Stargate Fanfic Login
HilfeImpressumLexikon
Erweiterte Suche

Desire against all odds von suehsi, Anyana

[Reviews - 0]   Drucker Kapitel oder Geschichte Inhaltsverzeichnis

- Schriftgröße +
Kapitel Bemerkung:

Nach 8 Jahren stillstand geht es nun endlich bei diesem Werk weiter. Tut uns leid für die lange Wartezeit auf die letzten beiden Teile XD

Diese FF wurde NICHT gebetat. Jegliche Fehler gehören uns ganz alleine :D
Kapitel 2


21. Juni, Drayton Abbey

Mit großen Schritten durchquerte John die Vorhalle, während er sich seine Handschuhe überzog. Aus dem Speisesaal trat sein Bruder Evan und sah ihn irritiert an.
„Was hast du vor, John?“, fragte dieser, worauf der Captain innehielt und den Blick des Jüngeren kühl erwiderte.
„Ich verlasse Drayton Abbey.“
Evan Wakeham blieb mit offenem Mund stehen und versuchte, seine Sprachlosigkeit zu überwinden.
„Aber weshalb?“, fragte er schließlich.
„Ich habe noch einiges in London zu erledigen.“
„Sicher nichts, was nicht auch noch zwei Tage warten könnte!“, widersprach Evan empört. „Morgen ist der Ball bei den Kolyas. Da kannst du nicht fehlen. Du bist der Ehrengast und sie verlassen sich auf dein Kommen.“
Entschlossen griff John nach seinem Zylinder, welcher auf einer der edlen Garderoben in der Eingangshalle lag. Musternd starrte ihn sein Bruder an, als er sich den Hut aufsetzte und nach seiner Aktentasche griff.
„Tut mir leid“, blieb John stur. „Richte den Kolyas bitte mein Bedauern aus.“
„Aber John!“
Geschockt versuchte Evan ihm in den Weg zu treten, doch John wich seinem Bruder aus, während er die Halle eilig durchschritt.
„Ich bin nicht bereit, mit dir darüber zu diskutieren. Meine Entscheidung steht fest und daran kann nichts etwas ändern. Auf Wiedersehen!“
Er nickte seinem Bruder zu, trat dann aus der Halle und ging zur Kutsche. Ohne sich noch einmal umzublicken stieg er ein und das Gefährt setzte sich in Bewegung. Hastig galoppierte die dunkle Kutsche den breiten Weg entlang, vorbei an den gepflegten Gartenanlagen hinaus durchs Tor, von wo aus sie eine Allee entlang eilte.
Evan, der ihm gefolgt war, sah ihm erstaunt hinterher und kehrte dann nachdenklich in die Halle zurück. Irgendetwas stimmte mit seinem Bruder nicht…

***


Irgendwo außerhalb von Foxley Capes

Elizabeth zog ihr Schultertuch enger um sich, um den kalten Wind davon abzuhalten, in ihr Kleid zu fahren, während sie zum Haus zurückging. Bereits seit dem Morgen war der Himmel bewölkt, doch nun wehte ein eisiger Wind über die immer düsterer wirkende Landschaft.
Das Wetter passte genau zu Elizabeths Stimmung, welche niedergeschlagen und frustriert war. Die Begegnung mit Captain Wakeham in der Boutique und gerade eben am Fluss waren genug, um ihr die ganze restliche Woche zu vermiesen.
Der Ausdruck in seinen Augen, als ihm die Wahrheit über ihre Herkunft bewusst geworden war, hatte sich in ihr Gehirn eingebrannt. Er hatte sie angesehen, als wäre sie etwas verabscheuungswürdiges, und die Art und Weise, wie er sie angesehen hatte, hatte sie zutiefst verletzt.
Und doch war sie ebenso wütend auf sich selbst, weil sie sich einredet hatte, dass sie bei ihm eine Chance hätte.
‚Eine Chance’… diese Worte wiederholten sich langsam in ihrem Kopf, was sie geschockt aufblicken ließ. Sie klangen fast so, als wären sie aus dem Munde ihres Vaters… Er hatte immer gehofft, dass eine seiner Töchter reich heiraten würde.
‚Reich’ … Elizabeth schluckte, woraufhin sie stehen blieb und in die Weite starrte. Sie hatte ihn doch wohl nicht wegen seines Geldes anziehend gefunden, oder etwa doch?
Nein. Nein, ganz bestimmt nicht.
Verwirrt blinzelte sie, bevor sie der kalte Wind erfasste und sie ihr Tuch noch enger an sich zog. Sie hatte sich geschworen nie aufgrund des Geldes zu heiraten. Doch wusste er das?
Sie vermutete nicht, da er sonst nicht so reagiert hätte wie er es hatte.
Nach seiner Flucht aus dem Laden war sie traurig und verletzt gewesen, doch erst jetzt am Fluss hatte er ihr unmissverständlich klargemacht, dass sie unter seiner Würde war. Sie würde die Erinnerung an sein Gesicht bestimmt nie loswerden. Der Ausdruck des Entsetzens und der Abscheu in seinen Augen.

***


22. Juni, Barmwell House

Aufgeregt stürmte Kate durch die Eingangstür und schnappte dann hektisch nach Luft.
„Vater, Elizabeth…“, stieß sie schließlich aus und stützte sich am Türrahmen zum Wohnraum ab. Sachte legt sie ihre Hand auf ihren Bauch, um nach Luft zu schnappen.
„Was ist denn jetzt schon wieder?“, fragte Jonas Barmwell sanftmütig und sah von seiner Zeitung auf.
„Captain Wakeham! Er hat gestern Drayton Abbey verlassen und ist zurück nach London gereist! Gerüchte sagen, dass er ganz außer Rand und Band war… als wäre ihm etwas Scheußliches widerfahren.“
Im selben Moment war das Scheppern von zerbrechendem Keramik zu hören und Elizabeth sah ihre Schwester entsetzt an. Als sich die Augenpaare ihres Vaters und ihrer Schwester auf sie hefteten, errötete sie bis zu den Haarspitzen und kniete sich auf den Boden, um den zerbrochenen Teller zusammenzusammeln.
Verdatterten wechselten Kate und Jonas Blicke, ehe Jonas seine Zeitung zusammenlegte und sich von seinem Stuhl erhob.
„Lizzie…“, begann er langsam, wobei er auf seine ältere Tochter zuschritt, welche wie verstört die Scherben aufsammelte. „Lizzie, du weißt doch nicht etwa, was mit Wakeham los war!?“
Elizabeth schluckte, ehe sie ihren Vater stumm anblickte und den Kopf schüttelte.
„Hm!“, gab er von sich, wobei er seine Tochter musterte. „Ich dachte, du wüsstest vielleicht etwas, da du ja mit ihm ‚befreundet’ zu sein scheinst!“
Erneut schüttelte Elizabeth den Kopf, woraufhin Jonas nickte und sich wieder zu seinem Stuhl begab. Genervt verdrehte Kate die Augen, da ihr Vater doch nicht ernsthaft dachte, dass Elizabeth etwas von dem Vorfall wüsste…. ‚Elizabeth’, welche die wohl uninformierteste Person in ganz Foxley Capes war. Lächerlich.
Rasch machte Kate kehrt, um zur alten Beckett zu laufen, welche bestimmt schon neue Info bezüglich Wakeham hatte. Verwirrt und verlegen starrte Elizabeth ihrer Schwester hinterher, welche die Türe hinter sich laut ins Schloss fallen ließ.
Leise stöhnte sie auf, als sie sich am Boden zusammenkauerte und sich auf die Lippen biss.
Er war fort. Weg.

***


28. Juni. London, Convent Garden

Unruhig tippte John mit der Feder auf das leere Blatt Papier vor sich, ehe er sie endgültig zur Seite legte und sich nervös durch die Haare strich.
Was zur Hölle war bloß los mit ihm?
Es war noch nicht einmal eine Woche vergangen und schon sehnte er sich danach, seinem Bruder einen Brief zu senden. Sehnte sich danach, sich zu erkundigen, was in Foxley Capes seit seiner Abreise geschehen war. Unruhig stand er auf und schritt langsam auf das Fenster zu, von welchem aus er den großen Platz außerhalb betrachten konnte. Eifrig eilten Kutschen auf und ab, während sich im Getümmel wohl gekleidete Männer in Begleitung von hübschen Damen ihren Weg zur romantischen Arkade suchten.
Der Platz war ein beliebter Treffpunkt der heutigen Gesellschaft, da er übersät war von schicken Boutiquen und edlen Kaffeehäusern.
Johns Körper erstarrte, als er ein Bündel dunkles, loses Haar in der Menge erblickte. Ein schmutziges Kleid mit einer zerrissenen Schütze… Die Magd drehte sich kurz um, um einen zu Boden gefallenen Apfel aufzuheben. Sie war jung und an ihren Gesichtszügen konnte John erkennen, dass sie keinen Hauch der Dame ähnlich sah, an welche seine Gedanken schon seit Stunden gefesselt waren.
Resignierend lehnte er sich mit der Hand gegen den hölzernen Fensterrahmen, während er sich mit der anderen Hand leicht zitternd über die Stirn strich.
Was um Gottes Willen war bloß los mit ihm!?
Sie war eine Magd. Ein dreckiges Bauernmädchen und doch schnellten seine Gedanken immer wieder an den verstürmten Abend zurück, an welchem er sie bewusstlos aufgefunden hatte. Ihre Gesichtszüge waren so zückend gewesen, ihre Augen so funkelnd und ihr Lächeln so bezaubernd.
Schmunzelnd biss er sich auf die Lippen, während er ziellos weiter in die Menschenmenge starrte. Er wäre ein Narr, wenn er sich nicht eingestehen würde, dass ihn ihr Paar von feinen Augen verzaubert hatte. Sie hatten ihn in einen Bann gezogen.
Er wusste, wie lächerlich seine Gefühle waren. Wie falsch es war und doch … doch sehnte er sich nach ihr. Sehnte sich nach ihr wie ein verliebter Stalljunge, wessen Liebe nie erfüllt werden würde.

***


24. Juni, Barmwell House

„Bitte, was hast du da eben gesagt, Vater?“ Verdattert starrte Elizabeth ihr älteres Gegenübern an. Jonas seufzte tief, bevor er auf seine Tochter zuging und beide Hände auf ihre Arme legte.
„Ich weiß, aber es ist das Beste“, begann ihr Vater, während er ihr liebevoll über die Arme strich. „James hat schon mehrmals um deine Hand angehalten und aufgrund der Gerüchte, die über euch gerade herum kursieren, hielt ich es für das Beste, sein Angebot dieses Mal zu akzeptieren!“
Geschockt schnappte Elizabeth nach Luft. Jonas wusste, dass seine Tochter James nicht heiraten wollte, doch angesichts der Umstände war das die einzige Möglichkeit seine Tochter vom sozialen Absturz zu bewahren.
Elizabeth konnte es nicht fassen, dass ihr Vater sie so hintergehen und ihre Hand ohne ihre Einwilligung an einen jungen Mann versprechen würde. Mit großen und verwirrten Augen starrte sie ihren Vater an. „Welche Gerüchte?“
„Wie ‚welche Gerüchte‘?“, warf Kate spöttisch ein, welche mit verschränkten Armen auf der schäbigen Chaiselongue das Gespräch der beiden verfolgte.
„Kann mir bitte einmal einer erklären, worum es gerade geht?“, forderte Elizabeth, welcher nach wie vor der Schock ins Gesicht geschrieben stand. „Wieso soll ich James heiraten?“
Jonas ließ von ihr ab und rieb sich mit einer Hand verzweifelt seine verrunzelte Stirn. Elizabeth beobachtete ihn dabei wie er kurz grübelnd einige Schritte im Raum auf und ab ging. Sie wusste, dass er auf der Suche nach den richtigen Worten war.
„Erinnerst du dich an den heftigen Sturm vor einigen Wochen, wo du die Nacht auswärts verbracht hast?“
Elizabeth nickte. Wie konnte sie dieses Ereignis jemals vergessen.
Bestätigend musterte sie ihr Vater, doch als Elizabeth ihn weiter fragend ansah, fühlte er sich gedrungen, das Thema weiter zu erläutern.
„Du hast die Nacht in einer Scheune verbracht, richtig?“
Elizabeth nickte erneut, jedoch wusste sie nicht, worauf er hinaus wollte. Schweigend warf er seiner Tochter einen intensiven Blick zu, welche jedoch nach wie vor nicht eins und eins zusammen zu zählen schien.
„Herrgott nochmals“, stöhnte Kate. „Du hast mit James geschlafen!“
Verwirrt blinzelte Elizabeth. „Bitte wie?“
Langsam stand Kate auf und ging auf ihre Schwester zu. Ihre Körperhaltung war angespannt.
„James hat einem Stallkollegen erzählt, dass er die Nacht dort mit dir verbracht hat!“
Empört riss Elizabeth den Mund auf, jedoch ohne ein Wort zu sagen. Eigentlich hätte Kate auf Elizabeths eindeutig überraschte Mimik reagieren sollen, doch Kate hob nur arrogant einen Finger.
„Das ist genau das, was man für seine Indiskretion bekommt!“, schnaubte die Jüngere der Schwestern. „Mich hast du oft damit belehrt, dass ich nicht Männern zu nahe treten soll und selbst… selbst verbringst du wilde Nächte mit James Ryan!“
Elizabeth schluckte und warf ihrem Vater einen Blick zu. Dieser stand nun hinter ihrer Schwester, als ob er ihre Rede vollkommen unterstützen würde. Er war nicht gut darin, Elizabeth zu belehren, also schwieg er und überließ das Reden seiner Jüngeren.
Im Raum herrschte einen Moment lang Stille, ehe sich Elizabeth fasste und zu Wort griff.
„Glaubt ihr ernsthaft diese falschen Anschuldigungen?!“
Ihre beiden Gegenüber seufzten.
„Willst du etwa abstreiten, dass du die Nacht mit einen Mann verbracht hast?“, wollte ihre Schwester wissen. Doch bevor Elizabeth ihr antworten konnte fuhr sie fort mit „Versuch es gar nicht erst! Du hast nach männlichem Parfum gerochen, als du heimkamst.“
Wissend neigte Kate ihren Kopf leicht zur Seite und betrachtete ihre Schwester. Elizabeths Gesicht war bleich und man konnte ihr ansehen, dass sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Elizabeth rang nach den richtigen Worten. Ja, sie hatte die Nacht nicht alleine in der Scheune verbracht, aber es war nicht… James. Wie sollte sie sich da nun rausreden? Sollte sie zugeben, dass sie mit John Wakeham zusammen gewesen war? Dass es sein Körper gewesen war, an den sie sich unwissend geschmiegt hatte, während des tobenden Sturms? Nein, das konnte sie nicht. John war ein respektabler Mann und sie würde mit solchen Aussagen ganz gewiss seinen Ruf ruinieren.
„Ich streite nicht ab, in dieser Nacht Gesellschaft gehabt zu haben…“, begann sie nach einer langen Pause, welche sich mit unangenehmer Stille gefüllt hatte. „…aber es war nicht James!“
Ihr Vater musterte sie, bevor er nickte und sich endlich dazu überwand auch ein Wort in der Konversation beizusteuern. „Und wer war es dann?“
Elizabeths Lippen zitterten. Sollte sie es ihremVater gestehen? Er würde sofort erkennen, wenn sie log, also sprang Elizabeth mit all ihrer Kraft über ihren Schatten und murmelte kaum hörbar „John Wakeham!“ Ein lautes, empörtes und unglaubwürdiges Lachen entwich Kates Kehle. Was zur Hölle? Entsetzt gab sie ihrer Schwester einen kleinen Stoß mit der Hand.
„Sag mal, geht es dir noch gut?“, fuhr es aus Kate. „Glaubst du etwa, dass wenn du die Geschichte drehst, dich ein besserer Mann wie der Colonel, heiraten würde?“
Kalt starrte sie ihrer Schwester ins Gesicht. Kate glaubte ihr kein Wort. Ja, der Colonel hatte sie auf dem Pferd nach Hause gebracht, aber hiermit ging sie eindeutig zu weit. Wie konnte sie nur einen so netten und attraktiven Mann mit in den Skandal ziehen?
Elizabeths Stimme war leise und bröckelig. „Es ist die Wahrheit.“
Kate keuchte und schnaufte spöttisch vor sich hin. Glaubte ihre Elizabeth ernsthaft, jemand wie der Colonel würde sie heiraten, wenn sie seinen Ruf als Gentleman aufs Spiel setzte? Kate hatte ihre Schwester immer als starke und korrekte Person angesehen, doch im Moment sah sie nichts außer Erbärmlichkeit in ihr.
Jonas sah seine ältere Tochter einen Moment lang an. „Wie dem auch sei, Lizzie, Jonas hat behauptet, er sei es gewesen…“ Schwer atmete er ein und aus.
„Aber…“
„Kein ‚aber‘“, unterbrach sie der alte Mann. „Meine Entscheidung steht fest. Du wirst Jonas zum Mann nehmen!“ Seine Entschlossenheit war ihm ins Gesicht geschrieben. Das Geschwätz und Geläster im Dorf über Elizabeths fehlenden Anstand wurde von Tag zu Tag schlimmer. Es schmerzte ihn zu hören, wie schlecht über seine liebste Tochter geurteilt und geredet wurde. Egal, ob die Behauptungen richtig oder falsch waren, Elizabeth wurde als Dorfflittchen dargestellt und nichts außer eine schnelle Hochzeit konnte die gehässigen Mäuler ihrer Nachbarn zum Schweigen bringen.
„Das hässliche Gerede über euch zwei hat sich schon viel zu weit verbreitet. Ich will kein Wort mehr davon hören. Du hast die Nacht außerhalb des Hauses mit einem Mann verbracht und du wirst die Konsequenzen dafür tragen, Elizabeth!“

***


Drayton Abbey

Hastigen Schrittes eilte Elizabeth von einer Pferdebox zur nächsten. Verzweifelt durchkämmte sie den Stall, doch James war nicht zu finden. Elizabeth hatte schon seit den frühen Morgenstunden Bauchschmerzen, da sie sich immer und immer wieder die Szene mit ihrem Vater und Kate durch den Kopf laufen ließ. Wie konnte James nur behaupten, er sei der Mann in der Scheune gewesen? Woher wusste er überhaupt, dass sie mit einem Mann zusammen gewesen war? Wie konnte er bloß ihren Ruf bewusst so schädigen und sich selbst in so einen abscheulichen Skandal involvieren?
Das Rascheln von Stroh ließ Elizabeth aufschrecken.
„Ah, Miss Bramwell!“, keuchte der alte Mann, der eben mit einer Heugabel einen Haufen Stroh in den Stall neben ihr geschmissen hatte. „Sie suchen bestimmt James, oder?“
Elizabeths Hand rastete auf einer der verdreckten Holzsäulen neben ihr, während sie den Mann kurz musterte.
„Ja, haben Sie ihn zufällig gesehen?“, wollte sie wissen und der Mann lächelte.
„Natürlich. Er war gerade eben noch draußen bei den Futtersäcken!“
Elizabeth nickte ihm dankend zu, bevor sie kehrt machte und schnellen Schrittes den dunklen Stall verließ. Sie blinzelte kurz als sie in die Sonne trat, doch als ihre Augen sich an die Helligkeit der Sonne gewöhnt hatten, erblickte sie schon James an der Kante des Hauses wie er Futtersäcke stapelte.
„James!“, fuhr es aus ihr, mehr erleichtert als sie es beabsichtigt hatte. Überrascht sah der Mann auf und betrachtete die Frau, welche auf ihn zuging. Er wusste, warum sie gekommen war.
Elizabeth wollte gerade etwas sagen, als James die Hand hob und sie unterbrach. „Ich weiß, wieso du hier bist, Lizzie!“
Überrascht zog Elizabeth eine ihrer Augenbrauen nach oben und musterte das Gesicht ihres Gegenübers. Sie kannten sich schon lange und eine unförmliche Ansprache war zwischen den beiden nichts Unübliches.
„Ich weiß, ich bin nicht der Typ Mann, den du als Ehemann bevorzugst…“, begann James, während er sich Staub von den Kleidern klopfte. „…aber ich werde meine Meinung nicht ändern!“
Nervös leckte sich Elizabeth über die Lippen. „James, ich bin hier, weil ich eine Erklärung von dir möchte…“
Der Stallarbeiter verschränkte die Arme vor seiner Brust.
„Wie konntest du nur behaupten, ich hätte eine Nacht mit dir verbracht?“, schnaubte Elizabeth, welche von Sekunde zu Sekunde innerlich unruhiger wurde. „Weißt du überhaupt, welchen Schaden du mit solchem Gerede verursachst?“
James schwieg für einen Augenblick. Er konnte in ihren Augen ablesen, dass sie im Moment nicht besonders gut gelaunt war. Er verzog kurz die Lippen, bevor er nickte, kurz zu Boden blickte und lächelte.
„Ja, weiß ich, Lizzie“, begann er, während er in ihre schönen funkelnden Augen blickte. Sie war einfach hinreißend, wenn sie wütend war.
„Ich habe bloß meine Chance gesehen und sie ergriffen!“
Seine Stimme war rau und Elizabeth Lippen zuckten verwirrt.
„Ich wusste, dass du mich nie freiwillig heiraten würdest…“, begann er. Seine Arme waren noch immer verschränkt und langsam wippte er mit seinem Körper vor und zurück. „Wie oft hab ich dich schon gefragt ob du mich heiraten willst?“, wollte er wissen, doch ehe sie antworten konnte fuhr er fort. „3 Mal? Nein, 4 Mal?“
Elizabeth schwieg.
„Jedes Mal hast du mich abgewiesen… hat dein Vater verweigert…“, er pausierte kurz um nach den richtigen Worten zu suchen. „Du weißt, wie sehr ich dich liebe und trotzdem… trotzdem… hast du mir jedes Mal ein Messer ins Herz gestochen mit deiner Abfuhr.“
Er strich sich hastig mit einer Hand durchs Haar. „…und ich Idiot kann nicht anders als dich weiter zu lieben!“
Er stemmte die rechte Hand auf seine Hüfte und blickte auf ihre zierliche Gestalt hinab. James war um einiges größer als sie und von festerer Statur. Die beiden kannten sich schon seit etlichen Jahren und seither hatte James versucht, Elizabeths Gefühle für sich zu gewinnen. Leider bislang ohne Erfolg.
„James…“, murmelte Elizabeth mitfühlend. „Ich weiß, dass du so fühlst, aber…“
Ihre Stimme schien in ihrer Kehle zu erstickten. Er war ein netter und aufrichtiger Mann und es tat ihr jedes Mal leid, wenn sie ihn enttäuschen musste. Der Schmerz war ihm jedes Mal ins Gesicht geschrieben gewesen, doch das hier… das hier ging eindeutig zu weit. Sie schnappte kurz nach Luft, um sich zu fassen. „…aber so ein skandalöses Gerücht zu verbreiten, nur um meine Hand zu gewinnen…“
Sie pausierte und James nickte. Er wusste, dass es eine äußerst extreme Art und Weise war, wie er vorgegangen war und er es war ihm bewusst, dass er ihr eine Erklärung schuldete. Er starrte für einen Moment lang seine Füße an, mit welchen er einige Heu-Reste hin und her schob. Als ihn Elizabeths suchender Blick dann erfasste, sah er zu ihr hoch und schluckte.
„Ich wusste nicht, was ich tun sollte…“, begann er dann leise. „Ich war verzweifelt.“
Elizabeth musste nicht fragen ‚Wieso?‘, denn er konnte ihr die Frage von den Augen ablesen.
„Ich wurde panisch, als ich hörte, dass du mit einem Mann in einer Scheune den Sturm abgewartet hast…“, fuhr er fort und verwundert riss Elizabeth beide Augen auf. „…also hab ich behauptet, ich sei der Mann gewesen.“
Elizabeth Lippen zitterten, kurz ehe sie mit „Woher wusstest du das?“ konterte.
„Laydon hat gesehen, wie dich ein Mann im Regen in die alte Kolya Scheune getragen hat...“ Er atmete tief ein und aus. „..und als ich dann von Kate hörte, dass du erst am Morgen nach dem Unwetter nach Hause kamst… da zählte ich eins und eins zusammen.“
Sie blinzelte, bevor sie sich mit ihren zarten Fingern auf die Lippen griff. Sie schwieg und schien über etwas nachzudenken. James hatte natürlich Recht, sie war die Nacht nicht alleine in der Scheune gewesen. Ob er wusste, wer der Mann gewesen war?
Sie wagte es nicht, ihm diese Frage zu stellen, denn wäre die Antwort ‚Nein‘, würde mit Sicherheit eine Gegenfrage mit ‚Wer war es?‘ folgen. Somit schwieg Elizabeth und betrachtete den Mann vor ihr.

James hatte Mut, dass musste sie sich eingestehen. Eine so gewagte Berechnung hatte sie ihm nicht zugetraut und obwohl sie von seiner Kühnheit diesbezüglich schockiert war, konnte sie ihm nicht so böse sein wie sie es gerne mochte.

***


14. August, London

Gelangweilt ging John die Post durch, die wenige Minuten zuvor gekommen war und wollte den kleinen Stapel schon weglegen, als er die Handschrift seines Bruders erkannte. Mit einem amüsierten Lächeln griff er nach dem Brief und brach das Siegel.

Verehrter Bruder,
die Dinge in Drayton Abbey gehen alle ihren gewohnten Lauf.
Mrs. Hollis spielt zurzeit den Hausdrachen, vor allem dem neuen Koch gegenüber. Aber ich bin mir sicher, dass sie Gefühle für ihn hegt. Ich habe mit Edward um 20 Schillinge gewettet, dass die beiden noch vor Jahresende vor dem Altar stehen werden. Kannst du dir das vorstellen? Mrs. Hollis und der Koch? Das wäre ja ein riesen Spaß.
Apropos Hochzeit… Erinnerst du dich an den Stallarbeiter James Ryan? Den taffen Kerl mit den dunklen Locken? Du wirst es nicht glauben, aber… er wird heiraten! Und zwar Elizabeth Barmwell.
Ja, du hast richtig gelesen - Elizabeth Bramwell. Die hübsche Schneidereigehilfin, von der du einst geschwärmt hast. Angeblich standen sich die beiden schon immer nahe und Gerüchten zufolge soll sie mit ihm schon eine Nacht verbracht haben. Schockierend, nicht wahr?
Die Hochzeit soll noch diesen Monat stattfinden, vermutlich am letzten Samstag.
Obwohl ich über ihre… „Leichtigkeit“ in Bezug auf Männern etwas erschrocken bin, muss ich gestehen, dass sie in der Tat eine Schönheit ist. Wäre sie nicht von niedriger Herkunft und hätte nicht solch schlechten Anstand, dann wäre ich versucht gewesen, ihr ebenfalls meine Aufwartung zu machen. Aber wenn dies der Fall gewesen wäre, hättest du sie bereits geehelicht. Die Hochzeit…


Entsetzt ließ John den Brief sinken.
Elizabeth Barmwell wollte James Ryan heiraten!? Seine Elizabeth!?
Glühende Eifersucht brodelte in seinen Eingeweiden. Seine Fantasie kreierte Bilder, in denen der kräftige James Elizabeth in den Arm nahm, sie küsste, ihren Körper streichelte…
Es schnürte ihm wahrhaftig den Atem ab. Geschockt ließ er seinen Blick erneut auf Evans Zeilen fallen.
„Gerüchten zufolge soll sie mit ihm schon eine Nacht verbracht haben. Schockierend, nicht wahr?“
John blinzelte. Er hatte auch eine Nacht in einer Scheune mit ihr verbracht, als ein gewaltiger Sturm über Foxley Capes hinweg donnerte aber… nicht… so. Sein Gesicht wurde bleich, als er sich ausmalte, was James vielleicht alles mit ihr angestellt hatte. Er kniff verkrampft die Augen zusammen und schüttelte hastig den Kopf, um alle aufkommenden Gedanken an ihre mögliche Intimität aus seinem Kopf zu vertreiben. Vergebens.
Ein mulmiges Gefühl machte sich in seinem Bauch breit. Elizabeth war doch nicht so Eine, oder? Hat er sich in ihr komplett getäuscht? Sie hatte ihn schon einmal angelogen und an außereheliche Aktivitäten mit anderen Männern konnte er gar nicht denken.
Er schluckte kurz, ehe er benommen aufstand, um sich ein Glas Whiskey einzuschenken. Seine Hände zitterten, als er nach der edel geschliffenen Glaskaraffe griff, welche auf einem Mahagoni Beistelltisch unweit seines Arbeitstisches stand. Eifrig schüttete er ein ganzes Glas Whiskey seinen Rachen hinab, bevor er sich ein zweites einschenkte.
Er musste sich beruhigen.

***


27.August 1822, außerhalb von Foxley Capes

Das leise Plätschern des Flusses war neben dem Gezwitscher der Vögel das einzige hörbare Geräusch.
Elizabeth saß auf dem umgefallenen Baumstumpf und sah über das Wasser, welches vom Sonnenlicht funkelte und glitzerte. Noch zwei Tage, dann würde sie endgültig die Frau von James Ryan werden.
Entspannt atmete sie tief ein und aus. Mittlerweile hatte sie sich damit abgefunden, James zu ehelichen. Er war ein anständiger Kerl, welcher fleißig arbeitete und immer nur ihr Bestes wollte. Jahrelang hatte sie sich gegen diese Vereinigung gewehrt, doch ihr Vater hatte Recht. James war ein guter Mann und obwohl sie ihn nicht liebte, war sie zuversichtlich, dass sie ihn mit der Zeit zu lieben lernen würde.
Elizabeth war nicht mehr die Jüngste und mit jedem Monat, der verstrich wurde ihre Chance auf einen Ehegatten geringer. Sie war bereits längst über das Alter hinweg, in dem sich viele junge Männer anstellten und um ihre Hand bettelten.
Nein, James war ein guter Fang. Sie sah es nun endlich ein. Sie konnte nicht ewig auf eine herzzerreißende Liebesgeschichte warten, welche vielleicht nie kommen würde. Es war an der Zeit, die Träumereien von einem gewissen Captain aufzugeben und der Realität ins Auge zu blicken. James war real, John war es nicht. Captain Wakeham hatte sie schon vor langer Zeit vergessen und nun war es an der Zeit, dass Elizabeth das Gleiche tat. Ihre Hochzeit mit James war der erste Schritt in die richtige Richtung.

***


London, Convent Garden

John saß nachdenklich an seinem Schreibtisch und dachte über die geplanten Investitionen nach, die der Vorarbeiter in den Werften vorgeschlagen hatte. Sein Blick ging über die Einrichtung des Zimmers, ohne auch nur einen Gegenstand davon wirklich wahrzunehmen. Schließlich erregte ein weißer Fleck auf dem Boden unterhalb des Fensters seine Aufmerksamkeit. Stirnrunzelnd erhob er sich von seinem Stuhl und ging zu der dort stehenden Couch. Als er sich nach vorne beugte, erkannte er, worum es sich handelte. Halb verborgen unter dem herabhängenden Stoff des Sofas lag ein ungeöffneter Brief. Neugierig griff er danach und hob das kleine Stück Papier auf, während er sich in Gedanken eine Notiz machte, mit den Bediensteten über die Qualität ihrer Arbeit zu sprechen. Mit gerunzelter Stirn trat John näher ans Fenster und öffnete den Brief. Er erkannte die Handschrift seines Bruders.

„Lieber John,
Ich schreibe dir nur kurz, um dir die erbetenen Informationen deines letzten Briefes zu übermitteln. Ich habe mich bezüglich der kursierenden Gerüchte von James Ryan und Elizabeth Bramwell etwas genauer umgehört. Ich kann dir aber leider nichts Genaueres über Miss Bramwells Charakter mitteilen. Die einzige Information, welche mir - neben den Hochzeitsvorbereitungen - zu Ohren gekommen ist, ist dass Miss Bramwell anscheinend während des heftigen Sturmes vor einigen Wochen mit James in einer Scheune geschlafen hat. Augenzeugen zufolge habe er sie bewusstlos aufgefunden und mit ihr in einer Scheune unweit des Kolya-Waldgebietes Zuflucht gesucht. James hatte schon mehrmals um ihre Hand in der Vergangenheit angesucht, also ist eine Liebesverbindung unbestreitbar. Genauere Details über ihre Intimität mit dem Gentleman sind jedoch nicht bekannt. Es hieß nur, dass sie erst später am darauffolgenden Morgen nach Hause gekommen sei. Angeblich warst du sogar derjenige, der sie an diesem Tag zum Haus ihres Vaters begleitet hat...“


Johns Hände zitterten und verdattert starrte er einen Moment lang auf die Zeilen vor ihm.
Sturm? Bewusstlos? Scheune?
Schockiert schnappte er hastig nach Luft. Er wusste, dass Elizabeth den falschen Mann heiraten würde. Einen Mann, der mit den im Brief geschilderten Ereignissen nichts am Hut hatte.
Er erinnerte sich plötzlich wieder an den Brief, den ihm Evan vor fast zwei Wochen geschickt hatte und ihm darin mitteilte, wann Elizabeth Barmwell heiraten würde. John hatte an jenem Abend viel getrunken und konnte sich nicht mehr erinnern, wo genau er den Brief hingelegt hatte. Panisch begann er die Papierstapel auf seinem Schreibtisch danach zu durchwühlen. Er überflog jedes einzelne Blatt Papier und Zettel für Zettel landete am Boden. Das Papierchaos am Boden wurde, genauso wie Johns Verzweiflung, immer größer, denn er konnte das besagte Schreiben nicht finden.
Wo zur Hölle war bloß der verdammte Brief hin?
Plötzlich schoss es ihm in den Kopf, dass er an jenem Abend vorhatte, den Brief zu verbrennen. Als ihm jedoch der Whiskey ausgegangen war, legte er das Schreiben auf den Kaminrahmen, um den Bediensteten zu läuten und nach mehr Whiskey zu verlangen. Eifrig eilte er durch den Raum und ergriff das zerknüllte Stück Papier, welches noch immer auf dem Marmorstein des Kamines lag.
Hastig überflog er den Brief, auf der Suche nach dem Datum des Ereignisses.
„29. August“, murmelte er leise.
Das waren gerade noch 2 Tage, stellte er nach einem Blick in seinen Kalender fest.
Nachdenklich starrte er ins Feuer. Was sollte er tun? Er wusste, sie war gesellschaftlich gesehen keine gute Partie, da sie einer niedrigeren Schicht angehörte und nur die Tochter eines Bauern war. Trotzdem drehten sich ihm jetzt bei dem Gedanken, dass sie einem anderen Mann gehören sollte, die Eingeweide um. Konnte er es verantworten, dass sie wegen seinen Taten einen anderen Mann heiratete? Er wollte sie für sich. Sollte er die Hochzeit stoppen? Doch was würde das für ihn bedeuten? Ganz sicher die Ausgrenzung und der Verlust des gesellschaftlichen Ansehens. Doch war er bereit, diesen Preis zu zahlen? War er gewillt, sein bisheriges Leben und seinen Lebensstil aufzugeben? Für eine Frau?
Er hatte sie nach Evans ersten Brief falsch verurteilt und sie verflucht. Hatte geglaubt, sie wäre eine Frau ohne Scham und Charakter. Er hatte sich fast ohnmächtig getrunken, um den Schmerz jener Gedanken zu verdrängen. Er schämte sich für seine Dummheit, für seinen Hass und für alles, was er ihr innerlich an den Kopf geworfen hatte. Wie falsch und ungerecht er doch über sie geurteilt hat. Doch war er bereit, alles für sie aufs Spiel zu setzten?
Sich immer mehr in seine Gedanken vertiefend ging er im Raum auf und ab, ohne zu bemerken, dass ihm die Bediensteten durch die offene Türe seltsame Blicke zuwarfen.

***


29. August 1822, Barmwell House

Nervös betrachtete sich Elizabeth im Spiegel und drehte sich in alle Richtungen, um jedes Detail ihres Hochzeitsgewandes zu sehen. Ihre Schwester und ihre beste Freundin Meredith hatten mehrere Tage daran genäht und ihr ganzes Können darauf verwendet, für Elizabeth ein dem Anlass entsprechendes Kleid zu fertigen. Es war aus dem feinsten Stoff, den sie je getragen hatte, und sie wagte es fast nicht, sich damit zu setzen.
Während im Garten bereits hektische Betriebsamkeit herrschte, genoss sie die Stille des Raumes und atmete tief durch. Erst jetzt wurde sie sich wirklich bewusst, was sie zu tun gedachte. Sie war auf dem Weg, einen Mann zu ehelichen. In weniger als einer Stunde würde sie Mrs. James Ryan sein, die Frau eines Stallarbeiters.
Ohne es zu wollen sah sie plötzlich das Gesicht von Captain John Wakeham vor sich. Sie sah seine leuchtenden Augen und sehnsüchtig hielt sie dieses Bild für einen kurzen Moment fest. Als sie ihre Schwester rufen hörte, verdrängte sie sein Gesicht und warf einen letzten Blick in den Spiegel. Es half nichts. Er hatte ihr durch sein Verhalten deutlich gezeigt, wie er zu ihr stand und so weh es auch tat, sie musste sich der Realität stellen. John Wakeham war ein Mann, der sich außerhalb ihrer Reichweite bewegte und sie würde gesellschaftlich nie auch nur in seine Nähe kommen.
James war der Mann, den sie heiraten wollte. Er war ein guter Mann, der noch nie auf sie herab geblickt oder sie wegen ihrer sozialen Stellung verurteilt hat. Sie war ihm dankbar für seine Liebe ihr gegenüber und sie wusste, dass sie mit ihm ein gutes Leben führen werde.
„Elizabeth!“, hörte sie ihre Schwester erneut rufen und im selben Moment öffnete sich die Tür. Mit erstauntem Blick betrat Kate den Raum und betrachtete ihre Schwester ehrfürchtig.
„Du siehst wunderschön aus“, raunte sie und legte dann ein Grinsen auf. „Da wird James kaum ein Auge von dir lassen können.“
„Ach hör auf, Kate“, antwortete Elizabeth etwas verlegen und schob ihre Schwester auf die Türe zu. „Ich denke, wir sollten gehen.“
Kate stimmte ihr mit einem Nicken zu und gemeinsam verließen die Schwestern den Raum.

***


Foxley Capes, Dorfkirche

Ein dezentes Hüsteln unterbrach die kurz eintretende Stille, als der Pfarrer eine Seite umblätterte und dann wieder zum Brautpaar hochblickte.
Die Trauzeremonie war in vollem Gange und die kleine Kirche brach aus allen Nähte. Fast das ganze Dorf war gekommen, viele unter ihnen lediglich aus Neugier, was an den Gerüchten Wahres dran war und sich aufgrund dessen vielleicht noch einmal etwas Skandalöses ereignen würde. Der Bräutigam stand mit stolzgeschwellter Brust neben seiner schüchternen Braut und konnte, wie Kate bereits vorhergesagt hatte, kaum seine Augen von ihr lassen. Sie sah wunderschön aus in ihrem einfachen, aber sehr kunstvoll gefertigten Kleid. Er erkannte, dass es mit viel Liebe hergestellt worden war.
„Sollte jemand Einwände gegen diese Verbindung haben, so solle er jetzt hervortreten oder für immer schweigen“, sprach der Pfarrer die üblichen Worte und sah dabei über die gesamte Gemeinde hinweg. Nach all den Gerüchten, die über Elizabeth Barmwell im Umlauf waren, hätte ein Einspruch zu diesem Zeitpunkt die Lästermäuler im Dorf nur jubeln lassen.
Alle sahen gespannt umher, obwohl nicht wirklich jemand annahm, dass jetzt etwas Unerwartetes geschehen würde. Umso erstaunter waren alle, insbesondere der Pfarrer, als in diesem Moment die Kirchentüren aufschwangen und ein Schatten in die Türöffnung trat. Erstauntes Raunen ging durch die Menge und viele waren froh, doch gekommen zu sein. Der Skandal schien weiter zu gehen.
„Stopp!“ schrie die Person. Auch die Brautleute wandten sich nun dem Störenfried zu und Elizabeth's Herz begann zu pochen, als die Gestalt mit großen Schritten nach vorne trat. Je näher die dunkle und unscharfe Gestalt kam, desto mehr Form nahm sie an.
„Wakeham“, murmelte sie kaum hörbar und drückte ihre kleine Faust fest auf ihre Brust. Was tat er hier? War er etwa...?
„Stoppt die Vermählung!“, wiederholte er und sah den Geistlichen mit festem Blick an. Er blieb einige Schritte vor den Altarstufen entfernt stehen.
„Captain Wakeham!“, entfuhr es diesem ehrfürchtig, während besagter Herr sich bereits der Braut zuwandte.
„Tut es nicht!“, bat er nun und hielt ihren Blick fest, verlor sich geradezu darin. „Ehelicht ihn nicht.“
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Elizabeth den Marine-Captain an. Stille war in der Kirche eingekehrt und man hätte eine Nadel fallen hören können.
„Wieso?“, wollte sie flüsternd wissen.
Neben ihr hatte James sich inzwischen von seinem Schock erholt und sah seinen Herrn fast zornig an. „Mylord, was macht ihr hier? Was wollt Ihr von meiner Braut?“
John sah seinen Bediensteten an und ein bedauerndes Lächeln legte sich auf sein Gesicht.
„Sie wird dich nicht heiraten, mein Junge“, antwortete er und sah dann zu Elizabeth zurück. Diese erwiderte seinen Blick. Er konnte in ihren Augen so vieles sehen. Wut, Hoffnung... Liebe?
„Aber...“, versuchte James aufzubegehren, doch sein Herr sah ihn nur streng an und schüttelte den Kopf.
„Nicht heute“, erwiderte er und blickte zurück zu Elizabeth, welche ihn nach wie vor fassungslos musterte. „Vielleicht sollten wir die Entscheidung Miss Bramwell überlassen“, schlug Wakeham zuversichtlich vor. Er spürte, dass er gewonnen hatte. Elizabeth sagte jedoch kein Wort.
„Nun, Captain Wakeham, wenn wir dann fortfahren könnten…“, unterbrach der Pfarrer das Dreiergespräch nach einigen Augenblicken, worauf John ihn mit festem Blick ansah.
„Es gibt keine Hochzeit!“, stellte er mit rauer Stimme und Entschlossenheit klar. Dann nahm er Elizabeth an der Hand und wollte sie aus der Kirche ziehen, doch diese stemmte sich dagegen. Mit einem gewaltigen Schwung riss sie sich von Johns Griff los und taumelte einige Schritte rückwärts.
„Nein…“, widersprach sie empört. Ihre Stimme klang zornig.
Ihr Herz hatte meterhohe Sprünge gemacht, als er vor wenigen Minuten die Kirche gestürmt hatte, doch dass er annahm, sie würde so einfach über sich bestimmen lassen, war ihr zuwider. John wandte überrascht sich zu ihr um und sah sie fragend an.
„Warum nicht?“
„Weil er ein guter Mann ist, der mich liebt!“, brachte sie es auf den Punkt. Ihre Stimme hatte einen säuerlichen Unterton angenommen und John blinzelte überrascht.
Nach einem kurzen Atemzug fasste er sich. „Aber du liebt ihn nicht!“
Empörung machte sich in ihr breit. Ja, er hatte Recht. Sie liebte James nicht. Noch nicht. Jedoch hatte Wakeham nicht das Recht, ihre Gründe in Frage zu stellen.
„Woher willst du das wissen?“, keuchte sie, während sie auf jegliche förmliche Anrede vergaß. Johns Gesicht wurde bleich, als ihn das erste Mal der Verdacht überrollte, dass sie ihn vielleicht gar nicht haben wollte und er sich hier eben zum Idioten machte. Verkrampft schluckte er.
„Ich kann nicht zulassen, dass du ihn heiratest!“, wurde John jetzt lauter. Ihre Frage hatte ihn komplett verunsichert und er fühlte sich in die Enge getrieben.
„WARUM?“, schrie Elizabeth ihn nun an und erneut ging eine Welle der Empörung durch die Kirche. Eine einfache Bauerntochter wagte es, gegen einen Gutsherren und zugleich wohlhabenden Captain aufzubegehren!? Das hatte es in Foxley Capes noch nie gegeben.
Elizabeth war inzwischen wütend. Dieser Tag hätte der schönste in ihrem Leben werden sollen, doch Captain Wakeham schien diesen ruinieren zu wollen… offensichtlich noch dazu ohne triftigen Grund. Es schien, dass er aus einer Laune heraus handelte. War es, weil sie ihn belogen hatte? Oder wollte er ihr nur nochmals seine Macht und Stellung vor Augen führen? Tausend Fragen und Theorien machten sich binnen weniger Wimpernschläge in ihrem Kopf breit. Doch dann riss er sie mit dem unerwartetsten Satz von allen aus ihrer Gedankenwelt.
„Weil ich dich liebe!“
Aus den Kirchenbänken war kollektives Keuchen zu hören und Elizabeth sah ihn mit offenem Mund an.

Fortsetzung: Kapitel 3


Du musst login (registrieren) um ein Review abzugeben.