AUFBRUCH
Bereits seit den frühen Morgenstunden herrschte im sechseckigen Zentralturm von ATLANTIS ein permanentes Kommen und Gehen. John Sheppard, der auf dem Balkon des Kommandozentrums stand und in den Gate-Raum hinuntersah, überkam ein Gefühl von Déjà-vu, bei dem hektischen Kommen und Gehen unter sich. Ganz ähnliche Szenen hatten sich vor knapp sechs Jahren abgespielt. Kurz nach ihrem Aufbruch nach ATLANTIS.
Sheppard krempelte die Ärmel seines schwarzen Uniformhemdes auf. Dabei fiel sein Blick auf den Armreif aus Sterling-Silber, den Nancy ihm geschenkt hatte und den er nun an seinem rechten Handgelenk trug. In Cherokee-Schriftzeichen stand kunstvoll darauf eingraviert: Führe weise und gerecht.
Er schmunzelte leicht bei dem Gedanken an ihre Miene, als sie ihn fragte, woher er die Brosche für sie hat. Als er die athosianische Freundin mit dem kleinen Sohn erwähnte hatten sich ihre Augen gerundet. Zumindest bis er ihr eindringlich versichert hatte, dass Torren-John Emmagan nicht von ihm sei. Trotz des Zweitnamens.
Der Abschied von Nancy war ziemlich emotional verlaufen. Für sie beide. Sie hatten beide nicht damit gerechnet, dass die Bande zwischen ihnen noch so unvermindert stark war.
Sheppard seufzte unbewusst und er fuhr aus seinen Gedanken auf, als sich eine mittlerweile vertraut klingende Stimme erkundigte: „So betrübt, John?“
Etwas überrascht stellte John Sheppard fest, dass Teyla Emmagan neben ihm stand. Zuerst wollte er mit einer flotten Bemerkung über die Frage hinweggehen, doch dann erwiderte er ruhig: „Es ist wegen meiner Ex-Frau Nancy. Ich hatte Ihnen mal flüchtig von ihr erzählt. Wir haben den Heiligen Abend miteinander verbracht. Dabei haben wir festgestellt, dass mehr zwischen uns ist, als bloße Freundschaft.“
„Aber es reicht nicht, um die frühere Beziehung wieder aufzunehmen?“, vermutete Teyla, die stets zu wissen schien was in ihm vorging. Manchmal schien es Sheppard, als sei die Athosianerin eine etwas sportlichere und zierlichere Ausgabe von Nancy. Besonders, wenn ihre braunen Augen ihn auf ganz ähnliche Weise forschend ansahen.
„Nein, der Zug ist abgefahren wie wir Menschen sagen.“
„Wie auch immer“, gab Teyla schmunzelnd zurück. „Unterwegs traf ich Rodney. Er schien ziemlich aufgebracht darüber zu sein, wie die Techniker des IOA das Stargate vom Netz genommen haben.“
„Das ließ sich, wegen der Tordominanz unseres Stargates, leider nicht vermeiden“, erklärte Sheppard. „Wir hätten sonst das irdische Stargate blockiert und die Unternehmungen der Stargate-Teams, für die Zeit unseres Hierseins, vollkommen unterbunden.“
„Ja, richtig“, erinnerte sich Teyla. „Rodney sprach einmal davon. Wie ich hörte, konnte er Doktor Zelenka dazu überreden doch mitzukommen.“
„Das war auch sein Glück“, knurrte Sheppard. Er schob die Hände in die Hosentaschen als er mit dem Aufkrempeln der Ärmel fertig war. „Ich glaube nämlich, dass wir Radek noch dringend benötigen werden, sobald wir erst einmal wieder unterwegs sind. Momentan sind die Beiden dabei mit Hochdruck dafür zu sorgen, dass das wir nicht lange auf das Stargate verzichten müssen, sobald wir Pegasus erreicht haben.“
„Mit dem aufgestockten Personal und den fast siebenhundert Männern und Frauen von den drei Schlachtkreuzern wird auf ATLANTIS in Zukunft deutlich mehr los sein, als bisher. Insgesamt mehr als zweitausend Männer und Frauen.“
„Da sind sicherlich einige sehr interessante Leute dabei“, zwinkerte ihr Sheppard zu und erntete dafür einen leichten Hieb in die Seite.
Denken Sie nicht immer nur an Ihr Vergnügen, John“, riet ihm die Athosianerin. „Konzentrieren Sie sich lieber auf den bevorstehenden Start. Wie ich hörte, werden diesmal Sie diese Stadt fliegen?“
„Ja. Doktor Beckett kommt ja nicht mit und General O´Neill will nichts riskieren. Ich werde dafür sorgen, dass es ein ganz ruhiger Flug wird.“
„Mit hoffentlich einer besseren Landung, als das letzte Mal“, versetzte Teyla. „Was das betrifft hat Ihnen Doktor Beckett etwas voraus. Seine Landung der Stadt auf der Erde war sehr sanft und sehr angenehm.“
„Wie lange wollen Sie darauf noch herumreiten?“
Die Frau lächelte vergnügt und meinte dann: „Bis später, John. Ich habe Ronon versprochen, ihm ein paar Tipps zu geben was die Einrichtung seines Quartiers betrifft.“
Ein breites Grinsen überflog Sheppards Gesicht und mit einem kontrollierenden Blick über die Schulter raunte er: „Damit will er Banks beeindrucken.“
„Dann werde ich Ronon besonders gut beraten“, erwiderte Teyla augenzwinkernd und entfernte sich mit federnden Schritten.
Sheppard sah ihr sinnend hinterher. Dabei erinnerte er sich an ihre erste Begegnung. In einem Dorf auf einem damals unbekannten Planeten. Zu Beginn des anbrechenden Tages. Sie war ihm und seinen Begleitern gegenüber damals spürbar misstrauisch eingestellt gewesen. Erst mit der Zeit war es ihm gelungen dieses Misstrauen langsam abzubauen. Sehr viel war seitdem passiert. Inzwischen verband sie eine besondere Freundschaft. Nein, es war im Grunde sehr viel mehr als das. Er erinnerte sich auch daran, als Teyla ihm sagte, dass sie und Kanaan sich getrennt hätten. Kurz vor dem Flug von ATLANTIS zur Erde. Das Grundgefühl in ihm war damals überraschenderweise Erleichterung gewesen.
Der Lieutenant-Colonel löste sich aus diesen Grübeleien und schritt in den Kommandoraum hinein. An den beiden vorderen Konsolen saßen Chuck O´Connor und Amelia Banks. Der eher schmächtig wirkende, aus Tschechien stammende, Radek Zelenka bewegte sich zwischen ihnen beiden nervös hin und her und kontrollierte immer wieder die Flussdiagramme der verschiedenen Hauptsysteme der Stadt.
An den beiden dahinter liegenden leicht erhöhten Konsolen, über die unter anderem die Tiefraum-Scanner und die Energieverteiler gesteuert wurden, saßen Mike Branton und Jeanie McKay. Rodney McKay stand etwas seitlich versetzt, konzentriert einige Daten auf seinem Tablet-Rechner abgleichend. Wobei er gelegentlich einen prüfenden Blick zu Branton warf, der mit abgesenkter Stimme mit seiner Schwester diskutierte.
Bei einem Blick auf seine Uhr stellte er fest, dass es auf 07:00 Ortszeit zu ging. Zu diesem Zeitpunkt sollte der Start von ATLANTIS erfolgen.
Als wäre der Blick zur Uhr ein geheimes Kommando gewesen, schritt in diesem Moment Generalmajor Alexandra Degenhardt von ihrem Büro aus über den Brückensteg zum Kommandoraum und sah Sheppard auffordernd an. „Noch fünfzehn Minuten, Colonel Sheppard. Ich schlage vor, dass Sie den Stuhlraum aufsuchen und sich bereit machen uns zur Pegasus-Galaxie fliegen. Haben Sie sich mit der Gedankensteuerung für den neuen Wurmlochantrieb vertraut machen können?“
„Soweit das möglich ist ohne das System tatsächlich zu aktivieren, General“, bestätigte John Sheppard. „Doktor Beckett meinte, vor einigen Monaten, dass es leichter wäre die Stadt mit Hilfe dieses neuen Aggregates durch den Hyperraum zu bewegen als mit dem bisherigen Hyperantrieb. Aber der Mann ist auch Arzt und kein Pilot. Er riet mir dazu, die Stadt nicht mit einem einzigen Sprung zurückzubringen, sondern lieber in drei kleineren Schritten, von denen uns der Erste zunächst an den Rand der Milchstraße bringt. Von dort aus soll es zum Rand der Pegasus-Galaxie gehen und erst mit dem dritten Sprung zum Zielort. Der Befehl die Stadt wieder auf Lantia zu landen besteht nach wie vor, Sir?“
„Ja“, bestätigte Alexandra Degenhardt. „Am besten landen Sie an der Position, an der sich noch die unterseeische Bohrplattform befinden müsste. Falls wir Glück haben lässt sie sich mittelfristig reaktivieren. Die Stadt hat zwar jetzt wesentlich mehr Energie zur Verfügung als zuvor, doch es kann nie schaden einen Extra-Pfeil im Köcher zu haben.“
Der Amerikaner machte eine zustimmende Geste und meinte: „Dann werde ich jetzt mal, Sir. Ich sage Ihnen Bescheid, wenn ich so weit bin und erwarte Ihre Startfreigabe.“
Die Frau nickte zustimmend. „Ich baue darauf, dass das ein ganz ruhiger Flug werden wird, Lieutenant-Colonel.“
„Versprochen“, grinste der Mann überzeugt. Ein ruhiger Flug und eine butterweiche Landung am Ziel unserer Reise.“
Damit schritt Sheppard eilig davon und als er bereits außer Hörweite war, murmelte Alexandra Degenhardt: „Glückliche Jugend.“
Nachdem John Sheppard gegangen war schritt Generalmajor Degenhardt zu Rodney McKay und erkundigte sich bei ihm: „Haben Sie die Systeme kontrolliert, Doktor McKay?“
Der Kanadier fuhr aus seinem Trance-artigen Zustand auf und sah zu der Frau neben sich. „Wie… äh… ja, General. Wir sind so weit. Obwohl ich es für sicherer gehalten hätte, wenn der Aufbruch um weitere vier Wochen verschoben worden wäre. An einigen Stellen der Stadt haben diese Pseudo-Techniker des IOA, von der Firma KURZ UND KLEIN, buchstäblich Tabula Rasa gemacht. Das einzig Positive, was diese Pfuscher geleistet haben, war herauszufinden, dass die Kommandokonsolen über die Möglichkeit verfügen Holo-Bildschirme zu aktivieren.“
Alexandra Degenhardt unterdrückte ein amüsiertes Grinsen. Sie verstand, dass der Wissenschaftler aufgebracht war. Immerhin hatte er fünf Jahre lang unermüdlich daran gearbeitet die Systeme der Stadt nicht nur am Laufen zu halten, sondern sie zu verbessern wo immer es ging. In den letzten elf Monaten hatte ihm das IOA, was das betraf, ziemlich in die Suppe gespuckt. Darum war sie umso dankbarer dafür, Rodney McKay bei dieser Reise dabei zu haben. Laut einhelliger Aussagen seiner Kollegen war dieser Mann derjenige, der sich mit den Systemen von ATLANTIS am besten auskannte. Mit Abstand, wie sie sich hatte sagen lassen, obwohl Radek Zelenka ihm wohl kaum nachstand. Nach Allem was sie gehört hatte, fehlte dem Tschechen jedoch dieser Hauch von Genialität, der McKay auszeichnete. Man munkelte darüber hinaus, dass auch seine Schwester diese Genialität in sich trug.
Das beruhigte Alexandra Degenhardt. John Sheppard hatte in den letzten Wochen mehrmals behauptet, dass ihnen, mit zwei McKays an Bord, überhaupt nichts passieren konnte. In dieser Hinsicht hatte die Deutsche ihre Zweifel. Denn nach ihrer Erfahrung war Murphy´s Law kein Aberglaube, sondern viel mehr eine universelle Konstante.
Vor zehn Minuten hatte sie Major Teldy und drei ihrer Leute zur Waffenkammer befohlen. Sie erwartete eine besondere Lieferung von der ODYSSEE doch bis jetzt hatte das Raumschiff keinen Kontakt zu ATLANTIS aufgenommen.
Zwei weitere Minuten vergingen, bevor Lieutenant Banks meldete: „General: Die ODYSSEE ruft uns.“
„Schalten Sie auf Lautsprecher!“
Nachdem Amelia Banks bestätigt hatte, sagte Alexandra Degenhardt vernehmlich: „Hier spricht Generalmajor Degenhardt. Sie sind spät dran.“
Eine sonore Männerstimme klang auf. „Hier spricht Colonel Ian Davidson von der ODYSSEE. Wir haben etwas länger auf die spezielle Fracht warten müssen, die Sie erwarten, General. Wir sind bereit, sie direkt zu Ihnen in die Waffenkammer zu beamen.“
„Verstanden, Colonel Davidson. Sie können den Transport durchführen.“
Es dauerte nur einen Augenblick, bis von der ODYSSEE die Bestätigung für den Transport eintraf. „Transport durchgeführt. Ich wünsche Ihnen und ihrem Team eine gute Reise, General. Davidson, Ende.“
„Vielen Dank, Colonel. Ende und aus.“
Zufrieden rieb sich Alexandra Degenhardt die Hände. Gleich darauf meldete sich Anne Teldy via Kommunikator aus der Waffenkammer. „Generalmajor Degenhardt, hier Major Teldy. Die Fracht ist heil angekommen.“
Alexandra Degenhardt sprach in das Mikro ihres Kommunikators: „Sehr gut, Major. Bitte kümmern Sie sich darum, dass die kostbare Ladung gesichert wird.“
Teldy bestätigte und Alexandra Degenhardt konzentrierte sich wieder auf das, was innerhalb des Kommandozentrums vor sich ging. Die neuen Waffen konnte sie später inspizieren. Nach dem ersten Sprung, zum Rand der Milchstraße. Jetzt galt es, sich auf den Start von ATLANTIS vorzubereiten. Sie tippte ihren Kommunikator an und verlangte: „Lieutenant-Colonel Sheppard, melden Sie sich. Sind Sie bereit?“
Die Meldung des Mannes erfolgte umgehend: „Entschuldigung, Sir, aber ich musste noch ein dringendes Bedürfnis verrichten. Ich habe gerade eben im Stuhl Platz genommen und bin jetzt so weit, den Sublicht-Antrieb auf Ihr Kommando hin zu starten.“
„So ist es richtig, Colonel“, erwiderte Alexandra Degenhardt schmunzelnd. „Nur keinen überflüssigen Ballast mitnehmen. Noch drei Minuten bis zum Start. Lieutenant Banks, schalten Sie die mich auf die Lautsprecher der Kommunikationsanlage.“
Als Banks ihr zunickte, räusperte sich Alexandra Degenhardt und sagte mit klarer Stimme, die in diesem Moment überall auf ATLANTIS und an Bord der drei Schlachtkreuzer zu hören war: „Hier spricht Generalmajor Degenhardt: In weniger als drei Minuten werden wir zur Pegasus-Galaxie aufbrechen. Die Kommandanten der AUSTERLITZ, der SUN TZU und der JEANNE D´ARC bereiten sich auf jede Eventualität vor. Ich befehle hiermit volle Kampfbereitschaft für die drei Schlachtkreuzer. Uns allen viel Glück.“
Die Deutsche sah in die Runde.
Rodney McKay grinste immer noch, ob ihrer Bemerkung zu Sheppard, Amelia Banks hustete verdächtig lange und die übrigen Anwesenden beherrschten sich so meisterhaft, dass Alexandra Degenhardt unwillkürlich die Stirn runzelte. Dabei zuckten ihre eigenen Mundwinkel verdächtig als sie sich kurz abwandte. Sich eindringlich zur Ordnung mahnend sah sie auf die Armbanduhr an ihrem Handgelenk.
„Noch eine Minute bis zum Start von ATLANTIS. Achtung, behalten Sie die Instrumente im Auge, sobald der Lieutenant-Colonel den Antrieb hochfährt. Melden Sie jede Abweichung, egal wie gering sie sein mag.“
Die letzten sechzig Sekunden schienen sich zu dehnen. Dann waren auch sie um und Generalmajor Degenhardt gab den Befehl: „Colonel Sheppard: Start frei.“
Vernehmlich kam zurück: „Verstanden. Ich zünde den Sternenantrieb.“
Für einige Sekunden schien Nichts zu passieren, doch dann durchlief ein leichtes Vibrieren die Stadt. Trotz der Trägheitsdämpfer der Stadt bildete sich Alexandra Degenhardt ein, zu spüren wie die Stadt von der Wasserfläche des Pazifiks abhob. Durch die Scheiben der Fenster sah sie die Horizontlinie unter der Stadt wegtauchen. Einen Moment später trieben Wolken an der Stadt vorbei und die Frau gewann einen Eindruck davon, wie rasch die Stadt durch die oberen Schichten der irdischen Atmosphäre jagte. Das zunächst tiefe Azurblau des Himmels wurde zusehends dunkler, bis es von der samtenen, sternengesprenkelten Schwärze des Weltalls abgelöst wurde.
Insgesamt hatte sich Alexandra Degenhardt im Vorfeld den Start der Stadt spektakulärer vorgestellt. Sie löste sich nachdenklich von dem Anblick des tiefschwarzen Weltalls und sah fragend zu Rodney McKay. „Können wir?“
Der Wissenschaftler sah von seinem Tablet-Rechner auf. Offenbar war ihm die Anzeige dieses irdischen Gerätes lieber, als die Anzeigen der Konsolen-Holobildschirme. „Alle Parameter bewegen sich innerhalb der vorgegebenen Werte, General. Wir können also.“
Die Deutsche nickte zufrieden, wandte sich etwas zur Seite und sprach in das Mikro ihres Kommunikators: „Lieutenant-Colonel Sheppard: Starten Sie den Wurmlochantrieb.“
„Verstanden, Sir. Ich aktiviere das System… Jetzt!“
Für einen kurzen Augenblick glaubte Alexandra Degenhardt, dass die Sterne sich in Bewegung setzten, was eine Sinnestäuschung war. In Wahrheit beschleunigte ATLANTIS signifikant und im nächsten Moment glaubte sie, zusammen mit der Stadt und Allem was sich in und auf ihr befand durch einen blaugrünen, leuchtenden Energieschlauch zu rasen. Doch auch das war nur eine optische Täuschung.
Die Kommandantin der Stadt wusste, dass trotz der höheren Geschwindigkeit, als mit dem normalen Überlichtantrieb, der Flug zum Rand der Milchstraße immer noch mehrere Minuten dauern würde und der zwischen Milchstraße und der Pegasus-Galaxie immerhin fünf bis sechs Stunden. Falls nichts Entscheidendes dazwischen kam.
Sich mit einem Blick in das entspannte Gesicht des Leitenden Wissenschaftlers dieser Mission vergewissernd, dass Alles in Ordnung war, fragte Alexandra Degenhardt nach einem kurzen Moment über Funk: „Wie kommen Sie mit der Kontrolle des neuen Antrieb-Systems zurecht, Lieutenant-Commander?“
Die Stimme von Sheppard klang irgendwie unzufrieden als er antwortete: „Doktor Beckett hatte Recht, Sir. Das neue System ist einfacher zu kontrollieren. Keine Probleme.“
„Sehr gut. Bringen Sie uns etwa einhunderttausend Lichtjahre vom Halo der Milchstraße entfernt aus dem Hyperraum. Bis zum zweiten Brückenschlag, zum Rand der Zwerggalaxie, werden wir dann eine Pause von einer halben Stunde einlegen. In dieser Zeit kommen Sie dann bitte in die Waffenkammer. Degenhardt, Ende!“
Es dauerte diesmal einen Moment, bis es knapp zurückkam: „Verstanden, Sir!“
Als Alexandra Degenhardt aufsah, beobachtete sie unauffällig wie sich die Anwesenden im Kontrollraum ganz ungezwungen miteinander unterhielten und dabei Informationen über Systeme, den Energiefluss und die energetische Leistungsaufnahme der Überlichtaggregate miteinander austauschten. Niemand erweckte dabei den Eindruck aufgeregt zu sein. Nicht einmal Jean McKay, die viel weniger an das Alles hier gewöhnt war. Zufrieden legte sie ihre Hände auf den Rücken, schritt auf den kleinen Balkon-Vorsprung hinaus und atmete dort befreit durch. Sie waren endlich unterwegs zur Pegasus-Galaxie.
Nach einem fünfminütigen Flug hatte die Stadt einen Punkt im All erreicht, der etwas mehr als einhunderttausend Lichtjahre vom äußeren Rand der Milchstraße entfernt war und John Sheppard deaktivierte den Wurmlochantrieb. Noch während das blaue Glühen, an einigen Kontaktstellen des Kommandostuhls, dabei umgehend erlosch, erhob sich Sheppard aus dieser sehr speziellen Sitzgelegenheit und schritt zum Schott des sechseckigen Raumes. Dabei fragte er sich, warum Alexandra Degenhardt diese halbstündige Verzögerung wollte. Der Mann war sich sicher, dass sie sofort hätten weiterfliegen können, denn die Systeme hatten keinerlei Fehlfunktionen aufgewiesen. Das trotz der Bemühungen der IOA-Techniker, diese Stadt in Rekordzeit zerlegen zu wollen.
Bei diesem Gedanken schüttelte Sheppard seinen Kopf. Was hatte sich Richard Woolsey dabei gedacht, diese Stadt demontieren zu lassen?
Der Schwarzhaarige bog in den Gang ab der zum Treppenhaus führte. Die Waffenkammer lag drei Ebenen über dem Stuhlraum. Die Bewegung tat ihm gut, nach der zumindest körperlichen Untätigkeit im Kommandostuhl. Beim nächsten Brückenschlag konnte er zum Glück auf Autopilot schalten. Für die paar Minuten, von der Erde hierher, hatte sich das nicht gelohnt.
Als er die Waffenkammer erreichte erwarteten ihn dort Alexandra Degenhardt, Anne Teldy und ein blonder, hochgewachsener Mann mit durchscheinend blauen Augen. Auf der Uniform des Mannes prangte dieselbe Flagge, wie auf der des Generals. Ein Deutscher also.
Alexandra Degenhardt bemerkte Sheppards prüfenden Blick in Richtung des Blonden, beim Eintreten. Lächelnd erklärte sie dem Lieutenant-Colonel: „Das hier ist Major Andreas Benning, von den Deutschen Kommandotruppen. Da Sie und Major Teldy zukünftig öfter auf Außenmissionen gehen wird Benning, während dieser Zeit Ihrer Abwesenheit, die Truppen in der Stadt befehligen. Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit werden Sie ihn dann auf Außeneinsätze mitnehmen und Ihre Erfahrungen mit dem Major teilen. Wir werden uns, was die Einsatzteams betrifft, die Reisen durch das Stargate unternehmen, breiter aufstellen als bisher, Lieutenant-Colonel.“
Während sich die beiden Männer die Hand reichten, fügte Generalmajor Degenhardt hinzu: „Der Major ist Spezialist für Geiselbefreiung. Er ist aus der Kaderschmiede der GSG-9 hervorgegangen und hat verschiedene, erfolgreich verlaufene, Einsätze in Afrika und dem Nahen Osten angeführt.“
„Könnte sein, Major, dass das während dieser Expedition zu ihrer Hauptaufgabe wird“, spöttelte Sheppard und wurde gleich darauf schnell wieder ernst als der Major lediglich kurz mit den Mundwinkeln zuckte.
Währenddessen vertiefte sich das Lächeln der Kommandantin. „Warum ich Sie drei hierhergebeten und den Flug unterbrochen habe, liegt darin begründet was der Kommandant der ODYSSEY zu uns gebeamt hat. Kurz vor unserem Start von der Erde.“
Alexandra Degenhardt gab Anne Teldy ein Zeichen, auf das die Amerikanerin offenbar nur gewartet hatte, denn prompt öffnete sie eine der Kunststoffkisten und entnahm ihr eine armlange Waffe. Eine Waffe, wie sie die beiden Männer noch nie gesehen hatten.
John Sheppard nahm die Waffe von seiner Stellvertreterin entgegen. Das Gewehr war überraschend leicht, im Vergleich zu Waffen derselben Größe die der Lieutenant-Colonel kannte. Interessiert begutachtete er die farblich überwiegend in Schwarz und Dunkelgrau gehaltene Waffe von allen Seiten. Schließlich reichte er sie an den Major neben sich weiter und sah in die gleichermaßen abwartenden Gesichter der beiden Frauen.
„Was für eine Waffe ist das, General? So ein Gewehr habe ich noch nie gesehen.“
Alexandra Degenhardt schmunzelte lediglich. Ausweichend sagte sie: „Major Teldy, meine Herren. Begeben wir uns nach nebenan zum Schießstand. Dort werde ich Ihnen die Wirkungsweise der Waffe demonstrieren. Das wird mehr aussagen als jede Erklärung.“
Sheppard, der Anne Teldy einen fragenden Blick zuwarf, stellte dabei fest, dass die Frau jetzt ebenso gespannt zu sein schien wie er und Major Benning. Offensichtlich hatte sie zwar zuvor von Alexandra Degenhardt erfahren, welcher Art die neuen Waffen waren, sie aber noch nicht in Aktion gesehen. Sonst wäre ihre Haltung wohl eine Andere gewesen.
Alexandra Degenhardt ließ es sich nicht nehmen die Funktion der neuen Waffe selbst zu demonstrieren. Akzentuiert sagte sie: „Hier auf der rechten Seite wird die Waffe zunächst, im Gegensatz zu herkömmlichen Schusswaffen, aktiviert. Sie erkennen den Aktiv-Status an dem bläulichen Kontroll-Lichtsignal über dem Schalter und daran, dass das Energie-Magazin an den Seiten ebenfalls leicht bläulich aufglüht. Rechts wählen Sie zwei Einstellungen. Achtung ich führe beide Einstellungen nun vor!“
Damit visierte die Deutsche eine der Kunststoffscheiben der Schießbahn durch das Zielfernrohr der Waffe an. Sie atmete hörbar ein und dann ganz langsam wieder aus. Dabei betätigte sie ruhig den Abzug und ein blass-blauer Strahl verließ die Waffe. Er traf die Scheibe und zerstob daran. Sonst geschah nichts Auffälliges.
„Das war nicht sehr effektiv“, murrte John Sheppard und auch die übrigen beiden Stabsoffiziere sahen etwas enttäuscht drein.
„Das war auch nur der Betäubungsmodus dieser Waffe.“ Damit schaltete Generalmajor Degenhardt auf die zweite Einstellung und ging erneut ins Ziel. Der Energiestrahl, der diesmal die Waffe verließ, wirkte etwas greller und diesmal wurde die Kunststoff-Zielscheibe durchschlagen. Nur rauchende Fetzen blieben davon übrig.
Mit einem breiten Grinsen sicherte Alexandra Degenhardt die Waffe und drehte sich zu den drei Stabsoffizieren um, die zwar individuell verschieden reagierten – im Grunde jedoch gleich.
Es sprach für die Abgeklärtheit des deutschen Majors, dass er sich sachlich erkundigte: „Für wie viele dieser Schüsse reicht ein Energiemagazin?“
„Mindestens fünfhundert Schuss können damit abgegeben werden“, gab die Kommandantin der Stadt Auskunft. Betäubungsschüsse verbrauchen weniger Energie. Damit kommen Sie auf etwa neunhundert bis tausend Schuss. Wenn Sie den Abzug länger als zwei Sekunden gedrückt halten aktiviert sich ein permanent aktiver, gebündelter Strahl, der gegen gepanzerte Ziele oder Schilde eingesetzt werden kann. Feuerdauer etwa eine Minute.“
„Das nenne ich mal ein Weihnachtsgeschenk“, entfuhr es Sheppard.
Benning nickte wortlos, Teldy grinste offen und Alexandra Degenhardt hob mit missbilligender Miene ihre Augenbrauen, bevor sie unmerklich schmunzelnd sagte: „In den nächsten Tagen weisen Sie bitte Ihre Leute in die Funktion der neuen Waffen ein. Es gibt zu diesen Gewehren auch Handwaffen, die in derselben Weise funktionieren. Ihre Energiemagazine sind jedoch kleiner und müssen nach zweihundert Schuss Wirkungsfeuer gewechselt werden. Sie sind auch nicht ganz so durchschlagskräftig wie die Gewehre. Jedoch leisten sie mehr als die bisherigen Automatiken und wir haben die Alternative nicht nur zu töten oder zu verletzen.“
„Die neuen Waffen werden uns gute Dienste leisten“, bemerkte Sheppard, diesmal auf seinen üblich spöttischen Ton verzichtend. „Was ist mit den leeren Energiemagazinen?“
„Werfen Sie die bloß nicht achtlos nach Gebrauch weg“, mahnte Generalmajor Degenhardt eindringlich. „Die kann man nämlich später wieder aufladen. Die Ladestationen werden von unseren Ingenieuren später angeschlossen. Sobald das passiert ist werden Sie in die Handhabung dieser Ladestationen eingewiesen.“
„Welche Beutetechnik kam bei der Entwicklung der Waffen zum Einsatz?“, hakte Major Anne Teldy interessiert ein.
Alexandra Degenhardt verzog etwas das Gesicht, bei dem Begriff Beutetechnik. Dann erklärte sie: „Die Technische Abteilung von Area-51 arbeitet schon an solchen Waffen, seit man die ersten Stab-Waffen der Goa´uld erbeuten konnte. Doch erst seit man auch Waffen der Wraith und die Handwaffe, die Lieutenant-Colonel Sheppard bei einem Ausflug in ein Paralleluniversum sicherstellen konnte, untersucht hat, kam die Entwicklung dieser Waffen deutlich voran.“
Generalmajor Degenhardt machte eine kurze Pause, in der sie die Waffe in ihrer Hand drehte und mit einem gewissen Stolz ansah, bevor sie fortfuhr: „Mit daran beteiligt waren auch japanische, französische, britische und deutsche Ingenieure, die vom Homeworld-Command hinzugezogen wurden. Sie haben zwar Recht damit, dass die Technik dieser Waffen auf Alien-Technik basiert - grundsätzlich kann man sie dennoch als Eigenentwicklung, nach technischen Vorgaben, bezeichnen. So sind sie um wenigstens zehn Prozent leistungsfähiger als jede der Waffen, deren Technik als Vorlage gedient hat. Zudem sind sie einfacher aufgebaut als die Vorlagen, was sie weniger störanfällig macht. Zudem können sie auf diese Weise schneller gebaut werden.“
Sheppard grinste schief. „Dann sind also jetzt wir es, die aufpassen müssen, dass ihre Waffen nicht in feindliche Hände fallen.“
Alexandra Degenhardt nickte ernst. „Sie haben es erfasst. Möglichst keine dieser neuen Waffen sollte im Einsatz verlorengehen.“
Zurück in der Waffenkammer sah sich Sheppard aufmerksam um und meinte: „Wir haben trotz der neuen Waffen auch verdächtig viele der bisherigen mit an Bord genommen, wie mir scheint.“
Generalmajor Degenhardt übergab die deaktivierte Waffe wieder an Anne Teldy und erwiderte dann: „Sie haben richtig beobachtet. Diese Waffen sind dafür gedacht, falls wir Verbündete ausrüsten müssen, denen wir natürlich nicht unsere neuesten Entwicklungen in die Hand zu geben gedenken. Auch mit Notfällen, in denen Energiewaffen versagen oder sich als wirkungslos erweisen, müssen wir rechnen.“
„Verstehe, Sir.“ Der Lieutenant-Colonel sah auf seine Uhr. „Wird wohl langsam Zeit für den Weiterflug?“
Alexandra Degenhardt sah auf ihre eigene Armbanduhr und nickte. „Ja, Lieutenant-Colonel. In fünf Minuten sollten wir wieder auf Kurs sein.“