nur eine unsichtbare Kraft, die ihn unbarmherzig zu Boden drücken wollte. Er hatte sich gewünscht, ein Leben mit ihr verbringen zu können. Mit ihr den Sonnenuntergang zu beobachten. Sie im Arm halten zu können, wenn er morgens aufwachte. Ihr aufheiterndes Lächeln zu sehen, wenn er mal nicht weiter wusste. All seine Träume waren geplatzt wie eine Seifenblase. In einem einzigen Augenblick.
Das einzige, was ihn tröstete war, dass er nicht allein war; dass sie bei ihm sein würde, wenn er sich der Dunkelheit ergeben musste. Der letzte Augenblick, der allein ihm und ihr gehören würde.
Und dann, langsam und unaufhaltsam, bahnte sich doch noch ein entsetzlicher Schmerz seinen Weg. Aber es war kein Schmerz, zu dem irgendeine Waffe fähig gewesen wäre. Carsons Augen weiteten sich vor Entsetzen.
"Jeannie…", brachte er nur tonlos heraus.
Er hatte sie nicht gesehen. Sie war schneller gewesen, als sein Verstand es hätte realisieren können. Er hatte nur den Lauf der Waffe gesehen, den todbringenden Schuss gehört. Aber er hatte vergeblich darauf gewartet, mit ihm fortgezogen zu werden. Wie auch? Er hatte ihn nicht getroffen.
Eine erschreckend lange Sekunde verstrich, ehe ihm klar wurde, dass nicht er es war, der von der Kugel getroffen worden war. Einen Herzschlag lang, tat sich nichts, als wäre die Szene festgefroren. Ein Bild, festgehalten für die Ewigkeit. Aber dann lief die Zeit unbarmherzig weiter.
Lautlos sank sie zu Boden und blieb dort regungslos liegen.
"Nein…", flüsterte Carson fassungslos, ehe ihn die Kraft verließ und er erschrocken auf die Knie sank. Wieso nur hatte sie das getan? Warum war es ihr gelungen, Fords Handeln vorauszusehen und ihm nicht?
"Sie Mistkerl!", schrie er Ford an, der noch immer völlig perplex neben ihm stand. Für Carson spielte es aber keine Rolle mehr, dass sich jetzt der Schrecken im Gesicht des jungen Soldaten abzeichnete, der nie gewollt hatte, dass Jeannie etwas zustieß. Dass er seine Waffe noch immer kraftlos in der Hand hielt, während sein schockierter Blick nur das Blut sah, das sich langsam über dem Boden verteilte. Die Einsicht, seine Reue, all das, was Carson gehofft hatte, bei ihm zu erreichen, kam nun erst langsam zu Vorschein. Jetzt, wo es zu spät war.
Carson versuchte sich zu konzentrieren. Noch durfte er nicht aufgeben. Sie war nicht tot, das spürte er. Immerhin war er Arzt; er musste ihr doch irgendwie helfen können.
Eilig zog er seine Jacke aus, knüllte sie zusammen und drückte sie auf die Wunde, in der verzweifelten Hoffnung so zu verhindern, dass sie verblutete. Ein solcher Druck auf der Wunde hätte doch eigentlich einen Schmerz auslösen müssen. Aber Jeannie zeigte keine Reaktion. Sie lag einfach nur da, die Augen geschlossen, als hätte sie sich bereits mit ihrem Schicksal abgefunden. Stolz darauf, nicht umsonst gestorben zu sein.
Aber Carson weigerte sich dies einfach so hinzunehmen. Er hörte nicht auf, um sie zu kämpfen. Um ihn herum hörte die Welt auf zu existieren. Er sah nur noch Jeannie, deren Leben ihm langsam und unaufhörlich entglitt. Er tat, was er konnte mit eingeübten Handgriffen, aber er realisierte kaum, dass er es war, der dies tat.
Die Zeit verging ohne ihn. Er hörte und sah nichts mehr um sich herum.
"Jeannie, bitte verlass mich nicht", flehte er unter Tränen, durch die er sie nur noch verschwommen sah. Ihr kreidebleiches Gesicht, auf dem er immer dieses wunderschöne Lächeln gesehen hatte. Ihre geschlossenen Augenlider, von denen er fürchtete, dass sie sich nie wieder öffnen würden, um ihm noch einmal dieses faszinierende Glitzern zu offenbaren.
"Du…du musst durchhalten, hörst du?"
Mit zittriger Hand wollte er ihr über den Kopf streichen, aber er hielt inne, als er das Blut an seinen Händen sah. Eilig zog er sie zurück und versuchte, sie sich unruhig an seinem Hosenbein abzuwischen.
Nur für einen kleinen Augenblick sah er auf, kehrte in die Realität zurück und stellte fest, dass er allein war. Er wusste nicht, wann Ford gegangen war und wohin er verschwunden war. Aber das zählte für ihn im Moment auch nicht. Sein Schock war zu groß, um irgendwelche Rachegedanken zuzulassen, die sich zweifellos noch auftun würden.
Sein Verstand riet ihm, sich nach ihrem Puls zu vergewissern, aber er brachte es nicht über sich. Zu groß war seine Angst, keinen mehr zu finden. Er hatte schon so oft um ein Menschenleben gekämpft und war dann als Verlierer aus dieser Schlacht hervorgegangen.
Weinend sank er über ihr zusammen und klammerte sich an ihren kalten regungslosen Körper. Schuldgefühle stürzten über ihn herein. Er lebte, weil sie sich geopfert hatte. Wie hatte er dies zulassen können? Wie hatte er je an ihren Gefühlen für ihn zweifeln können, wenn sie dazu bereit gewesen war, ein solches Opfer für ihn zu bringen?
Wieso nur hatte ihn die Kugel nicht getroffen? Es wäre einfacher für ihn gewesen, sich dem Tod zu stellen, als in der Gewissheit weiter zu leben, dass die Frau für ihn gestorben war, die er so geliebt hatte.
Je länger er darüber nachdachte, desto mehr schwand sein Lebensmut. Was für einen Sinn hatte sein Leben denn noch? Er würde jeden Tag mit diesen Vorwürfen aufwachen und nachts von Alpträumen heimgesucht werden. Er musste plötzlich an Rodney denken. Nie wieder würde er es schaffen, ihm in die Augen zu sehen.
Schwer unter den Tränen atmend spielte er mit dem Gedanken, nach seiner Waffe zu greifen; dem Ganzen ein Ende zu setzen. Vielleicht gab es ja tatsächlich so etwas wie ein Leben nach dem Tod. Vielleicht würde er dann endlich seine Chance bekommen, mit ihr glücklich sein zu können.
Aber er hatte keine Kraft mehr, sich zu bewegen. Er kauerte neben ihr, noch immer verzweifelt darum bemüht, zu verhindern, dass das Blut aus der Wunde sickerte. Aber die Zeit verging weiter.
Und dann plötzlich, ohne jede Vorwarnung, wurde er von hinten gepackt. Carson schrie auf. Er spürte, dass ihn jemand von Jeannie wegzog, auch wenn er durch den Tränenschleier kaum etwas erkennen konnte.
"Nein! Jeannie!", schrie er wild um sich schlagend. Er wollte nicht weg von ihr. Wer nahm sich das Recht, sie jetzt noch zu trennen. Panisch versuchte er sich loszureißen. Aber er war nicht stark genug gegen den Griff, der ihn versuchte auf die Beine zu ziehen. Trotzdem schlug er mit letzter Kraft auf die Hände ein, ohne sich darum Gedanken zu machen, was überhaupt um ihn herum vorging.
"Carson, beruhigen Sie sich!", hörte er eine vertraute Stimme. Aber er wollte sich nicht beruhigen. Niemand durfte ihm Jeannie jetzt noch wegnehmen. Niemand mehr!
Langsam realisierte er, dass es Sheppards Stimme gewesen war. Hastig atmend, hielt er in jeder Bewegung inne. Als er ein paar Mal blinzelte, gelang es ihm, zumindest für ein paar Sekunden wieder klar zu sehen. Er hatte nicht gemerkt, dass sie gekommen waren.
Er sah Teyla und Ronon auftauchen. Und Rodney. Carson fing an zu zittern. Der Kanadier verschwendete nur einen kurzen Augenblick, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Die Angst stand ihm in sein kreidebleiches Gesicht geschrieben, aber er zögerte nicht länger. Ohne auch nur ein Wort zu sagen, oder Carson einen Blick zuzuwerfen, nahm er seine Schwester auf den Arm und trug sie aus der Höhle.
Carson spürte, wie ihn die Kraft verließ und er hilflos auf den Boden sank, wobei er nicht verhindern konnte, Sheppard mit sich zu ziehen. Er konnte nicht mehr klar denken. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vermischten sich. Und eine leise Stimme sagte ihm, dass es zu spät war.

Ein sanfter Wind, der von den hohen Bergen herbeigezogen war, fegte kalt durch das Gras. Leise raschelten die Blätter des Baumes. Placiodus nannten ihn die Athosianer. Der Baum des Friedens. Offenbar gab es diese Art nur sehr selten.
Das war vermutlich auch der Grund, warum dieser Ort ausgesucht worden war. Jeder Mensch, der hier unter der Erde des Planeten begraben worden war, hatte eine Geschichte mit sich genommen, die ihn einzigartig machte. Geschichten von Heldenmut, von Freundschaft und von Liebe.
Viele Expeditionsmitglieder hatten vor ihrem Tod den Wunsch hinterlassen, auf dem Festland begraben zu werden. Hier an diesem Ort, von dem man über den weiten Ozean blicken konnte; im Schatten dieses majestätischen Baumes, der manchmal ein leises Lied zu singen schien, wenn der Wind durch seine Blätter strich.
Es gab denen, die zurückgeblieben waren, die Möglichkeit Abschied zu nehmen. Menschen, denen man zu tiefem Dank verpflichtet war. Kameraden, mit denen man Seite an Seite gekämpft hatte. Menschen, die man geliebt hatte.
Carson schloss für einen Augenblick die Augen und nahm das entfernte Rauschen des Meeres wahr, während ihm der Wind unbarmherzig unter die Uniformjacke kroch und ihn frösteln ließ. Es war ein eigenartiges Gefühl. Die Ruhe, die dieser Ort ausstrahlte, schien sich auf jeden zu übertragen, der hierher kam. Einen solchen Ort hatte er sich immer gewünscht, um vor der Realität zu fliehen. Hier schienen alle Probleme und Sorgen außen vor zu bleiben. Zurück blieben nur noch die eigenen Gefühle, die man sich unweigerlich eingestehen musste.
Seltsam, dass er ausgerechnet jetzt diesen Ort gefunden hatte.
Er hörte Schritte und öffnete daraufhin langsam seine Augen.
Keiner von ihnen sprach ein Wort. Alles, was sie sich sagen wollten, lag in einem stummen Blick. Für Carson war es überraschend, sogar so etwas wie Bewunderung in Rodneys Augen zu sehen. Als habe er einen großen Respekt vor dem, was sein schottischer Freund durchgemacht hatte. Wie sehr er gekämpft hatte.
Carson war der Ansicht, diesen Respekt nicht verdient zu haben, egal was passiert war. Wenn am Ende ein Mensch starb, war der Kampf vergeblich gewesen. Er hatte so lange nach den Vorwürfen in Rodneys Augen gesucht, aber er fand sie nicht und das war ihm unbegreiflich.
Er würde lange brauchen, die Erinnerungen an diese Mission zu verarbeiten.
Fast glaubte er sogar, ein schwaches Lächeln auf dem Gesicht des Kanadiers zu sehen. Ein Lächeln, das ihn aufheitern sollte und ihn darum bat, jetzt nicht aufzugeben. Und tatsächlich gelang es Carson, zumindest kurz zu nicken, als Zeichen, dass er die stumme Botschaft verstanden hatte.
Dann beobachtete er schweigend, wie Rodney sich abwandte und langsam davon ging.
Carson holte tief Luft und wagte es dann, sich wieder umzudrehen. Vielleicht war es an der Zeit zu handeln. Lange genug hatte er anstandshalber Abstand gehalten. Es kostete ihn viel Mühe auf das Grab zuzugehen, auch als er merkte, dass seine Knie zitterten.
In den Tagen, die nun seit ihrer Mission vergangen waren, hatte er oft nach dem Hass auf Ford in sich gesucht. Aber er hatte ihn nicht gefunden. Nicht, nachdem sich alles so verändert hatte. Ein letztes Mal, so glaubte er, hatte sein Leben eine Wendung gemacht. Seine ersten Rachegedanken hatten sich langsam in ihm breit gemacht, bis er es dann plötzlich erfahren hatte.
Nicht ihm gebührte der Respekt, sondern dem Mann der einen entscheidenden Schritt in Kauf genommen hatte, um für seine Fehler einzustehen und alles aufgegeben hatte, um sich aus einer Gefangenschaft zu befreien, deren einziges Entkommen der Tod war.
Carson hatte manchmal daran gedacht, was passiert wäre, wenn er an jenem Tag Jeannie wirklich verloren hätte. Der Schrecken saß noch immer tief in ihm, wenn die Bilder der Vergangenheit vor seinem inneren Auge aufblitzten. Es hätte keinen Sinn gemacht, sie zu verdrängen. Im Gegenteil, er würde sie sorgfältig bewahren, als Erinnerung daran, wie schmal der Grad zwischen Tod und Leben war und was Menschen bereit waren, für die zu tun, die sie liebten.
Sie sah nicht auf, als er neben ihr stehen blieb. Sie hatte die Augen geschlossen und einen kurzen Moment lang fragte sich Carson, ob sie betete. In ihren Händen hielt sie noch immer den Zettel mit den wenigen Zeilen. Der letzte Brief, den er ihr geschrieben hatte.
Nie würde er Lornes Gesicht vergessen, als er plötzlich in der Tür der Krankenstation gestanden hatte. Jeannie war erst ein paar Stunden zuvor aus dem Koma aufgewacht, in das sie nach der Operation, die ihr gerade noch das Leben gerettet hatte, gefallen war.
"Es tut mir leid", das war alles, was der Major herausgebracht hatte, als er ihr den Brief in die Hand gedrückt hatte. Später erst hatte Carson erfahren, dass Lorne und sein Team einen Tag nach ihrer ersten Mission nochmal auf den Planeten zurückgekehrt waren, um nach Ford zu suchen.
Und sie hatten ihn gefunden. Wenn auch nicht mehr lebend.
Sein Versuch auf eigene Faust von dem Enzym loszukommen, hatte einen fatalen Ausgang genommen. Doch damit musste er gerechnet haben, denn sonst hätte er nicht den Abschiedsbrief an Jeannie hinterlassen.
Carson hatte nie gefragt, was in diesem Brief gestanden hatte. Er hatte nicht das Recht darauf, den Inhalt zu erfahren, solange Jeannie es ihm nicht aus freien Stücken erzählte. Vielleicht würde sie es ja tun. Irgendwann einmal. Bis dahin würde er geduldig warten.
Langsam öffnete sie ihre Augen. Sie wandte sich nicht um, aber Carson wusste, dass sie längst registriert hatte, dass er neben ihr stand.
"Er hat es für dich getan", brach er endlich sein Schweigen.
Jeannie atmete tief ein, ehe sie nickte. "Ich weiß", gab sie leise zurück.
Vier Tage war es her, seit sie es erfahren hatte. Aber seither war nicht eine Träne auf ihrem Gesicht aufgetaucht. Carson war ihr nicht von der Seite gewichen, war jederzeit bereit dazu gewesen, sie zu trösten, sobald ihre Gefühle sie übermannt hätten. Doch dies war nicht geschehen. Jeannie hatte die Situation mit Fassung und vor allem mit Stärke ertragen. Obwohl ihre Verletzung noch lange nicht verheilt war, hatte sie darauf bestanden, hierher zu kommen. Aber sie hielt ihre Trauer verborgen, nicht weil sie sich keine Schwäche eingestehen wollte.
Carson hatte lange gebraucht, bis ihm klar geworden war, dass sie Aiden eigentlich schon an jenem Tag verloren hatte, als er von seiner Mission auf Wetriban nicht mehr zurückgekehrt war. Seither waren Monate vergangen und trotz des ständigen Auf und Abs unterschiedlichster Gefühle, hatte ihr Unterbewusstsein von diesem Augenblick an angefangen, diesen Verlust zu verarbeiten.
So kam es, dass sie nicht mehr an Aidens Grab gekommen war, um zu trauern, sondern um ihm im Stillen zu versichern, dass er immer einen Platz in ihrem Herzen haben würde, egal was vorgefallen war. Und sie war dankbar dafür, endlich einen Schlussstrich ziehen zu dürfen.
"Jeannie…", begann Carson vorsichtig. Es gab so vieles, was er ihr sagen wollte. Aber er verstummte, als sie den Kopf schüttelte.
Alles, was sie wissen musste, war ihr bereits bewusst. Wortlos griff sie nach Carsons Hand und hielt diese fest. Ein Zeichen dafür, wie dankbar sie war, dass er jetzt bei ihr war. Er brauchte jetzt keine Worte zu sagen. Dafür würden sie noch genug Zeit haben.
Auf dem gemeinsamen Weg, der nun vor ihnen lag.
ENDE
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