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Dunkle Abgründe von Lorien

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Kapitel 3

„… und damit komme ich zum Ende meines Vortrages.“ Rodney schaute sein Publikum mit vorgestrecktem Kinn herausfordernd an. „Fragen?“ Gleichzeitig schrie seine ganze Haltung ‚wagt es ja nicht!’.

Er konnte es nicht erwarten, diesem dunklen und stickigen Raum zu entkommen. Sheppard saß wahrscheinlich irgendwo draußen in der Sonne und ließ es sich gut gehen, während er hier drinnen festsaß und sich völlig grundlos Sorgen machte. Ungebeten schlich sich ein Bild von Sheppard in seinen Kopf, wie dieser blutüberströmt und mit gebrochenen Knochen im Straßengraben lag, weil er zu sehr darauf konzentriert gewesen war, von Rodney wegzukommen, anstatt auf den Verkehr zu achten. Nur weil sie hier auf der Erde waren, hieß das noch lange nicht, dass der Colonel nicht genauso viel Ärger anziehen konnte, wie in der Pegasus Galaxie.

Oh mein Gott, oder was wäre wenn irgendeine dem SGC feindlich gesonnene Gruppe erfahren hatte, dass sie auf der Erde waren und Sheppard entführt hatte!

Nur mühsam konnte Rodney seine sich überschlagenden Gedanken wieder unter Kontrolle bringen. Selbst nach fast drei Jahren überwältigte ihn das Konzept ihrer Freundschaft hin und wieder immer noch. Wenn es um den Teil ging, der sich um andere Sorgen machen beinhaltete, reagierte er aufgrund mangelnder Erfahrung nicht selten etwas extrem. Aber he, immerhin sollte anerkannt werden, dass er sich Mühe gab! Besser zu viel als zu wenig! Und der Stress, den solch emotionale Bindungen verursachten, nahm Rodney nicht für jeden auf sich. Oh nein! Sheppard sollte das zu würdigen wissen und wenn er tatsächlich faul in der Sonne lag, konnte er als Strafe sein Essen gefälligst alleine bezahlen! Genau!

Gerade als Rodney zu der Überzeugung kam, dass alle seine Warnung verstanden hatten und es niemand wagen würde, ihn durch dämliche Fragen aufzuhalten, meldete sich doch tatsächlich jemand aus der hintersten Reihe zu Wort. „Dr. McKay, könnten Sie bitte noch einmal zu Ihrer dritten Folie zurückkehren. Ich denke, dass die da gezeigten Gleichungen nicht wirklich viel Sinn ergeben.“

Dritte Folie? Die dritte Folie?! Das konnte doch nicht wahr sein, das war doch mindestens zwei Stunden her! Wer konnte sich nach der Zeit noch an eine dritte Folie erinnern? Rodney wurde das Gefühl nicht los, dass ihn der Wissenschaftler auf den Arm nehmen wollte. Wenn er selbst einen Fehler so zeitig in einem Vortrag entdeckt hätte, hätte er sich mit Freuden schon längst zu Wort gemeldet. Ein Irrtum an so einer Stelle würde doch bedeuten, dass alles Nachfolgende ebenfalls nicht richtig war. Kein echter Wissenschaftler konnte während eines vor Fehler strotzenden Vortrages still dasitzen.

Noch bevor McKay seine Irritation mit einer bissigen Bemerkung zum Ausdruck bringen konnte, öffnete sich plötzlich die Tür. Für einen Augenblick hoffte er, Sheppard wäre zurückgekehrt, doch schon bald wurden aus den gegen die helle Öffnung nur verschwommen wahrnehmbaren Schatten zwei Gestalten. Von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet und mit Skimützen über dem Kopf begannen sie sofort mit Pistolen herumzufuchteln.

„Hände hoch! Und keiner rührt sich!“

„Schön sitzen bleiben, dann wird keinem etwas geschehen.“

Rodney wusste, dass er eigentlich Angst empfinden sollte. Doch irgendetwas irritierte ihn an den beiden. Sie wirkten weniger wie erfahrene Terroristen als wie Amateure, die ihre Vorgehensweise aus drittklassigen Gangsterfilmen abgeschaut hatten. Auch wenn die Waffen professionell aussahen und die aufgeschraubten Schalldämpfer nahe legten, dass sie keine unnötige Aufmerksamkeit von außen auf die Geschehnisse im Saal lenken wollten. Selbst ihre Sprüche schienen einem billigen Drehbuch entsprungen zu sein.

„Du da! Steh nicht so dumm rum, ich sagte, Hände nach oben!“

‚Tom und Jerry’, wie ihm eine verdächtig nach Sheppard klingende Stimme einflüsterte, waren an den Sitzreihen vorbeigegangen und gesellten sich zu McKay auf das Podium. Der kleinere der beiden, ‚Jerry’, ließ das Publikum nicht aus den Augen und richtete seine mit beiden Händen unsicher umklammerte Pistole auf die sitzenden Wissenschaftler. ‚Tom’ kam dagegen direkt auf Rodney zu. Er hielt seine Waffe lässig in der rechten Hand und richtete sie nun auf McKay.

„Ich sagte, Hände hoch!“ Vermutlich sollte die Stimme drohend klingen, doch verriet sie Rodney nur, dass sein Gegenüber noch ziemlich jung sein musste.

Die ganze Situation wirkte irgendwie surreal. „Das ist ein Witz, oder?“, fragte er kopfschüttelnd. „Das ist irgend so ein komisches Aufnahmeritual, bei dem ihr beweisen müsst, was für tolle Kerle ihr seid.“

„Kein Witz, Alter! Das hier ist todernst.“

„Dass ich nicht lache! Eure Eltern sollten euch eine Tracht Prügel verpassen und dann würde ich vorschlagen, dass ihr auf eure Zimmer zurückkehrt und euch weiter mit eurem Plastikspielzeug beschäftigt!“ So langsam kam Rodney in Fahrt.

Jetzt baute sich ‚Tom’ direkt vor McKay auf. „Mister! Falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten, bin ich hier derjenige mit der Pistole in der Hand.“ Dabei hielt er ihm die Waffe direkt unter die Nase. „Ein Zucken und Sie sind Geschichte“, zischte er drohend.

„Bist du dir sicher, dass das Ding überhaupt entsichert ist?“

Mit einem wütenden Knurren trat ‚Tom’ einen Schritt zurück und drückte ab.

Plopp!

Eine Sekunde lang schien die Zeit stillzustehen. Rodney fürchtete, dass ihn sein loses Mundwerk diesmal das Leben kosten würde. Doch anstelle der Schwärze eines plötzlichen Todes oder der Schmerzen einer verheerenden Schusswunde, spürte er nur ein Zupfen an seinem linken Ohr, bevor sich die Kugel mit einem dumpfen Geräusch in die hinter ihm liegende Wand bohrte. Wie in Trance griff er nach seinem Ohr und traf auf Nässe. Als er die Hand wieder herunternahm, starrte er fassungslos auf seine mit Blut bedeckten Finger.

„Nachricht angekommen? Und jetzt machen Sie jetzt gefälligst, was man Ihnen sagt! Hände hoch!“

„Du hast mein Ohr getroffen … Ich hab ein verdammtes Loch in meinem Ohr …“ Rodney konnte immer noch nicht glauben, dass er noch am Leben war. Erst als sein Gehirn die von der Wunde ausgehenden Schmerzen registrierte, wurde es real.

„Es gibt gleich noch mehr Löcher!“ ‚Tom’ schien kurz davor erneut die Geduld zu verlieren. „Hände hoch!“

„Übertreib es nicht“, mischte sich ‚Jerry’ ein. „Wir sollen ihn vorerst am Leben lassen.“ Dann wandte er sich an Rodney. „Und Sie, Mister, sollten lieber aufhören meinen Partner zu reizen. Ein wenig Respekt würde Ihnen gut tun.“

„Respekt? Vor zwei dahergelaufenen Möchtegern-Terroristen? Nicht nach dem, was ich in den letzten Jahren gesehen und überlebt habe.“ Ich habe in einem Kokon gesteckt, während sich ein Wraith über mich gebeugt hat und mich geweigert, ihm meine Angst zu zeigen! Nicht das Rodney, dies laut aussprechen konnte – oder wollte, denn schon die Erinnerung daran hinterließ einen trockenen Mund bei ihm.

„Was denn“, machte sich ‚Tom’ lustig. „Haben Sie etwa aus Versehen Ihr Labor in die Luft gesprengt?“

„DAS ist mir nicht mehr passiert, seit ich in der 6. Klasse war! Das war kurz bevor ich mir beigebracht habe, wie man Atombomben baut. Obwohl … wenn man es genau nimmt, waren da ja noch die drei Viertel eines Sonnensystems letztes Jahr.“

„So richtig wie MacGyver?“, fragte ‚Jerry’. „Der Typ, der aus Nichts auch immer die tollsten Sachen gebaut hat? Cool.“

„Also …“

„Das reicht jetzt! Wir sind hier nicht zum Plaudern!“ Rodney würde sich vor ‚Tom’ wirklich in Acht nehmen müssen. Der Typ war der deutlich aggressivere der beiden und schien auch noch echte Probleme mit seinem Temperament zu haben. Wenigstens hatte er aufgehört, seine Waffe direkt in das Gesicht des Wissenschaftlers zu halten.

Trotzdem konnte er sich die nächste Frage nicht verkneifen. „Und weswegen genau seid Ihr hier?“

„Na, weil uns jemand dafür bezahlt hat“, erklärte ‚Jerry’ hilfsbereit. „Wir sollten heute um diese Zeit herkommen und die Leute in dem Raum als Geiseln nehmen, wo ein gewisser Dr. Rodney McKay – das sind Sie doch, oder? – eine …“

„Halt die Klappe, Kyle!“

„He, ich dachte, wir wollten unsere Namen nicht verwenden!“

Rodney beobachtete, wie die beiden in eine Diskussion ausbrachen. Es war schlimmer als befürchtet. ‚Tom’ und ‚Jerry’ waren nicht nur blutige Anfänger, sondern hatten noch nicht einmal den leisesten Hauch eines Planes. Es konnte doch nicht sein, dass er alles überlebt hatte, was die Pegasus Galaxie vor ihre Füße geworfen hatte, nur um auf der Erde bei einem dilettantisch ausgeführten Überfall draufzugehen. Das einzig Positive an der Situation war, das Sheppard – hoffentlich - in Sicherheit war.

Ein Räuspern aus dem Publikum riss die beiden Bewaffneten aus ihrem Gespräch. „Können wir die Arme jetzt vielleicht wieder herunternehmen? Das Ganze wird langsam unbequem.“

„Okay, aber eine falsche Bewegung und das war’s!“

„Ich hasse es, mich zu wiederholen, doch was …“ Als sich die obere Tür plötzlich öffnete, blieb Rodney regelrecht der Mund offen stehen. Die Gestalt, die da unbekümmert in den Raum trat war eindeutig Sheppard. Aber warum hatte er eine Brille auf? Und was zum Teufel hatte er mit seinen Haaren gemacht? Sollte das etwa ein Mittelscheitel sein? McKay hatte es bis heute nie für möglich gehalten, dass der Tag kommen würde, an dem er Sheppards Frisurgeschmack für noch verrückter halten würde, als bisher. Aber man konnte halt immer noch etwas dazulernen.

***

Rodney war nur noch wenige Meter von Sheppards Quartier entfernt. Nachdem das Team in die Krankenstation gekommen war, nur um zu hören, dass ihr Anführer bereits entlassen worden war, hatten sie kurz über ihr weiteres Vorgehen beraten und beschlossen, Schichten einzuteilen, so dass Sheppard so wenig wie möglich allein sein würde. In einem spontanen Anfall von Hilfsbereitschaft hatte sich McKay dazu bereit erklärt, als erster die Aufgabe zu übernehmen, Sheppard zu beaufsichtigen … äh … zu beschäftigen.

Voller Pläne klopfte er an die Tür. Als sich nichts rührte, versuchte er es noch einmal. Gerade als sich Rodney dazu entschieden hatte, den Öffnungsmechanismus zu überbrücken, ging die Tür endlich auf und er trat ein.

Sheppard stand, nur mit einer Trainingshose bekleidet, mitten im Raum und trocknete sich mit einem Handtuch die Haare. „Was wollen Sie, McKay?“

„Uh …“ Da war wohl jemand mit dem falschen Bein aufgestanden. „Schauen wie es Ihnen geht, Colonel.“

„Gut! Mir geht es gut! Und das können Sie ruhig allen sagen, die fragen! Ich fühle mich großartig!“ Das Handtuch landete dank einer heftigen Bewegung in der Ecke, wo es sich zu weiteren achtlos fallengelassenen Kleidungsstücken gesellte. Sheppard öffnete eine Schublade und entnahm eines der schwarzen T-Shirts, von denen er einen unerschöpflichen Vorrat zu haben schien und zog es sich über den Kopf.

Rodney bekam erst mit, dass er auf Sheppards Oberkörper gestarrt hatte, als dieser ihn komisch anschaute. „Es ist alles weg“, sagte Sheppard leise. „Es sind keine Spuren zurückgeblieben – weder von dem Alterungsprozess, noch die Nährungsmarke. Alles ist wie neu.“

Während sich der Pilot auf das Bett fallen ließ und Socken und seine Laufschuhe anzog, suchte McKay krampfhaft nach einem Thema, mit dem er das eigenartige Schweigen überbrücken konnte. Er war nicht so unsensibel, dass er nicht erkennen konnte, dass seine Anwesenheit unerwünscht war, aber er hatte versprochen auf Sheppard zu achten. Ob es diesem nun gefiel oder nicht. „Ich wollte fragen, ob Sie vielleicht mit mir zusammen Frühstück essen wollen“, brachte er schließlich hervor.

„Kein Hunger!“

„Aber …“

„Ich sagte, ich habe keinen Hunger, McKay!“

„Schon gut, das ist kein Grund mich so anzuschreien. Sie brauchen ja nichts zu essen, obwohl Sie durchaus noch das ein oder andere Pfund auf ihren Rippen vertragen könnten, aber vielleicht …“

„Nein!“ Sheppard schaute nicht einmal auf, sondern schnürte stur weiter seine Schuhe.

„He! Sie könnten mich ja wenigstens ausreden lassen. Ich wollte ja nur fragen, ob Sie mir Gesellschaft leisten wollen.“

„Nein.“

„Okay, okay. Allerdings könnte ich ihr überzüchtetes Gen im Labor wirklich gut gebrauchen. Erst gestern hat eines der Teams eine ganze Kiste voller neuer Antikergeräte angebracht, von denen keiner auch nur die leiseste Ahnung hat, was sie machen.“

„Rodney …“ Obwohl Sheppard mit seinen Schuhen mittlerweile fertig war, schaute er McKay immer noch nicht direkt an. Vielmehr starrte er auf einen Punkt an der Wand. Mit resigniertem Tonfall fuhr er fort: „Sie können Elizabeth und Carson ausrichten, dass ich keinen Aufpasser brauche. Gut, sie wollen mir verbieten meinen Pflichten nachzugehen, aber deswegen brauche ich noch lange niemanden, der mir den ganzen Tag hinterher läuft.“ Mit diesen Worten stand er auf und bewegte sich zur Tür.

„Sheppard!“ Rodney musste sich beeilen hinterher zu kommen. „Warten Sie! Was haben Sie vor?“

„Ich gehen laufen.“

„Hat Carson das abgesegnet?“

Sheppard blieb so plötzlich stehen, dass Rodney beinahe in ihn hineingerannt wäre. Mit mühsam unterdrückter Wut drehte er sich um. „Es. Geht. Mir. Gut. Ich brauche niemanden, der mir sagt, was ich tun und lassen soll. Ich darf nicht arbeiten. Prima! Aber ansonsten kann ich machen, was ich will.“

Ein paar Minuten später stand Rodney immer noch im Gang und schaute in die Richtung, in die Sheppard davongejoggt war. Als er sich schließlich aus seiner Erstarrung löste, griff er nach seinem Komm-Gerät. „Ronon, McKay hier. Sheppard ist Laufen gegangen. … Was? … Woher soll ich wissen, ob er seine bevorzugte Strecke genommen hat? … Jaja, schon gut.“

Den ganzen Tag über kam Rodney nicht wirklich voran. Während er in seinem Labor saß und eigentlich an seinen zahlreichen Projekten hätte weiterarbeiten müssen, wanderten seine Gedanken immer wieder zu Sheppard. Auch wenn sein Verstand auf einer rationalen Ebene wusste, dass dieser in Atlantis mehr oder weniger sicher war, juckte es in Rodneys Fingern, alle fünf Minuten nach dem Komm-Gerät zu greifen und sich zu vergewissern, dass es Sheppard gut ging. Gleichzeitig schmerzte es ihn mehr, als er bereit war zuzugeben, dass dieser lieber laufen gegangen war, anstatt Zeit mit ihm zu verbringen. McKay konnte dem Konzept sich körperlich zu erschöpfen, wenn man emotionale Probleme hatte, einfach nichts abgewinnen. Wenn er sich ablenken musste, suchte er sich viel lieber ein kniffliges Problem und versuchte dies zu lösen. Auf die Art bekam er seinen Kopf am einfachsten frei. Nur heute schien nichts zu funktionieren.

Seine Stimmung war bereits vor dem Mittagessen auf dem Tiefpunkt, zu dem er so spät erschien, dass er nichts mehr von dem als Nachtisch gereichten Schokoladenkuchen abbekam. War er vorher schon gereizt, war er danach einfach nur noch unausstehlich. Innerhalb kürzester Zeit hatte er alle seine Assistenten mehrmals angeschrieen, bis diese schließlich das Weite suchten. Selbst Zelenka, der sonst eine höhere Toleranzgrenze hatte, wenn es um Rodneys Launen ging, war so klug, sich nicht in dessen Nähe sehen zu lassen.

Als er bei der Gleichung, an der er gerade arbeitete, bereits zum dritten Mal den selben Fehler machte, war er kurz davor für heute aufzugeben. Frustriert griff er nach seiner Kaffeetasse, nur um den mittlerweile kaum noch genießbaren, kalten Kaffee fast wieder auszuspucken. Lauthals fluchend gab er einige der kreativeren Sprüche wieder, die er während seiner Zeit in Russland gelernt hatte. Mit müden Schritten ging er zur Kaffeemaschine, um sich eine neue Tasse einzugießen.

Auf dem Rückweg hätte er die Tasse beinahe fallen gelassen, als er plötzlich Sheppard entdeckte, der in einer lässigen Haltung an seinem Arbeitsplatz lehnte. Er hatte ihn nicht kommen gehört. Unauffällig musterte Rodney Sheppard. Er sah besser aus, entspannter. Nur seine Augen zeigten an, dass das kein normaler Tag für ihn gewesen war. Es fehlte ihnen das sonst so typische Funkeln, die unbändige Lebensfreude, die Sheppard so oft ausstrahlte. Auch die Kollektion von blauen Flecken und leichten Abschürfungen war im Vergleich zum Morgen neu. Rodney würde ein Monatsgehalt darauf wetten, dass sie entweder von einer Übungsstunde mit Teyla und/oder Ronon stammten.

„Was wollen Sie, Colonel?“

„Ich habe gehört, hier würde eine Kiste Spielzeug herumstehen“, sagte Sheppard in einem Versuch die Stimmung aufzulockern. Das Lächeln in seinem Gesicht erreichte jedoch nicht ganz seine Augen.

„Antikergeräte sind hochwertige Technologie und kein Spielzeug!“, beschwerte sich Rodney verärgert. „Wenn Sie ihre Arbeit hier nicht ernst nehmen können, kann ich gern auf ihre Hilfe verzichten!“

„Sie müssen zugeben, McKay, dass die Kugel mit den gespeicherten Hologrammen letzte Woche ein wirklich nettes Spielzeug gewesen ist.“

„Vielleicht“, räumte er mürrisch ein. „Selbst Wesen, die so wenig Humor zu haben scheinen wie die Antiker, müssen sich ab und zu entspannen. Und jetzt, husch, husch! Ich muss meine äußerst wichtige Arbeit fortsetzen.“ Seine linke Hand versuchte Sheppard aus dem Labor zu wedeln.

Doch dieser rührte sich nicht vom Fleck. „Meinen Sie diese Gleichungen hier? Da kann sogar ich die Fehler schon aus zehn Meter Entfernung entdecken.“ Noch während Rodney an einer intelligenten Erwiderung arbeitete, bewegte sich Sheppard endlich zur Seite. „Aber vielleicht kann Ihnen das ja dabei helfen.“

„Wo haben Sie den denn noch her?“ Mit wässrigem Mund war Rodney in Sekundenschnelle an seinem Schreibtisch und riss den Teller mit dem Stück Schokoladenkuchen an sich, den Sheppard mitgebracht hatte. Er zögerte nicht einen Augenblick, bevor er mit einem fast ekstatischen Stöhnen in den Kuchen biss.

„Der isch wirklisch gud“, murmelte er mit vollem Mund und einem seligen Lächeln. Es dauerte keine drei Minuten bis Rodney den Teller restlos geleert hatte. Als er aus seinem Rausch erwachte, fiel sein Blick auf Sheppard, der ihn amüsiert beobachtete.

„Ähm, hätten Sie etwas abhaben wollen?“, fragte er verunsichert.

„Schon gut, ich habe bereits gegessen.“

„Perfekt! Dann können wir ja jetzt anfangen mit den … äh … Spielzeugen.“ Dies war Rodneys Weg, sich bei Sheppard für die Unfreundlichkeit der letzten Minuten zu entschuldigen – und sein Dank für den Schokoladenkuchen.

Glücklicherweise hatte Sheppard bereits in den ersten Wochen der Expedition gelernt, bei Rodney zwischen den Zeilen zu lesen, so dass er den Subtext ohne Probleme verstand. „Spielen wir“, meinte er grinsend.

Und damit schien der Tag doch noch ein produktives Ende zu haben. Für die nächsten Stunden arbeiteten die zwei in vertrautem Rhythmus zusammen. Während McKay Messungen vornahm und sich zahlreiche Notizen machte, schaltete Sheppard die unterschiedlichsten Geräte ein und aus. Obwohl nichts wirklich Brauchbares dabei war – Wer bitte brauchte einen Blumentopf mit integriertem Datenspeicher? Wenn es sich wenigstens um einen intelligenten Blumentopf handeln würde, der einem jedes Mal Bescheid sagt, wenn die Pflanzen wieder Wasser brauchen … aber ein Datenspeicher? -, kamen sie gut voran.

Die Zeit ging so schnell vorbei, dass keiner der beiden mitbekam, wie spät es eigentlich schon war. Rodney hielt erst inne, als er bemerkte, dass Sheppard vor Erschöpfung kaum noch die Augen aufhalten konnte. Doch Colonel Stoisch behauptete natürlich weiterhin, es würde ihm gut gehen, während er gleichzeitig vor lauter Gähnen den Mund nicht mehr zu bekam. Für einen Moment glaubte McKay bei der Erwähnung von Schlaf so etwas wie Panik in Sheppards Zügen erkennen zu können. Der Augenblick war jedoch so schnell vorbei, dass er sich fast sicher war, es sich nur eingebildet zu haben.

Als Rodney es schließlich auf die Mitleidstour versuchte und so tat, als ob er jeden Moment vor Erschöpfung zusammenbrechen würde, sah Sheppard endlich ein, dass es Zeit war Schluss zu machen.

******************************


Nach außen hin hatte Sheppard eine scheinbar tief in Gedanken versunkene Haltung angenommen, als er mit leicht schlurfenden Schritten den Hörsaal betrat. In Wirklichkeit studierte er die vor ihm liegende Situation jedoch aufs Genaueste. Innerhalb von nur wenigen Sekunden hatte er das in ängstlicher Spannung dasitzende Publikum und die beiden mit Rodney auf dem Podium stehenden bewaffneten Personen registriert.

Doch genauso schnell entdeckte er auch das Blut am Kopf des Wissenschaftlers. Einzig die Tatsache, dass Rodney aufrecht dastand und sich nicht vor Schmerzen auf dem Boden wälzte, hielt John davon ab, etwas Dummes zu tun. Er durfte nicht riskieren, seine Täuschung zu zeitig auffliegen zu lassen.

Bei seinem Eintreten hatte sich alle Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet. Während die beiden schwarz gekleideten Männer für einen Moment überrascht und vielleicht auch ein klein wenig mit der Situation überfordert wirkten, konnte man Rodneys Blick einfach nur als entgeistert bezeichnen. Ein paar Mal öffnete er seinen Mund, doch schloss er ihn immer wieder, ohne auch nur ein einziges Wort hervorzubringen.

In der Zwischenzeit war Sheppard einige Schritte in den Raum hinein getreten, so als ob er sich auf dem Weg zu seinem Platz befinden würde. Er war etwa zwei, drei Meter weit gekommen, als er seinen Kopf hob und vortäuschte, die beiden Gestalten auf der Bühne erst jetzt zu entdecken.

„Oh …“, stieß er scheinbar perplex hervor. John erstarrte an der Stelle, an der er sich gerade befand und hob die Hände in einer Geste, die möglichst unterwürfig wirken sollte.

„Wo kommst Du denn auf einmal her?“, fragte der größere der beiden Terroristen, während er seine Waffe auf John richtete.

„Woher wohl! Von der Toilette!“, kam Rodney Sheppard unvermittelt zu Hilfe. „Es gibt Leute, die schaffen es nicht einmal für zwei Stunden durchzuhalten, um sich einen wichtigen Vortrag anzuhören.“

War Rodney etwa sauer, weil er den Hörsaal so fluchtartig verlassen hatte? Für einen Moment war sich Sheppard nicht sicher, wie er dessen Sarkasmus deuten sollte. Was McKay konnte, konnte er jedoch schon lange. „Das ist der viele Kaffee“, versuchte er sich in einem entschuldigenden Tonfall. „Der viele Kaffee, ohne den ich morgens einfach nicht funktionieren kann.“

Dem vernichtenden Blick nach zu urteilen, den Rodney ihm zuwarf, hatte der Wissenschaftler die Anspielung genau verstanden. Doch noch bevor er sich mit einer spitzen Bemerkung revanchieren konnte, meldete sich der Bewaffnete wieder zu Wort. „Genug! Du da, komm hier runter!“

„Das ist nicht nötig!“ Diesmal klang kaum unterdrückte Panik in Rodneys Stimme mit. „Er kann sich doch einfach wieder auf seinen Platz im Publikum setzen. Ihr braucht ihn doch nicht!“

„Schon gut, Dr. McKay. Wenn der Mann mit der Pistole sagt, ich soll runterkommen, dann werde ich genau das machen.“

„Hören Sie das, Mister? So hat sich eine Geisel gefälligst zu benehmen!“, zischte der Mann in Rodneys Richtung, bevor er sich wieder an John wandte. „Und jetzt komm runter.“

Sheppard kam der Aufforderung mit sorgsam bemessenen Bewegungen nach. Während er seine Hände weiter in die Höhe hielt, hatte er seinen Oberkörper kaum merklich gedreht, so dass sein Rücken etwas zur Wand zeigte. Seine einzige Hoffnung war, dass keiner der im Publikum sitzenden Wissenschaftler auf die in seinem Hosenbund steckenden Holzstücke reagieren würde. Mit ein wenig Glück würde sie in dem gedämpften Licht und aufgrund der leicht abgewandten Haltung kaum einer wirklich wahrnehmen. Und sollte sie doch jemand entdecken, würde derjenige hoffentlich seinen vorhandenen Intellekt darauf verwenden, den Mund zu halten. Langsam näherte er sich dem Podium – und damit Rodney - Schritt für Schritt.

„Der sieht für einen Wissenschaftler aber ziemlich durchtrainiert aus“, meldete sich plötzlich der andere Bewaffnete zu Wort. Wie um besser sehen zu können, stellte er sich neben seinen Partner.

„Ach was, wahrscheinlich gibt es selbst unter solchen Strebern den ein oder anderen, der schon mal etwas von Sport gehört hat. Schau dir seine Haare an! Niemand der auch nur halbwegs cool ist, versucht mit solchen Haaren einen Mittelscheitel.“ Beide fingen an zu kichern.

Es war Sheppard egal, dass man sich über ihn lustig machte. Immerhin war die Reaktion doch nur ein weiteres Zeichen, dass er es mit Amateuren zu tun hatte. Die beiden machten es ihm wirklich leicht. Sie konzentrierten sich nicht wirklich auf ihre Aufgabe, standen viel zu dicht beieinander und beide schienen Rodney, der einige Schritte entfernt stand, total vergessen zu haben. Mit einem fast unmerklichen Kopfschütteln versuchte er jeder unüberlegten Aktion von Seiten McKays zuvorzukommen. Dann richtete John seine Aufmerksamkeit wieder auf die beiden Bewaffneten. In Gedanken überschlug er die verbleibende Entfernung und wie viel Platz er für seinen Plan brauchte.

Er war nur noch ein paar Schritte entfernt, als er schließlich in Aktion trat. Für alle anderen sah es so aus, als ob er beim Betreten des leicht erhöht liegenden Podiums plötzlich ins Stolpern geriet. Tatsächlich aber nutzte er die taumelnde Bewegung, um in die Nähe seiner Gegner zu gelangen. Gleichzeitig brachte er seine Arme über die Schultern und packte die beiden Holzstöcke mit einem festen Griff. In einem geschmeidigen Bogen ließ er den linken Stock auf den ausgestreckten Waffenarm des größeren und näher stehenden Mannes prallen. Während die Waffe noch nach unten gedrückt wurde und der sich lösende Schuss harmlos in den Boden fuhr, brachte John bereits den anderen Stock dank eines weiteren Bogens in direkten Kontakt mit der linken Seite des Mannes. Als dieser unwillkürlich seinen Oberkörper beugte, wie um sich um den Schmerz herum zusammenzurollen, brauchte Sheppard nur noch auf dessen Kopf zu schlagen, damit sein erster Gegner bewusstlos zusammenbrach.

Alles ging so schnell, dass der zweite Mann seine Waffe noch nicht einmal auf Sheppard gerichtet hatte, als dieser auch schon auf ihn losging. Mit einer eleganten Kombination, die Teyla stolz gemacht hätte, schaltete John diesen Gegner ebenfalls innerhalb kürzester Zeit aus. Beide Stöcke in einer Hand beugte er sich nieder, um die zu Boden gefallenen Pistolen aufzuheben, bevor er sich schließlich zu Rodney umdrehte.

In dem Auditorium herrschte atemlose Stille und so hörten die Wissenschaftler jedes Wort, dass Sheppard zu McKay sagte. „Ich brauche ein paar Kabel, McKay, damit wir die beiden fesseln können.“ Doch Rodney starrte ihn nur mit offenem Mund fassungslos an. So als ob er John noch nie in Aktion gesehen hätte.

„McKay!“

„Uh … Ja! Kabel! Kommen sofort!“

Während Rodney etliche der zwischen den technischen Geräten verlaufenden Kabel blindlings und ohne Rücksicht auf Verluste herauszog, sicherte Sheppard die beiden Schusswaffen und steckte sie sich hinten in den Hosenbund. Dann griff er nach den Kabeln, die Rodney brachte und machte sich an die Aufgabe, die beiden Männer zu fesseln. Eine kurze Überprüfung zeigte Sheppard, dass beide noch ein Weilchen bewusstlos sein würden, auch wenn sie nicht wirklich schwer verletzt waren. Ein paar Platzwunden, vermutlich der ein oder andere gebrochene Knochen, doch nichts, was eine unmittelbare Versorgung verlangte. Er richtete sich erst wieder auf, als er die Fesseln zu seiner Zufriedenheit angelegt hatte.

„Alles in Ordnung, McKay?“, wandte er sich dem Wissenschaftler zu. „Soll ich mir das mal anschauen?“

„Was? … Oh, geht schon … denke ich.“ Automatisch griff er nach seinem Ohr. Doch Sheppard war bereits an ihn herangetreten und schlug die Hand weg. Für einen Moment studierte er die Wunde.

„Die Blutung hat bereits aufgehört, aber …“, begann er.

„Was?!“, schnappte Rodney schon wieder mehr wie sein gewöhnliches Selbst, als die Pause zu lang wurde.

„Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber da fehlt ein Stück Ihres Ohres.“

„Was?!“ Die Panik war deutlich zu hören.

Sheppard konnte ein Kichern nicht unterdrücken. „Ganz ruhig, McKay. Es ist nur ein ganz kleines Stück. Das wird jeder Arzt problemlos zusammenflicken können. Spielen Sie nur nicht daran herum.“ Mit einem letzten Klapps auf Rodneys Hand, die sich schon wieder seinem Ohr näherte, drehte sich Sheppard schließlich zu den etwa zwanzig, im Publikum sitzenden Personen.

Während der ganzen Zeit hatten sie sich nicht gerührt, sondern saßen durch die schnelle Abfolge der Ereignisse vollkommen überrascht da. Mit großen Augen, die zum Teil furchterfüllt waren, zum Teil einen fassungslosen Ausdruck hatten oder einfach nur weit aufgerissen waren, folgten sie jeder Bewegung Sheppards.

„Meine Damen und Herren, ich bin Lieutenant Colonel John Sheppard und das Schlimmste ist vorbei. Wenn Sie so freundlich wären, noch für ein paar Minuten auf ihren Plätzen zu bleiben. Die Polizei ist informiert und wird jeden Moment eintreffen, um ihre Aussagen aufzunehmen. Okay?“

Für einen Moment schien sich niemand rühren zu wollen, doch dann begannen die ersten zustimmend zu nicken. John konnte förmlich spüren, wie eine Welle der Erleichterung durch die Gruppe ging. Er hatte sich bereits halb wieder umgedreht, als hinter ihm deutlich das Geräusch einer Waffe erklang, die entsichert wurde.

„Keine Bewegung, Colonel Sheppard!“, erklang eine harte Stimme. „Nehmen Sie langsam die Waffen aus ihrem Hosenbund und lassen Sie sie fallen, eine nach der anderen. Dann schieben Sie sie mit ihren Füßen zur Seite.“

John hätte sich am liebsten einen Augenblick gegönnt, um seine Augen in ohnmächtiger Wut zu schließen. Das durfte doch nicht wahr sein! Doch dann folgte er dem Befehl mit vorsichtigen Bewegungen. Als er fertig war, drehte er sich langsam um. Einer der beiden hinten sitzenden Männer war aufgestanden und hielt eine Pistole auf das Podium gerichtet. Er wirkte untersetzt und seine Haare begannen sich schon zurückzuziehen, doch auf seinem Gesicht war ein deutlicher Ausdruck von Hass zu lesen. Der Rest der Wissenschaftler sah genauso überrascht aus, wie sich Sheppard fühlte. „Was wollen Sie?“, fragte er schließlich.

„Oh, nur beenden, was diese beiden Dilettanten angefangen hatten, bevor Sie gekommen sind, um alles zu ruinieren.“

„Also war die Aktion hier Ihr Plan gewesen?“

„Ja“, schnaubte der Mann. „Man sollte meinen, jemand mit meinem IQ müsste in der Lage sein, einen Plan zu entwickeln, der funktionieren würde. Aber so etwas passiert eben, wenn man sich bei der Ausführung auf andere – geistig Minderbemittelte - verlässt. Und wenn man kaum Zeit zum Vorbereiten hat. McKay ist in letzter Zeit wirklich schwer auffindbar, so dass ich die Gelegenheit einfach nutzen musste, als ich las, dass er diesen Vortrag halten würde.“

„Was wollen Sie?“, wiederholte John seine Frage.

„Dafür sorgen, dass Doktor McKay seine gerechte Strafe erhält.“ Rodneys Titel wurde mit solcher Abscheu ausgespuckt, dass Sheppard eine dunkle Ahnung bekam. Der kleinste Anlass und das Ganze würde doch noch in einem Blutbad enden – mit Rodney als erstem Opfer.

„Ich? Was soll ich denn getan haben?“, meldete sich Rodney ungläubig zu Wort.

„Warum überrascht es mich nicht, dass Sie sich nicht einmal an mich erinnern können? Für Sie war ich wahrscheinlich nichts anderes als eine der vielen Ameisen, die Sie schon in ihrem Leben zerquetscht haben. Für mich hat es jedoch das Ende von allem bedeutet. Meine Karriere, meine Familie, mein Leben. Sie haben alles zerstört!“ Der Mann hatte sich in Rage geredet. „Und alles nur, weil es Ihnen Spaß macht, die Arbeiten von anderen Menschen zu zerpflücken!“

Sheppard versuchte sich unauffällig zwischen McKay und den Verrückten zu schieben, während dessen Aufmerksamkeit voll und ganz auf Rodney gerichtet war.

„Maynard? Sind Sie das?“

„Ah, ich sehe, der große Dr. Rodney McKay lässt sich doch dazu herab, sich an eines der niederen Wesen zu erinnern.“ Der Hohn in der Stimme des Mannes war fast greifbar.

„Lassen Sie uns darüber reden“, versuchte Rodney zu verhandeln.

Doch vergebens. „Nein! Zum Reden ist es zu spät. Jetzt werden Sie sterben!“

Als der Schuss in dem Raum laut widerhallte, war John längst in Bewegung. Er hatte den Mann nicht für eine Sekunde aus den Augen gelassen und auf jedes Zucken geachtet. In dem Moment, als dieser abdrückte, befand sich Sheppard bereits so gut wie in der Schusslinie. Mit letzter Anstrengung warf er sich direkt vor Rodney.

***

Nach einer Woche ohne wirkliche Aufgabe, ohne eine – wie es ihm schien – sinnvolle Beschäftigung, war Sheppard so weit die Wände hochzugehen. Er würde alles dafür geben, seinen Dienst wieder aufnehmen zu können, doch war er weiter davon entfernt als jemals zuvor. Ihm war klar, dass das, was er sich die letzten Tage so zugemutet hatte, Spuren hinterlassen hatte. Nur war es die einzige Möglichkeit gewesen halbwegs bei Verstand zu bleiben.

Schlaf war etwas, dem er mit fast panischer Angst aus dem Weg ging. Jeden Tag versuchte er sich bis zur Erschöpfung zu verausgaben und den Schlaf solange hinauszuzögern, bis er mehr oder weniger bewusstlos auf seinem Bett zusammenbrach. Ausgedehnte Läufe, Sparrings mit Teyla, Ronon oder seinen Marines, Zeit mit Rodney im Labor. Doch es nützte nichts. Nach zwei bis drei Stunden schreckte er regelmäßig schreiend aus Alpträumen auf, in denen er die Nährungen immer wieder bis ins kleinste Detail durchlebte. Danach war oftmals nicht an erneuten Schlaf zu denken und Sheppard zog sich meistens an, um sich bei Spaziergängen durch Atlantis abzulenken, oder zu einem weiteren zeitigen Lauf aufzubrechen.

Essen, ein anderes Problem. Nicht das er es nicht versuchte, denn Sheppard war schließlich lange genug Soldat, dass ihm bewusst war, dass er seine Kräfte erhalten musste. Doch seit seinem Zusammenstoß mit dem Wraith hatte er seinen Appetit einfach noch nicht wieder gefunden. Zum Glück schien es ganz gut zu funktionieren, dass er dem weniger Essen mit Nahrungsmitteln entgegenwirkte, die eine hohe Anzahl Kalorien enthielten. Die ein, zwei Pfund, die er in der Zwischenzeit verloren hatte, waren kaum der Rede wert und konnten durchaus auch auf sein umfangreicheres Bewegungspensum zurückzuführen sein.

Vortäuschen. Darin war er in den letzten Tagen wirklich gut geworden. Vortäuschen, dass die dunklen Ringe unter seinen Augen nicht von Alpträumen kamen. Vortäuschen, dass seine Gereiztheit nicht durch Schlafmangel verstärkt wurde. Vortäuschen, dass er Menschenmengen nicht nur deswegen aus dem Weg ging, um zufällige Berührungen zu vermeiden. Vortäuschen, dass es ihm gut ging, nur damit niemand auf die Idee kam, ihn zum Reden zu zwingen. Vortäuschen, dass er für die ständigen Mitleidsbekundungen dankbar war.

Doch wem versuchte er eigentlich etwas vorzumachen? Seinen Freunden oder sich selbst? Den Blicken seiner Teammitglieder nach zu urteilen, sahen sie durch mindestens die Hälfte seiner Täuschungsmanöver. Selbst Ronon hatte ihn während ihrer gemeinsamen Trainingsstunden besorgt angeschaut und bereits Versuche unternommen, ihn zum Reden zu bringen. Vor allem gestern, als eine der Sparringsrunden mit seinen Marines etwas aus dem Ruder gelaufen war und John beinahe die Kontrolle über sich verloren hatte. In einem plötzlichen Wutanfall war er aggressiver und rücksichtsloser als normal vorgegangen und hatte bei einem Faustkampf einem der deutlich größeren Marines aus Versehen die Nase gebrochen. Völlig entsetzt über sich selbst, hatte er Entschuldigungen ausgestoßen und war geflüchtet. Den Rest des Tages war er allen aus dem Weg gegangen.

Teyla dagegen versuchte, ihn immer wieder zum Meditieren zu bewegen, damit Sheppard eine Chance bekam, sich zu entspannen und das Erlebte endlich zu verarbeiten. Doch allein die Vorstellung daran, innezuhalten, sich irgendwo hinzusetzen und bewusst nichts zu tun, verursachte ihm Übelkeit. Selbst die Zeit, die er mit Rodney in dessen Labor verbrachte, hatte alle Ablenkung verloren. Während der Wissenschaftler den ersten Abend noch allein mit Sheppards Anwesenheit zufrieden gewesen war, versuchte auch er jetzt Gespräche anzufangen. Wenn ihm das Thema nicht so zuwider gewesen wäre, hätte John die Mühe, die sich Rodney gab, sicherlich zu würdigen gewusst und einen Weg gefunden, über dessen unbeholfenen Versuche der Anteilnahme zu lachen. Aber so war es nur eine weitere Sache, der Sheppard versuchte aus dem Weg zu gehen.

Konnten sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen?

Und der neue Tag versprach nicht besser zu werden. Nachdem er aus einem weiteren Alptraum aufgewacht war, zeigte Sheppards Uhr neben seinem Bett 3.57 Uhr an. Diesmal hatte er immerhin etwas mehr als drei Stunden schlafen können. Mit einem resignierten Seufzen brachte er seinen müden Körper dazu aufzustehen und in seine Laufkleidung zu schlüpfen.

Um diese Uhrzeit waren nicht nur die Gänge um sein Quartier wie ausgestorben. Außer der diensthabenden Wache war vermutlich keiner mehr auf den Beinen. Trotzdem versuchte Sheppard auf seinem Weg zu seiner üblichen Laufstrecke jeder zufälligen Begegnung aus dem Weg zu gehen. Auch wenn er dank seines vielen Herumwanderns wahrscheinlich längst den Ruf eines Geistes weghatte.

Bei den ersten Schritten fühlte sich Sheppards Körper noch schwerfällig und wie eingerostet an. Doch mit jeder weiteren Bewegung wachten seine Muskeln langsam aus ihrer Erstarrung auf. Bis er an seinem Ziel angekommen war, hatte er bereits mit Lockerungsübungen begonnen, um sich vor dem Lauf aufzuwärmen.

Entsprechend vorbereitet, begann John schließlich mit dem Laufen. Es dauerte nicht lange und sein Verstand hatte sich dem gleichmäßigen Rhythmus seiner Füße ergeben. Dies war für Sheppard die beste Zeit des Tages. Niemals sonst gelang es ihm so gut, seine Probleme und Sorgen in den Hintergrund zu drängen und seine Gedanken zu leeren. In einem Zustand, den man fast als Entspannung bezeichnen konnte, setzte er automatisch einen Fuß vor den anderen, während er durch die leeren Gänge von Atlantis rannte.

Nur forderten die letzten Tage langsam ihren Zoll und Sheppard fing schneller an zu ermüden. Nicht bereit, schon aufzuhören, zwang er seine Beine dazu sich weiter zu bewegen und das Zittern zu ignorieren. Selbst nach dem ersten Stolpern setzte er seinen Lauf fort und reduzierte nur das Tempo ein wenig. An einer Treppe geschah es dann. In seiner Erschöpfung traf John eine Stufe nicht richtig. Noch bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte, fühlte er sich fallen.

weiter: Kapitel 4
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