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Auf Ewigkeit von Sphere

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Erster Teil


Mit einem schmatzenden Geräusch verschwand der letzte der Anderen im Wabern des Ereignishorizonts. Einen Augenblick später würden Sie bereits an einem Ort sein, den Jack einst sein Zuhause hatte nennen können.
Das Wurmloch zerriss mit einem Kreischen und schien in viele kleine Sternschnuppen zu zerstauben. Nur der riesige Ring des Tores selbst blieb stehen. So groß war es ihm vorher noch nie erschienen. Es stand da wie ein Mahnmal.
Unwillkürlich fasste Colonel O’Neill an seine Wange und ertastete das Metall des Androidenschädels. Es war nicht kalt, wie er es immer wieder erwartete. Im Gegenteil. Es hatte seine Körpertemperatur und fühlte sich gar nicht wie Metall an. Es war warm und weich wie Fleisch. Nur da, wo eigentlich Knochen hingehörten, war es hart. Die Haut neben der Wunde allerdings hatte etwas von verbranntem Plastik.
Lasst es euch gut gehen hatte er Ihnen gerade gewünscht. Es war ehrlich gemeint gewesen, aber schon jetzt klangen für ihn diese Worte wie Hohn. Ja, Sie sollten es sich gut in Ihrem Leben gehen lassen. Einem Leben, das eigentlich ihnen hätte gehören sollen. Zur Hölle mit Euch!
Mit dem Zusammenbrechen des Wurmlochs war ihre letzte Verbindung zur Erde gekappt. Gerade eben war sie nur einen Schritt entfernt gewesen, jetzt gab es kein Zurück mehr. Die Anderen würden die Rampe hinunter gehen und ihren Platz einnehmen. Dann würden Sie ihnen eine nette Bombe schicken, einen Bericht über das Ganze schreiben und möglichst schnell zur Tagesordnung übergehen.
Der Andere lebte jetzt sein Leben. Dabei hätte Jack das gleiche Recht darauf gehabt, wie Er. Das Einzige, was sie auf diesem gottverlassenen Planeten hielt, waren ihre ach so perfekten Körper, die sie nicht wegließen.
Bedrücktes Schweigen war eingetreten. Selbst der alte Harlan hielt mal den Mund. Mit einem Mal fühlte Jack sich einsam und verlassen. Hoffnungslosigkeit breitete sich aus. „Also dann, Leute, lasst uns das Tor dicht machen“, sagte er halblaut zu seinem Team und versuchte dabei nicht allzu niedergeschlagen zu klingen.
Der Andere hatte ihm nicht vertraut. Er glaubte nicht, dass die Geheimnise der Erde bei ihnen sicher wären. Der Andere war er. Er würde auch keiner Kopie von sich selbst Vertrauen schenken. Und schließlich war er nun eine verdammte Kopie. Es sind Maschinen würde der Andere sagen. Maschinen konnte man im Zweifelsfall umprogrammieren. Dieses Argument schütze Ihn gleichzeitig vor moralischen Bedenken. Maschinen waren nicht lebendig!
Jack hatte nachgegeben und versprochen, dass er das Tor schließen würde, so dass sie weder Besuch von irgendjemandem bekommen, noch diese Welt verlassen konnten. Doch dem Anderen musste klar gewesen sein, dass er das nicht ernst meinte. Jack würde nicht auf dieser Felskugel verrotten.
Warum sollte der Andere sich dann an Sein Wort halten? Wenn sie wirklich das Tor begruben, würde die Bombe ihr Ziel nie erreichen. Es sprach also nichts dagegen auf Nummer sicher zu gehen und doch einen Sprengkopf zu schicken...
Also würden sie das Tor wie abgemacht versiegeln. Vorläufig zumindest, denn ihnen blieb nichts anderes übrig – aber nicht auf ewig.
Mit dem Kran an der Decke der Halle, der sich so anhörte, als ob er Keuchhusten hätte, machten sie mit Harlans Hilfe hinter dem Stargate erst ein wenig Platz, wuchteten es dann aus seiner Verankerung und legten es flach auf den Boden. Zum Schluss stellten sie noch einen schweren Container darüber. Die Seite, mit der er auf dem Stargate auflag, war etwas nach außen gewölbt, so dass er auch den Raum ausfüllte, den normalerweise der Ereignishorizont einnahm. Im Gegensatz zu einer Iris konnte sich auf diese Weise ein Wurmloch gar nicht erst aufbauen.
Damit schaufelten sie sich ihr eigenes Grab, denn das Stargate war der einzige Weg nach draußen. Den Planeten selber konnten sie nicht betreten, da er radioaktiv verstrahlt war. Wegschließen und vergessen.. .
Jack starrte auf den Container, der auf dem Tor lastete wie ein Grabstein. Er empfand nichts dabei. Eine seltsame Leere erfüllte ihn. Alle schwiegen – bis auf Harlan. Der hüpfte aufgeregt hin- und her und kicherte in sich hinein. „Com-traya! “ rief er und schlug die Hände zusammen. „Ich sehe schon: Es ist besser!“
Besser. Harlan hatte so eine schreckliche Art dieses Wort in einer extrem hohen Stimmlage auszusprechen. Und er benutzte es viel zu oft. Es regte Jack jetzt schon auf...
Mit einer knappen Kopfbewegung zeigte er seinen Leuten an, zu verschwinden. Sie folgten ihm und ließen Harlan allein in der Halle zurück.


* * *


Der Moment, als sie den Raum betreten hatten, in dem ihre organischen Körper lagen, hatte ihr Leben, wie sie es bisher geführt hatten, für immer beendet. Vorher hatten sie nicht nur gehofft, dass ihre richtigen Körper noch existierten, sondern dass sie auch in sie zurückkehren konnten. Der Gedanke, dass dies nicht möglich sein könne, war ihnen gar nicht erst gekommen, schließlich hielten sie sich für einzigartig. Sie hatten immer gedacht, das es ein Transfer von ihren richtigen Körpern in diese Maschinen gewesen war und keine Verdopplung ihres Geistes.
Als sie dann ihre Körper sahen, waren sie sich ihres Fehlers bewusst geworden. Jack wusste nicht, was er erwartet hatte, vielleicht dass sie an irgendwelche Geräte angeschlossen wären, welche die seelenlosen Hüllen am Leben hielten. Doch nichts dergleichen war der Fall gewesen. Statt dessen hatten Sie völlig selbstständig geatmet und waren offensichtlich bei Bewusstsein gewesen.
Als Sie sich dann erhoben hatten und sie verblüfft anstarrten, war Jack klar geworden, dass ihre richtigen Körper bereits besetzt waren. Sie konnten nicht zurück, weil ihre Körper immer noch vom Geist der Originale beseelt waren. Sie selbst waren nur Kopien, auf ewig verdammt in den Roboter-Körpern zu bleiben.
Sämtliche Vorstellungen, die sie von ihrem weiteren Leben gehabt hatten, waren damit bedeutungslos geworden. Die Anderen würden nun ihr Leben leben, ohne dass sie daran teilhaben könnten. Sie würden nie ihre Pläne oder auch nur verwaschenen Hoffnungen, die sie für ihre Zukunft gehabt hatten, verwirklichen können.
Sie hatten sich nicht einmal um ihr Leben streiten können – wer es nun leben durfte und wer nicht oder ob sie versuchen sollten, es sich zu teilen oder statt dessen besser getrennter Wege gehen sollten. Sie hatten überhaupt nicht die Möglichkeit, den Planeten zu verlassen. Sie waren auf die Energie der Station angewiesen, außerhalb der Station funktionierten sie nicht. Sie hatten die Anderen ziehen lassen müssen.
Sie würden nicht mehr nach Hause kommen. Lichtjahre von zu Hause entfernt, irgendwo am Hinterteil der Milchstraße hatten sie keine Möglichkeit von hier fort zu kommen.
Keine Möglichkeit? Gehörte dieser Ausdruck wirklich noch zu seinem Vokabular? Zum Vokabular von SG-1?
Verdammt noch mal! Sie mochten vielleicht Kopien sein, aber sie waren immerhin die Kopien des besten Teams, welches das Stargateprogramm zu bieten hatte! Es wäre sehr peinlich, wenn sie es nicht schaffen würden, von hier zu fort zu kommen. Bisher hatten sie noch alles mit heiler Haut überstanden und er hatte nicht vor daran etwas zu ändern.
Jack erhob sich. Er fühlte, wie ihn der alte Tatendrang wieder durchströmte. Die Tatsache, dass er die Erde vorläufig nicht wieder sehen würde, trat in den Hintergrund, als er begann sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Er konnte jetzt nicht absehen, was dieses neue Leben mit sich brachte, aber eines wusste er ganz genau: Harlan täuschte sich, wenn er glaubte, dass sie hier mit ihm die Ewigkeit verbringen würden! Irgendwie mussten sie eine Möglichkeit finden, sich ein neues Leben aufzubauen. Dazu brauchten sie die Freiheit, von hier fort zu gehen.
Er schob das Kinn nach vorn. Wenn SG-1 jemals einen Anführer gebraucht hatte, so jetzt. Er sah sein Team an. Sie befanden sich zusammen in dem Raum, in dem sie anfangs erwacht waren. In der Mitte stand eine Säule, um die herum sich acht Liegen im Kreis gruppierten. Von der Säule hingen mehrere notdürftig zusammengeflickte Kabel und die Wände rosteten vor sich hin.
Carter schien ziemlich deprimiert zu sein. Kein Wunder, manchmal dachte sie einfach zuviel nach. Auch Teal’c und Daniel waren gerade völlig mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt und musterten ihn mit nur mäßigem Interesse, als er zu reden begann. „Also Leute, damit das einmal von Anfang an klar ist: Ich habe nicht die Absicht den Rest meines Lebens hier in dieser Höhle zu verbringen“, erklärte er ihnen eindringlich. „Wir werden uns einen Weg hier raussuchen.“ Er sah einen nach dem anderen an.
Nach kurzem Zögern blitzte es plötzlich in Daniels Augen auf. „Harlan hat gesagt, dass viele seines Volkes mit tragbaren Energiequellen durch das Stargate gegangen seien“, erinnerte er sich.
„Ganz genau.“ Die Idee hatte Jack auch gehabt. „Und deswegen werden wir uns ein paar von diesen Dingern besorgen.“ Er stürmte zur Tür, betätigte den Türöffner und jagte nach draußen in der selbstverständlichen Annahme, dass der Rest ihm folgen würde. „ Harlan!“ rief er in den Korridor „Harlan, wir müssen mit dir reden.“

Sie fanden Harlan in einem der Korridore.
„Harlan“, drängte Daniel sich in der Angst vor, dass Jack zu undiplomatisch werden könnte, „du sagtest doch, dass viele von deiner Art die Station mit tragbaren Energiequellen verlassen hätten.“
Harlan nickte im türkisfarbenen Licht des Korridors betrübt. „Ja. Sehr, sehr bedauerlich“, bekannte er. „Ich hoffte lange, dass sie zurückkehren würden – dies ist schließlich ihr Zuhause...“ Sein Blick wanderte für einen kurzen Augenblick in die Ferne. „Aber jetzt seid ihr ja hier! Und es ist alles besser.“ Er lachte. „ Com-traya
„Du wiederholst dich“, knurrte Jack halblaut.
„Hast du noch solche Energiequellen?“ platzte es aus Daniel heraus.
„Oh, nein. Tut mir leid, sie sind alle fort.“ Er sah sie an. „Ihr müsst hier bleiben. Dies ist jetzt eure Heimat.“
Jacks Gesicht verfinsterte sich. „Du meinst“, fragte er lauernd, „dass diese Dinger genauso fort sind, wie damals unsere richtigen Körper?“ Seine Stimme triefte dabei vor Sarkasmus. Harlan sah ihn ängstlich an.
„Aber es müsste doch möglich sein, neue Energiequellen herzustellen, oder?“ warf Carter schnell ein.
Harlan schüttelte den Kopf. „Das liegt außerhalb unserer Fähigkeiten“, bedauerte er.
Jack trat langsam einen Schritt auf Harlan zu. Harlan wich vor ihm zurück. „Hör gut zu, Harlan“, sagte er drohend und trat noch einen Schritt vor. Harlan musste feststellen, dass er jetzt mit dem Rücken zur Wand stand. „Wenn ich rausfinden sollte, dass du uns schon wieder belogen hast, werde ich dich mehr als nur beschädigen, ist das klar?“
Harlan quiekste ängstlich. Er erinnerte sich wohl noch sehr deutlich an Jacks Wutanfall nachdem sie von der Erde zurückgekehrt waren. „Ich versichere dir, ich sage die Wahrheit.“ O’Neill funkelte ihn so böse an, dass Harlan fürchten musste, er könnte jeden Moment vorschnellen, um ihm wieder an die Gugel zu gehen. „Die Energiequellen waren außerirdische Technologie, die wir von einer anderen Welt mitbrachten“, beeilte er sich daher zu sagen. „Wir hatten so wenig davon, dass sie damals gezwungen waren, sie zu verlosen.“
Jack ließ von ihm ab. Verdammt. Schon wieder eine Hoffnung zerstört. Ihm blieb nichts anderes übrig, als Harlan vorerst zu glauben. Er trat mit dem Fuß gegen einen nichtexistenten Stein und schlug den Kopf gegen die gegenüberliegende Wand. Seine Gedanken schienen zu rasen, aber irgendwie kam nichts dabei raus. Am liebsten hätte er einen Moment Ruhe von der Welt gehabt, doch die Welt wollte es nicht so. „Sir?“
Carter stand neben ihm. „Carter!“ rief er, als bemerkte er sie zum ersten Mal hier. Wie hatte er nur sie und ihre Genialität vergessen können? „Sie haben nachgedacht?“
„Ja, Sir...“ bestätigte sie ein wenig verwirrt.
„Gut. Ich hab schon immer vermutet, dass sie nie damit aufhören.“ Er grinste in die Runde. „Also...?“
„Nun ja, Sir... Wir konnten bisher einige Alientechnologien studieren“, begann sie. „Wenn es mir möglich wäre zu verstehen, wie diese Körper funktionieren und wie sie ihre Energie beziehen“, sie holte noch einmal tief Luft, „könnte ich vielleicht mit ein wenig Alien-Know-how selber eine Energiequelle bauen.“
Für Jack ging bei diesen Worten die Sonne wieder auf. Es gab immer eine Lösung! „Das ist natürlich nur eine Theorie, Sir“, schränkte Carter sofort wieder ein. „Ich habe noch nicht viel Ahnung wie wir das anstellen sollen, aber wenn es mir gelingen sollte, die...“
„Tun sie’s, Captain“, unterbrach er sie schnell. „Sie schaffen das.“


* * *


Harlan nahm sie mit ins Labor, wo er sie montiert hatte. Jack hatte sich entschieden seine Wunde von Harlan behandeln zu lassen, um endlich den Anblick des blanken Metalls aus seinem Gesicht zu verbannen. Das würde gleichzeitig eine gute Gelegenheit für Carter werden, mehr über ihre Körper in Erfahrung zu bringen.
Von der Haupthalle des Labors, in der Harlan sie offenbar zusammengebaut hatte, ging außer dem Raum in dem ihre Originale gelegen hatten, ein weiterer Raum ab, in dessen Mitte sich eine einzelne, hüfthohe Liege befand.
Harlan wies sie an zu warten und verschwand hinter einer weiteren Tür. Als sie ihm folgen wollten, stellten sie fest, dass sie verschlossen war. Er wollte offenbar nicht, dass sie ihm über die Schulter sahen. „Ich hoffe, dass Harlan nicht auf Dauer so unkooperativ sein wird“, brummte Teal’c. „Wenn wir diese Technologie verstehen wollen, wäre seine Unterstützung hilfreich.“
Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, denn Harlan blieb lange hinter der Tür. Sie nutzten die Zeit und untersuchten die seltsamen Instrumente, die auf einer Ablage scheinbar völlig durcheinander herumlagen. Viele schienen kaputt zu sein, was allerdings auch damit zusammenhängen konnte, dass sie keine Ahnung hatten, wie man damit umzugehen hatte.
Irgendwann schob sich die Tür wieder beiseite und Harlan kam herein. In der Hand trug er eine kleine, durchsichtige Petrischale, in der ein kreisförmiges Stück Haut schwamm. „ Sooooooo. Deine Wunde wird in Kürze repariert sein!“ Er hätte auch gut Sänger werden können. Es klang wie eine Zeile aus einer schlechten Oper. „ Com-traya! “
„ Kumbaya“, murmelte Jack und beobachtete Harlan misstrauisch dabei, wie er die Schale auf einen kleinen Wagen stellte und einige Geräte von der Ablage hinzulegte, ohne diesen jedoch große Aufmerksamkeit zu schenken. Wie oft Harlan das schon gemacht hatte, wusste nur er selber.
Er schob den Wagen zu der Liege. „Hier. Leg dich hier drauf“, sagte er mit seinem nervenden Lächeln. Jack zögerte. „Vertrau mir.“
„Dir vertrauen? Könnten wir nicht vielleicht mit etwas einfacherem anfangen?“
„Colonel“, flüsterte Carter. Er sah sie an. Wir brauchen ihn, stand in ihrem Blick geschrieben.
„Ach, was soll's“, seufzte er, schwang seine Beine auf die Liege und legte sich flach. „Aber damit das klar ist,“ er wollte schon wieder hochkommen, „keine...“ Sie erfuhren nie was er hatte sagen wollen, denn in diesem Augenblick drehte Harlan an einer kleinen Kurbel am Kopf der Liege und Jack sackte in sich zusammen.

Ein blau-weißes Leuchten ging nun vom Untergrund der Liege aus und ließ das Gesicht von O’Neill blass erscheinen.
Sie waren zwar Roboter, konnten aber immer noch Schmerzen empfinden – nicht so stark, dass sie vermocht hätten ihnen das Bewusstsein zu rauben, aber immer noch äußerst unangenehm. Einem Roboter konnte man kein Betäubungsmittel spritzen. Dafür war es aber möglich mit einem Dämpfungsfeld seine Funktionen soweit herunterfahren, dass das synthetische Hirn nichts mehr von der Außenwelt mitbekam. Genau das war jetzt der Fall; O’Neill spürte nichts mehr und dachte nichts mehr. Er lag praktisch im Koma.
Harlan nahm das neue Stück Haut aus der Schale und platzierte es auf dem Loch, unter dem das Metall von O’Neills Schädel hervorkam. Mit geübten Handgriffen entfernte er die verbrannte Haut am Rand der Wunde und schweißte die neue mit den Werkzeugen fest. Selbst wenn man wusste, dass dort ein Loch gewesen war, konnte man die neue Haut nicht von der alten unterscheiden.
Daraufhin zog Harlan auch noch den Verband vom Arm des Colonels ab und versiegelte die große Schnittwunde, die er sich selbst beigefügt hatte, weil er hatte herausfinden müssen, warum bei der Blutabnahme sich nur weißer Schleim in Dr. Fraisers Spritze gesammelt hatte. Auch hier blieb keine Narbe zurück.

Als Jack aufwachte, hoffte er für einen kurzen Moment, dass die vergangenen Ereignisse alle nicht wirklich gewesen waren. Ihn durchdrang eine Erleichterung, die er früher nur verspürt hatte, wenn er aus einem beängstigenden Albtraum erwacht war. Er atmete tief durch und glaubte damit einfach alle Sorgen, die er bis eben noch gehabt hatte, einfach abstreifen zu können, weil sie nie real gewesen waren – doch dann öffnete er die Augen und sah Harlan.
Er richtete sich auf. Sein Blick wanderte von Harlan weiter zu seinen Leuten. Sie trugen nicht etwa ihre normalen grünen Uniformen, sondern immer noch diese schwarzen Jogginganzüge mit den überhaupt nicht modischen weißen Streifen drauf. Und mit einem mal waren die Sorgen wieder da. Die Idee, es wäre nur ein Traum gewesen blieb nur eine verzweifelte Hoffnung. Wäre ja auch zu schön gewesen...
Er befühlte die Stelle, an der vorher das Metall gewesen war. Es war fort – oder erschien es zumindest zu sein. Es fühlte sich tatsächlich wie echtes Fleisch an. Es war warm und weich und trug auf der Haut sogar ein paar kleine Bartstoppeln.
Er sah wie Harlan ihn gespannt musterte. „Und?“ fragte Jack sein Team.
„Es sieht sehr gut aus, Sir“, sagte Carter.
Daniel wedelte mit der Hand. „Es ist – besser“, benutze er Harlans Worte.
Jack sah Teal’c an, als ob er auch von ihm eine Bestätigung wollte. „Es ist nichts mehr zu sehen, O’Neill“, bekräftigte auch der Jaffa und wenn er das sagte, dann musste es stimmen.
Jack sah wieder zu Harlan, der sein Kichern kaum noch zurückhalten konnte. „Danke“, sagte Jack zerknirscht. „ Com-traya! “ jubelte Harlan. „Es ist besser. “ Schon wieder diese hohe Tonlage...
Carter trat einen Schritt vor. „Harlan. Wir würden gerne mehr über diese Körper erfahren. Wie funktionieren sie? Und die Station: wie produziert sie ihre Energie?“
Harlan wurde schlagartig wieder ernst. „Oh, ihr seid viel zu ungeduldig.“ Zum ersten mal lag echter Ärger in seiner Stimme. „Wenn ihr Geduld zeigen würdet, könntet ihr irgendwann das Geschenk akzeptieren. Begreift ihr denn nicht, was ich euch biete? Unsterblichkeit. Das habt ihr euch doch immer gewünscht.“ Er wandte sich demonstrativ ab.
„Du musst aber begreifen, dass so zu leben einfach nicht unsere Art ist“, versuchte Daniel zu vermitteln.
„Ihr habt es noch nicht einmal versucht!“ schimpfte Harlan. „Wartet ein paar hundert Jahre und ihr werdet sehen...“
„Dann werden wir eben ohne deine Unterstützung auskommen.“ Jack hatte genug. Er ging auf die Tür zu, hinter der Harlan vorhin verschwunden war. „Wir sehen uns da mal um.“
„Nein, wartet.“ Jack blieb stehen und drehte sich mit ernsthaft strapazierter Geduld um. „Hubald – er hat all dies geschaffen. Nicht einmal er war in der Lage eine Energiequelle herzustellen, die klein genug war, damit sie für unsere Bedürfnisse ausreichte.“
Jack gab es auf. „Kommen sie, Carter. Der Kerl wird uns nicht helfen.“

Als sie den Raum betraten, sackte Sam das Herz in die Hose. Es war eine große Halle gefüllt mit langen Reihen von seltsamen Maschinen. Dies musste der Ort sein, an dem die Einzelteile für diese Körper hergestellt wurden. Sie betrachtete eine der Maschinen genauer. Sie hatte keine Ahnung, was sie tun würde, wenn man sie einschaltete oder auch nur wie man sie einschaltete.
Was hatte sie sich da bloß vorgenommen?! Ihr Blick schweifte über die lange Reihe der Geräte und dann von einer Reihe zur nächsten. Es waren so viele. Sie traute sich zu die Funktion einer der Maschinen herauszubekommen, aber schon damit würde sie Probleme bekommen. Wenn sie wissen wollte wie ihre Körper funktionierten, würde sie nicht drum rum kommen die Maschinen zu studieren, um rauszufinden was sie taten – aber was ihr das am Ende bringen würde war jetzt noch kaum abzusehen.
Sie hatte den Fehler gemacht vorzeitig Hoffnungen bei den anderen zu wecken. Selbst, wenn sie eine Ewigkeit Zeit haben sollte, sich dieser Aufgabe zu stellen... sie fürchtete das es sie überfordern würde. Erschwerend kam hinzu, dass sie von keinem der drei Jungs ernsthafte fachliche Hilfe erwarten konnte. Und auf Harlan wollte sie lieber nicht zählen. Wie hatte sie nur so verdammt leichtsinnig sein können? Sie konnte die anderen nur enttäuschen.
Auf der anderen Seite gab es hier kaum etwas wichtigeres als das, was sie sich irrerweise vorgenommen hatte. Sie konnte es sich schlicht nicht leisten zu scheitern.
„Carter?“ fragte O’Neill.
Sie schreckte auf. So überwältigt war sie gewesen, dass sie bisher geschwiegen hatte. Jetzt erwartete der Colonel, dass sie etwas sagte. „Nun, das scheinen alles Maschinen zu sein, mit der die Einzelteile für die synthetischen Körper produziert werden. Ohne konkrete Anleitung wie man sie benutzt, wird das jedoch schwer werden.“
„Könnte ihnen da vielleicht der Computer da weiterhelfen?“
„Ein Computer? Wo? “ Unwillkürlich hatte sie laut gesprochen. Sie folgte dem Arm des Colonels und sah dort eine ausladende Computerkonsole mit mehreren Monitoren. Hinlaufen und sich in den Sessel setzen war für sie eins.
Der Monitor zeigte einen Text in einer Schrift, die sie nicht kannte. Also würde sich Daniel doch noch nützlich machen können. Er musste ihr das übersetzen.
Doch ehe sie oder Daniel etwas sagen konnten, veränderte sich ganz von alleine das Monitorbild und wurde ersetzt durch englische Texte. Wahrscheinlich hatte der Rechner ihre Anwesenheit registriert und entsprechend reagiert.
Der Bildschirm zeigte ein Inhaltverzeichnis und je mehr sie davon las, desto erleichterter fühlte sie sich. Es war ja auch logisch: Einen Plan wie man etwas so komplexes wie einen künstlichen Organismus herstellte, konnte sich kein Mensch merken. Also musste der Bau genau in einer Datenbank dokumentiert sein. Aber es gab sogar noch mehr. Die Datenbank enthielt auch Angaben über das Funktionsprinzip der einzelnen Komponenten.
Es war nur ein Anfang, aber die Bedingungen sahen schon mal nicht schlecht aus.


* * *


Es war ein Gefühl, dass Jack nur als „komisch“ beschreiben konnte. Seit Wochen arbeiteten sie nun schon im Labor und in all der Zeit hatte keiner von ihnen ein Auge zugetan. Kein Wunder eigentlich, denn eine Maschine brauchte keinen Schlaf. Aber an diese Tatsache musste man sich erst einmal gewöhnen.
Er hätte es nie für möglich gehalten, aber er, Daniel und Teal’c halfen Carter tatsächlich bei ihren Forschungen über ihre neuen und so-unglaublich-wunderbaren Körper. Sicher wäre es Carter lieber gewesen, wenn sie eine Horde von Spezialisten aus dem SGC bei sich gehabt hätte, nur leider waren sie drei die einzigen, die zur Verfügung standen. Nicht einmal Harlan wollte helfen.
Obwohl sie sich Mühe gab, sie alle sinnvoll zu beschäftigen, begann Jack sich zu fragen, wer hier eigentlich wem half. Letztlich musste sowieso alles durch Carters Kopf, denn sie war die einzige, die von der Sache etwas verstand. Vielleicht behinderten sie sie nur und sie gab ihnen lediglich etwas zu tun, um ihnen das Gefühl zu geben, dass etwas geschah. Moralische Unterstützung war vermutlich das einzige, mit dem sie ihr wirklich dienen konnten.
Jack schlurfte hinüber zu Daniel, der auf Carters Bitte hin eine der Maschinen unter die Lupe nahm.
„Herr Ingenieur?“ fragte er den Archäologen gelangweilt. „Was haben wir herausgefunden...“
Daniel deutete auf einen flachen Zylinder, der aus einer Seite der Maschine herausragte. „Es dreht sich“, erklärte er ratlos.
„Ja“, seufzte Jack. „Und was noch?“
„Und... es dreht sich!“
„Und das ist gut, ja?“
„Keine Ahnung...“
Jack schaute zu Teal’c hinüber, der neben Captain Carter am Terminal saß und einen Text überflog. Vermutlich durchforstete er ihn nach irgendeinem Thema, das sie für „interessant“ hielt. Er saß mit dem Rücken zu Jack, so dass dieser seinen Gesichtsausdruck nicht sehen konnte, aber er konnte sich Teal’cs stoische Mine auch so sehr gut vorstellen.
„Irgendwie ist es schon faszinierend“, sagte Daniel neben ihm.
„Was?“ fragte Jack automatisch zurück.
„Sehen sie sich um“, Daniel deutete mit einer weitläufigen Geste auf die Halle, die gefüllt war mit Maschinen aller Größen und Formen. „All das ist nötig, um einen Körper wie unseren künstlich herzustellen. In der Natur geht das praktisch von selbst.“
„Bitte, Daniel“, unterbrach er ruhig den Redefluss seines Freundes. „Nicht wieder die Nummer.“
Schon unter normalen Umständen interessierte sich Jack nicht für Daniels philosophische Überlegungen. Jetzt, wo es ihn auch noch unmittelbar betraf, wollte er sie erst recht nicht hören.
Sein Blick wanderte weiter zu Carter, die unruhig vor einem Monitor saß und sich gerade frustriert durch die Haare fuhr. Daniel erkannte wohl seinen Blick. „Sie redet nicht viel“, bemerkte er.
„Oh, eigentlich redet sie sogar sehr viel“, erwiderte Jack. „Nur meine Augen werden immer so schwer, wenn sie das tut.“ Seit sie hier waren hatte er sie bei ihrem technisch-physikalische Gerede nur sehr selten unterbrochen. Vielleicht half ihr das beim Denken und im Moment war es für ihn wichtiger als je zuvor, dass sie das sehr ausführlich tat.
Aber Daniel meinte trotzdem das Richtige: in all den Tagen oder Wochen, in denen sie hier waren, hatte sie sich kein einziges Mal über ihre Fortschritte oder Erfolgschancen geäußert. Er hatte sie auch nicht danach gefragt. Vielleicht war es an der Zeit, das zu ändern. „Kommen sie mit“, sagte er zu Daniel und bahnte sich seinen Weg durch die Maschinen zu Carter hin.
Sie hatte wohl ihr Kommen bemerkt und drehte sich um. „Sir?“ fragte sie.
„Wie sieht’s aus?“ fragte er schlicht.
„Nun ja, Sir...“ druckste sie herum. „Das wird dauern.“

Jack sagte nichts, sah sie nur an. „Ich rede dabei nicht nur von einer kleinen Weile. Es könnte durchaus...“ sie musste sichtlich mit sich ringen, um das hervorzubringen was sie ihnen bisher freiwillig nicht hatte sagen wollen. „Es könnte durchaus ein paar Jahre dauern, Sir.“
Jack schluckte. Er hatte fast damit gerechnet, dass sie so etwas in der Art sagen würde. Elftausend Jahre und weiter bis in die Unendlichkeit spukte Harlans Zitat durch sein künstliches Hirn.
Doch all seine schlimmen Befürchtungen hatten ihn nicht darauf vorbereiten können, jetzt plötzlich in der Realität mit ihnen konfrontiert zu werden. Jahre! Was konnte in dieser Zeit nicht alles geschehen... und schief gehen. Was sollten sie mit all der Zeit anfangen?
„Jahre?!“ brach es auch aus Daniel hervor. „Aber... das muss doch schneller gehen.“
„Tut mir leid, Daniel. Ich sehe nicht, wie dies irgendwie schneller zu machen wäre.“
Jack sah die Verzweiflung in ihren Augen. Sie wusste, wie sehr sie alle auf sie angewiesen waren und tat sicher alles, um ihren Ansprüchen zu entsprechen. Doch hier stieß sie offenbar an ihre Grenzen.
„Lassen sie’s gut sein, Daniel“, sagte Jack. „Ich fürchte, dass Zeit etwas ist, was wir zur genüge haben.“


* * *


O’Neill trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem Gehäuse des Terminals herum, gähnte ausgiebig und schaute auf seine Uhr, nur um festzustellen, das sie nicht da war. Er sah hinüber zu Teal’c, der mit eiserner Geduld an der Tür stand. „Daniel, wie lange dauert das denn noch?“
Eine ganze Weile waren sie noch bei Carter im Labor geblieben, hatten dann jedoch bald erkannt, dass sie ihr eher im Weg rumstanden, als helfen zu können. Daher hatten sie sie in Ruhe arbeiten gelassen und damit begonnen, die Station zu erkunden. Ihr Hauptgedanke war dabei anfangs nur gewesen den Ort kennen zu lernen, an dem sie die nächste Zeit verbringen würden. Doch dann hatten sie sich an die von Harlan erwähnten Ausgänge erinnert und sie gesucht.
Vergeblich. Man konnte nicht ohne jede Ortskenntnis durch die Station irren und davon ausgehen sofort einen Ausgang zu finden. Aus diesem Grund befanden sie sich jetzt in der Zentrale mit dem Hauptterminal und sahen zu, wie Daniel in der Datenbank nach einer Karte der Station suchte.
„Ich hab’s gleich“, antwortete der Archäologe zerstreut, während er über die diversen Kontrollen Befehle in den Computer eingab. „Hier“, murmelte er dann wie zu sich selbst und deutete auf den Bildschirm auf dem sich nun ein Plan der Station drehte, „das sind die Ausgänge.“ Er drehte sich um. „Sehen sie. Drei Stück.“
Ein kurzer Blick, dann hatte Jack sich den Plan in seinem künstlichen Hirn eingeprägt. „Gut. Kommen sie.“ O’Neill war schon auf dem Weg nach draußen.
Daniel beeilte sich hinter ihm herzukommen. „Harlan hat gesagt, dass sie alle Ausgänge versiegelt hätten“, wandte er ein, wie um Jack auf das Schlimmste vorzubereiten.
„Er hat ebenfalls gesagt, dass einige von ihnen auf die Oberfläche gegangen wären“, erhob Teal’c die Stimme. „Folglich muss es einen Weg geben, Daniel Jackson.“
„Ja. Einen der Ausgänge haben sie erst später verschlossen“, antwortete Daniel nervös und beschleunigte seinen Schritt, um Jack ins Gesicht sehen zu können. „Was nichts an der Tatsache ändert, dass jetzt alle zu sind.“
„ Angeblich, Daniel. Angeblich“, knurrte Jack ohne langsamer zu werden. „Sie sollten ihm nicht so blind vertrauen.“
„Ich vertraue ihm doch gar nicht blind“, verteidigte sich Daniel.
„Doch, das tun sie.“
„Es wäre taktisch unklug gewesen sich alle Auswege zu versperren“, unterbrach Teal’c ruhig.
„Die Station war ihr Ausweg, sie hatten keinen Grund zurück auf die Oberfläche zu gehen. Im Gegenteil: sie mussten sich so gut es ging davon abkapseln“, erklärte Daniel und fügte dann hinzu: „Ich sage das nur, weil ihr fest daran zu glauben scheint, wir könnten hier jetzt einfach rausmarschieren.“
„Es hätte immer etwas eintreten können, das sie gezwungen hätte, wieder nach oben zu gehen“, ging Jack über Daniels Behauptung hinweg.
„Und was wäre das zum Beispiel?“
„Zum Beispiel, wenn sie vor jemandem fliehen wollten, der so dumme Fragen wie sie stellt, Daniel.“
Sie erreichten den Ausgang, welcher der Zentrale am nächsten lag. Es war eine Tür wie jede andere auch. Sie wurde von zwei Scheinwerfern rubinrot und golden angeleuchtet. Jack ging an den Öffnungsmechanismus, betrachtete ihn erst nachdenklich und betätigte ihn dann. Es war ein Griff, den man kurz nach unten zog. Nichts geschah. „Na gut. Teal’c!“ Die beiden mussten sich nicht weiter verständigen, sondern pressten die Handflächen gegen die Tür und zogen. Daniel beeilte sich es ihnen gleich zu tun.
Es war sehr schwer. Nur langsam öffnete sich ein Spalt, der Angriffsfläche für ihre Finger bot. Es knirschte. Nur widerwillig beugte sich die Tür der Kraft der drei Androiden. Dann gab es einen Ruck und alle purzelten übereinander. Die Tür war offen, doch dahinter lag nichts weiter als eine graue Wand.
„Das ist Beton“, erkannte Jack.
„Nein, das ist etwas anderes“, korrigierte Daniel sofort.
„Es ist mir verdammt egal, was es ist!“ fluchte Jack.
„Damit ist der Beweis erbracht, dass Harlan ehrlich zu uns war“, sprach Teal’c das Offensichtliche aus. „Offenbar haben sie die Schächte zur Oberfläche mit diesem Material ausgefüllt“.

Die Sprengladungen zündeten in einer gewaltigen Explosion. Ihre Druckwelle jagte mit einem ohrenbetäubenden Knall durch den Korridor. Selbst in ihrer Deckung wurden sie noch von dem Schwall heißer Luft erfasst, der über ihre Köpfe hinwegfegte.
„Cool“, kam es von O’Neill.
Auch die zwei anderen Ausgänge hatten sich als verschlossen erwiesen. Nach ihren vergeblichen Versuchen dem plombierten Schacht mit Hammer und Meißel beizukommen, hatten sie sich nach besseren Werkzeugen umgesehen. In einer der Lagerhallen hatten sie dann tatsächlich Kernbohrer und ein paar Kanister mit halbflüssigem Sprengstoff gefunden. Für den Bau dieser Anlage waren schwerere Geräte nötig gewesen, aber dies war alles, was sie gefunden hatten.
Es war schwieriger gewesen Löcher für den Sprengstoff zu bohren, als sie erwartet hatten. Dieses seltsame Material war sogar noch härter als Beton. Selbst als Teal’c den Bohrer so stark gegen die Wand gepresst hatte, dass sein Motor kurz davor gewesen war zu blockieren, war außer einem grausigen Kreischen des gequälten Bohrkopfes nicht viel dabei rausgekommen. Es hatte sie eine kleine Ewigkeit gekostet ein gerade mal 10 Zentimeter tiefes Loch zu bohren.
Ganze fünf Löcher hatten sie produziert und dann Sprengstoff in sie gespitzt. Wenn man den gefährlich aussehenden Warnsymbolen auf den Kanistern glauben schenkte, war ein ganz schönes Feuerwerk zu erwarten gewesen und gerade hatte das Zeug sein Versprechen gehalten: die Explosion war um einiges stärker als die von C4-Sprengstoff gewesen.
Sie kamen wieder hinter dem Generator vor, der ihnen als zusätzliche Deckung gedient hatte – mit außerirdischen Sprengstoffen musste man schließlich vorsichtig sein.
Die Luft war heiß. O’Neill bog mit Daniel und Teal’c in den Korridor ein, in dem der Schacht lag. Im allgegenwärtigen Qualm konnte man ihn kaum erkennen. Das Metall der Wände knackte leise, während es wieder abkühlte. Als sie durch den sich nur langsam verziehenden Rauch den verschlossenen Schacht erkennen konnten, war Jack für einen Moment fassungslos.
„Arrgh. Nur Silvesterkracher...“ stöhnte er dann.
Wenn sie erwartet hatten, dass durch die Explosion ein Teil des Materials von der Wand abplatzen und womöglich ein riesiges Loch entstehen würde, dann hatten sie sich getäuscht. Ihre Sprengladungen hatten die Löcher etwas weiter aufgerissen, aber mehr auch nicht. Der Großteil der Explosion war einfach in den Korridor verpufft. „Der Sprengstoff war äußerst ineffektiv“, erklärte Teal’c leidenschaftslos, der O’Neills Bemerkung natürlich nicht verstanden hatte.
Das würde härter werden, als sie sich gedacht hatten. Was waren schon fünf Löchlein in einem wer-weiß-wie-tiefen Schacht.

„Wir sollten unsere Strategie ändern, O’Neill.“
Während Jack auf den von ihnen so gequälten Schachteingang starrte, war der feste Klang von Teal’cs Stimme sein einziger Halt. Jack war nicht bereit einfach so aufzugeben, aber so wie bisher kamen sie definitiv auch nicht weiter.
Nachdem sie mit ihren größeren Sprengungen keinen Erfolg gehabt hatten, waren sie dazu übergegangen, viele kleine Explosionen zu verursachen, mit denen sie sich erhofft hatten, dass durch sie mit der Zeit Risse im Beton entstehen und er zu bröseln beginnen würde.
Diese Hoffnung hatte sie mehr Sprengstoff gekostet, als es hätte sein sollen. Viel zu spät war ihnen aufgefallen, dass über die Jahrhunderte die Hälfte des flüssigen Sprengstoffs in den Kanistern fest und damit wertlos geworden war. Zu allem Überfluss hatte eben der erste Bohrer seinen Geist aufgegeben. Die Dinger waren einfach zu alt, um derartigen Belastungen standhalten zu können.
Die Versiegelung des Schachts indessen hatte alle ihre Bemühungen einfach weggesteckt. Sie wurde nicht bröselig und bis auf einige Löcher, die hässlicher aussahen, als sie tief waren, hatten sie nichts erreicht.
Vielleicht hatten sie sich zu sehr auf diesen Ausgang konzentriert. Vielleicht gab es noch andere Möglichkeiten zur Oberfläche zu kommen. „Harlan sagte doch irgendetwas von Lüftungsschächten“, erinnerte sich Jack. „Könnten wir nicht einen davon benutzen?“
„Diese Schächte sind zu schmal“, erklärte Teal’c.
„Dann vergrößern wir sie eben. Oder wir graben uns einen ganz neuen Stollen“, entgegnete Jack in einem Anfall von Kreativität. „Das Gestein muss doch weicher als dieses Zeugs hier sein.“
„Jack...“
„Wir sollten Carter fragen, was sie dazu meint. Vielleicht kann sie uns eine vernünftige Bohrmaschine ausmacgyvern. “
„Jack!“
„Was ist denn?“ erwiderte er, ungehalten darüber, dass Daniel ihn unterbrach.
„Tut mit leid, aber ich beginne mich zu fragen, warum wir das tun.“
Wie bitte? Ungläubig fragte sich Jack, ob Daniel das eben wirklich gesagt hatte. „Weil wir hier raus wollen?“ antwortete er trotzdem ruhig.
„Ja natürlich. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir da oben nicht mehr Bewegungsfreiheit hätten, als auf der Erde. Außerdem ist die Welt da oben zerstört. Es wäre gefährlich.“
Was hatte Jack erwartet? Daniel musste immer Bedenken haben, die er nicht hatte. Es gab nur sehr wenige Themen, in denen sie beide einer Meinung waren. „Gefährlich! Und deswegen wollen sie einfach aufgeben?“
Daniel schüttelte den Kopf. „Glauben sie mir. Ich würde auch gerne da raus. Da oben muss es noch Überreste der alten Zivilisation geben, die ich mir gerne ansehen würde...“ er unterbrach sich, als er merkte, dass er eigentlich Jack nichts vorschwärmen wollte. „Ich meine nur, dass... Es lohnt sich nicht! Wenn wir einen Ausgang gefunden hätten, dann natürlich. Wir hätten hochgehen und uns das ansehen können. Aber stellen sie sich jetzt einmal den Aufwand vor, um da hoch zu kommen. Es muss doch nützlichere Dinge geben, die wir hier tun können.“
„Und das wäre zum Beispiel? Wir sitzen hier vielleicht jahrelang fest! Was wollen sie denn tun? Wir können doch nicht die ganze Zeit dasitzen und Carter Händchen halten.“
Da hatte er Daniel offensichtlich erwischt. Auf die Schnelle hatte er keine konkrete Antwort parat. „Verdammt, ich weiß es nicht!“ fluchte er daher. „ Irgendetwas. Es muss etwas geben.“
Teal’c enthob ihn weiterer Ausführungen. „Ich muss Daniel Jackson zustimmen.“ Nur wenn man genau hinhörte, erkannte man die Enttäuschung, die in seinem Tonfall lag. „Der Aufwand und der Nutzen stehen in einem für uns äußerst ungünstigen Verhältnis.“
„Der Aufwand?“ Plötzlich hatte Jack eine Idee. Erst denken, dann handeln! Es gab vielleicht nicht nur verschiedene Wege hier raus, sondern auch unterschiedliche Mittel. „Wartet hier“, befahl er. „Ich muss was besorgen.“

Daniel war unruhig. Jack hatte recht, wenn er sagte, dass sie im Moment nur wenig anderes zu tun hatten, als zu versuchen, sich nach oben zu buddeln. Möglicherweise hätten sie es auch irgendwie geschafft, obwohl er nicht daran glauben konnte. Sie hatten kaum die nötigen Werkzeuge, um sich durch hunderte Meter von Gestein zu fräsen.
Aber war es die Mühe überhaupt wert? Was war es schon, das sie sich da oben erhoffen konnten?
„Denkst du, wir tun das richtige?“ fragte er Teal’c.
Dessen Antwort war ungewöhnlich unsicher. „Ich weiß es nicht“, gestand er.
Ein Scheppern am Fuß der Treppe kündete von O’Neills Rückkehr. Daniel fragte sich, was es war, das er „besorgt“ hatte.
Seine Frage wurde beantwortet, als er die Strahlenwaffe in Jacks Hand sah. Mit dieser Waffe hatte Harlan die erste Version von Teal’c erschossen. „Die ist neben dem Computerterminal rumgefahren“, erklärte Jack. Daniel war das natürlich nicht aufgefallen.
Sie gingen zusammen die paar Schritte, die zwischen Treppe und Ausgang lagen. Dort hob Jack kommentarlos die Pistole und schoss. Ein orangener Strahl zuckte aus der Mündung, schoss gegen die Wand aus Füllmaterial und verteilte dort in einem kurzen Aufflackern seine Energie ohne irgendeinen Schaden anzurichten.
Grimmig schoss Jack erneut. Diesmal hielt er den Abzug gedrückt. Eine volle Minute lang brandete die Energie der Waffe, die einen Androiden einfach aufzulösen vermochte, gegen die Wand. Doch entweder war es die Wand, die sich nicht für den Strahl interessierte oder es war der Strahl, der sich nicht für die Wand zuständig fühlte.
Als Jack schließlich die Waffe sinken ließ, schien es so, als wäre er um einige Jahre gealtert. Wasserpistolen und Silvesterkracher dachte Daniel in einem Anflug von Jack-Sarkasmus.
Dieser betrachtete lange die Pistole in seiner Hand. Für einen kurzem Moment wunderte sich Daniel über die Beliebtheit dieser Form im Universum. „Würde sich bestimmt gut als Souvenir auf meinem Schreibtisch machen“, sagte Jack mit erstaunlich klarer Stimme. „Aber halt! Das geht ja gar nicht. Wir werden die Erde nie wieder sehen!“ setzte er verbittert hinzu.
„Auf der Oberfläche hätten wir die Erde bestimmt nicht gefunden.“ Das war wieder Teal’c.
„Wir blasen die Aktion ab“, rief Jack, als müsse er es einer ganzen Kompanie zurufen. Er wandte sich ab und wollte gehen.
Doch Daniel hatte nicht vor ihn so verschwinden zu lassen. Es musste nicht nur eine Entscheidung getroffen werden, sie musste auch von allen akzeptiert sein. „Jack!“ rief er ihm nach.
Mitten in der Bewegung drehte sich O’Neill um. „Ja, sie haben recht“, schnauzte er mit mühsam unterdrückter Wut. „ Mal wieder. “
Daniel schien es fast so, als würde Jack ihn für ihre Lage verantwortlich machen. Er zwang sich zu schweigen, denn er wusste, dass, wenn er etwas gesagt hätte, es nicht sehr freundlich gewesen wäre.
„Wir sind da oben genauso fehl am Platz wie im Rest des Universums“, fuhr Jack fort und wurde dabei immer lauter. „Aber ich frage euch: Ist das gerecht? Warum wir. Warum nicht die Anderen? Warum müssen wir diejenigen sein, die hier festsitzen?“ Die letzten Worte schrie er fast.
„Die Realität ist nicht immer gerecht“, erklärte Teal’c hart.
„Oh ja. Und das hilft mir jetzt?!“ versetzte Jack wütend. Dann schwieg er und starrte vor sich hin. Es war offensichtlich wie er versuchte seine Erregung in den Griff zu bekommen.
Auch Daniel war sauer, behielt das aber für sich. Mal wieder, hatte Jack gesagt. Als ob es hier um Rechthaberei ging.
„Tut mir leid...“ bekannte Jack schließlich zähneknirschend und sah dabei sowohl Daniel als auch Teal’c an. Dann fügte er fast resigniert hinzu: „Überlegt euch, was wir in den nächsten Jahren tun können.“
Als er diesmal ging, folgte Daniel ihm nicht.


* * *


Ob Jack das jetzt gefiel oder nicht, sie konnten hier nicht fort.
Sie konnten nicht hoch zur Oberfläche. Sie konnten nicht einmal durch das Stargate, denn wohin hätten sie gehen können? Wohin hätte sie gehen sollen?
Nirgendwohin.
Solange sie keine Energiequellen hatten, war eine solche Reise völlig sinnlos. Genauso sinnlos wie es der Versuch zur Oberfläche zu gelangen letztlich gewesen war.
Also blieben sie wo sie waren. Blieben, so sehr es Jack auch widerstrebte. Das einzig vernünftige, was sie tun konnten – vielleicht sogar das einzige was sie überhaupt tun konnten – war auf Carter zu vertrauen. Zu hoffen, dass sie schnell mit ihrer Arbeit fertig werden würde. Sehr schnell.


* * *


Eine ganze Weile waren sie noch zusammen durch die Station gestreift. Jacks ersten Eindruck von ihr hatte dies nur bestätigen können: die Station war schrecklich. Keiner von ihnen hatte etwas gegen unterirdische Anlagen. Sie waren es vom Stargate Center her gewöhnt unter der Erde zu leben. Das SGC war wie eine zweite Heimat gewesen. Dies hier war jedoch anders. Obwohl die Decken teilweise höher lagen, als im Cheyenne Berg, fühlte er sich hier viel eingeengter als dort. Beklemmt.
Es mochte daran liegen, dass sie das SGC jederzeit hätten verlassen können. Vielleicht lag es aber auch an der schlechten Beleuchtung. Der einzige Ort, der richtig hell ausgeleuchtet war, war das Labor. Die Korridore dagegen waren ausgesprochen finster.
Das Licht war hier überhaupt äußerst eigenwillig. Es gab kaum direkte Beleuchtung von der Decke herab. Zwar befanden sich dort oben manchmal lange Reihen von Lampen, doch sie spendeten erstaunlich wenig Licht. Der Großteil der Helligkeit stammte von kleineren, verstecken Scheinwerfern, die farbiges Licht an die Wände warfen. Doch sie verdrängten die Düsternis nicht, sondern färbten sie lediglich ein. So gab es immer wieder Inseln von gelbem, rosanem, dunkelblauen oder türkisfarbenem Licht, die weitgehend von Dunkelheit eingeschlossen wurden.
Die Station war groß genug, dass man sich in ihr verlaufen konnte. Wenn man jedoch einmal eine Sektion gesehen hatte, kannte man sie alle. Es sah alles gleich aus, was die Orientierung anfangs sehr erschwerte. Überall herrschte die gleiche Dämmerung. Das einzig gute an diesem Licht war, dass man so nicht sofort sah, wie verfallen und alt die Station wirklich war.
Sie hatte ihre Blütezeit längst hinter sich. Ein Großteil der Einrichtung funktionierte nicht mehr. Die Wände zeigten Rostspuren und viele der offen an den Wänden oder der Decke entlang führenden Leitungen schienen geflickt zu sein. In manchen der besonders dunklen Ecken türmte sich undefinierbarer Schrott, der früher vielleicht mal eine wichtige Funktion erfüllt hatte.
Unter diesen Umständen war die Erkenntnis, dass sie wenigstens mit ihrer Kleidung nie Probleme bekommen würden, eine der wenigen angenehmen Überrauschungen. Eine von Harlans etwas angenehmeren Seiten war, dass er ein ausgezeichneter Schneider zu sein schien. An Stoff würde es nie mangeln, denn dieser war hier so ziemlich das einzige, woran es nicht fehlte. Es gab soviel davon, dass Jack gerne etwas von dem Zeug gegen was anderes eingetauscht hätte.
Selbst, wenn man bedachte, dass die Kleider auf ungewisse Zeit halten mussten, würden sie ihnen nicht ausgehen, denn das Material war ausgezeichnet. Reißfest und schmutzabweisend wie es war, konnte man es ewig tragen.
Jack fragte sich, wie es hier ausgesehen hatte, als die Station noch voller Roboter gewesen war. Dies alles war in aller Eile errichtet worden. Die Station hatte Platz für etwa eintausend Personen und vermochte ihr Leben – oder zumindest ihre Existenz – zu erhalten.
Darüber hinaus bot sie einem nichts. Zum Bau von irgendwie gearteten Freizeiteinrichtungen hatte es ihnen offenbar nicht mehr gereicht. Das Wort Freizeit allein war schon nicht angemessen, schließlich kam es von Freiheit. Freiheit bedeutete aber nicht bloß die Abwesenheit von Zwängen. Das mochte es hier schon geben. Freiheit bedeutete aber außerdem, dass man frei war zu tun was man wollte – und in diesem Punkt setzte die Station deutliche Grenzen.
Selbst, wenn die Hälfte der alten Bewohner den Herstellungsprozess nicht überstanden hatten, wären es damals immer noch 500 Leute gewesen, die nichts anderes zu tun hatten, als sich gegenseitig auf die Füße zu treten.
Wenn die Population von Ratten größer wurde als Platz für sie war, dann fielen sie übereinander her und dezimierten ihre Zahl so lange bis sie wieder ein erträgliches Maß erreichte. Menschen waren zwar keine Ratten, aber schon nach ein paar Wochen musste es die ersten Reibereien gegeben haben. Wie hatte das erst nach tausend Jahren ausgesehen? Kein Wunder, dass so viele von ihnen geflohen waren.
Teal’c war der erste gewesen, der sich einen eigenen Raum gesucht hatte, in den er sich zum meditieren zurückziehen konnte. Räume standen dafür genug zur Auswahl. In manchen davon lagerte irgendwelches Gerümpel, aber viele waren vollkommen leer.
Jack hatte sich geweigert Teal’cs Beispiel zu folgen. Es wäre für ihn einer Kapitulation gleichgekommen. Wenn man sich häuslich einrichtete, war es immer ein Zeichen dafür, dass man sich damit abfand zu bleiben.
Lange Zeit hatte er das auch durchgehalten, aber auf Dauer hatte er sich dem sich dann doch nicht entziehen können. Es war einfach kein angenehmer Zustand gewesen, allein oder mit den anderen durch die Station zu irren ohne zu wissen wohin oder wieso. Er hatte irgendeine Form von Halt gebraucht. Also hatte auch er schließlich einen Raum für sich in Anspruch genommen. Nicht als ewige Heimat natürlich, sondern eher als provisorische Unterkunft, bis sie hier fort konnten.
Bezeichnerderweise lag sein Raum jedoch ein ordentliches Stück von Teal’cs und Daniels Raum entfernt. Jack wollte sich dadurch nicht von ihnen distanzieren. Auch wenn sie in letzter Zeit ein wenig aneinander geraten waren, war er froh in ihnen jemanden zu haben mit dem er sich aussprechen konnte. Er fürchtete jedoch, dass die ständige Nähe zueinander auf Dauer zu einem Problem werden konnte. Er wollte nicht testen, wie groß ihre Ähnlichkeit zu den Ratten war.
Daher die Entfernung. Jeder von ihnen musste einen Ort haben, an dem er auch mal alleine sein konnte, wenn er das wollte. Sie mochten zwar zusammen in der Station leben müssen, aber das bedeutete nicht, dass sie auch auf engstem Raum wohnen mussten.
Ein Problem blieb jedoch: sie hatten nichts, mit dem sie ihr neues „Zuhause“ füllen konnten. Das einzige, was sie wirklich besaßen waren ihre Kleider. Alles, was ihnen gehört hatte, gehörte jetzt den Anderen. Sie hatten keinen Anspruch mehr darauf. Carter hatte ihrem Gegenstück sogar ihre Armbanduhr überlassen. Damit hatte niemand von ihnen mehr etwas, das sie an ihr altes Leben erinnert hätte und hier gab es nur sehr wenige Dinge, die es Wert waren von ihnen in Besitz genommen zu werden.
Auf der Erde war selbst der kleine Raum im SGC, in dem Jack manchmal übernachtet, sich ausgeruht oder einfach die Zeit tot geschlagen hatte, mit diversen praktischen und persönlichen Dingen gefüllt gewesen. Ein Schreibtisch voll mit Krimskrams, die Schachtel mit den alten Fotos und Briefen, das Bild, das Cassie für ihn gemalt hatte. Ein Bett, ein Fernseher. Es war ein Palast gewesen, wenn er sich im Vergleich dazu das hier ansah.
Doch die Leere in seinem Raum hielt nicht lange an. Jack ließ sich von Harlan dabei helfen einen ganzen Satz von Lampen an die Decke zu montieren. Diese verbreiteten zwar nur trübes Licht, aber es war besser als in den meisten anderen Teilen der Station.
Jack hatte Zeit. Viel Zeit. Er war überrascht über seine eigenen handwerklichen Fähigkeiten, als er sich aus Schrott und einigen Metallteilen ein Bett zusammenbaute. Er brauchte kein Bett, genauso wenig wie er Schlaf brauchte – sie konnten nicht einmal mehr schlafen. Selbst, wenn er es wollte; sein Körper war gar nicht in der Lage dazu. Dennoch war das erste, was er sich baute, ein Bett.
Warum er das tat, war er nicht sicher. Irgendetwas musste er tun und die Bastelei beschäftigte ihn ein bisschen – was vielleicht mit ein Grund dafür gewesen war, dass er sich überhaupt einen Raum genommen hatte.
Oft lag er auf seinem neuen Bett und starrte an die kahle Decke. Das Bett war hart und kalt, aber das störte ihn nicht weiter. Schließlich konnte er sich mit dem neuen Körper weder eine Erkältung noch einen schmerzenden Rücken holen...

Teal’cs einziger Einrichtungsgegenstand war ein Pendel, das er von der Decke baumeln ließ. Es half ihm beim Meditieren. Früher hatte er sich immer auf das Flackern einer Kerzenflamme konzentriert, aber hier gab es keine Kerzen. Die gleichmäßige Bewegung des Pendels musste nun dafür herhalten.
Teal’c meditierte als Jack gegen das Schott wummerte. Das synthetische Gehirn ermöglichte Meditation, er erreichte sogar viel leichter die Freiheit von allen Gedanken. Die tieferen Zustände des Kel’no’reem blieben ihm jedoch verschlossen. Was er auch tat, er blieb immer bei vollem Bewusstsein und war weit davon entfernt seine Körperfunktionen kontrollieren zu können.
„Komm rein.“ Seit kurzem legten sie äußersten Wert darauf, dass man nicht rein kam, ehe der andere einen dazu aufforderte.
„Hi!“ begann Jack. „Wie geht’s Junior ?“
Teal’c saß im Schneidersitz auf dem Fußboden und starrte auf das Pendel. „Ich spüre seine Anwesenheit“, erklärte er düster.
„Oh.“
„Du kannst unbesorgt sein, O’Neill. Er ist nicht in meinem Kopf – es ist rein körperlich“, beruhigte Teal’c.
Er war bereits die zweite Kopie, da die erste nicht richtig funktioniert hatte. Harlan hatte den Fehler gemacht, dem Verstand seines Goa’uld-Symbionten einen Platz in seinem Verstand einzuräumen. Als dieser dann versucht hatte die Kontrolle zu übernehmen, waren sie gemeinsam durchgedreht – für zwei Seelen war in einem Körper nicht genug Platz. Harlan hatte Teal’c erschießen müssen und hatte dann eine zweite Kopie erstellt.
O’Neill nickte. „Teal’c... Ich wollte dir nur sagen, dass wir keine Ahnung hatten, dass Harlan deine... das er dich...“, er stockte und suchte nach den richtigen Worten, „...das er dich fertig stellen würde.“ Das Pendel schwang unbeeindruckt weiter. „Ich meine, wir dachten, wir hätten es ihm ausgeredet und waren danach sowieso ziemlich durch den Wind, so dass wir einfach nicht mitbekommen haben, wie er...“ er sah ihn an. „Na, du weißt schon.“
Teal’c hob den Blick nicht vom Pendel, das weiter seiner Bahn folgte. „Was geschehen ist, ist geschehen“, antwortete er lakonisch.

Meine Damen und Herren, hier spricht ihr Colonel. Willkommen auf PX3989 , hatte Jack bei ihrer Ankunft gewitzelt. Es hatte ein Scherz sein sollen und möglicherweise war es das auch – ein Scherz des Universums auf ihre Kosten. Wenn er gewusst hätte, dass er auf dieser Welt vielleicht den Rest seines Lebens verbringen würde, hätte er besser den Mund gehalten.
Aber eigentlich war er es ja gar nicht gewesen, der diese Worte gesprochen hatte. Der Andere hatte das gesagt und Er war längst wieder fort. Er und Sein Team hätten es gar nicht eiliger damit haben können, von hier zu verschwinden.
Jack fiel es leicht, sich die Situation des Anderen zu versetzen und seine Gedanken zu erraten. Wenn er nicht so wie jetzt die Tatsachen gekannt hätte, dann hätte er genauso gehandelt. Schließlich waren sie beide in vielen Dingen identisch. Was für ein Ignorant er doch war!
Ein aufmunterndes Lächeln. Das war alles gewesen, was sie von Ihm und Seinen Leuten bekommen hatten. Auf den Gedanken, dass Er ihnen vielleicht hätte helfen können, die Station zu verlassen, war Er gar nicht erst gekommen. Im Gegenteil: Jack hatte die Erleichterung bei seinem Gegenstück gesehen, als dieser erfahren hatte, dass er nicht fort konnte.
Ja, tut uns wirklich leid, dass wir euch verlassen müssen. Aber ihr könnt hier ja schließlich nicht fort – das habt ihr doch selber gesagt. Also viel Glück!
Alles klar.
Doch selbst, wenn sie nicht weg konnten, so hätten die Anderen zumindest versuchen können, sie an Ihrem Leben ein wenig teilhaben zu lassen. Sie hätten dafür nichts aufgeben, einfach nur ein wenig in Kontakt bleiben müssen. Sie hätten ihnen helfen können, sich von der Erde und den Menschen, die sie dort zurückgelassen hatten zu verabschieden. Jack hätte sich dringend noch einmal mit Sara aussprechen müssen, an Doppelgänger war sie schließlich gewöhnt.
Doch waren Sie ihnen in dieser Hinsicht auch nur einen kleinen Schritt entgegen gekommen? Nein. Sie hatten ihnen nicht einmal in rein materieller Hinsicht geholfen. Ein paar Container mit Ersatzteilen und Dingen, mit denen man dieses Loch hier wohnlich gestalten konnte, hätten ja schon ausgereicht.
Nicht einmal das hatten sie bekommen, denn eine wie auch immer geartete Hilfe oder Unterstützung hätte von den Anderen verlangt sie als Menschen anzuerkennen, vielleicht sogar als Teil von Ihnen selbst. Doch dazu waren Sie nicht fähig gewesen.
Gut, Jack und seinesgleichen mochten so aussehen wie Sie, so reden wie Sie, aber trotzdem waren sie für die Anderen nur Maschinen. Roboter. Nicht lebendiger und womöglich auch nicht realer als die Person, die man hinter einem Spiegel zu sehen glaubte.
Und darin lag ein weiteres Problem: Den Anderen mussten sie und die ganze Situation überhaupt reichlich irreal vorgekommen sein. Sie waren hier aufgewacht und hatten plötzlich Sich selbst gegenübergestanden. Es musste Ihnen ein wenig vorgekommen sein, als ob Sie gar nicht erwacht wären, sondern statt dessen in einem Traum geblieben waren, in dem Sie Sich selber bei Handlungen beobachten konnten, die nicht Ihre eigenen waren.
Synthetische Gegenstücke, hatte Harlan versucht Ihnen zu erklären. Synthetisch?! hatte der andere Jack ungläubig gefragt. Jack glaubte, dass es Ihm bis zum Schluss schwer gefallen war das ganze Geschehen überhaupt als real zu akzeptieren.


In Ihren Augen waren sie nur Maschinen geblieben. Replikanten. Ausgeburten einer außerirdischen Technologie. Wenn Jack es nicht am eigenen Leib erfahren hätte, dann hätte er auch nicht geglaubt, das die da irgendetwas mit ihm gemein haben könnten. Er hätte sich einfach dagegen gesperrt, denn wenn sie trotz allem mehr als nur Roboter gewesen wären, dann hätten sie die den Anderen etwas wegnehmen können. Als Roboter waren sie bedeutungslos, doch als Menschen hätten sie Ihnen Ihre Einzigartigkeit genommen, einen Teil Ihrer Identität und Ihr Monopol auf Ihre Persönlichkeit. Jack hätte niemals mit einer Maschine, egal wie menschlich sie auch war, sein Leben geteilt. Deswegen hatte Er sie einfach zurückgelassen. Und Er hatte auch noch darauf bestehen müssen, dass sie das Tor verschlossen.
Ja, das Stargate zu vergraben löste wirklich viele Probleme! Es war der perfekte Schutz vor Leuten mit denen man nichts zu tun haben wollte. Ob Goa’uld oder die eigenen Kopien – beide hielt man sich auf diese Art vom Leib.
Vielleicht hatte dabei für den Anderen Sorge um die Erde mitgespielt. Aber es war mit Sicherheit auch eine Furcht ganz privater Natur gewesen. Er hatte gefürchtet, in einen Spiegel zu sehen und dort einen Teil Seiner Persönlichkeit zu erblicken, den Er nicht sehen wollte. Jack war für Ihn etwas, dass nicht Er war, aber Ihm auf seltsame Weise irgendwie ähnelte und dadurch in Seinem Namen Dinge tun konnte, mit denen Er nicht einverstanden war. Er musste Angst gehabt haben Sich aufgrund dieser Ähnlichkeit für etwas verantworten zu müssen, das nicht unter Seiner Kontrolle stand. Und deswegen hatte Er dafür sorgen müssen, dass Jack ruhig gestellt wurde und diese Welt niemals verließ.
Brich all deine Brücken hinter dir ab. Du weißt nie wer dir folgen könnte... Natürlich war es für Sie auch Selbstschutz gewesen. Sie würden sich nie mehr begegnen. Damit hatten die Anderen sich Ihre Einzigartigkeit endgültig gesichert. Sie konnten Ihr Leben einfach fortführen, als wäre nichts geschehen und konnten Sich der Illusion hingeben, dass die Figuren auf PX3989 vielleicht überhaupt nicht real gewesen wären. Sie würden es verdrängen können und nie mehr in Zweifel ziehen müssen, ob Sie wirklich Sie selbst waren oder ob Sie damals richtig gehandelt hatten.
Während die Identität der Anderen aber nie wirklich zur Diskussion gestanden hatte, hatten sie selber diese verloren. Die Anderen waren die gleichen geblieben. Natürlich waren Sie das, warum sollten sich auch Originale, nur weil eine Kopie existierte, plötzlich verändern? Nur in Ihrem Kopf war Ihre Existenz bedroht gewesen.
Doch für Jack und seine Freunde war als Kopien kein Platz im Universum. Als Roboter mit menschlicher Persönlichkeit saßen sie förmlich zwischen zwei Stühlen – sie waren weder leblose Maschinen ohne Bewusstsein noch waren sie echte Menschen, die sich auch so nennen durften. Und dadurch, dass sie aus der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen worden waren, wurde es für sie auch noch sehr schwer, sich wenigstens als Menschen zu fühlen.
Die Anderen hatten sie verraten. Es mochte keine Boshaftigkeit gewesen sein, sondern schlichte Ignoranz oder unbewusstes Wegschauen, das Sie nicht hatte erkennen lassen, was Sie mit Ihrer scheinbar harmlosen und scheinbar logischen Entscheidung sie hier alleine zu lassen, anrichteten. Doch gerade dafür begann Jack Sie zu hassen.
Meine Damen und Herren, willkommen in der Hölle. Wir hoffen, sie hatten einen angenehmen Flug...

Praktisch gleich nachdem die Anderen zur Erde zurückgekehrt waren, hatte Sam sich in ihre Arbeit gestürzt. Seitdem hatte sie sich kaum eine Pause gegönnt. Sie hatte sich ein hohes Ziel gesteckt und setzte alles daran, es auch zu erreichen.
Natürlich war sie sich im Klaren darüber, dass ihr Eifer nicht allein in ihrem bloßen Bestreben lag, einen Weg hier raus zu finden. Ihre Arbeit verlangte volle Konzentration und das war auch gut so, weil sie dadurch kaum Gelegenheit bekam, über ihre Situation nachzudenken.
Sie war von der Erkenntnis damals völlig überrollt worden, dass ihr bisheriges Leben, das sie auch leben hatte wollen und von dem sie in ihrem Alter wie selbstverständlich davon ausgegangen war es noch ein paar Jahrzehnte unbeschwert weiterleben zu können, zu Ende war. Harlan hatte früh versucht sie darauf vorzubereiten, aber sie hatte ihm erst geglaubt, als sie der Wahrheit nicht mehr hatte entkommen können.
Dabei gab es soviel, was sich hinter dem kleinen Wort „Leben“ verbarg. Von einem Moment zum anderen war sie aus ihrer gewohnten Umgebung geschleudert worden, entwurzelt von den Menschen, die ihr nahe standen und herausgerissen aus dem Körper, in dem sie geboren worden war.
So plötzlich war es gekommen, dass sie das Gefühl gehabt hatte, im vollen Lauf gegen eine Glaswand gerannt zu sein. Und noch während sie sich von diesem Schock versucht hatte zu erholen, hatte sie mit ansehen müssen, wie eine andere Version von ihr selbst die Wand einfach durchstieß und sie hinter Sich zurückließ.
Das einzige, was sie behalten hatte, war ihre Arbeit. Zumindest der wissenschaftlich-technische Teil davon. Die Reisen durch das Stargate, an die sie sich im vergangen Jahr gewöhnt hatte, war wie so vieles andere einfach verschwunden. Ihre Arbeit zeigte ihr, dass sie immer noch sie selbst war – mehr oder weniger zumindest, denn sie hatte ihre alten Fähigkeiten behalten. Dies beruhigte sie ein wenig.
Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis sie ihre Situation nicht nur verstanden, sondern auch akzeptiert hatte. Davon sie aber verarbeitet zu haben, war sie vermutlich noch weit entfernt. Nur darin lag jetzt ihr Problem. Es half alles nichts! Sie konnte sich nicht ewig hinter ihrer Arbeit verstecken. Man konnte sich nicht ununterbrochen konzentrieren, wenn da etwas war, über das man nachdenken musste.
Sam dachte an all die Freunde und Verwandten, die sie auf der Erde zurück gelassen hatte. Das Schlimme daran war, dass diese gar keine Ahnung hatten, dass Sam überhaupt weg war und sie vermisste. In Wirklichkeit war sie ja auch gar nicht weg. Die meisten würden es gar nicht erfahren und für diejenigen, die es taten, war sie nicht Sam Carter, sondern nur irgendein Android, der vorgab Sam Carter zu sein und es womöglich auch noch selber glaubte.
Von ihren näheren Verwandten würde sie ihren Bruder wohl am wenigsten vermissen. Sie und Mark hatten sich schon lange nichts mehr zu sagen gehabt. Seit der Geburt seiner Tochter vor einigen Jahren hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Bis auf ihren Dad hatte sie auch zu ihren anderen Verwanden keinen Kontakt. Zuletzt hatte sie einige von ihnen bei der Beerdigung ihrer Mutter getroffen und festgestellt, dass sie von zwei Dritteln nichtmal die Namen kannte.
Auch Dad sah sie kaum. Trotzdem vermisste sie ihn. Er hatte schlecht ausgesehen, als sie ihn das letzte Mal getroffen hatte . Aber sie hatte ihn nicht darauf angesprochen. Es hätte ihn verletzt. Ihr Vater hatte vor seiner Tochter immer der starke Soldat sein wollen, selbst jetzt wo er nur noch General a.D. und sie längst erwachsen war.
Dafür machte er sich um so mehr Sorgen um sie. Er glaubte, dass sie mit ihrer Arbeit nicht glücklich war. Das konnte sie ihm auch schwer ausreden. Analyse von Tiefenraumradartelemetrie, der Job, den sie in den offiziellen Akten hatte, war wirklich nicht besonders aufregend. Er wusste zwar, dass sie der Geheimhaltung unterlag – und er verstand das sehr gut – aber er wusste nicht, dass sie in Wirklichkeit etwas ganz anderes tat. Vielleicht ahnte er es.
Auf jeden Fall hätte sie mit General Hammond reden sollten, dass er in ihre offizielle Akte den Wechsel zu einer anderen Arbeit eintrug. Mit ihrem Doktor in Astrophysik hätte sich da bestimmt etwas passendes gefunden. Vielleicht etwas bei der NASA, wie sie es sich früher immer erträumt hatte.
Sam hatte nie einen sonderlich großen Freundeskreis gehabt. Und er war sicherlich nicht größer geworden, seit sie niemandem mehr hatte sagen dürfen, was sie Tag für Tag wirklich tat. Daher hatten sich fast alle ihre Freunde im Stargate Center befunden. Dazu gehörte vor allem Janet. Die Ärztin war ihr von Anfang an sympathisch gewesen und sie hatten sich gleich verstanden. Sie war auch ein wenig der Ausgleich dafür gewesen, dass Sam fast nur mit Männern zusammenarbeitete.
Auch General Hammond sah sie als ihren Freund an und Sergeant Davis, mit dem sie sich manchmal bei Änderungen an der Kontrollsoftware des Erdentors die Nächte um die Ohren geschlagen hatte.
Aber ihre engsten und besten Freunde waren hier bei ihr und das erleichterte sie. Es änderte nichts daran, dass sie Dad oder Janet vermisste. Aber im Moment war dies wohl das Beste, was sie erwarten konnte.
Die Tatsache, dass sie zusammen Tag für Tag ins Unbekannte vorgestoßen waren, dabei manchmal in Lebensgefahr gerieten und sich gegenseitig ihre Hintern retten mussten, hatte natürlich zusammengeschweißt. Aber das war nicht alles, was sie verband. Sie verstanden sich auch außerhalb des Diensts wunderbar, hatten einen Teil ihrer Freizeit zusammen verbracht. Besonders O’Neill, aber auch sie und Daniel hatten Teal’c, wie er es nannte, „ihre Welt gezeigt“.
Sam hatte nicht immer darauf Lust oder etwas anders zu tun gehabt, aber manchmal hatten sie sich bei einem von ihnen zu Hause getroffen und bei Pizza oder sonst was Filme angeschaut. Oder sie waren zum Essen und reden ins O’Malley’s gegangen. Das war immer sehr schön gewesen, sie hätten das öfters machen sollen.
Inzwischen war sie soweit, dass sie SG-1 als eine Art Ersatzfamilie ansah. Für sie waren Daniel und Teal’c nicht einfach nur Freunde sondern fast schon Brüder. Sie wusste, dass auch Daniel sie auf diese Weise Art betrachtete und Teal’c... es fiel schwer zu sagen, was Teal’c wirklich dachte, aber sie glaubte, dass auch er ähnlich empfand. Er konnte sehr starke emotionale Bindungen eingehen.
Nur mit Jack – dem Colonel – sah es ein wenig anders aus. Sie waren Freunde. Sehr gute Freunde, die sich prächtig verstanden. Sie mochte seinen Humor, seine ganze Art, mit der er sich zum Beispiel vor eine Versammlung aus hohen Vertretern eines Volkes hinstellte, die ihn schwülstig begrüßten, während er sich auf ein einfaches „Hi Leute!“ beschränkte. Er tat gerne so, als sei er schwer von Begriff, aber das war er nicht.
Doch trotz aller Freundschaft herrschte zwischen ihnen immer eine Spannung, die auch nach Dienstschluss nicht verschwand. Sie blieben immer ein bisschen auf dienstlicher Distanz.
Aber da war noch etwas. Etwas das dazu in ständigem Widerspruch stand. Ein Gefühl, dass sie in dieser Form nicht haben wollte. Es hatte sich ganz langsam angeschlichen und als es dann plötzlich vor ihrer Nase auftauchte, war es ihr sehr schwer gefallen es schnell zu verdrängen. Noch immer hoffte sie, dass es einfach verschwinden würde wie eine flüchtige Laune.
Es war schlicht und einfach nicht richtig. Allein schon deswegen, weil sie glaubte, dass er immer noch seiner Ex-Frau nachtrauerte. Aber vor allen Dingen war er ihr CO und sie sein 2IC . Wenn sie Freunde waren, dann

war das gut, aber mehr war absolut unmöglich. Ein Zögern im falschen Moment und das ganze Team konnte sterben. Vielleicht blieb sie deshalb so auf Distanz.
Sam lauschte eine Weile ihren Gedanken nach. Im Prinzip konnte sie sich glücklich schätzen. Sie hatte zwar einige Personen verloren, die ihr wichtig waren, aber sie hatte auf der Erde oder im Universum nichts unerledigt zurückgelassen. Ihre Freunde hier waren in dieser Hinsicht nicht so gut dran.
Es würde nicht leicht werden. Für keinen von ihnen. Aber es würde mit Sicherheit unerträglich werden, wenn sie mit ihrer Arbeit nicht fertig würde. Diese Konservendose mit nur vier Gesichtern darin würde sie bestimmt irgendwann die Wände hochgehen lassen, wenn sie hier nicht raus kam. Also wandte sie sich mit einem Seufzer wieder dem Computerterminal zu.

Harlan schob das kleine Metallblättchen, das früher wahrscheinlich mal blau angesprüht gewesen war, auf dem Spielfeld umher. Das Spiel nannte sich Kadis-Kot. Daniel wollte gar nicht wissen wie viel Zeit Harlan mit diesem selbst gebastelten Spiel verbracht hatte, als es noch Leute gegeben hatte, gegen die er antreten konnte.
„Du siehst besorgt aus“, erkannte Daniel.
„Oh, tue ich das?“ Harlan dachte nach. „Ja, das kann sein. Ich mache mir Sorgen. Es sind deine Freunde.“
„Wieso?“ fragte Daniel.
„Sie helfen nicht die Station zu reparieren. Das ist nicht gut.“ Er schüttelte nervös den Kopf und bekräftigte dann noch mal: „Nicht gut.“
„Na ja, du bist auch nicht gerade hilfreich. Du könntest Sam helfen.“
Harlan tat, als hätte er Dr. Jackson nicht gehört. Diesen wunderte das nicht. Er hatte ausführlich versucht Harlan umzustimmen, ohne Erfolg. Und da Harlan bei diesem Thema immer recht ungnädig wurde, hatte er es des lieben Friedens willen in Zukunft sein gelassen.
„Sie passen sich nicht an. Warum können sie nicht einfach aufhören sie zu sein?“ fragte Harlan statt einer Antwort verzweifelt.
„Du musst das verstehen. Es liegt nun mal in unserer Natur uns so zu verhalten“, erklärte Daniel sanft.
„Nicht du“, schränkte Harlan ein. „Du bist anders. Du hast es verstanden!“
Daniel legte die Stirn in Falten. „Wie meinst du das?“
„Du weißt, dass wir nicht leben können, ohne die Station. Du hilfst sie zu reparieren. Du hilfst mir.“ Er schüttete noch einmal den Kopf. „Die anderen tun das nicht.“
„Du bist enttäuscht“, riet Daniel.
„Nein, nicht enttäuscht. Es wird sich geben.“ Er gluckste. „Sie werden es noch verstehen.“
Nach einiger Zeit fragte er: „Glaubst du, dass sie mir böse sind?“
Daniel zögerte einen Moment. Er hätte Harlan anlügen können, wollte aber nicht sein Vertrauen enttäuschen. „Ein wenig vielleicht...“ gab er zu. „Aber nicht sehr. Ich glaube, dass es vorbei gehen wird. Du hast nur versucht zu überleben. Das werden sie begreifen.“
Daniel schob einen seiner Spielsteine vor. Sie waren mal rot gewesen. Harlan musterte das Spielbrett und kaute nervös an seinen Fingernägeln. Dann kicherte er plötzlich und verschob einen seiner Steine. Daniel hatte verloren. „Ist es eigentlich möglich gegen dich zu verlieren?“
„Oh, wenn du ein paar hundert Jahre übst... vielleicht.“ Er konnte sein Grinsen kaum zurückhalten.
Tss! Auch Daniel konnte nicht anders als das Grinsen zu erwidern. Was für ein Wahnsinn...

Wer hatte sich nicht schon einmal Unsterblichkeit gewünscht. Wenn das Leben zu kurz war, um alle Ziele zu erreichen, wenn das Alter gefürchtet wurde wie eine Krankheit, träumten die Menschen von der Unsterblichkeit.
Für Jack war es die Hölle. Sie waren nun unsterblich, doch was war der Preis? Nicht mehr und nicht weniger als ihr Menschsein. Ein Pakt mit dem Teufel hätte kaum schlimmer ausfallen können.
Der Gedanke an einen perfekten Körper mochte in der Theorie etwas Verlockendes haben. Und tatsächlich waren diese Maschinen nicht nur sehr stark und widerstandsfähig, sondern auch täuschend echt. Niemand konnte sehen, dass es keine echte Haut war, die sich über die metallenen Schädel spannte. Manchmal konnte man vergessen, dass kein Blut in den eigenen Adern kreiste. Doch immer wieder wurde einem eben das schmerzhaft bewusst.
Jack hatte im Labor einen Energieriegel gefunden, der einem der Anderen aus der Tasche gefallen sein musste. Er hatte seit Ewigkeiten nichts mehr gegessen. Wie als ob er am Verhungern gewesen wäre, hatte er die Folie aufgerissen und sich das Ding in den Mund gestopft.
Die Air Force behauptete, dass sie alle Stoffe enthielten, die man zum vorläufigen Überleben brauchte. Jack wusste aus leidiger Erfahrung, bei der er tagelang von diesem Fraß gelebt hatte, dass dies auch stimmte. Nur wurde man nie davon satt und schmecken tat es grauenhaft – wie als ob man Mehl mit Gelatine und ein wenig Zucker vermischte hätte.
Doch jetzt schmeckte er überhaupt nichts. Nicht einmal eine Rückmeldung der Geschmacksnerven, dass da etwas war, dass nach Nichts schmeckte. Jack sah auf die Folie und suchte nach dem Haltbarkeitsdatum. Der Riegel musste noch gut sein. Die Folie hatte auch keinen Riss an einer anderen Stelle, als da wo er sie aufgerissen hatte.
Nur langsam tröpfelte die Wahrheit in sein Bewusstsein. Es lag nicht am Riegel. Er war es, der nichts mehr schmecken konnte. Er hatte keinen Geschmacksinn mehr! Wozu auch, wenn er nicht mehr essen musste? Der Brei des Riegels war wie ein schleimiger Fremdkörper in seinem Mund. Schnell versuchte er das Zeug herunterzuwürgen, aber er konnte nicht schlucken. Immer wieder versuchte er es. Vergeblich. Bisher schien er nie Probleme mit dem Schlucken gehabt zu haben. Schließlich bewirkte er nur das Gegenteil, er begann zu husten und spie den Schmodder wieder aus.
Das war’s also, er konnte nicht einmal mehr essen. Dazu war diese Maschine, die jetzt sein Körper war, einfach nicht geschaffen. Der Gedanke an all die guten Sachen, die er nie wieder schmecken würde, machte ihn krank.
Möglicherweise würde er sich irgendwann mit all dem Abfinden und sich statt dessen auf die Vorteile konzentrieren, die ihre Existenz mit sich brachte. Sie würden alle Zeit der Welt haben, um sich daran zu gewöhnen. Eine andere Wahl hatten sie gar nicht.
Aber Jack fürchtete, dass die Probleme bei ihren Körpern erst beginnen würden, sobald er sich mit viel grundsätzlicheren Dingen wie der Frage befassen würde, was er mit der unendlichen Zeit anfangen sollte, die ihnen nun zur Verfügung stand. Denn was nützte einem die Unsterblichkeit, wenn da nichts mehr war, für das es sich zu Leben lohnte?

Wallace’ Tod war für Harlan der größte anzunehmende Unfall gewesen, sein persönlicher worst case.
Das Ende der eigenen Zivilisation miterleben zu müssen war schon mehr als die meisten hätten verkraften können. Damit hatte es das Schicksaal jedoch nicht bewenden lassen. In den folgenden Jahrtausenden hatte Harlan die Zahl seiner Freunde immer weiter schwinden sehen. Viele waren beim Herstellungsprozess gestorben. Die, die ihn überstanden, hatten sich zum größten Teil nie mit ihrer neuen Existenz anfreunden können. Einer nach dem anderen hatten sie die Reichweite der Energiequelle verlassen und so ihrem Dasein ein Ende gesetzt.
Harlan hatte mit ansehen müssen, wie eine tragbare Energiequelle nach der anderen heimlich aus dem von Hubald verschlossenen Raum entwendet wurde. Es hatte ihn geschmerzt zu sehen, wie seine Freunde die Tür schließlich ganz offen aufbrachen und die Quellen verlosten. Sie waren so besessen von dem Wunsch gewesen, sich ein neues Leben auf einer anderen Welt aufzubauen, dass es außer Mord- und Totschlag keine andere Möglichkeit gegeben hätte, die kleinen Koffer zu verteilen.
Wallace hatte nicht zu denen gehört. Er hatte versucht sie zur Vernunft zu bringen – vergeblich. Sie hatten sich nicht aufhalten lassen, obwohl auch die tragbaren Energiequellen sie nicht auf ewig versorgen konnten. Und selbst diejenigen, die Leer ausgegangen waren, hatten die Station verlassen. Sie hatten sich der irren Möglichkeit hingegeben, draußen irgendeinen Weg zu finden auch ohne die Energie der Station leben zu können – wo doch jeder wusste, dass so was unmöglich war.
Wallace dagegen war in seiner Existenz genauso aufgegangen wie Harlan. Über vier Jahrtausende hinweg war er die einzige andere Person auf dieser Welt gewesen, die Harlan noch gehabt hatte. Dann jedoch kam es zu diesem Unfall und Wallace opferte sein Leben. Seitdem hatte Harlan allein gelebt.
Lange Zeit war die Station vor sich hin gerottet, weil er nicht die Kraft aufgebracht hatte, die nötigen Wartungen vorzunehmen. Viel war in dieser Zeit zerstört worden. Das einzige, was Harlan damals getan hatte, war systematisch alle Uhren zu entfernen. Er hatte es nicht mehr ertragen können zu sehen, wie einerseits die Zeit nur quälend langsam verging und andererseits in dieser quälenden Langsamkeit ganze Lebenspannen an ihm vorbeizogen, ohne dass etwas bemerkenswertes passierte.
Doch Harlan hatte sich auch mit diesem Schlag des Schicksaals abgefunden. Er hatte länger alleine gelebt als fünf Dutzend Menschenleben und er wusste, dass diese Zeit nicht spurlos an ihm vorüber gegangen war. Insgeheim hatte er sich immer gefragt wie lange er es noch alleine aushalten würde.
Es war so still gewesen. Der Stationscomputer war die einzige Stimme, die er über lange Zeit hörte. Doch alles was dieser tat, war Warnungen darüber auszusprechen, was dringend repariert werden musste. Sie mochten einen Geist in einen Computer übertragen können, doch hatten sie es nie geschafft eine echte künstliche Intelligenz zu schaffen, mit der er sich ernstlich unterhalten hätte können. Die seelenlose Stimme hatte ihn sich nur noch einsamer fühlen lassen.
Also hatte er begonnen sich mit Wallace zu unterhalten. Er hatte mehr mit ihm geredet, als zur Zeit in der er noch gelebt hatte. Sie hatten diskutiert und über alltägliche Dinge geredet, manchmal hatten sie sich sogar gestritten.
Harlan hatte sich gefragt, ob es ein Zeichen von Wahnsinn war, wenn man mit einer Person redete, die längst tot war. Es war auf seiner Welt immer allgemein behauptet worden ein solches Verhalten wäre normal, aber wäre es nicht auch normal gewesen durchzudrehen? Und was wäre, wenn er aufgehört hätte mit Wallace zu reden? Vielleicht hätte das ihn in den Wahnsinn getrieben.
Also hatte er weiter geredet. Ob ihn das den Verstand kosten würde oder nicht, hatte er damals nicht sagen können, aber es war jeden Fall angenehmer als die Stille gewesen.
Doch dann war mit einem mal alles besser geworden. Es waren vier neue Freude durch den Ring gekommen. Äußerst prächtige Exemplare ihrer Spezies. Besonders Captain Carter. Weiblich! Und selbst Teal’c – auch wenn er irgendwie anders war.
Vor lauter Freude über den Besuch hatte Harlan den Neuankömmlingen das größte Geschenk gemacht, der er ihnen bieten konnte: Unsterblichkeit und einen perfekten Körper.
Natürlich war er sich dabei im Klaren gewesen, dass er nicht nur aus Menschenliebe handelte. Er brauchte sie schließlich zum überleben. Für seine Gesundheit und die der Station. Aber er schadete ihnen durch seinen Selbstnutz schließlich in keinster Weise! Er tat ihnen ja nichts. Er verbesserte sie nur.
Doch sie hatten ganz anders reagiert, als er erwartet hatte. Ihren Wunsch diese Welt zu verlassen hatte er anfangs mit Unglauben und sogar Angst aufgenommen. Dann war daraus Besorgnis und schließlich Ärger geworden. Warum mussten sie nur so stur sein?
Bei all seinem Verständnis, das er im laufe der Jahrhunderte gegenüber Unsterblichen entwickelt hatte, waren Sterbliche für ihn ein Rätsel geworden. Leider benahmen seine Freunde sich noch wie selbige und daher fiel es ihm schwer sie zu verstehen.
Aber er wollte nicht undankbar sein. Zwar redeten sie nicht viel mit ihm und schlossen ihn noch weitgehend aus ihrer Gesellschaft aus, aber selbst ihr Schweigen war mehr als er sich lange erträumt hatte. Bereits die Tatsache, dass er nicht mehr alleine war, war eine unglaubliche Hilfe.
Inzwischen war er zu der Überzeugung gelangt, dass es besser für sie war, sich langsam von ihrer alten Existenz zu lösen. Sie konnten das nicht so wie er damals von jetzt auf gleich schaffen. Er würde lernen müssen Geduld mit ihnen zu zeigen. Schließlich verfügte er darüber zur Genüge. Wenn sie die Versuche ihrer neuen Existenz zu entfliehen erst einmal richtig ausgelebt hatten, würde es ihnen später umso leichter fallen das Geschenk zu akzeptieren.

Für Jack war es völlig klar gewesen, dass er Daniel im Archiv finden würde. Entweder er war bei Harlan und half ihm – freundlich wie er war – bei den Reparaturen, oder er war hier.
Sie hatten das Archiv bei ihren Erkundungstouren durch die Station gefunden. Der Raum lag auf der untersten Ebene, war nicht sonderlich groß, aber bis zum Rand mit Datenspeichern gefüllt. Die Altairaner hatten gewusst, dass ihre Welt sterben würde und hatten daher versucht, möglichst viel von ihrem Wissen und ihrer Kultur in den Speicher zu laden um so das, was ihr Volk auszeichnete, für die Ewigkeit zu konservieren.
„Ah, Jack. Da sind sie ja!“ begrüßte ihn Daniel begeistert. „Ich habe herausgefunden, was diese Zivilisation ausgelöscht hat. Offenbar gab es einen Krieg mit sehr fortschrittlichen Waffen, der schließlich zu ihrer Vernichtung führte. Allerdings hatte Hubald, der Erschaffer der Station, das jedoch geahnt und...“
„Danke, Daniel. Jetzt nicht“, seufzte Jack. „Schon was rausgefunden, das uns vielleicht weiterhelfen könnte?“
Daniel sah ihn ein wenig irritiert an. Wahrscheinlich hatte er gar nicht die Absicht gehabt, irgendetwas bestimmtes zu suchen, was ihnen weiterhelfen könnte. Es war reine Neugierde, die ihn angetrieben hatte.
Jack fuhr gleichgültig mit den Fingern über die Speicher als suche er nach Staub. „Nein“, gab Daniel zu. „Aber Jack das – das ist das größte Archiv, das ich je gesehen habe. Das Wissen eines ganzen Volkes“, sagte er ehrfürchtig. „Seine Anwesenheit allein ist schon ein Wunder.“
„Ich weiß, das sie das alles total faszinierend finden, aber was nützt einem alles Wissen des Universums, wenn man es mit niemandem teilen kann?“ fragte Jack frustriert und wiederholte dabei unbewusst die Worte von Ernest Littlefield, der über 50 Jahre allein in einem Archiv von vier Alienrassen verbracht hatte. „Ich dachte, das hätten sie inzwischen begriffen!“
„Jack, was ist los?“
„Was los ist? Ich habe eben versucht zu essen. Und ich weiß nicht, wie sie das sehen, aber ich habe ein verdammtes Problem damit, dass wir nur Maschinen sind!“
„Im Prinzip ist der menschliche Körper auch nur eine Maschine.“ Es klang ein wenig so, als hätte Daniel sich diesen Satz in seinem Geist immer und immer wieder vorgesagt und zurecht geschliffen. „Alles, was er tut, tut er, um unseren Geist am Leben zu halten und es ihm zu ermöglichen mit der Umwelt zu interagieren.“
„Genau das ist es“, rief Jack aufgebracht, den erhobenen Zeigefinder wie eine Faust schüttelnd. „Der menschliche Körper. Wir sind aber keine Menschen mehr.“
„Aber all das, was uns zu den Personen macht, die wird sind, ist gleich geblieben. Ich bin immer noch Daniel Jackson. Unsere Erinnerungen, unsere Persönlichkeit. All das ist erhalten geblieben.“
„Wir bleiben Kopien und das werden sie nicht anders nennen“, schnarrte Jack.
„Mag sein, aber wir sind besser als die Originale“, sagte Daniel voller Überzeugung.
„Häh? Daniel, aufwachen!“ er tat so, als würde er ihm aus der Entfernung zuwinken. „Wo immer sie sind – hier ist die Realität!“
„Ich bin mir dessen sehr wohl bewusst.“
„Dann müsste ihnen auch aufgefallen sein, dass uns einiges abhanden gekommen ist, dafür das diese Körper perfekt sein sollen. Haben sie seit wir hier sind jemals geschlafen oder etwas gegessen?“
„Nein. Ich rede ja auch gar nicht von Perfektion...“ Er griff sich an die Nasenwurzel wo früher seine Brille gesessen hatte. „Aber sie müssen das so sehen: Das alles war kein Selbstzweck. Er war eine Notwendigkeit für unsere Körper, da sie ansonsten einfach nicht funktioniert hätten. Wenn man es so betrachtet, war es eigentlich eher eine Behinderung.“
„Also ich für meinen Teil habe gerne gegessen.“
„Ich behaupte ja auch nicht, dass ich es nicht vermissen würde. Aber wenn man es mal objektiv betrachtet, ist es vielleicht wirklich besser so.“
„Ich kann aber jetzt nicht objektiv sein. Ich drehe hier noch durch.“ Mit weiten Schritten begann er den Raum zu durchqueren, wie um seinen Gefühlen Luft zu machen. „Was ist mit Sha’re?“ schoss er dann, als er wieder vor Daniel stand. Wäre er nicht so aufgewühlt gewesen, hätte er den Satz bedauert, sobald er draußen war.
Daniels Gesicht verfinsterte sich für einen Augenblick. „Ich kann nur hoffen, dass mein anderes Ich sie finden wird“, flüsterte er dann.
Jack nahm seine Wanderung durch das Archiv wieder auf. Daniel seufzte und suchte nach einem Weg Jack aufzumuntern. „Sie sollten nicht immer nur das Negative sehen. Schauen sie mich an. Ich brauche keine Brille mehr. Und Sam – sie würde sich hier kaputtmachen, weil sie sich weigern würde zu schlafen, bevor sie das Problem gelöst hätte. Ich bin mir sicher, dass sie froh drum ist.“
Vom anderen Ende des Raumes schnellte Jack herbei und brachte sein Gesicht auf gleiche Höhe mit dem von Daniel, der immer noch auf einem der klapprigen Drehstühle saß. Ihre Nasen berührten sich fast. „Wenn diese Körper nicht wären, hätte sie aber gar nicht das Problem.“ zischte er dann und erhob sich wieder.
„Warten sie doch einfach ab, bis sie es gelöst hat“, bot Daniel ihm an. „Sie können sich ja schon mal überlegen, was sie tun wollen, wenn wir von hier fort können.“

Daniel Jackson hatte nie sehr an seinem Körper gehangen. Er war für ihn immer etwas gewesen, das ihm die Natur ihm mitgegeben hatte und mit dem er nun leben musste. Auf das, was ihm zu dem machte, was er war – nämlich sein Verstand und seine Persönlichkeit – war es ihm dafür umso mehr angekommen. Wenn er in den Spiegel gesehen hatte, sah er immer nur sich selbst und nicht seinen Körper.
Sein Körper war für ihn nie etwas gewesen, auf das er hätte stolz sein können oder das große Fürsorge verdient hätte. Wenn man so wie er sein halbes Leben auf Ausgrabungen und in Universitäten verbracht hatte, fand man einfach keine Zeit dafür. Das rücksichtslose Brüten über schlecht leserlichen Aufzeichnungen hatten ihm seine Augen mit einer Brille gedankt.
Er hatte auch nie Sport betrieben, um diesen Körper zu pflegen. Das war erst gekommen, als er begonnen hatte mit zwei Air Force-Militärs und einem Jaffa-Krieger zusammenzuarbeiten mit denen er irgendwie mithalten musste, wenn sie da draußen Leuten begegnet waren, die was gegen sie hatten. Es war aber nie Selbstzweck gewesen.
Deshalb war der neue Körper für ihn mehr eine Erleichterung als eine Last. Er war immer noch er selbst. Er hatte seinen Körper nie ernsthaft in die Definition seiner Person mit einbezogen. Der Vorteil war, dass er nun frei war von den diversen Zwängen, die ihm sein Körper auferlegt hatte.
Auch die Tatsache, dass er hier vorerst nicht weg konnte, störte ihn nicht. Er war überzeugt davon, dass Sam diesen Zustand eines Tages beenden würde und bis dahin war er reichlich beschäftigt.
In einem einzigen Jahr in SG-1 hatte er mehr gesehen, als in seinem ganzen Leben zuvor. Selbst seine Zeit auf Abydos konnte das nicht aufwiegen. Er hatte die Überreste von Kulturen gefunden, die von der Erde gestammt hatten. Die Kenntnis dieser Zivilisationen hatte viele weiße Flecken in der Geschichtsschreibung der Erde aufgedeckt.
Aber noch viel interessanter als die vergangenen Zivilisationen waren die noch existenten gewesen. Manche hatten sich weiterentwickelt, hatten gar die Menschen von der Erde in ihrer Entwicklung überholt. Andere dagegen lebten immer noch wie sie es auf der Erde schon teils vor tausenden von Jahren getan hatten. Es war unglaublich faszinierend das mit eigenen Augen sehen zu können.
Doch so beeindruckend alles war, so sehr hatte er es jedes Mal bedauert wieder fortgehen zu müssen. Nie hatte er eine Kultur oder ihre Überreste so studieren können, wie sie es verdient hätten. Natürlich hatte er seine Zeit im Stargate Center verbracht seine gesammelten Unterlagen auszuwerten, aber dies war immer nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen. Sein einziger Trost war immer die nächste Zivilisation oder das nächste Abenteuer gewesen, das auf sie wartete.
Hier hatte er im Archiv der Station nun endlich einmal die Möglichkeit die Kulturen eines Planeten zu erforschen. Früher wäre er nicht einmal in der Lage gewesen das Archiv überhaupt zu sichten. Jetzt bot sich ihm die einmalige Möglichkeit, es bis ins Detail zu studieren. Es war gewiss der größte Schatz, den Altair zu bieten hatte und er hatte das Glück gehabt ihn zu finden.

Seit Jack der Air Force beigetreten war, hatte er fast sein ganzes folgendes Leben zwei Kennmarken um den Hals getragen. Er hatte sich so daran gewöhnt, dass er sie schon gar nicht mehr gespürt hatte. Die Marken waren zusammen mit seiner Identität verschwunden. Erst jetzt wo sie fehlten, wurde er sich ihrer wieder bewusst.
Deswegen stellte sich Jack aus einer dünnen Metallplatte ein einzelnes kleines Schildchen her, das er von nun an einem Kabel um den Hals trug. Jonathan O’Neill hatte er mit einem Hammer und einer Schraube hineingeschlagen. Keine Personalnummer, keine U.S. Air Force, kein Rang. Sein Name war alles, was ihm von seiner Identität geblieben war.
Aber selbst bei seinem Namen war es zweifelhaft, ob er ihn überhaupt tragen durfte...

Natürlich hätte er es nie gewagt, seine neuen Freunde einem Risiko auszusetzen. Natürlich hätte er sie nie dupliziert, wenn er nicht gewusst hätte, dass es sicher war. Trotzdem war es eine Erleichterung für Harlan gewesen, als er seine Freunde zum ersten Mal bei Bewusstsein gesehen hatte.
Ähnlich war es auch bei ihren organischen Vorlagen gewesen. Es war faszinierend gewesen zuzusehen, wie sie wieder zu Bewusstsein kamen. Auch für sie war der Vorgang sicher, doch es war das erste Mal gewesen, dass organische Vorlagen auch tatsächlich das Bewusstsein zurück erlangt hatten.
Früher hatte die Schaffung eines neuen Körpers noch fast immer den Tod des Originals bedeutet. Das Auslesen der neuronalen Strukturen hatte damals das Gehirn beschädigt. Da nach erfolgreichem Kopieren kein Bedarf mehr am organischen Vorbild bestand, hätte das früher niemanden großartig gestört – wenn sich nicht auch manchmal Fehler in die synthetischen Gehirne eingeschlichen hätten, mit denen die neuen Körper nicht richtig funktionieren konnten. So war es vorgekommen, dass der alte Körper starb, bevor sie eine funktionierende Kopie erstellt hatten. Für Secara, Bareeth und Tira hatte das den Tod bedeutet. Nur diese drei hatte Harlan genauer gekannt, aber es hatte noch mehr Opfer gegeben. Viel zu viele.
Alle hatten sie damals Hubald geraten sein eigenes Kopieren so lange wie möglich aufzuschieben. Sein Wissen war zu wertvoll gewesen. Sie hatten es erst riskieren wollen, wenn es nicht mehr anders ging. Doch Hubald hatte nicht auf sie gehört und sich wie die anderen auch dem Prozess unterworfen, den er entwickelt hatte. Er hatte es nicht überlebt. Viele seiner Geheimnisse waren verloren gegangen.
Nur kurze Zeit später war es dann Wallace gelungen den Scanner, der die Daten zum Kopieren des Hirns lieferte, durch eine kleine Änderung zu verbessern. Danach war es so gut wie nicht mehr vorgekommen, dass jemand bei dem Prozess starb. Ein erfreulicher Nebeneffekt war es gewesen, dass auch ihre Originale unbeschadet daraus hervorgingen.
Wallace hatte immer geglaubt, dass Hubald kurz vor seinem Ableben auch auf die Idee mit dem Scanner gekommen sein musste, die nötigen Änderungen jedoch nicht hatte vornehmen wollen, bevor er sich selber dem Risiko ausgesetzt hatte, das er ihnen bisher zugemutet hatte.
Es war eine große Erleichterung gewesen, dass sich niemand mehr vor dem Duplizieren hatte fürchten müssen. Doch durch diesen Vorteil hatten sie ein Problem bekommen, dass sie vorher nicht gehabt hatten: Was sollten sie jetzt mit ihren Originalen anfangen? Sie konnten sie nicht hier behalten – der Sinn der ganzen Aktion war ja schließlich die Tatsache gewesen, dass sie in der Station nicht auf Dauer leben konnten. Andererseits hatte es niemand über sich gebracht, sie zu wecken und zurück an die Oberfläche zu schicken.
Vorläufig waren sie diesem Problem aus dem Weg gegangen, indem sie sie einfach im Zustand der reduzierten Körperfunktion gelassen hatten, in den sie für den Kopiervorgang versetzt worden waren.
Dann waren auf der Oberfläche die ersten Bomben gefallen und hatten ihre vernichtende Kraft entfaltet. Sie hatten gewusst, dass es soweit kommen würde. Irgendwie hatte es jeder gewusst. Doch dieses Wissen hatte nichts daran geändert, dass es geschah.
Der Reihe nach waren die Datenströme von jeder Stadt, zu der sie Verbindung hatten, abgebrochen. Während sie in den Tiefen der Station sicher waren, hatten sich diese Wahnsinnigen an der Oberfläche gegenseitig ausgelöscht.
Nachdem es vorbei war, hatte sich eine ganze Weile bei ihnen das Gerücht von einem großen unterirdischen Komplex irgendwo auf dem Südkontinent gehalten. Man hatte gemunkelt, dass dort ganze Familien Unterkunft gefunden hätten und das es dort unterirdische Gärten mit künstlichem Sonnenlicht gab. Doch wenn dort oder in irgendeinem unzerstörten Bunker jemand überlebt hätte, dann hätten sie früher oder später irgendwie mit ihm in Kontakt kommen müssen. Seit dem Tag der Vernichtung jedoch kam aus dem Empfänger des Subraum-Radios nur das entnervende Rauschen der Statik.
Von einem Tag auf den anderen plötzlich zu den letzten Überlebenden eines ganzen Planten zu gehören, war ein gewaltiger Schock für sie alle gewesen. Einige hatten sich nie davon erholt und waren einfach zusammengebrochen. So ziemlich jeder hatte sich einmal gefragt, warum ausgerechnet sie verschont geblieben waren. Sie waren nicht besser als alle anderen Altairaner. Warum also sie?
Harlan hatte sich gesagt, dass er nicht aufgeben durfte. Verdient oder nicht, sie trugen jetzt die Verantwortung dafür, dass die Kultur von Altair erhalten blieb – allen Widrigkeiten zum Trotz. Woher er die Kraft genommen hatte, diesen Gedanken die ganze Zeit über aufrecht zu halten und letztlich in dieser neuen Welt zu leben, wusste er bis heute nicht.
Während all dieser Aufregung hatte niemand mehr an ihre organischen Vorlagen gedacht. Trotz all der Aufregung war es war schon komisch, dass keiner auf den Gedanken gekommen war, dass auch Menschen, deren Körperfunktionen zuletzt sogar bis auf das absolute Minimum reduziert worden waren, Nahrung benötigten. Als sie nach langer Zeit wieder nach ihnen gesehen hatten, waren sie alle verhungert gewesen.
Was für ein Unglück...

Das regelmäßige Schwingen des Pendels hatte etwas beruhigendes, selbst wenn man nicht meditierte. Das Pendel folgte seiner Bahn. Auf und ab und wieder auf. Es bewegte sich mit der einmal aufgebrachten Energie, ohne noch weitere zu benötigen. Wenn es keine Reibung gegeben hätte, würde das ewig so weitergehen. Doch immer wurde der Ausschlag irgendwann dann doch kleiner und kleiner.
Die Zeiten des großen Kriegers von Chulak, der selbstlos für die Freiheit seines Volkes kämpfte, waren vorbei. Der Andere hatte seinen Platz eingenommen – oder hatte er selber ihn verlassen?
In dem knappen Jahr, das bis zu seiner Ankunft auf Altair seit seiner Abkehr von Apophis vergangen war, hatte er an seiner damaligen Entscheidung kein einziges Mal gezweifelt. Dennoch war der Schmerz da gewesen, dass er seine Familie hatte zurücklassen müssen und so ihrem Schicksaal überlassen hatte. Oft hatte er sich gewünscht, sein Volk wäre bereits von den falschen Göttern befreit und er hätte wieder mit seiner Familie zusammen leben können.
Es hätte etwas positives sein können das es nun jemanden gab, der für all seine Verpflichtungen gegenüber sich und der Welt einstand, wenn er dadurch die Freiheit erhalten hätte, sich mehr um seine Familie zu kümmern. Er hätte sie von Chulak zu holen und sich mit ihnen auf einer anderen Welt niederlassen können. Doch da war nichts positives, denn er konnte nicht weg. Sollte sich dies eines Tages ändern, dann hätte er vielleicht sogar schon Rya’c überlebt...
Gerade der Schmerz über den Verlust seiner Familie, der Schmerz über das, was er als Primus von Apophis hatte tun müssen, um weiter auf ihn einwirken zu können, war der Grund dafür gewesen, dass er noch so vieles hatte tun wollen – tun müssen um all das zu kompensieren.
Deswegen hatte er den Tau’ri die Treue geschworen. Mit ihnen zusammen hatte er etwas bewirken können. An der Seite der Leute, die später seine besten Freunde wurden, hatte er die Menschen in ihren Reisen durch das Sternentor unterstützen können. Er hatte das Universum erforscht und viele seiner Wunder kennen gelernt.
Dabei hatte er immer versucht seinem Ideal von Gerechtigkeit zu entsprechen. Wenn die Menschen der Welten, die sie besuchten, Hilfe benötigten, bekamen sie diese. Er war sogar bereit gewesen bis ans äußerste zu gehen und sich damals von dem Jungen auf Karthago zum Tode verurteilen zu lassen, weil er dessen Vater erschossen hatte – als symbolische Vergeltung für alle seine Taten.
Und bei alledem hatte er immer seinen Traum von einer Zeit vor Augen gehabt, in der die Goa’uld besiegt waren und die Jaffa frei von dem Glauben, dass diese Götter seien.
Das alles hatte hier an Bedeutung verloren und er konnte nichts weiter tun als dies zu akzeptieren. Er war immer bereit gewesen für eine Sache zu kämpfen, wenn auch nur der Hauch einer Chance des Erfolgs bestanden hatte. Nichts hatte ihn in einem solchen Fall davon abhalten können all seine Kraft und Willensstärke dort hinein zu investieren.
Dinge, auf die er jedoch absolut keinen Einfluss hatte, versuchte er erst gar nicht zu ändern. So etwas wäre närrisch gewesen. Energieverschwendung. Genauso närrisch, wie der Versuch verhindern zu wollen, dass die Sonne aufging. Die Tatsache, ob sie diese Welt verlassen konnten lag nicht in seiner Hand, höchstens in der von Captain Carter. Daher versuchte er sich damit nicht allzu sehr zu beschäftigen.
Doch seine Akzeptanz änderte nichts daran, dass er sich ein wenig schuldig fühlte. Schuldig, weil er nicht das tun konnte, zu was er sich verpflichtet fühlte. Natürlich hatte er dafür eine gute Entschuldigung. Er konnte seine Situation nicht ändern und es gab einen anderen, der all das für ihn tat, wozu er nicht mehr die Möglichkeit hatte. Doch im Moment ging es ihm nicht um das, was er tun konnte oder tun wollte, sondern um das, was er wirklich tat. Und das war im Moment nicht viel.
Um daran etwas zu ändern, hatte er nach anfänglichem Zögern seine Zeit genutzt und begonnen Harlan bei der Reparatur der Station zu helfen. So konnte er auch hier produktiv wirken. Das änderte nur wenig an seinen Gefühlen, aber so bekam es wenigstens einen Sinn, dass er hier war. Nutzlos zu sein, hätte er nicht verkraftet.
Eine ausführliche Reparatur war längst überfällig gewesen, denn Harlan allein war mit der Instandhaltung dieser riesigen Anlage völlig überfordert. Im Gegensatz zu Daniel Jackson, der nur unregelmäßig half und O’Neill, der das nur in akuten Notfällen tat, stand er Harlan regelmäßig zur Seite. Natürlich war „regelmäßig“ hier kein klar definierter Begriff, denn es gab hier auch keine Zeit im normalen Sinne.
Harlan hatte ihn anfangs zwar wie die anderen auch als neuen Freund angesehen, aber war dennoch ein wenig zurückhaltend ihm gegenüber gewesen. Teal’c war schließlich „anders“. Die Jaffa stammten zwar von den Menschen ab, waren aber doch keine. Aber inzwischen schien der kleine Mann seine Meinung geändert zu haben und es mit der Freundschaft ernst zu meinen. Auch Teal’c begann ihn zu achten. Ganz anders als O’Neill, der ihn lediglich duldete, entwickelte Teal’c einen gewissen Respekt für den letzten Überlebenden dieser Welt.
Natürlich hoffte er, dass Captain Carter einen Weg hier raus finden würde, aber er zählte nicht darauf. In seinem Inneren versuchte er sich darauf einzustellen, sich sein ganzes restliches Leben entgegen seiner Überzeugungen nichts anderes würde tun können, als sich mit der Station auseinander zu setzten.

Sie hatten in einem der Räume in Sektion 1 eine Art Gesellschaftsraum eingerichtet. Seine ganze Einrichtung bestand aus einem rechteckigen Tisch, der natürlich aus Metall war. Rund herum standen fünf Stühle mit abgewetzten Polstern. Der fünfte Stuhl für Harlan war erst vor kurzem dazugekommen.
Manchmal trafen sie sich hier und redeten. Nur Sam ließ sich in letzter Zeit nicht blicken. Der Raum war nicht sonderlich gemütlich, aber er war besser als der schreckliche Raum mit den Liegen nahe dem Labor, in dem sie damals erwacht waren und den sie anfangs als Treffpunkt benutzt hatten.
Sie redeten hier über dies und das. Über Dinge, die für sie jetzt Alltag waren. Das einzige Thema, das in dieser Runde jedoch tabu war, war ihr altes Leben. Sie wollten keine Erinnerungen wecken. Nicht hier, nicht in der Gruppe. Wenn sie schon darüber reden mussten, dann taten sie es unter vier Augen. Und genau das war es, was Daniel vorhatte.
Mit dem Rücken zur Tür saß Jack tief über den Tisch gebeugt. Mit möglichst großer Selbstverständlichkeit zog sich Daniel einen der Stühle heran und setzte sich neben ihn. „Hi, Jack. Wie geht’s?“
„Oh, es hat nur jemand mein Leben gestohlen. Nach solchen Kleinigkeiten geht es mir immer wunderbar. Und wie geht’s ihnen?“ Sein Sarkasmus-Level lag heute wohl besonders hoch. Daniel hatte damit gerechnet und schwieg erstmal.
Vor Jack lag eine hässliche, graue Kunststofffolie, die er gerade versuchte in möglichst kleine Stückchen zu zerfleddern. Daniel glaubte Jack inzwischen recht gut zu kennen und musste zugeben, das er inzwischen zu seinem Freund geworden war. Zugeben deswegen, weil sie nach außen hin wohl kaum zusammenpassten. Aber Gegensätze ziehen sich an...
Jack konnte manchmal ziemlich beleidigend sein, aber Daniel wusste, wie er solche Bemerkungen verstehen musste. Er hätte sich Sorgen gemacht, wenn sie eines Tages aufhörten. Jack hatte eine raue Schale – eine Schale mit nichts drin, wie er gescherzt hätte – aber Daniel glaubte, dass an der Sache mit dem weichen Kern durchaus etwas dran war.
„Erinnern sie sich noch an unsere ersten Wochen als SG-1?“ fragte Daniel dann. Jack knurrte nur und produzierte noch mehr Fetzen. „Immer, wenn wir auf der anderen Seite des Tores ankamen, musste ich niesen.“ Er grinste. „Das hat sie immer ziemlich auf die Palme gebracht.“
Doch Jack schwieg. Auch gut, er hatte mit nichts anderem gerechnet. „Als das Stargateprogramm wieder aufgenommen wurde, haben sie mir ne Packung Papiertaschentücher nach Abydos geschickt.“ Er beobachtete O’Neill und wartete auf eine Reaktion. „Ich hab sie ihnen leer zurückgeschickt und Danke. Schickt mehr. drauf geschrieben...“
Und tatsächlich: Jack lächelte versonnen. „Dann wusste ich, dass sie uns auf der anderen Seite erwarten würden und nicht irgendwelche Aliens.“
Genau auf eine solche Äußerung hatte Daniel gewartet. „Ja genau. Sie haben das gewusst.“
Jetzt war es an Daniel zu schweigen und die Worte einwirken zu lassen.
Er sah, dass Jack etwas erwidern wollte, aber dann doch schwieg. Das war gut, denn es bedeutete, dass er nachdachte. Nicht irgendein anderer hatte das damals getan, sondern er selber. Die gleiche Person, die jetzt vor ihm saß und eine Plastikfolie zerriss.
Daniel glaubte, dass jedes weitere Wort ein Wort zuviel gewesen wäre. Er hatte Jack nun eine Richtung gezeigt. Welchen Weg er dort aber beschreiten würde, wusste er nicht. Vorerst konnte er nur hoffen, dass er sich nun ein Weltbild zusammenbauen würde, in dem er selbst einen besseren Platz einnahm als vorher.
Vorsichtig, um Jacks Gedanken nicht zu stören, erhob er sich. Jack hatte von der Folie abgelassen und die Fetzen ein Stückchen von sich fort geschoben. Leise verließ Daniel den Raum.

Wenn Jack allein sein wollte, zog er sich immer in seinen Raum zurück, legte sich auf sein Bett und starrte an die Decke.
Carter hätte das bestimmt „Faulenzen“ genannt, was in einer anderen Umgebung durchaus gepasst hätte, aber schließlich war Faulenzen etwas angenehmes – was man von den Gedanken, die ihm hier durch den Kopf gingen, nicht gerade behaupten konnte.
Das Reisen zu anderen Welten war für ihn nicht einfach nur ein Job gewesen. Ganz zu Anfang vielleicht, als die Air Force ihn gegen seinen Willen wieder in den aktiven Dienst geholt hatte. Aber damals hatte er ja auch noch nicht gewusst, was ihn erwartete. Später war er dankbar dafür gewesen.
Was er bei den Reise empfunden hatte, war zwar nicht die manchmal fast kindliche Begeisterung von Daniel oder Carter über die Entdeckungen, die sie im Universum machten – eine Ruine war für Jack eine Ruine, ganz egal, wo sie stand – aber erst recht nicht die stoische Abgebrühtheit von Teal’c.
Der Gedanke, dass er vielleicht der erste Mensch von der Erde war, der seit Jahrtausenden all diese neuen Welten betrat, war für Jack immer wieder ein erhebendes Gefühl gewesen. Und er brauchte dieses Gefühl. Wie Daniel sagte: das Stargate war wahrscheinlich die größte Entdeckung der Menschheit – und er hatte dazu beigetragen sie zu nutzen.
Von diesem Standpunkt aus war er am Ziel seiner Karriere angekommen. Vielleicht wäre Hammond ein paar Jahre vor ihm in den Ruhestand gegangen und hätte ihn gebeten, das SGC zu übernehmen. Wenn er ehrlich war, hatte er das nie gewollt. Er wollte keinen Bürojob. Und erst recht wollte er sich nicht mit Typen rumärgern müssen, die das Stargate nur aus Berichten kannten und dann auch noch glaubten, sie würden das Universum kennen.
Nein, er wollte raus. Dorthin gehen, wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen war , wie es im Fernsehen so schön hieß. Und nebenbei die Galaxis retten. Nach Charlies Tod war das war zu seinem Lebensinhalt geworden.
Gut, auch er war nicht jünger geworden. Ebenfalls eine Tatsache, die jetzt vorbei war. Wenn er irgendwann nicht mehr in der Lage gewesen wäre auf Missionen zu gehen, dann hätte er in Frieden seinen Abschied genommen und dieses Lebensabschnitt beendet. Freiwillig. Ganz im Gegensatz dazu, dass er jetzt dazu gezwungen wurde.
Er hatte da so eine kleine Hütte in Minnesota. Im Umkreis von mehreren Meilen wäre er dort der einzige Mensch gewesen. Er hätte das Universum, Universum sein lassen können und sein größtes Problem wäre es gewesen, ob er sich nun einen Hund kaufen sollte oder nicht.
Er war sich nicht sicher, ob er auf diese Weise glücklich geworden wäre – vielleicht hätte er sich auch zu Tode gelangweilt. Jetzt würde er nie die Gelegenheit bekommen es rauszufinden.
Ob er wollte oder nicht, dies war jetzt sein Leben und das deprimierte ihn. Dieses Erdloch mit dem verrückten Harlan, an dem Carter bestimmt ein paar lockere Schrauben gefunden hätte, wenn er sie an sich ran gelassen hätte...
Aber in einer Hinsicht hatte Daniel recht gehabt: Der Andere hatte ihm sein Leben nehmen können. Das Leben, das er geführt hatte und das Leben, das er vorgehabt hatte zu führen. Aber er konnte ihm nicht seine Vergangenheit nehmen!
Zwar hatte sein Körper all die Dinge nicht erlebt, so dass Jack lange den Standpunkt vertreten hatte, dass alle Erinnerungen nichts weiter als wertlose Illusionen waren. Nur waren die Erinnerungen in seinem Kopf genauso real wie im Kopf des Anderen und nur das zählte. Seine Vergangenheit hatte ihn zu dem gemacht, was er war. Jack war Daniel dankbar dafür, dass er ihm das vor Augen geführt hatte.
Vielleicht hatte es einen kurzen Moment gegeben, in dem es zwei Jack O’Neills im Universum gegeben hatte. Doch schon im Moment, in dem er die Augen geöffnet hatte, waren sie zwei unterschiedliche Personen geworden. Sie würden sich unabhängig voneinander entwickeln, so wie eineiige Zwillinge schließlich auch nicht identisch waren. Er war immer noch ein Individuum, das war ihm jetzt klar.


* * *


Sam Carter hatte keinen Schimmer wie viel Zeit vergangen war. Es musste lange her sein, seit sie das letzte Mal das Labor verlassen hatte, wie lange, wusste sie jedoch nicht.
Sie hatte damals gesagt, dass sie Jahre brauchen würde und es konnten durchaus ein paar Jahre vergangen sein – Wissen tat sie das aber nicht, vielleicht kam es ihr auch nur so lange vor. Das Zeitgefühl war das erste gewesen, was sie hier unten verloren hatte. Das Fehlen von Tag und Nacht oder wenigstens von Schlafen und Wachen hatte ihre innere Uhr lahm gelegt. Man merkte es normalerweise nicht, wie sehr der Körper auf den normalen Tagesrhythmus eingestellt war. Das seltsame war, dass es in dieser Station nicht eine einzige Uhr zu gab. Auch die Computer schienen über keine interne Uhr zu verfügen, zumindest über keine die man irgendwie abrufen konnte.
Anfangs hatte sie immer wieder Pausen bei ihrer Arbeit eingelegt. Das war äußerst ungewöhnlich für sie gewesen. Wenn sie sich erst einmal in etwas verbissen hatte, war es früher vorgekommen, dass sie bevor sie das Angefangene nicht vollendet hatte, weder schlafen noch essen wollte, obwohl sie das damals noch gemusst hatte. Irgendwann war sie dann vom Knurren ihres Magens geweckt worden und hatte festgestellt, dass sie auf ihrem Schreibtisch eingeschlafen war. Freiwillig hatte sie in solchen Fällen jedoch selten eine Pause gemacht, höchstens wenn ihr Körper sich eine erzwang.
Immer wieder hatte sie hier jedoch das Labor verlassen und hatte sich wie die anderen umgesehen. Erst mit der Zeit war dieser Zwang vergangen. Erst kürzlich war ihr eingefallen, dass es wohl ihre innere Uhr gewesen war, die einfach nicht hatte glauben können, dass sie überhaupt keine Pause brauchte. Als sie dann ihr Zeitgefühl verloren hatte, war auch das Bedürfnis nach Pausen geschwunden.
Aber es war nicht nur, dass sie nicht schlafen und essen musste. Auch ihr Geist brauchte keine Erholung. Die Dinge, die ihr Gehirn früher während des Schlafs geregelt hatte, regelte ihr synthetisches Hirn nun nebenher – und sogar noch mehr. Ihre Gedanken waren wie ein gleichmäßiger, unerschöpflicher Strom, der zudem noch viel klarer zu sein schien. Nicht das sie intelligenter geworden wäre, das Denken viel ihr lediglich leichter und ging vielleicht auch etwas schneller. Es war fast, wie wenn man eine veraltete Software auf einem neuen Computer laufen ließ – es war die gleiche Software, aber sie funktionierte besser.
Vielleicht hatte Daniel wirklich Recht, wenn er sagte, dass sie nur eine Maschine gegen eine andere getauscht hatten. Wenn das so war und Daniel sich das nicht bloß einzureden versuchte, dann war es vielleicht wirklich besser, denn sie zog aus dem neuen Körper durchaus ihren Gewinn.
Gefallen tat ihr dies aber dennoch nicht. Man konnte objektiv etwas betrachten wie man wollte, was brachte es einem, wenn es sich nicht einfach gut anfühlte?
Sie hatte hart gearbeitet und viel dabei gelernt. Sie kannte ihre Körper jetzt genau, wusste wie sie aufgebaut waren, wie sie funktionierten und wie sie ihre Energie bezogen. Sie hatte sogar schon Vorstellungen darüber, was für Teile sie später einmal entfernen oder verkleinern konnte, um Platz für eine autonome Energiequelle zu schaffen, die sie in ihren Körpern tragen konnten.
Doch dies war das Problem. Sie hatte keine Ahnung, wie diese Energiequelle aussehen sollte. Sie hatte alle Energieerzeugungsmethoden von Altair studiert und dabei gehofft, sie könne auf dem Wissen der Altairaner aufbauen und mit ein wenig von ihrem Wissen so verbessern, dass es möglich würde ein für sie passendes Aggregat zu entwerfen.
Die Station selber bezog ihre Energie aus der Wärme des Planeten – kein Prinzip, dass sie sich zu nutze machen konnten. Vor ihrer Vernichtung hatten die Altairaner die kontrollierte Kernfusion entwickelt – doch schien es unmöglich einen Reaktor zu bauen, der klein genug für sie war. Und mit normalen chemischen Batterien hätten sie keine Minute überstanden.
Die Naquada-Technologie hatte sie für einen sehr guten Ansatz gehalten. Tatsächlich lagerten in der Station einige Tonnen dieses seltsamen Materials, aber offenbar hatten die Altairaner damals selber nicht gewusst, was sie damit anfangen sollten.
Sie hatte viel Zeit mit dem Versuch verbracht einen Naquada-Reaktor zu bauen. Sie hatte versucht, hinter die Theorie zu kommen, war aber bereits daran gescheitert. Sie hatte sogar einfach drauf los einen Reaktor entworfen, dabei die Details verwendet, die sie bereits kannte und gehofft, dass sie irgendwann verstehen würde, was sie da tat. Aber die große Erleuchtung war ihr dabei nicht gekommen.
Sam hatte also doch eine Pause gemacht. Eine Zwangspause, denn sie fühlte sich völlig ausgetrocknet. Es gab nichts, was sie nicht schon probiert hätte. Sie wanderte durch die Station ohne darauf zu achten, wohin. Sie lief und lief, bis sie jemanden traf. Nicht, dass sie das beabsichtigt hätte, es war die bloße Wahrscheinlichkeit gewesen, die sie irgendwann mit O’Neill zusammentreffen ließ.
Sie musste sehr lange weg gewesen sein. Der Colonel stand ein halbes Stockwerk über ihr und sein Kopf steckte tatsächlich in einem aufgeschraubten Schott, wo er einen Energieverteiler reparierte. Als sie angekommen waren, hatte er nur äußerst widerwillig geholfen die Station sogar bei einem Notfall zu retten und nun reparierte er schon freiwillig.
„Carter, lange nicht gesehen. Wie läuft die Arbeit?“ rief er zu ihr runter als er sie sah. Er drehte an einem quietschenden Handrad und beendete die Reparatur.
„Es könnte besser sein.“ Sie kletterte die leicht schräg stehende und gelb angeleuchtete Leiter nach oben, während er ein Werkzeug nach dem anderen zurück in den Werkzeugkasten warf.
Sam berichtete ihm wie es um sie stand. Er lehnte an der Wand und hörte ihr aufmerksam zu. Zu ihrer Verwunderung nahm sein Interesse auch nicht ab, als es etwas technischer wurde. „Um ehrlich zu sein, Sir. Ich weiß nicht mehr weiter“, schloss sie.
„Ich möchte nicht behaupten, dass ich alles, was sie gerade erzählt haben, verstanden habe, Captain“, gab er zu. „Aber eines weiß ich ganz genau: Sie haben mehr auf dem Kasten, als wir alle hier zusammen. Und wenn es irgendjemanden gibt, der es schaffen kann uns hier raus zu bringen, dann sind sie das.“ Sam fiel bei diesen Worten aus allen Wolken, aber ihm war es dabei völlig ernst.
„Nehmen sie sich Zeit“, versuchte er sie zu ermutigen. „Betrachten sie es vielleicht mal aus einem anderen Blickwinkel.“
Sie hatte gedacht, Colonel O’Neill inzwischen recht gut zu kennen. Er nahm nie ein Blatt vor den Mund – außer vielleicht, was Komplimente anging. Um ehrlich zu sein war sie darüber in letzter Zeit sogar recht froh gewesen. Von Daniel wusste sie, dass er viel von ihr hielt, jedoch hatte er ihr das noch nie selber gesagt. Das er dies jetzt änderte zeigte wohl, wie ernst es ihm damit war und wie groß sein Interesse, dass sie Erfolg haben würde. Wenn man zudem bedachte, wie lange es gebraucht hatte, bis sie erfahren hatte, dass er geschieden und sein Sohn tot war, passte das irgendwie ins Bild.
Sam wusste nicht, was sie darauf erwidern konnte. Sie teilte zwar nicht seinen Optimismus, konnte ihm diesen aber schlecht nehmen. Aber O’Neill erwartete scheinbar gar nicht, dass sie etwas sagte. Er hob die massive Abdeckplatte vom Boden auf und verschloss mit ihr die Wartungsöffnung, an der er gearbeitet hatte. „Die Einrichtung hier ist ziemlich übel“, bemerkte er im Plauderton, als ob das Gespräch gerade eben nicht statt gefunden hätte. „Da könnte man doch bestimmt was tun. Farbe an die Wände, Fenster und ein paar neue Vorhänge...“
Sie lächelte, dankbar für seinen Versuch sie mit einem unverfänglichen Thema ihre Lage erst einmal vergessen zu lassen. Es war gut, dass ihr mal wieder jemand zeigte, dass es auf der Welt auch noch andere Probleme als die ihren gab.
„Was ist?“ fragte er.
Ihr Gesicht wurde wieder ernst. „Nichts, Sir. Es ist nur – das haben sie damals in der Antarktis auch gesagt...“
„Die Antarktis war gegen das hier aber ne Luxusvilla. Da hatten wir auch nen tiefgefrorenen Schlangenwächter. So was gibt’s hier alles nicht“, sagte er ohne zu zögern. „Oder finden sie es hier etwa so heimelig wie Teal’c?“
„Was hat er denn gesagt?“
„Er sagte, es sei zweckmäßig... bin ich froh, dass er nicht mein Innenausstatter ist.“
Sam grinste in sich hinein. Der Colonel verstand es Leute von der Arbeit abzuhalten, wenn er wollte. Doch nach dem Stress der letzten Zeit war dies genau das, was sie jetzt brauchte. Da sie und der Colonel der Umstände wegen sich lange nicht mehr unterhalten hatten, gab es nun zum Glück genügend Gesprächsstoff, der sie hoffentlich für eine Weile ablenken würde.


* * *


Wenn man davon ausging, dass ein Ereignis unendlich viel Zeit hatte, um stattzufinden, so konnte dieses so unwahrscheinlich sein, wie es wollte – solange es nicht völlig unmöglich war, würde es irgendwann stattfinden. Dies sagte zumindest die Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Doch, wie Sam die leidige Erfahrung machen musste, galt dies nur äußerst theoretisch. Es galt vielleicht für Zahlenkombinationen oder das Verhalten von Elementarteilchen, aber nicht für sie. Sie hätte noch so viel Zeit haben können – wenn sie nicht die nötigen Mittel in die Hand bekam um das Problem zu lösen, so würde das Ereignis der Problemlösung auch nach unendlicher Zeit nicht eintreten.
Das Mittel, das sie brauchte, war schlichtweg Wissen über die Naquada-Technologie. Sie hatte bereits Naquadareaktoren von der Größe eines Hühnereis gesehen. Es war möglich. Dabei stellte auch die geringe Größe, die sie benötigten, keine Unmöglichkeit dar. Sie musste nur in Erfahrung bringen wie man es anstellte.
Doch der Colonel hatte Recht gehabt, als er ihr riet, die Dinge mal etwas anders zu betrachten. Wer sagte denn schließlich, dass sie die Lösung alleine finden musste? Es mochte zwar keine gute Idee sein, aber sie hatte einmal jemanden gekannt, der inzwischen von der Thematik Ahnung haben müsste...

„Sind sie sich im klaren darüber, was sie da vorschlagen?“ O’Neill starrte sie an, als würde gerade eine Goa’uld-Larve über ihren Kopf kriechen. „Die haben uns doch noch nie vertraut. Für die sind wir doch nichts weiter, als ein Haufen Alien-Roboter, die jeden Augenblick irgendeine Teufelei aushecken können!“
Sam sah ruhig ihn über den Tisch hinweg an. Sie hatte damit gerechnet, dass er so reagieren würde. Sein Groll auf die Anderen war immer noch ausgeprägt. Irgendeiner musste schließlich an ihrer Situation schuld tragen. Und das waren nun mal ihre Gegenstücke, die sie hier einfach zurückgelassen hatten. Sam konnte die Reaktion des Colonels nicht nur nachvollziehen – es ging ihr ähnlich. Wäre sie nicht zu der Ansicht gekommen, dass sie keine Alternativen hatten, hätte sie den Gedanken gleich wieder verworfen.
Aber es war nun einmal so, dass sie unmöglich aufgrund einiger weniger Anhaltspunkte oder Ideen eine völlig neue Energiequelle bauen konnte. Das Wissen, das sie in dieser Richtung angesammelt hatte, reichte dafür bei weitem nicht aus. Sie brauchte etwas, das ihr irgendwie weiter half. Ein funktionierendes Gerät oder einen Plan für ein solches. Und wie sie die Andere einschätzte, musste Sie beides inzwischen haben.
Sie war nie auf einen Planeten beschränkt gewesen und hatte genügend Zeit gehabt, Sich das notwendige Wissen zu verschaffen. Die Neugier, die sie beide in sich trugen, dürfte Ihr keine andere Wahl gelassen haben. Daher war Sie der logische Ansprechpartner. Von Ihr würde sie das nötige Know-how bekommen. Zumindest sofern die Erde immer noch existieren sollte...
Sie hatten sich im Gesellschaftsraum getroffen, um die Lage zu besprechen. Bis auf Harlan waren sie seit langer Zeit mal wieder vollständig versammelt. Sam erinnerte das fast ein wenig an die Missionsbriefings auf der Erde, in denen sie sich vor und nach jeder Mission getroffen hatten, um die Lage zu besprechen.
Aber dies war nicht Erde. Dies war nicht der Konferenzraum mit seinem mächtigen Tisch und dem großen, dick gepanzerten Panoramafester zum Torraum hin. Es war ein dunkler und trotz all ihrer Bemühungen ungemütlicher Raum in den trotz seines Spitznamens Gesellschaftsraum nie irgendeine Form menschlicher Wärme gedrungen war. Auch Hammond war nicht hier und der Colonel saß ihr nicht gegenüber, sondern stand auf der anderen Seite des Raumes. Er hatte sich nicht setzen wollen.
„Es ist die einzige Chance, die wir haben“, versetzte Sam. Es klang fast wie eine Beschwörung.
„Schlechte Chance“, erwiderte er knapp. „Oder ist dies seit neuestem die feine Art mit seinen Freunden umzugehen: Sie auf einem Felsen wie diesem verrotten zu lassen. Ohne jegliche Unterstützung, ohne auch nur das geringste Interesse daran zeigen, was aus uns wird! Von so jemandem können wir keine Hilfe erwarten, Carter. Hat niemand ’ne bessere Idee?“
Teal’c ging einfach über O’Neills Gefühlsausbruch hinweg als er vorschlug „Wir könnten auf anderen Welten als der Erde nach hilfreichen Technologien suchen.“
Seine Eigenschaft die Dinge auf den Punkt zu bringen sorgte zusammen mit seiner zwar leisen, aber dennoch immer den ganzen Raum beherrschenden Stimme dafür, dass ihm jeder seine volle Aufmerksamkeit schenkte.
„Also!“ meinte O’Neill zufrieden. „Danke Teal’c.“ Es klang so, als gäbe es nichts, was selbstverständlicher als Teal’cs Vorschlag gewesen wäre.
„Da uns aber auf jeder Welt immer nur begrenzte Zeit zur Verfügung stehen wird, wäre eine Chance auf Erfolg nur sehr gering“, fügte Teal’c unbeeindruckt hinzu.

Der Colonel warf dem Jaffa einen entgeisterten Blick zu. Er hatte sicher nicht damit gerechnet, dass dieser sich gegen ihn stellen würde. Teal’c erwiderte den Blick ruhig. Verzeih mir, schien er damit ausdrücken zu wollen, aber ich bin fest von dem überzeugt, was ich sage.
„Bisher haben wir auch nur für die oberflächliche Erkundung der Umgebung des Sternentors mindestens einen halben Tag gebraucht“, hieb Sam in die gleiche Kerbe. „Unser Energievorrat reicht nur für drei, vier Stunden. Wenn wir aber echte Ergebnisse wollen, brauchen wir weitaus mehr Zeit.“
„Dann kommen wir zwischendurch eben zurück, laden uns wieder auf und schon sind wir wieder am Start. Wo liegt das Problem, Leute?“
„Sir, so wie ich das sehe sind unsere Energiespeicher nur als Reservesysteme gedacht. Für Notfälle oder als Puffer, wenn wir uns in die Randbereiche der Energiequelle begeben. Ein ständiges, exzessives Ent- und Aufladen wird sie nach kurzer Zeit unbrauchbar machen – und wir können sie nicht ersetzen“, dozierte sie und räumte so sein Argument aus.
Er verzog das Gesicht während sie sprach. Derartige Argumente von ihr mochte er nicht. Er konnte darauf nie etwas erwidern. Ein wenig tat es ihr leid, ihm derart widersprechen zu müssen. Er weigerte sich schließlich nur, weil er es für zu gefährlich hielt.
Aber Sam hatte sich freiwillig gemeldet. Sie würde wenn es sein musste, da ganz alleine rüber gehen. Sie wollte es sogar. Wenn sie das zu Ende bringen wollte, was sie angefangen und soviel Zeit und Mühe hinein investiert hatte, ging es gar nicht anders.
„Haben sie überhaupt schon mal darüber nachgedacht, wie sie dahin gelangen wollen?“ fragte O’Neill. „Ich habe kein GDO mehr, sie etwa? Wollen sie an der Iris in Energie oder was-auch-immer zerblasen werden? Das kann ich leider nicht zulassen.“
Natürlich hatte sie sich schon darüber Gedanken gemacht. „Ich hatte vor, die Erde vorher anzufunken und sie davon zu überzeugen, die Iris für mich zu öffnen“, legte sie mit einem kleinen, triumphierenden Lächeln dar.
„Und dann würde ich dem General raten, genau das nicht zu tun...“ knurrte O’Neill in Gedanken an sein anderes Ich. „Deshalb werden sie auch nicht gehen, Captain. Das ist ein Befehl“, sagte er verärgert. „Damit ist das Thema beendet. Was wir jetzt brauchen sind andere Ideen.“
Eine Weile kehrte Ruhe ein. Niemand wusste noch etwas zu sagen. Dann räusperte sich Daniel, der sich die ganze Zeit über rausgehalten hatte. Er war auch der einzige, der sich nicht an den Wunsch des Colonels, das Thema zu begraben, gebunden fühlte. „Wenn ich mich recht erinnere, Jack, dann waren sie doch derjenige, der es vom ersten Tag an als unser oberstes Ziel festgelegt hat, von hier fort zu kommen...“ erklärte er ruhig und in einem Tonfall, dass der Colonel es nicht als Kritik auffassen konnte.
„Da ich nicht glaube, dass wir eine Alternative haben, müssten wir uns also drauf einstellen für immer hier zu bleiben, wenn wir diese Chance nicht wahrnehmen. Auch ich will hier fort, ich denke, wir alle wollen das. Warum sollten wir Sam also nicht die Chance geben, das zu vollenden, was sie im Sinne von uns allen begonnen hat?“
Zufrieden mit seiner eigenen Argumentation und mit O’Neills Schweigen belohnt zeigte sich auf dem Gesicht des Archäologen ein kurzes Lächeln. Daniel hatte wie so oft vernünftig und diplomatisch seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht. Wäre er leidenschaftlicher an die Sache herangegangen hätte das nur zum Streit mit dem Colonel geführt.
Sam warf ihm einen dankbaren Blick dafür zu, dass er sich auf ihre Seite geschlagen hatte. Daniel antwortete mit einem freundlichen Nicken.
O’Neill schwieg lange. Obwohl er versuchte es zu verbergen, konnte sie sehen, wie er mit sich kämpfte. Sein Instinkt sagte ihm, dass es falsch wäre, sein Verstand sagte es ihm. Doch da waren die genannten Argumente, die er nicht einfach fortwischen konnte. Die energische Weigerung und das Berufen auf seine Befehlsgewalt war nur ein letztes Aufflackern gewesen. Er begann sich mit der Idee anzufreunden, ob er wollte oder nicht.
Als Commanding Officer hatte er immer gute Gründe für seine Entscheidungen, die er konsequent umzusetzen vermochte. Doch er wäre ein schlechter Befehlshaber gewesen, hätte er sich nie vom Gegenteil überzeugen lassen. Er konnte sehr wohl auch Entscheidungen treffen, die ihm persönlich zwar zuwider liefen, von denen er aber trotzdem wusste, dass sie richtig waren.
Er sah sie direkt an als er tonlos sagte: „Keiner von denen da drüben will etwas mit uns zu tun haben, Carter. Sind sie wirklich sicher, dass sie das tun wollen?“
„Ja, Sir“, antwortete sie fest und ohne noch einmal zu überlegen. Natürlich wusste sie, dass es nicht nur rein praktische Dinge waren, die in Erwägung gezogen werden mussten. Ihr war klar, dass es für sie dort bestimmt nicht leicht werden würde. Sie musste zugeben sich sogar ein wenig vor ihrer alten Heimat zu fürchten. Aber sie hatte von Anfang an keine Zweifel an ihrer Entscheidung bei sich aufkommen lassen und sie würde jetzt nicht damit anfangen.


Noch einmal schwieg er. Sam war sich sicher, dass die Entscheidung längst getroffen war. Was für eine andere Wahl hatten sie auch. Der Colonel wusste das und musste sich nur noch überwinden es zu sagen. „Sie können gehen, Captain“, seufze er dann. „Aber ich werde sie begleiten.“


* * *


Auf dem Monitor war ein Mann zu sehen, der in ihrem Leben früher eine wichtige Rolle gespielt hatte. Sie hatte befürchtet, dass sie schon so lange hier wären, dass er nicht mehr das Kommando über das SGC hatte. Zum Glück schien das aber nicht der Fall zu sein.
Sam wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber Hammond hatte sich kaum verändert. Sie konnte die Verwirrung in seinem Gesicht lesen, als er sie erkannte. „Hallo, General. Hier ist Carter.“ Seine Verwirrung verwandelte sich in Misstrauen. „Das heißt, eigentlich bin ich die Kopie von PX3989.“
Sie war überrascht, wie leicht diese Worte über ihre Lippen kamen. Ich bin die Kopie... Eine Kopie musste sich immer am Original messen, ohne die Chance zu haben, jemals besser als dieses zu sein.
„Einen Moment bitte“, sagte der General und schaltete das Mikro ab. Sie konnte sehen, wie er mit jemandem sprach, der sich außerhalb des Erfassungsbereichs der Kamera befand. Wahrscheinlich war es einer der Anderen. Mit Sicherheit sogar. Ich würde dem General raten, es nicht zu tun hatte der Colonel gesagt. Würde sie das auch tun? Vielleicht stand da ihr Abbild vor dem General.
Sie konnte den anderen Colonel förmlich hören. Halten sie uns diese Typen vom Leib, General würde Er sagen. Gott, sie würde nichts anderes tun. Wer begegnete schon gern einer schlechten Kopie von sich selbst, die man auf einem Felsklumpen im Nirgendwo zurückgelassen hatte. Allein schon, um nicht daran erinnert zu werden was Sie getan hatten, wären Sie dagegen. Der Gedanke, dass Sie es hätten sein können, die da gestrandet wären, musste Sie aufwühlen.
Es würde nicht funktionieren, Sie würden sie nicht kommen lassen.
Es war totenstill. Sam drehte sich nicht zu ihren Kollegen um, die hinter und neben ihr standen. Sie wollte nicht die Gefühle sehen, die sich in ihren Gesichtern widerspiegeln würden. Was sollte sie jetzt tun? Es war ihre letzte Hoffnung gewesen, der sie eine Chance auf Erfolg eingeräumt hatte. Sie würden es anders versuchen müssen. Vielleicht würden sie doch auf einer anderen Welt Hilfe finden. Versuchen mussten sie es zumindest – oder sie würden hier die Ewigkeit verbringen.
Hammond trat wieder vor den Monitor. „Um was geht es, Captain?“
Sie schluckte. Er ging also tatsächlich drauf ein. „Äh.“ Sie versuchte sich wieder zu fangen. Was hatte sie ihm sagen wollen? „Wissen sie, wie man einen Naquadareaktor baut?“
Er sah zur Seite. „Ja, Captain“, bestätigte er.
Oh Gott. Es war möglich. Ihr stockte der Atem. „Wäre es möglich, dass wir zu ihnen kommen und sie mir die Daten übergeben?“
Wieder eine lange Pause. Er besprach sich jetzt offenbar mit mehreren Leuten. Die Anderen. Sie konnte nicht sehen, wie Sie reagierten, wollte es zu gern wissen. Irgendwann antwortete Hammond. „Wir erwarten sie in einer Stunde, Captain. Die Iris wird offen sein.“
„In Ordnung.“ Sie tastete nach dem Schalter, der die Verbindung trennte. Das Bild verschwand.
Mit einem Mal fragte sich Sam, ob ihre Idee wirklich so gut war.

Sams Schritte hallten viel zu laut in dem trostlosen Korridor wieder, durch den sie ging. Sie beobachtete ihren immer wieder von einer anderen Farbe umgeben Schatten, wie er ständig hin- und herwanderte und sich ab und zu in der Dunkelheit verlor.
Der Colonel hatte den Kontrollraum sofort nachdem sie die Verbindung beendet hatte, kommentarlos verlassen. Obwohl sie ausgemacht hatten, dass sie das Wort führen würde, hatte es sie schon ein wenig gewundert, dass er während des Gesprächs nicht über ihre Schulter hinweg „George“, wie er den General seit neuestem nannte, irgendeine zynische Bemerkung an den Kopf geworfen hatte. Vermutlich wollte er sich das für ihren Besuch aufheben.
Carter hatte danach noch eine ganze Weile auf den Bildschirm gestarrt, der irgendwann wieder dazu übergegangen war Statusanzeigen der Stationssysteme zu zeigen. Sie erinnerte sich, dass Daniel irgendetwas aufmunterndes zu ihr gesagt hatte. Sie hatte ihm nicht zugehört. Schließlich hatte dann auch sie den Raum verlassen.
Inzwischen war ihr doch ein wenig mulmig geworden. Bisher war die Reise nur pure Theorie gewesen, doch jetzt würde es bald Realität werden, auch wenn Sam keine Ahnung hatte, wann diese ominöse Stunde, die sie warten sollten, vorbei sein würde.
Aber es war nicht nur die Reise selber, die für ihr Unwohlsein sorgte. Es war auch die Tatsache, dass sie nicht so ablaufen würde, wie sie sich das vorgestellt hatte. Sie wollte nicht, dass O’Neill sie begleitete.
Eigentlich hatte es nicht ihr Problem zu sein, was der Colonel letztendlich tat oder nicht tat, doch schließlich war dies keine Mission, die unter der Leitung ihrer Vorgesetzen entworfen worden war und für die sie beide sich freiwillig gemeldet hatten. Nein, es war ihre Idee gewesen. Sie hatte sich das ausgedacht und deshalb fühlte sie sich verantwortlich.
Lange Zeit hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als noch einmal zur Erde zurückzukehren. Doch inzwischen wollte sie das nicht mehr – nicht, wenn sie dort nicht auch ihr Leben würde weiterführen können.
Sie alle hatten Probleme damit gehabt, sich von ihrer Vergangenheit zu lösen. Es war kein Geheimnis wie schwer das gerade O’Neill gefallen war. Ob er oder überhaupt einer von ihnen es völlig geschafft hatte, wagte sie zu bezweifeln.
Ein Besuch auf der Erde würde nur Erinnerungen wecken und alte Wunden aufreißen. Sie wusste das und sie war die einzige, der sie das zumuten wollte. Sie hatte sich das ausgedacht, sie würde es tun. Es gab keinerlei Grund, warum sie dabei irgendjemand begleiten sollte.
Sie änderte ihre Richtung und bewegte sich zum Gemeinschaftsraum. Er lag ein ganzes Stück vom Kontrollraum entfernt auf einer anderen Etage. Da der Colonel nichts gesagt hatte, als er gegangen war und er sich sicher nicht verstecken würde, vermutete sie ihn dort zu finden.
Sie behielt recht. O’Neill, der sich vorher nicht hatte setzten wollen, saß nun doch am Tisch. Er hatte auf seinem Stammplatz die Beine übergeschlagen und stützte sich mit dem Knie vom Tisch ab, während er mit dem Stuhl kippelte. Obwohl sein Blick ins Leere ging, musste er sie eigentlich sehen. So weggetreten, dass er sie nicht bemerkt hätte, konnte er gar nicht sein. Also wartete Carter einfach ab, bis er auf sie reagierte. Sie wartete eine ganze Weile und begann selber in Gedanken zu versinken.
„Spucken sie’s schon aus, Carter“, knurrte er plötzlich und schreckte sie wieder auf. Als ihr wieder einfiel, warum sie hier war, fühlte sie sich einen Moment wie ein kleines Mädchen, dass man bei etwas Verbotenem ertappt hatte. Obwohl er genauso gut wie sie wusste was auf sie zukommen würde, hatte er vor sie zu begleiten. Dafür hätte sie ihm eigentlich dankbar sein sollen. Doch satt dessen stand sie hier und sagte: „Es ist nicht nötig, dass sie mitkommen, Sir.“
Zu ihrer Erleichterung zeigte er sich nicht gekränkt. „Und wieso nicht?“ fragte er einfach.
Wer ihn nicht kannte, hätte seinen Ton für gleichgültig gehalten, doch sie wusste, dass er so nur sprach, wenn er völlig in Gedanken und vielleicht auch etwas unsicher war.
„Ich denke, ich kann das alleine schaffen“, erklärte sie mit mehr Überzeugung, als sie eigentlich hatte.
„Und was noch?“
Sie schluckte. Hatte er ihr nur nicht zugehört und versuchte sie am reden zu halten oder hatte er sie durchschaut und erkannt, dass dies nicht der einzige Grund war? „Es wird bestimmt nicht leicht werden“, fügte sie hinzu.
O’Neill erzwang ein Lächeln. „Sie glauben also, sie wären erwachsen genug, um auf die Unterstützung eines alten Mannes verzichten zu können, der ihnen in wissenschaftlicher Hinsicht sowieso nicht helfen könnte?“ antwortete er trocken. „Das ist doch schließlich ein Wissenschafts-Trip, oder?“
Sam legte die Stirn in Falten und erwiderte irritiert „Sie sind kein alter Mann, Sir.“
„Ich war außer Dienst, bevor sie mich reaktivierten.“, erinnerte er. Wahrscheinlich wäre es ihm lieber gewesen, wenn dies das einzige Thema gewesen wäre. Langsam schüttelte er den Kopf. Dann zog er das Knie zurück und ließ sich mit dem Stuhl nach vorne kippen. Es gab ein hässliches Geräusch als die metallenen Stuhlbeine über den Boden kratzen. „Gehen sie, Captain.“ Gestand er ihr dann leise zu, so leise als hoffte er, sie würde es nicht hören. Dann versank er wieder in stilles Brüten.
Carter sah ihn überrascht an, sagte aber nichts. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass es so einfach würde.


* * *


Sie hatte schon immer gewusst, dass dieses Gefühl des Fallens, das man bei der Reise durch ein Wurmloch hatte, reine Illusion war – eine Illusion zu der ihr synthetisches Gehirn nicht in der Lage war.
Sam stand auf der Rampe des Stargates im SGC. Am Fuß der Rampe standen im Halbkreis eine Reihe von Soldaten mit Waffen in der Hand. Sie zielten zwar nicht auf sie, waren aber bereit sofort anzulegen und sie zu erschießen.
Viele dieser Männer hatte sie einst gekannt. Meist nicht besonders gut, aber sie hatten sich zumindest immer freundlich gegrüßt. Jetzt starrten sie Sam an, als wäre sie von einem Goa’uld besessen. Sie schienen förmlich darauf zu warten, dass ihre Augen zu glühen begannen.
Der Torraum war groß und hell. Wie oft hatte sie wie selbstverständlich hier gestanden, wenn sie von ihrer Reise zu anderen Planeten zurückgekommen war. Aber nie hatte sie realisiert, wie groß und hell er war. Wunderbar hell. Die Luft war kühl und frisch. Wie schlecht die Luft in der Station seit ihrer Ankunft geworden war, hatte sie die Jahre über gar nicht bemerkt. Hier war alles besser. Es war ihr Zuhause.
Das linke Schott rollte auf und General Hammond trat ein. Die Soldaten machten ihm Platz. „Willkommen auf der Erde, Captain.“ Begrüßte er sie. Willkommen daheim hatte es früher geheißen, das wusste sie ganz genau.
Sie stand oben auf der Rampe in ihrem schwarzen Trainingsanzug und sah auf den Mann mit der Glatze herab. Hinter ihr brach die Verbindung nach PX3989 ab. Das wabernde Licht, das bisher auf die Wände gefallen war, erlosch. Nein, ihr Zuhause war es einmal gewesen. Das war nun vorbei. Ihr wurde klar, dass sie jetzt zwar genau da war, wo sie die ganze Zeit über hatte sein wollen, aber nicht dort, wo sie sein sollte. Sie gehörte nun in eine andere Welt. Vielleicht hätte sie doch auf den Colonel hören sollen und wäre lieber in der Station geblieben.
Mit langsamen Schritten ging sie die so vertraute Rampe herunter. Behutsam, wie als hätte sie Angst, etwas zu zertreten. Das Metall schepperte unter dem großen Gewicht ihres Robot-Körpers. Sie blieb stehen und schaute den Soldaten in die Augen. Sie wichen ihrem Blick aus. Einem nach dem anderen sah sie ins Gesicht, doch selbst diejenigen, die sie gekannt hatten, sahen irgendwo anders hin.
Der einzige, der ihr in die Augen schaute und ihrem Blick standhielt war Hammond. Statt etwas auf seine Begrüßung zu erwidern sah sie ihn an. Da war keine Frucht oder Abneigung in seinem Blick. Er war ernst – und schien besorgt zu sein.
„Kommen sie, Captain. Wir haben inzwischen die Daten für sie vorbereitet.“ Er wies mit dem Arm zur Tür. Dahinter lag der Korridor. Sie betrachtete nachdenklich den ausgestreckten Arm und den Gang auf den er deutete. Nur langsam folgte sie ihm. Sie hörte, wie ihr zwei der Soldaten folgten.
Sie verließen den Torraum und betraten die Gänge des Stargate Centers. Sie mochten niedriger als die der Station sein, aber dafür waren sie hell erleuchtet. Keine Spur von den abartigen Farbscheinwerfern. Hier gab es richtiges weißes Licht. Die Korridore bestanden auch nicht aus kaltem, verrostendem Stahl, sondern aus Beton. Warmes, wenn auch künstliches Gestein.
Sie kannte jeden der abzweigenden Korridore und wusste, was sich hinter jeder Tür verbarg. Alles war ihr so unglaublich vertraut. Dies war einst ihr zweites Zuhause geworden, hier hatte sie gelebt. Sie hätte sich von der Gruppe absetzen können und ihren kleinen Raum aufsuchen können, in dem sie die Nächte verbracht hatte, wenn es ihr nicht mehr gereicht hatte in ihre Wohnung zu fahren. Er war vielleicht 200 Meter von hier entfernt.
Irgendwo musste sich Janet aufhalten. Wie schön wäre es, ihre alte Freundin wieder zu sehen. Sam erinnerte sich an ihre gemeinsame Zeit. Sie vermisste die freundliche Ärztin.
Sie kannte den Weg zum nächsten Lift. Würde sie nach oben fahren, müsste sie dort einen zweiten Aufzug nehmen und wäre dann auf der Oberfläche gewesen. Himmel, Sonne. Die frische, würzige Luft der Erde. Die Wolken am blauen Himmel, das Gras unter ihren Füßen.
Überwältigt von diesen Gedanken begann sie am ganzen Leib zu zittern und blieb stehen. Hellgrauer, sauberer Betonboden mit bunten Markierungen, die einem den Weg wiesen. Sie konnte es nicht ertragen. Dies war ihre Heimat gewesen. Sie hatte es nicht zu träumen gewagt, wieder hier zu stehen. Und jetzt war sie hier, hatte all die Möglichkeiten. Sie hätte überall hingehen können, an all die geliebten und vermissten Orte, aber sie konnte es nicht. Ihr Atem ging stoßweise, sie glaubte ihr nichtexistentes Herz rasen zu fühlen.
Sie war hier, aber würde in Kürze wieder weg sein. Gerade erst hatte sie soviel gewonnen, nur um es sofort wieder zu verlieren. Das konnte sie nicht ertragen. Es war mehr als überhaupt ein Mensch ertragen konnte. Endlich war sie in der lange ersehnten Heimat und doch verdammt sie wieder zu verlassen. Diesmal jedoch auf ewig, das war klar.
Als sie das letzte mal hier gewesen war, war es kein Abschied auf Dauer gewesen. Sam war sich sicher gewesen wieder zurückzukehren und hatte sich nichts beim Verlassen der Basis gedacht. Nun aber würde sie bewusst dies alles hinter sich lassen müssen, in dem Wissen, dass sie es niemals in ihrem ewigen Leben wieder sehen würde.
Sie lehnte keuchend an der Wand. „Captain Carter“, drang wie durch einen Schleier eine Stimme zu ihr. Sie öffnete die Augen. Es war kein Traum. Sie war immer noch im SGC und vor ihr stand Hammond.
Besorgt sah er sie an. „Ist alles in Ordnung mit ihnen?“
Sie versuchte wieder ruhig zu atmen und sich zu fangen. Sie erinnerte sich, bisher noch kein Wort mit Hammond gesprochen zu haben, dabei schien er ernsthaft besorgt zu sein. „Es ist schwierig wieder hier zu sein“, murmelte sie und atmete tief durch. Es ging wieder besser. Allein die Illusion von mehr Sauerstoff im Hirn beruhigte ihren Geist. „Danke, General“, hauchte sie. Der Mann war echt besorgt um seine Leute, selbst wenn sie nicht mehr dazu gehörte.
Sie ging weiter, ein Schritt nach dem anderen – wie eine Maschine. Vor einem der Arbeitsräume blieb Hammond stehen. Hier hatte Sam zum Unverständnis von Colonel O’Neill viele Nächte lang durchgearbeitet. Aber es war nicht zu vergleichen mit der Zeit die sie auf Altair im Labor zugebracht hatte.
Hammond öffnete die Tür und Sam erstarrte. Dort stand Sie. Die Andere. Ihre Vorlage. Sie stand einsam in einer Ecke des Raumes, sichtlich nervös und unsicher wie Sie mit Ihrem Abbild umgehen sollte. „Major Carter, Captain Carter. Ich denke sie kennen sich ja bereits“, hörte sie Hammond sagen.
Major. Sie war befördert worden. Sie hatte sie also bereits überholt. Natürlich. Das Original war immer besser.
Sie betrachtete die Andere. Sie trug eine grüne Uniformhose und ein schwarzes T-Shirt. Ihre Frisur war anders. Besser. Sie war älter geworden. Nicht viel älter – wahrscheinlich viel es ihr nur auf, weil sie ihr eigenes Geicht so gut kannte. So lange konnte sie also doch nicht fort gewesen sein. Aber die paar Jahre standen Ihr nicht schlecht. Es machte Sie irgendwie reifer. Gab Ihr mehr Charakter. Mehr als sie selber hatte.
Nervös streckte die Andere ihr die Hand entgegen. „Hallo“, sagte Sie. Sam blickte Sie eisig an. „Hallo“, erwiderte sie, gab der Anderen jedoch nicht die Hand.
„Wie geht’s dem alten Harlan?“ machte Sie den lächerlichen Versuch die Situation aufzulockern. Sam sah sich um. Der Raum war so unordentlich wie eh und je. Die Tische waren überfüllt mit irgendwelchen Unterlagen. Auf einem davon stand ein kleiner Wecker. Tack, tack machte er. Wie lange hatte sie so etwas nicht mehr gesehen. Der Sekundenzeiger wanderte herum, im nutzlosen Versuch die Zeit zu messen. War eigentlich noch niemandem aufgefallen, dass all die Zeiger sich nur im Kreis drehten, ohne wirklich je voran zu kommen?
Tack, tack. Das Ding maß gnadenlos die Zeit, völlig unbeeindruckt von ihrer subjektiven Wahrnehmung maßte es sich an eine objektive Zeitmessung liefern zu können.
Was machte Harlan? Keine Ahnung, sie hatte ihn schon ewig nicht mehr gesehen. Eigentlich war ihr im Moment auch ziemlich egal was er tat oder ob er überhaupt noch funktionierte. „Es geht ihm gut“, sagte sie der Freundlichkeit halber und drehte den Wecker aufs Gesicht, so dass sie sein Ziffernblatt nicht mehr sehen musste. Tack, tack. Das Geräusch wurde nur noch deutlicher.
„Du brauchst also einen Naquada-Reaktor“, kam die Andere, der Major, endlich zum Thema.
„Ja“, antwortete sie einsilbig. „Er muss klein sein.“
„Wie klein?“ fragte Sie sofort zurück. Viel zu energiegeladen, viel zu motiviert. Aber Erfolge motivierten nun mal...
„Klein genug, um ihn mir in die Brust zu pflanzen“, antwortete sie zynisch.
Die Andere schluckte. Sie ging an den Computer in einer Ecke des Raumes. Er war neu. Die Andere begann zu reden. Es ging irgendwie um die Funktionsweise des Reaktors und Ihre eigene Genialität. Sam hörte nicht zu. Sie würde alle Unterlagen in einem Laptop bekommen.
Was musste Sie in den Jahren nicht alles erreicht haben? Hunderte von Welten hatten sich vor Ihr ausgebreitet. Die faszinierendsten Wesen mussten sich Ihr gezeigt haben. Sie hatte herausgefunden, wie ein Naquadareaktor funktionierte. Was für Wunder hatten sich Ihr noch offenbart? Sie hatte gekämpft und gesiegt, hatte das Leben von Menschen oder ganzen Kulturen gerettet. Und für all das war Sie befördert worden.
Und was hatte sie in dieser Zeit getan? Sie war in einer verfallenden Station gehockt und festgestellt, wie unfähig sie war. Bei all ihrer Energie, die sie investiert hatte, war sie doch daran gescheitert, was der Major gemeistert hatte.
Ihr Blick blieb an einem Kalender an Wand hängen. Mai 2003 . Fünf Jahre. Die Zahl schwebte da, völlig ohne Bezug. Ein Jahr war schon eine sehr lange Zeit gewesen. Das hatte sie zumindest einmal geglaubt, naiv wie sie war. Fünf Jahre hatte sie auf Altair verbracht. Es war ihr viel länger vorgekommen aber dennoch waren schon diese fünf Jahre eine viel zu lange Zeitspanne, die nun unumgänglich verstrichen war. Das Leben hatte sie überholt.
Die Andere erkannte ihren Blick und hielt in ihrem Vortag inne. „Es ist jetzt fast fünf Jahre her“, sagte Sie. „Möchtest du wissen, was seitdem passiert ist?“
„Ja...“ kam es von Sam.
„Nun, ja.“ Für einen Moment trat ein seltsam trauriger Ausdruck auf Ihr Gesicht, doch dann sagte Sie: „Wir haben uns da draußen ein paar Freunde gemacht und Allianzen geschlossen... Da wären zum Beispiel die Tok’ra oder die Asgard...“
„Stopp!“ unterbrach sie Sie. „Ich will es nicht wissen. Vergiss es.“ Sie wollte nicht hören, was sie alles verpasst hatte. Sie hätte das eigentlich alles tun sollen. Sie hätte diese Völker kennen lernen müssen, von denen sie bis gerade eben nicht einmal die Namen gekannt hatte.
„Sam“, hörte sie die Andere sagen. „Du solltest wissen, dass es mir hilft zu wissen, das ihr da draußen seid. Falls mir oder den anderen einmal irgendetwas passieren sollte, dann weiß ich, dass wir in euch weiter leben werden.“
Du hast vielleicht etwas von meiner Existenz, aber das beruht nicht auf Gegenseitigkeit. Sam öffnete wieder die Augen. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie sie sie geschlossen hatte. Sie öffnete die Augen und betrachtete die Andere. Was sie sah war ein schwächliches Gebilde aus langen Kohlenstoffketten, aufgeblasen mit Unmengen von Wasser und aufrecht gehalten von spröden Rohren aus Kalk. Es hätte sie nur einen kurzen Augenblick gekostet, um es wie eine Laus zu zerquetschen und doch hätte sie alles dafür gegeben, wieder diesen Körper zu besitzen.
„Ich muss los“, hörte sie sich sagen. Sie stand auf und stieß dabei den Stuhl nach hinten. „Meine Energie wird knapp.“
„Du bist gerade erst zwanzig Minuten hier“, warf die Andere verwirrt ein.
Minuten! Sie maßen die Zeit in Minuten. Lächerlich. Aber kein Wunder, für einen Sterblichen war eine Minute unglaublich wertvoll.
Sie klemmte sich den bereitstehenden Laptop unter den Arm und stürmte zur Tür hinaus. Erst jetzt stellte sie fest, das Hammond gegangen war. Die Wachen folgten ihr besorgt. Auch die Andere blieb hinter ihr. Sam lief durch die langen Korridore des SGC und wurde dabei immer schneller. Nur fort von hier. Sie gehörte hier nicht mehr her.


Plötzlich hörte sie eine vertraute Stimme hinter sich. „Sam!“ Doktor Fraiser stand in einem der Seitenkorridore. Sie redete jedoch nicht mit ihr, sondern mit der Anderen. Als sie Sam sah, erschrak sie und wurde sichtlich blasser. „Oh mein Gott“, sagte sie mehr zu sich selbst. „Ist das...“ sie ließ den Satz unbeendet. „Ja“, sagte die Andere.
„Janet“, flüsterte Sam. Sie hatte nicht mehr daran geglaubt ihre Freundin noch einmal wieder zu sehen. Doch diese reagierte nicht. Sie konnte förmlich sehen, wie sie sich an ihre letzte Begegnung erinnerte. Sie sah das gleiche Misstrauen und die gleiche Erregung, die sie schon damals gezeigt hatte. Für die Ärztin waren sie nur Zombies ohne Herzschlag, Roboter mit weißem Schleim in den Adern anstatt Blut.
Ihre beste Freundin erkannte sie nicht mehr. Sam drehte sich um und rannte. Sie rannte bis zum Schott des Torraums. Hier war Schluss. Sie tastete ihre Taschen nach einer Magnetkarte ab, doch fand natürlich keine. Erst die Andere konnte den Schlüssel durch das Lesegerät ziehen, um sie gehen zu lassen.
Sie hastete auf das rettende Stargate zu. Wären ihr Jaffa auf den Fersen gewesen hätte sie es nicht eiliger gehabt. Es war bereits angewählt worden, das Wabern des Wurmlochs erwartete sie. Sie erklomm die Rampe. Bevor sie jedoch verschwinden konnte, hörte sie noch einmal ihre eigene Stimme hinter sich. „Sam.“ Sie erstarrte. Vor ihr schimmerte der Ereignishorizont. Sie war unfähig sich umzudrehen. Das hätte bedeutet noch ein letztes mal den Torraum zu sehen. Sie hätte es nicht ertragen können. Sie wollte sich nicht verabschieden, konnte es nicht.
Also stand sie einfach nur da und wartete ungeduldig. Eine innere Kraft hielt sie noch einen kurzen Moment an diesem Ort. Sie konnte nicht weg ehe sie nicht gehört hatte, was die Andere noch zu sagen hatte.
„Viel Glück.“ Das war alles. Sie trat vor und das Wurmloch verschluckte sie.

Die Luft in der Station war einfach scheiße. Sam stolperte die Treppe am Tor hinunter, der Laptop polterte zu Boden. Unten standen immer noch ihre Gefährten, die auf sie gewartet hatten. Sie hatte aber kein Auge für sie, sondern stürmte an ihnen vorbei. Sie rannte und rannte durch die stählernen Korridore dieser Gruft. Lief, als ob sie dadurch allem entkommen könnte. Ihrem alten Leben, ihrem neuen Leben, ihren Erinnerungen an das alte Leben, allem.
Irgendwann erreichte sie den Raum, den sie für sich in Anspruch genommen hatte. Sie stürzte hinein, warf sich auf den kalten Boden und brach in Tränen aus. Sie weinte, wie sie zuletzt als keines Kind geweint hatte.
Doch ihr Schluchzen fand in dem Raum, der genau so leer war wie ihr Leben, keinen Widerhall.


* * *


Jack machte sich große Vorwürfe. Er hätte sie nicht alleine gehen lassen dürfen. Carter war als ein einziges Nervenbündel zurückgekommen. Nichts war von der Energie und der Überzeugung, mit der sie aufgebrochen war, geblieben. Jetzt hatte sie sich in ihrem Raum eingeschlossen und kapselte sich darin völlig von der Umwelt ab.
Er hatte mehrfach versucht mit ihr zu reden. Sie alle hatten es versucht, selbst Harlan. Doch sie reagierte einfach nicht. Jack befürchtete, dass sie sich etwas antun könnte. Harlans Leute hatten sich alle entweder das Leben genommen oder waren in der verzweifelten Hoffnung außerhalb der Station auf Dauer leben zu können von hier geflohen. Wenn Carter etwas geschah, würde er sich das nie verzeihen, selbst wenn er ewig leben würde.
Wäre sie nicht eine verdammte Maschine gewesen, hätte sie sich längst zu Tode gehungert. Aber schließlich konnte nicht nur der Körper sterben, sondern auch der Geist. Nach Charlies Tod war er selber an einem solchen Abgrund gestanden.
Er hätte nie vermocht ihr zu befehlen auf diese Mission zu gehen, egal wie wichtig das auch für sie alle gewesen wäre. Aber das war auch gar nicht nötig gewesen. Carter hatte es sich schließlich in den Kopf gesetzt gehabt freiwillig zu gehen. Er hatte sie lediglich ziehen lassen.
Das war auch in Ordnung gewesen, inzwischen hatte er das eingesehen. Er hätte nicht zulassen können, dass die Anderen ihnen nicht nur ihr Leben nahmen, sondern ihnen auch noch durch die Furcht vor Ihnen die Chance auf ein neues verbauten. Doch er hätte Carter niemals alleine gehen lassen dürfen. Wenn es schon keine andere Wahl gegeben hatte, dann hätte er sie zumindest begleiten müssen.
Aber sie hatte das alleine durchstehen wollen – und Jack war das nur allzu Recht gewesen. Er hatte geahnt, was sie dort erwarten würde. Die Tatsache, dass Carter so unter Schock stand, zeigte sogar, dass seine Befürchtungen noch untertrieben gewesen waren. Nur wegen dieser Befürchtungen hatte er sich überreden lassen zurückzubleiben. Dabei war überreden noch eine Übertreibung: Carter hatte nur das gesagt, was er hatte hören wollen. Nur wegen seinem eigenen Egoismus hatte er ihr nicht beigestanden obwohl es als CO und ihr Freund seine Pflicht gewesen wäre.
Jetzt vergammelte sie in ihrem Raum und er machte sich Vorwürfe. Er verbrachte lange Zeit vor ihrer Tür und redete auf sie ein. Er versuchte ihr wieder Mut zu machen und so zum rauskommen zu bewegen. Aber wie sollte man jemandem etwas geben, an dem es einem selbst mangelte?
Das sich die Stimmung in der Station noch verschlechtern konnte, war eigentlich kaum vorstellbar. Dennoch tat sie es. Es schien fast so, als währe Niedergeschlagenheit etwas Greifbares geworden. Sie redeten kaum noch miteinander. Mit Carter stand und fiel ihre Hoffung auf ein anderes Leben. Die Unsicherheit darüber, was aus ihr werden würde und ob sie es nach ihrer Reise schaffen konnte einen Reaktor zu bauen, nagte an ihren Nerven.
Teal’c war ja schon immer recht isolationistisch gewesen, aber auch Daniel wurde immer mürrischer. Er war wohl doch nicht so glücklich wie es anfangs geschienen hatte. Und Harlan? Auch er schien das alles nicht als besser zu empfinden.
Jack selber verbrachte hin und wieder seine Zeit mit der Reparatur von Dingen. Leider gab es hier auch kaum etwas anderes zu tun. Doch immer wieder kehrte er zu Carters Raum zurück, lehnte sich gegen die Tür und begann zu reden. Er redete einfach drauflos, konnte nachher nicht mehr sagen was. Wem das letztendlich mehr half, ihm oder Carter, oder ob sie ihn überhaupt noch hörte, konnte er nicht sagen.


* * *


Als Jacks Wege ihn einmal wieder zu Carter führten, um nach dem Rechten zu sehen, fand er die Tür zu ihrem Raum offen vor. Der Raum war leer. Eine unglaubliche Erleichterung überfiel ihn. Sofort eilte er zum Labor und tatsächlich fand er sie dort. Sie arbeitete.
Es wäre ihm schwer gefallen, die Erleichterung in Worte zu fassen, die er in diesem Moment empfand. Carter bedeutete ihm mehr, als es eigentlich hätte sein sollten. Es war gut sie wieder auf den Beinen zu sehen.
Sie reagierte nicht, als er eintrat. Sie saß an der Computerkonsole und bediente abwechselnd den Stationscomputer und den Laptop, den sie von der Erde mitgebracht hatte.
„Carter“, sprach er sie an.
„Ich bin beschäftigt, Colonel“, sagte sie müde, ohne dabei allerdings von den Monitoren aufzusehen.
Jack wusste genau, wie ein Mensch aussah, der unter den Nachwirkungen eines großen Schmerzes litt. Er wusste, wie ein Mensch aussah, der in Spiegel blickte und sich fragte wieso er noch lebte. Er wollte ihr helfen. Selbst, wenn sie seine Hilfe nicht wollte, so wollte er sie ihr zumindest anbieten. Wenn sie jemanden brauchte, mit dem sie reden konnte, der ihr half, das zu verarbeiten, was sie dort erlebt hatte, dann würde er da sein.
„Was ist da drüben geschehen?“ fragte er. Doch Carter schien sich entschieden haben, ihn zu ignorieren.
Er löste sich von der Tür und stellte sich neben sie an die Konsole. „Sam...“ hauchte er, so leise, das man es fast für Einbildung hätte halten können. Bisher hatte er bei ihr immer sehr auf die förmliche Anrede bestanden, um Abstand zu wahren.
Tatsächlich sah sie auf. Man konnte ihr ansehen, dass was sie durchgemacht haben musste. „Danke, Colonel“, flüsterte sie und er sah, dass sie es ernst meinte. Sie machte ihm keinen Vorwurf, dass er sie nicht begleitet hatte. Ihr Blick wanderte in die Ferne. „Ich habe sie gehört... Ich habe auch die anderen gehört. Ich weiß nicht mehr was sie gesagt haben, aber ich denke es hat mir geholfen.“
„Wollen sie darüber reden?“ bot er ihr an.
Sie schüttelte den Kopf. „Es geht mir gut. Glauben sie mir. Ich habe viel durchgemacht und bin froh, dass es vorbei ist. Danke, wirklich, aber ich will jetzt nicht darüber reden.“
„Okay.“ Jack mochte immer seine raue Schale zur Schau tragen, aber er konnte auch sehr einfühlsam sein. Er sah, dass sie offenbar wirklich noch nicht den nötigen Abstand gewonnen hatte, um darüber reden zu können. Sie hatte das alleine überstanden und würde auch noch eine Weile alleine daran kauen wollen. Er kannte das sehr gut und er wollte sie nicht drängen.
Also ging er, bevor die Stille unangenehm wurde.


* * *


Ein Häufchen Elend. Mehr war sie nicht gewesen, als sie dort auf dem kalten Fußboden in irgendeiner Ecke gekauert hatte. Halbdunkel wie der Raum war, hätte er ihr Grab werden können. Das Leben, nein, viel eher ihre bloße Existenz, war gelaufen. Alles, was ihr lieb und teuer war hatte sie verloren.
Ihr ganzes Leben war fort. Es war an ihr vorbeigezogen ohne dass sie daran beteiligt gewesen wäre. Sie war wie eine Tote gewesen, die in die Welt der Lebenden zurückgekehrt war. Selbst, wenn die Lebenden irgendwann einmal ihren Tod bedauert hätten, was nicht der Fall gewesen war – sie hatten das Leben, das sie früher miteinander geteilt hatten, einfach weitergelebt. Das Leben ging ohne sie weiter und alles, was sie einst gemeinsam getan hatten, taten ihre Freunde jetzt ohne sie.
Anstatt ihr gab es jetzt die Andere. Den Major. Die Heldin. Sie hatte ihren Platz eingenommen und der Welt vorgegaukelt, dass alles noch beim alten wäre. Wegen Ihr hatte es nie jemanden gegeben, der auch nur einen Gedanken der Trauer an sie verschwendet hatte.
Janet hatte sie nicht erkannt. Für ihre beste Freundin war sie eine Fremde gewesen. Niemand hatte in ihr das gesehen, was sie sein wollte: Sam Carter. Sie konnte es gar nicht sein, dennoch hatte sie es die ganze Zeit über versucht. Sie hatte sogar beinahe geglaubt, es geschafft zu haben. Doch die Realität hatte sie eingeholt und ihr war schmerzhaft bewusst geworden, wie illusorisch das alles gewesen war.
Die Andere war jetzt Sam Carter und zwar so gründlich, das nichts mehr für die Kopie übrig blieb. Sie füllte ihren Platz im Universum so vollständig und übermächtig und alles erdrückend aus, dass für Sam einfach kein Raum mehr war. Sie war nicht einmal mehr ein Schatten. Es erschien ihr so, als hätte die Andere sie ausgesaugt, bis von ihrem ursprünglichen Ich nichts weiter als eine leere Hülle zurückgeblieben war.
Sie hatte alles verloren, ihre Existenz, ihre Identität, einschließlich aller Hoffnung und den Glauben an die Zukunft. Was für einen Zukunft sollte das sein? Das Leben, dass sie hier leben konnte, war es nicht wert, gelebt zu werden! Sie war es nicht wert am Leben zu sein.
Sie hatte einfach nicht mehr die Energie aufgebracht sich dagegen zu wehren. Ihre Welt war zusammengebrochen und sie hatte sich unter den Trümmern begraben lassen. Und hier lag sie nun.
Sie zog sich immer weiter in ihr inneres Jammertal zurück. Sie hörte die Stimmen vor der Tür, doch sie hatten keine Bedeutung mehr für sie. Sie waren Geister aus einem vergangenem Leben. Sam wollte von der Welt da draußen nichts mehr wissen. Manchmal weinte sie. Das Universum hatte sie enttäuscht und verhöhnte sie. Sie wollte da nicht mehr raus.
Ihr kleines Schneckenhaus schirmte sie so gut es ging vor ihrem Leben ab. Das Leben das sie wollte, konnte sie nicht haben, und das, was sie hatte, wollte sie nicht. Am liebsten hätte sie alles vergessen. Sie wollte nichts mehr spüren, nichts mehr empfinden – der Tod wäre ein Segen für sie gewesen.
Ihr Körper mochte unsterblich sein, aber das galt nicht für den Geist. Dunkelheit begann ihre Seele einzuschließen. Ein undurchdringlicher Schleier schien sich über alles zu legen und schirmte sie vor ihrem Leben ab.
Das bisschen Leben, was noch in ihr war, schien langsam aus ihr heraus zu fließen, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte oder wollte. Es war im Gegenteil sogar völlig in ihrem Sinne.
Doch da war noch ein kleiner Funke gewesen. Ein Funke der fast erloschen wäre. Vielleicht waren es die geisterhaften Stimmen aus der anderen Welt gewesen, die ihn all die Zeit über am Leben erhalten hatten. Es war ein winziger Augenblick gewesen, in dem der Funke plötzlich Nahrung fand. Inmitten der Finsternis stand plötzlich ein winziger Gedanke.
Es war der erste Gedanke, der seit langer Zeit aufflackerte und es hätte ihr letzter sein können. In diesem einen Augenblick war ihr klar geworden, dass sie sich entscheiden musste. Sie konnte sich für das Leben entscheiden – oder ihren Geist in die ewige Finsternis hinabdriften lassen.
Der Gedanke traf auf Widerhall. Ein Echo. Auf einmal schien er überall zu sein. Die Flamme erstrahlte sonnenhell in der Finsternis.
Sie hätte in ihrem Jammertal verenden können. Ihr wurde klar, dass sie kurz davor gewesen war, freiwillig in den Tod zu gehen. Sie wollte es nicht. Das Leben mochte schlecht sein, aber das rechtfertigte nicht, dass man es einfach fort warf. Wenn ihre Existenz die Reise durch ein Jammertal in der realen Welt bedeutete, schön – denn es war wenigstens eine Reise. Die einzige Alternative wäre das gähnende Nichts gewesen.
Von diesem Moment an, war es mit ihr wieder aufwärts gegangen. Sie selbst hatte es geschafft, sich aus der Dunkelheit zu befreien, in die sie sich selbst gestürzt hatte. Nicht die Erde oder sonst wer hatte sie dort hin gebracht, sondern nur sie selbst. Die Wahrnehmung bestimmte die eigene Realität und nicht etwa die Realität selber. Wenn sie glaubte, dass das Leben nicht wert war gelebt zu werden, dann war es das auch nicht. Und wenn sie glaubte, dass das Leben es wert war, dann war es das.
Sie musste sich mit ihrer jetzigen Existenz abfinden. Wenn sie leben wollte, hatte sie keine Wahl. Daniel hatte Recht: Der menschliche Körper war auch nur eine Maschine. Schon früher hatte sie gewusst, dass der Mensch nichts weiter war als das Produkt seiner Biologie. Aber sie hatte sich das nie eingestehen wollen, weil es ihr so abwertend vorgekommen war. Dennoch stimmte es. Dabei war es zudem eine Biologie, die ihre Fehler hatte. Fleisch war kein Material für einen Menschen. Sie hatte sich bei manchen Krankheiten oft gefragt, warum der Körper sie nicht in den Griff bekam, obwohl er dazu theoretisch durchaus die Möglichkeiten gehabt hätte.
Jetzt war sie kein Mensch mehr, sie war ein Roboter. Ja. So war es nun einmal. Sie konnte es nicht ändern. Im Gegenteil, sie musste sogar froh darum sein. Sie war froh. Sie war ein Roboter und das war auch gut so!
Der Roboter funktionierte viel besser, als ein Mensch. Der Mensch war das Produkt einer langen Evolution, aber er hatte seine Fehler. Er war minderwertig. Der Roboter alterte nicht, weil es sich ständig selbst reparierte. Er war widerstandsfähig und stark. Er würde niemals krank werden. Erst hier konnte sich ihr Geist richtig entfalten.
Was war dabei zu sagen, dass man war ein Roboter war? Roboter war nicht gleich Roboter. Sie waren keine primitiven Industriemaschinen oder groteske Geschöpfe aus schlechten Filmen. Sie waren sie. Sie waren gut, besser als alles, was sie je gesehen hatte, den Menschen eingeschlossen.
Und die Station – sie mochte vielleicht am Zerfallen sein, aber sie war gottverdammtnochmal ihre Heimat!
Heimat war nicht immer etwas Schönes, aber es war immer etwas, für dass es sich lohnen konnte zu kämpfen. Man konnte zu seiner Heimat stehen. Es war etwas der wenigen Dinge, die sie besaß und war daher entsprechend wertvoll. Sie waren weitaus besser bedient als Leute, die gar keine hatten.
Irgendwann war sie soweit aufzustehen. Sie sah die Welt nun aus einer ganz anderen Sicht. Die Wahrnehmung bestimmt die Realität. Ihre Wahrnehmung hatte sich geändert. Es gab eine Menge zu tun. Endlich sah sie wieder einen Hoffnungsschimmer am Horizont. Auch sie würde erfolgreich sein. Sie würde einen Reaktor bauen, sie würde ihnen wieder das Tor zu den Sternen öffnen. Sie würde etwas zu Stande bringen, dass selbst die Genies von Altair, einer viel hochentwickelteren Zivilisation, als die aus der sie stammte, nicht fertig gebracht hatten.


* * *


Sie hatte es tatsächlich geschafft! Sie hatte einen Naquadareaktor gebaut. Das Meisterwerk stand vor ihr auf dem Tisch. Noch war es viel zu groß, aber es war nur der erste Prototyp. Spätestens der dritte Reaktor würde so klein sein, wie sie ihn benötigten.
Mit den unzähligen Maschinen, mit denen die Einzelteile für die Maschinenkörper gebaut wurden, hatte sie auch die Teile für den Reaktor hergestellt. Dies hatte zwar einiger Improvisation bedurft, aber sie hatte es geschafft. Das Gerät stand vor ihr.
Eine unglaubliche Befriedigung erfüllte sie. Sie hatte sich selbst bewiesen, dass sie nicht unfähig war. Sollte sie es wirklich schaffen ihre Körper energetisch völlig autark zu machen, dann konnte sie von sich selbst behaupten, sich endlich aus dem Schatten ihrer Vorlage heraus gelöst zu haben. Dann würde auch sie sich endlich im Erfolg sonnen zu können.
Zufrieden beobachtete sie den Monitor, der die aktuellen Leistungsdaten des Reaktors zeigte. Seine Effizienz war noch mäßig, dennoch lieferte er schon jetzt mehr Leistung, als sie für ihre Körper benötigten. Die späteren Modelle würde sie so bauen, dass sie weniger Energie, aber diese dafür über einen größeren Zeitraum abgaben. Selbst bei pessimistischen Schätzungen, würde eine einzige Bestückung mit Naquada sie für ein ganzes Jahr versorgen können. Wie sie früher gegessen hatten, mussten sie nun dafür sorgen, dass sie jedes Jahr das Naquada ergänzten.
Sie lauschte dem leisen Brummen ihrer Schöpfung. Es war völlig regelmäßig. Der Reaktor setzte auf eine fantastische Weise die Masse des Naquadas in Energie um. Es war die perfekte Methode der Energiegewinnung. Wenn man einmal wusste wie es funktionierte war es ganz einfach. Das Problem war lediglich gewesen darauf zu kommen.
In Gedanken war sie bereits bei der Erprobung des endgültigen Modells. Dafür würde sie es zwangsläufig an einen ihrer Freunde anschließen müssen.

Wumm, wumm. machte es an der Tür. Jack lag auf seinem Bett und hatte die Augen geschlossen. „Ja?“
Mit einem leisen Schaben glitt die Tür beiseite. Es war Daniel. „Sam meint, dass sie bald soweit ist einen Reaktor testen zu können“, sagte er wie beiläufig.
Jack öffnete die Augen. Daniel lehnte mit den Händen in den Hosentaschen an der Wand. „Na, das ist doch schonmal was.“ Er schwang die Beine über die Bettkante und setzte sich auf. Kein Jubel, keine Ekstase. Wie lange hatte er auf diese Nachricht gewartet?
Jack lauschte in sich hinein. Er war zufrieden, sehr zufrieden. Dennoch konnte er sich nicht richtig freuen. Die Angst enttäuscht zu werden war stärker.
„Was denken sie werden wir tun, wenn wir hier weg können?“
„Ich weiß nicht.“ O’Neill zögerte. So konkret hatte er darüber nie nachgedacht. „Ich denke, wir werden wieder durch das Stargate gehen.“ Sein Gegenüber schwieg, dachte wohl über die Möglichkeiten nach, die sich daraus ergaben. „Vielleicht sind wir wirklich besser...“
„Besser, Jack?“ meinte Daniel bedächtig.
„Ja. Stärker. Schneller. Einfach besser.“ Er sah ihn an. „Stammt doch eigentlich von ihnen... Wir könnten diesen Schlangenköpfen ganz schon in ihre kleinen Ärsche treten.“
Ein Lächeln zeigte sich auf Daniels Gesicht. „Das Terminator -Team, Jack?“
„Warum nicht?“ Jack ließ es sich durch den Kopf gehen. „Teal’c hat bestimmt noch einige Dinge da draußen zu klären.“
„Das haben wir alle.“ Ein seltsamer Ton lag in seiner Stimme. Jacks Blick streifte Daniel. Er hoffte immer noch Sha’re von ihrem Goa’uld zu befreien, verließ sich wohl doch nicht ganz auf den Anderen. Wenigstens bestand nicht die Gefahr, dass er sie so schnell überleben würde. Wenn sie einen Sarkophag benutzte, konnte sie durchaus ein paar tausend Jahre leben. Andererseits: Was war das schon?
Ein Gedanke drängte sich in Jack an die Oberfläche. „Wir machen SG-1 wieder auf.“ Eine irre Idee, wie konnte er nur wagen daran zu denken? „Wir gehen einfach nicht von der Erde aus, sondern von hier. Bleiben eben ein wenig im Hintergrund. Erwischen tun Die uns dabei eh nicht.“
Letztlich war dies genau das, worum es ihm immer gegangen war. Der Gedanke war immer da gewesen, nur nicht so konkret. Er hatte ihn vorher nie ausformuliert und erst recht nicht ausgesprochen, sich statt dessen immer nur in Andeutungen ergeben. Doch er hatte nie vorgehabt sich auf ein bloßes Verlassen der Station, von dem er bisher immer nur gesprochen hatte, zu beschränken. Er hatte sein altes Leben nie völlig abgeschrieben, wollte noch immer so leben, wie er es auch früher getan hatte. Er wollte SG-1 wieder.
Daniel schaute ziemlich skeptisch drein, als er vorsichtig erwiderte: „Ich denke nicht, dass wir derartig euphorisch werden sollten...“
„Das liegt auch ganz bestimmt nicht in meiner Absicht.“ Doch Jack wusste sofort, dass er sich nicht an seine eigene Beteuerung halten konnte. Die Begeisterung, die er eben noch vermisst hatte, brach durch. „Aber denken sie an die Möglichkeiten, die wir jetzt haben“, erklärte er deswegen. „Das ist die Chance auf die wir Jahre lang gewartet haben und ich will verdammt sein, wenn wir sie nicht nutzen.“
Ein wenig kam ihm die Situation schon verkehrt vor. Normalweise war Daniel immer derjenige, der ihn für etwas begeistern musste. „Das Universum ist doch kein Hinterhof. Wie viele Welten mit Sternentoren gibt es? Da ist doch genug Platz für uns alle.“
Während er redete war ein versonnener Ausdruck in Daniels Gesicht getreten. „Wir wären nicht einmal auf das Stargate-Netzwerk beschränkt“, ließ er sich auf Jacks Gedanken ein. „Überlegen sie einmal. Wir könnten uns vielleicht ein Raumschiff besorgen und zu Planeten reisen, die kein Stargate haben. Selbst wenn die Reise Jahre dauern würde... Was würde uns hindern?“
Jack gab zu, sich geirrt zu haben. Er hatte Daniel nie für diese Idee begeistern, sondern nur dazu bringen müssen, seine ewige Besonnenheit abzulegen. Daniel hatte die gleichen Träume wie Jack, sogar noch viel weitreichendere. Und all diese Gedanken begannen nun zögerlich, aber immer schneller aus ihm hervorzusprudeln. Allmählich begannen beide ihre Scheu vor diesen Ideen zu verlieren, diskutierten die Möglichkeiten, die sich nun eröffneten durch und malten sie in den schönsten Farben aus.
Sie hatten unermesslich viel Zeit und ihnen stand ein unermesslicher Raum zur Verfügung. Sie konnten durch das Universum streifen und alles tun, was sie für richtig hielten. Wenn es ihnen beliebte, konnten sie jederzeit zur Station zurückkehren oder sie genauso gut für immer verlassen. Irgendwann könnten sie sogar wieder zurück auf die Erde gehen.
Sie waren frei, der Reaktor war fast fertig, Carter hatte es geschafft – was sollte jetzt noch schief gehen? Die Jahre, in der sie in dieser Station gefangen gewesen waren und nur die Zeit totgeschlagen hatten, waren vorbei. Sie mussten sich nicht mehr von den Umständen vorschreiben lassen wie sie zu leben hatten. Sie konnten endlich wieder so leben, wie sie es wollten. Ganz sicher...

Beeindruckend. Wirklich beeindruckend, das Gerät von Captain Carter. Harlan hätte nicht gedacht, dass so etwas möglich gewesen wäre. Wenn er nicht mit Sicherheit gewusst hätte, dass ihr Unterfangen zum Scheitern verurteilt war, wären ihm beim Anblick des Reaktors sicher Zweifel gekommen.
Er hatte sich von ihr erklären lassen, wie er funktionierte. Sie hatte wahrscheinlich gehofft, dass er sie im Gegenzug unterstützen würde und tatsächlich hatte er mit dem Gedanken gespielt, ihr die Wahrheit zu sagen. Dennoch hatte er sich dagegen entschieden. Sie hätte ihm sowieso nicht geglaubt. Die einzige Möglichkeit, dass sie und die anderen drei ihre Existenz endlich akzeptieren würden, lag darin, dass sie erkennen mussten einfach keine andere Wahl zu haben.
Bis dahin konnte er nur hoffen sie von allzu gefährlichen Experimenten mit dem Reaktor abhalten zu können. Schließlich konnten sie nicht lernen sich an etwas zu gewöhnen, wenn sie tot waren.


* * *


„Glauben sie wirklich, dass dies eine gute Idee war, Captain?“ Jack sah zu Harlan, der in der Ecke des Labors stand. Mit seinen gefalteten Händen, dem schwarzen Umhang über seiner Arbeitskleidung und seinen wenigen Haaren hatte er eine frappierende Ähnlichkeit mit einem Mönch.
„Falls etwas schief gehen sollte, möchte ich ihn dabei haben, Sir“, erklärte Carter.
Obwohl Harlan sich bisher geweigert hatte ihnen bei ihren Plänen zu helfen, konnte Jack dagegen nichts einwenden. Er sah hinüber zu dem kleinen Rolltischchen, das neben der einzelnen Liege stand. Darauf befand sich ein eiförmiges, kleines Gerät. Es war silbern und so glatt, dass man sich darin spiegeln konnte. Mehrere kleine Buchsen führten in sein Inneres. Es war wirklich eine Glanzleistung.
Der Reaktor summte kaum hörbar vor sich hin. Jack fragte sich, ob man das hören würde, wenn er ihn einmal in der Brust tragen würde. Alle seine Hoffnungen ruhten auf diesem Gerät und dem Versuch, der ihnen jetzt bevorstand. Sie mussten erst herausfinden, ob ihre Körper die Energiequelle auch wirklich annahmen, bevor sie das Gerät, das die Energie der Station anzapfte, endgültig aus ihren Körpern ausbauten und dafür den Reaktor einsetzten.
Daniel stand mit verschränkten Armen vor der Liege und schien etwas unsicher zu sein. Kein Wunder, denn er hatte sich zu Jacks Verwunderung bereiterklärt, den Reaktor an sich zu testen. Vielleicht war sein Interesse hier fort zu kommen doch größer als er sich eingestehen wollte. „Daniel?“ fragte er ihn.
Er sah Jack an und nickte tapfer. Carter erklärte ihm, was nun passieren würde. „Wir werden ihre Körperfunktionen mit einem Dämpfungsfeld herunterfahren. Sie haben das ja schon bei Colonel O’Neill gesehen...“ Sie vergewisserte sich davon, dass er ihr folgen konnte. „Es wird jedoch unmöglich sein, ihr Bewusstsein völlig auszuschalten, da wir ansonsten nicht richtig testen können. Sie werden aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr viel fühlen, auch keinen Schmerz... das denken wird ihnen auch schwer fallen.“ Sie wich seinem Blick aus, als sie bekannte: „Die Wahrheit ist aber, dass ich es nicht genau weiß. Wir haben das in dieser Form noch nie gemacht.“ Wenn Daniel diese Erklärung etwas ausmachte, so zeigte er es nicht.
„Ihr habt vor eine andere Energiequelle an seinen Körper anzuschließen“, erkannte Harlan.
„Kluges Kerlchen“, warf Jack trocken ein.
„Das dürft ihr nicht tun, es würde ihn beschädigen.“
„Wieso?“ fragte Carter schnell.
„Alles zu seiner Zeit, alles zu seiner Zeit“, wich Harlan ebenso schnell aus. „Irgendwann werdet ihr es verstehen.“
„Aber...“
„Hören sie gar nicht auf das dumme Geschwätz, Captain“, unterbrach sie der Colonel. „Der will doch bloß nicht, dass wir hier fort kommen.“ Er sah zu Daniel. Dieser zögerte kurz und zuckte dann die Schultern.
„Oh, nein, wartet! Es ist unmöglich“, rief Harlan, als Daniel sich anschickte sich auf die Liege zu legen.
„Wieso?“ warf Teal’c mit steinerner Mine ein.
Auch Daniel konnte nicht länger schweigen. „Harlan, du hast doch gesagt, dass einige deines Volkes fort gingen – mit tragbaren Energiequellen!“ bohrte er nach.
Harlan nickte und machte ein paar Geräusche, die das wohl untersteichen sollten.
„Also wieso ist es unmöglich?“ forderte Daniel ihn heraus.
„Ihr seid anders“, murmelte er kaum hörbar.
„Inwiefern?“ fragte Teal’c.
Harlan wand sich und suchte nach Worten, um sie zu vertrösten. Letztendlich schwieg er aber.
Nach einer kurzen Pause fragte Jack. „Irgendwelche Bedenken?“ Er sah in die Runde. „Daniel?“ Daniel schüttelte den Kopf und legte sich hin.
„Oh. Oh!“ winselte Harlan und begann an seinen Fingernägeln zu kauen. Carter trat an den Kopf der Liege und griff nach der Kurbel, die das Feld steuerte. „Wartet!“ kreischte er dann.
Langsam begann er Jack zu nerven. „Nenn uns einen Grund, einen einzigen triftigen Grund!“ rief er vielleicht ein wenig zu laut.
Der kleine Mann sah mit dem hohen Kragen seines Anzugs ständig so aus, als würde er mit eingezogenem Kopf herumlaufen. Jetzt schien er noch ein Stück kleiner zu werden. „Ihr seid anders als diejenigen, die fort gingen“, erklärte er ängstlich. „Eure Systeme können nur von einer Energiequelle mit den gleichen Eigenheiten wie die der Station gespeist werden. Und so etwas ist unmöglich zu bauen.“ Er strahlte schon wieder. Seine Angewohnheit schlechte Nachrichten wie eine Rettung aus dem Elend darzustellen war genauso unübertroffen wie seine plötzlichen Stimmungsumschwünge.
„Du hast uns extra so gebaut, dass wir nicht weg können?“ fragte Daniel ungläubig.
„Natürlich! Ich konnte doch nicht riskieren, dass ihr wie die anderen geht und nicht zurückkommt“, erklärte Harlan treuherzig mit einem kleinen Lächeln. „Ich brauche euch doch.“
„Du verdammter, kleiner...“ presste Jack zwischen den Zähnen hervor. In seinen Gedanken sah er sich, wie er diesen Mistkerl an die nächste Wand drückte. Doch er beherrschte sich. „Carter?!“ schnauzte er statt dessen. Alles, was er hören wollte, war, dass Harlan Blödsinn verzapfte.
Die Physikerin schluckte und zog die Mundwinkel nach unten. „Nun ja, das wäre theoretisch möglich... Aber ich habe die Leistungsdaten der Energiequelle der Station exakt kopiert, ich kann mir nicht vorstellen, dass es da ein Problem geben könnte.“ Sie sah Harlan fragend an.
Dieser lächelte sie freundlich an. „Das glaubst du vielleicht“, meinte er fröhlich. „Die Abstimmung muss jedoch viel, viel exakter sein – und außerdem dürfte es da noch einiges geben, wovon du gar nicht weißt, dass du drauf achten musst.“ Er kicherte.
Carter schüttelte den Kopf. Sie sahen sich an.
Wenn ein todkranker Mann von den Ärzten eine Operation angeboten bekam, die er nur mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit überleben würde, aber er dafür mit hundertprozentiger Sicherheit in kürze tot sein würde – was würde er tun?
Sie brauchten keine Worte, um sich zu verständigen. Die Entscheidung war längst getroffen.
Daniel nickte noch einmal und Carter drehte an der Kurbel. Ein weißes Licht beleuchtete die Liege von unten. Daniel hörte auf zu atmen. „Aber, aber...“ hörte Jack Harlan jammern. Das Atmen hatte keine wichtige Funktion mehr für sie. Carter hatte ihnen erklärt, dass sie anstatt einer Lunge nun ein ziemlich raffiniertes und äußerst Platz sparendes Röhrensystem hatten, dass zusammen mit einigen Schaltungen in ihrem Hirn ihnen die Illusion von einer normalen Atmung vermittelte.
Wie er so dalag, hätte er eigentlich tot sein müssen. Dennoch waren Daniels Augen noch voller Leben, auch wenn sie bewegungslos an die Decke starrten.
O’Neill wollte jetzt nicht in Carters Haut stecken. Das sagte er sich schon seit sie durch das Stargate auf die Erde gegangen war. Sie mochte zwar viel über ihre Körper wissen, aber das alles war nur Theorie. Sie musste Daniels Brust öffnen und den Reaktor an sein Energiesystem anschließen.
Sie war in der gleichen Situation wie ein Arzt, der noch nie in seinem Leben operiert hatte und dessen erste Operation eine Herztransplantation an seinem besten Freund war. Sie mochten Maschinen sein, aber sie waren Maschinen in Menschengestalt.
Maschinen zu verändern erforderte von niemandem Überwindung. Jack glaubte sogar, dass das Basteln an Geräten für Carter etwas äußerst befriedigendes hatte. Wie war es sonst zu erklären, dass sie es schon öfters vorgezogen hatte, lieber an ihren seltsamen Gebilden rumzuschrauben, anstatt ihre Freizeit mit dem Rest des Teams zu verbringen. Jack hatte sie dafür immer abwechselnd für völlig durchgeknallt und dann wieder für äußerst bewundernswert erklärt.
Doch diese Maschine war nun mal Daniel. Sie sah nicht nur so aus, sie enthielt auch seinen Geist. Wenn Carter einen Fehler machte und der Maschine etwas zustieß, so stieß auch Daniel etwas zu. Was machte es schon für einen Unterschied, ob das Blut rot und flüssig oder weiß und schleimig war. Letztendlich floss beides aus offnen Wunden. Jack hatte weggesehen, als sie mit einem Laser-Skalpell Daniels Bauch geöffnet hatte. Fleischähnliche Lappen hingen nun zu beiden Seiten runter und darunter war Metall zum Vorschein gekommen. Jetzt war da überall dieser Schleim, der schon einmal aus Jacks Arm gequollen war.
Ihr Blut hatte nicht die gleiche Funktion wie das eines Menschen. Es pulsierte nicht einmal durch die Adern – auch der Puls war eine Illusion. Woher hätte der auch kommen sollen, wenn sie kein schlagendes Herz hatten. Das Zeug kroch statt dessen nur langsam durch ihren Körper. Es enthielt größtenteils Rohmaterie, die sich an allen Stellen des Körpers ablagerte, an der Verschleiß aufgetreten war und sorgte so dafür, dass ihre Körper nicht alterten.
O’Neill hatte auf Carters Bitte extra noch einige Lampen aufgetrieben und sie an die Decke montiert, damit sie besser sah, was sie da tat. Es stellte sich jedoch heraus, dass sie nicht viel nützen und so mussten Teal’c und er ihr nicht nur die diversen Werkzeuge reichen, sondern auch zugleich noch mit Taschenlampen in Daniels geöffnete Bauchhöhle leuchten. Wenn es kein Jahrzehnt her gewesen wäre, seit er das letzte Mal was gegessen hätte, dann hätte er sich bestimmt übergeben.
Irgendwann war es geschafft. Mehrere unansehnliche, schwarze Kabel führten vom Reaktor und diversen Messgeräten in Daniels Bauch hinein und verschwanden darin. Völlig erschöpft konnte Carter endlich wieder aufatmen. Er reichte ihr ein improvisiertes Handtuch, an dem sie ihre verklebten Hände abwischen konnte. „Gut gemacht“, flüsterte er.
Nun kam es drauf an. Ein kleiner Schalterdruck und Daniels Körper würde seine Energie nicht mehr von der Station oder seinen internen Reserven, sondern vom Naquadareaktor beziehen. Carter atmete noch einmal tief durch. Sie sah die beiden Männer an. Teal’c nickte ihr entschlossen zu. Keiner achtete auf den total verzweifelten Harlan.
Klick.
Nichts geschah. Alle sahen sie wie gebannt auf die Anzeigen der Messgeräte. Jack hatte keine Ahnung, was sie bedeuteten, aber alle leuchteten in einem beruhigenden Grün. Einen langen Augenblick starrten sie ungläubig auf die Monitore und warteten, dass etwas geschah. Doch alles blieb ruhig.
„Es funktioniert“, sagte Carter tonlos.
Völlig Stille.
Dann begann Teal’c zu lachen. Bisher hatte Jack geglaubt, dass Lächeln seine einzige, seltene Gefühlsregung war. Sein Gelächter war geradezu homerisch und hallte von den Wänden des kleinen Raums wieder. O’Neill und Carter stimmten mit ein. Die angestaute Spannung entlud sich von einem Moment zum anderen.
Nur Harlan stand in einer Ecke und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Er konnte es nicht mit ansehen. „Oh nein...“ schluchzte er.

Auf einmal stand ein markerschütternder Schrei im Raum. Sofort erstarb das Gelächter, aber der Schrei blieb und schien nicht abreißen zu wollen. Daniel hätte nichts fühlen dürfen und dennoch hörte es sich an, als würde er bei lebendigem Leib verbrannt.
Die eben noch grünen Anzeigebalken waren entweder auf nahezu Null gesunken oder lagen hoch im roten Bereich. Der Alarm war unter dem Schrei kaum zu hören. Geistesgegenwärtig schlug Sam auf den Schalter und trennte Daniel so von dem Reaktor.
Einige der roten Anzeigen sanken auf Null, doch er schrie weiter. „Carter!!“ brüllte O’Neill, aber sie wusste nicht was sie tun sollte. Sie hatte ja nicht einmal eine Ahnung was schief gelaufen war. Einen Moment spielte sie mit dem Gedanken ihn einfach aufzuwecken, aber das würde es vielleicht nur schlimmer machen. Hilflos stand sie daneben und sah mit an wie er Qualen litt.
Ihre Gedanken rasten, suchten nach einem Ausweg. Hatte Harlan doch Recht gehabt? Wie hatte sie seine Warnung nur so in den Wind schlagen können? Vielleicht waren es Phasenverschiebungen, die er nicht vertrug oder sie waren in einen Resonanzbereich gerutscht, der sein System überlud...
Aber was nutzten diese Überlegungen, wenn sie nichts tun konnte!
Wie durch ein Wunder hörte es plötzlich auf. Es wurde totenstill. Daniel schrie nicht mehr, dafür wurde sein ganzer Körper von Krämpfen erschüttert.
Hilfe kam von einer Seite, die Carter schon längst abgeschrieben hatte. Harlan hatte sich von Anfang an geweigert ihr zu helfen, doch jetzt, wo das Leben eines seiner Kameraden auf dem Spiel stand, war er da. „Der Reaktor hat sein Energiesystem gestört“, erklärte er jetzt völlig professionell. Sie sah ihn mit offenem Mund an. „Ich kann ihn reparieren.“
„Dann tu es!“ forderte ihn O’Neill auf.
„Ich brauche Ruhe“, verlangte Harlan. „Lasst mich allein. Fort mit euch!“ O’Neill und Teal’c verließen das Labor. Auch Sam machte einige Schritte auf den Ausgang zu. Doch auf halbem Weg blieb sie stehen. Ihr Blick blieb an Daniel haften, wie er sich in seinen Krämpfen wand. Es war ihre Schuld. Sie hatte versagt.
Sie hätte alles getan, um ihm zu helfen, doch sie wusste nicht wie. Nur Harlan konnte ihm helfen. Er stand vor ihr, machte Geräusche wie eine nervöse Hummel und versuchte sie mit windigen Handbewegungen zu verscheuchen.
„Kommen sie, Carter“, hörte sie den Colonel rufen. Wenn sie Daniel durch ihre Abwesenheit helfen konnte, also bitte. Beflügelt von diesem Entschluss stürzte sie aus dem Raum.
Die Tür schlug hinter ihr schwer ins Schott. Orientierungslos blieb sie stehen, die Gedanken wirbelten umher. Langsam bewegte sie sich an dem Endmontagekäfig und seinem Kontrollterminal vorbei zur gegenüberliegenden Seite des Raumes. Verzweifelt stützte sie sich gegen die vergitterte Wand.
Hier brach der Wall, der den so sorgsam zurückgehaltenen Strom der Verzweiflung bisher aufgehalten hatte. Er überrollte sie wie eine alles erstickende Woge. Sie konnte sich nicht dagegen stemmen und so wurde sie mitgerissen. Verzweiflung, Selbstvorwürfe und Furcht vor der Zukunft vereinigten sich zu einem alles vernichtenden Strom, der sich durch ihr Gehirn fräste.
Was habe ich getan?
Von weit her hörte sie eine vertraute Stimme. „Was sie tun mussten.“
Dann tauchte sie vollends unter.


weiter: Teil 2


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