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Und mein ist die Rache von Nyada

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Delusional
I believe I can cure it all for you, dear
Coax or trick or drive or
drag the demons from you
Make it right for you sleeping beauty
Truly thought
I can magically heal you
A Circle Of Life – Sleeping Beauty

Vier Wochen später



Dave erinnerte sich an jenes Weihnachten vor sieben Jahren. Es war das letzte gewesen, dass sie zusammen als richtige Familie gefeiert hatten- er, sein Bruder, sein Vater und seine Mutter. Es war das letzte gemeinsame Weihnachten gewesen, bevor der Tod die Familie auseinander gerissen hatte. Die nächsten sechs Monate waren für seine Mutter eine Zeit der Qualen gewesen, bis man sie schließlich erlöste und sie ihrem schweren Krebsleiden erlag. Sie alle wussten, dass es ihr letztes gemeinsames Weihnachten werden würde, doch das hatte sie nicht davon abgehalten, sich am gedeckten Tisch zu streiten und sich unter dem prachtvollen Tannenbaum anzupöbeln.

Er erinnerte sich an dieses Weihnachtsfest vor sieben Jahren noch so, als wäre es gestern gewesen. Er erinnerte sich an den köstlichen Plumpudding, den seine Mutter nach einem alten Familienrezept ihrer aus England stammenden Vorfahren zubereitet hatte. Er erinnerte sich an den Tannenbaum, den sein Vater mit seiner damals dreijährigen Enkelin, seiner kleinen Tochter Hannah, ausgesucht hatte und den John und er ins Auto hatten schleppen müssen. Er erinnerte sich auch an das leuchtende Gesicht seiner Tochter, als sie ihre Geschenke auspackte. Er erinnerte sich daran, dass seine Frau Molly während des Essens zugeflüstert hatte, wie froh sie doch war, in eine so harmonische Familie eingeheiratet zu haben.
Harmonie war noch nie etwas gewesen, was man von seiner Familie an Festtagen erwarten konnte, also wunderte es Dave nicht, dass er sich nicht nur an das köstliche Dinner, den pompösen Weihnachtsbaum und die vielen, vielen Geschenke erinnern konnte, sondern auch an den mächtigen Krach, den er mit seinem Bruder John an diesem Abend gehabt hatte.
Worum es ging- das wusste Dave nicht mehr. Er wusste nur noch, dass ihn irgendeine Bemerkung seines älteren Bruders so sehr auf die Palme gebracht hatte, dass er kurz davor gewesen war, seine guten Manieren zu vergessen und John vor versammelter Mannschaft eine runterzuhauen. Stattdessen hatte er nur weiter mit giftigen und äußerst unschönen Worten um sich gefeuert, was schlussendlich dazu geführt hatte, dass John fluchtartig das Haus verlassen hatte und sie alle ihn bis zum Tod der Mutter nicht mehr sahen.

Ja, Feiertage wie Weihnachten und Thanksgiving hatten in ihrer chaotischen Familie stets für genügend Zündstoff gesorgt- manchmal beabsichtigt, manchmal traf es sie aus heiterem Himmel. Letzten Endes kam jedoch immer dasselbe heraus: Einer von ihnen stürmte wutentbrannt davon und ward für die nächsten Wochen nicht mehr gesehen. Es war schon fast ein Ritual, dass sie sich ständig stritten. Er erinnerte sich durchaus auch an die schönen Seiten der Feiertage, aber ebenso deutlich waren die Erinnerungen an die Streits die er entweder mit seinem Vater oder seinem älteren Bruder gehabt hatte. Im Nachhinein tat es ihm besonders für seine Mutter leid, dass sie sich so mies verhalten hatten…
… doch ebenso schlimm war für ihn die Tatsache, dass das Zusammenleben mit seinem Bruder John bisher fast nur aus Streitigkeiten bestanden hatte. Jedes Mal, wenn sie sich getroffen hatten, war es soweit gekommen, dass sie sich Anschuldigungen um die Ohren schlugen. Im Gegensatz zu der Sache mit den Feiertagen, gelang es Dave nur sehr schwer, sich an gute Zeiten mit John zu erinnern.

Das Verhältnis zu seinem drei Jahre älteren Bruder beschrieb Dave als… kompliziert. Nicht schwierig, aber kompliziert. In den letzten beiden Jahren war es ihnen gelungen, sich so weit zu verständigen, dass sie einander nicht mehr sofort an die Gurgel gingen, was aber nicht bedeutete, dass sie sich in den Armen lagen.
Seit seiner Kindheit war er auf seinen großen Bruder eifersüchtig gewesen, hatte ihn darum beneidet, dass die Eltern ihn anscheinend bevorzugten, dass er bei ihrem Vater besser angesehen war und dass er, vor allem während der Highschool-Zeit, bei den Mädchen besser angekommen war. John war schon immer das gewesen, was er gern sein wollte, aber nie sein konnte und würde. Auf der Highschool war er der beliebte Footballspieler gewesen, der, der ständig von den Cheerleadern umgeben war, der coolste Typ an der Schule. Dass er damals auch noch gute Noten geschrieben hatte, empfand Dave als besonders gemein, zumal er selbst immer nur der kleine Bruder ‚des großen Sheppard’ gewesen war.
An dieser unfairen Rollenverteilung hatte sich bis heute recht wenig geändert; John war noch immer der geliebte Sohn, selbst nach dem Tod der Eltern. Während es ihn schon recht früh aus dem Elternhaus gezogen hatte, war John lange genug geblieben, um den Großteil des Sheppardschen Vermögens zu erben. Er, seinerseits, hatte eine Familie gegründet, John war mit seiner Karriere und seinem Vergnügen verheiratet gewesen. Er war nie der bodenständige Typ gewesen, hatte stattdessen auf großem Fuß gelebt. Seine Ehe mit Nancy Ferguson war nur ein kleiner Ausrutscher gewesen, den er schnell bereut hatte. Nein, John war noch nie der Mann gewesen, der sich festlegte, sondern der das Vergnügen liebte.
Eine zeitlang besaß er sogar durchaus den Mumm seinen älteren Bruder als arrogant, egozentrisch und ichbezogen zu bezeichnen, doch nach der Veränderung, die John in den letzten zweieinhalb Jahren durchlaufen hatte, war er sich nicht mehr so sicher, ob diese Beschreibungen seinem Bruder noch entsprachen.
John hatte ein Leben auf Freierfüßen geführt, es nun aber beendet. Er hatte es auf die Reihe bekommen, die Firma seines Vaters nicht vollkommen Konkurs gehen zu lassen und sie stattdessen mit einem riesigen Unternehmen in Japan fusionieren zu lassen. Er hatte sich zu einem anerkannten Kunstkritiker, -kenner, Architekten, Unternehmer und Geschäftsmann gemausert, war der Freund vieler bedeutender Persönlichkeiten und mit dem Bürgermeister der Stadt perdu. Er hatte sein chaotisches Leben in die Hand genommen, hatte die Frau fürs Leben gefunden, sie geheiratet und erwartete ein Kind mit ihr.
Ja, jetzt, wo er das Leben seines Bruders objektiv betrachtete, musste er eingestehen, dass John die Kurve gekriegt hatte. Mal wieder. Und dass solch negatives Denken ihm nicht gerecht wurde. Natürlich, was denn sonst?

Dave Sheppard schreckte hoch, als er merkte, dass er wieder weggenickt war. Er schüttelte mit dem Kopf, versuchte sich den Schlaf aus den Augen zu blinzeln und rückte seine Lesebrille auf seinem Nasenrücken zurecht; die Zeitschrift, die er gelesen hatte, lag aufgeschlagen auf seinem Schoß. Schnell warf er einen Blick auf seine Armbanduhr, nur um festzustellen, dass diese noch immer nicht funktionierte. Sie war vor drei Monaten stehen geblieben und er hatte sich noch immer nicht darum gekümmert, obwohl er sich das fest vorgenommen hatte…
Ein erschöpftes Gähnen unterdrückend, tastete Dave nach seinem, Kaffee führte den Pappbecher an seine Lippen und trank einen Schluck.
Pfui, fluchte er innerlich. Nicht nur, dass das Gebräu abgestanden und kalt war, es schmeckte auch noch fad und lasch. Das war alles, nur kein Kaffee. Es gab nichts Schlimmeres auf der Welt, als kalten, abgestandenen, fad schmeckenden Automatenkaffee.
Dave seufzte tief und blickte sich dann suchend um. Er war noch immer in dem seelenlosen Krankenzimmer, saß neben dem Bett seines Bruders… und war mal wieder eingeschlafen. Er wusste nicht, wie spät es war und obwohl das Schwesternzimmer nur den Gang herunter war und hinzukommend überall Uhren herumhingen, konnte er sich nicht dazu aufraffen, aufzustehen und nachzusehen. Er wollte viel lieber hierbleiben, denn aus irgendeinem Grund fühlte er sich seinem Bruder verpflichtet.

John lag still in dem Bett, war blass und machte einen bemitleidenswerten Eindruck. Sein geschundener Körper war an allerlei Geräte angeschlossen, die seine Körperfunktionen überwachten, ihn beatmeten, sein Herz daran hinderten stehenzubleiben und noch etliche andere Funktionen durchführten, von denen Dave keine Ahnung hatte. Doch es waren ebendiese Maschinen, die das Überleben seines Bruder sicherten. Sie waren es, die ihn am Leben erhielten. Ohne sie würde er sehr bald sterben.
Dave musterte die piependen, knacksenden und pfeifenden Maschinen, aber nur kurz, dann richtete er den Blick wieder auf John. Dieser hatte sich nicht geregt. Warum sollte er das auch tun?

Vier Wochen war der tragische Unfall nun her, der seinem Bruder um ein Haar das Leben gekostet und ihn so zugerichtet hatte. Als Teyla ihn anrief und unter Tränen berichtete, was geschehen war, hatte es Dave zuerst nicht glauben können. Sein Bruder schwer verletzt? Nein, das konnte nicht sein. John war seit jeher der vorsichtigste Autofahrer gewesen, den er kannte, und sein Vater hatte immer gemeint, er solle sich an seinem großen Bruder ein Beispiel nehmen. Und ausgerechnet er wurde Opfer eines schweren Unfalls, dessen Verursacher man noch immer nicht gefunden hatte. Der andere Wagen, der Johns Aston Martin Coupé gerammt und von der Straße gedrängt hatte, war noch immer verschwunden- ebenso der Fahrer, der ebenfalls noch immer nicht identifiziert war.
Dave spürte Wut in sich aufsteigen, wenn er daran dachte, was dieser Kerl seinem Bruder angetan hatte, was er Johns Familie angetan hatte. Ihm, seiner Schwägerin und deren ungeborenem Kind.

Wieder seufzte Dave tief und hörte deshalb nicht, wie sich die Tür öffnete. Erst als er Schritte auf sich zukommen hörte, wurde ihm bewusst, dass er nicht mehr allein war, aber er hatte auch keine sonderlich große Lust sich umzudrehen, um zu sehen, wer da kam. Er konnte es sich schon denken. Als die Schritte jedoch innehielten, warf Dave doch einen kurzen Blick über seine Schulter.

Teyla war mitten im Raum stehengeblieben, fast so als hinderte sie eine unsichtbare Barriere am Weitergehen. Dave hatte sie in den letzten paar Stunden nicht gesehen, was sehr ungewöhnlich für sie war, wachte seine Schwägerin doch fast durchgehend an dem Bett ihres Mannes. Es war ein unmögliches Unterfangen, zu versuchen, die Stunden zu zählen, die sie an Johns Seite zugebracht hatte, und ebenso unmöglich war es, sie von dort wegzubekommen. Der Unfall war jetzt genau vier Wochen her und Dave konnte sich nicht daran erinnern, dass Teyla einmal nicht im Raum gewesen war, als er kam. Beharrlich wachte sie über ihren Mann, ganz gleich, dass alle sich Sorgen um sie und um ihr ungeborenes Kind machten. Sie war im neunten Monat schwanger und verbrachte die meiste Zeit ihres Tages ohne Schlaf, Nahrung, Bewegung und Frischluft. Ihr schien egal zu sein, was die Ärzte sagten.
Dave beobachtete das Verhalten seiner hochschwangeren Schwägerin mit Sorge. Inzwischen konnte man ihr die vier Wochen Dauerbelastung ansehen. Betrachtete man sie, wie sie tagein tagaus an dem Bett ihres Mannes saß, konnte man nicht anders, als sich Sorgen um sie und ihr Baby zu machen.

„Hey“, grüßte Dave sie. „Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich. „Ich habe dich eine ganze Weile nicht gesehen.“
„Es gab da noch ein paar Papiere, die ich unterschreiben musste“, erklärte Teyla mit schwacher Stimme.
„Papiere?“, hakte Dave nach.
Teyla nickte und ließ sich schwerfällig auf dem Stuhl nieder, von dem Dave sich erhoben und in ihr angeboten hatte. „Unbedeutender Verwaltungskram“, sagte sie, hob ihre Hand und streichelte über Johns bärtige Wange. Eine einzelne Träne lief über ihre Wange, als sie mit ihrer anderen Hand seine zudeckte. Sie schloss die Augen und seufzte leise. Dave entging es nicht, dass ihre Lippen zu beben und ihre Schultern zu zittern begannen. Er hörte sie schluchzen… und wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Die ganzen vier Wochen war sie unglaublich stark gewesen- er hatte sie nicht ein einziges Mal weinen sehen, sodass ihn ihr jetziger Gefühlsausbruch überraschte.
Er trat hinter sie und legte ihr sanft die Hände an die Schultern. „Teyla?“ Es bereitete ihm Sorge, sie so erschöpft und weinend zu sehen. Rasch wischte sie sich die Träne weg, ehe sie ihre Hand auf ihrem gewölbten Bauch ruhte.
„E…es…es tut mir leid“, schniefte sich und scheiterte kläglich bei dem Versuch zu lächeln.
„Es muss dir nicht leid tun, Teyla.“
Sie seufzte. „Ich…ich habe nur das Gefühl, dass…dass es mir leid tun muss“, wimmerte sie und sah ihn mit ihren traurigen braunen Augen an. „I…ich hätte ihn n…nicht fahren lassen sollen.“
Daher wehte also der Wind, dachte sich Dave. „Teyla“, beeilte er sich zu sagen, „es war nicht deine Schuld. Das, was passiert ist, konnte niemand von uns voraussehen. Es ist nicht deine Schuld.“
„Ich mache mir n…nur so schreckliche Vorwürfe, Dave.“
Dave ging vor ihr in die Hocke. „Hör auf damit“, bat er sie- nein, er flehte. „John würde es nicht gutfinden, wenn du dich seinetwegen so fertig machst.“
„Aber-“
„Es ist nicht deine Schuld“, fiel Dave seiner Schwägerin unschön ins Wort. „Wann begreifst du das endlich, Teyla? Es die Schuld von irgendeinem Drecksschwein und ich versichere dir, dass wir den Schuldigen finden werden. Doch im Moment nützt es keinem etwas, wenn dir oder dem Baby auch noch was passiert. Glaub mir, John würde die Wände hochlaufen, wenn er wüsste, was du dir und dem kleinen Wurm zumutest. Er würde das alles nicht wollen.“
„I…ich mache mir nur so schreckliche Sorgen“, schluchzte Teyla.
„Ich mir doch auch“, seufzte Dave, nahm ihren Kopf sacht in die Hände und küsste sie auf die Stirn. „Ich mir doch auch. Aber jetzt gerade mache ich mir auch furchtbare Sorgen um dich. Du solltest dich eine Weile ausruhen. Leg dich hin, versuch’ zu schlafen, iss etwas. Oder geh etwas nach draußen. Ein bisschen frische Luft würde dir sicher gut tun. Ich werde solange hierbleiben und auf ihn aufpassen.“

Er war sich schon fast sicher, dass Teyla seinen Vorschlag ablehnen würde- und so kam es schließlich auch. Sie streckte wieder ihre Hand aus und strich John geistesabwesend durch die widerspenstigen Haare, die noch wilder als sonst von seinem Kopf abstanden. Der traurige Ausdruck in ihrem Gesicht versetzte Dave einen Stich ins Herz und war Grund genug für ihn, seine Schwägerin mit ihrem Mann alleine zu lassen.
Er küsste sie ein letztes Mal auf die Wange, richtete sich dann auf. Einen Augenblick lang verharrte er noch am Bettende seines Bruders, schaute auf dessen regungslose, blasse Form herab.
„Falls du mich brauchst- ich gehe unten, in der Kantine, einen Kaffee trinken“, sagte er. Er war sich nicht sicher, ob sie ihn gehört hatte.

Als Dave aus dem Krankenzimmer hinaus auf den leeren Flur hinaustrat und diesen entlang schlenderte, musste er wieder daran denken, wie oft er sich mit seinem Bruder gestritten hatte. Ihn in diesem Zimmer zu wissen, schwach und im Koma liegend, und gleichzeitig an die vielen Streits denken zu müssen, stimmte ihn traurig. Er fragte sich, wann John und er das letzte Mal eine Unterhaltung geführt hatten, die nicht in einem Streit geendet hatte. Zu seinem Entsetzen musste er feststellen, dass er sich nicht mehr daran erinnern konnte.
Mitten im Gang blieb er geschockt stehen, drehte sich herum und spielte einen Moment lang mit dem Gedanken, zurückzugehen. Was, wenn sie ihre letzte Chance war, sich auszusprechen, verpasst hatten?
Dave verbot sich diesen Gedanken rasch. So durfte er nicht denken. Das war der Anfang vom Ende, wenn er sich solchen… Fantasien hingab. Was aber, wenn es wirklich so kommen würden?

ooOOoo


Nachdem Dave gegangen war, hatte sie beschlossen, dass sie heute Nacht nicht allein sein wollte. Die wenigen Stunden, die sie allein in ihrem großen, leeren Haus verbracht hatte, waren genug Einsamkeit für heute gewesen. Sie hatte in der Vorhalle gestanden, die Treppe hinaufgestarrt und sich so verlassen gefühlt. Das Haus, das noch vor ein paar Wochen so voller Freundlichkeit und Lebendigkeit gewesen war, war nun nicht mehr als ein paar trostlose, viel zu große Räume, die voller Kälte waren. Nein, noch eine Nacht allein würde sie nicht aushalten.
Sie konnte es einfach nicht. Sie wollte nicht allein sein.

Zum Glück hatte sie eine mitfühlende Schwester gefunden, die ihr gütig das zweite Bett in dem Raum bezogen und es dicht neben das von John geschoben hatte. Ich weiß, wie Sie sich fühlen, Mädchen, hatte sie immer wieder gesagt, doch Teyla glaubte nicht, dass irgendjemand wirklich verstand, wie sie sich fühlte. Im Moment fühlte sie nur diese große Leere in sich, das klaffende Loch in ihrem Herzen. Jedes Mal, wenn sie John sah, wie er schwach und regungslos im Bett lag, wurde sie an diesen Schmerz erinnert und es war jedes Mal so, als bräche ihre Welt erneut zusammen.
Sie konnte noch immer nicht fassen, was geschehen war. Ein Augenblick, ein einziger Augenblick, der ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt hatte. Nichts würde mehr so sein, wie es einmal war. Alles war anders. Nur ein einziger Augenblick und ihre glückliche, heile Welt war vollkommen aus den Fugen geraten.

Teyla seufzte auf und ließ sich in die Kissen zurückfallen. Ihr entfuhr ein leises Seufzen. Das war alles so typisch!, schoss es ihr durch den Kopf. Nie gönnte ihr das Schicksal ein bisschen Glück. Immer, wenn sie dachte, es sei perfekt und könne so weitergehen, passierte etwas Unerwartetes. Es war schon immer so gewesen. Sie konnte einfach kein zufriedenes, glückliches Leben führen. Es war fast so, als wollte eine höhere Macht, die sie nicht verstand, verhindern, dass sie glücklich wurde.
Dabei war doch alles so perfekt gewesen. Zum ersten Mal seit Jahren glaubte Teyla, nun endlich angekommen zu sein. Sie wohnte in einem wunderschönen Haus und war mit einem Mann verheiratet, den sie über alles liebte, und zusammen erwarteten sie in wenigen Wochen ein gemeinsames Kind. Was gab es daran auszusetzen? Das war immer ihr Traum gewesen! Dass die dunklen Wolken über ihren Köpfen schwebten, hatte sie nicht wahrgenommen. Doch innerlich hatte sie gewusst, dass es nicht für immer friedlich sein würde.
Das Leben war unfair, hatte ihr bis jetzt fast alles genommen, was ihr wichtig war; ihre Eltern waren gestorben, als sie noch sehr klein gewesen war, mit ihrem Bruder hatte sie sich zerstritten, er wollte sie nicht mehr sehen. Sie hatte es ihr ganzes Leben lang schwer gehabt und wenn sie dann einmal für ein paar Monate glücklich gewesen war, hatte es nicht lange gedauert und das Schicksal schlug mit aller Härte zu. Man gönnte es ihr einfach nicht, glücklich und zufrieden zu sein.

Sie drehte den Kopf, bis der neuste „Geniestreich“ des Schicksals ins Bild kam. Die letzten zweieinhalb Jahre waren die glücklichsten ihres Lebens gewesen, weil sie endlich hatte herausfinden dürfen, was es bedeutete, zu lieben und geliebt zu werden. Noch nie war sie mit einem Mann so glücklich gewesen wie mit John. Er war ihr Seelenverwandter, auch wenn das verrückt klingen mochte. Sie war sich sicher, dass sie irgendwie miteinander verbunden waren, sie passten schlichtweg perfekt zueinander. Da war diese Leidenschaft zwischen ihnen, die sich nicht nur auf körperliche Liebe bezog. Es war schon fast unheimlich, wie sie wussten, was den anderen bedrückte, ohne das der etwas von sich gegeben hatte.
Teyla schätzte diese enge Bindung mit ihrem Mann und konnte sich nicht vorstellen, wie ihr Leben wohl ohne ihn aussehen würde. John brachte sie zum Lachen, wenn sie traurig war. Er hielt tapfer seinen Kopf hin, wenn sie wütend war, und er lachte mit ihr, wenn sie fröhlich war. Sie ergänzten sich perfekt, auch wenn sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Sie waren genaugenommen wie Feuer und Wasser; sie, mit ihrer temperamentvollen Art, das Feuer und er, mit seiner Gabe, die Menschen positiv zu beeinflussen, das Wasser. Gegensätze zogen sich bekanntlich an und so war es für Teyla kein Wunder, dass sie seit drei Jahren glücklich miteinander waren.
Bis zu dem Tag, vor vier Wochen…

Schluckend ließ Teyla ihren Blick über den geschundenen Körper ihres Mannes wandern. Die Realität war noch viel schlimmer, als man sie ihr immer beschrieb. Dr. Beckett und die Krankenschwestern, die sich tagtäglich um John kümmerten, versuchten die Lage immer herunterzuspielen… und Gott allein wusste, wie sehr Teyla sich wünschte, ihnen zu glauben. Wie sehr sie sich wünschte, Johns Zustand würde sich bessern und er würde endlich aufwachen. Jedes Mal schürten die Aussagen der Ärzte neue Hoffnung ihn ihr, doch wenn sie ihn dann sah, wusste sie, dass sich nichts geändert hatte- da konnten ihr die Ärzte noch so viel zureden.
Johns Zustand war nach wie vor unverändert. Sein Leben hing noch immer am seidenen Faden oder besser ausgedrückt an den Maschinen, an die er angeschlossen war. Alle wussten es, doch keiner wagte es sich, es auszusprechen, dass durchaus die Möglichkeit bestand, dass John… nie wieder aufwachen würde.

Wenn sie ihn jetzt so betrachtete, war es für Teyla, als schliefe er nur, als wären seine schweren Verletzungen nur ein schlimmer Alptraum, aus dem sie schon bald erwachen würde. Doch dem war nicht so.
Johns lebloser Körper lag in dem Krankenblatt und sein Anblick verschlug ihr selbst nach vier Wochen immer noch den Atem. Ihn so hilflos und still dort neben sich liegen zu sehen, tat ihr weh. Tief in ihrem Inneren zog sich alles zusammen, wenn sie ihn sah. Bis vor zwei Tagen hatte er noch eine Halskrause getragen, die ihm bis unters Kinn gereicht hatte, ihn aber am Atmen gehindert hatte, weshalb man sie ihm abgenommen hatte. Sein Kopf war aufgrund seiner Hirn-OP zu Hälfte einbandagiert, ebenso wie sein Oberkörper; obwohl man die Verbände erst vor wenigen Stunden gewechselt hatte, konnte Teyla dunkle Blutflecken entdecken, die durch den Verband und den Krankenhauskittel drückten.
Seine Arme waren übersät mit Kratzern und feinen Schnitten. Seine Handgelenke waren blau angelaufen, ebenso wie die rechte Hälfte seines Gesichts. Die Lippen waren rot und so geschwollen, dass der Beatmungsschlauch kaum durch sie hindurchpasste. Er hatte seine Augen geschlossen. Über seiner linken Augenbraue prangerte ein langer Cut, der sich bis zu seinem Haaransatz hochzog.
Er war kaum wieder zu erkennen.
Der Unfall hatte ihn schwer zugerichtet und noch immer spukten Teyla Wörter wie ‚Rippenbruch’, ‚Hirnschwellung’ und ‚innere Blutungen’ durch den Kopf; das waren nur einige Komplikationen gewesen, die aufgetreten waren und John von einem OP in den nächsten gebracht hatten.

Es fiel ihr sehr schwer, aber irgendwie schaffte es Teyla, die Gedanken an den Unfall beiseite zu schieben und sich nicht mehr darüber den Kopf zu zerbrechen. Sie rutschte näher an ihren Mann heran, streckte die Hand aus und streichelte ihm über die Wange. Ihr runder Bauch war zwischen ihnen und sie musste lächeln, als sie spürte, wie sich ihr Kind in ihr bewegte. Sie fasste sich an den Bauch und genoss die Bewegungen ihres Ungeborenen, das sein kleines Füßchen kräftig gegen ihre Bauchdecke stemmte. Nur noch drei Wochen und sie würde es endlich in den Armen halten können. Ihn, korrigierte sie sich selbst. Es war ein Junge. Sie würde ihn bald in den Armen halten können.

Ihr Blick fiel wieder auf John und sie fragte sich, ob ihr Sohn seinem Vater wohl sehr ähnlich sehen würde. Allein die Vorstellung eines kleinen Babys mit dunklen Haaren und diesen grünen Wahnsinnsaugen, wie John sie hatte, ließ Teyla schmunzeln.
„Hey“, begann sie leise zu sprechen; ihre Hand lag noch immer an seiner Wange. „Es…es tut mir leid, dass ich dich vorhin allein gelassen habe, aber ich hoffe, Dave hat sich gut um dich gekümmert.“
Sie streichelte sich über den Bauch. „Dein Sohn meinte, er müsse etwas Hektik verbreiten“, lächelte sie. „Da kommt er ganz nach dir. Du solltest fühlen, wie er manchmal tritt. Ich glaube, du hattest recht- er wird später bestimmt Profiboxer. Oder er vermisst einfach nur seinen Daddy, der mit ihm spricht.“

Teyla hielt inne. Schmunzelnd erinnerte sie sich daran, wie sie eines Tages aus ihrem leichten Mittagsschlaf erwacht war, weil es doch sehr eng auf der Couch geworden war. Der Grund war kein geringerer als John, der es irgendwie fertig gebracht hatte, sich mit auf die schmale Liegefläche der Couch zu quetschen. Die Nase hatte er gegen ihren Bauch gepresst und sein intensives Mienenspiel verriet, dass er seinem Sohn die neusten Ereignisse darlegte.
‚Was machst du da?’, hatte sie ihn irritiert und müde gefragt.
John blickte auf. ‚Ich erzähle ihm von Evan’s und Lauras Baby’, antwortete er trocken, wandte sich dann wieder an seinen Sohn. ‚Also, Kyle wird zwar ein paar Monate älter als du sein, aber ihr werdet bestimmt ganz viel Spaß miteinander haben, wenn ihr erstmal älter seid. Er wird ein super Spielkamerad sein und du kannst dir mit ihm die Zeit vertreiben, bis dein Geschwisterchen da ist-’
‚Geschwisterchen?’, hatte Teyla ihn unterbrochen. Himmel, in welchen Dimensionen dachte dieser Mann? ‚John, unser Sohn ist noch nicht einmal auf der Welt und da redest du schon von-’
Dieses Mal war er ihr ins Wort gefallen- mit einem Kuss, den er ihr auf die Lippen gepresst hatte. ‚Ich will nicht, dass mit diesem kleinen Kerl Schluss ist. Ich wollte schon immer eine große Familie und außerdem müssen wir Dave einholen.’
‚Indem wir so viele Babys wie möglich machen?’
John runzelte die Stirn. ‚Ich hätte es zwar etwas…anders ausgedrückt, aber…ja!’ Dann hatte er sie erneut geküsst und ihr ins Ohr gesäuselt: ‚Ich möchte ganz viele Babys haben, die genauso schön wie ihre Mom sein und alle deine braunen Augen haben werden.’
‚Na, darüber reden wir aber noch einmal, wenn der kleine Kerl hier auf der Welt ist’, hatte sie lachend erwidert. ‚Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob ich dich nach der Geburt mit all diesen Schmerzen je wieder in meine Nähe lasse.’
‚Und vergiss nicht, dass du mir wahrscheinlich meine Hand gebrochen haben wirst’, ergänzte John sarkastisch. ‚Ich werde also etwas „eingeschränkt“ sein.’
‚Natürlich’, hatte sie daraufhin erwidert und lehnte sich zurück, schloss die Augen wieder und lauschte der einseitigen Unterhaltung, die John mit seinem Sohn führte.

Besonders in den letzten Wochen vor dem Unfall war klargeworden, wie sehr sich John darauf freute Vater zu werden. Er hatte alles getan, damit es ihr (und demnach auch dem Baby) gut ging. Er hatte sich um alles gekümmert, hatte im Haushalt anfallende Arbeiten erledigt, ohne dass dabei etwas zu Bruch ging. Sogar aus dem Büro war er früher zurückgekommen- etwas, das vor einem Jahr nach unmöglich gewesen wäre.
John hatte alles für sie getan; er war nachts aufgestanden, wenn sie mal wieder eine Heißhungerattacke heimgesucht hatte. Er hatte bereitwillig ihre Stimmungsschwankungen ertragen, ihre Wutanfälle und ihre Weinkrämpfe, weil ihr ihre alten Klamotten nicht mehr passten. Bereitwillig war er mit ihr von einem Babyfachmarkt zum nächsten gefahren, hatte sich über die Vorteile von Glasfläschchen gegenüber Plastikflaschen aufgeklärt und hatte in Erfahrung gebracht, warum ein Kinderwagen mit Doppelfederung besser war als ein herkömmliches Modell.
Er war ein schlichtweg unglaublich guter werdender Vater gewesen, hatte sich mit ihr durch sämtliche Geburtsvorbereitungskurse gehechelt und hatte tapfer die Gegenwart eines rosaweiß-gepunkteten Stillkissens im ehelichen Bett geduldet. Er hatte nicht einen einzigen Arzttermin verpasst, war bei jeder Ultraschalluntersuchung dabei gewesen und hatte sich immer so sehr gefreut, wenn er seinen ungeborenen Sohn auf dem Monitor gesehen hatte.
John hatte so viel für sie und das Baby getan, dass es Teyla jetzt schwer fiel, sich vorzustellen, dass er seinen Sohn womöglich nie sehen würde.

„Oh, John“, presste sie mühsam hervor. Sie vergrub ihr Gesicht in dem Patientenkittel, schluchzte in dieses hinein. Tränen strömten ihr über die Wangen und durchnässten den feinen Stoff, vermischten sich mit dem durch seine Verbände sickernden Blut. Doch das hinderte sie nicht daran ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen und sich an seiner Brust auszuweinen.
Sie weinte wegen ihm, wegen ihrem Baby und wegen sich selbst. Sie weinte wegen dem, was passiert war. Dieser schreckliche Unfall hatte ihre Familie auseinander gerissen, hatte ihr ihren geliebten Mann genommen und ihrem ungeborenen Kind den Vater. Wie konnte ein Mensch nur so skrupellos sein und eine Familie auseinanderreißen? Auch wenn es nicht die Schuld des anderen Fahrers gewesen war- warum war er nicht dort geblieben? Warum war er weggefahren und hatte John schwer verletzt, in seinem Wagen eingeklemmt, zurückgelassen? Warum hatte er sich bis jetzt nicht gemeldet? Warum?

Teyla war zu schwach, um darüber zu grübeln, warum es so war, wie es war. Das Weinen hatte sie ausgelaugt. Sie merkte, wie sie müder wurde…und ehe sie sich versah, sank ihr Kopf auf Johns Brust und sie war eingeschlafen.

ooOOoo


„Das du dir dabei nicht alle Knochen gebrochen hast, ist ein Wunder.“ Kate Heightmeyer schüttelte mit dem Kopf. „Gott weiß, was dir alles hätte passieren können“, schimpfte sie weiter. „Du hättest sterben können!“ Energisch zog sie den Verband fest und betrachtete dann ihr Werk kritisch.
„Vielen Dank, Katie“, war die einfache Erwiderung ihres Bruders. Er griff nach seinem T-Shirt, streifte es sich langsam, mit schmerzverzerrtem Blick, über den Kopf, was Kate genug Zeit gab, seinen malträtierten Oberkörper näher zu betrachten. Als er das erste Mal zu ihr gekommen war und sie ihn zum ersten Mal so zugerichtet gesehen hatte, hatte es ihr die Sprache verschlagen. Sein ganzer Oberkörper war mit blutigen Wundern, Kratzern und Rissen übersäet gewesen, von den Glassplittern, die in seiner blutigen, verwundeten Haut steckten mal ganz abgesehen. Es war ein Bild des Grauens gewesen, das selbst sie, als Krankenschwester, zuerst einmal hatte schlucken lassen. Jetzt, vier Wochen später, waren Dank ihrer regelmäßigen Kontrolle und Fürsorge sämtliche Wunden verheilt, hatten aber hässliche Narben hinterlassen. Blutergüsse, in allen Größen, Formen und Schattierungen sprenkelten sich über seinen Oberkörper und über seinen Rücken. Seine eine Schulter war leicht abgesenkt und man konnte ihm ansehen, dass er unter Schmerzen litt.

Wortlos sammelte Kate das Verbandszeug wieder ein und verstaute es in ihrem kleinen Erste Hilfe-Rucksack. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, mit ihm darüber zu reden, und sie wusste auch, dass ihr Tadel an ihm abgeprallt war. Ins eine Ohr rein, zum anderen wieder raus. Ihr Bruder ließ sich schon lange nichts mehr von ihr sagen und sie hatte schon lange damit aufgehört, ihm ins Handwerk zu pfuschen, auch wenn sie wusste, dass das, was er tat, falsch und dumm war.

Ihr Bruder hatte es inzwischen geschafft, sich anzuziehen, und sah ihr von seinem schmalen Bett aus dabei zu, wie sie ihre Sachen zusammensammelte.
„Wann kommst du wieder?“, wollte er von ihr wissen.
„Du weißt, dass ich am liebsten hier bleiben würde, um sicherzugehen, dass du nicht wieder einen solchen Unsinn machst“, erwiderte sie.
„Das geht nicht“, sagte er stumpf.
Kate seufzte. „Ja“, murmelte sie leise, „das war mir klar, dass du das sagst.“ Sie schulterte ihren Rucksack und schaute für einige Sekunden aus dem Fenster mit der schmierigen Scheibe, das das einzige in dem kleinen Zimmer ihres Bruders war.
„Katie“, hörte sie ihn leise rufen.
Sie holte tief Luft, drehte sich zu ihm um und fixierte ihn mit ihrem Blick. „Du weißt, dass das falsch ist.“ Es war vielmehr eine Aussage, als eine Frage, die sie ihm stellte.
Er nickte, sagte dann aber: „Aber ich kann nicht anders.“
Kate spürte die Wut in sich aufsteigen. „Und ob du anders kannst“, platzte es aus ihr heraus und ihre Stimme klang in dem kleinen Zimmer, das ihr Bruder bewohnte, doppelt so laut und bedrohlich. Sie setzte den Rucksack wieder ab und marschierte auf das Bett zu, ließ sich neben ihren Bruder auf die Bettkante sinken und nahm seine zittrigen Hände. „Und ob du das kannst“, wiederholte sie etwas leiser.
Tränen begannen in seinen blauen Augen zu schwimmen und jetzt, wo sie ihm so nahe war, sah sie, wie fertig er aussah. Sein Anblick erschrak sie. Wann war sie noch gleich das letzte Mal hier gewesen? Er sah noch schlechter aus, als bei ihrem letzten Besuch. Sein Gesicht war hager und aschfahl, sein Haar licht, mit einem gräulichen Touch. Er wirkte…alt, wie ein Gespenst so blass.
Kate wusste, dass seine Krankheit dafür verantwortlich war, aber dass es so schnell ging, hatte sie wirklich nicht gedacht. Es machte ihr Angst, ihn vor ihren Augen so verfallen zu sehen; es war fast so, als verschwand er direkt vor ihr und sie konnte nichts dagegen tun. Er starb vor ihren Augen!

Aus Angst, sie zu zerbrechen, ließ Kate seine Hände wieder los, legte ihm stattdessen eine Hand an die blasse Wange. „Michael“, flüsterte sie flehend.
Er räusperte sich. „Du…du solltest gehen“, sagte er fest, wenn auch mit dünner Stimme. „Geh jetzt.“
„Michael.“ Kate schüttelte unschlüssig mit dem Kopf. Dann senkte sie ihren Blick und nachdem sie kurz in sich gegangen war, fragte sie ihn: „Ist es das wirklich alles wert, Michael?“ Als er nicht antwortete, fuhr sie fort: „Sieh dich doch nur an.“ Ihr Blick fiel auf seinen dürren Körper, der in einem Zelt von T-Shirt steckte. „Du machst dich dadurch kaputt. Nichts auf der Welt ist es wert, dir so viel Schaden zuzufügen.“
„Morgen beginnt meine nächste Behandlung“, warf Michael ein. Wahrscheinlich hoffte er, sie dadurch irgendwie beruhigen zu können, doch Kate durchschaute sein Spiel.
„Na und? Dann geht es dir eben für ein paar Tage besser.“ Sie seufzte. „Aber ganz gleich, was du in diesen Tagen machst, Michael, du weißt ganz genau, dass es danach nur noch schlimmer sein wird. Du kannst nicht ewig so weitermachen. Und dich dann auch noch solchen Gefahren auszusetzen!“
Michael entzog sich ihrer Berührung. „Ich kann auf mich selbst aufpassen“, brummte er.
„Ja, das sieht man ja.“ Kate lachte hämisch. „Großer Gott“, fluchte sie, „ ich kann nicht glauben, dass du so leichtsinnig bist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das alles wert ist. Du musst der Wahrheit ins Auge sehen, Michael. Dadurch, dass du solchen Schwachsinn machst, kriegst du sie auch nicht wieder zurück. Es ist aus!“

Das schien gesessen zu haben. Michael krampfte zusammen und er richtete sich ruckartig auf. Im ersten Moment schwankte er hin und her und Kate fürchtete, er würde zusammenbrechen, was er jedoch nicht tat. Er baute sein bemitleidenswertes Gerippe vor ihr auf und verschränkte die Arme. Seine Augen funkelten bösartig auf sie herab und als er sie forsch anwies, zu verschwinden, zögerte sie nicht lange, dem nachzukommen. Sie wollte sich jetzt nicht mit ihm streiten, schon gar nicht in seinem Zustand.
Sie schnappte sich ihren Rucksack, warf ihn über ihre rechte Schulter und machte sich daran, den Raum zu verlassen. Auf halben Weg blieb sie jedoch noch einmal stehen und drehte sich zu ihrem Bruder um.
„Dadurch, dass du ihre Familie zerstörst, wirst du nicht gesund“, warnte sie ihn. „Du magst ihr vielleicht wehtun, aber dir helfen, zu überleben, wird es nicht.“
Michael schob angriffslustig das Kinn vor. „Dem mag so sein“, sagte er. „Aber mir geht es schon lange nicht mehr darum, gesund zu werden, Katie. Diesen Kampf habe ich verloren. Doch lass mich wenigstens diesen Kampf gewinnen.“
Kate gab einen ungnädigen Laut von sich, öffnete die Tür. „Wenn du denkst, dass man das Auseinaderreißen einer glücklichen Familie als Sieg bezeichnen kann, dann ist dir wirklich nicht mehr zu helfen. Das ist einfach nur krank, Michael!“

Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer ihres Bruders und stürmte den dunklen Flur entlang, Richtung Ausgang. Ihr war schon immer klar gewesen, dass Michael seinen eigenen Kopf hatte, und auch, dass er, wenn er nur wollte, alles bekam. Dass er aber so skrupellos auf seine Ziele hinausarbeitete war ihr neu und bereitete ihr Sorge. Jemanden tagtäglich heimlich zu beobachten und Zeitungsberichte derjenigen Person zu sammeln war nur das Eine. In New York gab es Tausende solcher Leute, denen nie etwas nachgewiesen werden konnte. Aber einen Unfall zu verursachen, der zur Folge hatte, dass ein Mann nun seit fast fünf Wochen im Koma lag? Wenn er schon dazu in der Lage war, wollte Kate sich nicht erst ausmalen, was noch kommen würde…

TBC
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