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Prime Directive von Sphere

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Vorwort



Staffel: Die Einleitung spielt während der 6. Staffel, während der Rest im Verlauf der 8. Staffel angesiedelt ist.

Anmerkung: Diese Story gehört zu meinen persönlichen Lieblingsgeschichten. Der Begriff „Prime Directive“ entstammt ursprünglich Star Trek und benennt dort ein Prinzip, welches den Kontakt mit anderen Völkern reguliert. Ironischerweise wurde diese wichtige Direktive dort zwar oft zitiert, dann aber aus mehr oder weniger gewichtigen Gründen übergangen. Ich wollte schon lange ein plausibles Szenario finden, in dem die Direktive zwar zweifelhaft, aber dennoch richtig erscheint. Die Ironie von meiner Seite lag allerdings darin, daraus eine Stargate-Geschichte zu machen. Neben dem genannten moralischen Dilemma gibt es in der Story aber auch Konflikt zwischen unseren Hauptfiguren. Ich fand es immer schade, dass die Autoren in der 8. Staffel offenbar nichts mit der Tatsache anzufangen wussten, dass Carter die Führung des Teams übernommen hatte. In meiner Geschichte ist dies durchaus ein Thema und es zeigt sich, dass Carter die Dinge etwas anders als O’Neill handhabt. Da dieser sich jedoch noch sehr stark für die Handlungen seines alten Teams verantwortlich fühlt, geraten die beiden aneinander.
Prime Directive



FEBRUAR 2003
BEKANNTSCHAFTEN WERDEN GESCHLOSSEN


Es war ein kleiner Schritt für einen Menschen. Colonel O’Neill ging durch das Stargate – und trat ins Leere.
Er taumelte, doch schon einen Sekundenbruchteil später traf sein Fuß auf Widerstand. Neben ihm krallte sich Jonas an Teal’c fest und riss ihn fast mit sich zu Boden. Schwankend kämpfte auch O’Neill um einen festen Stand.
Doch schließlich fanden sie alle ihr Gleichgewicht wieder. Das Stargate lehnte lose an der Wand der Raumes. Entsprechend befand sich die Innenseite des Ringes nicht ebenerdig mit dem Boden und folglich hatten ihre Füße erst einige Zentimeter tiefer Halt gefunden.
„Wow“, machte Jack nach dem unerwarteten Schreck.
Der Raum hatte steinerne Wände wurde nur spärlich von zwei verglasten Öffnungen erhellt, hinter denen Tageslicht in einen Schacht fiel. Bis auf ihr MALP und das auf seiner Seite liegende DHD war der Ort kahl und leer. So schien es zumindest.
Es dauerte einen Moment, bis Jack die Gestalt im Schatten nahe des Eingangs bemerkte: Da war ein Junge, der sie mit großen Augen anstarrte. Er trug Kleidung, die nicht gerade auf die technisch fortgeschrittenste Kultur hindeutete. Jonas wäre bestimmt in der Lage allein damit sein Volk einzuordnen, womöglich sogar besser als Daniel dazu in der Lage gewesen wäre – doch Jack hatte nicht die Absicht, ihn danach zu fragen.
Hinter ihnen schaltete sich das Stargate ab.
Mit einem kurzen Blick vergewisserte sich Jack, dass keiner seines Teams auf die Idee kam, eine Waffe auf den Jungen zu richten.
„Hallo...“, meinte Jack leichthin an den Jungen gewandt. „Ihr solltet hier mal eine Gangway installieren, wisst ihr das?“
Unruhig trat der Junge von einem Fuß auf den anderen. Er war vielleicht neun Jahre alt und hatte kurzes, blondes Haar.
„...eine Gangway“, versuchte Jack zu erklären, „damit steigt man gewöhnlich aus einem...“ Da Jack jedoch nicht wusste, wie er seinem Gegenüber Flugzeug erklären sollte, versiegte dieser Erklärungsversuch im Ansatz. Etwas ratlos wechselte er das Thema. „Ich bin Jack“, stellte er sich vor. „Das sind Jonas, Teal’c und Sam Carter.“
„Iden“, nannte auch der Junge in einem Reflex seinen Namen. Dann richtete er sich ein Stück auf. „Dies ist das Haus meines Onkels“, erklärte er fest. „Gewöhnlich fragen Besucher ihn um Erlaubnis, bevor sie es betreten.“
„Oh!“ Jack sah sein Team an. Der Junge gefiel ihm. „Das tut uns leid... Meist du, wir könnten deinen Onkel noch nachträglich um Erlaubnis bitten?“
Iden überlegte einen Moment und grinste dann. „Wie habt ihr das gemacht?“ Ihre fehlende Erlaubnis war schnell vergessen. „Es sah aus, als wäre Wasser in Onkels Ring gewesen und ihr wärt daraus hervorgekommen!“
„Nun, das sah so aus – weil es so war.“
„Dieser Ring brachte uns von einem der Sterne, die du Nachts am Himmel siehst, genau hier her“, erklärte Jonas.
Jack erkannte das begeisterte Funkeln in den Augen von Iden. „Das ist cool“, schlug er eine Formulierung vor, um dessen Gefühle in Worte zu fassen.
„Cool...“, wiederholte Iden gedehnt.
„Genau“, erwiderte Jack. Wie gesagt: der Junge gefiel ihm. „Meinst du, du könntest uns mal deinem Onkel vorstellen?“

Der Onkel erwies sich als ein Mann namens Vigor. Er war ein älterer, leicht dicklicher Mann, dessen gemütliches Aussehen im Gegensatz zu seinem hektischen Auftreten stand.
„Ich selbst habe ihn dort hin bringen lassen, um ihn zu untersuchen. Ich weiß, dass in meinem Keller ein Ring steht“, erwiderte er auf Jacks Kommentar hin. Vigor überlegte einen Moment. „Zeigt es mir“, bat er sie dann.
Also gingen sie wieder hinab und Carter aktivierte das Gate. Obwohl es für Jack tägliches Brot war, beeindruckte es ihn jedes Mal von neuem, wie sich das Tor mit einem lautstarken Kawoosh öffnete.
„Cool“, kam es neben ihm von Iden.
Neugierig eilte Vigor zum Tor, um es sich von nahem anzusehen. Vorsichtig strich er mit der Handfläche über das silbrige Wabern.
Als er damit fertig war, wandte er sich wieder ihnen zu, ernst und skeptisch dreinblickend. „Das beweist noch lange nicht, dass ihr von einer anderen Welt stammt...“ Doch dann hellte sich seine Mine auf. „Aber mir ist es Indiz genug. Kommt!“ rief er mit erhobenen Armen. „Es soll uns niemand auf einem anderen Stern vorwerfen müssen, dass wir nicht gastfreundlich wären!“ Schnell eilte er wieder hinaus.
So gefiel Jack das. Es schien nicht überall im Universum von Problemen zu wimmeln.
Er fragte sich, ob Vigors Gastfreundschaft auch ein gutes Essen mit einschloss.

Jonas kannte die Umweltdaten des MALPs auswendig. Nicht, weil es sie gelernt hätte, er hatte sie lediglich überflogen und sie waren in seinem Gedächtnis hängen geblieben.
Doch diese Daten hatten ihn nicht auf den Anblick des tiefgrünen Himmels über 8045KG vorbereiten können. Eine riesige, grüne Fläche, über die grünliche Wolken hinweg zogen. Ein äußerst imposanter und völlig ungewohnter Anblick. Jonas hatte schon vieles gesehen, aber dieser Himmel hatte etwas, das ihn zutiefst beeindruckte.
Nach einer vorzüglichen Mahlzeit hatte Vigor ihnen vorgeschlagen, sie mit dem hiesigen Herzog zusammen zu bringen und kurz darauf hatten sie sich auf den Weg gemacht.
Es wäre nicht übertrieben gewesen zu sagen, die Straßen seien von hektischer Aktivität erfüllt gewesen, denn genau das war der Fall. Die Menschen eilten an ihnen vorbei, jeder von ihnen schien gerade etwas zu erledigen oder dahin zu gehen, wo es etwas zu erledigen gab. Alle wirkten sie irgendwie beschäftigt und selbst der langsamste Passant schritt hier noch schneller voran, als auf jeder anderen Welt, die Jonas besucht hatte.
Die Stadt erschien neu. Es dauerte eine Weile, bis Jonas erkannte woran das lag: zum einen daran, dass ständig gebaut wurde. Sie kamen an mehreren Baustellen vorbei, welche deutlich machten, dass die Bewohner von Mirphak nicht lange fackelten ein altes Haus abzureißen oder eine bröckelnde Fassade zu ersetzten.
Der andere Grund lag in der ausgeprägten Reinheit der Straßen. Obwohl sie anscheinend nicht über eine Kanalisation verfügte, war sie sauberer als die meisten Städte auf Kelovna.
Es stellte sich als kein Problem heraus, zum Herzog vorgelassen zu werden, derartige Audienzen schienen nicht allzu ungewöhnlich zu sein.
Der Herzog war ein ernster, sehr auf Höflichkeit bedachter Mann. Seine Kleidung bestand aus hochwertigen Stoffen, hätte aber bis auf den silbernen Stirnreif vom Stil her auch von jedem anderen Bürger dieser Welt getragen werden können. Die Tatsache, dass sie von einem anderen Stern kamen, war zwar etwas, das in seinem Weltbild bisher nicht vorgekommen war, das sich aber erstaunlich schnell und ohne Probleme darin integrierte.
Sie unterhielten sich etwa eine Stunde miteinander. Dabei erfuhren sie einiges über diese Welt und nicht nur, was offen angesprochen wurde. Jonas war ein so guter Beobachter, dass er auch vieles von dem mitbekam, was zwischen den Zeilen eigentlich hätte verborgen bleiben sollen.
Demnach bestand die hier bekannte Welt aus einem einzelnen Kontinent. Zwar war schon lange bekannt, dass der Planet eine Kugel war, aber mit dem Bau von Hochseeschiffen zur Erkundung des umliegenden Ozeans tat man sich schwer.
Der Kontinent teilte sich in hunderte von Herzogtümern auf, zwischen denen es immer wieder zu mehr oder minder heftigen Intrigen oder Reibereien kam. Hin und wieder kam es zu Kämpfen. Doch Kriege oder weitervererbte Feindschaften gab es nicht. Dazu war hier alles zu schnelllebig, zu sehr in Fluss.
Da Jonas das Interesse an ihrer Kultur bekundet hatte, verließen sie das Regierungsgebäude an der Seite eines der städtischen Historiker, der begann sie durch die Stadt zu führen. Dabei erfuhren sie beispielsweise, dass gerade mit dem Verlegen von oberirdischen Wasserleitungen begonnen wurde, um das Wasser schneller zu den Haushalten zu bringen.
Je länger sie sich hier aufhielten, desto mehr rückte Jonas von seiner ursprünglichen Einordnung dieses Volkes ab. Aufgrund seiner anfänglichen Beobachtungen hatte er sie in die Schublade der Renaissance der Erde gepackt. Aber auch hier stellte er mal wieder fest, dass eine solche Aussage Unsinn war, denn jede Welt entwickelte Technik und Kultur auf ihre eigene Weise. Er fand immer mehr Unterschiede zu besagter Epoche.
Während des Rundgangs stellte sich heraus, dass Vigor eine Art Wissenschaftler war, der dann auch sehr bald begann mit Major Carter zu fachsimpeln. Eine halbe Stunde nach Beginn dieses Gesprächs setzten sich die beiden ab, weil Vigor dem Major seine Forschungen zeigen wollte.
Eineinhalb Minuten später waren auch Colonel O’Neill und Teal’c verschwunden. Iden wollte ihnen ein Ballspiel zeigen und die beiden nahmen die Einladung nur allzu gerne an.
Doch Jonas hätte um nichts in der Welt den eifrigen wie unermüdlichen Historiker unterbrechen wollen. Nicht nur fand er dessen Aussagen wahnsinnig interessant. Sie waren schließlich hier, um diese Welt zu erkunden. Und dies war es was er tat. Auf seine Weise.

Es war Abend geworden. SG-1 hatte sich wieder in Vigors Haus getroffen. Vigor selber hatte sich mit Iden in die Küche zurückgezogen. Jedes Angebot von ihrer Seite, ihm beim Kochen zu helfen, hatte er abgelehnt.
Jetzt saß Jonas zusammen mit dem Rest des Teams am großen hölzernen Tisch des Wohnzimmers und sah Colonel O’Neill dabei zu, wie er versuchte Major Carter die Vorzüge des hiesigen Ballspiels zu erklären. Es war ein ziemlich abstruses Spiel, wie Jonas fand. Jedenfalls schien der Major die Begeisterung von O’Neill ebenso wenig wie Jonas nachvollziehen zu können. Teal’c saß schweigend daneben, die Mine steinern wie immer, jedoch zu einem angedeuteten, geradezu amüsierten Lächeln verzogen.
„Und...“, gab sich der Colonel schließlich geschlagen, „was haben Sie so erlebt, Carter?“
„Sie werden es nicht glauben, Sir“, meinte diese. „Vigor arbeitet an Elektrizität. Er weiß es nur noch nicht.“
„Er weiß es noch nicht“, wiederholte der Colonel. „Das macht Sinn.“ Er überlegte. „Vielleicht...“ Es war ihm anzusehen, dass er der Aussage keinen Sinn entnehmen konnte.
„Nun ja, Sir“, erklärte sie. „Eigentlich will er herausfinden, was Metall zum rosten bringt. Dabei hat er angefangen verschiedene Metalle in verschiedene chemische Lösungen zu legen und sie dabei auch manchmal miteinander zu verbinden. Wenn man sowas richtig macht, erhält man eine primitive Batterie – nur woher sollte er das wissen? Man kennt hier noch keinen Strom.“
„Dann könntest du ihn doch darüber aufklären“, schlug Jonas vor.
„Dein Wissen könnte sich bestimmt als sehr hilfreich für diesen Planeten erweisen“, fügte Teal’c hinzu.
„Das dachte ich auch“, erwiderte der Major. „Doch ihr hättet sehen sollen, wie Vigor in sich zusammengesackt ist, als ich versucht habe, ihm die Zusammenhänge zu erklären.“ Jonas glaubte bereits zu verstehen, noch bevor sie ihre Erklärung vollendet hatte. „Für ihn hier ist das absolutes Neuland. Er ist der Erste, der es entdeckt und interpretiert. Wenn ich ihm jetzt sage, dass das alles für uns ein alter Hut ist, wird es den Reiz für ihn verlieren. Ich will ihm das nicht wegnehmen.“
Ehe irgendwer etwas erwidern konnte, hörten sie Schritte im Korridor und Vigor kam gefolgt von Iden mit einem riesigen, gusseisernen Topf angestapft. Sein dampfender Inhalt erwies sich als Eintopf, dessen ausschließlich außerirdischer Inhalt ihn ziemlich abenteuerlich erscheinen ließ.
Im Gegensatz zur Skepsis des restlichen Teams war Jonas einfach nur neugierig und der Erste, der davon kostete. Es schmeckte, wie auch das Mittagessen zuvor, vorzüglich. Eifrig begann er, es in sich hinein zu schaufeln.
Während sie aßen meinte Iden zu Colonel O’Neill: „Am Stadtrand gibt es einen Teich mit Nachtschwärmern. Wir könnten nach dem Essen dort Angeln gehen, wenn du willst.“
„Oh, vielen Dank.“ O’Neill warf einen kurzen Blick hinüber zu Vigor. „Ich fürchte nur, wenn wir da jetzt noch hingehen, kommst du nicht mehr rechtzeitig ins Bett...“
„Ins Bett?!“
O’Neill zuckte entschuldigend mit den Schultern.
„Ich hab noch nie geschlafen!“
Jonas konnte sehen, wie seinen Begleitern der Bissen im Hals stecken blieb. Viel sagende Blicke wurden innerhalb des Teams ausgetauscht.
Doch obwohl Jonas gemütlich weiterkaute, wusste auch er ganz genau, was diese Eröffnung bedeutete: Schwierigkeiten.
„Na ja...“ räumte Iden als Reaktion auf ihr Unglauben ein. „Ein einziges, kleines Mal. Aber nur ganz kurz und nur weil ich noch klein war!“
Stille.
„Und das ist bei euch normal?“ vergewisserte sich Jonas.
„Natürlich“, meldete sich jetzt Vigor zu Wort. „Warum sollte es das nicht sein?“ Er sah sie an, als würden sie sich darüber wundern, dass die Sonne über den Himmel wanderte.
In Jonas Hirn wirbelten die Missionsberichte der Jahre vorbei, in denen er noch nicht Teil des Teams gewesen war. Assoziationen entstanden, Vergleiche taten sich auf. Einer vagen Ahnung folgend fragte er: „Wie alt bist du, Iden?“
„Fünf.“
„Fünf was?!“ kam es von O’Neill.
„Jahre natürlich“, antwortete Vigor an Idens Stelle gereizt. „Was habt ihr eigentlich plötzlich?“
„Nun, nach unseren Maßstäben müsstest du viel älter sein – und ihr solltet eigentlich wie wir regelmäßig schlafen müssen“, erklärte Jonas ihm.
„Ich sehe euer Problem nicht. Schließlich kommt ihr von einer anderen Welt“, setzte Vigor dem entgegen und bewies damit mal wieder, wie schnell er sich auf neue Situationen einzustellen vermochte. „Ich finde es schon erstaunlich genug, dass wir überhaupt gleich aussehen. Für mich hört sich der Rest nach vernachlässigbaren Details an.“
„Das wir gleich aussehen liegt daran, dass wir alle gemeinsame Vorfahren haben“, rezitierte Jonas die so oft erzählte Geschichte. „Wir haben Menschen auf vielen Welten getroffen, aber die wenigsten unterschieden sich von uns – und wenn sie das taten, dann oft, weil sie unter irgendeiner Art von Einfluss standen.“
„Was denn für ein Einfluss?“ fragte Iden.
„Naniten“, kam es von Carter. Auf die fragenden Blicke hin, die von den beiden auf sie einprasselten, musste nun sie erklären. „Das sind winzig kleine Maschinen. So klein, dass man sie mit bloßem Auge nicht sieht. Sie bewegen sich durch eure Körper und... könnten ihn irgendwie verändern.“
„Aber das ist nur eine Vermutung von dir“, zweifelte Vigor.
„Wir hatten schon öfters mit solchen Viechern zu tun“, verteidigte O’Neill. „Glaub mir. Das ist sehr gut möglich.“
„Und wenn schon! Wir sind kerngesund. Unser ganzes Volk ist so und war immer so!“
So hatte jeder seine eigenen Maßstäbe. Woran sollten sie sich messen, wenn es bis heute morgen keinen Vergleich gegeben hatte.
„Aber es sollte nicht so sein!“ kam es heftiger von O’Neill.
„Was der Colonel damit sagen wollte...“, ging Major Carter dazwischen bevor die beiden anfingen sich zu streiten, „ist, dass wir besorgt um euch sind. Und um rauszufinden, ob das gerechtfertig ist, müssen wir mehr wissen.“ Vigor schwieg. „Ich schlage vor, dass wir Doktor Fraiser die beiden untersuchen lassen. Sir“, fügte sie wieder an den Colonel gewandt zu. „Sie kann uns besser sagen, was hier los ist.“
„Sie ist Ärztin“, erklärte Jonas, der sofort realisierte, dass die beiden nicht wussten, von was geredet wurde. „Sie könnte durch den Ring zu uns kommen und euch einmal ansehen.“ Da er sich nicht sicher war, was man hierzulande unter einem Arzt verstand, merkte er noch an: „Sie wird euch nichts tun. Und wir wären beruhigt.“
Vigor sah sie eine Weile an. „Schön.“ Er zuckte die Achseln. „Wenn es euch beruhigt. Eure Ärztin wird nur rausfinden, dass es uns gut geht.“
Jonas hoffte, dass er damit recht behielt. Vielleicht war es hier wirklich normal. Glauben tat er es jedoch nicht. Er hatte gelernt, dass bei Missionen von SG-1 selten etwas normal war.
„Das Essen wird kalt“, meinte Vigor und widmete sich wieder der Mahlzeit.

Doktor Fraiser war in Jonas’ Augen die geborene Ärztin. Nicht nur, weil sie fachlich kompetent war, sondern vor allem wegen ihrer Freundlichkeit und ihres Einfühlungsvermögens. Die Ärzte mit denen Jonas auf Kelovna zu tun gehabt hatte waren zuletzt ausschließlich Strahlungskontrolleure gewesen – knochentrockene Bürokraten. Doktor Fraiser dagegen pflegte einen sehr guten Umgang mit ihren Patienten.
Nachdem SG-1 sehr zum Unbehagen ihres Gastgebers die Nacht schlafend verbracht hatte, war am nächsten Morgen die Ärztin im roten ABC-Schutzanzug mit zwei großen Koffern eingetroffen und hatte seitdem Iden und Vigor bzw. die Proben, die sie von ihnen genommen hatte, untersucht.
„Ich kann nichts finden“, verkündete sie letztendlich mit inzwischen abgenommenem Helm.
Sie waren unter sich, denn Vigor und Iden befanden sich mit Major Carter in Vigors Labor.
„...in meinen Augen sind sie gesund.“
„Haben Sie sie gefragt, wie alt sie sind?“ erwiderte Colonel O’Neill gereizt. „ Das nennen Sie gesund?“ Die Sorge stand dem Colonel ins Gesicht geschrieben.
„Habe ich“, erklärte Doktor Fraiser gelassen. „Ich habe sie auch gefragt wie alt sie gewöhnlich werden. “
Jonas gab zu, dass dies eine gute Frage war. „Und?“
Sie wiegte kurz den Kopf. „Wenn man berücksichtigt, dass sie nicht schlafen und ihre Lebenserwartung wegen mangelhafter medizinischer Versorgung etwas geringer ist, werden sie so alt wie wir.“
„Sie meinen, die Stunden, welche sie in ihrem Leben wach verbringen, decken sich in etwa mit denen von uns?“ hakte Jonas nach.
„Ja. Sie altern lediglich schneller als wir, weil sie auch intensiver leben“, bestätigte sie. „Das schlägt sich natürlich in ihrem Stoffwechsel nieder: Sie veratmen mehr Sauerstoff, als ein gewöhnlicher Mensch, ihr Puls ist erhöht. Vermutlich arbeitet ihr Hirn auch ganz anders, weil es ohne Schlaf auskommen muss. Aber unter dem Aspekt des intensiver-Lebens ist dies nichts, was ich als krankhaft bezeichnen würde.“
„Also keine Nano-Viecher im Blut, keine bösen Killer-Viren irgendwo?“ vergewisserte sich O’Neill.
Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe nichts dergleichen gefunden.“
„Und es gibt gar nichts was sie tun könnten, damit sie wieder normal werden?“
„Colonel“, erklärte sie entschlossen und dennoch verständnisvoll. „Für diese Leute ist das normal. Und als Ärztin sehe ich nicht ein, warum ich versuchen sollte, die Natur dieser Menschen zu verändern.“
Es war offensichtlich, dass O’Neill das nicht einsah. Für ihn war das alles falsch und nachdem er diese Leute kennen und schätzen gelernt hatte, war es ihm nicht egal, was mit ihnen geschah.
Jonas dagegen leuchtete das Argument durchaus ein. Auch er unterschied sich aufgrund seiner immensen Aufnahmefähigkeit von den Menschen der Erde – dennoch hatte niemand ihm ernsthaft vorgeschlagen, daran etwas zu ändern.
Die Lebensart der Mirphakaner empfand er inzwischen eher als faszinierend als beunruhigend. Durch den Aspekt des fehlenden Schlafes löste sich das Problem der geringen Lebenserwartung plötzlich in Luft auf. Aber gerade die Sache mit dem Schlaf war es, die er so interessant fand. Gewöhnlich zwang das Schlafbedürfnis Menschen einen Tagesrhythmus auf: Man musste etwas noch heute erledigen oder etwas auf morgen aufschieben. Das führte zu einer inneren Uhr, die einem erst auffiel, wenn man zum Beispiel morgens durch das Stargate trat und auf der Nachtseite eines Planeten herauskam – was diese Uhr völlig durcheinander brachte.
Dieses Volk hatte derartige Probleme nicht. Für sie gab es statt Tag und Nacht nur einen Wechsel zwischen Hell und Dunkel, der zwar durchaus als Zeitmaß dienen konnte, aber sie seit der Entdeckung des Feuers nicht in ihrer Aktivität einschränkte. Dies gab ihnen die einmalige Möglichkeit ihre Aktivitäten rein nach deren Zweckmäßigkeit einzuteilen ohne dabei viel Rücksicht auf die eigene Biologie nehmen zu müssen.

Jack tat sich immer sehr schwer damit zu verstehen, was Daniel oder Jonas bei ihren Ruinen und Carter bei ihren Alien-Geräten hielt. SG-1 war nun mal ein Expeditionstrupp. Sie blieben nirgends lange. Sie sahen sich um, schätzten die Lage ein und gerieten dabei nicht selten in Schwierigkeiten – aber die eigentliche Erforschung, das Etablieren einer wie auch immer gearteten dauerhaften Präsens, sofern es denn dazu kam, wurde stets von anderen übernommen.
Er hatte damit nie ein Problem. Fast nie. Die Ausnahme war, wenn sie auf den Welten, die sie besuchten, eben nicht nur irgendeine Kultur mit ein paar eventuell sogar freundlichen Leuten vorfanden, sondern wenn er dort begann Freundschaften zu schließen. Dann tat es auch ihm leid wieder in dem Wissen durch das Gate zu treten, dass eine Rückkehr unwahrscheinlich war.
„Eine Rampe. Eine Treppe. Irgendwas...“, erklärte er mit Blick auf das Stargate. „Glaubt mir, es ist nicht gut, wenn das Ding einfach so an die Wand gelehnt ist...“
Iden grinste. Er verstand ihn!
Sie schüttelten die Hände. Jack wunderte es noch immer, dass ihn Vigor trotz der Hektik, die er dabei an den Tag legte, nicht nervte. Irgendwie glich er das aus, nur Jack begriff nicht, wie.
„Macht’s gut.“
Ein letztes Grinsen seitens ihrer Gastgeber, dann verließ SG-1 den Planeten.



AUGUST 2004
ENTSCHEIDUNGEN WERDEN GETROFFEN


General O’Neill brütete über zwei völlig belanglosen Missionsberichten der SG-Teams 3 und 18.
Brüten war in diesem Fall jedoch durchaus wörtlich zu verstehen: Seine verschränkten Arme lagen auf den beiden Mappen und polsterten seinen Kopf, der schwer auf dem Schreibtisch lag.
In Momenten wie diesem fragte er sich, warum er die Beförderung angenommen hatte. So sehr er General Hammond bewunderte, hatte er ihn nie um seinen Job beneidet. Was hatte ihn also getrieben?
Es gab eine Reihe von Gründen, die dafür in Frage kamen. Gute, ehrenwerte Gründe. Zum Beispiel dafür zu sorgen, dass die Führung des SGC in der Familie blieb. Bei jemandem, der die Leute hier kannte und der wusste, was hier wirklich los war.
Doch das war es nicht. Er hatte wohl einfach gefürchtet, dass er eines Tages auf irgendeinem fremden Planeten um sein Leben laufen würde – und feststellen musste, dass er zu alt dafür geworden war. Oder noch schlimmer: dass sein Team feststellen musste, dass sein Führer nicht mehr im Stande war, Risikoeinsätze zu bewältigen. Diesen Punkt hatte er nicht erreichen wollen. Niemals.
Die Beförderung zum Brigadier General gab ihm die Chance auszusteigen, ohne dabei gleich völlig aussteigen zu müssen.
Preis dafür waren die Berichte, über denen er brütete.
„Unplanmäßige Aktivierung von außen!“ dröhnte es aus den Lautsprechern, begleitet von den typischen Sirenen.
„Ja!“ Jack sprang erfreut über die Abwechslung auf. Den Tadel, dass er sich vielleicht gerade über durchaus ernste Schwierigkeiten freute, ließ er irgendwo auf seinem Weg in den Kontrollraum zurück.
„Kein Iriscode“, meldete Walter, als er Jacks Ankunft bemerkte.
„Iris schließen“, befahl dieser.
Natürlich hätte Walter das auch ohne Jacks ausdrücklichen Befehl getan, denn das war sein Job. Jack liebte es jedoch, derartige Befehle zu geben und vermutlich liebte es Walter ebenso diese auszuführen.
„Empfange ein einkommendes Radiosignal, kein IDC“, meldete Walter. „Ich gebe es auf die Lautsprecher.
„Hört mich jemand?“ erklang eine etwas verrauschte Stimme. „Hier ist Vigor von... 8-0-4-5-K-G. Ich würde gerne mit Colonel O’Neill sprechen...“
Wow. Jack hatte nicht damit gerechnet, dass Vigor das Funkgerät, das sie ihm überlassen hatten, je benutzen würde.
„Vigor! Wie geht’s denn so?“ beugte sich Jack zum Mikrophon herab.
„Es ist gut deine Stimme zu hören.“ Ein erleichtertes Aufseufzen. „Aber es geht mir nicht gut. Iden ist krank.“
Verdammt. Wieso meldete sich nie einer ihrer Freunde, nur um mal Hallo zu sagen, Hey wollen wir Angeln gehen? – etwas in der Art. Warum kamen alle immer nur, wenn sie etwas wollten?
„Da ihr damals so von eurer Medizin geschwärmt habt, hatte ich gehofft, ihr könntet uns vielleicht helfen.“
So hörte sich ein Mann an, der beim geringsten Zeichen von Ablehnung auf den Knien rutschen und betteln würde. Jack gefiel diese Vorstellung bei Vigor ganz und gar nicht.
„Vigor, kein Problem“, beschwichtigte er ihn.
„Danke!!“
„Wir schicken dir jemanden, okay? Dauert vielleicht ne halbe Stunde oder so. Ich selber kann leider nicht kommen, aber mit Carter bist du ja auch gut klar gekommen, oder?“
„Danke!“, wiederholte Vigor sich. „Ich erwarte euch dann in meinem Haus.“
Dann war da nur noch Rauschen.
„Vigor?“ fragte Jack.
Doch schon schloss sich das Tor wieder.
Ein bisschen Bedauern, dass Jack nicht selbst kommen konnte, hatte dieser schon erwartet.
„Ist etwas vorgefallen, O’Neill?“ kam Teal’cs ruhige Stimme von hinten.
Jack nahm vom Mikrophon wieder Abstand und drehte sich zu seinem Freund um. Teal’c strahlte die übliche, unerschütterliche Ruhe aus.
„Ja“, bekannte Jack schwer. „Iden ist krank geworden. Keine Ahnung, was er hat.“ Und als sich nicht gleich das Erinnern in Teal’cs Zügen zeigte: „Iden. Der quirlige Junge mit dem Ballspiel. Von...“, er wedelte in Ermangelung der Plantenadresse mit den Händen „...dem abgefahrenen Planeten, wo keiner schläft und sie nur halb so alt werden.“ Jetzt schien bei Teal’c der Groschen zu fallen. „Wo ist Carter?“
„Das ist mir nicht bekannt.“
„Eure nächste planmäßige Mission ist gestrichen. In einer halben Stunde brecht ihr zu dem Planeten auf“, beschloss Jack und stellte dabei fest, wie leicht ihm derartige GeneralHammond-Befehle über die Lippen gingen. „Such Carter und sag ihr das. Sie soll sich einen Mediziner schnappen und mitnehmen, vielleicht kann er helfen.“
Teal’c bedeutete mit einem tiefen Nicken, dass er verstanden hatte und entfernte sich dann rasch.
Das liebte Jack so an ihm. Es bedurfte nicht viel Worte, wenn man etwas von Teal’c wollte und Teal’c brauchte nie viel Worte, um kund zu tun, was er wollte. Nebenbei war er natürlich so ziemlich die zuverlässigste Person, die Jack kannte.
Jack drehte sich um und sah durch die dicke Panzerscheibe zum Stargate. Mal wieder drängte alles in ihm selber dort nach dem Rechten zu sehen. Rauszufinden, was mit dem Jungen los war und zu helfen.
Doch er würde hier bleiben. Er schickte seine besten Leute los. Ihm selber blieb nicht mehr, als abzuwarten. Mehr vermochte er nicht zu tun.

Es war ein kleiner Schritt für einen Menschen. Lieutenant Colonel Carter ging durch das Stargate – und trat auf eine Rampe.
Verwirrt blieb sie stehen und starrte in grelles Tageslicht, wo eigentlich die Dunkelheit eines Kellers sein sollte. Der Anblick der Menschentraube vor dem Gate ließ sie instinktiv die Waffe fester fassen.
Doch schnell entspannte sie sich wieder. Die Leute vor ihr schienen nicht ängstlich, geschweige denn feindselig zu sein. Und außerdem: der Himmel war grün. Es war also doch die richtige Welt, auch wenn das Stargate heute woanders stand. Hier gab es außer Überraschungen nichts zu fürchten.
Langsam schritt sie die Rampe herab, gefolgt von ihrem Team und Doktor Warner.
Obwohl sie einiges wieder erkannte, war auch einiges anders als vor anderthalb Jahren. Die Mode der Kleidung hatte sich verändert, an den Häuserfassaden zogen sich metallene Rohre entlang, die vorher nicht da gewesen waren.
„Teal’c, hast du eine Ahnung, wo genau wir sind?“ Ihr kam der kleine Platz, auf dem sie und das Tor standen irgendwie vertraut vor, aber die Stadtführung, welche sie in vollen Zügen genossen hatten, lag zu lange zurück, als das sie sich daran hätte erinnern können.
„Das habe ich leider nicht“, kam es bedauernd von Teal’c.
Jetzt hätten sie eben Jonas dabei haben müssen. Er hätte sich mit seinem phänomenalen Gedächtnis bestimmt erinnert.
Blieb also nur noch eine Möglichkeit...
Die Menschen blickten die Neuankömmlinge neugierig an. Überrascht waren sie nicht, sie schienen mit ihnen gerechnet zu haben. Vermutlich war die Funktion des Stargates hier längst Allgemeinwissen geworden.
Sam räusperte sich unbehaglich. Obwohl sie kein Problem damit hatte, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, gefiel es ihr nicht, einer breiten, anonymen Masse gegenüber zu stehen. „Wir suchen einen Freund namens Vigor. Kennt jemand den Weg zu seinem Haus?“ sagte sie in einer Lautstärke, dass sie alle hören konnten.
Schnell und direkt, bewertete sie sich selbst. Bei O’Neill hätte es sicherlich etwas anders geklungen. Weitaus flapsiger.
Von den zwei Dutzend versammelten Menschen begannen etwa die Hälfte hilfsbereite Erklärungen abzugeben. Es dauerte eine Weile, bis sie sich geeinigt hatten, wer denn jetzt den besten – und vor allem richtigen – Weg kannte und ihn dann ausführlichst erklärt hatten.
Sam bedankte sich freundlich für die Hilfe und marschierte dann mit dem Team los.

Er war gewachsen, sah aus wie zwölf.
Und er sah aus, als wäre er bereits tot.
Sam sah auf Iden hinab, der bewusstlos in einem Bett lag, angeschlossen an einige von Dr. Warners Geräten. Sein Atem war kaum zu sehen. Das Gesicht war bleich und eingefallen. Von Vigor hatten sie erfahren, dass die Opfer dieser Krankheit von einem Moment zum anderen umfielen – und nicht mehr aufwachten.
Heute früh erst hatte man ihr gesagt, dass der F-302 Pilot, dem sie vor kurzem noch einen Ordern verliehen hatte, gestorben war. Jetzt lag Iden im Sterben. Irgendwas lief im Moment definitiv nicht so, wie es sollte...
Sie ging hinüber in den angrenzenden Raum, in dem Dr. Warner sich mit seiner Ausrüstung ausgebreitet hatte.
Der Arzt war vergangenes Jahr ins SGC zurückgehrt, nachdem er einige Zeit in Area 51 verbracht hatte. Vielleicht war einer der Gründe für seine Rückkehr gewesen, dass es im SGC Torreisen zu unternehmen gab.
„Haben Sie schon etwas herausgefunden, Doktor?“
Warner sah von seinem Laptop auf, schob die Brille zurück und seufzte. „Ich fürchte nicht. Dieses Volk scheint sich unserer Medizin einfach zu entziehen.“ Er deutete auf das Display des Laptops. „Die Blutwerte des Jungen deuten darauf hin, dass mehrere seiner Organe versagen. Aber ich kann Ihnen nicht sagen wieso.“
„Würde es Ihnen helfen, wenn wir ihn ins Stargate Center bringen?“ Dort stand weit mehr Technik zur Verfügung als hier im Feld.
„Mir schon, aber nicht ihm“, erwiderte Warner abweisend. „Einem gesunden Menschen, ja selbst einem alten, gebrechlichen Menschen, macht eine Reise durch das Stargate nichts aus – ihm aber möchte ich das nicht zumuten. Er ist zu instabil. Wenn sein Herz erst einmal aussetzt, wird es nicht möglich sein, es wieder zum schlagen zu bringen.“
Das war deutlich.
Sam erkannte, dass sie hier nichts mehr tun konnte. „Bemühen Sie sich weiter, Doktor.“
Auf halbem Weg in den nächsten Raum kam ihr Daniel bereits entgegen. „Sam? Interessante Neuigkeiten. Du solltest besser mitkommen.“
„Klar.“ Das hatte sie sowieso vor gehabt.
„Diese Krankheit ist hier offenbar nichts ungewöhnliches“, erklärte Daniel, als sie das Wohnzimmer erreichten, in dem sich Vigor und Teal’c aufhielten. „Man nennt sie den Schlag. Iden ist also im wahrsten Sinne des Wortes vom Schlag getroffen worden.“
„Warum hast du uns davon nicht früher erzählt?“ wandte sich Sam an Vigor.
Doch dieser saß nur schweigend am Tisch und starrte vor sich hin. Er schien ihre Ankunft gar nicht bemerkt zu haben.
Kein Wunder, dachte Sam. Sie kannte keine Details, aber Vigor schien bei Iden die Vaterrolle übernommen zu haben – und zwar mit ganzem Herzen. Die Aussicht, dass das eigene Kind in kürze tot sein würde, musste ihn einfach erledigen. Mit seiner Bitte um Hilfe an sie klammerte er sich an seinen letzten Strohhalm.
„Auch auf der Erde gibt es eine Reihe tödlicher Krankheiten“, beantwortete Daniel die Frage. „Nur binden wir das auch nicht jedem bei der ersten Begegnung auf die Nase.“ Er musterte Vigor kurz und schien dann zu beschließen, die Geschichte selbst zu erzählen. „Die Mirphakaner haben herausgefunden, dass es für viele Krankheiten eine Ursache gibt – fehlende Hygiene, verdorbene Nahrung, der Kontakt mit bereits Erkrankten. Für den Schlag kennen sie jedoch keine Ursache... das heißt, kannten sie bisher nicht.“
Er zog eine kleine, auf dem Tisch liegende Landkarte zu sich heran und drehte sie so, dass Sam sie erkennen konnte. Die Karte war offensichtlich ein primitiver Druck, auf dem von Hand an mehreren Stellen Zahlen vermerkt waren.
„Das hat Vigor vor zwei Monaten von einem Kollegen erhalten. Die Zahlen sind die Menge der Opfer des Schlages in bestimmten Städten im Zeitraum von etwa 5 Jahren bezogen auf die Bevölkerung der jeweiligen Stadt. Zu erkennen ist, dass die Zahl der Toten sich in Richtung einer bestimmten Region zu verdichten scheint.“ Er umkreiste mit dem Finger ein immer noch recht großes Gebiet auf der Karte. „Das Problem ist, dass der Kollege von Vigor keine Ahnung hatte, was in dieser Region die Krankheit verursachen könnte. Auch Vigor fiel nichts ein. Aber als Iden erkrankte, dachte er noch einmal darüber nach und er erinnerte sich tatsächlich an etwas Ungewöhnliches in diesem Gebiet: dort befindet sich etwas, das sie den Unberührbaren nennen.“
„Den Unberührbaren?“ echote Sam gepackt von einer Mischung aus Neugier und Skepsis.
„Es ist nur ein Name.“ Vigor sprach leise und ohne aufzusehen. „Geprägt von längst vergangenem Aberglaube.“
Dann schwieg er wieder.
„Nach Vigors Beschreibung handelt es sich um irgendeine Konstruktion“, setzte Daniel die Erzählung fort. „Jeder, der versucht sie zu berühren, wird von einem lila Leuchten daran gehindert.“
„Hört sich für mich nach einem Schutzschild an.“
„Genau. Und es ist wohl kein Zufall, dass sich diese Maschine dort befindet, wo am meisten Leute krank werden.“
„Aber warum sollte jemand so etwas tun?“ zweifelte Sam. „Eine Maschine aufstellen, die eine Krankheit verursacht. Wenn jemand die Leute hier töten wollte, gäbe es einfachere Methoden.“ Natürlich war die Idee mit der Karte ziemlich genial, aber bei Schlussfolgerungen musste man immer vorsichtig sein, damit man nicht zu schnell seine eigenen Erwartungen bestätigt sah.
„Was immer es ist, es muss es ja nicht mit Absicht tun. Vielleicht ist es sowas wie... ein undichtes Atomkraftwerk.“
Ein guter Punkt. „Okay... so wie ich das sehe, gibt es für uns hier nicht viel zu tun – außer auf Dr. Warner aufzupassen. Es spricht also nichts dagegen, dass wir uns das mal ansehen.“ Vorerst war dies nur als Vorschlag von ihr gemeint.
„Wir sollten es uns in der Tat ansehen, Colonel Carter“, meldete sich jetzt auch Teal’c zu Wort. „Und wir sollten dem Gerät ein Ende machen, wenn es wirklich die Mirphakaner bedrohen sollte. Vielleicht ist dies die einzige Möglichkeit, die wir haben, um Idens Leben zu retten.“
Vigor schlug den Kopf auf die Tischplatte. „Ja! Ja, bitte. Wenn euer Arzt schon nicht die Krankheit besiegen kann, müsst ihr die Quelle beseitigen, aus der sie ihre Kraft nimmt. Aber selbst mit dem Pferd liegt der Unberührbare zwei Tage entfernt!! Ihr kommt nicht...“ Erneut schlug er den Kopf auf den Tisch. Es wirkte nicht komisch. „Ihr kommt niemals rechtzeitig...“
Sam fühlte Betroffenheit über Vigors Schmerz. Daniel und Teal’c schwiegen peinlich berührt.
Doch nach dem kurzen Moment des Mitgefühls begannen sich bei ihr schon wieder die geistigen Zahnräder zu drehen.
Eine größere Entfernung auf einem anderen Planeten zu überwinden wäre kein Problem, wenn sie über die Asgard-Transporter der PROMETHEUS verfügt hätten. Für das Raumschiff wären die knappen 600 Lichtjahre zwar ein Katzensprung gewesen, doch soweit Sam das wusste, wurde es gerade so tief greifend umgerüstet, dass es nicht zur Verfügung stand.
Sie zog ihre beiden Kameraden ein Stück von Vigor fort. Sie hatte eine Idee, wollte aber bei Vigor noch keine vielleicht falschen Hoffnungen wecken.
„Daniel“, meinte sie gedämpft. „Kannst du Motorrad fahren?“
Ihr archäologischer Freund sah sie groß an. Als er nach einem Moment begriff, was sie da vorschlug, antwortete er: „Als ich noch mit Ausgrabungen auf der Erde beschäftigt war, konnte ich es mir nicht leisten sehr wählerisch mit den Transportmitteln zu sein.“ Das war gut. Das war sehr gut, wie Sam fand. „Also: Ja. Ich denke schon. Aber was ist mit Teal’c?“
Ihr Grinsen traf auf Teal’cs zufriedenes Lächeln. „Colonel Carter ist eine sehr gute Lehrerin.“
Das hatte Daniel nicht gewusst, vielleicht hätten sie es ihm damals doch erzählen sollen: Nachdem Teal’c während ihrer Zeitreise ins Jahr 1969 das Autofahren gelernt hatte, war auch sein Interesse am Steuern von anderen motorisierten Vehikeln, wie er es damals genannt hatte, geweckt worden. Da eines von Sams Hobbys das Motorradfahren war, hatte er bei ihr damit offene Türen eingerannt.
„Na schön“, meinte Daniel daraufhin ohne diese Eröffnung weiter zu kommentieren. „Aber wenn wir schon die Mittel unserer Jahrhunderts einsetzten, warum dann nicht gleich ein Jeep?“
„Daran habe ich auch schon gedacht.“ Eigentlich war es ihr erster Gedanke gewesen. „Aber ein Jeep passt nicht durch die Gänge zum Torraum. Wir müssten ihn durch den Schacht über dem Tor herunterlassen. Dafür wird aber selbst Siler einige Zeit brauchen. Zeit die wir nicht haben. Ein Motorrad dagegen ist klein genug, so dass es kein Problem darstellt.“
„Na gut“, meinte Daniel. Dabei sah er hinüber zu Vigor. „Dann fahren wir Motorrad.“ Allzu begeistert erschien er ihr jedoch nicht.

Carter betrat Jacks Büro in ihrer ledernen Motorrad-Kluft, die sie sonst bestenfalls in ihrer Freizeit trug.
„Carter“, begrüßte Jack sie überschwänglich. „Warum habe ich das Gefühl, dass Ihnen das Spaß macht?“
Sie grinste ihn mit ihrem wundervollen Grinsen an und meinte dann unschuldig: „Keine Ahnung wovon Sie sprechen, Sir.“ Dann setzte sie sich.
Der Laden gehört jetzt mir, Carter, also lassen Sie den verdammten Sir weg, dachte er – aber sprach es nicht aus.
„Wie kommen Sie voran?“ fragte er statt dessen, wieder ernst.
„Die Motorräder werden gerade runter gebracht“, berichtete sie. „Ich weiß nicht genau, wie schnell wir auf Mirphak vorankommen werden, aber ich schätze mal es wird bestimmt keinen vollen Tag brauchen. Ein Problem ist allerdings das Benzin. Für die Herfahrt dürfte es reichen, aber zurück wird es knapp werden. Daher wird Siler nach unserer Abreise zwei Jeeps fertig machen, die uns mit Treibstoff und anderer Ausrüstung folgen werden.“
„Nett.“ Mehr gab es dazu kaum zu sagen. Wenn die Untergebenen selbstständig alles richtig machten, gab es für einen General reichlich wenig zu tun. Und sämtliche Mitglieder von SG-1 waren inzwischen erfahren genug, dass sie auch sehr gut getrennt voneinander irgendwo hingeschickt werden konnten, um ein Problem zu lösen.
„Aber wenigstens ist jetzt endlich geklärt, dass ich doch recht hatte!“ wechselte Jack das Thema. „Es gibt immer irgendwo eine Höllenmaschine.“ Und Höllenmaschinen konnte man abschalten. Damit gab es also etwas, mit dem sie Iden und Vigor helfen konnten.
Carter lächelte kurz. „Ja, Sir“, bestätigte sie.
Dann kam Jack zu einem Punkt, mit dem es ihm sehr ernst war. Da Carter immer noch etwas unsicher schien was seinen Glauben an ihre Fähigkeit das Team zu führen anging, zögerte er damit ein wenig. Dennoch hielt er es für wichtig, es zu erwähnen, obwohl er eigentlich der Meinung war, dass sie es sowieso richtig machen würde. „Damit wir uns richtig verstehen: Wenn dieses Ding eine Gefahr für die Mirphakaner darstellen sollte, dann blasen Sie es weg! Es ist mir egal, wenn wir dadurch irgendwelche wissenschaftlichen Erkenntnisse verlieren. Der Preis dafür wäre einfach zu hoch.“
„Natürlich, Sir“, versicherte sie zu seiner Erleichterung. Nach einer kurzen Pause dann: „Ich wette, Sie würden gerne selber auf diese Mission gehen.“
Vorsicht, Jack.. . „Hey, Sie gehen auf ne Spritztour während ich hier sitze und...“ er sah hinüber zu den Missionsberichten der Teams 3 und 18, die dort immer noch lagen „...lese interessante Akten.“
Ein kurzes Lächeln von ihr. „...aber das meine nicht.“
„Carter, hören Sie damit auf“, belehrte er sie. „Sie hätten nicht diesen Rang, wenn ich Ihnen nicht vertrauen würde.“
Sie nickte, hatte offenbar verstanden. „Ja, Sir. Danke, Sir.“
Auf einmal stand Teal’c in der Tür zum Konferenzraum, welche noch immer geöffnet war. Er trug eine schwarze Lederjacke, eine schwarze Wollmütze sowie zu allem Überfluss eine schwarze Sonnenbrille – und platzte fast vor Coolheit.
„O’Neill, Colonel Carter. Die Motorräder stehen nun zur Verfügung.“ Dann wandte er sich wieder ab.
„Hey, T!“ hielt ihn Jack zurück. „Coole Sonnebrille.“
Mit ernster Mine drehte der Jaffa-Krieger sich um. „Danke, O’Neill“, meinte er nur – und stapfte von dannen.

Wann erlebte man so etwas schon?
Seit über 7 Jahren reiste Sam durch das Stargate, aber soetwas hatte sie noch nie getan: Motorradfahren auf einer anderen Welt. Es war fantastisch.
Der Grund, weswegen sie nicht früher auf diese Idee gekommen waren, war wohl, dass sie für gewöhnlich keine größeren Strecken zu überwinden hatten oder dass sich ein Wald für den motorisierten Verkehr nicht gerade anbot.
Ein Volk wie die Mirphakaner jedoch, das es stets eilig hatte von einem Punkt zu nächsten zu kommen, verfügte über ein ausgedehntes Straßennetz. Es waren in diesem Fall sogar sehr gute Straßen aus gleichmäßig ebenen, sorgfältig verfugten Steinen auf denen es sich genauso gut wie auf Asphalt fuhr.
Der Verkehr aus Karren, Kutschen, Reitern und Wanderern war nicht sonderlich dicht, man konnte ihn gut und in sicherem Abstand umfahren. Doch eines hätte ihnen sehr gut zum Verhängnis werden können: An einem Pferd konnte man nicht einfach vorbeirasen, ohne dass es scheute. Sam hatte daran anfangs nicht gedacht.
Doch was man hierzulande „Pferd“ nannte, hatte nichts mit den irdischen Pferden zu tun. Zwar erreichten diese Tiere eine vergleichbare Größe, waren jedoch viel kürzer und höher gebaut. Übergroße, schwarze Augen ragten halbkugelförmig aus ihren Köpfen, die in einem breiten Schnabel endeten. Und sie scheuten nicht.
Blieben noch die Menschen, die den Anblick von Motorradfahrern sicher nicht gewohnt waren. Sam hielt die Mirphakaner jedoch für aufgeklärt genug, dass sie sich nicht schon morgen zusammenrotteten, um irgendwelche magischen Reiter anzubeten.
Blieb also nur noch das bewundern der Landschaft und die war, wie bereits erwähnt, fantastisch.
Dies war keine der üblichen Welten, auf denen sich nicht nur Menschen, sondern auch die irdische Pflanzenwelt angesiedelt hatten. Die hiesigen Wälder bestanden aus unwahrscheinlich dünnen Stämmen, die extrem in die Höhe wuchsen und an ihrer Spitze in ausladenden Blättern gegen die Konkurrenz der anderen Bäume versuchten, möglichst viel Licht einzufangen.
Immer wieder sah sie blasenartige Gebilde wie Luftballons aus den Wipfeln emporsteigen und dem allumfassenden grünen Himmel entgegenstreben. Sie hielt es für eine Art Samenkapseln. Große insektenartige Wesen versuchten, die schwebenden Ballons zu fangen und zu Boden zu reißen.
Wo kein Wald wuchs – oder er nicht gefällt war – erstreckten sich weite Felder, auf denen im großen Maßstab eine mannshohe Pflanze mit tiefroten, fleischigen Blättern, aber keinen erkennbaren Früchten, angebaut wurde.
Auf all das strahlte eine ungewöhnlich klein erscheinende, dafür umso grellere Sonne herab, von der Sam vermutete, dass sie fast doppelt so schwer wie die irdische war.
Und in dieser irgendwie unwirklich scheinenden Kulisse fuhren sie mit ihren modernen Motorrädern an mittelalterlich gekleideten Menschen vorbei, die auf seltsamen Fabelwesen ritten...
Wann erlebte man so etwas schon?

Sie waren gut vorangekommen. Straßen und Verkehr waren ihnen auch weiterhin zugetan geblieben und Vigors Karte erwies sich als exakt. Am Nachmittag erreichten sie ihr Ziel.
Dieses erwies sich als ein sperrangelweit offen stehendes Tor in der steil abfallenden Felswand eines Berges. Das zugehörige Schott bestand aus einem tiefblauen Metall und schien andere Interessen als die Korrosion zu haben.
Sie ließen die Motorräder ungesichert zurück, nahmen die Helme ab und betraten die dunkle Anlage vorsichtshalber mit gezogenen Waffen.
In den Berg waren auf mehrere Etagen verteilt unzählige Räume und Korridore getrieben worden. Alle mit einer betonartigen Masse ausgekleidet und alle vollkommen leer. Natürlich bis auf den Raum mit dem sagenumwobenen Gerät.
Der so genannte Unberührbare hatte nach außen hin wenig mit den Alienmaschinen gemeinsam, mit denen sie in den meisten Fällen zu tun hatten. Es handelte sich nicht um einen sorgfältig designten und sorgfältig verschlossenen Kasten. Es war ein Prototyp und sah auch so aus. Sie fühlte sich an das High-Tech-Chaos eines irdischen Labors erinnert: verschiedenste Geräte, von denen nur wenige nach Massenprodukten aussahen, waren wild mit allen Formen von Kabeln verbunden. Lichter flackerten und Displays leuchteten, um dem fachkundigen Techniker anzuzeigen, was funktionierte und was nicht.
Sam hätte sich fast wie zu Hause gefühlt, wenn die Technik nicht so fremd erschienen wäre. Nicht nur, dass sie außerirdisch war, sie hatte auch von der Optik her nichts mit irgendeiner Technik irgendeines Volkes zu tun, welches sie kannte.
Unerschrocken trat Daniel auf das Konglomerat vor ihnen zu. „Vorsicht, Daniel“, hielt sie ihn besorgt zurück.
Doch er hörte nicht. „Wenn es gefährlich wäre, wüssten wir es“, erwiderte er zerstreut und strecke die Hand aus.
Ein lila Leuchten erschien und zeichnete eine Kuppel nach, welche die Maschine umschloss. Statt schmerzerfüllt zurückzuzucken, fuhr Daniel fasziniert mit der Handfläche den Schutzschirm entlang, welcher dem Unberührbaren seinen Namen verlieh. Es war offenbar wirklich harmlos. Trotzdem erfüllte Daniels stete Sorglosigkeit Sam mit Unbehagen.
„Nachdem wir jetzt offenbar am Ziel unserer Träume sind“, meinte sie trocken, als Daniel fertig war, „dürft ihr Jungs mir helfen meine Ausrüstung herzuschaffen...“

Während Sam ihre Ausrüstung auspackte, die sie in den doch recht kleinen Gepäckfächern ihrer Motorräder mitgebracht hatten, ging Daniel noch einmal durch die Räume dieser Anlage, auf der Suche nach einem Hinweis auf ihre Erbauer. Doch die pure Zweckmäßigkeit der Architektur gab darüber genauso wenig Aufschluss wie die nicht mehr vorhandene Einrichtung. Alles, was er fand, waren Tierkot und ein paar vergessene Gebrauchgegenstände der Menschen, die vor ihnen hier gewesen waren.
Auf Sams Bitten biss sich Teal’c am Eingang damit die Zähne aus, eine Probe des unverwüstlichen Schotts zu nehmen. Da Teal’c inzwischen nicht mehr auf Jacks Gesellschaft zurückgreifen konnte, während Daniel und Sam mit ihren Forschungen beschäftigt waren, vermutete Daniel, dass es Sam dabei primär darum ging Teal’c zu beschäftigen.
„Daniel, hier ist Sam“, klang es schließlich aus seinem Funkgerät. „Kannst du bitte mal runterkommen?“
Er kam der Aufforderung nur zu gerne nach. Hier oben gab es für ihn sowieso nichts mehr zu tun.
Der Raum mit dem Unberührbaren lag tief im Berg. Obwohl draußen bereits Frühling herrschte, war es hier unten noch immer kalt. Selbst die Maschine schien es nicht nötig zu haben, ein wenig Wärme abzugeben.
Sam hatte eine Decke ausgebreitet und saß mit dem Rücken zur Wand und dem Laptop auf dem Schoß am Boden. Er setzte sich neben sie. Auf dem Laptop zeigten sich Symbole von etwas, das nach Keilschrift aussah.
„Schonmal gesehen?“ fragte ihn Sam.
„Mmh, ja...“ Gesehen schon. „Das ist eine Form von Keilschrift, aber nicht unbedingt eine auf der Erde benutzte Variante.“
„Kannst du es übersetzen?“
Er ging kurz einige Passagen durch. „Das sieht mir nach ziemlichem Technikkauderwelsch aus. Die meisten Worte davon gab es in der Antike noch nicht.“
„Und?“ hakte sie nach. Schließlich hatte er immer noch keine klare Antwort gegeben.
„Meistens bekomme ich sowas hin. Der Kontext und Erfahrung mit der Entwicklung anderer Sprachen sind da ziemlich hilfreich... Aber was ist das überhaupt?“
„Das Hauptmenü dieser Maschine“, erklärte sie ruhig.
Irgendwie hatte er sowas erwartet, nur verstehen, wie es auf ihren Laptop kam, tat er nicht.
„Nun ja, da die Maschine nicht über einen Schalter verfügt, mit dem man den Schutzschirm ausschalten kann, dachte ich mir, dass dies über Funk geschehen muss.“ Sie deutete auf ihre Ausrüstung, die über den Boden verstreut war und fuhr fort: „Anfangs habe ich noch schweres Geschütz aufgefahren, aber als ich die Frequenz erst einmal gefunden hatte, habe ich festgestellt, dass ich die nötigen Parameter auch sehr gut mit der kleinen WLAN-Antenne des Laptops zustande bekomme. Der Rest ging dann recht schnell.“
„Wirklich?“, fragte er. „Speichern die ihre Daten nicht ganz anders. Versenden sie anders...“ Nicht, dass er davon irgendeine Ahnung gehabt hätte.
„Wundert mich, dass du das gerade jetzt fragst. Eigentlich bekomme ich, was das angeht, so langsam Routine.“
„Die Oannes!“ fiel Daniel ein und sprach es in dem Wissen aus, das Sam den plötzlichen Themenwechsel verkraften würde. „Du hast gesagt, du kennst diese Art der Technik nicht. Das trifft auf die Oannes zu und sie waren in Mesopotamien aktiv, wo die Keilschrift entstand. Vielleicht haben sie das hier gebaut.“
Daniel erinnerte sich an den Oannen, der ihn während ihres ersten Jahres im Weltraum entführt hatte. Es hatte sich nach einigen Wirren dann herausgestellt, dass die Amphibienwesen Freunde der Menschen waren und dass dieser spezielle Vertreter ihrer Art sich von ihm lediglich Informationen über den Verbleib seiner Gefährtin erhofft hatte.
Sam wiegte nachdenklich den Kopf. „Schon möglich...“ meinte sie unverbindlich.
„Aber versteh doch!“ Sie sah noch nicht seinen Punkt. „Die Oannes sind Freunde der Menschen. Das heißt, was immer diese Maschine ist, sie war nie dazu gedacht, hier irgendjemanden zu schlagen. “
„Das mag schon sein, Daniel“, erwiderte sie skeptisch. „Aber wenn überhaupt, dann werden wir das erst mit Sicherheit wissen, wenn wir den Text hier verstehen.“

Die Maschine war tatsächlich nicht dazu da, irgendeine Krankheit auszulösen. Aber sie war der Grund, warum das Leben auf diesem Planten so viel schneller und kürzer als gewöhnlich ablief und warum man hier Schlaf praktisch nicht kannte – auch wenn Sam keine Vorstellung hatte, wie sie das verursachte.
Es kam nicht oft vor, dass Sam mit Daniel so eng zusammenarbeiten musste: Sie machte die Kommunikation mit der Maschine möglich. Er übersetzte schnell und unglaublich exakt die Worte.
Gemeinsam hatten sie einen Text gefunden, welcher die Ziele beim Bau des Geräts dokumentierte. Diese waren laut der Datei im Wesentlichen die Intensivierung und Beschleunigung des Lebens.
Auch die Krankheit wurde erwähnt. Ein spontanes Zusammenbrechen des Körpers aufgrund der unnatürlichen Belastung. Doch was für Konsequenzen daraus gezogen worden waren, stand dort nicht.
Daniel hielt es durchaus für möglich, dass die Krankheit der Grund gewesen war, warum die Maschine nie den Status eines Prototyps verlassen hatte. Es waren unlösbare Probleme beim Bau aufgetreten, die Oannes hatten das Projekt eingestellt, die Welt überhastet verlassen. Irgendjemand anderes hatte erst viel später die zurückgelassene Maschine gefunden und aktiviert.
Genauso gut wäre es Sams Ansicht natürlich möglich gewesen, dass die Krankheit damals billigend in Kauf genommen wurde. Sie kannten schließlich nur eineinhalb Oannes. Da sie praktisch nichts über deren Motive oder die bei ihnen verbreiteten Moralvorstellungen wussten, lag dies ebenfalls im Bereich des Möglichen.

„Das ist kein Problem.“ Sam fuhr über das Touchpad, stellte aber fest, dass sie den entsprechenden Menüpunkt so schnell nicht wieder fand. „...du weißt schon, was ich meine“, kommentierte sie. „Da war dieses Protokoll, welches die Maschine so herunterfährt, dass niemand zu schaden kommt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es damit keine Probleme geben dürfte.“
Daniel schüttelte energisch den Kopf. „Aber darum geht es mir doch gar nicht!“
„Dann sag mir, worum es dir geht.“ Schon die ganze Zeit über hatte sie das Gefühl, dass sie beide aneinander vorbei redeten.
„Es geht mir nicht um ihre körperliche Gesundheit.“ Er suchte nach Worten. „Es geht... um ihre Art zu Leben! Wir sind die ganze Zeit davon ausgegangen, dass es sich hierbei ausschließlich um die Quelle einer Krankheit handelt. Und wenn es so wäre – ja, dann denke ich, wir sollten das Ding abschalten.“ Er kam jetzt richtig in Fahrt. „Aber es ist eben nicht nur das. Ich meine, sieh sie dir an! Dieses Volk lebt davon, dass es nicht zu schlafen braucht! Ihre ganze Gesellschaft baut darauf auf, dass es keine Pause im Leben gibt und sie sind daran gewöhnt. Wir können das nicht einfach kaputt machen.“
„Wenn wir es nicht tun, wird Iden sterben“, hielt Teal’c dem knapp entgegen. „Das Leben eines Menschen wiegt schwerer als Bequemlichkeit.“
Sam war nahe dran Teal’c zuzustimmen, doch sie äußerte das nicht. Ihr wurde bewusst, dass sie es sein würde, die zu entscheiden hatte und da durfte sie es sich nicht leisten, eine eindeutige Stellung zu beziehen, bevor es nicht ausdiskutiert war.
„Verdammt, ich will doch auch nicht, dass er stirbt“, nahm Daniel Teal’cs Einwand auf. „Aber es gibt einen Unterschied zwischen Leben und Überleben. Und es ist auch mehr als nur Bequemlichkeit! Derartig rasant und kurz zu Leben ist eine fundamentale Konstante für diese Menschen. Sie leben schon seit Jahrtausenden so, wenn wir das versuchen zu ändern, spielen wir Gott.“
Sam kannte Teal’c gut genug, um dessen Unmut über den Vergleich von ihnen mit irgendeinem Gott zu erkennen.
„Wir haben uns schon öfters in die Angelegenheiten anderer Völker eingemischt und das nicht zu deren Nachteil!“ schoss Teal’c zurück.
„Aber das war etwas anderes!“
„Wieso?“
Daniel schüttelte nur den Kopf.
Wieder musste Sam Teal’c zustimmen. Sie selbst war es gewesen, die bereits auf ihrer ersten regulären Mission durch das Stargate eine Revolution unter den Frauen eines anderen Planeten ausgelöst hatte. Heute waren diese zwar noch weit von einer Gleichberechtigung entfernt, aber längst nicht mehr das Eigentum der Männer, das sie zuvor gewesen waren. Sam bereute es ganz und gar nicht, diese Entwicklung ausgelöst zu haben.
„Doch, Daniel“, meinte sie leise. „Bitte sag mir, warum es etwas anderes war.“
Er verzog die Mundwinkel und neigte sich ein Stück zurück. „Nun, ich denke wir waren stets zu sehr Opfer der Situation, als das wir uns sorgfältig Gedanken über unser Tun machen konnten“, meinte er dann wieder selbstbewusst. „Einiges von dem, was wir getan haben, hätte durchaus auch schief gehen können.“
Da mochte durchaus etwas dran sein. Es war nicht unbedingt kühle Überlegung gewesen, was sie damals getrieben hatte.
„Jetzt aber können wir abwägen. Und was immer wir tun, wir sollten uns darüber klar sein, dass es nicht nur eine kleine Kuppel im Eis beeinflussen wird. Es geht um einen ganzen Planeten, das Schicksal mehrerer Millionen Bewohner.“
„Daniel Jackson“, zischte Teal’c, jetzt selber in Rage. „Du redest von Millionen Menschen. Aber genau aus diesem Grund sind es auch so viele, die jedes Jahr an etwas sterben, das sie weder begreifen noch bekämpfen können. Es liegt an uns, dem ein Ende zu machen.“
„Ich gebe zu, dass es einige das Leben kosten wird“, erwiderte Daniel in sich gekehrt, unberührt von Teal’cs seltener Erregung. „Aber es geht hier um mehr.“ Er schüttelte erneut den Kopf und sah Sam leidend an. „Vielleicht führt es ins Unglück, wenn man beginnt Leid und Glück gegeneinander aufzuwiegen, aber vielleicht sind die Toten der Preis... Ich glaube nicht, dass die Mirphakaner ihre Lebensart aufgeben wollen. Selbst unter diesen Umständen nicht...“
Daniel wandte sich ab. Sie konnte sich vorstellen, wie er sich fühlte – er, der immer nach der besten Lösung für alle suchte.
Auch Teal’c schwieg.
Und allmählich fühlte Sam, wie sich das Gewicht der Verantwortung für einen ganzen Planeten auf ihren Schultern zur Ruhe setzte. Sie würde eine Entscheidung treffen müssen. Bezogen auf das, was damit auf sie zukam, ging es Daniel wohl noch blendend.

Die Nacht war über diese Welt hereingebrochen. Sie hatten am Eingang der Anlage schweigend ein Lagerfeuer errichtet. Neben dem Schein der Flammen verbreiteten auch große Matten aus Moos, welche sie schon in den Städten bewundert hatten, ein geisterhaftes, bleiches Leuchten aus ihrem Inneren heraus.
Mit stoischer Ruhe starrte Teal’c in das Flackern des Feuers. Colonel Carter hatte sich noch nicht entschieden. Sie hatte sich in die Halle mit der Maschine zurückgezogen, um nachzudenken.
O’Neill hätte dieses Problem nicht gehabt. Er war wie Teal’c ein Krieger, fällte seine Entscheidungen schnell und aus dem Instinkt oder einem Prinzip heraus. O’Neill hatte die negativen Konsequenzen einer Entscheidung auch immer bedingungslos so akzeptiert, wie sie waren.
Andererseits: Auch O’Neill hatte schon falsche oder zumindest fragwürdige Entscheidungen getroffen. Vielleicht hätte er manchmal besser daran getan, wie Colonel Carter gründlich darüber nachzudenken.
Langsam erhob sich Teal’c und ließ Daniel Jackson am Feuer zurück. Er machte sich auf den Weg zu Colonel Carter.
Er kannte sie sehr gut, für ihn war sie wie ein Teil der Familie. Sie war äußerst fähig. Als Kriegerin und als Wissenschaftlerin. Auch hatte sie sich schon bei früheren Gelegenheiten als kluge Führerin erwiesen.
Doch auch für sie konnte es irgendwann einfach zuviel werden.
Es lag Teal’c fern jetzt noch zu versuchen sie von seinen Ansichten zu überzeugen. Was dahingehend zu sagen war, war gesagt. Er würde ihre Entscheidung akzeptieren, wie sie auch ausfiel. Sein einziger Wunsch war, ihr zu helfen, ihre Entscheidung zu treffen, wenn sie seine Unterstützung denn benötigte.
Colonel Carter stand vor der Maschine und bewegte sich unruhig mit verschränkten Armen auf der Stelle, um sich in der hier herrschenden Kälte warm zu halten. Sicher tat sie das schon eine ganze Weile, dennoch hatte sie es vorgezogen, sich nicht wieder zu ihnen ans Feuer zu gesellen.
Leise trat er neben sie. „Colonel Carter“, begrüßte er sie.
„Teal’c.“ Ihr warmes Lächeln zeigte, dass sie sich freute ihn zu sehen.
Sanft fragte er: „Wie weit bist du mit deinen Überlegungen?“
Ihr Blick richtete sich wieder auf die Maschine. Scheinbar zusammenhanglos begann sie zu reden. „Auf der Erde sterben jeden Tag unzählige Menschen an Verkehrsunfällen. Wir könnten das alles beenden, wenn wir nicht mehr mit dem Auto oder dem Flugzeug reisen würden.“
Sie schwieg einen Moment, doch Teal’c hatte bereits erkannt, dass seine Sorgen völlig unnötig gewesen waren. Samantha Carter hatte ihre Entscheidung längst getroffen.
„Aber wir tun es nicht. Vermutlich würden wir es nicht einmal tun, wenn nicht unsere ganze Versorgung mit Rohstoffen und Nahrung zusammenbrechen würden. Es liegt einfach in unserer Natur uns ohne Einschränkung von einem Ort zum nächsten bewegen zu wollen. Ich wäre nicht dankbar, wenn jemand unseren Verkehr zum erliegen bringen würde, um zu verhindern, dass er seine Opfer fordert.“

Sam hatte die Nacht über nicht schlafen können. Das gleiche galt, wie sie wusste, für Daniel und Teal’c. Dabei mutmaßte sie, dass es nicht allein die schwere Entscheidung war, die ihr im Magen lag, sondern vielmehr die Anwesenheit der Maschine, der sie nun näher waren als je zuvor und die sich allmählich auch auf sie auszuwirken begann.
Zu allem Überfluss hatte es die Nacht über geregnet und sie in die Anlage zurückgedrängt. Als Sam am nächsten Morgen ins Freie trat, war alles von einem grünen Film bedeckt.
Sie zerrieb ihn zwischen den Fingern und stellte fest, dass er aus Wasser und einem grünen Pulver bestand. Der Himmel erschien zudem heute weit weniger grün als am Tag zuvor.
Nach all den Stunden des Philosophierens und dem Abwägen des Schicksaals einer ganzen Welt erfüllte die einfache wissenschaftliche Erkenntnis sie mit einer angenehmen Glückseeligkeit: das Pulver war es, was den Himmel grün färbte. Vielleicht waren es gar keine Samenkapseln gewesen, die sie aufsteigen gesehen hatte. Vielleicht war es Nachschub für das Pulver gewesen, das den Himmel wie schwebendes Plankton bevölkerte.
Teal’c hatte ihre Entscheidung, die Maschine nicht anzutasten, akzeptiert. Sie war ihm dankbar dafür und fühlte sich von seinem Vertrauen geehrt. Daniel hatte es mit einer Mischung aus Erleichterung und Unwohlsein aufgenommen. Er hielt es für das Richtige, aber genau wie sie konnte er die Konsequenzen nicht einfach vom Tisch wischen: sie ließen zu, dass weiterhin Menschen starben.
Sie ließen die letzte Chance, Idens Leben vielleicht noch zu retten verstreichen.
Sam hatte schon oft getötet, um ihr Leben oder das von anderen zu retten, wenn es unmittelbar bedroht war. So etwas hinterließ stets ein Gefühl des Entsetzens. Dies jedoch war wohl eine der Entscheidungen, die man bereute. Trotz des Wissens es nicht anders hätte tun können. Und zwar ein Leben lang.

Nach langen Stunden des untätigen Wartens holperten endlich zwei Jeeps den Feldweg heran. Den Gesichtern von SG-10 zufolge, war Sam nicht die einzige, welche solche Aktionen cool fand – auch wenn sie selbst längst ganz andere Probleme beschäftigten.
Sie füllten ihre Motorräder mit dem Benzin aus den gelieferten Ersatzkanistern und machten sich auf den Rückweg, SG-10 schnell hinter sich zurücklassend.
Es war Nacht geworden, als sie Vigors Stadt erreichten, unnatürlich wenig erschöpft von der langen Fahrt. Die Straßen waren mit Öllampen sowie dem biolumineszenten Moos nahezu taghell erleuchtet und die Menschen gingen um die späte Stunde den gleichen hektischen Aktivitäten wie bei Tag nach.
Vigors Haustür wurde von einem kräftigen, völlig in schwarz gekleideten Herrn geöffnet, den sie noch nie zuvor gesehen hatten. „Ich bin der Totengräber“, begrüßte er sie.
Vigor war nur noch ein Schatten seiner selbst. Eine zersplitterte Vase und seine von Tränen geröteten Augen zeugten vom ganzen Spektrum der Verzweiflung.
Sam hatte inzwischen viel Zeit zum nachdenken gehabt und war sich ihrer Entscheidung sicherer denn je. Doch wie sollte sie das dem Mann vor ihr erklären? Sie war nicht zuletzt hierher gekommen, um sich gerade vor ihm zu rechtfertigen, doch jetzt fehlten ihr Worte, die dem wirklich angemessen waren.
Daniel übernahm es für sie. Wie so oft, wenn einer von ihnen nicht weiter wusste, sprang stets, völlig selbstverständlich, jemand anderer des Teams ein.
Er erklärte Vigor wie sehr sie mit ihm fühlten, aber dass sie nichts hatten tun können. Sehr diplomatisch und wortgewandt behauptete er anschließend, dass sie weder Beweise dafür gefunden hatten, dass der Unberührbare den Schlag verursachte, noch für das Gegenteil.
Vigor hörte gar nicht zu, wollte offensichtlich einfach nur allein sein. Das ließen sie ihn dann auch bald.
Als sie ihre Motorräder die nächtlichen Straßen entlang schoben fragte Sam: „Warum hast du es ihm nicht gesagt?“ Warum verschwieg Daniel die Wahrheit über die Maschine?
„Ich denke, sie sollten es selbst herausfinden“, antwortete Daniel und fügte hinzu: „Wenn du anderer Ansicht bist, können wir immer noch behaupten, dass wir unsere Messungen noch einmal überprüft hätten und dabei etwas herausgefunden haben.“
Sie nickte. Allerdings würde sie erst dann darüber nachdenken, wenn sie nach der Begegnung mit Vigor wieder einen klaren Kopf hatte.



AUGUST 2004
ENTSCHEIDUNGEN WERDEN HINTERFRAGT


„Sie haben was?!“ hörte Jack sich sagen. „Ich dachte, wir hätten uns verstanden. Sie sollten dieses Ding ein für alle Mal unschädlich machen!“
Carter saß ihm in seinem Büro gegenüber. Von Daniel hätte er vielleicht erwartet, dass er mit einer solch abgehobenen Entscheidung zurückkehrte, aber nicht von ihr.
„Bei allem Respekt, Sir“, widersprach sie. „Als Sie mir diesen Befehl gaben, gingen wir noch davon aus, dass die Maschine ausschließlich eine Krankheit verursacht. Mir standen jedoch alle Fakten zur Verfügung, ich war vor Ort und aufgrund dessen habe ich meine Entscheidung getroffen.“
„Es geht nicht darum, dass Sie selber etwas entschieden haben“, korrigierte er sich, „es geht darum, dass Sie richtig zu entscheiden haben.“
Sie starrte ihn einen Moment an. „Sie sagten vor unserer Abreise, dass Sie mir vertrauen würden. Ich wusste nicht, dass Sie dabei davon ausgegangen sind, dass ich die gleichen Entscheidungen wie Sie treffen würde. Denn meiner Ansicht nach war es sehr wohl richtig, was wir getan haben.“
Jack erwiderte darauf nichts. Womöglich hatte sie recht und er hatte tatsächlich erwartet, dass sie die Dinge genauso wie er fortführte. Aber weder hatte er die Absicht jetzt darüber nachzudenken, noch war es das aktuelle Thema!
Er reichte ihr eine großformatige Schriftrolle.
„Was ist das?“
„Eine offizielle Bitte unseres Herzog-Freundes sein Volk von einer gewissen Krankheit zu befreien“, eröffnete er ihr. „Unterzeichnet außerdem von vier seiner Amtskollegen. Ich vermute, der einzige Grund, warum nicht mehr Namen da drauf stehen ist, dass es in der kurzen Zeit nicht anders machbar war“, setzte er hinzu.
Sie legte die Rolle ungeöffnet zurück. „Aber das sagt doch gar nichts! Auch die gehen davon aus, dass es keinen Preis hat“, ereiferte sie sich. „Aber die Folgen, die es für diese Gesellschaft hätte sind für uns nicht einmal abzusehen. Wir könnten ihr ganzes Volk ins Verderben schicken, wenn wir dieser Bitte stattgeben würden.“
„Carter!“ Er schlug mit der Hand auf den Tisch. „Das können Sie Daniel erzählen aber nicht mir! In meiner Welt zählt nur eines und das sind Menschenleben. Gerade haben Sie eines davon geopfert und ich werde nicht zulassen, dass dies dort so weiter geht.“
„Es geht Ihnen doch gar nicht um das Volk. Es geht Ihnen um Iden!“ sagte sie ihm ins Gesicht. „Er hat Sie an Ihren Sohn erinnert, habe ich recht?“
„Verdammt, Colonel, das ist nicht wahr und das wissen Sie!“ rief er.
Sie wusste ganz genau, dass er nicht über seinen Sohn redete, genauso wie sie wusste, dass er sich davon nicht beeinflussen ließ. Wie konnte sie es wagen so etwas trotzdem zu behaupten!
„Dann haben Sie mir etwas voraus!“ erwiderte sie hitzig. „ Ich stand dort vor dieser verdammten Maschine und habe an nichts anderes als den Jungen denken können, den ich damit umbringe. Trotzdem habe ich diese Entscheidung gefällt und wäre ich noch einmal in der gleichen Situation, ich würde nicht anders handeln!“
Die Wut kochte nicht nur in ihm.
„Das will ich nicht hoffen, Carter, denn genau das ist es, was sie tun werden“, belehrte er sie.
„Oh, nein. Ich werde nicht umkehren und meine Entscheidung widerrufen.“
Es klang nach einem kategorischen Ausschluss. Aber da war dieser Blick mit dem sie ihn durchbohrte. Sie kannte die Rangordnung nur zu gut und wusste, dass er es ihr befehlen konnte, wenn er es wollte.
Bestimmt eine volle Minute starrte sie ihn mit stählernem Gesichtsausdruck an. Doch Jack war selber gleichermaßen erregt wie entschlossen und hielt ihrem Blick stand. Er wollte es ihr nicht befehlen. Ihr nicht und erst recht nicht, wenn sie es nicht wollte.
Doch auch er hatte seine verdammten Prinzipien! Er war sich genauso sicher, dass er das richtige tat, wie sie.
Langsam lehnte er sich in seinen Sessel zurück ohne den Blick von ihr zu wenden. Er war jetzt ganz ruhig.
„Dann befehle ich es Ihnen, Carter.“
Ihr Blick wurde eine Spur härter, sofern das noch möglich war.
Dann erhob sie sich ruckartig. „Sir!“
Es klang vernichtender, als alle Vorwürfe, die sie ihm hätte machen können.

Daniel saß auf dem Beifahrersitz des Jeeps, der von Sam über die Straßen von 8045KG gelenkt wurde – Daniel versuchte inzwischen von Mirphak nur noch als einer Nummer zu denken in der Hoffnung das würde die Emotionen, die diese Welt bei ihm inzwischen auslöste, reduzieren.
Es half nur nicht.
Daniel war mit Jack so heftig aneinander geraten, wie schon seit Jahren nicht mehr. Es war ihm unbegreiflich, wie jemand einfach so über seine Argumente hinweg gehen konnte, ohne auch nur einen Gedanken an sie zu verschwenden. Daniel hatte versucht Jack klarzumachen, dass sie kein Recht hatten sich derartig in eine andere Kultur einzumischen. Doch er hätte wissen müssen, dass er dabei bei ihm auf taube Ohren stieß. Bei aller Freundschaft dachten sie beide noch immer in völlig anderen Bahnen.
„Du musst das nicht tun, Sam.“ Ihr Gesicht war die gleiche ausdruckslose Maske wie nach dem Verlassen von Jacks Büro. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass Jack dich vor ein Kriegsgericht stellen würde“, versuchte Daniel sie mit einer absurden These aus der Reserve zu locken. „Ich glaube nicht mal, dass er jemand anderen schicken würde.“
„Darum geht es nicht“, kam es nach dem langen Schweigen umso heftiger von ihr. „Es geht nicht um das stupide Ausführen von Befehlen. Es geht um...“ Sie klappte den Mund zu und schwieg.
„Um was? Um was geht es?“
„Das verstehst du nicht.“
Oh bitte. Waren sie nicht schon seit Jahrzehnten über dieses Thema hinweg? „Sam. Bitte sag mir nicht, dass du glaubst, ich hätte keine Ahnung von Loyalität, weil ich nicht zum Militär gehöre.“
Kurzes Schweigen. Dann die ehrliche, zerknirschte Erwiderung: „Tut mir leid.“
Er nahm es ihr nicht übel. Sie alle standen unter Stress, ihr Verhalten war da wohl normal.
„Aber gehört zu Loyalität nicht mehr als das – wegen mir auch intelligente – Ausführen von Befehlen?“ stellte er die Frage in den Raum.
Wieder ein kurzes Schweigen. „Mit solchen Sprüchen kannst du vielleicht General O’Neill verunsichern, aber nicht mich.“
„Eben das siehst du falsch. Jack hat sich nie wirklich um meine Ansichten geschert, wenn ich damit alleine stand. Bei dir ist das was anderes. Du verstehst mich ganz genau.“ Daniel spielte damit darauf an, dass Jack sich stets als den „dummen Soldaten“ gesehen hatte, während er und Sam dagegen die Intellektuellen gewesen waren.
„Wir haben schon früher Befehle missachtet“, fügte er hinzu.
„So einfach ist das aber nicht“, erwiderte sie diesmal ohne Zögern. „Es geht hier nicht um die Frage: Missachten wir einen Befehl oder sehen wir zu, wie definitiv die Erde zerstört wird. Tatsache ist doch, dass wir nicht wissen, was geschehen wird. Und wenn ich mir nicht völlig sicher bin, kann ich mich dem nicht entziehen!“
„Man kann nie wissen, wie sich eine Entscheidung auswirkt! Alles, was man tun kann ist, es sich vorher gut zu überlegen“, widersprach er überzeugt. „Dabei schienst du dir deiner Sache sicher zu sein!“
Für einen Moment nahm sie ihren Blick von der Straße und sah zu ihm herüber. „Das bin ich immer noch“, antwortete sie leise. „Aber darauf kommt es nicht an.“
Diese Einstellung von ihr kannte er schon von früheren Gelegenheiten. Sie hatte einst den menschenähnlichen Replikator Fünfter nicht in dem Zeiterweiterungsfeld zurücklassen wollen. Doch Jack war der Meinung gewesen, dass jeder Replikator gefährlich war. Obwohl er damit Recht gehabt zu haben schien, glaubte Daniel nicht, dass er ihm schon damals zugestimmt hätte. Jedenfalls hatte Sam damals Jacks Befehle befolgt. Genauer: sie hatte sich entschieden, sie zu befolgen und später stets diese Entscheidung, aber nie ihre Befehle, in Frage gestellt.
Versuchen wir es anders, dachte er. Da gab es noch einen weiteren Punkt, der ihn selber beschäftigte. „Halt bitte mal an“, forderte er sie auf.
„Warum?“
„Bitte“, sagte er nur.
Sie tat ihm den Gefallen, was er als gutes Zeichen nahm.
„Wir treffen Entscheidungen über das Wohl der Mirphakaner ohne überhaupt ihre Ansichten zu kennen – abgesehen davon, dass sie die Krankheit loswerden wollen.“
„Was schlägst du vor?“ kam es von Teal’c, der auf Rückbank saß.
„Wir steigen aus und fragen jemanden.“
Es war Sam anzusehen, dass ihr diese Verzögerung nicht recht war. „Wie viele müssen wir fragen, damit es repräsentativ wird? Wir sind nicht hier, um eine Volksabstimmung zu starten, Daniel.“
„Nein, das sind wir nicht. Ich glaube auch nicht, dass dies sinnvoll wäre. Aber da es hier um fundamentale Fragen über ihr Leben geht, glaube ich nicht, dass wir lange fragen müssen. In dieser Hinsicht dürften sich die Ansichten innerhalb einer Kultur ziemlich ähnlich sein.“
„Na schön.“ Seufzend schnallte sie sich los und stieg aus.
Daniel folgte ihr. Natürlich spekulierte er darauf, dass man ihnen erzählen würde, dass sich keiner vorstellen konnten wie das Leben funktionieren sollte, wenn man die Nacht nicht zur freien Verfügung hatte.
„Wie wäre es mit ihm?“ fragte Sam und deutete auf einen Reiter, der sich ihnen näherte.
Ohne lange zu zögern stellte sich Teal’c ihm in den Weg.
„Verzeihen Sie, dass wir Sie angehalten haben“, begrüßte Daniel den Mann und versuchte dabei ihn und nicht das so außergewöhnliche Tier anzusehen, auf dem er ritt. „Wir würden uns gerne mit Ihnen unterhalten. Haben Sie kurz Zeit?“
Der Mann musterte erst ihn, dann den Jeep. „Ihr kommt von den Sternen, habe ich recht?“
Daniel grinste. Offenbar hatte es sich schnell rumgesprochen. „Ja, das tun wir.“
Der Mann stieg geschickt von seinem „Pferd“ herab. „Dann habe ich Zeit für euch.“
„Vielleicht zunächst mal zu uns“, begann Daniel. „Ich weiß nicht, ob Sie das wissen, aber bei unserem Volk ist es üblich, dass wir den Tag jede Nacht unterbrechen müssen, um etwa 8 Stunden zu schlafen.“
Der Mann nickte. „Doch, davon hab ich gehört. Muss ziemlich grauenhaft sein.“
Das war schon mal ein Anfang. Daniel warf Sam einen bedeutungsvollen Blick zu. „Nur mal angenommen... Würde Ihr Volk das ebenfalls in Kauf nehmen, wenn es irgendeinen Vorteil davon hätte?“ Er zuckte bewusst unverbindlich mit den Achseln. „Wenn es irgendeine Krankheit dafür nicht mehr gäbe?“
Der Mann überlegte kurz, zupfte etwas unentschlossen am Geschirr des Tieres. „Ich kenne einige Leute, die Verwandte haben, die am Schlag gestorben sind. Das war ziemlich schrecklich für sie, glaube ich. Ich kann kaum für unser ganzes Volk sprechen. Aber ich denke, wenn es den Schlag nicht mehr gäbe, wäre es das vielleicht wert.“
Bitte? „Moment, Sie haben gerade selbst gesagt, dass Sie es grauenhaft finden würden, zu schlafen. Außerdem überlegen Sie sich bitte, was für eine Umstellung es für Sie und Ihr Volk bedeuten würde. Es würde doch bestimmt einiges durcheinander bringen.“
Zu Daniels Überraschung lachte der Mann. „Wissen Sie, was ich einst von Beruf war?“ fragte er. „Ich war Schreiber. Als die Druckerpressen erfunden wurden, war ich nutzlos. Keinem wäre es aufgefallen, wenn mich der Schlag getroffen hätte. Also wurde ich Drucker und presse heute mehr Bücher in einem Jahr, als ich in einem Leben je hätte schreiben können. Mit Umstellungen habe ich also gewiss keine Probleme – allerdings glaube ich nicht, dass das hierzulande etwas besonderes ist.“
Entsetzt sackte Daniel in sich zusammen. Ein vernichtenderes Statement gegen seine Position hätte er sich kaum vorstellen können. Sollte er sich geirrt haben? Seine eigenen Argumente klangen ihm mit einem Mal so hohl.
„Vielen Dank“, erwiderte er automatisch, die Konversation so schnell wie möglich zu einem Ende bringend. „Das war sehr aufschlussreich...“
„Ihr Fremden stellt interessante Fragen“, schüttelte der Mann den Kopf und stieg wieder auf. „Hat mich trotzdem gefreut mit jemanden zu reden, der nicht hier geboren wurde.“
Dann ritt er davon.
„Wie viele Menschen beabsichtigst du noch fragen?“ Teal’cs Stimme war so tief, wie der Abgrund in den Daniel gerade fiel.
„Keine mehr. Das war eindeutig.“ Geschlagen wandte er sich zu Sam um. „Fahren wir weiter. Wir haben eine Welt zu verändern.“

Daniel stand am Eingang des Unberührbaren und sah dem Sonnenuntergang zu. Er wusste nicht mehr, was er denken sollte.
Vielleicht hatte Sam recht. Das Schlimme war eben, dass es der Situation an Eindeutigkeit fehlte. Was auch immer sie taten, es würde sich erst im Nachhinein als richtig oder falsch erweisen – wenn es denn hier überhaupt so etwas wie richtig und falsch gab.
Wie auch immer: Dies würde die letzte Nacht werden, welche dieses Volk so verbringen würde, wie es das seit Jahrtausenden getan hatte. Morgen würde alles anders werden.
Daniel konnte nur hoffen, dass dieser Morgen den hiesigen Historikern als ein guter Tag in Erinnerung bleiben würde.



JANUAR 2005
KONSEQUENZEN WERDEN DEUTLICH


General O’Neill brütete über einem Bericht des diplomatischen Korps. Er handelte von Mirphak und war bereits der zweite diese Woche.
„Brüten“ bedeutete in diesem Fall jedoch lesen – Jack hatte gelernt wichtiges und unwichtiges Papier in zwei großen Haufen zu trennen – wenn auch zu lesen, ohne daraus schlau zu werden. Diese Diplomaten drückten sich erstens unglaublich geschwollen aus und waren zweitens irgendwie nie für ihn zu erreichen. Normalerweise dehnte er die Debriefings derartig, dass er sich die Berichte nicht mehr so genau ansehen musste. Nur bei diesem viel beschäftigten Verein war das irgendwie in absehbarer Zeit nicht machbar.
Trotzdem verstand er genug, um alarmiert zu sein. Und das war ihm Grund genug, mal wieder seine besten Leute auf die Reise zu schicken. Sie würden ihm sagen, was Sache war.

Ein bestialischer Gestank begrüßte sie.
Der Himmel war grün, das Stargate stand auf einem kleinen öffentlichen Platz. Das war es, was Sam sagte, dass es der richtige Planet war. Doch je tiefer sich der Anblick in ihr Bewusstsein eingrub, desto mehr wünschte sie, sich zu irren.
Der Boden war bedeckt mit einer Masse. Sie identifizierte Abfälle, Essensreste – und Scheiße, im traurigen, wörtlichen Sinne. Das abstoßende Gemenge bedeckte den ganzen Platz und schien in den Straßen zwischen den Häusern sogar noch höher zu liegen.
Die einst so neu wirkenden Fassaden der Häuser waren bedeckt mit einer dicken Kruste aus herab geregnetem Plankton. Die so gewagte Konstruktion aus Wasserrohren tropfte oder war gebrochen.
„Wo sind die denn alle?“, drang Daniels Stimme in ihr Bewusstsein.
Da waren keine Menschen, welche sie neugierig musterten. Die Straßen sirrten nicht vor Hektik und Aktivität, wirkten im Gegenteil trostlos und ausgestorben. Das einzige, was sirrte, waren abstoßende, murmelgroße Käfer, welche hier ihr Paradies gefunden hatten.
Was war hier geschehen?
Mit Grausen begann Sam zu fürchten, dass sie es gewesen sein könnten, die daran die Schuld trugen. Was war, wenn sich all ihre Befürchtungen doch noch bewahrheitet hatten?
Teal’c streckte den Arm aus. Er hatte mit scharfem Blick eine Gestalt erspäht, die mehrere hundert Meter entfernt eine der Seitengassen passierte. „Dort“, beantwortete er Daniels Frage.
Die Gestalt schlurfte durch den Matsch, langsam, fast gemütlich.
„Und dort“, fuhr Teal’c fort und deutete auf eine weitere Gestalt, die reglos an einem der verdreckten Häuser lehnte. Ihre schmuddelige Kleidung hatte sie bisher nahezu perfekt getarnt.
Sam verließ die Rampe. Ihre Stiefel versanken in der widerlichen Masse, der heftiger werdende Gestank brachte sie fast zum erbrechen, während sich ihre Hose und Socken mit irgendetwas voll zu saugen begannen.
Doch das interessierte sie nicht. Sie musste erfahren, was hier geschehen war.
Ohne zu stocken bewegte sie sich auf die Gestalt am Rande des Platzes zu. Die schmatzenden Geräusche und das leise Fluchen in wechselnden Sprachen bewiesen, dass ihr Team hinter ihr blieb.
Die heruntergekommene Gestalt erwies sich als eine junge Frau, welche ihnen gelangweilt entgegenblickte.
„Entschuldigung“, sprach Sam sie an, sobald sie in Hörweite waren. „Was ist hier passiert?“
„Was soll hier passiert sein?“ kam die verständnislose Antwort.
„Warum sieht es hier so aus?!“
„Weil jeder seinen Müll auf die Straße wirft?“
Wer hätte das gedacht? „Und warum? Warum tun sie das plötzlich? Ich meine, das war doch sonst nicht die Art Ihres Volkes.“
„Fragen Sie doch die, die ihren Müll hier hinwerfen. Ich gehör bestimmt nicht dazu“, wurde Sam angeblafft.
„Moment“, schaltete sich Daniel ein. „Tut mir leid, Sam, das hilft uns nicht weiter.“ Und an die Frau gewandt: „Wo sind all die Menschen? Warum ist niemand auf der Straße?“
Die Frau musterte ihn wie man einen ungewöhnlich gemaserten Kieselstein ansah – wenn man ihn denn ansah. „Soviel zu den Gerüchten ihr wärt langsam und träge. Für meinen Geschmack verbreitet ihr Hektik. “ Diese Aussage loszuwerden, schien das erste zu sein, was ihr ein wenig Freude bereitete.
Sam versuchte ihre Unruhe im Zaum zu halten. Ein „Beantworten Sie die Frage bitte!“ konnte sie sich jedoch nicht verkneifen.
„Oh, die sind schon alle irgendwo... In ihren Häusern, was weiß ich.“
„Aber Sie sind hier“, stellte Daniel fest. „Gibt es keinen Beruf, dem Sie nachkommen müssten.“
„Doch, aber das hat Zeit. Alle Zeit der Welt“, sie klang nicht nur gelangweilt, sondern völlig abwesend. Als wäre sie gar nicht mehr hier.
„Geht es dir gut? Zeigst du Anzeichen einer Erkrankung?“ fragte Teal’c.
Die Frau erwachte wieder aus ihrer Versunkenheit. „Langsam reicht mir die Fragerei. Was geht euch das an? Lasst mich in Ruhe.“ Mit diesen Worten wandte sie sich ab und ging. Langsam, als hätte sie wirklich alle Zeit der Welt. Sam hielt sie nicht zurück, es wäre sinnlos gewesen.
„Ich glaube, wir sollten einen Arzt rufen“, verkündete Teal’c. „Es geht ihnen offenbar nicht gut.“
„Nein, das denke ich nicht. Ich glaube körperlich geht ihnen so gut wie dir und mir“, widersprach Daniel. „Außer du meintest mit Arzt einen Psychiater, das könnte vielleicht helfen.“
Sam hörte nicht zu. „Was meinte sie damit, sie habe alle Zeit der Welt? “ Diese Aussage ging ihr nicht aus den Kopf.
Daniel sah sie traurig an und Sam stellte fest, dass sie die Antwort eigentlich gar nicht hören wollte.
„Die alte Geschichte“, meinte Daniel. „Wenn ein Mensch zu viel zu tun hat, tut er als erstes einmal gar nichts.“
„Aber sie haben doch genauso viel Zeit wie früher“, erwiderte Sam, einfach weil es jemand erwidern musste. „Sie leben ja jetzt auch länger.“ Längst kannte sie jedoch darauf die Antwort.
„Ja, aber für sie scheint das nicht so. Nachdem ihr Leben nie eine Pause kannte, ist für sie ist die Zeit, bis zu der sie wieder schlafen und eine Pause machen müssen, einfach viel zu kurz.“
Vor einem halben Jahr hatten sie diese Welt verlassen, erinnerte Sam sich. Als sie die Maschine abgeschaltet hatten, waren die unmittelbaren Folgen genau die erwarteten gewesen: die Menschen fingen an zu schlafen. Und soweit sie das sagen konnten, starb niemand mehr am Schlag.
Es war Sam klar gewesen, dass die von ihr und Daniel an die Wand gemalten negativen Auswirkungen sich erst mittelfristig niederschlagen würden. Aber die Hoffnung, es könnte doch alles gut ausgehen, war so stark und verlockend gewesen. Drei Tage nach Abschalten der Anlage waren sie schon wieder zur nächsten Welt aufgebrochen und aus der Hoffnung war der Glaube an gutes Ende geworden. Gehofft hatte sie höchstens noch, nie mehr von dieser Welt zu hören.
Doch dann hatte sie O’Neill auf diese Mission geschickt. Er hatte nicht sagen wollen, warum, doch sie hatte es in seinem Gesicht lesen können.
Und nun stand sie hier, die Stiefel gefüllt mit kleinen Dingen, die sie eigentlich gar nicht identifizieren wollte und starrte auf eine Straße, die einmal einem aufstrebenden Volk auf dem Weg zur Moderne gehört hatte. Heute dagegen war es eine Straße wie sie vielleicht in einem Dorf des finsteren Mittelalters zu finden gewesen war – oder am passenden Ort auch noch viel früher.
„Was haben wir getan?“ sprach sie ihre Gedanken aus. „Wir trampeln in eine Welt und vernichten sie. Wir sind nicht besser als die Goa’uld.“
„Die Goa’uld handeln aus Machtgier und Geltungssucht heraus“, meinte Teal’c sie belehren zu müssen. „Unsere Motive dagegen waren ehrenhaft.“
Und das machte es besser? Der gute Wille allein zählte?
Noch einmal besah sie sich Straßen und Häuser, hörte das Sirren der Käfer.
Der gute Wille? So einen Quatsch hatte sie noch nie gehört.

Sam hatte schon einige hässliche Dinge gesehen, dies jedoch noch nicht. Trotz des grausigen Anblicks fraß sich ihr Blick daran fest.
Mit Gewalt riss sie sich los.
Daniel und Teal’c starrten noch immer durch die Fensterscheibe ins Innere des Hauses. „Hey, Daniel.“ Sie schüttelte ihn. „Teal’c!“ Der Blick des Jaffa zeigte tiefe Erschütterung.
„Daniel“, erklärte sie eindringlich, um den Mann ins Hier und Jetzt zurückzubringen. „Ich glaube es ist besser, wenn du mit Vigor redest.“
„Was? Oh, ja. Sicher...“ Daniel räusperte sich und klopfte an die Tür, sorgsam bemüht nicht durch die Scheibe des Nachbarhauses zu blicken.
Damals, vor einem halben Jahr, hatten sie dem Herzog berichtet, dass sie den Unberührbaren abgeschaltet hatten und was für Konsequenzen das haben würde. Sam hatte aber auch nicht anders gekonnt, als auch Vigor davon zu erzählen – und zwar die ganze Wahrheit.
Seitdem hatte sich die Beziehung zwischen ihnen beiden – gelinde gesagt – getrübt, was sie ihm ganz und gar nicht verdenken konnte. Sie konnte sich gut vorstellen, dass er nun nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Da sie aber mit ihm reden mussten, war es wohl das beste, wenn Daniel das übernahm.
Nach einer kleinen Ewigkeit öffnete sich die Tür und Vigor erschien in ihrem Rahmen.
„Lasst ihr euch auch mal wieder blicken“, erklärte er mürrisch und ging zurück ins Haus, die Tür offen hinter sich stehen lassend.
Sie nahmen das als Einladung und betraten den Flur, wo ihnen zur Abwechslung ein scharfer und beißender Geruch entgegen schlug.
Eine Frage, ob sie die aufgequollenen Stiefel ausziehen sollten, erübrigte sich. Da wären sie die ersten gewesen. Entsprechend verdreckt war der Boden. Der dicke Staub auf den Möbeln war dagegen harmlos.
Das Wohnzimmer erwies sich als ebenso chaotisch. Papiere lagen überall verstreut, ungespültes Geschirr lag herum. Das selbstleuchtende Moos am Fenster hing genauso vertrocknet wie depressiv herab.
Vigor saß am völlig verwahrlosten Esstisch. „Ich hoffe ihr habt nicht vor bis zum Essen zu bleiben...“ gab er schleppend von sich. „Die Bauern sind faul geworden, Lebensmittel sind teuer.“
Bilder von Hungersnöten erschienen vor Sams innerem Auge. Ausgelöst von Bauern, die sich nicht mehr zum Arbeiten aufraffen konnten.
„Nein, nein. Das haben wir sicher nicht vor“, beruhigte ihn Daniel. „Wir würden aber gerne von dir erfahren, was auf eurer Welt geschehen ist, seit wir fort gegangen sind“, trug er ihr Anliegen vor.
„Das ist nicht ganz korrekt, Daniel Jackson“, unterbrach Teal’c mit Grabesstimme. Er trat vor und baute sich mit seiner beeindruckenden Gestalt vor Vigor auf. „Eigentlich wollen wir wissen, wann ihr damit aufgehört habt eure Toten zu bestatten.“
Vigor sah ihn überrascht an.
„In deinem Nachbarhaus sitzt ein toter Mann in seinem Sessel und verwest. Er ist schon sehr lange tot. Jeder vermag ihn durch das Fenster zu sehen. Wage es nicht zu behaupten, du wüsstest dies nicht!“
„Nun, das bereitet auch mir Sorge, weißt du...“ Vigor schluckte schwer. „Jeden Morgen sage ich mir, dass ich mich darum kümmern sollte, aber dann...“
„Aber dann was?“ fragte Teal’c unerbittlich.
„...aber dann ist es schon wieder Abend, wenn ich das nächste Mal daran denke.“ Er zuckte die Achseln. „...weiß auch nicht, woran das liegt.“
„Vielleicht“, meinte Teal’c gefährlich leise, „sollte man deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen.“
„Teal’c!“ rief Sam ihn zurück.
Das ging ihr jetzt definitiv zu weit. Die Wahrung der Totenruhe gehörte zum Kodex der Jaffa. Sie verstand das viel zu gut, aber es gab ihm nicht das Recht, Vigor zu bedrohen.
Mit feurigem Blick wandte sich Teal’c von Vigor ab, deutete Sam gegenüber eine Verbeugung an und trat dann einen Schritt zurück.
„Was ist hier geschehen?“ wiederholte Daniel mit beruhigendem Unterton seine Frage.
Vigor löste seinen verstörten Blick von Teal’c und erwiderte wie zuvor die schmuddelige Frau: „Was soll schon geschehen sein?“ Langsam drehte er den Kopf zum Fenster und wieder zurück. „Ihr meint wegen dem Dreck da draußen?“
„Ja, genau“, bestätigte Daniel.
„Irgendwann fingen ein paar Leute an ihren Müll auf die Straße zu werfen, statt ihn zu den Gruben vor der Stadt zu bringen“, erklärte er als sei es das natürlichste der Welt. „Mit der Zeit wurden es mehr. Ich gebe es zu, inzwischen sehe selbst ich nicht mehr ein, warum ich der Einzige sein sollte, der sich ans Gesetz hält.“
„Und wann genau ging das los?“
Er zuckte schon wieder mit den Achseln. „Vor ein paar Monaten...“
„Also nach unserer Abreise?“
„Nein, viel später.“ Ein seltsam trockenes Lachen ertönte. „Ihr glaubt doch hoffentlich nicht, das hätte was mit euch zu tun!“
„Doch, eigentlich schon.“
„Quatsch!“ fegte Vigor den Einwand heftig vom Tisch. „Obwohl... es war natürlich schon eine Umstellung, wie ihr gesagt hattet“, fügte er nachdenklich hinzu. „Aber ihr hattet recht: bei uns ändert sich ständig etwas und irgendwann hatten wir uns auch daran gewöhnt.“ Allmählich verfiel er wieder in seine schleppende Ausdrucksweise. „Anfangs blieben wir alle so lange wach, bis wir umfielen und einschliefen. Einige glaubten fast, der Schlag wäre zurück... Doch dann lernten wir, dass es besser war, wenn wir regelmäßig schliefen... Ich glaube, wenn ich heute nach Beginn der Dunkelheit auf die Straße ginge, würde ich niemanden mehr treffen...“
Ohne das Vigor es aussprach, vielleicht ohne dass es ihm selbst bewusst war, begriff Sam allmählich, was für ein Schock diese Entwicklung für die Mirphakaner gewesen sein musste.
Sie seufzte unbewusst und fing unvermittelt an zu husten. Etwas brannte in ihrer Kehle. Auf einmal kam ihr ein Verdacht, was diesen beißenden Geruch anging.
„Verzeihung, Vigor.“ Nach allem was sie ihm angetan hatte, sprach sie ihn dennoch an.
„Ja?“ erwiderte er knapp ohne sie dabei eines Blickes zu würdigen.
„Ich nehme an, du hast deine Forschungen eingestellt, oder?“
„Ja...“, knurrte er nur.
„Deine Behälter wurden doch teilweise von den Chemikalien zersetzt“, kam sie zum Punkt. „Kann es sein, dass du vergessen hast, sie umzufüllen?“
„Kann nicht nur sein... Ist so.“
„Aber!“ Verdammt! Wie konnte er nur so... „Du atmest hier vielleicht schon seit Wochen, wenn du Pech hast giftige, Dämpfe ein!“
Was war nur los mit ihr? Schon wieder ging es um das Schicksaal eines ganzen Planeten.
Und schon wieder war alles, an was sie in diesem Moment denken konnte, lediglich die Menschen, die sie unmittelbar kannte.
„Es ist schön, dass du um meine Gesundheit derartig besorgt bist“, erwiderte er zynisch. „Wenn ihr jetzt bitte gehen würdet...“

So niedergeschlagen, wie seine besten Leute bei ihrer Rückkehr gewirkt hatten, so sehr hatten sie auch gestunken.
Jetzt waren sie umgezogen und geduscht, doch der Geruch haftete noch immer an ihnen und erfüllte den Konferenzraum, in dem sie zusammen gekommen waren.
Der Bericht von einem zutiefst erschütterten Daniel war sehr ausführlich. Jack hörte die Worte, erfasste ihren Sinn – nur verstehen, das tat er nicht.
„Es ist letztlich genauso gekommen, wie Sam und ich es befürchtet haben“, schloss Daniel schließlich ohne einen Hauch von Genugtuung. Es war ihm anzusehen, wie gerne er sich geirrt hätte.
„Moment, Moment. Langsam“, Jack verstand einfach nicht. „Du hast damals etwas von Lebensgefühl geschwafelt, von einem Pfeiler ihrer Kultur und so was. Du hast nichts vom Untergang ihrer ganzen Zivilisation gesagt! “
„Jack, wenn der Pfeiler einer Kultur fällt, was glaubst du, was passiert“, erwiderte Daniel mit einer schrecklichen Selbstverständlichkeit. „Irgendetwas wird in sich zusammenbrechen.“
„Und das sollen wir verursacht haben? Wir wollten diesen Menschen helfen!“ erinnerte er.
Daniel schwieg und Jack verstand auch so: Sie hatten es verbockt. Er hatte sich geirrt und Daniel und Carter hatten mal wieder Recht gehabt.
„Schön“, meinte er. „Dann gehen wir zurück und schalten die Maschine wieder ein. Bringen alles wieder ins Lot.“ So einfach war das. Oder etwa nicht?
Doch Daniel schüttelte den Kopf.
Warum musste er nur den Kopf schütteln?
„Das würde nichts bringen!“ widersprach er eindringlich. „Der Schaden ist bereits angerichtet. Wir... Wir würden nur noch mehr durcheinander bringen!“ Er begann zu gestikulieren. „Und was ist mit dem Schlag? Er würde von neuem auftreten! Dann wäre doch das einzige, was wir erreicht haben, auch dahin.“
„Dann schicken wir ihnen eben ne Putzkolonne“, schlug Jack vor. „Entwicklungshelfer. Psychiater! “
„Für einen ganzen Planeten?“ fragte Daniel leise. Und dann nach kurzem Nachdenken: „Ich glaube nicht, dass wir diese Welt mit irgendeinem Land hier auf der Erde vergleichen können. Die Menschen haben eigentlich alles, was sie brauchen. Sie müssen nur damit anfangen, es wieder zu benutzen.“
„Sie würden unsere Hilfe auch gar nicht willkommen heißen, O’Neill. Sie würden gar nicht begreifen, was wir von ihnen wollen“, warf zu allem Überfluss jetzt auch noch Teal’c ein.
„Dann machen wir es ihnen eben begreiflich!“ Hatten sie nicht schon vertracktere Situationen gemeistert?
Fast fürchtete Jack auch diese Antwort zu kennen.
„Ich denke, nichts was wir tun könnten, würde ihnen helfen“, kam es wieder von Daniel. „Ich meine – haben wir uns nicht schon genug eingemischt?“
„Das war’s also?“ fragte Jack ungläubig. „Wir lassen es einfach auf sich beruhen?“ Wo ein Wille ist, da ist auch ein oder.
Doch da kam kein oder. Da war niemand, der eine geniale Idee vorzuweisen hatte.
„Ich denke uns bleibt gar keine andere Wahl, Sir.“ Carter hatte die ganze Konferenz über schweigend vor sich hin gestarrt. Er kannte sie gut genug um zu wissen, dass sie diese Zeit mit Selbstvorwürfen verbracht hatte, obwohl er ihr den Befehl gegeben hatte und das nur, um die Lage auf dem Planeten zu verbessern. Erst jetzt ergriff sie das Wort. „Wir lassen sie in Ruhe – aber nicht, ohne uns von ihnen zu verabschieden.“
Jack seufzte innerlich und gab sich wohl oder übel geschlagen.
Wer war er, dass er den beiden nach den vergangenen Ereignissen noch widersprach?

Sie hatten den Toten mit ihren Zats zerstrahlt.
Es war das mindeste was sie tun konnten, wenn man bedachte, dass er auf diesem Planeten bestimmt nicht der einzige war.
Vor einem halben Jahr waren sie gekommen, um diesen Menschen zu helfen.
Doch was hatten sie getan? Sie hatten einen Stein ins Rollen gebracht, den sie nun nicht mehr aufzuhalten wussten. Alles, was sie jetzt noch tun konnten, würde wahrscheinlich die Lage nur verschlimmern.
Zum ersten Mal fragte Sam sich, ob das Problem einzig und allein im Fällen einer richtigen oder falschen Entscheidung gelegen hatte. War sich gar nicht zu entscheiden, sich überhaupt nicht einzumischen, nicht ebenfalls eine Option?
Bis Gestern wäre ihr dies feige und verantwortungslos erschienen. Inzwischen glaubte sie darin jedoch, wenn man nach reiflicher Überlegung entsprechend handelte, durchaus Weisheit erkennen zu können.
Sie verließen das Haus des Toten und umrundeten es, um das Haus von Vigor zu erreichen. Sam hätte es nicht über sich gebracht, den Mirphakanern einfach den Rücken zuzuwenden. Sie fühlte sich verpflichtet wenigstens Vigor ihre Absichten mitzuteilen.
Vigor gab ihnen nicht die Schuld für den Zustand seiner Welt, dennoch hoffte sie, dass wenn er ihre Entscheidung verstand und akzeptierte, dass es dann auch alle anderen Mirphakaner akzeptieren konnten.
Die Tür zu Vigors Haus erwies sich als offen. Leicht beunruhigt über diesen Umstand betraten sie das Haus und begannen Vigor zu suchen. Zum Glück wurden sie schnell fündig.
Vigor stand in seinem Labor, trug fleckige, verklebte Lederhandschuhe und entleerte gerade den Inhalt eines tropfenden Behälters in eine von mehreren großen Schüsseln. Als er sie bemerkte, schob er sie schnell aus dem Labor heraus. „Ihr hattet Recht. Das Zeug ist nicht gesund. Ich habe wahnsinnige Kopfschmerzen.“ Mit diesen Worten führte er sie die Treppen herab und erneut ins Wohnzimmer.
„Was wollt ihr diesmal?“ fragte er schließlich mürrisch.
Ehe Sam etwas sagen konnte, ergriff Daniel das Wort. „Bevor wir dazu kommen, hätte ich eine Frage.“
Vigors Augenlider wurden sichtlich schwerer. „Wer hätte das gedacht...“
„Was hat dich auf einmal dazu gebracht aufzuräumen?“
Vigor zuckte Schultern. „Ich denke es wurde einfach unerträglich. Hab’s nicht anders ausgehalten...“
Die Aussage brachte in Sam etwas zum Schwingen. Er hatte es nicht mehr ausgehalten. Vielleicht musste die Situation einfach nur schlimm genug werden. So schlimm, dass sie einfach nicht anders konnten, als wieder aktiv zu werden.
„Vigor... Nur für den Fall, dass ihr auch irgendwann einmal den Dreck auf der Straße nicht mehr aushaltet“, begann sie hoffnungsvoll. „Eure Wasserrohre scheinen ja nie richtig funktioniert zu haben. Aber was ihr tun könntet, wäre groß angelegte Kanäle unter den Straßen zu bauen. Mit diesen könntet ihr dann nicht nur das Wasser in die Stadt bringen, sondern sie auch dazu nutzen, einen Teil des Abfalls aus der Stadt herauszuschwemmen.“ Den Vorschlag trug sie schon länger mit sich herum. Auf einmal erschien es ihr als das Zukunftsprojekt für die Mirphakaner. Ansonsten würden in dem Morast schon bald die ersten Krankheiten entstehen, welche der Natur sehr viel Spielraum in ihrer Fantasie ließen.
Für einen Moment trat ein Ausdruck in Vigors Gesicht, den sie noch gut kannte. Es war die gleiche Begeisterung, mit welcher er ihr einst über seine Erkenntnisse hinsichtlich des Rosten von Metall berichtet hatte.
Doch der Ausdruck verschwand sehr schnell wieder, ersetzt durch die bisherige stumpfsinnige Gleichgültigkeit. „Ich denke nicht, dass sowas machbar wäre...“, erwiderte er müde.
Soviel zum Prinzip Hoffnung, dachte Sam bitter. Patentlösungen gab es nicht.
„Eigentlich sind wir hier, um uns zu verabschieden“, eröffnete sie ihm schließlich. „Wir werden euch von nun an in Ruhe lassen. Und wir...“, fügte sie unvermittelt noch hinzu, „wünschen euch alles Gute für die Zukunft.“
Vigor warf ihr einen feindseligen Blick zu. Sie wich ihm nicht aus und für einen kurzen Moment sahen sie sich in die Augen. Dann verschwand die Feindseligkeit aus Vigors Blick, als ob er ihre Gewissensbisse und die Sorge um sein Volk erkannt hätte.
„Danke“, erwiderte er trocken.

Sie hatten sich auf den Heimweg gemacht, stapften durch eine stinkende, verlassene Straße in Richtung Stargate.
„Was glaubst du wird aus ihnen werden?“ fragte Sam in Gedanken versunken.
„Du meinst, weil Vigor begonnen hat aufzuräumen?“ kam die Antwort von Daniel.
„Ja.“
„Mir ist nicht ganz klar, wie aussagekräftig das ist“, erwiderte er nachdenklich. „Wäre durchaus möglich, dass er und sein Volk weiterhin einfach nur das tun, was absolut notwendig ist. Andererseits...“
„...andererseits wäre es genauso gut möglich, dass sie sich irgendwann aufraffen und ihre Zivilisation wieder aufbauen“, nahm Sam seine Aussage vorweg.
„Genau“, stimmte Daniel ihr zu. „Aber das liegt ganz allein bei ihnen. Und zwar nur bei ihnen...“


ENDE


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