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Dunkle Abgründe von Lorien

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Kapitel 2

Manchmal zahlte es sich echt aus, ein Genie zu sein. So hatte Rodney keinerlei Probleme damit, seinen Vortrag zu halten, gleichzeitig unauffällig Sheppard im Auge zu behalten und seine Gedanken wandern zu lassen. Zugegeben, das Thema seiner Präsentation war im Vergleich zu den Dingen, mit denen er sonst in Atlantis beschäftigt war, nicht gerade hochkompliziert. Aber immerhin durfte er im Gegensatz zu Colonel Carter und Dr. Lee vor nicht allzu langer Zeit etwas vorstellen, das tatsächlich funktionierte. Und wer weiß, vielleicht schaffte es seine eher zufällige Entdeckung – während er gerade mal wieder dabei gewesen war, zwei Galaxien gleichzeitig vor dem Untergang zu bewahren – der Steigerung der Effizienz bei der Gewinnung erneuerbarer Energien eines Tages die Welt zu verbessern. Zumindest so lange, bis es ihnen gelang ein Lager mit voll geladenen ZPMs zu finden – oder noch besser, bis er irgendwann eine Möglichkeit erfinden würde, sie selbst herzustellen.

Trotzdem, wäre es nicht für den Mann gewesen, der gerade in der hintersten Reihe des Auditoriums herumlungerte, hätte sich Rodney nie dazu herabgelassen, den Vortrag zu halten. Er hoffte nur, dass Sheppard diese Geste zu schätzen wusste, immerhin könnte McKay die Zeit auch nutzen, um etwas wirklich Wichtiges zu erfinden.

Rodney stoppte seine wandernden Gedanken mit einem innerlichen Schnauben. Wem versuchte er hier eigentlich etwas vorzumachen? Das Ganze war schließlich seine eigene Idee gewesen. Möglichst beiläufig riskierte er einen weiteren Blick in Sheppards Richtung und stellte überrascht fest, dass der nicht nur drei Stühle auf einmal beanspruchte, sondern auch zum ersten Mal seit Wochen mehr oder weniger entspannt wirkte. Da er nur aus dem Augenwinkel heraus schielte, konnte er sich nicht ganz sicher sein, doch es sah so aus, als ob Sheppard sogar ein leichtes Lächeln im Gesicht hatte.

Das war definitiv ein Fortschritt. Erleichtert und mit mehr Elan als bisher, setzte Rodney seine Erläuterungen fort. Er konnte es kaum noch erwarten fertig zu werden, um zum angenehmeren Teil des Tages zu kommen. Auch wenn er sich eher die Zunge abschneiden würde, als es laut auszusprechen, freute er sich auf das Abendessen, zu dem er Sheppard als Ausgleich für die Teilnahme an dieser kleinen Konferenz ‚eingeladen’ hatte.

Während er sich zur Projektionswand drehte und auf Besonderheiten in den gezeigten Gleichungen hinwies, kalkulierte er in Gedanken, wie lange die Präsentation noch etwa dauern würde. Wenn er ein wenig schneller redete, vermutlich nicht länger als etwa 30 bis 35 Minuten. Das funktionierte aber nur, wenn die hier sitzenden so genannten Wissenschaftler alles sofort verstanden hatten und nicht anfangen würden, ihn endlos mit dummen Fragen zu nerven.

Und nicht während seines Vortrags schlafen würden! Er konnte es nicht fassen, doch die Geräusche, die hinter seinem Rücken aus dem Auditorium zu kommen schienen, waren unmissverständlich. Schnarchen! Da wagte es doch tatsächlich jemand zu schnarchen!

Mit unverhehlter Missbilligung wandte sich Rodney seinem Publikum zu. „Wer nachts nicht schlafen kann, sollte die Güte haben, meine kostbare Zeit nicht damit zu vergeuden, dass er das hier nachholt. Sie bezeichnen sich alle als ambitionierte Wissenschaftler, da sollten Sie ein wenig Schlafmangel verkraften können. Ich habe einmal …“

Die Worte blieben Rodney im Halse stecken, als er erkannte, woher die Laute gekommen waren. Noch vor zwei Wochen wäre Sheppard einer bissigen Bemerkung des Wissenschaftlers nicht entkommen, doch jetzt war dieser viel zu erleichtert, seinen Freund überhaupt schlafen zu sehen. Auch wenn dessen Haltung nicht gerade bequem aussah. So tief wie der Kopf auf der Brust hing, war es ein Wunder, dass Sheppard überhaupt Luft bekam.

Und obwohl er es beinahe versucht hätte, konnte McKay seine Präsentation mit der Ablenkung im Hintergrund nicht wirklich beenden. Schweren Herzens entschied er sich dazu, Sheppards Nickerchen zu beenden.

„Sheppard!“ Der Ausruf ergab keine sichtbare Reaktion.

„Sheppard!“, versuchte er es noch etwas lauter.

Plötzlich wurde der Schlaf des Piloten unruhig und er begann rastlos auf dem Stuhl herumzurutschen. Ein scheinbar tief aus dem Inneren kommendes Stöhnen jagte eine Gänsehaut über Rodneys Rücken. Mittlerweile hatte sich der gesamte Saal umgedreht und alle Augen waren auf Sheppard gerichtet. Als aus dem Stöhnen ein Wimmern wurde, blieb Rodney nichts anderes übrig, als zu handeln. Er wusste wie sehr Sheppard es hasste im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Der Mann zeigte nie auch nur ein bisschen von dem was tatsächlich in ihm vorging und würde immer noch behaupten, dass alles in Ordnung wäre, wenn er schon verblutend am Boden liegen würde. Da würde Sheppard sicherlich nicht wollen, dass ein ganzer Raum voller fremder Leute ihn bei einem Alptraum beobachten konnte.

Rodneys laut gerufenes „JOHN!“ hallte dank der guten Akustik durch das gesamte Auditorium.

Diesmal konnte man das Ergebnis fast schon als spektakulär bezeichnen, als Sheppard mit einem halb in der Kehle stecken gebliebenem Schrei aus dem Schlaf aufschreckte. Für einen Moment schaute er sich unsicher um, bevor er mit einem wackligem Lächeln versuchte die Stimmung aufzulockern.

„Äh … Hi! Sorry für die Unterbrechung.“

Doch Rodney erkannte genau, wie gequält das Lächeln war. Was sollte er jetzt machen? Er konnte doch nicht einfach so tun, als ob nichts gewesen wäre und mit seinen Gleichungen und Schaltplänen fortfahren. Auch wenn das sicherlich genau das war, was Sheppard wollte. Zaghaft machte Rodney einen unbewussten Schritt in dessen Richtung.

Daraufhin sprang Sheppard wie ein verschrecktes Tier auf und verschwand durch den Ausgang. Alles war so schnell gegangen, dass Rodney nicht einmal Zeit zum Blinzeln gehabt hatte. Sekunden verstrichen und er starrte noch immer wie vor den Kopf geschlagen auf den jetzt leeren Platz. Ein Räuspern aus dem Publikum löste schließlich seine Erstarrung.

„Ja … also … Wo war ich stehengeblieben? Ach ja … Wie Sie hier sehen können, wenn Sie sich die Mühe machen würden genau zu schauen, kann man …“ Nicht wirklich mit seinem Herzen bei der Sache, fuhr Rodney in seinem Vortrag fort, während seine Gedanken eine ganz andere Richtung nahmen …

***

Das konnte doch nicht wahr sein! Was dachte sich dieser schottische Voodoo-Künstler eigentlich dabei, sie hier alle vor der Tür warten zu lassen? Sie hatten ein Recht darauf zu sehen, wie es Sheppard ging, schließlich waren sie sein Team!

Mehr pikiert als wirklich wütend stapfte Rodney zum wiederholten Male innerhalb von nur wenigen Minuten durch den kleinen Vorraum, um an der Tür auf jedwede Geräusche aus der dahinterliegenden Krankenstation zu lauschen. Dabei war es ihm egal, dass er mittlerweile allen Anwesenden auf die Nerven ging. Er hatte sich schließlich Mühe gegeben! Für geschlagene 41 Minuten hatte er stillgesessen - oder zumindest so etwas in der Art versucht - und geduldig darauf gewartet, dass Beckett herauskam, um sie über Sheppard zu informieren. Das war lang genug gewesen. Wie lange brauchte man schon, um einen scheinbar gesunden Mann zu untersuchen? Sie hatten doch alle gesehen, dass es Sheppard gut ging. Der Mann war sogar selbstständig zur Krankenstation gegangen! Zugegeben er wirkte dabei etwas weggetreten und war ein- oder zweimal falsch abgebogen, aber das war doch nichts wirklich Neues und damit auch kein Grund zur Sorge.

Oder?

Ohne es zu merken war Rodney auf seiner Wanderung wieder bei seinem Stuhl angekommen. Für einen Moment stand er unschlüssig da, bevor er sich mit einem theatralischen Aufseufzen setzte. Doch es dauerte kaum zwei Minuten, bis er aufsprang und seine Wanderung erneut aufnahm. Während Teyla Rodney nur verständnisvoll nachlächelte, sah Elizabeth aus, als ob sie etwas sagen wollte, sich dann aber doch anders entschied. Ronon dagegen zog eines seiner vielen Messer hervor und starrte McKay herausfordern an, während er demonstrativ damit herumspielte. Hätte Rodney auch nur für einen Augenblick innegehalten, um den Satedaner zu beobachten, hätte die drohende Geste vielleicht ausgereicht, um ihn für weitere fünf Minuten auf seinem Stuhl zu halten.

Allerdings war sich McKay der Gefahr absolut nicht bewusst. Vielmehr wanderten seine Gedanken unvermeidlich zurück zu den Geschehnissen des letzten Tages. Die Verzweiflung, die er während der Übertragungen empfand, war in seiner Erinnerung noch genauso intensiv wie die Erleichterung und der Unglaube, als sie Sheppard unversehrt fanden.

Von allen Menschen, denen Rodney je begegnet war, war Sheppard derjenige, bei dem es ihm am wenigsten überraschte, dass er einen Weg gefunden hatte, das zu überleben. Jeder sonst hätte nach der ersten Nährung aufgegeben und sich seinem Schicksal gefügt. Welcher Mensch, der halbwegs bei Verstand war, würde auch schon auf die Idee kommen, sich mit einem Wraith zu verbünden? Beziehungsweise, wer konnte es normalerweise überhaupt schaffen, einen Wraith auf seine Seite zu ziehen? Wer, außer Sheppard? Viel zu oft hatte Rodney nicht die leiseste Ahnung, was im Kopf seines Teamleiters vorging. Die Ideen, die unter dem verboten gehörenden Haarschopf entstanden, waren meist so verrückt, dass sie eigentlich niemals funktionieren dürften. Und doch schaffte es der Mann, jeder Logik zum Trotz, immer wieder zu überleben – und nicht selten auch alle anderen mehr oder weniger heil nach Hause zu bringen. Rodney hatte längst aufgegeben mitzuzählen, wie oft Sheppard schon dem scheinbar sicheren Tod gegenüber gestanden hatte, nur um ihm dann im allerletzten Moment von der Schippe zu springen.

Irgendwann im Laufe der letzte drei Jahre hatte er sich daran gewöhnt, dass der Colonel immer da sein würde. Deshalb war es um so schwerer zu ertragen gewesen, als es diesmal so aussah, als ob Sheppard das Glück schließlich doch verlassen hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben wäre Rodney bereit gewesen, einen anderen Menschen kaltblütig zu töten. Und das machte ihn nervöser, als er bereit war zuzugeben. Er war Wissenschaftler und kein Soldat! Er sollte sich danach sehnen, so viel Zeit wie möglich in seinem Labor verbringen zu können und nicht das Bedürfnis verspüren, einem Psychopaten hinterher zu jagen, nur damit dieser nicht noch einmal auch nur in die Nähe von Sheppard gelangen konnte.

Nach, wie es Rodney vorkam, Stunden öffnete sich endlich die Tür zur Krankenstation. Jetzt sprangen auch die anderen von ihren Sitzplätzen auf und alle Aufmerksamkeit richtete sich auf Beckett.

„Wie geht es Sheppard?“

„Können wir zu ihm?“

„Warum hat das solange gedauert?“

„Sind irgendwelche Nebenwirkungen zu erwarten?“

„Nebenwirkungen? Was für Nebenwirkungen? Dass er jetzt jünger aussieht als zuvor?“

„Carson?“

Unbeeindruckt von den auf ihn einstürmenden Fragen führte der Arzt die kleine Gruppe ein Stück von der Tür weg, bevor er mit seinem Bericht begann.

„Die vorläufigen Untersuchungen haben ergeben, dass es Colonel Sheppard so weit gut geht. Er ist ein wenig dehydriert und auch die letzte Mahlzeit ist schon ein bisschen her, doch das ist nichts, was man nicht mit einer Infusion ausgleichen kann. Wir werden sehen, was die Blutuntersuchungen ergeben, aber es sieht so aus, als ob das schlimmste seiner körperlichen Symptome eine schwere Erschöpfung ist.“

„Können wir ihn sehen?“, fragte Teyla erneut.

„Im Moment lieber nicht.“ Beckett schaute sie entschuldigend an. „Er war so erschöpft, dass er fast sofort eingeschlafen ist. Und es wäre besser, wenn er so viel ungestörten Schlaf wie nur möglich bekommt, da fast mit Sicherheit zu erwarten ist, dass der Colonel unter Alpträumen leiden wird. Niemand kann so etwas überleben und unberührt von den Ereignissen davongehen.“

„Vielleicht sollten wir ihn dazu bringen, Sitzungen mit Dr. Heightmeyer zuzustimmen.“

„Viel Glück dabei, Elizabeth“, warf McKay mit einem Schnauben ein. „Sheppard würde sich doch lieber mit einer Wraith-Queen anlegen, als freiwillig mit Kate Heightmeyer zu reden.“

„Wenn es sein muss, kann ich es auch zu einer Vorraussetzung für die Wiederaufnahme seines Dienstes machen“, fuhr Weir, nicht wirklich von ihrem Vorschlag überzeugt, fort.

„Ich stimme zu, dass wir versuchen sollten, Colonel Sheppard dazu zu bringen, über das Erlebte zu reden. Nur weiß ich nicht, ob es eine so gute Idee ist, ihn zum jetzigen Zeitpunkt dazu zu zwingen. Bei solchen Sitzungen sollte der Patient zumindest bereit sein es zu versuchen. Sheppard hat genug Erfahrungen mit Psychologen, dass ich befürchte, wenn er nicht reden will, dann wird ihn auch keiner dazu bringen. Wenn wir ihn zwingen, wird er sich wahrscheinlich nur noch mehr verschließen.“ Während er weiter sprach, nahm sich Carson die Zeit, mit jedem von Sheppards Team für einen Moment Blickkontakt aufzunehmen. „Vielleicht gelingt es uns aber auch, dass er sich seinen Freunden gegenüber öffnet. Mit irgendjemandem sollte er über das Erlebte reden. Er wird es nicht einfach ignorieren können. Auf jeden Fall würde ich vorschlagen, dass der Colonel seinen Dienst nicht sofort wieder antritt.“

Ohne zu Zögern schloss sich Weir dem Vorschlag an. „Einverstanden, Carson. Geben wir ihm ein paar Tage alles zu verarbeiten.“

„Ähm … Ich glaube auch hier nicht, dass ihm diese Idee gefallen wird.“

„Ja, Rodney, das ist mir bewusst. Da ich nicht vorhabe, Sheppard Bettruhe zu verordnen, kannst Du ihn vielleicht ein wenig ablenken. Zeit mit ihm verbringen. Ihr alle. Seid einfach für ihn da. Und wir werden sehen, wie es sich weiter entwickelt, ob irgendwelche längerfristigen Probleme zu erwarten sind. Schon jetzt deutet sich an, dass Colonel Sheppard noch mehr Probleme mit Berührungen hat, als bisher.“

„Wir werden diese Aufgabe gern übernehmen“, sagte Teyla mit einem leichten Neigen ihres Kopfes.

„Ich weiß. Doch genug für heute. Es ist spät und ich bin mir sicher, uns allen fehlt Schlaf. Kommt morgen früh wieder.“ Der müde Ausdruck in Becketts Gesicht unterstrich seine Worte nur noch.

Widerstrebend löste sich die kleine Gruppe auf. Dabei konnte Rodney ein unangenehmes Gefühl nicht ganz unterdrücken und murmelte im Gehen „schlechte Idee, ganz schlechte Idee“ vor sich hin. Das Problem war nur, dass er selbst auch nicht mit Sicherheit bestimmen konnte, was so schlecht war.

******************************


Erst als sein Kopf zur Seite wegkippte, merkte Sheppard, dass er schon wieder am Einnicken war. Erschrocken riss er die Augen auf und setzte sich aufrechter hin. Er konnte nicht schlafen! Nicht hier, nicht in der Öffentlichkeit! Die Vorstellung, dass weitere Leute einen seiner Alpträume hätten mitbekommen können, ließ Johns Magen krampfhaft zusammenziehen. Er wusste, dass er Schlaf brauchte, aber bestimmt nicht auf einer Parkbank auf einem stark frequentierten Campus!

Ein Blick in die Umgebung zeigte John jedoch, dass sich der Hof in der Zwischenzeit zu einem großen Teil wieder geleert hatte und sich kein Student mehr in unmittelbarer Nähe befand. Die fünf Minuten, die er sich noch in der Sonne hatte gönnen wollen, mussten längst um sein. Als er auf seine Uhr schaute, sah er, dass fast zwanzig Minuten vergangen waren. Widerwillig stand Sheppard auf, um zurückzugehen und McKay abzufangen, bevor dieser begann, die Universität auf der Suche nach John umzukrempeln.

Keine fünf Schritte später hörte John, wie sich hinter ihm schnelle Schritte und gedämpfte Stimmen näherten. Für einen Moment hatte er das Gefühl, zurück auf Kolyas Planeten zu sein, umgeben von einem Wald und einer Bande Genii, die ihn jagten. Instinktiv griff er an seine rechte Seite, wo sich normalerweise seine Handfeuerwaffe befand. Gleichzeitig drehte er sich mit einer fließenden Bewegung und klopfendem Herzen um. Sheppard hätte vor Erleichterung beinahe aufgelacht, als er erkannte, dass die beiden dunkel gekleideten Gestalten nur ein paar halbwüchsige Jungs von vielleicht gerade mal zwanzig Jahren waren, die vermutlich auf dem Weg zu einer Vorlesung waren. Unzufrieden mit sich selbst und seiner übertriebenen Reaktion, versuchte John mit einer bewussten Anstrengung seine gespannte Körperhaltung zu lösen. Die beiden Studenten schienen nichts von seinem ungewöhnlichen Verhalten mitbekommen zu haben und setzten ihren Weg unbeeindruckt fort. Es dauerte noch ein paar Sekunden, bis die beiden so nah waren, dass John einzelne Worte ausmachen konnte.

„Los, mach schon! Beeil dich ein wenig!“

„Es ist nicht meine Schuld, dass wir so spät dran sind. Wer von uns war denn unzufrieden mit dem Parkplatz!“

„Du weißt genau, dass wir schnell wieder verschwinden müssen. Verdammt, das bringt unseren ganzen Zeitplan durcheinander!“

Sheppard war schon immer jemand gewesen, der sich von seinen Instinkten zwar nicht alles diktieren ließ, in vielen Situationen jedoch nur deshalb überlebt hatte, weil er bereit gewesen war, auf das zu achten, was sie ihm versuchten zu sagten. Und als jetzt eine Ahnung dafür sorgte, dass sich die Haare auf seinen Armen aufrichteten, nahm er sich die Zeit, die Jungen genauer zu betrachten.

Auf den ersten Blick schienen sich die beiden in nichts von den anderen Studenten auf dem Campus zu unterscheiden. Allenfalls waren sie für einen so warmen Sonnentag in ein wenig zu viel Schwarz gekleidet, doch was wusste John schon über die Trends nach denen sich die Kids von heute richteten? Bei eingehender Betrachtung wirkten sie jedoch eigenartig nervös. Auch wenn sie ab und zu unsichere Blicke auf ihre Umgebung richteten, schienen sie sie nicht wirklich wahrzunehmen. Mittlerweile waren die Jungen genau auf Sheppards Höhe angekommen, doch zeigten sie mit keiner Geste an, dass sie sich seiner Anwesenheit überhaupt bewusst waren. Der etwas größere der beiden war einen Schritt vor dem anderen und zerrte seinen Begleiter hinter sich her. Der wiederum klammerte sich an einen Rucksack, den er mit beiden Armen gegen seine Brust presste. Sie wirkten total angespannt, so, als ob sie vor einem wichtigen Ereignis standen, das sie zugleich fürchteten und kaum erwarten konnten.

„Wir dürfen nicht zu spät kommen!“

„Ich weiß, ich weiß …“, kam die keuchende Antwort. „Aber es hieß doch, dass der Typ sich so gerne reden hört, da wird er bestimmt noch nicht fertig sein.“

„Hoffentlich! Hast du alles dabei?“

Diesmal sparte sich der zweite Junge die Worte, stattdessen löste er die Umklammerung des Rucksacks ein wenig, um ihn ein kleines Stück zu öffnen. Obwohl die beiden schon ein paar Meter entfernt waren, sah John für einen Augenblick wie das Sonnenlicht von Metall im Inneren der Tasche reflektiert wurde. Wenn auch diesmal aus völlig anderen Gründen spürte Sheppard, wie sich sein Magen zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit unangenehm zusammenzog. Was er gesehen hatte, war unmissverständlich gewesen. Er hatte in seiner Laufbahn oft genug mit Waffen zu tun gehabt und was er in dem Rucksack entdeckt hatte, war eindeutig eine Pistole gewesen.

John Sheppard glaubte nicht an Schicksal. Zumindest glaubte er nicht daran, dass er selbst mit übermäßig viel Glück gesegnet war. Wie sonst konnte es sein, dass er immer wieder in die unmöglichsten Situationen geriet? Was er auch machte, wohin er sich auch wandte, überall schien der Ärger bereits auf ihn zu warten. So dürfte es ihn eigentlich nicht überraschen, dass sein als Erholung gedachter Heimaturlaub im Begriff war, hektisch und gefährlich zu werden. Und doch kam ihm nicht für eine Sekunde der Gedanke, sich zurückzuhalten und zuzulassen, dass jemand anderes das Problem lösen würde.

Vorsichtig setzte er sich in Bewegung und versuchte den beiden so unauffällig wie möglich zu folgen. Seine dunkelsten Befürchtungen schienen sich zu verdichten, als sie das nächstliegende Gebäude durch genau die Tür betraten, die John vor gar nicht so langer Zeit selbst benutzt hatte. Sprich, im schlimmsten Fall waren sie in genau der Richtung unterwegs, in der sich Rodney befand. Unwillkürlich beschleunigte der Colonel seine Schritte um aufzuschließen. Unglücklicherweise verhinderten die das Sonnenlicht spiegelnden Glasflächen, dass er erkennen konnte, wohin genau sich die Jungen als nächstes wandten.

Als er an der Tür angekommen war, nahm sich Sheppard einen kurzen Augenblick Zeit, um tief durchzuatmen und letzte Unsicherheiten abzuschütteln. Sein militärisches Training hatte bereits bei den erstes Anzeichen von Ärger dafür gesorgt, dass die Erinnerungen an die letzten Wochen in die Tiefen seines Unterbewusstseins verdrängt wurden und sich sein Körper und sein Verstand einzig und allein auf die potentielle Bedrohung konzentrierten. Doch die Tatsache, dass sich ein Mitglied seines Teams möglicherweise in Gefahr befand, machte die Situation noch eindringlicher. Schon bevor sie gekommen waren, um ihn aus Kolyas Händen zu befreien, hätte er alles für Rodney, Teyla und Ronon getan – jetzt war er um so mehr dazu bereit, im Notfall sein Leben dafür zu geben, um jeden Einzelnen von ihnen in Sicherheit zu wissen.

Langsam aber entschlossen öffnete John die Tür und steckte seinen Kopf vorsichtig durch die Öffnung. Ein schneller Blick in beide Richtungen zeigte ihm, dass der Gang verlassen dalag. Nur auf einer Seite deuteten die im Sonnenlicht tanzenden Staubkörner auf nicht allzu lang zurückliegende Bewegungen hin. Die beiden Jungs mussten hier durch gekommen und bereits durch eine der geschlossenen Türen verschwunden sein. Es war tatsächlich genau die Richtung, in der auch der Raum lag, in dem Rodney seine Präsentation zeigte.

Mit einer geschmeidigen Bewegung hatte John die Glastür vollständig geöffnet und das Gebäude betreten. Die Befürchtung, jeden Moment Pistolenschüsse zu hören, trieb ihn in Sekundenschnelle an die letzte Tür des Ganges, bei der es sich um den unteren Zugang des Auditoriums handelte. Vorsichtig presste er sein Ohr gegen das Holz. Zunächst fiel es ihm schwer, durch das Klopfen seines Herzens hindurch überhaupt etwas zu hören. Und auch als es sich etwas beruhigt hatte, waren alle durch das Holz dringenden Geräusche nur gedämpft hörbar. Ohne irgendwelche Worte verstehen zu können, konnte Sheppard schließlich zwei verschiedene Stimmen ausmachen, die sich einen mehr oder weniger hitzigen Schlagabtausch lieferten. Der Sarkasmus, der in der einen Stimme mitschwang, ließ John beinahe Sympathie für den Empfänger der Worte empfinden. In seinem Kopf formte sich unvermittelt ein Bild von Rodney, der in unvergleichlicher Arroganz vor Leuten stand, die er für unter seinem Niveau hielt, während diese mit einer Waffe herumfuchtelten und er sie ungerührt mit einer seiner Tiraden zusammenstauchte.

Noch vor zwei Jahren wäre der Kanadier in den meisten gefährlichen Situationen ein nervliches Wrack gewesen. Und auch wenn ihn die Pegasus Galaxie zwangsweise gelehrt hatte, mit den meisten Bedrohungen umzugehen, würde er in vielen beängstigenden Situationen noch immer nervös werden. Die Tatsache, dass John keinerlei Unsicherheit in McKays Stimme hörte, ließ ihn auf einmal zweifeln, ob er sich die Bedrohung durch die zwei Studenten nicht vielleicht doch nur eingebildet hatte. Eine Überreaktion geboren aus der Angst um einen Freund.

Doch nein, das war eindeutig eine wütende Erwiderung. Auf einmal wurde das durch das Holz gedämpfte Gespräch ungleich hitziger.

Plopp!

Kaum hörbar und doch konnte es Sheppard sofort identifizieren. Das Geräusch eines durch einen Schalldämpfer abgemilderten Schusses sorgte dafür, dass sein Herz für einen Schlag lang aussetzte. Nein … Die plötzliche Stille hinter der Tür ließ Johns Knie weich werden und nur mit einer Willensanstrengung konnte er verhindern, dass er zu Boden ging. Das Schweigen wurde schließlich durch etwas, das wie ein Befehl klang unterbrochen. Aber erst als John die gemurmelte Antwort eindeutig Rodney zuordnen konnte, gelang es ihm, die bis dahin angehaltene Luft entweichen zu lassen und endlich weiterzuatmen.

Für einen Moment schloss er erleichtert die Augen. Das war zu knapp gewesen! Er musste etwas unternehmen - und zwar sofort! Mit neuer Energie löste sich John von der Tür.

Doch zuerst … Wo hatte er es nur hingepackt? Hier! Sheppard fischte sein Handy aus der Hosentasche und schaltete es ein, während er sich gleichzeitig ein Stück von der Tür entfernte. Es schien ewig zu dauern, bis das kleine Telefon endlich anzeigte, dass es ein Netz gefunden hatte. Ungeduldig suchte John eine der eingespeicherten Nummern heraus, um das SGC anzurufen und sich direkt zu General Landry durchstellen zu lassen. Mit wenigen Worten schilderte er, was vorgefallen war und gab seine Einschätzung der Situation wieder.

John hatte das Gefühl, ihm würde die Zeit davonlaufen. Während er hier draußen herumstand, befand sich Rodney in allerhöchster Gefahr. Nervös begann er beim Reden auf und ab zu tigern. Glücklicherweise erkannte der General die Dringlichkeit der Lage und hielt das Gespräch so kurz wie möglich. Nachdem er aufgelegt hatte, informierte Sheppard, wie mit Landry abgesprochen, die örtliche Polizei. Doch deren Aufforderung, dass er sich zurückhalten sollte, bis Beamte vor Ort waren, quittierte er nur mit einem unbestimmten Grunzen. Er war vielleicht nicht speziell für Geiselsituationen ausgebildet, aber dank seines militärischen Hintergrundes hielt er sich für durchaus befähigt, etwas dagegen unternehmen zu können. Vor allem, da es sich hier nur um zwei Halbwüchsige zu handeln schien und er hatte schon ganz andere Sachen überstanden. Okay, es waren zwei bewaffnete Halbwüchsige, aber trotzdem! Zumal … Rodney war da drin …

Während er das Handy wieder wegsteckte, schaute sich Sheppard um und ging in Gedanken verschiedene Szenarien durch. Er musste irgendwie in den Raum gelangen, ohne sofort erschossen zu werden. Dabei würde ihm sein Äußeres sicherlich zugute kommen. Selbst in voller Kampfausrüstung machten viele seiner Gegner - zumindest bei der ersten Begegnung – aufgrund seiner schlanken Gestalt den Fehler, ihn zu unterschätzen. Heute, in seiner Freizeitkleidung, einem dunklen Shirt und einer hellen Stoffhose, würde er hoffentlich möglichst harmlos wirken.

Auf der Suche nach weiteren Ideen und eventuellen Hilfsmitteln, wandte sich John den anderen Türen des Ganges zu. Die ersten beiden Räume waren abgeschlossen und im dritten fand gerade eine Vorlesung statt. Eine Entschuldigung murmelnd zog er sich zurück und schloss die Tür wieder. Einen Moment lang zögerte Sheppard, unsicher ob es nicht vielleicht besser wäre, den Raum unter einem Vorwand evakuieren zu lassen, bevor er sich dafür entschied, dass es das Risiko nicht wert war. Die Gefahr, dass etwas schief gehen und eine Panik ausbrechen würde, wodurch die beiden bewaffneten Jungs alarmiert werden würden, war einfach zu groß. Viel wahrscheinlicher war, dass die Leute in diesem Raum von den Geschehnissen nebenan gar nichts mitkriegen würden. Zumindest dann nicht, wenn es ihm gelang, die Situation schnell zu klären. Also suchte er weiter.

Beim vierten Versuch hatte John schließlich mehr Erfolg und fand einen Raum, der nicht abgeschlossen oder belegt war. Fast sofort fiel ihm der in der gegenüber liegenden Ecke stehende Besen auf. Bei dessen Anblick begann sich eine Idee in seinem Kopf zu formen. Schnelle Schritte brachten ihn direkt dahin und mit nur wenigen Griffen hatte er den Holzstiel vom Borstenkopf getrennt. Kurz übers Knie gelegt und schon hatte er zwei etwa gleich große Stöcke, die mit etwas Fantasie den von Teyla verwendeten Kampfstöcken zumindest ähnelten. Dann steckte er sie so hinten in den Hosenbund, dass er mit einem Griff über die Schulter leicht nach den Stöcken greifen konnte. Solange er seinen Rücken von den Angreifern abgewandt hielt, würden sie sie nicht sehen können.

So ausgerüstet, machte sich Sheppard auf den Weg, den Raum zu verlassen. Er war schon fast an der Tür, als er aus den Augenwinkeln auf einem der Tische etwas liegen sah. Er konnte es kaum glauben, als er erkannte, dass jemand seine Brille liegen gelassen hatte. Damit würde er seine Erscheinung noch etwas harmloser gestalten und mehr wie die im Publikum sitzenden Wissenschaftler wirken können. Und sein Glück hielt an. Auch wenn die Brille etwas locker saß, war die Stärke der Brillengläser trotz des dunklen, dicken Hornrahmens relativ gering. Dadurch war es nicht allzu unangenehm, durch die Gläser zu schauen und Sheppard konnte sich ohne größere Probleme an die leicht verschwommene Sicht gewöhnen. Für die paar Minuten, die er benötigte, um seine Gegner zu täuschen, würde er damit sicherlich klarkommen. Um seine „Verkleidung“ zu vervollkommnen, fuhr John mit den Händen über seine Haare und versuchte sie dazu zu bringen nicht mehr so abzustehen, sondern flach anzuliegen. Da er keinen Spiegel zur Hand hatte, konnte er nicht feststellen, von wie viel Erfolg diese Aktion gekrönt war.

So gut vorbereitet, wie es in der kurzen Zeit möglich gewesen war, fand er sich schließlich an der Tür wieder, hinter der sich Rodney in der Gewalt von zwei gefährlichen Bewaffneten befand. Er hatte sich dazu entschieden, sein Glück mit dem oberen Zugang zu versuchen und ohne weiter zu zögern, streckte John die Hand nach der Klinke aus und drückte sie herunter.

***

Berührung.
Jemand griff nach ihm.
Drückte ihn nieder.
Immer wieder Hände, die sich nach ihm ausstreckten.

Mit einem Schrei versuchte John zu entkommen. Das plötzliche Gefühl des Fallens kam da wie ein Schock und unvermittelt fand sich Sheppard auf dem Boden der Krankenstation wieder. Seine Beine waren in einem Laken verheddert, das zum Teil noch auf der Liege hing, von der er offensichtlich gestürzt war. Auf der anderen Seite des Bettes stand eine Krankenschwester, die ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Sie hatte die Hand noch immer in der Höhe, wo sich vor kurzem noch seine Schulter befunden hatte.

„Uh …“, war das Intelligenteste, was er herausbrachte.

Der Ausdruck in den Augen der Schwester wandelte sich von Schreck zu Verständnis und sie setzte ein Lächeln auf, das sicherlich beruhigend wirken sollte. „Alles in Ordnung, Colonel Sheppard? Tut mir leid, dass ich Sie erschreckt habe, aber Sie hatten einen Alptraum.“

Als ob er das nicht selbst bemerkt hatte! Das Lächeln bewirkte nur, dass John verlegen wegschaute und hastig versuchte das Laken loszuwerden. Mit einem heftigen Kick befreite er schließlich seine Beine, woraufhin er so schnell wie möglich aufsprang. Doch als wenn es noch nicht peinlich genug gewesen wäre, führte die schnelle Bewegung zu einem Schwindelanfall. Um nicht wieder auf dem Boden zu landen, klammerte er sich an dem Bett fest. Tiefes Durchatmen und mehrmaliges Blinken mit den Augen, klärte schließlich Johns Kopf. Er schaute gerade rechtzeitig auf, um die Krankenschwester mit einem warnenden Blick davon abzuhalten, ihm zu Hilfe zu kommen.

„Ich hole Dr. Beckett“, sagte sie, bevor sie sich umdrehte und flüchtete.

Und dann sank seine sich ohnehin schon auf dem Tiefpunkt befindliche Laune noch mehr. Er musste länger geschlafen haben als geplant, da er nicht nur die Infusion losgeworden war, sondern die Betriebsamkeit im Rest der Krankenstation anzeigte, dass es bereits wieder Tag sein musste. Beckett hatte ihn ausgetrickst! Der Arzt hatte ihn einfach schlafen lassen.

Beim Anblick Carsons, der in diesem Augenblick mit einem Lächeln um die Ecke gebogen kam, stieg ein Grollen in Johns Kehle auf, um das ihn selbst Ronon beneidet hätte. Ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten, fing er an zu reden: „Sie hatten nie vor, mich gehen zu lassen!“, warf er Beckett vor. „Sie wollten mich von Anfang an hier festhalten!“

„Ich wünsche Ihnen auch einen schönen guten Morgen, Colonel Sheppard!“ Carsons Lächeln schien für keine Sekunde zu wackeln und doch konnte John erkennen, dass es die Augen des Arztes nicht ganz erreichte. Vielmehr glaubte er in ihnen Spuren von Erschöpfung und Sorge zu entdecken.

„Sorry, Doc!“ Mit einem Schlag war all seine Wut verschwunden. Beckett war vermutlich die ganze Nacht über in der Nähe geblieben, nur um sicher zu gehen, dass es John gut ging. Und das obwohl er sicherlich genauso lange wie alle anderen auf den Beinen gewesen war.

„Schon gut. Ich weiß ja, wie sehr Sie die Krankenstation hassen. Wie wäre es mit einem Deal? Ich untersuche Sie kurz. In der Zwischenzeit dürfte das Frühstück, nach dem ich geschickt habe, kommen und wenn alles in Ordnung ist, dürfen Sie danach gehen.“

„Okay.“ Was für eine Wahl hatte er schon? Er könnte ewig mit Beckett diskutieren, nur damit dieser dann doch zu seinem Willen kam – oder sich fügen und in spätestens einer halben Stunde hier raus sein.

„Zurück aufs Bett mit Ihnen!“

Wie in einem Akt passiven Widerstandes weigerte sich Sheppard, sich wieder hinzulegen, sondern setzte sich nur auf die Kante des Bettes. Der herausfordernde Blick, den er Beckett dabei zuwarf, und der diesen dazu aufzufordern schien zu widersprechen, wurde jedoch vollkommen ignoriert.

„Ich habe gehört, Sie haben die Nacht ganz gut überstanden“, sagte Carson stattdessen. „Zumindest bis Sie der armen Lucy heute morgen einen gewaltigen Schrecken eingejagt haben.“

„Hm-mh.“

„Wollen Sie darüber reden, worum es in ihrem Alptraum ging?“

„Nein!“ Johns Tonfall war endgültig und Carson schien sich entschieden zu haben, die Sache erstmal auf sich beruhen zu lassen. Stattdessen nahm er sein Stethoskop in die eine Hand und griff mit der anderen nach Johns Shirt, um es anzuheben.

Oder zumindest versuchte er es. Als sich Becketts Hand Sheppard näherte, konnte John nicht verhindern, dass er unwillkürlich zurückwich. Als der Arzt die Hand etwas zurückzog, entspannte er sich wieder, doch als er wieder näher kam, zuckte John erneut zurück.

Von da an ging es nur noch bergab.

Die Untersuchung war für beide eine Tortur. Während Beckett versuchte sich so behutsam wie möglich zu bewegen und John über jeden Schritt der Untersuchung vorher zu unterrichten, ließ es sich einfach nicht vermeiden, dass er ihn ab und an berühren musste. Gleichzeitig versuchte Sheppard seine Reaktionen in den Griff zu bekommen, konnte ein Zurückzucken aber nie ganz unterdrücken. Besonders schlimm war es im Brustbereich, wo der Wraith sich von ihm genährt hatte. Da konnte er nicht auch nur die leichteste Berührung ertragen. John wünschte sich schließlich fast die Müdigkeit des vergangenen Abends zurück. Zumindest war er da so weggetreten gewesen, dass ihm die Untersuchung kaum Probleme bereitet hatte.

Beide waren erschöpft und erleichtert, als Beckett mit seiner Untersuchung endlich fertig war und ihn erst einmal allein ließ. Wie versprochen war in der Zwischenzeit ein Tablett mit Frühstück angekommen. Doch ein einziger Blick auf die mit Marmelade beschmierten Toastscheiben, zeigte John, dass sein Appetit noch nicht zurückgekehrt war. Nur um einer weiteren Diskussion mit Beckett aus dem Weg zu gehen – und weil ihm bewusst war, dass er Nahrung brauchte, fing er an, lustlos auf einer Ecke herumzukauen.

Da war Elizabeth, die plötzlich lächelnd am Fußende seines Bettes stand, eine willkommene Ablenkung. „Elizabeth“, grüßte er ebenfalls mit einem Lächeln, während sie sich in den bereitstehenden Stuhl setzte.

„Guten Morgen, John! Wie geht es Ihnen?“

„Gut. Nicht mehr lange und Carson entlässt mich aus seinen Fängen. Dann kann ich meinen Pflichten wieder nachkommen.“

„Colonel.“ Die Verwendung seines Ranges ließ John endgültig aufgeben, vorzutäuschen, dass er essen würde. Er legte das Stück Toast in seiner Hand zurück auf den Teller und wandte seine volle Aufmerksamkeit Weir zu.

„Dr. Beckett …“ Uh, Dr. Beckett und nicht Carson. Jetzt war sich John absolut sicher, dass ihm das, was als nächstes kam, nicht gefallen würde. „… und ich haben beschlossen, dass Ihnen ein paar Tage Ruhe gut tun würden.“

„Wie bitte?“

„Entspannen Sie sich, machen Sie was Ihnen gefällt oder einfach mal gar nichts.“

John konnte nicht glauben, was er da hörte. „Elizabeth“, flehte er.

„Sie brauchen Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten. Atlantis braucht einen militärischen Kommandanten, der hundertprozentig auf dem Damm ist. Wir können es uns einfach nicht erlauben, dass Sie vielleicht zu zeitig den Dienst wieder antreten.“ Zumindest hatte sie den Anstand, ihm bei diesen Worten in die Augen zu sehen. Und auch wenn er bereits erkennen konnte, dass ihr Entschluss feststand, konnte John nicht anders, als noch einmal zu versuchen, sie umzustimmen.

„Elizabeth, ich brauche etwas zu tun, um mich abzulenken. Wenn ich nur herumsitze, drehe ich durch.“ Normalerweise würde er in so einer Situation versuchen, die Expeditionsleiterin mit einem seiner treuherzigen Grinsen zu erweichen. Diesmal war er jedoch viel zu geschockt dazu.

Fassungslos sah er zu, wie Weir aufstand. „Der Entschluss steht fest. Wieviele Tage genau, entscheiden wir, wenn wir sehen, wie es so läuft …“

„Das können Sie nicht machen“, flüsterte John entsetzt.

„Oder wären Sie bereit, mit Dr. Heightmeyer zu reden?“

Langsam baute sich Wut in ihm auf. „Das können Sie nicht machen!“, sagte er schon bestimmter.

Doch Weir ignorierte seine Worte. Stattdessen verabschiedete sie sich mit einem „Machen Sie das Beste daraus, genießen Sie die freie Zeit!“ und wandte sich zum Gehen. „Das können Sie nicht machen!“, rief er ihr durch die Krankenstation hinterher.

„Haben Sie davon gewusst?“, fragte John den Arzt, der plötzlich wieder neben dem Bett aufgetaucht war.

„Aye. Sie müssen verstehen, dass das nur zu Ihrem Besten ist.“

„Zu meinem Besten? Ich kenne mich und weiß genau, dass das bestimmt nicht zu meinem Besten ist! Das ist nicht fair!“

„Das Leben ist nun mal nicht fair. Beenden Sie ihr Frühstück und dann können Sie gehen.“

„Mir ist der Appetit vergangen“, erwiderte Sheppard trotzig.

Beckett sah für einen Moment so aus, als ob er darauf bestehen würde, entschied sich dann aber erneut dagegen, auf seinem Punkt zu beharren. „Okay, essen sie dafür vor dem Mittag noch irgendeine Kleinigkeit. Und jetzt verschwinden Sie von hier, bevor ich meine Meinung ändere. Ich möchte Sie allerdings in zwei Tagen zu einer Nachuntersuchung sehen.“

Das ließ sich John nicht zweimal sagen. Schnell war er in seine unter dem Bett stehenden Schuhe geschlüpft und auf dem Weg zu seinem Quartier. Auch wenn er versuchte den kürzesten Weg zu nehmen, konnte er es nicht vermeiden, unterwegs dem einen oder anderen Menschen zu begegnen. Selbst Leute, mit denen er bisher nichts zu tun gehabt hatte, blieben stehen, um ihn zu grüßen und ihm zu versichern, wie froh sie waren, dass er heil wieder zurück war. In ihren Augen konnte er von unverhohlener Neugier bis zu echter Anteilnahme alles lesen.

Als sich die Tür zu seiner Unterkunft endlich hinter ihm schloss, ließ er sich für einen Moment erleichtert dagegen sinken. Doch schon bald wies hin ein muffliger Geruch darauf hin, dass er noch immer die gleiche Uniform wie schon seit Tagen anhatte. Mit hektischen Bewegungen riss er die Kleidungsstücke von seinem Leib und ließ sie einfach auf den Boden fallen. Dann ging er ins Bad und stellte sich unter die Dusche. Für eine lange Zeit genoss er einfach nur das Gefühl des heißen Wassers auf seiner Haut.

weiter: Kapitel 3
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