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Wäre ich doch nur im Bett geblieben von Destiny

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Vorwort



Spoiler: Setzt nach "Entity/Eine Falsche Wahl" an.

Anmerkung: Das hier ist eine etwas andere Geschichte. Sie ist vollkommen aus der 1. Person geschrieben, aus der Sicht eines von mir erfundenen Charakters - Liz. Falls euch die Umgangsprache nicht stört, werdet ihr bestimmt euren Spaß haben.

Wäre ich doch nur im Bett geblieben


Prolog

Es ist einer dieser Tage, an denen man sich ernsthaft fragt, warum man bloß aufgestanden ist. Weil man es muss, versucht mir mein Verstand zu erklären, aber wie hätte ich denn auch ahnen können, dass sich die Welt ausgerechnet an diesem Morgen dazu entschlossen hat sich gegen mich zu verschwören?

Aber jetzt mal von ganz Anfang an. Es hatte alles so traumhaft schön begonnen. Ich war im siebten Himmel, verknallt bis über beide Ohren in meinen absoluten Traummann (groß, schlank, muskulös, schwarze Haare und braune Augen) und das Highlight in meinem Leben ereignete sich vor genau drei Monaten. Dieser Traum von einem Mann hatte mir einen Heiratsantrag gemacht. Mir (etwas kleiner, schlank, dunkle lange Haare – mal glatt mal gelockt, was der Fön gerade so anstellt) meiner Meinung nach nicht gerade ein Hingucker, aber mit einer Plastiktüte überm Kopf brauche ich auch nicht rumlaufen. Vielleicht habe ich auch nur Komplexe, aber welche Frau hat die nicht? Jedenfalls bin ich aus allen Wolken gefallen, als er mitten in einem gefüllten Restaurant auf seine Knie gefallen ist und um meine Hand angehalten hatte. Wie in einer Schnulze hat er die gesamte mit Klischee belastete Bandbreite ausgenutzt. Obwohl ich mich jedes Mal über diese Filme aufrege, weil sie dermaßen unrealistisch sind und die Damen präsentiert werden wie Heulbojen, die bei jedem kleinen Bisschen in ein Meer von Tränen ausbrechen und dann Trost in den Armen eines starken Mannes suchen, haben sich in diesem Moment sämtliche Vorurteile verabschiedet und mich in die Rolle der heulenden Heulboje gedrängt. Aber mal ehrlich, welche Frau würde das kalt lassen? Also habe ich wiederum das ganze Programm des klischeehaften Verhaltens durchgezogen. Mit total verschmiertem Maskara (wenn ich das gewusst hätte, hätte ich den wasserfesten genommen, aber nö...) habe ich nur wie ein Wackeldackel mit dem Kopf genickt und ein „Ja, ja, ja, ich will“, geschluchzt. Anschließend bin ich dann zu ihm auf den Boden gerutscht, wo ich ihm um den Hals gefallen bin. Unser Publikum war vollendest entzückt, Geklatsche und teilweises Standing Ovation. Ein Traum wurde in diesem Moment für mich wahr. Habe mich schon gesehen, weißes Kleid, Blumen, große Kirche, weiße Tauben, die in den strahlend blauen Himmel flattern…

Hätte diesen Vorspann lieber als Idee einer Seifenoper verkaufen sollen. Denn da ist das wenigstens noch Realität. Ganz schön bescheuert von mir in dieser Seifenblase zu leben. Im Grunde hätte es mir gleich komisch vorkommen sollen. Lief doch alles am Schnürchen… wenn das der Fall ist, dann ist immer der Wurm drin. Und bei mir war es bestimmt die Raupe Nimmersatt. Frage mich nur, ob am Ende noch ein Schmetterling daraus wird.

Denn leider hat alles einen Haken und ich schien die Reinkarnation eines Blindfisches gewesen zu sein. Das ist alles nur Toms Schuld – so heißt dieser Mistkerl übrigens. Pah! Das ich nicht lache! Von wegen „Der schönste Tag in deinem Leben“. Da würde „Der schlimmste Alptraum in deinem Leben“ schon eher passen. Sitzengelassen hat mich der Mistkerl! Was hat sich der Muskelprotz eigentlich dabei gedacht? Und wie er auch noch damit um die Ecke kam. Das war wirklich die Höhe! Ich, ahnungslos, komme nach Hause, vollgepackt mit den schönsten Utensilien für die Hochzeit, welche in meinem Kopf schon perfekt dekoriert im gemieteten Saal hängen, sah nur, wie die Lampe des ABs leuchtete. Mit dem kleinen Finger schaffte ich es den Knopf zu drücken, ohne dass sich der Inhalt der Tüten auf dem Boden verteilte und mein Gesicht verzog sich noch in eine grinsende Grimasse, als ich seine Stimme hörte. „Hey, Liz, hier ist Tom.“ Mein eigentlicher Name ist Elizabeth, aber ich werde von jedem nur noch Liz genannt, was mir persönlich sehr lieb ist, denn mal ehrlich, wer will schon mit so'n altmodischen Namen angesprochen werden? Nur meine Ma darf mich so nennen, obwohl ich es ihr auch schon versucht habe auszureden. Aber wo war ich? Ja, ruft dieser Mistkerl von seiner Geschäftsreise aus Europa an und sülzt mich erst noch voll. „Du glaubst gar nicht, was ich heute erlebt habe. Ich habe dir doch von diesem wirklich hohen Tier, Mr. Read, erzählt.“ Natürlich hatte er das, es verging keine Sekunde, in der dieser Name mal nicht gefallen war. Ich kenne diesen guten Mann vom Hörensagen her bereits besser als meinen eigenen Vater. „Tja, wie es aussieht, hat er mir hier eine Stelle plus Beförderung angeboten. Allerdings würde das für sofort gelten.“

~~~~~~~~~


Und in diesem Moment begann ein ganzes Orchester von Alarmglocken in meinem Kopf zu schrillen. Moment Mal, was soll denn das heißen? Jetzt mal langsam zum Mitschreiben. Beförderung, Arbeitsplatzwechsel… und wo bleibe ich? Keine zwei Sekunden später hatte ich auch schon den Hörer an meinem Ohr kleben.

„Tom Baker“, meldete sich eine ziemlich teilnahmslose Stimme. Wahrscheinlich hatte er meine Nummer auf dem Display gesehen und wusste genau, dass ihn gleich meine ziemlich fordernde Stimme begrüßen würde.

„Was soll denn das heißen 'Stelle im Ausland'?“, schmetterte ich geradewegs drauflos und ließ die Floskel „Herzlichen Glückwunsch, Schatz, dass du die Karriereleiter rauf fällst“ erst einmal außen vor.

„Ah, Liz, Mr. Read hat mir hier eine Stelle angeboten.“

Was du nicht sagst! „Und?“

„Und na ja, ich musste mich bis gestern entschieden haben.“

Gestern? Und da ruft er erst heute an? Sag mal, geht’s noch? „Und?“, versuchte meine Stimme relativ ruhig die Frage zu wiederholen.

„Und was?“, echote er ziemlich verdattert.

In meiner Kehle formte sich bereits ein Knurren. „Und was ist jetzt?“ Man gebe mir eine Schraubzange! Einen Defri! Mensch, da ist es ja leichter etwas aus einer Parkuhr herauszuquetschen! Muss ich dem Kerl eigentlich immer alles einzeln aus der Nase ziehen?

„Und na ja, was soll ich sagen? Ich habe angenommen.“

Angenommen… Hatte er den Schuss nicht mehr gehört? Wie konnte er denn einfach eine Stelle im Ausland annehmen ohne vorher mit mir darüber zu reden? Kommt er denn dann überhaupt noch mal nach Hause? Er schwirrte doch jetzt schon seit gut vier Monaten im Ausland herum. Jetzt soll er auch noch dorthin versetzt werden? Die Sparflamme meiner Geduld war in den letzten fünf Minute auf das Zehnfache angestiegen. Innerlich brannte ich lichterloh. Könnte glatt als Laterne durchgehen. „Das is’ nen Scherz!“

Am anderen Ende der Leitung erklangen gedruckste Laute. „Ähm… nein, also… ich wollte, weist du, Liz, ich wollte das eigentlich schon längst mir dir durchgesprochen haben…“

Ach, ist nicht wahr... Und warum hast du es nicht getan?! „Wirklich? Also, gestern habe ich keinen Anruf von dir bekommen, obwohl ich hier war.“

„Na ja, du musst das verstehen… ich war dann anschließend noch feiern…“

„Sag mal Tom, haste jetzt vollkommen den Verstand verloren?“

„Aber ich… Liz, ich dachte du freust dich.“

Natürlich freue ich mich! Wahnsinnig! Ich hüpfe gerade jubelnd durchs Wohnzimmer. „Freuen? Wie haste dir das denn vorgestellt?“

„Ich dachte, du könntest dann vielleicht hier her…“

Also so viel dämliche, männliche Ignoranz habe ich noch nie auf einem Haufen gesehen. Gar kein Thema, ich lass hier einfach alles stehen und liegen, schmeiße meinen Job, verlasse meine Familie, blase die Hochzeit ab und laufe ihm wie ein treudoofer Hund hinterher. Aber sonst hatte der Herr keine Probleme. Ich glaub, es hackt! „Tom, wir heiraten in zwei Wochen! Ich habe hier einen Job, wir haben eine gemeinsame Wohnung, unsere Familien sind hier und habe ich schon erwähnt, dass wir in zwei Wochen heiraten wollen?!“

„Was keifste denn jetzt so rum? Heiraten können wir auch hier, ein Haus wird uns von der Firma gestellt und was deine Arbeit angeht, du bist doch sowieso immer unterwegs.“

„Sag mal, verstehst du es nicht? Das ist mir egal! Die können uns von mir aus 'ne ganze Villa zur Verfügung stellen, du kannst doch nicht einfach so etwas Wichtiges über meinen Kopf hinweg entscheiden!“

„Das war die Chance, auf die ich all die Jahre gewartet habe, für die ich all die Jahre so hart gearbeitet habe. Wieso willst du mir denn jetzt Steine in den Weg legen? Außerdem wussten wir sehr wohl, dass dies eine mögliche Option sein würde.“

Der hat ja wohl dicke Nerven! Mir jetzt die ganze Schuld in die Schuhe schieben. Na, warte Freundchen, nicht mit mir. Das wollen wir ja mal sehen. „Hey, jetzt mach aber mal halblang. Es hieß nie, dass du von heute auf morgen auswanderst.“

„Ich kann doch nicht planen, wann solche Chancen eintreffen. Mensch, Liz!“

Mensch, Liz! Ja, Mensch, Liz! „Entschuldige bitte, dass ich hier keine Purzelbäume schlage, aber du hast nicht nur gerade unsere Hochzeit vermasselt, nein, auch mein Leben!“

„Übertreibst du da nicht etwas? Ich sagte doch, wir könnten auch hier…“

„Hier? Wo ist eigentlich *hier*?“ Ha, hätte ich doch glatt vergessen die wichtigste Frage zu stellen. Wo genau hin wurde der Kerl denn versetzt? In meinem Kopf fährt gerade alles Achterbahn. Im Grunde kam so ziemlich jedes Land in Frage.

„Was?“

„In welchem Land oder auf welchen Kontinent arbeitest du jetzt?“, formulierte ich die Frage noch einmal für ganz Doofe.

„Madrid.“

„Madrid?“ Jesus Christus! Heilige Scheiße Mann! Das ist am Arsch der Welt! Wie hat er sich das denn vorgestellt? „Und wie lange?“

„Was meinste damit: 'Wie lange'?“ Was sollte ich damit schon meinen? Genau das, was die Worte auch sagen. „Auf jeden Fall für das nächste halbe Jahr.“

Mir blieb die Spucke weg. Wenn ich gewusst hätte, dass der Tag solch eine Wendung nehmen würde, dann hätte ich mich unter meiner Bettdecke verbarrikadiert. Ein halbes Jahr! Mich beschlich so langsam das Gefühl, dass ihm unsere Hochzeit so ziemlich schnurz piep egal war!

Das war’s! Ohne ihn zu Ende reden zu lassen, knallte ich den Hörer zurück auf die Gabel. Nachdem ich dann die Tüten als Sandsackersatz durch das halbe Apartment getreten, mir die Seele aus dem Leib geschrieen hatte, fiel ich schluchzend wie ein Häufchen Elend auf die Couch. Das war einfach nicht fair! Wenn der Typ glaubte, dass ich jetzt meine Sachen packte und ihm nachlief, hatte er sich geschnitten! Ich werde doch nicht mein ganzes Leben wegen ihm über den Haufen werfen! Vielleicht war es auch nur eine Trotzreaktion, aber was bitte schön erwartet er denn? Niemand, der bei klarem Verstand ist, würde anders reagieren. Soll er doch da hinten versauern. Ist mir doch egal! Ich werde ihm nicht nachlaufen!


~~~~~~~~~~~

Diese Trotz – Wutphase hatte ungefähr eine Woche angehalten, bevor dann auch selbst der Hund des Nachbarn einen großen Bogen um mich gemacht hat. Ich frage mich heute noch, wie meine Mutter diese schlechte Nachricht ohne einen Herzinfarkt überleben konnte. Ich habe in der Zwischenzeit sämtliche Dinge, die auch nur im Entferntesten etwas mit meinem Ex-Verlobten zu tun hatten, in Kartons gestopft und erst einmal in der hintersten Ecke des Kellers verstaut. Ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Ich habe ihn nicht einmal angerufen – er soll ruhig merken, was er da angerichtet hat! – aber genauso wenig hat auch er sich gemeldet. Und was sagt mir das? Entweder alles oder gar nichts. Doch ich werde nicht wie eine verzweifelte Sitzengelassene vor dem Telefon hängen und darauf warten, dass der damals potentielle Göttergatte sich dazu bequemt anzurufen. Nein, ich muss hier raus! Einfach nur weg, raus aus dieser Wohnung, raus aus dieser Gegend, raus aus dieser Stadt! Alles trägt seinen Namen und das ist im Moment so ziemlich das Letzte, an was ich erinnert werden will!

Den Kopf auslüften. Ja, genau das werde ich jetzt machen. Und ich weiß auch schon genau wo es hingehen wird.


++++


Teil 1

Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich mir das hier genauso vorgestellt. Idyllisch, frei von jeglichen Großstadtkeimen, würde sich bestimmt gut in einem Urlaubskatalog machen. Und die Luft, ich schwöre euch, man kann die Sauberkeit förmlich riechen. Hmmm, traumhaft. Wenn ich da nur an Washington denke… ein Wunder, dass man in diesem ganzen Smog nicht untergeht. Wir dagegen wohnen in einer wirklich schönen Wohnung, aber das einzige Grün, welches ich dort sehe, ist mein halb ausgetrockneter Kaktus (und das bei einem Kaktus!) und dem einsam verkümmerten Baum auf der gepflasterten Straße vor dem Wohngebäude, aber das hier… hach, hier kann man wirklich Berge sehen… und Wälder… Mit einem Wort: Colorado Springs. Ja, genau der richtige Ort, um all den frustrierten Beziehungsmüll zu vergessen.

Bepackt mit zwei Koffern, steige ich aus dem Taxi und lasse die Taschen erst einmal mit einem erleichterten Seufzen fallen. Endlich an meinem Ziel. Und sieh sich einer mal dieses Haus an! Mensch, Mensch, davon träumt doch unsereins nur von.

Vermutlich wurde das laute Aufprallen meines reichlich gefüllten Gepäcks (Hey, ich bin eine Frau und da braucht man schon ein bisschen mehr als lediglich eine Zahnbürste und nur eine Hose zum Wechseln) gehört, denn keine zehn Sekunden später öffnet sich die Tür. Nur steht dort zu meiner großen Überraschung nicht Sam, wie ich eigentlich erwartet habe, sondern ein Mann. Nicht, dass ich mich beschwere, aber Sam hat mir nie von einem Mann erzählt. Ich weiß nicht, ob ich mich für sie freuen oder als Freundin über diese äußerst wichtige Tatsache zutiefst beleidigt sein soll. Keine Ahnung, wie ich ihn angesehen haben muss, wahrscheinlich wie ein Auto – aber zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass er nicht minder überrascht ausschaut – als er schließlich lächelt.

„Ah… hi…“, sagt er etwas irritiert und wirft einen suchenden Blick über meine Schulter. Ich folge seinem Augenpaar, um zu sehen, ob sich noch ein ungebetener Gast hinter mir befindet, aber das einzige, was dort vorzufinden ist, ist leere Luft.

„Hi“, begrüße ich ihn mit einem Lächeln. Wenn ich eines hasse, dann ist es dieses überaus peinliche und äußerst unangenehme Schweigen, welches sich zwischen zwei fremden Personen ausbreitet, weil einem nach einem simplen „Hi“ - ein Wort mit lediglich zwei Buchstaben - nichts Konstruktives mehr einfällt und man das Gefühl hat, nackt in einem Einkaufszentrum zu stehen. „Ist Sam da?“

„Sam?“

Oookay…. „Ja, Samantha Carter? Blond, groß, sollte eigentlich hier wohnen…“

Mein Gegenüber reißt plötzlich seine Augen ganz weit auf, so, dass sie aussehen, wie irgendwelche Untertassen aus den 50er Jahren Filmen. „Oh, natürlich… ja, klar, Sam… nein, die ist im Moment nicht hier. Aber… wer sind Sie?“

Ja, das war mal wieder klar, dass mir das passiert. Immer gleich mit der Tür ins Haus fallen. Elefanten im Porzellanladen sind nix dagegen. Wie war das noch mal: Der erste Eindruck ist immer der wichtigste? Sollte ich mir mal merken. Mit meinem Sonnenscheinlächeln, versuche ich meine aufsteigende Röte zu kaschieren und strecke ihm meine Hand entgegen. „Entschuldigen Sie, hi, ich bin Elizabeth Sullivan, aber Sie können mich ruhig Liz nennen, das tut jeder. Ist mir persönlich auch lieber“, plappere ich drauf los. Der arme Mann muss denken, ich habe nicht mehr alle Tassen im Schrank. „Freundin von Sam“, füge ich dann noch knapp hinzu. Im Grunde alle Informationen, die er gebraucht hätte.

Aber zu meiner Überraschung lächelt er nur und lässt mir noch ein paar Sekunden, um die Verlegenheit verstreichen zu lassen, bevor er zum Sprechen ansetzt.

„Hi, freut mich, Liz. Ich bin Daniel. Daniel Jackson, ein Freund von Sam.“

Ein Freund? Also, nicht der Freund? „Ein Freund?“ Ob meine Stimme vielleicht ein klein wenig zu skeptisch klingt?

„Ja, ja“, bestätigt er mit mehrmaligem Nicken und geht einen Schritt zurück. „Eigentlich arbeiten wir zusammen. Sam hat mir gesagt, dass Sie kommen. Aber…“ Er schaut hinunter auf seine Uhr. „Sie sind früh dran. Sam meinte, Sie wären erst in spätestens zwei Stunden hier.“

„Ja… ich hätte vielleicht anrufen sollen.“

„Ist ja nicht so schlimm. Dann ist es eben eine Überraschung für Sam. Kaffee?“

Das ist das Zauberwort. Ich folge ihm bis in die Küche, wo er sich wie selbstverständlich der Utensilien bedient. „Wo ist Sam eigentlich?“

„Oh, sie ist noch was einkaufen gegangen. Ich hatte ihr angeboten, dass ich das für sie übernehme, aber na ja… Sie kennen ja Sam…“ Er seufzt mit einem Kopfschütteln und gerade als er fortfahren will, klingelt das Telefon. Mit runzelnder Stirn wartet er ab, bis der AB den Anruf entgegen nimmt.

„Sam, hier ist Janet. Ich hoffe wirklich für Sie, dass Sie jetzt zu Hause sind!“

„Oh oh“, kommt es von neben mir und dieser plötzliche panische Gesichtsausdruck ist alles andere als beruhigend. Ich muss schon zugeben, dass, wer auch immer diese Janet ist, sie nicht gerade sehr erfreut klingt. Schnell nimmt Daniel den Hörer ab.

„Ah, hi, Janet….“, antwortet er sichtlich nervös. „Ja, hier ist Daniel… nein, nein, ich habe sie nach Hause gebracht… ja, genau wie Sie es wollten… Mm hm, ja… also, nein, natürlich nicht, nein… Sie wollen sie sprechen? Wen?... Sam?“

Sollte ich vielleicht lieber einen Stuhl holen, damit mir dieser arme Mann nicht gleich zusammenklappt? Wie kann man nur so weiß werden?

„Sam…“, sagt er mit einem kleinen Hustenanfall, „also, Janet, das ist jetzt wirklich kein guter Zeitpunkt…warum nicht? Nun, weil sie im Moment nicht hier ist…“

Selbst ich habe den lauten Aufschrei durch die Telefonmuschel gehört und so langsam formt sich ein Bild in meinem Kopf von dieser Janet. Gewaltige Stimme (obwohl sie ziemlich feminin klingt), mit sehr viel Druck und Durchsetzungsvermögen, wahrscheinlich eine Respektperson… also, vermute ich mal, ziemlich groß für eine Frau, vielleicht blaue strenge Augen, blonde Haare, die in einem strengen Zopf nach hinten gebunden sind und ich schätze mal, ohne dass es in irgendeiner Form beleidigend klingt, aber, dass sie vermutlich etwas mehr auf den Rippen hat. So was, was man immer im Fernsehen sieht, wo man freiwillig die Straßenseite wechselt.

„Nein, nein, Janet, ‚nicht hier’ im Sinne von ‚nicht in diesem Raum’. Sie ist hier, ja, sie wollte sich gerade eben hinlegen und ausruhen, so wie Sie es ihr verschrieben haben.“ Er lächelt nervös zu mir rüber, als ihm so glattweg die Lüge über die Lippen gehuscht kommt. Wenn Märchen wahr wären, müsste ihm jetzt eine drei Meter lange Nase wachsen. Immerhin hat er den Anstand rot zu werden, schade nur, dass Janet es nicht sehen kann.

„Ich kümmere mich um sie, ja, das weiß sie doch… Janet, die letzten Tage waren für uns alle nicht einfach… und, ja, natürlich, ich richte es ihr aus… Heute? Nun, ich denke mal…“ Er schielt kurz zu mir rüber. Hm, was die beiden da jetzt wohl besprechen, denn wie es aussieht hat sich Daniel wieder etwas beruhigt und ist erst einmal aus der Gefahrenzone eines Herzinfarkts ausgestiegen, aber was es auch ist, beide scheinen sich diesmal einig zu sein. „Vielleicht sollten Sie das mit Sam besprechen…“ Er nickt ein paar Mal mit dem Kopf. „Ja, und wie geht’s Jack?“ Und dann kommt ein schweres Seufzen aus den Tiefen seiner Kehle. Es hört sich so an, als ob eine ganze Lastwagenkolonne durch seinen Hals rasen würde. „Ja, ich kenne Jack. Ich werde nachher mal mit ihm reden. Nein, sie gibt ihm keine Schuld, nein, nein… Okay, wir sehen uns… ja, ganz genau, Tschüss.“

Mit einem sehr schweren Seufzen und einem „Oh Mann“, legt er schließlich auf. Ich will ja wirklich nicht neugierig sein, aber erstens bin ich eine Frau, zweitens ist es wissenschaftlich bewiesen, dass diese Eigenschaft einem weiblichen Wesen schon praktisch mit in die Wiege gelegt wird und dass ich vielleicht etwas zu viel davon abbekommen habe, ist ein vollkommen anderes Thema. Aber davon mal abgesehen, haben mich seine Worte: „Die Tage waren für uns alle nicht einfach“ und „Sie gibt ihm keine Schuld“ schon sehr beunruhigt. Und wie sollte es auch anders sein, ein Mann ist im Spiel. Ist doch immer das Gleiche! Kaum hat man Probleme, ist Mann der Grund.

„Sam liegt also oben im Bett, hm?“

„Ah… ja, das war ne kleine Notlüge… Janet ist sehr, sehr… sie ist eine gute Freundin… aber damit langweile ich Sie wahrscheinlich nur.“ Nein, nein, ganz und gar nicht. Wenn ich ehrlich bin, dann bin ich jetzt wirklich neugierig. Aber schon bald merke ich, dass er sich bei diesem Thema nicht wohl fühlt. „Also, Liz, woher kennen Sie Sam?“, wechselt er wenig elegant, aber dafür effektiv das Thema.

„Oh, ja, das ist schon Ewigkeiten her.“ Er stellt eine Tasse Kaffee vor mir auf den Tresen. „Danke. High School. Wir waren zusammen auf der High School.“ Oh ja, und was für Zeiten das war. Da kommen Erinnerungen hoch. Mann oh Mann.

„Dann haben Sie mit Sam bestimmt die verrücktesten Berechnungen angestellt…“

„Oh nein!“ Ich breche in schallendes Gelächter aus! Ich kann wirklich nicht anders, aber das ist zu komisch, um wahr zu sein. Tut mir wirklich Leid, aber schon alleine der Gedanke, dass ich jemals mit Zahlen umgehen soll, ist schon an und für sich lächerlich, aber dann auch noch mit irgendwelchen Quadratwurzeln, Logarithmen und weiß Gott noch was für Dingern! Nein, danke! Zum Glück habe ich mich nicht an meinem Kaffee verschluckt, aber dennoch muss ich aussehen wie eine Tomate. „Es tut mir Leid“, lache ich, als ich noch eine Träne wegwische. „Aber nein, ich kann mit Zahlen absolut nicht umgehen. Ich kann sie mir vielleicht merken, aber ansonsten bin ich ein hoffnungsloser Fall. Was das anbelangt sind Sam und ich wie Tag und Nacht.“

„Wirklich?“

„Oh ja, na ja, verstehen Sie, damals gab es da die Gruppe von Leute, die wie Sam waren – alle überbegabt, verpönt von dem Rest der Schule, aber heimlich bewundert – doch glauben Sie mir, niemand hätte es je zugegeben und auf der anderen Seite eben die Coolen.“

„Glaub ich Ihnen gerne, aber Sie haben es offensichtlich doch zugegeben?“

„Was? Damals, um Gottes Willen, nein! Damals dachte ich noch, dass es wie ein Stigma sein würde, wenn man sich auch nur in der Nähe dieser Leute aufhält. Sie müssen wissen, ich war neu an der Schule und na ja, Sie wissen sicherlich wie es ist, wenn man versucht ‚dazu zu gehören’. Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich Sam anfangs nicht wirklich nett behandelt und glauben Sie mir, das ist etwas, auf was ich wirklich nicht stolz bin.“

„Ja, der Fluch der Wissenschaftler“, murmelte Daniel, als er einen Schluck von seinem Kaffee nimmt.

„So was in der Art…“, stimme ich ihm reumütig zu. Ehrlich, Leute, wenn ich mich damals kennen gelernt hätte, ich hätte einen Sicherheitsabstand von mindestens hundert Meilen eingenommen. Kein Wunder, dass Sam und ich am Anfang wie Feuer und Wasser waren. Und vor allem wundert es mich, dass sie trotz meiner Bemühung sie nicht zu mögen (und ich kann euch sagen, sie war mir von Anfang an sympathisch, nur erzähl das mal der High Society, zu der man gehören will – No Chance!) sie trotzdem immer freundlich zu mir war. Manche Fragen sollten vielleicht unbeantwortet bleiben.

Daniel nickt und scheint irgendwie zu erahnen, was ich denken muss. „So was ändert sich nie“, sagt er mit einem Schmunzeln. „Als Sam mir von ihrem ersten Treffen mit Jack – unserem Teamführer – erzählt hat… na ja, es war genauso. Wissenschaftlerin eben.“

Aha, da ist dieser Name schon wieder. Teamführer, also….

„Aber sie und ich, wir haben uns sofort verstanden.“

„Dann sind Sie auch Wissenschaftler? So wie Sam?“

„Wissenschaftler ja, aber Astrophysik? Nein, auch wenn ich mir wirklich Mühe gebe all das zu verstehen, was Sam mir erklärt, liegt mein Spezialgebiet doch eher in der Vergangenheit.“

„Nein…Sie meinen, Sie…?“ Na, wenn das mal kein Zufall ist! Wer hätte das gedacht?

„Was? Warum lachen Sie so? Ja, ich bin Archäologe… Was ist daran so komisch?“

„Oh… eigentlich gar nichts“, grinse ich ihn an. „Nur, dass ich…“ Ich glaube, mein dämliches Grinsen und die unmissverständliche Geste meiner Hände Richtung meines Körpers ersetzen jegliche Worte.

„Wow…“ Daniel richtet seine Brille und lehnt sich auf der Anrichte abgestützt nach vorne. „Welches Gebiet?“

Da reist man nichts ahnend zu einer Freundin, um sich hemmungslos die Augen auszuheulen und wen trifft man hier? Einen weiteren Archäologen, der auch noch ein Arbeitskollege von Sam ist, die im Grunde ein ganz anderes Fachgebiet hat… Moment, entweder sind gerade sämtliche logischen Schlussfolgerungen auf Urlaub oder etwas passt hier nicht zusammen. „Ähm, alte Kultur und Geschichte. Ich habe mich hauptsächlich auf die Maya spezialisiert“, beantworte ich ihm etwas gedankenverloren die Frage.

„Dr. Elizabeth Sullivan…“, murmelte er und scheint sich meinen Gedanken vollkommen unbewusst zu sein. „Ja, ich glaube, ich habe mal von Ihnen gelesen. Na, das ist doch mal ein Zufall… Sam hat nie erwähnt, dass Sie ebenfalls… ich meine, wirklich, das ist… unglaublich!“

„Merkwürdig, nicht wahr? Und Sie?“

„Oh, ich, ich ja, ich habe mich anfangs auf die ägyptische Kultur spezialisiert, aber mittlerweile hat sich das Feld etwas ausgebreitet.“

„Dr. Jackson, der Mann, der es gewagt hat sämtliche Thesen der Erstehungsgeschichte der Pyramiden über den Haufen zu werfen.“

„Ja… das bin ich…“ Seine Hände spielen mit der Kaffeetasse herum. „Hat mir irgendwo das Genick gebrochen.“

„Hm, Sie waren auf einmal spurlos verschwunden. Und trotz Ihrer verrückten Theorien, die von den meisten nur verpönt werden, sind Sie doch eine Berühmtheit, Dr. Jackson.“

„Ja, wie verliert man in innerhalb von zehn Minuten seinen ganzen Respekt oder wie schafft man es innerhalb von kürzester Zeit einen Vorlesungssaal zu leeren.“

„Och, ich weiß nicht. Nur weil es diese alten Theorien gab, heißt es doch noch lange nicht, dass sie auch wahr sind. Sie haben einen neuen Ansatz gesucht – okay, wenn ich ehrlich bin, ist Ihr Ansatz etwas…“

„Exzentrisch?“

„… exzentrisch, ja, aber heißt es nicht auch immer ‚Im Zweifel für den Angeklagten’?“

„Uhm…“

„Sie sind berühmt, Dr. Jackson“, grinse ich ihn mit einer Singsang-Stimme an.

„Wirklich, Liz…“

Ich finde es unbeschreiblich süß, wenn Männer rot anlaufen. Und unser lieber Dr. Jackson ist im Moment so ein Kandidat. „Nein, ernsthaft, dafür brauchen Sie sich nicht zu schämen.“ Und jetzt auch noch dieses verlegende Lächeln. Wenn ich im Augenblick nicht so einen gigantischen Hass auf die Spezies Mann hätte, hätte ich wie ein blöder Teenie angefangen zu grinsen. „Was ich allerdings nicht wirklich verstehe, was hat die Erforschung des Weltraums mit Archäologie zu tun? Ich meine, Sams Aufgabe ist es doch, das Weltall nach neuen Sternen und alles abzusuchen, oder? Wie passt das zusammen?“

Und das war’s mit dem Lächeln. Unbehagen und erste Ratlosigkeit ist so ziemlich alles, was sein Gesicht ziert. „Ahm, also, ja… das ist im Grunde… verstehen Sie…“, beginnt er herum zu drucksen.

Erwartungsvoll werden meine Augen immer größer. Kennt ihr ‚Findet Nemo?’ Wie Dori, als sie erwartungsvoll zusammen mit den vielen kleinen Babyschildkröten der Geschichte von dem Clownfisch Marlin lauscht. Ja, in so etwa müsste ich jetzt aussehen.

„Nein, Janet, mir geht es gut!“, ertönt plötzlich eine mir nur überaus bekannte Stimme, gefolgt von einem verzweifelten Stöhnen. Oh ja, diesen Ton kenne ich doch irgend woher. Wenn ich es mir recht überlege, dann habe ich diese Mischung aus Stöhnen und Seufzen ziemlich oft von ihr gehört. Meistens dann im Zusammenhang damit, dass ich nie die perfekte Nachhilfeschülerin war. „Janet! Nein, ich habe Daniel natürlich nicht zum Lügen angestiftet!“ Ein noch verzweifeltes Augenverdrehen kommt gleich… Jup, da ist es. Und als sich dann mein Blick auf meinen Sitznachbarn richten will, sehe ich nur, dass sein Platz leer ist. Seiner einer steht schon fast Fingernägel kauend und von dem einen Bein aufs andere hüpfend neben Sam. „Warte, Janet, hier ist er und er kann es Ihnen ja selbst sagen.“ Energisch drückt sie Daniel das Handy in die Hand. „Daniel, Janet.“

Mit einem schweren Schlucken nimmt er das Mobiltelefon an sich. „Ja, hi, Janet… ich bin’s wieder…“ Eine ganze Weile folgt monotones Schweigen, durch mehrmaliges Nicken oder Kopfschütteln gekennzeichnet. Mein Respekt vor dieser Frau namens Janet steigt ins Unermessliche. „Ich habe doch gesagt, dass sie… Was? Autos? Natürlich, das Fenster war auf und so ist es doch normal, wenn man… Nein, Janet, beruhigen Sie sich. Sam ist doch vernünftig. Ja, genau…“

Sam scheint mich noch nicht wirklich wahrgenommen zu haben. Sie knallt nur die Einkaufstüte, die sie in der Hand hält, auf den Tisch, verschränkt ihre Arme vor der Brust und wartet relativ geduldig auf Daniel das Gespräch zu beenden. Ich für meinen Teil halte es für ratsamer, mich erst einmal im Hintergrund zu halten. Sam ist geladen. Ich habe zwar keine Ahnung warum, aber irgendwas in mir schreit förmlich danach, dass ich lieber die Notbremse ziehe. Das kann ich auch später noch herausfinden, aber Mensch, da kommen Erinnerungen hoch.

Damals auf der High School. Die Fronten waren an und für sich geklärt. Und es war ein ungeschriebenes Gesetz, an welches sich jeder hielt. Leider wussten nur die Neulinge nichts davon. Zum Glück hatte ich diese Lektion bereits gelernt gehabt und wenn ich es früher hätte kommen sehen, hätte ich etwas unternommen, aber damals war ich geblendet davon ‚dazu zu gehören’ und so blieben die anderen, kleineren Dinge des Lebens eben auf der Strecke. Jedenfalls war da dieser Neuling. Ich bewege mich auf der sicheren Seite, wenn ich ihn als Neutrum bezeichne, denn man wusste da noch nicht, in welche Schublade man ihn stecken sollte. Wie genau alles eskaliert war, weiß ich gar nicht mehr. Ich weiß nur, dass meine *Freunde* diesem armen Jungen so richtig zugesetzt hatten. Damit noch nicht genug, kam es sogar soweit, dass sie zu mehreren auf ihn losgegangen waren. Ich persönlich habe nicht mit gemischt, aber etwas unternommen habe ich auch nicht. Und dann kam Sam. Junge, was für’n Auftritt. Okay, ihr solltet euch Sam folgendermaßen vorstellen: Groß und sehr schlank (im Grunde jemand, von dem man gedacht hatte, dass sie jeden Moment umkippen würde, wenn man sie anpustet). Meine Freunde auf der anderen Seite: Groß, muskulös und männlich, ach, ja, sie waren übrigens noch im Footballteam. Sam lief also auf die Schränke zu und hatte es erst mit Worten versucht. Leider hatte es kein Stück geholfen, was auch abzusehen war. Und wo Worte nicht mehr viel helfen, müssen eben Taten folgen und genau das hatten sie dann auch zu spüren bekommen. Was die Herren der Schöpfung allerdings nicht mit einkalkuliert hatten, war, dass Sam einen Dickkopf hat, und nicht nur einen harmlosen Dickkopf, an diesem Kopf sind schon ganze Mauern zerschellt. Ich werde es nie vergessen, wie Sam schnurstracks auf meinen damaligen Freund zu marschiert war, ihm auf die Schulter getippt und ihm einen Filmreifen Kinnhaken verpasst hatte! Wow, sage ich nur. Mir hätte eigentlich mein Freund Leid tun und ich auf Sam sauer sein sollen, aber irgendwas in mir schien da ganz anders zu denken. Von diesem Augenblick an hatte sie meinen Respekt. Hat mir zumindest gezeigt, dass die Bücherwürmer mehr auf den Kasten hatten, als bloß eifrig in der ersten Reihe zu sitzen und förmlich an den Lehrern zu kleben. Dass sie aus einer Militär-Familie kam, hatte ich da noch nicht gewusst. Aber es erklärte einiges.

Und genauso geladen scheint Sam jetzt auch zu sein. Man sollte doch wirklich denken, dass man hier in Colorado Springs Ruhe bekommt und jetzt sitze ich mitten im High Life!

Endlich! Daniel hat aufgelegt und er gibt Sam mit einem Seufzen den Hörer zurück. „Daniel, was haben Sie Janet erzählt?“

„Uhm, ich habe ihr gesagt, dass Sie sich ausruhen.“

„Daniel! Sie kennen doch Janet. Sie wissen doch, dass sie mich anruft.“

Schade, dass ich jetzt keine Chips oder Popcorn dabei habe. Ist besser als jedes Kinoprogramm.

„Was hätte ich ihr denn sagen sollen? Dass Sie unterwegs einkaufen sind, obwohl ich ihr versprochen habe, dass ich mich um Sie kümmere? Was glauben Sie, wie sie dann reagiert hätte?“

Eins zu null für Daniel.

Sam schließt für einen kurzen Moment ihre Augen und beginnt damit ihre Stirn zu massieren. „Ich glaub das einfach nicht. Ich habe die ganze letzte Woche-“

„Ah, Sam…“, unterbricht er meine Herz allerliebste Freundin und beginnt irgendwelche undefinierbaren Gestiken mit seinen Armen zu fabrizieren und eine Mimik, die mich stark an irgendwelche Gesichtsverkrümmungen erinnert.

„… auf dieser Krankenstation verbracht und bereits nach einem Tag habe ich mich schon zu Tode gelangweilt“, fährt sie unbeirrt fort und ich sehe nur, wie Daniel bei ihrer Wortwahl leicht das Gesicht verzieht.

„Sam…“

„Was denn, Daniel?“

Er deutet nur mit seinem Finger über ihre Schulter und tadaa! Ich bin wieder im Spiel! Sie dreht sich erstaunt um und jede Silbe, die vielleicht noch über ihre Lippen gekommen wäre, verreckt irgendwo auf den Weg von ihrem Gehirn zu ihren Kehlkopf durch den Mund heraus. Ich meine, welche Worte sind hier schon angebracht? Also hebe ich nur meine Hand und winke ihr mit meinen Sonnenscheinlächeln und einem Schulterzucken zu.

Na dann, Liz. Herzlich Willkommen in Colorado Springs!


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„Oh, Liz…“, kommt ein herzzerreißendes Seufzen von Sam, als sie mir einen weiteren Keks in die Hand drückt. Nachdem sich Sam von dem anfänglichen Schock mich so früh zu sehen, erholt hatte, hatte sich Daniel außergewöhnlich schnell verabschiedet. Er hatte was von „Dann lasse ich die Damen mal alleine…“, geredet, dann noch eine herzhafte Umarmung für Sam und für mich ein freundliches Händeschütteln und schwups war er durch die Tür verschwunden. Und nennt es weiblichen Instinkt oder so, aber Sam wusste trotz allem, was los war. Ohne große Worte, hatte sie mich auf die Couch verfrachtet und kam dann mit einer ganzen Schüssel voll mit Keksen zurück. Ob sie einen ganzen Vorrat davon hat? Und so sitze ich nun hier, knabbere an meinem Keks, während ich ein Kissen an meiner Brust zerdrücke und warum meine Tränendrüsen auf einmal undicht sind, weiß ich auch nicht.
Dabei hatte ich mir doch so fest vorgenommen wegen diesem Mistkerl nicht zu heulen und jetzt sitze ich hier wie ein flennender Schlosshund.
„Per Telefon?“ Ja, ich kann’s auch noch nicht wirklich glauben. Deswegen nicke ich nur mit dem Kopf.

„Ist das zu fassen? Na ja, im Grunde per Anrufbeantworter. Ich glaube, wenn ich ihn nicht angerufen hätte, dann weiß ich nicht, ob er sich überhaupt noch gemeldet hätte.“

Als ich mit meinem vollkommen verschmierten Maskaragesicht zu Sam aufschaue, sehe ich so viel Mitgefühl in ihren Augen, dass ich unter normalen Umständen schreiend davongelaufen wäre. Aber hey, das ist doch nun wirklich keine normale Situation. Ich heule mich gerade bei meiner Freundin aus und auch wenn ich es sonst immer vehement abgestritten habe, so will ich jetzt die ganze Ladung Mitleid. Nicht nur ein bisschen, nein das ganze Paket.

„Und da denkt man, so etwas passiert nur in irgendwelchen schlechten Schnulzen.“

Aber Sam schüttelt nur mit dem Kopf. „Nein, dort wird man erst vorm Altar sitzen gelassen.“

Na toll. „Ändert aber auch nichts, oder?“

„Entschuldige“, murmelt sie mit einem Zähneknirschen und nimmt einen Schluck von ihrem Tee.

Schwer seufzend, kuschle ich mich noch weiter in die Kissen. „Es ist nur so unfair!“, platzt es plötzlich aus mir heraus und mit meiner jetzt freien Hand haue ich auf das arme Kissen ein. Sam starrt mich ziemlich geschockt an, aber sagt nichts. Sie kennt mich einfach zu gut. Am liebsten hätte ich dieses Kissen jetzt einmal quer durch das ganze Wohnzimmer geworfen, aber hier steht mir zu viel zerbrechliches Zeugs herum und ja, mit Gewalt löst man keine Probleme. Aber seid doch mal ehrlich, ist es denn so schwer vorstellbar, dass ich diesem Mistkerl am liebsten einfach nur an die Gurgel springen würde? Er hat mich quasi sitzen gelassen! Ha, und ich kann mich noch wirklich glücklich schätzen.

„Na ja, er hat mir immerhin zwei Wochen vor unserer Hochzeit gesagt, dass er alles über den Haufen wirft. Also, kann ich mich im Grunde doch richtig glücklich schätzen, nicht wahr? Ich meine, stell dir mal vor… oh Gott, daran will ich lieber gar nicht denken. Stell dir mal vor, er hätte mich wirklich vor versammelter Mannschaft sitzen gelassen!“ Alptraum Nummer eins auf meiner Liste der Dinge, die auf gar keinen Fall passieren dürfen. Ja, so hat er mir mindestens etwas Zeit gelassen das alles wieder abzusagen und die Gäste wieder auszuladen und.... Oh Gott, da fällt mir ein… „Sam, sag mir nicht, du hast schon das Kleid gekauft!“ Bitte, bitte, bitte nicht.

„Uhm…“, beginnt sie und lächelt etwas unsicher. „Also, na ja…“, druckst sie herum. Oh nein. Es tut mir so Leid! Herausgeschmissenes Geld.

„Das tut mir Leid. Ehrlich.“

„Ist doch nicht deine Schuld“, versichert sie mir und winkt mit einer Hand ab. „Und wer weiß, vielleicht gibt’s ja noch einen Grund es anzuziehen.“

Ich weiß nicht, wie ich sie angesehen haben muss, aber glaubt mir, wenn ich gerade denke, dass ihr ein zweiter Kopf gewachsen ist. Jesus Christ, gib mir Kraft und mal was von ihrer Portion Optimismus ab. Im Moment steht mir der Sinn überhaupt nicht nach diesen Scherzen.

„Was? Sam, das glaubst du doch nicht wirklich, oder? Der Kerl ist Geschichte.“

„Liz, ich will doch nur sagen, dass ihr euch noch gar nicht darüber ausgesprochen habt.“

„Wie denn auch? Er ist in Europa! E-U-R-O-P-A, Sam“, buchstabiere ich ihr es und betone jeden Buchstaben als wäre es ein eigenständiges Wort. Die Frau muss im Fieber reden! Ich bin drauf und dran aufzuspringen und ein Thermometer herauszusuchen, damit ich es ihr in den Mund stopfen kann. Mein Bauch sagt mir mindestens vierzig Grad im Schatten. Auch wenn sie es nur gut meint, aber ich bitte euch, zwischen uns beiden liegt ein ganzer Ozean!

„Ist das wirklich ein Hindernis?“

„Na ja“, lache ich auf. „Es ist nicht so, dass ich mal eben ins Auto steigen könnte und…“

„Liz“, unterbricht sie mich mit einem ihrem ‚Hör auf mit dem Scheiß und komm endlich wieder zur Vernunft’ - Blick. „Du reist regelmäßig um die ganze Welt, um deine Artefakte auszubuddeln und dann sagst du mir, dass dies wirklich ein Hindernis ist?“

Ausbuddeln? Hat sie gerade ernsthaft *ausbuddeln* gesagt? Oh nein, wir Archäologen, wir buddeln nicht, wir legen wertvolle Überreste der Vergangenheit frei, wir reisen in die Geschichte und wir entdecken, aber wir buddeln nicht! Da kann ich mich ja gleich als Straßenarbeiter verkleiden und eine Straße ausheben… also, wirklich Sam, ich dachte wir Wissenschaftler wir halten zusammen. Ausbuddeln… ich glaub’s echt nicht…

„Oder ist es das?“, unterbricht sie meine abschweifenden Gedanken und innere Triade.

„Hm?“

„Ist es ein Hindernis? Dass er in Europa ist, wo es doch Verkehrsmittel wie das Flugzeug gibt?“

Ich seufze erneut. Mensch, sie hat ja Recht. Dass er in Europa ist, ist wirklich nicht das richtige Problem. Aber es ist viel einfacher alles auf ihn und dorthin zu schieben. Schön weit von mir weg, so dass ich mich genüsslich in meinem Selbstmitleid suhlen kann. Trotzig schnappte ich mir einen neuen Keks. „Nein“, mampfe ich reumütig mit vollem Mund. Das ist schon wirklich merkwürdig, aber jedes Mal, wenn ich mit Sam rede, dann habe ich jedes Mal das Gefühl auf der Couch zu liegen. Es ist nicht so, dass sie mich ausquetscht, es sind die kleinen Dinge, die Nebenbemerkungen und diese Blicke, die einen immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Aber das ist Sam. Sie ist schon immer die Vernünftigere von uns beiden gewesen. Keine Ahnung, wo ich ohne sie gelandet wäre, aber ganz sicher nicht da, wo ich jetzt bin. Und jetzt sieht sie mich wieder mit diesem ‚Habe ich es nicht gleich gesagt?’ – Blick an. Argh, manchmal kann das echt frustrierend sein.

„Also?“, fordert sie mich mit hochgezogenen Augenbrauen auf ihr zu sagen, was wirklich in meinem chaotischen Kopf vor sich geht.

„Nein, nein, das ist nicht der wirkliche Grund“, murmle ich schließlich geschlagen und schaue hinunter auf meine Hände. „Obwohl es schon eine große Rolle spielt. Aber was mich so verletzt hat, war einfach, dass er mir nichts davon gesagt hat. Ich meine, das ist doch nicht mal eben eine Entscheidung, die man jeden Tag trifft. Dadurch wird auch mein Leben verändert. Und er, er hat noch nicht mal dran gedacht mir Bescheid zu geben. Wo war er? Er war groß feiern. Was denkt er sich denn eigentlich?“, lege ich jetzt richtig los. Sam will es wissen und hat es aus mir herausgekitzelt und wenn ich einmal loslege, dann kann mich nichts mehr so einfach stoppen. „Hat er gedacht, dass wir erst nach unserer Hochzeit solche Entscheidungen gemeinsam treffen? Gut, wir wussten, dass es diese Möglichkeit immer gab und ich habe ihm immer gesagt, dass ich ihn dabei unterstützen werde, aber normalerweise geht man doch davon aus, dass dann darüber auch gesprochen wird, oder etwa nicht? Ich kann auch nicht mal eben einfach alles stehen und liegen lassen. Ich habe gerade erst meine neuen Spenden bekommen und ich kann jetzt nicht einfach zu den Sponsoren laufen und sagen: ‚Hey, danke für Ihre Geduld und dass Sie mir nach dem ganzen Schlammesel doch noch das Geld geben, aber wissen Sie, ich ziehe jetzt um und so brauche ich Ihr Geld nicht mehr’. Ich meine, Sam, er hat es noch nicht mal verstanden. Als ich ihm gesagt habe, dass ich hier nicht einfach alles hinschmeißen kann, meinte er doch glattweg und todernst, dass ich doch auch in Europa eine Anstellung finden würde!“ Schon fast apathisch starre ich Sam an und Suche dort in ihrem Gesicht nach so etwas wie Verständnis und sie hat nur ihre Stirn in Falten gelegt und atmet einmal tief aus. „Ich meine, der Kerl hat mich einfach übergangen!“ Ihr denkt ich übertreibe? Natürlich tue ich das, ich bin ne Frau. Wir übertreiben am laufenden Band. Aber er hat mir mit dieser kleinen Geste bewiesen, dass ihm meine Meinung dazu offensichtlich vollkommen egal ist.

„Liz, das tut mir wirklich Leid. Vermutlich ist es besser, wenn ihr erst einmal Gras über die Sache wachsen lässt und dann könntet ihr ja noch mal miteinander reden. So wie ich Tom einschätze, geht es ihm schon ziemlich dreckig, auch wenn sein Stolz das nie zugeben würde.“

„Es hat mich einfach nur verletzt, bei so einer Entscheidung übergangen zu werden. Wir leben zusammen, wir wollten heiraten und dann macht er so was?“

„Er hat nicht nachgedacht. Du weißt doch, wie enthusiastisch er sein kann. Dann schaltet sich bei ihm alles aus und wie du bereits schon gesagt hat, das war die Chance, auf die er gewartet hat.“

„Aber man vergisst doch nicht, dass man verlobt und bald verheiratet ist?!“

Ich weiß, dass dies hier zu nichts führen wird und das soll es auch gar nicht. Glaubt es oder glaubt es nicht, aber nachdem ich diese Wut erst einmal abgeladen habe (leider musste mal wieder Sam dafür erhalten), fühle ich mich gleich um hundert Kilo leichter.

„Hey, jetzt bist du hier und wir werden schon dafür sorgen, dass Tom in den nächsten Tagen kein Thema sein wird. Lüfte deinen Kopf aus, schalte oder lenk dich ab.“

Ist schon eine Ironie des Schicksals das aus ihrem Munde zu hören. Sam Carter redet von Kopf auslüften und abschalten, aber sie selbst scheint diesen klitzekleinen An und Aus Knopf nicht zu besitzen. Sie läuft immer auf hundert Prozent – ehrlich gesagt würde es mich auch nicht wundern, wenn es inzwischen zweihundert sind. Irgendwann gibt’s einen Kurzschluss.

Na ja, aber deswegen bin ich ja auch mit Sack und Pack hergekommen, nicht wahr? Um meinen Kopf auszulüften. Alle Zellen von Tom zu befreien. Aber wenn ich es mir recht überlege, dann ist das ja alles Sams Schuld. Wenn sie damals nicht gewesen wäre….

„Du weißt schon, dass das im Grunde alles deine Schuld ist“, werfe ich mal ganz galant in den Raum und nehme einen Schluck von meinem Rotwein. Oh, wirklich, dieses Gesicht ist herrlich! Wie sie ihre Augen weit aufreißt, mich ansieht, als ob ich den Verstand verloren hätte und Atemübungen veranstaltet, die mich irgendwie an einem Fisch auf den Trockenen erinnern.

„Was? Meine… meine Schuld? Liz!“

Ich zucke nur mit den Schultern. „Na ja, wer war’s denn, der Tom vor fünf Jahren mitgeschleift hat?“

„Ha, und wer war’s denn, der mir *mein* Date ausgespannt hat?“

Okay, da ist schon was dran, aber trotzdem… „Wenn du Tom nie zu unserem Treffen mitgebracht hättest, dann hätte ich ihn nie kennen gelernt und mir wäre das ganze Schlamassel erspart geblieben“, rechtfertige ich mich ziemlich hilflos und ungeschickt und sehe schon das Lachen in ihren Augen.

„Na ja, ich weiß nicht, den Morgen nach der Nacht, da hast du mir noch dankend die Füße geküsst, dass ich dir diesen ‚Traum von einem Mann’ – so hattest du ihn doch genannt, oder? - vorgestellt habe.“

Das Lachen in ihren Augen wird immer größer und obwohl wir uns mit todernster Miene anstarren, merke ich, wie meine Mundwinkel zu zucken beginnen. Und wenn ich diesem Drang nicht bald nachgebe, bekomme ich einen Krampf in meinen Lippen. Aber ich bin nicht allein. In meiner Gesellschaft befindet sich Sam, die wirklich mit sich kämpfen muss und dann geht gar nichts mehr. Die Dämme brechen und wir brechen in schallendes Gelächter aus.

„Gott“, schluchzt sie durch ein Lachen hindurch und wischt sich eine Träne aus dem Gesicht. „Ich hätte dich damals am liebsten umgebracht. Ernsthaft! Besonders als Tom mich dann angerufen hat, um deine Telefonnummer zu bekommen. Mein Date verguckt sich in meine Freundin. Da hätte ich euch beide am liebsten zur Hölle gewünscht.“

„Ja, ich hatte auch ein wirklich, wirklich schlechtes Gewissen.“ Und was für eines! Es ist ein ungeschriebenes Gesetzt: Man trifft sich nie mit dem Freund oder ‚Bald-Freund’ einer Freundin! Diese Männer sind immer tabu! Und was habe ich dumme Nuss gemacht? Mich an diesem Abend betrunken (hatte gerade einen beruflichen Erfolg zu feiern) und habe dann hemmungslos mit dem Date von Sam geflirtet. Aber was kann ich denn auch dafür, wenn er sich *so* darauf einlässt? Könnte mich aber heute noch dafür ohrfeigen. Ehrlich, dass ist so ziemlich das Dümmste, was ich je in meinem Leben gemacht habe.

„Na ja, mit mir und Tom hätte es eh nie geklappt“, lächelt sie schließlich mit einem Schulterzucken.

„Ist schon merkwürdig, wie alles gelaufen ist, hm?“

„Ja, wem sagst du das? Du hast Tom kennen und lieben gelernt.“ Das Word ‚lieben’ betont sie extra übertrieben und sieht mich mit großen Augen an. Am liebsten hätte ich ihr das Kissen ins Gesicht geworfen. „Und ich habe einen neuen Job angenommen.“

Ja, ein Job, der so geheim ist, dass dagegen selbst die geheimsten Geheimnisse offen liegen. Ich persönlich habe Sam immer gesehen, wie sie eines Tages den Nobel- oder Wissenschaftspreis entgegennimmt und mit den ganz großen Jungs spielt, aber, dass sie mal hier landen würde – in einer kleinen Stadt, die noch den Anschein von heiler Welt bewahrt zu haben scheint - steht nicht auf der Liste. Und doch werde ich irgendwie das Gefühl nicht los, dass hier im Moment alles andere als heile Welt ist. Ich hatte es bereits heute Mittag gespürt, aber verdrängt und trotz ihres Lachens auf den Lippen, spiegelt es sich nicht vollkommen in ihren Augen wider. Sie leuchten nicht mehr so wie früher und auch ihre Körpersprache ist reservierter. Ich weiß noch nicht, was genau es ist, aber ich vermisse diesen Glanz, dieses Leuchten, welches ich früher an ihr für so selbstverständlich gehalten habe. Und so wappne ich mich für die ultimative Frage.

„Also, Sam, da ich dir jetzt mein ganzes Seelenleid auf den Tisch gelegt habe“, beginne ich und sehe schon an dem plötzlichen Schock in ihren Augen, dass sie weiß, worauf ich hinaus will. Ja, wie sie kurz auf ihre Unterlippe beißt und die Arme um sich schlingt, sie weiß in welche Richtung das geht und schwups steht die Mauer wieder. Schon merkwürdig, dass sie auf alle Lebenslagen eine Antwort zu haben scheint, solange es nicht sie selbst betrifft. „Wie geht’s dir denn so?“, frage ich sie mit übertrieben fröhlicher Stimme, fröhlicher als mir im Moment zumute ist.

Dreimal darf ich raten wie die Antwort wohl lauten wird. „Alles in Ordnung“ oder „Bestens“ oder…

„Gut. Mir geht’s gut.“ Oder das. Wieso überrascht es mich kein bisschen? Komisch nur, dass ich es ihr nicht glaube. Sie sieht aus, als ob sie gerade durch den Fleischwolf gedreht wurde und ich soll ihr glauben, dass es ihr gut geht? Ja, und ich habe so eben eine Million im Lotto gewonnen. Natürlich. Mein Blick fällt auf ihre Hand, die in einem Verband eingewickelt ist. Mit einer hochgezogenen Augenbraue sehe ich zu ihr auf.

„Oh das“, lacht sie kurz auf. Ja, oh das. Sie räuspert sich kurz. „Stromschlag. Unser Zentralcomputer hatte einen Kurzschluss und ich hatte das Glück gerade dort zu arbeiten.“

Kurzschluss? Na, ich weiß nicht. Ich meine okay, ich habe die Wunde nicht gesehen und könnte selbst dann noch nicht mal sagen, ob sie die Wahrheit sagt, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass mir die Sache irgendwie nicht ganz geheuer ist. Ich habe einen sechsten Sinn, was solche Sachen angeht und Sam… Mann oh Mann, man kann diese schwermütigen Wellen von ihr schon praktisch greifen. Da ist nichts mit Heiterkeit und Leichtigkeit.

„Kurzschluss?“, frage ich skeptisch nach. Aber sie nickt nur hartnäckig mit dem Kopf.

„Ja, Kurzschluss.“ Ach komm schon, Sam. Du kannst vielleicht deinen Arbeitskollegen was vormachen, aber mir nicht. Ich sehe doch, dass hier etwas nicht stimmt.

„Und deswegen wurdest du krankgeschrieben?“

„Liz, ich würde jetzt wirklich lieber…“ Natürlich, ich weiß schon. Du würdet jetzt wirklich lieber das Thema wechseln und so tun, als ob es die letzten paar Sekunden nie gegeben hätte. Komm schon, Sam, ich war dabei, als Daniel für dich gelogen hat. Und was ich da gehört habe, war nicht gerade Balsam für meine Seele.

„Schon klar“, lenke ich mit einem Lächeln ein, von dem ich hoffe, dass es nicht allzu gezwungen aussieht. Aber offensichtlich doch.

„Nein, Liz, es ist nicht so, dass ich dir nichts erzählen will, aber da gibt es nicht, was ich dir erzählen könnte. Es war ein Kurzschluss. Verbrennung 1. oder 2. Grades. Nicht so wild.“

„Mir geht’s nicht um die Hand, Sam.“

Sie nickte seufzend den Kopf. „Das ist kompliziert, Liz.“

„Geheim. Du darfst darüber nicht sprechen. Schon klar.“

„So was in der Art… ja.“

Und da stellt sich mir doch gleich die Frage, wie man vom Sternegucken krankgeschrieben werden kann? War sie so aufgeregt einen neuen Stern entdeckt zu haben, dass sie einen Herzkasper hatte? Man kann mir zwar viele Märchen erzählen, aber glauben muss ich sie noch lange nicht.

„Hör zu, Sam, ist schon in Ordnung. Du kannst mit mir nicht darüber reden, das ist schon okay. Aber bitte hör auf mich anzulügen. Dir geht es nicht gut, verlange nicht von mir dir das abzukaufen. Nur weil ich vielleicht nicht wissen darf, was genau mit dir ist, heißt das noch lange nicht, dass ich blind bin.“

„Es tut mir Leid, Liz, ehrlich. Du hast Recht, ich bin ein wenig angeschlagen und müde, aber es ist nichts Ernsthaftes. Ich habe mich eben etwas überarbeitet. Es ist halb so wild, wirklich.“

„Okay, wenn du's sagst.“ Und sie glaubt mir nicht. Ist ja auch kein Wunder, ich glaube ihr nämlich auch nicht.

Langsam stehe ich mit meinem Glas in der Hand auf. „Sei mir nicht böse, Sam, aber ich werde jetzt ins Bett gehen.“

Ich weiß, nicht gerade eine perfekte Vorstellung, wie man einen Abend harmonisch ausklingen lässt, aber ich bin wirklich geschafft. Das alles hat schon ziemlich an den Nerven gezerrt.

„Oh… okay.“ Sie steht ebenfalls auf und gemeinsam räumen wir die Überreste unserer Bauchschmerzenorgie in die Küche. Ich merke wie sie mich von der Seite ansieht und ihr noch irgendwas auf dem Herzen liegt. Bedrückt fährt sie mit einem Lappen über die Anrichte, aber ich schweige. Nicht, weil ich gehässig oder gemein bin. Ganz und gar nicht. Aber ist schon lustig, dass man einen Menschen am besten durch Schweigen zum Reden bringen kann. Was für eine Ironie doch dahinter steckt. Und auch hier verfehlt meine Taktik nicht ihre Wirkung. „Liz, du weißt, dass ich dir immer alles erzähle, aber das hier… ich kann dir davon nicht erzählen. Ich bin nicht befugt…“

„Hey, ist schon in Ordnung. Habe ich doch bereits gesagt.“ Ich drehe mich zu ihr um. „Ich will nicht, dass du dich mir gegenüber irgendwie verpflichtet fühlst. Du darfst nicht darüber reden, okay, fein, kann ich mit leben. Das einzige, was ich von dir will, ist, dass du ehrlich bist, wenn ich dich frage, wie es dir geht. Sag mir nicht, dass es dir gut geht, wenn es nicht der Fall ist.“

Sam seufzt und fährt mit einer Hand durch ihre kurzen Haare. „Es ist leichter gesagt als getan.“

„Das denke ich nicht. Wenn man sich schlecht fühlt, dann fühlt man sich schlecht.“

„Ja, aber in der Air Force ist das was anderes.“

Jetzt bin ich es, die die Augen verdreht und die Hände hilflos in die Luft schmeißt. „Sam, wir sind hier aber nicht in der Air Force. Wir sind hier bei dir zu Hause. Du bist nicht auf der Arbeit. Mir gegenüber musst du nicht beweisen, wie stark du bist.“ Sie sieht mich mit einem schiefen Lächeln an, das noch Lichtjahre davon entfernt ist überzeugend zu wirken. „Ich würde sagen, wir machen Schluss für heute. Wir schlafen eine Nacht drüber und morgen sieht der Tag schon wieder ganz anders aus.“

Sie nickt nur halbherzig und einlenkend. Ich kann es ihr nicht verübeln. Ich persönlich glaube auch nicht dran. Eine Nacht kann auch nicht alle Sorgen vertreiben und ich weiß das und Sam weiß das, wir alle wissen es. Aber manchmal, so habe ich es erlebt, ist eine Nacht des Vergessens ein gutes Heilmittel, um wieder eine Perspektive zu bekommen. Wer weiß, vielleicht ist ja doch was dran und morgen sieht die Welt wirklich schon wieder ganz anders aus.


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Nein, tut sie nicht. Es ist immer noch die gleiche, chaotische Welt. Bin immer noch dieselbe Person mit denselben Problemen, aber ich bin nicht mehr so wütend, was nicht heißt, dass alles vergeben und vergessen ist. Oh nein, das nicht, aber ich wurde nicht durch eine riesige Enttäuschung in meinen Inneren geweckt, sondern – man höre und staune – Vogelgezwitscher! Und als ich dann auch noch schlaftrunken meine Augen öffne, scheint sogar die Sonne durch das Fenster. So will ich mal in DC aufwachen. Das ist doch gleich ein ganz anderes Gefühl.

Mit einem herzhaften Gähnen strample ich die Decke zur Seite und schlurfe erst einmal quer über den Flur Richtung Badezimmer. Kaum habe ich die Tür geöffnet, schwebt mir auch schon der frische Duft von Kaffee entgegen. Hmmm… Sam scheint schon auf den Beinen zu sein. Ein flüchtiger Blick zurück über meine Schulter auf die Uhr verrät mir, dass es gerade mal neun Uhr morgens ist. Ich war schon immer ein Langschläfer gewesen, deswegen ist es für mich unvorstellbar, wie man einen schönen Samstag Morgen schon vor neun Uhr starten kann. Und wie ich Sam kenne, turnt sie bereits seit sieben Uhr in der Früh schon wieder hier herum. Air Force… unmenschliche Zeiten sind das.

Ein Blick in den Spiegel verrät mir das, wovon ich nachts Alpträume bekomme. Oh Gott, ich sehe ja scheußlich aus! Mein kastanienbraunes Haar steht dermaßen unkontrolliert wie ein Haufen verknoteter Wollbüschel ab, dass ich aussehe, wie ein ausgefranster Wischmopp, während sich ganze Gebirgsschluchten unter meinen Augen abzeichnen. So masochistisch, wie ich veranlagt bin, betrachte ich mein zerknittertes Gesicht natürlich nicht in dem großen Wandspiegel über dem Waschbecken, sondern in dem kleineren Vergrößerungsspiegel neben mir und werde dadurch nur mit den Mondkratern auf meiner Haut konfrontiert, die eigentlich ganz normale Hautporen sein sollten. Frankensteins Braut. Offensichtlich gehöre ich nicht zu der Sorte Frau, die nach dem Aufstehen so aussieht, als wären sie direkt dem Chanel-Labor entsprungen. Und was ist das?! Da schimmert doch etwas. Eifrig und verzweifelt wühle ich mich durch meine Haare, bis ich es gefunden habe! Es ist ein graues Haar! Oh mein Gott!

Mein Frustrationspegel steigt gerade auf sein Maximum!

Ich werde alt – nein, ich bin schon alt. Ich bekomme graue Haare! Das darf doch wohl nicht wahr sein! Das war’s, ich gehe unweigerlich und mit gigantischen Schritten auf mein Ende zu. Das Leben ist gezählt, aus und vorbei… ich habe ein graues Haar!

Ich starre noch wie vom Donner erschlagen auf dieses schon fast durchsichtige Haar in meiner Hand und höre schon die krächzenden Laute, die aus meiner Kehle endlich raus wollen. „Sa….Sa…am!“, krächze ich gerade mal laut genug, dass ich es hören kann. Ich räuspere mich kurz und versuche dann erneut meine Stimmbänder zu belasten. „Sam?“ Diesmal etwas lauter und als ich noch warte, dass sie angelaufen kommt, um mir in meiner Not zu helfen, suche ich meinen Kopf nach weiteren Haaren ab, und glaubt mir, jetzt erscheint mir plötzlich jedes Haar einen Ton heller zu sein. Doch da ist nix, keine Freundin, die mir zur Rettung eilt.
„SAM?!“

Ich stürme wie von einer Tarantel gestochen durch den Flur, hinunter in ihr Wohnzimmer. „SAM!“, Schreie ich noch und schaffe es gerade eben so mich nicht auf die Nase zu legen. „Sam, ich habe hier…“, beginne ich wieder, aber bleibe dann wie vor die Wand gelaufen stehen.

Oh. Mein. Gott.

Jegliche Worte, die auch jetzt noch über meine Lippen wollen, sind wie vergessen. Das kann doch nicht wahr sein! Zusammen mit Sam sitzen dort Daniel, ein anderer großer Mann und eine Frau. Oh nein, nein, nein, nein! Fettnäpfchen, wo bist du? Ich komme! Möge sich jetzt bitte der Boden unter mir auftun mich für immer verschlingen.

„Ach du…“, murmle ich noch und realisiere dann erst, wie ich hier stehe. Unweigerlich fährt mein Blick an mir herunter und was sehe ich da? Ein Spaghettishirt und eine ausgewaschene Sporthose. Oh mein Gott! Vollkommen rot wie ein Feuermelder sehe ich von Sam, die ihren Mund gerade mit einer Hand verdeckt, zu Daniel, der mich mit großen Augen, aber einem amüsierten Grinsen anstarrt. Die Frau schaut ebenso belustigt aus, nur hat sie ihren Mund zu einer Linie verzogen, um nicht gleich drauf los zu lachen und dieser andere Mann mit dem Hut hat nur eine Augenbraue hochgezogen und sieht mich schief an. Ich möchte am liebsten auswandern!

„Morgen“, kommt es amüsiert von Sam.

„Liz“, nickt Daniel.

„Sam… Daniel…Morgen…“ Oh Gott, kann es noch peinlicher werden? „Hehe…“ Ich schaue schnell zu den anderen beiden und knülle dabei mein Shirt zusammen, so als ob ich dadurch noch irgendwas verstecken könnte, was nicht eh schon alle gesehen haben. „Hi…“, winke ich den anderen beiden zu.

Als ob das ihr Stichwort ist, steht Sam mit vollem Mund auf und kommt zu mir. Sie nimmt mich am Arm und zieht mich zum Tisch hinüber. „Liz, Daniel kennst du ja bereits. Also, das ist Teal’c.“ Er beugt leicht seinen Kopf und lächelt etwas. „Und das ist Janet.“

Ich lächle noch… Janet? Dieser Name sagt mir irgendwas. Janet… Janet! Ach du meine Güte! *Das* ist Janet? Nicht nur, dass ich jetzt graue Haare bekomme, nein, mein Einschätzungsvermögen hat sich auch noch verabschiedet! Sie ist so gar nicht, wie ich sie mir vorgestellt habe. Das ist der Beweis, ich werde alt.

„Und, Leute, das ist eine Freundin von mir, Dr. Elizabeth Sullivan, auch Liz genannt.“

„Hi…“ Oh Gott, oh Gott, oh Gott! Ist das peinlich! Man gebe mir eine Wand, vor die ich jetzt bitte laufen darf!

Janet steht auf und streckt mir mit einem breiten Grinsen die Hand entgegen. „Hi, freut mich Sie kennen zu lernen. Sam hat schon erwähnt, dass Sie für eine Woche oder so hier bleiben wollen.“ Ich schüttle ebenfalls mit einem aufgesetzten Lächeln ihre Hand. So wirklich kann ich noch gar nicht realisieren, was hier eben passiert ist.

„Ist mir ein Vergnügen, Dr. Sullivan“, kommt es von dem großen Mann.

Hilfe suchend schaue ich zu Sam hinüber und bettle sie mit meinen Blick an, ob sie die letzten Sekunden nicht irgendwie wieder ungeschehen machen könnte. Ich hole einmal tief Luft. „Es tut mir Leid. Normalerweise lege ich nicht so einen Auftritt hin. Wirklich nicht…“

„Kaffee?“, bietet mir Daniel an. Oh ja, genau das, was ich jetzt brauche.

„Extra stark?“

„Extra stark“, bestätigt er mir mit einem Grinsen.

„Gott sei Dank“, seufze ich. Schnell vergrabe ich mein Gesicht hinter der Tasse, um erst einmal Zeit zu gewinnen und hoffe, dass bis dahin meine Hautfarbe wieder einigermaßen normal aussieht. So was passiert auch wirklich immer nur mir!

„Also, Liz, was ist so schlimmes passiert?“, fragt mich Sam und als ich zu ihr schiele, sieht sie vollkommen ernst und neugierig aus. Ich werfe einen unsicheren Blick in die Runde. Ja, sicher… hier vor allen soll ich jetzt mit meinem grauen Haar auspacken. Natürlich. Auf gar keinen Fall! Kommt nicht in die Tüte! Ich habe mich für einen Tag schon genug blamiert.

„Uhm… nicht so wichtig…ich, ich habe mich nur… erschreckt…“, druckse ich herum, während mein Gesicht wieder hinter der Tasse Kaffee verschwindet. Oh Gott, ich bin erledigt. „Sam, warum hast du mir nicht gesagt, dass noch Besuch zum Frühstück kommt?“, Wechsle ich schnell das Thema und begebe mich wieder auf weniger peinliches Terrain.

„Hätte ich, wenn ich es gewusst hätte. Aber Janet tauchte überraschend vor einer guten halben Stunde auf, um mich zu kontrollieren -“

„Besuchen...“, geht sie augenblicklich dazwischen.

„...Um nach mir zu sehen“, beendet Sam gutmütig den Satz mit einem Lächeln. „Und dann kamen noch Daniel und Teal’c vorbei. Zufälle gibt's“, sagt sie mit einem unmissverständlichen Blick in ihre Richtung.

„Aber warum hast du mich denn nicht geweckt? Jetzt sieh dir doch mal an, wie ich aussehe!“

„Du siehst doch ganz normal aus.“

Ich starre sie mit offen stehendem Mund an. Hallo? So hat mich höchstens der Hund des Nachbarn gesehen, aber doch nicht irgendwelche wildfremden Freunde meiner Freundin.

„Liz, machen Sie sich keine Sorgen, falls es Ihnen hilft, wir haben Sam schon in ganz anderen Situationen gesehen, nicht wahr, Sam? Oder wie war das noch mal mit dem Zeug, wo Sie angefangen haben sich…“ Ich habe Sam noch nie so nach Luft schnappen gesehen und wie sie ihn alleine durch ihren Blick in den Boden trampelt ist bemerkenswert. Ob ihr es glaubt oder nicht, aber ja, es hilft. Dieses vernichtende Funkeln, ist auf verdrehte Art und Weise irgendwo beruhigend. Es hilft wirklich, zu wissen, dass unsere Sam, die immer alles unter Kontrolle hat, auch mal in ähnlich peinlichen Situationen gewesen ist. Die würden mich zwar brennend interessieren, aber ich glaube, ich werde sie in diesem Leben nicht mehr zu hören bekommen.

„Keine Angst, Sweety, ich werde schon nicht nachfragen.“

„Sweety?“, echot Daniel zutiefst amüsiert und fängt sich nur einen weiteren Blick ein.

„Ah!“ Sam hebt drohend ihren Finger. „Kein Wort. Denken Sie nicht mal im Traum daran.“

Daniel hebt abwehrend seine Hände. „Solange Jack nichts davon erfährt…“

„Daniel! Wagen Sie es auch nur…“ Ihr gehen die Worte der Drohung aus, also zeigt sie nur mit ihrem Finger auf ihn. „Verstanden?“ Sie sieht ihn durchdringend an. „Ich hasse diesen Namen“, sagt sie mit einem Blick in meine Richtung. Ich werfe ihr ein stummes ‚Entschuldigung’ zu und beiße in das nächstliegende Croissant.

Janet lacht neben mir leicht auf. „Nichts für ungut, Daniel, aber ich nehme jede Wette an, dass Sie es spätestens bis Montag dem Colonel irgendwie zugeflüstert haben.“

„Das ist doch gar nicht wahr! Ich kann meinen Mund halten. Wirklich!“ Er sieht sich in der Runde um, aber scheint nicht viel Zustimmung zu bekommen. „Kommt schon, Leute! Teal’c!“

„Ich muss Dr. Fraiser Recht geben.“

Verzweifelt schmeißt er seine Arme in die Luft.

Janet wirft ihm nur einen bedeutungsschwangeren Blick zu. „Daniel“, sagt sie, als sie ebenfalls einen Bissen von ihrem Croissant nimmt, „Sie können genauso wenig etwas für sich behalten, wie Sie lügen können.“

Er öffnet schon im Protest seinen Mund, aber überlegt es sich dann doch anders und verschränkt stattdessen nur die Arme vor der Brust. „Meine letzte Lüge hat uns den Hals gerettet“, wirft er trotzig in den Raum und schaut dabei zu Sam, die ihn nur zweifelnd ansieht.

„Der Zauberer von Oz, Daniel?“

„Na, wäre Ihnen was Besseres eingefallen?“ Okay, ich verstehe zwar nicht wirklich den Zusammenhang zwischen den Worten, aber als ich mich in meinen Stuhl zurücklehne und zu Sam hinüber schiele, sehe ich, wie sich trotz ihres Lächelns ein gewisser Schatten über ihre Augen legt. Es fällt im Grunde gar nicht auf, aber als *sein* Name mal wieder gefallen war, da konnte man sehen, wie ihr Lächeln Gefahr lief zu brechen. Es war nur ein Augenblick und die anderen beiden haben gar nicht drauf geachtet, aber es hat was in Sam ausgelöst, etwas, dass sie belastet und wie ich sie kenne, nicht drüber sprechen will. Sei es aus irgendwelchen ach so geheimen Gründen oder schlicht und einfach, weil sie sich mal wieder verschließt. Ich seufze leise. Auf Dauer ist das wirklich ungesund.

Mein Blick schweift hinüber zu Janet, die Sam ebenfalls mit einem prüfenden Blick bedacht. Vielleicht war ich ja doch nicht die einzige, die es bemerkt hat. Sie sieht besorgt aus. Ich denke wirklich, dass es mich nichts angeht und ich will nur, dass es Sam gut geht, aber etwas scheint sie definitiv zu belasten. Noch bevor ich meinen Blick von ihr abwenden kann, bemerkt sie es und ich lächle ihr nur kurz zu. Aber Gott weiß wie es ist, hier hat gerade ein Einverständnis stattgefunden. Wir beide wissen, dass etwas nicht stimmt, wobei sie vermutlich den Grund kennt, wenn man bedenkt, dass die beiden zusammenarbeiten. Ich hoffe wirklich, dass du weißt, was du tust, Sam.


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„Janet, es ist alles in Ordnung“, höre ich Sam leise zischen. Ich habe mich gerade erst einmal umgezogen, so dass ich mich auch sehen lassen kann und auf meinen Weg zurück in die Küche, höre ich Sams leise Stimme.

„Ich weiß nicht, Sam“, antwortet Janet ebenso leise.

„Was wollen Sie damit sagen?“

„Sie wissen, wovon ich rede.“

Ich runzle leicht meine Stirn. Ich bin vollkommen hin und her gerissen. Einfach hineinspazieren und so tun, als ob ich nichts mitbekommen habe oder die beiden einfach weiterreden lassen? Am besten wäre wahrscheinlich Nummer zwei und ich sollte normalerweise hier auch noch nicht mal stehen, aber ich habe hier ein kleines Problem. Ich habe mir Arbeitsunterlagen mitgenommen und diese liegen im angrenzenden Wohnzimmer. Ich könnte es natürlich verschieben und mich erst einmal wieder in mein Zimmer zurück verkriechen, aber…

„Ich mache mir ernsthafte Sorgen, wie er damit umgeht. Mit dem, was Ihnen passiert ist.“ Ich höre, wie Sam etwas auf die Anrichte abstellt.

„Zugegeben, er schien in den letzten paar Tagen etwas… nun, reizbar zu sein. Von dem, was ich von ihm gesehen habe. Besucht hat er mich nicht gerade oft.“

„Reizbar?“ echot Janet ungläubig. „Oh, Sam, das ist die Untertreibung des Jahres.“

„Janet…“, seufzt sie und ich sollte hier wirklich nicht mehr stehen.

„Sam, haben Sie sich schon mal gefragt, warum er Sie nicht besucht hat?“

„Keine Ahnung. Hellsehen kann ich noch nicht. Aber er führt sich immer so auf, wenn er wütend ist.“

„Sam, bitte…“

„Ist er es denn nicht?“ Ich höre die unterschwellige Wut in ihrer Stimme und so langsam verhärtet sich mein Verdacht, dass Mann mal wieder der Grund ist, aber das hier hört sich wirklich ernst an.

„Er hat auf Sie geschossen, Sam. Sie waren tot. Was glauben Sie, wie er sich da fühlt?“ Moment Mal! Stopp! Auszeit! Wie war das? Tot? Also, für mich sieht sie noch ziemlich lebendig aus! Okay, Liz, du solltest wieder anfangen zu atmen… *Geschossen*, tot? Was soll denn das heißen?

„Aber mir geht es wieder gut. Ich lebe doch wieder.“ Ich höre ein leises Gläserklirren und sie setzt ihre Arbeit fort. „Und ich habe ihm bereits gesagt, dass es die richtige Entscheidung war. Es wäre ein Fehler gewesen, wenn er es nicht getan hätte.“

„Möglich.“

„Nein, Janet, nicht möglich. Er hat das getan, was er tun musste.“ Sie macht eine kurze Pause und als sie weiter redet, ist ihre Stimme noch eine Oktave leiser. „Mich zu töten, war richtig. Ich gebe ihm keine Schuld. Er ist Soldat und als Soldat hat er die richtige Entscheidung getroffen und er weiß das.“

Es folgt ein schweres Seufzen von Janet und obwohl ich die Worte registriere, kapiere ich sie noch immer nicht. Sam… war tot? Meine Sam… Oh mein Gott!

„Hören Sie, ich will ja gar nicht abstreiten, dass diese Entscheidung falsch war. Ich weiß, dass sie richtig war. Aber sie war schwer, Sam. Die Sicherheit des Stützpunktes über Ihr Leben zu wählen, diese Entscheidung ist ihm nicht leicht gefallen.“

„Solch eine Entscheidung ist nie einfach, Janet. Und Colonel O’Neill hat schon einige schwierige Entscheidungen in seinem Leben getroffen. Es war richtig.“

„Ja, aber er hat *Sie* getötet.“

„Ich bin nicht wichtiger als der Rest. Er hätte es auch getan, wenn es Daniel oder Sie gewesen wären.“

„Für ihn macht es aber einen Unterschied. Einen gewaltigen.“

„Das ist nicht wahr“, leugnet sie weiterhin.

„Ich bin auch da gewesen“, flüstert Janet bestimmt. „Ich habe ebenfalls gehört, was er bei dem Test gesagt hat.“

„Das“, zischt Sam äußerst angespannt, während sie das Geschirrtuch auf den Tisch wirft, „hat nichts mit seiner Entscheidung zu tun.“

Welcher Test und was ist hier überhaupt los? Ich krieg' das alles nicht mehr auf die Reihe. „Nun“, unterbricht Janet meine Gedanken. „das denke ich nicht.“

Sam atmet einmal tief durch. Ein heikles Thema. „Ich will nicht darüber reden.“

„Das ist mir schon klar, aber dennoch, Sam“, seufzt Janet schwer, „es steht zwischen euch.“

Grimmig lächelnd schaut meine Freundin zu der kleinen Ärztin. „Wir haben alles geklärt.“ Doch Janet schüttelt nur mit dem Kopf „Außerdem beweist das nur, dass es nie funktionieren würde.“

„Sam.“ Mitfühlend legt Janet eine Hand auf ihre. „Ich habe nie behauptet, dass es funktionieren soll oder, dass Sie alles hinschmeißen sollen… ich sage nur, dass Sie mit ihm reden müssen. Ich sehe doch, wie es Sie belastet.“

Schnaubend schüttelt Sam nur mit dem Kopf. „Sie haben ja keine Ahnung.“

„Es war wirklich schlimm.“

Als ich einen flüchtigen Blick um die Ecke wage, sehe ich, wie Sam mit ihren Blick an die Decke schaut. Das macht sie immer, wenn sie um Fassung ringt und versucht nicht die Kontrolle zu verlieren. „Glauben Sie, das weiß ich nicht? Ich war dabei. Ich habe alles mitbekommen, trotz dieses… diesem Ding… ich habe es alles mitbekommen. Ich war dabei, Janet.“

„Oh… das, das wusste ich nicht… wir hatten gedacht, dass es alles in Ihnen... es war…“

„Nein, ich war die ganze Zeit da. Und, Janet, ich hätte nicht anders entschieden.“

„Ich weiß, ich weiß. Aber wenn Sie mal drüber nachdenken, dann dürften Sie im Grunde gar nicht mehr hier stehen. Wir hatten alle gedacht, dass wir Sie schon verloren hätten.“

Oh Sam… was… ich meine, ich verstehe gar nichts mehr. Ich glaube, ich kippe gleich um.

„Aber ich tue es doch. Ich bin wieder da.“ Das Schluchzen in ihrer Stimme tut so weh, wie mein Herz schmerzt. Ich habe keine Ahnung, wie ich das jetzt alles verkraften soll. Oh Gott, und da komme ich Trampeltier mit meinen kleinen Beziehungsproblemen an. Und sie hört sich auch noch an, wie ich ihr alles über Tom an den Kopf schmeiße und oh mein Gott, wie ich sie beschuldigte mich angelogen zu haben. Oh nein, ich fühle mich mehr als elend. Ich fühle mich wie der letzte Abschaum, nein, noch schlimmer, wie der letzte Abschaum unter dem letzten Abschaum.

„Aber für eine Weile waren Sie tot, Sam“, flüstert Janet ruhig. „Und das ist der springende Punkt. Er hat vielleicht als Soldat die richtige Entscheidung getroffen, aber als Mensch…“ Sie seufzt schwer und verstummt kurzzeitig. „Denken Sie mal drüber nach.“

Meine Knie sind Pudding. Wenn die Wand nicht hinter mir stehen würde, dann läge ich jetzt schon auf dem Boden. Was ist denn hier nur bitte schön los? Ich habe mich bestimmt nur verhört.

„Okay, Janet, okay, ich werde noch mal mit ihm reden. Aber könnten wir jetzt vielleicht das Thema wechseln?“

„Natürlich.“

Okay, Liz, tief durchatmen. Jesus Christus, mir ist total flau. Aber zusammenreißen. Reiß dich zusammen! Das war dein Stichwort. Jetzt setze deine Hintern in Bewegung und geh zu ihnen. Mit noch zitternden Armen und Beinen stoße ich mich von der Wand ab und räuspere mich extra etwas lauter. Wenn sie das nicht gehört haben, dann weiß ich auch nicht. Mit einem aufgelegten Grinsen, gehe ich in die Küche und schnappe mir ein frisch gespültes Glas.

„Hey“, lächle ich die beiden an. „Störe ich etwa?“

„Nein, nein, tust du nicht, Liz. Wir sind fertig, nicht wahr?“, schielt Sam zu Janet hinüber. Diese zuckt nur mit den Schultern und nickt schließlich.

„Klar.“

Ja, nach dieser Unterhaltung bin ich auch fertig. „Ja, okay, wo, wo sind Daniel und Teal’c?“

„Einkaufen.“ Sam hängt das Trockentuch zurück an dem Haken. „Janet hatte die Idee, dass wir nachher noch eine Art Barbecue machen sollten und da mein Kühlschrank dafür so leer ist, wie die Wüste, sind die beiden nochmal los.“

„Oh, das hört sich doch… toll an.“ Ich kann es einfach nicht verhindern, aber irgendwie landet mein Blick immer auf Sam, um dort in ihrem Gesicht nach irgendwas zu suchen. Wenn das wahr ist, über was die beiden sich unterhalten haben… dann will ich gar nicht mehr in die Hölle. Gott weiß, dass im Himmel für mich keinen Platz mehr ist, aber was Sam da beschrieben hat, das muss die Hölle gewesen sein.

„Fein, wenn ihr mich dann jetzt entschuldigen würdet“, seufzt Sam und bahnt sich ihren Weg zwischen uns hindurch. Gott, der Ballast, der da auf ihren Schultern klebt, lässt sie schon fast am Boden schleifen. Das kann man sich ja nicht mit ansehen. Besorgt schiele ich zu Janet hinüber.

Unsere beiden Blicke heften auf ihrem Rücken, bis sie verschwunden ist. „Alles in Ordnung mit Sam?“, Frage ich schließlich, obwohl ich die Antwort bereits kenne.

Janet seufzt nur. „Ja, natürlich… alles bestens.“

Natürlich, alles bestens. „Okay“, murmle ich und nehme ein Schluck von meinem Wasser.

Doch dann legt Janet ein Lächeln auf und lehnt sich mit verschränkten Armen vor der Brust gegen die Anrichte. „So, dann ist es also ein Mann“, wechselt sie das Thema.

Hä? Was für ein Mann? Irgendwie scheine ich den Übergang jetzt nicht so wirklich verstanden zu haben, obwohl ich ja mal gelesen habe, dass Frauen zu so was in der Lage sind. Diese subtilen Themenwechsel mitzubekommen. Wo Männer auf dem Schlauch stehen und für sie alles nur ein Chaos ist, scheint uns Frauen dieser Durchblick angeboren zu sein. Schande nur, dass ich im Moment nichts davon merke. „Ein Mann?“ Ich sehe sie fragend mit hochgezogenen Augenbrauen an.

Sie lächelt nur. „Ja, man besucht nicht umsonst eine Freundin, wenn Mann nicht der Grund ist.“

Oh… das. Ja, genau, Mann. „Ja, Volltreffer. Aber woher wissen Sie das?“

„Auch ich habe mal so eine Woche bei einer Freundin verbracht.“

„Verheiratet?“

„Geschieden.“

„Oh.“ Na das sind ja wundervolle Zukunftsaussichten.

„Keine Angst. Nur nicht den Kopf hängen lassen.“ Sie tätschelt mir kurz die Schulter und folgt dann Sam hinaus durch die Hintertür auf die Veranda und lässt mich in meinem emotionalen Sumpf alleine untergehen.

Ja, natürlich. Leichter gesagt als getan. Mir ist jetzt schon ganz mulmig und dabei hat der Tag noch nicht mal richtig angefangen.


+++++


Eigentlich sollte ich mir jetzt den Kopf über meine Arbeit zermatern und herausfinden, welche Bedeutung die Symbole meines letzten Fundes haben, aber wie soll man sich auf irgendwelche Zeichen konzentrieren, wenn meine Gedanken gerade auf Wanderschaft sind? Früher waren sie über alle Berge, weil Tom sie geklaut hatte, aber jetzt, jetzt sind sie nur bei Sam und dem, was ihr passiert ist – von dem ich offiziell überhaupt nichts wissen darf. Eine Stimme in meinen Kopf sagt mir, dass ich das alles nur falsch verstanden habe, aber was kann man an den Worten „Er hat auf Sie geschossen“ denn falsch verstehen? Tot ist tot, da gibt es nicht mal einen Zwischenraum, in dem man sich verstecken könnte. Und na ja, was ich von dieser ganzen Zwischenebene, Licht am Ende des Tunnels Sache halten soll, bin ich mir noch nicht sicher. Hört sich alles wahnsinnig interessant an, aber mal ehrlich, ich kann mir nicht vorstellen, dass es das wirklich gibt.

Mein Blick schweift zur Hintertür und ich sehe Sam mit Janet zusammen. Sie unterhalten sich, na ja, eigentlich redet Janet und Sam hat nur ihre Arme verschränkt und lehnt an der Veranda. Ihr Blick ist nach unten gerichtet und sie scharrt mit den Füßen auf den Boden herum. Oh, Janet scheint wohl einen wunden Punkt getroffen zu haben. Die Festung, die Sam um sich herum aufgebaut hat, ist schon praktisch sichtbar und es bricht mir das Herz hier einfach nur herumzusitzen und absolut nichts tun zu können. Denn ich darf nicht vergessen, ich weiß von dieser ganzen Sache nichts. Und das ist etwas, was so gar nicht zu mir passt.

Mit einem schweren Seufzen schaue ich hinunter auf meinen Berg von Notizen. Und was soll das hier eigentlich? Warum kann nicht einmal etwas ganz normal sein? Nein, da mache ich den Fund meines Lebens und dann ergeben diese Übersetzungen noch nicht mal einen Sinn! Ich zweifle schon an meinem Verstand! Wieso habe ich mir diese ganzen Jahre des Studiums um die Ohren geschlagen, wenn man im Endeffekt doch nichts damit anfangen kann? Das ist hier wirklich zum Mäuse melken! Aber okay, vielleicht sehe ich ja jetzt etwas, was ich vor fünf Minuten nicht gesehen habe.

Noch während meine Finger mit meinen Haaren spielen, schnappe ich mir eine Fotografie und versuche irgendwo einen Sinn darin zu erkennen. Ich hätte noch nicht abreisen dürfen. Am besten, ich fliege noch mal zurück und sehe es mir aus der Nähe an. Vermutlich haben wir auch nur etwas übersehen.

„Hey“, ertönt plötzlich eine Stimme und erschreckt mich fast zu Tode. Als ich überrascht aufblicke, sehe ich Sam hinter meinem Stuhl stehen. Sie sieht nicht sehr motiviert aus. Schnell schiele ich hinaus zu Janet, die uns jetzt den Rücken zugewandt hat und sich mit beiden Händen auf dem Geländer abstützt. Oh ha… das ging dann wohl nach hinten los.

„Hey“, lächle ich sie an und lasse meine Haare los.

„Arbeit?“ Sie deutet mit ihrem Kopf auf das Wirrwarr von Bildern auf dem Tisch. Erst jetzt wird mir das ganze Ausmaß bewusst. Ich habe nicht nur ihren ganzen Tisch in Anspruch genommen, nein, selbst auf dem Fußboden haben einige Abzüge ihren Platz gefunden.

„Oh, tut mir Leid, Sam. Ich wollte mich hier nicht so ausbreiten. Ich kann das auch alles wieder…“ Ich mache schon Anstalten wenigstens die Sachen vom Boden aufzuheben, aber Sam legt nur ihre Hand auf meinen Arm.

„Nein, nein, lass nur. Von mir aus, kannst du auch die Wände damit tapezieren.“ Was?! Bist es auch wirklich du, Sam? Das ist mir ja ganz neu! Meine Verwirrung muss mir förmlich aus dem Gesicht springen, denn Sam lächelt leicht und setzt sich neben mir auf den Stuhl. „Ich war wohl bisher nicht die perfekte Gastgeberin, oder?“

„Oh, oh, mach dir keine Sorgen. Ich habe hier noch genug zu tun. Nur weil ich im Moment etwas Liebeskummer habe, heißt das nicht, dass meine Arbeit darunter leiden darf.“ Sie lächelt nur. „Wirklich, ist schon in Ordnung.“ Ich hole einmal tief Luft. „Außerdem lenke ich mich somit ab. Arbeit war schon immer die beste Medizin.“

„Ja, das ist wohl wahr“, stimmt sie mir zu und ich habe unweigerlich das Gefühl, dass Sam sehr wohl weiß, wovon ich hier rede. Männer! Schnaube ich stumm auf.

„Alles in Ordnung? Mit Janet und dir?“

„Ja, ja, alles in Ordnung. Wir hatten nur gerade eine kleine… Meinungsverschiedenheit.“

Ja, das ist nicht zu übersehen. Und ich kann mir auch schon denken, was oder *wer* das Thema war. Oh, Sam, ich wünschte du würdest mit mir reden. Aber das wird wohl erst dann passieren, wenn die Hölle gefriert. „Okay“, nicke ich und richte meinen Blick wieder zurück auf die Aufnahmen. „Du weißt, dass ich da bin, wenn du reden willst, nicht wahr?“

„Ja, ich weiß. Und danke.“ Sie drückt einmal kurz meine eine Hand und nimmt sich dann ebenfalls eine meiner Aufnahmen. Okay, damit wäre das Thema dann wohl offensichtlich abgehakt. Wie immer, aber bitte, ich werde sie nicht dazu drängen. Aus meinem Augenwinkel heraus, schiele ich zu ihr hinüber und sehe, wie sich eine kleine Falte auf ihrer Stirn abzeichnet. Jetzt sag nicht, dass sie ebenfalls diesen Wirrwarr erkennt. Langsam wird’s mir echt unheimlich. Und dann schaut sie zu mir auf. „Woher hast du die?“

„Uhm…“ Ich schaue auf das Problembild in ihrer Hand. „Das sind meine. Ich habe sie auf meiner letzten Expedition aufgenommen.“ Sie zieht eine Augenbraue hoch. „Ja“, seufze ich, „allerdings habe ich ein paar Probleme. Die Übersetzung ergibt einfach keinen Sinn. Jedenfalls nicht nach dem, was ich über die Maya weiß, wie es in all den Büchern geschrieben steht.“

„Wieso, was steht denn dort?“

„Das willst du gar nicht wissen“, lache ich leicht und winke mit meiner Hand ab.

Sie lächelt mich nur schief an. „Oh, Liz, sonst hätte ich nicht gefragt. Ich würde es wirklich gerne wissen.“

„Oh, wenn das so ist.“ Sie scheint ja wirklich interessiert zu sein. Wenn ich ehrlich bin, dann überrascht mich das schon. Nicht, dass sie früher meiner Arbeit gegenüber abgeneigt war, aber sagen wir es mal so, sie war genauso viel daran interessiert, wie ich an ihrer und ich weiß, wenn Sam einmal anfängt, dann ist‚ ohne ’Punkt und Komma’ noch untertrieben und das nur bei der Geschwindigkeit ihres Redeflusses. Der Inhalt ist da schon wieder ein ganz anderes Thema. Da höre ich Wörter, von denen ich noch nicht mal wusste, dass sie überhaupt eine Existenz in unserem Wortschatz haben.

„Okay, also, siehst du diesen Schlangenkopf hier?“, Beginne ich ihr langsam mein Problem zu erklären. „Das ist das Symbol für den Gott Quetzalcoatl – bei den Maya auch bekannt als Kulkulcan – er ist einer der Schöpfergottheiten. Normalerweise wird er immer als gefiederte Schlange dargestellt und war sehr bedeutend. Er ist zum Beispiel Symbol für den Wind, für das Lernen, das Handwerks und auch Erfinder des Kalenders. Ihm wird außerdem nachgesagt, dass er die Gabe besäße Kranke, Blinde oder Gelähmte zu heilen und sogar Menschen vom Tode auferstehen zu lassen. Die genauen Hintergründe sind noch nicht einmal so wichtig und hier, das stammt aus demselben Abschnitt.“ Ich ziehe eine andere Fotografie heraus. „Und das hier ist eine andere Stelle desselben Schriftzuges. Aber hier ist nicht mehr die Sprache von Kulkulcan, sondern von Tezcatlipoca.“ Sam legt ihre Stirn in Falten und ich sehe, wie sie versucht mir zu folgen. Natürlich kann sie nicht sehen, was ich sehe, aber schließlich nickt sie mit dem Kopf.

„Okay, und was genau ist daran jetzt so ungewöhnlich?“

„Dazu komme ich gleich. Also Tezcatlipoca heißt übersetzt ‚Herr des rauchenden Spiegels’ und er ist der Gott der Götter, also, im Grunde der Chef aller Götter, auch von unserem Kulkulcan. Laut den Legenden ist er der Widersacher von unserem Freund hier und wogegen Kulkulcan noch die Opferdarbietungen abgelehnt hatte, war er hier anderer Meinung und wurde häufig mit dem Tod, dem Krieg und dem Reich der Finsternis in Verbindung gebracht. Er hatte sehr viel Macht.“

„Und?“

Ich tippe mit meinem Kugelschreiber auf die beiden Bilder. „Diese beiden Kollegen hier fingen einen gigantischen Krieg an. Tezcatlipoca herrschte in der ersten Sonne, aber Kulkulcan besiegte ihn und begann seine Herrschaft im Zeichen der zweiten Sonne ‚vier-Wind’. Dann rächte sich Tezcatlipoca in Form eines Wirbelsturmes und dadurch wurden die Menschen zu Affen degeneriert.“ Sam lächelt mich schief an und ich weiß genau, was sie denkt, aber dadurch lasse ich mich nun wirklich nicht beirren. „Dann kam noch ein anderer Gott ins Spiel, Tlaloc der Regengott, der aber nicht so eine wirklich wichtige Rolle hier spielt, jedenfalls besiegte dieser Tezcatlipoca und regierte in der dritten Sonne ‚vier-Regen’. Das Spielchen hört da aber noch nicht auf. Unser Freund Kulkulcan rächte sich erneut mit einem Feuerregen und verwandelte dadurch die Menschen in Vögel. Die vierte Welt ‚vier-Wasser’ wurde dann durch die Göttin des Wassers zerstört und die Menschen verwandelten sich in Fische. Und nach den Legenden zufolge leben wir jetzt in der fünften Welt ‚vier-Bewegung’ und laut irgendwelchen Voraussagen werden wir durch ein Erdbeben zerstört.“

„Erdbeben?“

„Ja, ich weiß, ziemlich spektakulär.“

„Und was genau ist jetzt so merkwürdig?“

„Merkwürdig ist folgendes. Also, das, was ich dir hier gerade eben gezeigt habe, ist so zu sagen die Entstehungsgeschichte unserer Menschheit. Was mir Sorgen macht ist das hier.“ Ich schiebe ihr eine weitere Fotografie unter die Nase, aber die Ratlosigkeit steht Sam förmlich ins Gesicht geschrieben.

„Was sehe ich mir hier an?“

„Wenn das, was hier steht stimmt, dann leben wir nicht in der fünften Welt.“

„Wie bitte? Ich dachte, du hättest gerade gesagt…“

„Ich weiß!“ Ich höre schon das Blut durch meine Ohren rauschen. Hätte nie gedacht, dass Adrenalin einen so high machen kann und meine Stimme… ich quietsche? Aber, Leute, das ist doch wohl die Entdeckung des Tages! Es müsste alles umgeschrieben werden, die ganzen Theorien sind für die Katz! Mir wird ganz schwindelig, wenn ich an das Ausmaß von dem denke, was ich hier gerade in den Händen halte. „Es gab noch einen Krieg. Hier, sieh dir das mal an.“ Ich deute mit meinen Finger auf Symbole, die in einem Kreis angeordnet sind. Ich hole einmal tief Luft. Das jetzt zu erklären, wird nicht einfach werden. „Also, in Verbindung mit der Mayageschichte, ist das was, hier abgebildet ist gar nicht ungewöhnlich. Normalerweise wird gezeigt wie Quetzalcoatl als Sinnbild für die Sonne dargestellt wird und auf der anderen Seite Tezcatlipoca als Sinnbild für die Nacht. Jeden Tag aufs Neue haben sie gekämpft um Tag und Nacht. Nichts Besonderes. Was allerdings gar nicht passt, ist, dass das hier weder Quetzalcoatl noch Tezcatlipoca ist.“

„Ich verstehe nicht, du hast doch gerade gesagt, dass sie um Tag und Nacht gekämpft haben.“

„Ja, es sind Götter von Tag und Nacht, aber keine, die bisher bei den Maya entdeckt wurden. Außerdem unterscheiden sie sich auch von ihrer Abbildung von den anderen Göttern. Siehst du, der eine ist als einfache Schlange dargestellt und der andere als ein Vogel, ein Falken. Nebenbei mit einem berühmten Auge vermerkt. Aber nicht irgendein Auge, nein, es ist das ägyptische Auge des Ra.“

„Ra?“

„Ja, und das bereitet mir Kopfschmerzen.“

Ich schüttle nur mit dem Kopf. Mir gehen die Ideen aus. Wirklich. Ich liebe Herausforderungen, aber das hier… da hätte vor mir auch ne Matheaufgabe liegen können. Ich hätte genauso viel verstanden.

„Und was wäre, wenn es eine… nun, sagen wir mal kulturelle Überschneidung gab?“

„Sag mal, machst du Witze?!“ Das ist vollkommen unmöglich! So was ist noch nie vorgekommen! Und, und, nein, das geht einfach nicht. Ich muss sie vollkommen apathisch angestarrt haben, denn sie sieht mich mit einem Schulterzucken und ‚Ich sag ja nur’ - Blick an. Ich kann nur mit den Kopf schütteln. „Nein, nein, das ist… das ist, als wenn du herausfinden würdest, dass die Erde wieder eine Scheibe ist. Verstehst du? So was gibt es nicht. Es gab nie eine kulturelle Überschneidung zwischen den Ägyptern und den Maya, das ist schon aus zeitlichen Epochenabständen vollkommen unmöglich. Außerdem bin ich mir noch nicht mal sicher, ob das auch wirklich zutrifft. Okay, das hier hat Ähnlichkeit mit der ägyptischen Hieroglyphensprache, aber es ist kein ägyptisch. Bisher konnte ich nicht ausmachen, woher es stammt, aber wenn ich ehrlich bin, dann bin ich mir noch nicht mal sicher, was ich hiervon eigentlich halten soll.“

„Ich weiß nicht.“

„Sam, wirklich, deinen IQ in allen Ehren, aber das ist vollkommener Humbug. Das hier“ Ich wedle mit dem Foto in der Luft herum und halte es ihr unter die Nase, „kann genauso gut nur ein Fake sein.“

Sie nimmt mir das Foto ab und schaut es sich eingehender an, dann einen Blick hoch zu mir und wieder zurück. Was hat denn dieser Blick schon wieder zu bedeuten? „Ich weiß nicht, Liz, vielleicht ist es doch kein Fake.“

„Was willste denn damit sagen?“ Ich nehme ihr das Foto wieder ab, aber auch nach dem tausendsten Male draufschauen habe ich keine Erleuchtung. Und was macht Sam, sie steht einfach auf. „Hey! Wie haste das denn gemeint?“ Wo geht sie denn jetzt hin? Sie kann mich doch nicht hier einfach so unwissend sitzen lassen! „Sam!“

Doch sie geht nur zur Veranda und ruft Janet. Was hat Janet denn damit zu tun. Könnte mir mal bitte schön jemand sagen, was hier eigentlich los ist?! Hallo? Ich bin schon auf meinen Füßen und will sie an Ort und Stelle zur Rede stellen, als sie mit Janet im Schlepptau zurückkommt. Ich kriege noch gerade eben mit, wie Sam ihr in Kurzform erklärt, an was ich arbeite. Seit wann interessieren sich denn Sternengucker für meine Arbeit? Würde mal bitte jemand mit mir reden?

„Hier.“ Sam nimmt die Fotografie und zeigt sie Janet. Diese schaut genauso wie Sam zuvor von der Abbildung hoch zu Sam, dann wieder zurück auf das Foto und dann schließlich zu mir.

„Wo haben Sie das aufgenommen?“

Also *das* ist mir jetzt wirklich unheimlich! „Ich, ich… was ist hier eigentlich los? Könnte mir mal jemand sagen, was daran jetzt so besonderes ist? Was?“ Ich sehe Sam dabei zu, wie sie sich ihre Jacke schnappt. Hey, was wird das denn jetzt?

„Janet, Sie rufen Daniel an. Sagen Sie ihm, er soll sofort zum Stützpunkt kommen. Liz, du kommst mit mir.“

Hallo? Geht’s noch? „Sam, was ist hier los? Wohin willst du?“

„Sam“, unterbricht Janet sie. „Ich weiß, das hier ist…“ Sie holt einmal tief Luft, „aber denken Sie, dass es klug wäre Liz mitzunehmen?“

Sam schaut zwischen mir und Janet hin und her und ich verstehe nur Bahnhof. Wieso will denn niemand mit mir reden? „Okay“, sage ich schließlich und hebe meine Hände in die Luft. „Hier nimmt niemand irgendwelche Sachen von mir mit und ich werde nirgends hingehen, bevor ich nicht weiß, was hier eigentlich los ist. Sam!“

„Das kann ich dir jetzt nicht erklären.“ Oh, du kannst es mir nicht erklären? Na, das ist doch mal was ganz Neues! Ich schüttle nur mit dem Kopf.

„Tut mir Leid, Sam, aber ich verstehe die Welt nicht mehr. Du, du… was ist los? Weißt du, was das hier bedeutet? Weißt du es?“ Sie und Janet tauschen einen unsicheren Blick aus. Okay, da hätte sie es auch genauso gut laut hinausschreien können, dass sie es kennt. „Sam, was ist das?“

„Liz, ich erkläre dir alles nachher.“

„Kennst du dieses Zeichen und diesen Schriftzug?“, Frage ich hartnäckig nach. Sie ist nicht die einzige mit dem Dickkopf hier. Ich rühre mich keinen Zentimeter von der Stelle, bevor ich nicht eine eindeutige Antwort bekommen habe.

Schließlich seufzt sie nur und wirft Janet noch einen Blick zu. Erwartungsvoll verschränke ich die Arme vor meiner Brust. Und um das Klischeebild noch zu vervollständigen, beginne ich mit meinem rechten Fuß ungeduldig auf und ab zu wippen. „Möglich. Ja, es ist möglich, dass ich es schon mal gesehen habe.“

Also das ist jetzt ganz und gar nicht die Antwort, die ich erwartet habe! Baff, ich bin absolut baff. Der Wind ist aus den Segeln, ich liege wie tot im Wasser. Wie ist denn das möglich? Ob sie die tausend Fragezeichen über meinem Kopf sehen können? Wie… was…hä?!

„Oh“, ist alles, was mir dazu noch einfällt.


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