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Schöne Bescherung von Nyada

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Vorwort

Eine Art Fortsetzung/Sequel zu meiner Story [SGA] Nachwirkungen. Inspiriert wurde ich von dem Weihnachstklassiker Schöne Bescherung aus dem Jahre 1989 mit Chevy Chase in der Rolle des Familienvaters Clark Griswold.

Once again as in olden days
Happy golden days of yore
Faithful friends who were near to us
Will be dear to us once more
Someday soon, we all will be together
If the Fates allow
Until then, we'll have to muddle through somehow
So have yourself a merry little Christmas now.
Judy Garland – Have Yourself A Merry Little Christmas



Als John Sheppard am Morgen des fünfundzwanzigsten Dezembers in Pyjama, Morgenmantel und Pantoffeln durch die leeren Flure seines Elternhauses streifte, kam er nicht darum herum, an jenes Weihnachten vor dreißig Jahren zu denken. Die Erinnerungen waren klar und deutlich, fast so, als sei es erst gestern gewesen, und hafteten selbst nach einer so langen, langen Zeit noch immer an ihm. Die Hoffnung, es irgendwann einmal zu vergessen, hatte John schon vor langer Zeit aufgegeben. Es war schlichtweg unmöglich, die Geschehnisse und die damit verbundenen Bilder in seinem Kopf aus ebendiesem zu verbannen.
Ja, John erinnerte sich an jede Einzelheit dieses Tages, denn es war das erste Weihnachten nach dem plötzlichen, tragischen Tod seiner geliebten Mutter.

Der fünfundzwanzigste Dezember des Jahres 1979 war ein diesiger, wolkenverhangener und für Dezember viel zu warmer Tag gewesen. Es hatte nicht geschneit, so wie der kleine John es sich gewünscht hatte, aber in seiner Euphorie hatte er schnell über die Tatsache, dass es wohl kein weißes Weihnachten geben würde, hinweggesehen. Voller Vorfreude auf die bevorstehende Bescherung, hatte er am Morgen die Augen geöffnet und war aus seinem Bett geklettert. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass dieses Weihnachtsfest anders als die vorherigen werden würde.
Auf leisen Sohlen hatte er sich auf den Weg gemacht, in der Hoffnung, einen Blick auf den prächtigen Tannenbaum werfen zu können, den seine Eltern jedes Jahr im Kaminzimmer aufstellen ließen.
Im Haus war es totenstill gewesen, als er barfuss durch die Flure tapste; die Türen zum Schlafzimmer seiner Eltern und zu dem Zimmer, das sein Bruder bewohnte, waren geschlossen, und der neunjährige John hatte innerlich triumphiert und sich gefreut, dass er es sein würde, der den Weihnachtsbaum der Familie Sheppard als Erster zu Gesicht bekam und nicht sein Bruder Dave. Für ihn und Dave war es jedes Jahr eine Art Wettkampf und dieses Jahr würde er gewinnen!

Während er also nun in seinem Pyjama durch die leeren Flure tapste und sich darüber den Kopf zerbrach, was ihn wohl für Geschenke unter dem Baum erwarteten, bemerkte er nicht, wie ungewöhnlich ruhig es im Haus war. Normalerweise herrschte am Weihnachtstag um diese Zeit schon geschäftiges Treiben auf dem Sheppardschen Anwesen, doch heute war es fast schon unheimlich still.
Dem jüngsten Sohn des Hausherren war dies natürlich nicht aufgefallen und sein kleines Herz hatte schneller und schneller geschlagen je näher er dem Kaminzimmer kam. Als er schließlich vorsichtig die Türklinke herunterdrückte, glaubte er es vor Aufregung nicht mehr länger aushalten zu können. Er kniff die Lippen fest aufeinander, um ein kindliches Kichern zu unterdrücken, öffnete die Tür und betrat das Kaminzimmer. Vor freudiger Erwartung hatte er die Luft angehalten, entließ sie aber prompt wieder. Enttäuschung machte sich in ihm breit und die Erkenntnis traf den kleinen John Sheppard wie ein Schlag. Dieses Weihnachten würde anders sein!

Das erste Weihnachtsfest nach dem Tod seiner Mutter war das erste, wenn auch einzige Fest gewesen, an dem sein Vater keinen Weihnachtsbaum hatte aufstellen lassen. John fand das familiäre Kaminzimmer leer und kalt vor; noch nicht einmal der große Kamin war angefeuert geworden. Er erkannte den Raum, der immer von dem fröhlichen Lachen seiner Mutter erfüllt worden war, nicht mehr wieder. Nichts erinnerte mehr an die familiäre Atmosphäre. Die schönen Stunden, die er und seine Familie in diesem Raum verbracht hatten, waren vergessen, und John wurde klar, dass es dieses Jahr nicht nur der Weihnachtsbaum war, der fehlen würde.

Es war unvermeidbar, dass John sich an diesem heutigen Tag- dreißig Jahre später- an jenes Weihnachten zurückerinnerte, das die Wende in seinem Leben und dem seines Vaters und seines Bruders eingeläutet hatte. Im darauffolgenden Jahr hatte zwar wieder ein Tannenbaum im Kaminzimmer gestanden, doch es war nicht mehr dasselbe gewesen. Weihnachten ohne seine Mutter- für John schwer vorstellbar. Erst seine Mutter hatte dieses Fest wirklich… festlich gemacht. Sie war stets Feuer und Flamme gewesen, wenn es darum ging, Vorbereitungen zu treffen, Geschenke zu kaufen, den Baum zu schmücken, die leidigen Verwandten einzuladen oder Plätzchen zu backen. John erinnerte sich an das Chaos, das im Haus geherrscht hatte; die Angestellten, die wie aufgescheuchte Hühner umhergelaufen waren und rund um die Uhr geackert hatten, damit das Fest der Familie ihres Arbeitgebers perfekt wurde. Und er erinnerte sich an seine Mutter, die wie ein Fels in der Brandung gewesen war, vom Stress augenscheinlich unberührt und mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen. Für ihre Angestellten war sie eine Feste gewesen, die letzte Rettung; Emmeline Sheppard hatte sich nicht davor gescheut, die niederen Arbeiten ihrer Angestellten zu übernehmen, wenn diese einmal mit ihren Nerven und Kräften am Ende waren. John sah seinen Vater vor sich, der sich immer fürchterlich darüber aufgeregt hatte, wenn er seine Frau mal wieder in der Küche beim Gansausnehmen „erwischt“ hatte. Doch davon hatte sich seine Mutter nicht beirren lassen, nicht im Geringsten.

An dieser Stelle musste John grinsen. Seine Mutter war das genaue Gegenteil seines Vaters gewesen, vielleicht der Grund, warum sie einander so gut ergänzt hatten. Schon hatte oft hatte John zu hören bekommen, dass er voll und ganz nach seiner Mutter kam; sie war eine liebenswerte Chaotin gewesen, genau wie er, hatte stets ihren eigenen Kopf gehabt und sich von niemanden etwas sagen lassen. Die Erinnerungen an seine Mutter hatten im Laufe der Zeit zu verblassen begonnen, waren aber immer noch stark. Wann immer John die Augen schloss und an sie dachte, sah er das kecke Grinsen Emmeline Sheppards vor sich, ihre hochgewachsene, schlanke Gestalt, die langen, in sanften Wellen verlaufenden kastanienbraunen Haare und ihre haselnussfarbenen Augen, die stets herausfordernd gefunkelt hatten. Ihre Lockerheit hatte im krassen Gegensatz zu der autoritären Wesensart ihres Mannes Patrick gestanden, dem sie in punkto Selbstbewusstsein in nichts nachgestanden hatte.

John vermisste seine Mutter. Er vermisste alles an ihr; ihr schiefes Lächeln, das auch das seine war. Ihre ruhige Stimme, die von Whiskey und Zigaretten leicht angeraut war. Ihre Scherze, die fast immer unter die Gürtellinie gegangen waren. Ihr raues, lautes, manchmal geradezu dröhnendes Lachen. Er vermisste alles und nun würde er wieder ein Weihnachtsfest ohne sie verbringen. Man sollte glauben, dreißig Jahre müssten genügen, um zu vergessen, doch John dachte nicht einmal im Traum daran, seine Mutter zu vergessen. Manchmal fragte er sich, wie sein Leben und das seines Vaters und seines Bruders wohl weitergegangen wäre, hätte der Truckfahrer an dem regnerischen Novembertag 1979 den Wagen seiner Mutter nicht übersehen.

Die Gedanken des Soldaten wanderten unwillkürlich zu seinem kleinen Sohn, T.J., der in diesem Augenblick wohl noch friedlich schlief und seine kindliche Fantasie im Land der Träume auslebte. Er wusste, dass sich seine Mutter immer Enkelkinder gewünscht hatte, jedoch war sie viel zu früh aus dem Leben gerissen worden, um zu sehen, wie ihre Söhne heirateten und eine eigene Familie gründeten. John wünschte sich, T.J. hätte seine Großmutter kennengelernt. Emmeline Sheppard war eine herausragende Persönlichkeit gewesen und er war sich sicher, dass T.J. genauso bewundert hätte, wie er es als kleiner Junge getan hatte.

Nun, jedoch, stand ihm und seiner Familie ein weiteres Fest ohne das bindende Glied der Familie Sheppard bevor- ein Umstand, der John grimmig die Lippen aufeinander pressen ließ. Wie jedes Jahr würde es darauf hinauslaufen, dass sein Vater die Existenz seiner Mutter an diesem besonderen Tag verleumden würde. Sein alter Herr sprach seit dem Tod seiner Frau nur selten über sie und stellte sich gut damit, so zu tun, als wäre sie nie da gewesen, eine Tatsache, die John zur Weißglut trieb. Die Heuchlerei seines Vaters machte ihn krank, denn er erinnerte sich nur zu gut daran, dass es nicht immer so gewesen war. Nach dem Tod Emmelines hatte Patrick seine Söhne in die Obhut der Hausdame Mrs. Broderick gegeben, die Tür zu seinem Büro hinter sich abgeschlossen und ward tagelang nicht mehr gesehen. Man konnte nur spekulieren, was der Hausherr hinter verschlossenen Türen getrieben hatte, aber als er schließlich wieder herauskam, tat er so, als wäre nichts geschehen.

Patrick Sheppard führte ein Leben hinter einer Maske. Niemand wusste je, wie es wirklich um ihn bestellt war. Er war Meister darin, seine Emotionen und Gefühle vor anderen zu verbergen, eine Eigenschaft, die John von ihm geerbt hatte. Tief in seinem Inneren wusste John, dass sein Vater nicht das eiskalte Biest war, für das ihn viele hielten. Patrick kannte jedoch kein Pardon, wenn er sich auf eine Sache festgelegt hatte, und hielt eisern an seinen Prinzipien fest. Wie oft hatte die sture, verbissene Art seines Vaters zu Streitigkeiten geführt; John hatte aufgehört zu zählen. Unterhaltungen zwischen ihnen waren stets wie eine tickende Zeitbombe gewesen, von der man nicht genau wusste, wann sie hochging. Fast jeder seiner Besuche hatte damit geendet, dass er und sein Vater sich angeschrieen hatten und einer von ihnen daraufhin empört und fluchend das Haus verließ.

Johns Besuch vor fünf Jahren war da keine Ausnahme gewesen. Nach T.J’s Geburt hatte er, auf Teylas Drängen hin, seinen Vater darüber informiert, dass er Großvater geworden war, und hatte sich sogar zu einem Besuch breitschlagen lassen. Von Anfang an hatte er gewusst, dass es ein Fehler war- zurecht, wie sich schon bald herausstellte. Dave hatte in einer Mail durchsickern lassen, dass ihr Vater seiner Ehe mit Teyla skeptisch gegenüber war, und wie erwartet, hatte Patrick diese „Bedenken“ auch prompt geäußert, als sie mit T.J. zu Besuch gewesen waren. Zuerst hatte er sich höflich gehalten, dann war ihm die ein oder andere flapsige Bemerkung über die Lippen gekommen, dann war er konkreter geworden. An dieser Stelle des Gesprächs hatte John Teyla und das Baby des Raumes verwiesen; er wollte nicht, dass seine Frau den drohenden Streit zwischen ihm und seinem Vater mitbekam und sich womöglich noch dafür die Schuld gab.

Dass sein Vater Teyla gegenüber Vorbehalte hatte, weil sie Mitglied seiner Einheit gewesen war, hatte John nicht weiter verwundert, aber dass er ihn als ihre Möglichkeit, ihr bisherigen Verhältnisse zu verlassen, bezeichnete, hatte das Fass überlaufen lassen. Er war gekommen, um sich mit seinem Vater zu versöhnen und ihm seine neue Familie zu präsentieren und das Resultat war ein gewaltiger Krach gewesen, der wie immer damit geendet hatte, dass John sich seine Familie schnappte und wutentbrannt das Haus verließ.

Der Soldat seufzte. Fünf Jahre war sein letzter Besuch jetzt her. Teyla und T.J. zuliebe zwang er sich dieses Weihnachten mit seinem Vater und der Familie seines Bruders Dave zu verbringen. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er Carson Becketts Angebot, ihn in die schottischen Highlands auf das Anwesen eines Cousin dritten Grades zu begleiten, nur zu gern angenommen. Er hätte sich sogar ein ganzes Wochenende mit Rodney herumgeschlagen und er war sich sicher, dass Elizabeth nichts dagegen gehabt hätte, ihn über die Feiertage mit durchzufüttern. Doch anstatt das Fest der Liebe mit seinen Freunden zu verbringen, war er hier, wartete darauf, dass sein Vater den nächsten Streit anfing, und dachte unentwegt an seine tote Mutter.

Klasse, dachte er, schlimmer konnte es doch gar nicht mehr kommen. Er wagte es nicht, es laut auszusprechen, denn er wollte den Teufel nicht an die Wand malen, zumal war der Empfang am Vorabend überraschend glimpflich vonstatten gelaufen. Sein Vater hatte sich erfreut gezeigt, dass sein jüngster Sohn und seine Familie ihn dieses Weihnachten beehrten. Freundlich hatte er sie begrüßt und sich darüber gewundert, wie groß T.J. doch geworden war. Teylas Schwangerschaft hatte ihm sogar ein kleines Lächeln auf sein strenges Gesicht gezaubert; liebevoll hatte er seine Schwiegertochter begrüßt und sich nach ihrem Befinden und dem des Babys erkundigt. Ein rundum gelungener Einstieg, doch John traute dem Frieden nicht so recht. Er kannte seinen Vater viel zu gut, um ihm dieses ‚Heile Welt’-Getue einfach so, ohne Zweifel abzukaufen. Patrick Sheppard wusste, wann er sein Pokerface aufzusetzen und zu lächeln hatte; er war jahrelang in der Politik tätig gewesen und hatte es im Laufe der Jahrzehnte perfektioniert.
John beschloss auf der Hut zu bleiben und seinen Vater nicht aus den Augen zu lassen, ganz gleich ob Weihnachten war oder nicht.

In Gedanken versunken und sich fragend, wie es Rodney wohl gerade bei der Familie seiner Schwester Jeannie in Kanada erging, ob Evan Lorne, seine Frau Calleigh und ihr Sohn Thomas wohl schon bei den Eltern in Minnesota angekommen waren und Elizabeth schon mit der Zubereitung des traditionell amerikanischen Weihnachtsmenüs kämpfte, schlenderte John weiter durch das scheinbar endlose Gewirr aus Gängen, durch die er als kleiner Junge gestürmt war oder sich von seinem Bruder hatte jagen lassen. Ihr Vater hatte es gehasst und sie immer wieder ermahnt, im Haus nicht zu rennen, doch sie hatten es trotzdem getan. Oder hatten sich auf dem riesigen Dachboden versteckt. Oder in den Pferdeställen. Oder in der Waschküche. Ja, dieses Haus war eine wahre Goldgrube und so hatte es John auch nicht gewundert, dass T.J.- kaum dass er angekommen war- sofort auf Erkundungstour gegangen war, um jeden noch so kleinen Winkel des Hauses zu erkunden. Sein Sohn war ein neugieriges Kind, das alles ganz genau erforschte, weshalb John auch nicht besorgt gewesen war, als T.J. erst nach geschlagenen drei Stunden wieder aufgetaucht war. Abends, als der Junge seinem Vater von seinem Abenteuer berichtet hatte, kam John nicht darum herum hin und wieder zu schmunzeln. T.J. hatte so begeistert von seiner Erkundungstour berichtet, dass er auf dem Bett auf und ab gehüpft war. Mit leuchtenden Augen vertraute er seinem Vater an, dass er einen ganz tollen Platz auf dem Speicher gefunden hatte, nicht wissend, dass auch John sich dort als Junge immer versteckt hatte.

Nachdem er fast eine halbe Stunde aufgeregt und ohne Punkt und Komma geredet hatte, war T.J. mit einem lauten Seufzen in Johns Armen zusammengesunken. Schmunzelnd hatte John seinen Sohn ins Bett getragen, ihn zugedeckt und über den dunkelbraunen Haarschopf gestreichelt und ihm versprochen, dass er ihm noch viele, viele andere geheime Plätze zeigen würde. Ein letztes Mal hatten T.J’s braune Augen an diesem Abend geleuchtet, dann war der Junge eingeschlafen. Noch eine ganze Weile hatte John auf der Bettkante gesessen und seinen Sohn beim Schlafen beobachtet. T.J’s friedlicher Anblick hatte ihn wie immer für einen kurzen Moment alle Sorgen vergessen lassen; selbst der Ärger wegen dem, was in der Vergangenheit zwischen ihm und seinem Vater Patrick vorgefallen war, hatte sich in Luft aufgelöst.
John war es seinem Sohn schuldig, sich um ein gutes Verhältnis zu seinem Vater zu bemühen. Er wollte nicht, dass T.J. etwas von den Spannungen mitbekam, sehr wohl wissend, dass das das kleine Kinderherz nur unnötig belastet hätte. Wenigstens für diese paar Tage wollte sich John bemühen, seinem Vater fair gegenüber zu sein. Für T.J., seinen Vater und auch für sich selbst.

Nachdenklich die Stirn runzelnd, steuerte John nun auf die Tür zum Kaminzimmer zu, die einen Spalt weit geöffnet war und durch die leise die Zeilen von Judy Garlands berühmten Weihnachtslied 'Have Yourself A Merry Christmas' drangen. Wahrscheinlich war es die gute, alte Mrs. Broderick, die versuchte wenigstens etwas Weihnachtsstimmung in diesem Haus zu verbreiten, dachte sich John und beschleunigte seine Schritte. Die alte Hausdame war die einzige Person, die er in all den Jahren wirklich vermisst hatte und das Wiedersehen war wie gewohnt herzlich ausgefallen. Nach dem Tod der Mutter war sie für John und seinen Bruder Dave so etwas wie eine Ersatzmutter geworden. Mrs. Broderick war die gute Seele des Hauses, brachte jeden zum Lachen, war aber auch streng. Nicht einmal Patrick Sheppard traute sich, ihr etwas entgegenzusetzen.

Die rüstige Dame wuselte wie erwartet um den Tannenbaum herum, als John das Zimmer betrat. Er blieb stehen und beobachtete schmunzelnd, wie Mrs. Broderick mit Lametta und Christbaumkugeln um sich warf. Sämtliche Dekorationsartikel lagen um die kleine, rundliche Frau verstreut, während der Baum an sich immer noch viel zu grün, viel zu unspektakulär und viel zu kahl darauf wartete, geschmückt zu werden. Wohl war, Mrs. Broderick mochte zwar ihren Haushalt mit eiserner Hand führen, aber ihre Weihnachtsbaumschmückaktionen waren schon immer chaotisch gewesen. Kaum zu glauben, dass sie es jedes Jahr- bis auf das eine- aufs Neue geschafft hatte, dass die Familie am Abend einen prachtvollen Baum vorfand.

Die mit Weihnachstbaumschmuck um sich werfende Mrs. Broderick stellte sich der ehrenvollen Aufgabe nicht allein; auf den zweiten Blick konnte John Teyla ausmachen, die den Dekorationswahn der älteren Hausdame skeptisch beobachtete, und dann entdeckte er auch T.J., der ebenso irritiert wie seine Mutter zu sein schien. Skepsis stand auf sein liebliches Kindergesicht geschrieben und er runzelte die Stirn, eine Geste, die er sich von Carson Beckett abgeguckt hatte.

„Ich dachte, der Schmuck gehört an den Baum“, hörte John ihn vorsichtig anmerken. T.J., der in seinem Pyjama auf der Couch saß, betrachtete das Chaos zu seinen Füßen und die Furchen auf seiner Stirn wurden noch tiefer.

„Sicher, mein Schatz“, beruhigte Mrs. Broderick ihn, „aber wir müssen ihn doch erst sortieren.“ T.J’s Gesichtsausdruck nach zu ordnen, gehörte das Sortieren der Weihnachtsbaumkugeln genauso wenig zum Schmücken des Baumes wie das Durcheinanderwerfen des glitzernden Lamettas. Er ließ Mrs. Brodericks Worte jedoch kommentarlos auf sich wirken und schien sich dann auf die Person zu besinnen, die soeben das Kaminzimmer betreten hatte.

„Daddy!“, rief er und ein Strahlen breitete sich auf seinem Gesicht auf. „Sieh nur, wir schmücken den Baum!“

„Das sehe ich“, lächelte John, „und ihr macht das toll. Das wird bestimmt der schönste Weihnachtsbaum in der ganzen Stadt.“

T.J. begann auf der Couch aufgeregt auf und ab zu hüpfen, was Teyla auf den Plan rief, die ihren Sohn liebevoll, aber bestimmt ermahnte, er solle stillsitzen. John grinste, als sie das tat. Die Athosianerin war ohne jeden Zweifel das autoritärere Elternteil, während seine Wenigkeit dem Jungen öfter etwas durchgingen ließ.

„Torren“, ließ Teyla ihre Stimme abermals warnend erklingen, als der Junge beim ersten Mal nicht sofort auf sie hörte. „Ich habe Dir gesagt, Du sollst vorsichtig sein. Das sind nicht Deine Möbel, auf denen Du da herumturnst.“

„Ach, lassen Sie ihn doch, Schätzchen“, meldete sich nun Mrs. Broderick zu Wort. „Die Möbel halten schon seit über dreißig Jahren und haben ihrerzeit schon Jonathan und David aushalten müssen.“

„Wirklich?“, fragte Teyla nicht sonderlich überrascht klingend und warf ihrem Mann einen vielsagenden Blick zu. John zuckte mit den Schultern und sie hob die Braue. Die Tatsache, dass auch schon er und sein Bruder auf den Möbeln herumgeturnt waren, schien sie nicht zu überraschen.

Mrs. Broderick, ihrerseits, fuhr fort, den Weihnachtsbaumschmuck zu sortieren, während sie erzählte. „Sie hätten die beiden als kleine Burschen erleben müssen!“ Es war mehr ein Ausruf als eine ruhige Feststellung. „Jeden Tag ist etwas im Haus zu Bruch gegangen.“ Ihre weisen braunen Augen trafen auf die von John. „Und besonders schlimm war unser lieber Jonathan.“

„Mrs. Broderick…“ John verdrehte die Augen. „Wie oft habe ich Ihnen gesagt, dass Sie mich nicht so nennen sollen? Niemand tut das.“ Das war zwar nicht ganz richtig- seine Mutter hatte ihn oft genug Jonathan genannt, meistens dann, wenn er in Schwierigkeiten gesteckt hatte.

„Ach, Jungchen“, seufzte die Hausdame und ließ die Arme sinken, „ich bin alt und habe nicht mehr viele Jahre zu leben. So lass mir doch den Spaß.“

„Ich finde, es klingt sehr… adrett“, gab nun auch Teyla zu Bedenken. John warf ihr einen eisigen Blick zu, lächelte aber Sekunden später wieder, als er auf sie zukam und von hinten die Arme um ihren Leib schlang.

„Adrett, sagst Du?“ Die Athosianerin lachte leise, als er ihren Nacken zu küssen begann, was sowohl Mrs. Broderick als auch T.J. als stille Aufforderung aufzufassen schienen, denn die beiden verkündeten fast gleichzeitig, dass sie noch etwas zu tun hatten; T.J. folgte in Ermangelung einer ihn erwartenden Tätigkeit oder seinem schier unstillbaren Hunger nach selbstgebackenen Plätzchen der Hausdame in die Küche. Seine Eltern blieben allein mit sich selbst und dem Weihnachtsbaumschmuckchaos im Kaminzimmer zurück und lauschten der hellen Kinderstimme ihres Sohnes, bis diese nicht mehr zu hören war.

„Wieso werde ich den Gedanken nicht los, dass Du diese Frau als kleiner Junge sehr gemocht hast?“, fragte Teyla schließlich und lehnte ihren Kopf gegen den Brustkorb ihres Mannes.

„Weil ich sie sehr gemocht habe“, erwiderte John ihr und vergrub seine Nase in ihrem langen rotbraunen Haar. „Für mich war sie so etwas wie meine eigene Mary Poppins. Und ihre Kekse…“ Er seufzte wohlig hinsichtlich der Erinnerung an das köstliche Gebäck der Hausdame. „Du musst ihre Kekse probiert haben.“ Er schlang die Arme fester um seine Frau. „Ich muss Dir gestehen, Tey, dass ich mich in diese Frau unsterblich verliebt habe, als mein Vater sie damals ins Haus geholt hat.“

Teyla lachte leise. „Ich habe schon befürchtet, dass ich nicht die einzige Frau in Deinem Leben sein werde, John“, sagte sie und wandte sich zu ihm um. Der Soldat grinste, beugte sich dann vor und küsste sie kurz, aber zärtlich auf den Mund.

„Und bald wirst Du mich mit noch einer teilen müssen“, meinte er lächelnd und legte seine Hand auf den runden Bauch seiner Frau, in dem in den letzten achteinhalb Monaten ihr gemeinsames Baby herangewachsen war, das in nicht einmal mehr drei Wochen auf die Welt kommen sollte.

„Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob es ein Mädchen wird, John“, erinnerte Teyla ihn mit einem sanften Lächeln und deckte seine Hand mit ihrer zu. „Ich hoffe, Du bist nicht allzu enttäuscht, aber Dr. Beckett meinte bei meiner letzten Untersuchung, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass wir wieder einen Sohn bekommen.“

„Aber er schloss ein Mädchen nicht aus, oder?“, hakte John nach.

Teyla schüttelte mit dem Kopf. „Nein, er schloss es nicht aus. Wir müssen uns einfach überraschen lassen.“

„Ich hasse Überraschungen“, murmelte John, als er sich erneut vorbeugte und sie auf die Stirn küsste. „Und außerdem bin ich mir sicher, dass es ein Mädchen wird“, fügte er hinzu, woraufhin Teyla die Augenbrauen anhob.

„Ach, und was lässt Dich da so sicher sein?“, wollte sie wissen.

„Väterliche Intuition“, antwortete der Soldat und die Athosianerin lachte.

„Du meinst dieselbe ‚väterliche Intuition’, die Dir damals schon sagte, dass Torren auch ein Mädchen wird?“, triezte sie ihn. Johns Augen schmälerten sich und er kräuselte beleidigt die Nase.

„Gut, gut, ich gebe zu, dass meine Intuition damals wohl etwas danebenlag“, sagte er schließlich. „Wieso musst Du nur immer wieder damit ankommen? Ja, ich habe mich geirrt, aber dieses Mal“- Er streichelte über ihren Bauch-„bin ich mir ganz sicher. Hundertprozentig sicher. Es wird ein Mädchen.“

Teyla erwiderte seinen Blick liebevoll. „Wir werden sehen“, meinte sie, stellte sich leicht auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Sie lachte auf, als John die Arme um ihre Schultern schlang und den Kuss so leidenschaftlich erwiderte, dass sie beide atemlos waren, als sie sich ein paar Sekunden später wieder voneinander lösten, und seufzte, als ihr Kind mit einem kräftigen Tritt auf sich aufmerksam machte. Ihre Miene verrutschte um einige Millimeter, als das Baby in ihr zu strampeln und zu treten begann, und sie seufzte erneut.

„Alles okay?“, fragte John besorgt, als er sah, dass sie sich den Bauch hielt und das Gesicht verzog. „Tey?“

„Es ist nichts“, antwortete die Athosianerin rasch, bevor er noch nervöser wurde. „Das Baby bewegt sich nur öfter. Und stärker. Hier…“ Sie nahm seine Hand und legte sie zurück auf ihren Bauch. „Spürst Du das?“

Das Baby bewegte sich wieder in ihr und John lächelte. „Wow, was war das? Ein Fuß? Das muss sich komisch anfühlen“, mutmaßte er.

„Als ob es meine Organe mit seinen kleinen Füßchen und seinen winzigen Händen zerquetschen will, ja“, schmunzelte Teyla und zog Sekunden später scharf die Luft ein, als sie das Baby erneut kräftig trat und sie einen kurzen stechenden Schmerz im Unterleib verspürte. „Es wird später bestimmt einmal ein großartiger Footballspieler“, versuchte sie zu scherzen, doch in Johns Ohren klang es alles andere als locker. Es war vielmehr ein Keuchen, das seine Sorge nur noch mehr schürte.

„Bist Du sicher, dass alles in Ordnung ist?“, fragte er sie erneut, als er ihre aufeinander gekniffenen Lippen bemerkte. „Hast Du Schmerzen?“ Er nahm sie vorsichtig an den Ellenbogen und führte sie zu der Couch, damit sie sich setzen konnte.

„John, es geht mir gut“, bemühte sich seine Frau, ihn zu beruhigen. „Das ist am Ende der Schwangerschaft völlig normal und das solltest Du auch wissen.“

„Trotzdem macht es mich nervös.“ Der Soldat half ihr dabei, sich zu setzen. „Eigentlich hatte ich nicht vorgesehen, dass Du das Baby ausgerechnet dann bekommst, wenn wir bei meinem Vater zu Besuch sind. Diesen Triumph will ich ihn bei aller Liebe nicht gönnen.“

Teyla seufzte. „Das Baby wird in zwei Wochen kommen, so wie Dr. Beckett es ausgerechnet hat“, sagte sie dann. „Du musst Dir also keine Sorgen machen. Mir geht es gut und dem Baby geht es auch gut. Alles ist in Ordnung, John.“

Seine Frau noch immer skeptisch musternd, nickte John. Sie musste wohl am besten wissen, wie es um sie und das Baby bestellt war, was aber nicht bedeutete, dass er sich nicht um sie sorgte. Dass Teyla überhaupt schwanger war, kam einem Wunder gleich und allein die Vorstellung, dass ihr oder ihrem Baby etwas zustieß, bereitete John Alpträume. Sie hatten lange warten müssen und es waren viele, viele Tränen vergossen worden, ehe es endlich geklappt hatte. Sie beide waren kurz davor gewesen aufzugeben, als Teyla verkündet hatte, dass sie schwanger war. Von diesem Tag an, hatte John sie wie ein rohes Ei behandelt. Er hatte nicht riskieren wollen, dass ihr oder dem lang ersehnten Baby etwas passierte. Sie beide hatten schon einmal ein Kind verloren und es war schrecklich gewesen; wie lange sie getrauert und wie oft sie einander nachts weinend in den Armen gelegen hatten, wusste John nicht mehr. Dieses neue Baby war ein gottgegebenes Wunder und so bemutterte er seine Frau wo es nur ging, damit es ihr und dem kleinen Wesen, das in ihr heranwuchs, gut ging.

„Ich mach’ mir nur Sorgen“, wiederholte er daher und Teyla nickte und legte ihre Hand an seine Wange.

„Ich weiߓ, sagte sie, „und ich mache mir auch Sorgen, aber Du übertreibst ein klitzekleines bisschen, John. Es ist nicht nötig, mich rund um die Uhr im Auge zu behalten. Ich kann auf mich selber aufpassen und ich weiß, was gut für mich und das Baby ist.“

„Okay“, erwiderte John, obwohl er alles andere als beruhigt war. Irgendwie gelang es ihm, die sorgenvollen Gedanken wegzuschieben und ein einigermaßen akzeptables Lächeln aufzusetzen, von dem er wusste, das es seine Frau glücklich machen würde.

„Sehr schön“, sagte die Athosianerin dann tatsächlich wie erwartet, erwiderte sein Lächeln, während sie gleichzeitig seine Hand drückte. „Wir sollten uns jetzt darüber keine Gedanken machen- es ist Weihnachten!“

Es ist Weihnachten. Diese Worte aus Teylas Mund brachten John unwillkürlich zum Grinsen. Bis vor ein paar Jahren hatte die Athosianerin nicht einmal gewusst, was es mit dem merkwürdigen Brauch von der Erde auf sich hatte und sie hatte die Schmückaktionen daheim in Atlantis mit ähnlicher Skepsis beobachtet wie die von Mrs. Broderick. Sie hatte den Sinn des Festes nicht verstanden und warum ein einziges, kleines Baby so viel Macht und Faszination auf die Menschen ausübte. Und dass man Bäume mit bunten Kugeln behängte, hatte sie seltsam gefunden.
Heute schien Teyla nicht mehr ohne das schönste Fest des Jahres zu können. Sie liebte es, ihr Quartier weihnachtlich zu dekorieren und sog jede Information, die sie bezüglich des Weihnachtsfestes bekommen konnte, in sich auf wie ein Schwamm. Es war schon merkwürdig und zugleich höchst amüsant diesen Wandel mitzubekommen; John fand die Akzeptanz seiner Frau bezüglich ‚Erdtraditionen’- wie sie es nannte- höchst beachtenswert- vielleicht auch ein Grund, weshalb er sich jeden Tag aufs Neue in sie verliebte.

„Es ist Weihnachten, John“, wiederholte Teyla in diesem Augenblick mit funkelnden Augen, die an die ihres Sohnes erinnerten. „Wir sind hier, bei der Familie, und alles wird gut werden, glaub mir“, sagte sie mit einem milden Lächeln, das John gar nichts anderes übrig ließ, als dieselbe Vorfreude auf Heiligabend zu verspüren wie sie und ihr Lächeln zu erwidern.

„Es ist Weihnachten“, echote er, drückte ihr einen Kuss auf die Lippen und auf ihren runden Bauch. „Du hast recht; es ist Weihnachten.“ Und zum ersten Mal seit Jahren freute sich John Sheppard auf das bevorstehende Weihnachtsfest, nicht ahnend, dass sich diese Vorfreude schon sehr, sehr bald in Luft auflösen würde.

TBC
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