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Auf Ewigkeit von Sphere

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Zweiter Teil


„Eurem Freund geht es schon viel besser!“ hatte er gesagt. O’Neill hatte recht. Dieser überdrehte, kichernde Zwerg. Sie konnte ihn nicht ausstehen.
Die beiden anderen waren sofort zu Daniel geeilt, aber sie konnte es nicht. Sie schämte sich. Sie stand immer noch an der Wand, rührte sich nicht vom Fleck, traute sich dabei nicht einmal die Augen zu öffnen.
Sie hatte geglaubt auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Daniel hatte ihr in dieser Hinsicht vertraut. Doch sie war völlig gelähmt gewesen, als dann etwas schief gelaufen war, mit dem sie einfach nicht gerechnet hatte. Das hätte ihr nicht passieren dürfen.
Sie hatte Harlan nicht geglaubt. So vernarrt war sie in ihre Erfindung gewesen, dass sie die Wahrheit nicht hatte sehen wollen. Es war nicht unmöglich gewesen, was Harlan behauptet hatte. Sie hatte es gewusst und sie hatte es verdrängt.
Daniel hatte für ihren Fehler bezahlen müssen. Wegen ihr hatte er gelitten. Sie war verantwortlich für das, was passiert war, sie hatte ihm diese Schmerzen zugefügt. An seiner Stelle hätte sie da liegen müssen und sich vor Schmerzen winden. Sie konnte sich nicht ausstehen dafür, dass sie das nicht getan hatte.

Jack und Teal’c waren lange fort, als Sam in der Tür erschien. „Wie fühlen sie sich?“ flüsterte sie.
„Komisch“, antwortete Daniel schwach. „Harlan sagt ich müsse erst eine Weile Energie aus der Station beziehen, bis ich wieder richtig funktioniere.“ Er sah sie an. Er mochte Sam sehr. Manchmal glaubte er sie schon ein Leben lang gekannt zu haben. Es tat ihm weh, dass das Leben in letzter Zeit so grausam zu ihr gewesen war. „Sam – sie brauchen sich keine Vorwürfe machen“, sagte er. „Es war meine Entscheidung. Ich bin sicher, dass sie es nicht versucht hätten, wenn sie nicht überzeugt gewesen wären, dass es funktioniert. Dadurch das es das nicht hat, können wir doch erst herausfinden, woran es liegt.“
Sie schwieg. „Harlan hat mir erzählt, was geschehen ist“, fuhr Daniel fort. „Vielleicht hilft es ihnen, wenn ich sage, dass ich mich nicht daran erinnere. Ich schätze es war einfach nur ein unbewusster Reflex meines... künstlichen Gehirns.“
„Es tut mir so leid.“ Sie schien das, was er gesagt hatte nicht gehört zu haben. „Bitte verzeihen sie mir“, hauchte sie. Er sah den Scherz in ihren Augen und wusste wie sie litt.
Daniel lächelte sie aufmunternd an. „Ich muss ihnen nicht verzeihen, weil ich ihnen auch keinen Vorwurf mache.“
Sam nickte. „Danke“, flüsterte sie, erleichtert darüber, dass er auf gewisse Weise ihre Entschuldigung doch annahm. Aber er sah, dass die Vorwürfe, die sie sich machte, blieben. „Gute Besserung.“ Sie trat einen Schritt zurück und ging dann langsam hinaus.


* * *


Für Jack brach mal wieder eine Welt zusammen. Er hatte einen Fehler gemacht. Er hatte gewagt zu hoffen. Es war die Hoffnung gewesen, sich ein anderes Leben aufbauen zu können. Die Hoffnung, dass sein Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit endlich wahr würde und er sich von hier lösen konnte.
Wie sehr hatte er sich das gewünscht. Das Ziel schien so nahe gewesen zu sein. Wie ein Verdurstender war er darauf zu gelaufen, nur um feststellen zu müssen, dass es eine Fata Morgana war.
Jack fühlte sich leer. Sein ganzes Fantasiegebäude, das er mit Daniel zusammen errichtet hatte, hatte nur auf tönernen Füßen gestanden und war wie ein Kartenhaus zusammengebrochen. Und nun waren er und Daniel hier, nicht bereits auf einem anderen Planeten, sondern hier in seinem Raum, wo sie dieses Wolkenschloss gebaut hatten.
„Neue Welten außerhalb des Stargate-Netzwerks“, stöhnte Jack auf. „Was für ein Unsinn.“
Doch der Einwand, auf den er wartete, blieb aus. Daniel ging es zwar längst wieder gut, aber das änderte nichts daran, dass er im Moment geistig nicht anwesend zu sein schien. „Nun sagen sie’s schon“, forderte Jack ihn auf.
„Was?“ fuhr Daniel aus seinen Gedanken hoch.
„Wir konnten nicht wissen, dass es so kommen würde!“
„Ja“, seufzte Daniel. „Wir konnten es nicht...“
Wenn Jack bei sich zu Hause bei seinem Discman die Batterien gewechselt hatte, war das einzige Problem, das auftreten konnte, dass er keine Batterien hatte. Dank Carter hatten sie aber nun die passenden Mega-Batterien gehabt. Was also hätte passieren sollen? Sie konnten es nicht wissen.
Von wegen!
„Ach, zum Teufel! Natürlich konnten wir“, widersprach er. „Eine Milchmädchenrechnung! Es war noch alles viel zu unausgegoren. Man soll den Bären nicht verkaufen, bevor man sein Fell... sie wissen schon.“
Aber das hatten sie beide natürlich schon vorher gewusst. Dennoch hatten sie nicht anders gekonnt. Hoffnung war ein mächtiges Gefühl. Es enthielt ein unglaubliches Potential. In der Hoffnung und den darin zugrunde liegenden Wünschen und Plänen lag die Wurzel von Revolutionen, die eine Gesellschaft zu stürzten vermochten und zum Grundstein einer neuen werden konnten.
Doch was geschah, wenn das Feuer der Hoffnung erlosch?
„Ich denke auf jeden Fall nicht, dass es Sams Schuld war“, warf Daniel ein, der längst die gleichen Gedanken wie Jack gehabt haben musste.
„Es gibt nur einen der Schuld ist“, knurrte Jack. Es war Harlan gewesen, der alles getan hatte, um zu verhindern, dass sie fort konnten. „Ich hätte ihn erschießen sollen.“
Carter war nicht schuld, selbst wenn sie das zu glauben schien. Nach dem Experiment hatte er sich lange mit ihr unterhalten und sie von ihrer Habgier abzubringen versucht, die alleinige Verantwortung für das Geschehene zu übernehmen. Zu diesem Zeitpunkt war er noch überzeugt gewesen, dass das Experiment nur das erste einer kurzen Reihe wäre, die mit dem Erfolg enden würde. Zwar war die Enttäuschung da gewesen, dass es nicht sofort funktioniert hatte, aber noch war er zuversichtlich gewesen.
Doch wenn er etwas von dem verstanden hatte, was Carter von sich gegeben hatte, dann war es, dass sie dem Ziel doch nicht so nahe waren, wie er es geglaubt hatte. Dass sie ihm nicht so schnell näher kommen würden, wie er das hoffte. Dass sie es vielleicht nie erreichen konnten... Und in diesem Moment war ihm klar geworden, wie gefährlich Hoffnung sein konnte.
Carter hatte sich wieder ins Labor zurückgezogen und geschwiegen. Wenn es ein Problem gewesen wäre, dass sie leicht hätte lösen können, hätte sie es ihm inzwischen gesagt. Früher hatte sie zwar manchmal etwas Zeit gebraucht, aber über kurz oder lang war ihr dann immer die zündende Idee gekommen.
Doch wenn sie eine solche Idee gehabt hätte, dann hätte sie das nicht für sich behalten können. Er hatte Carter noch öfters aufgesucht, aber nie hatte sie etwas in dieser Richtung verlauten lassen. Sie hatte ihn immer nur vertröstet und sein Instinkt sagte ihm, dass dies auch so bleiben würde.
Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren...
Er sah wieder hoch zu Daniel. „Denken sie, das wir es noch schaffen werden?“ sprach er die Frage aus, die ihm schon die ganze Zeit auf der Zunge lag.
Daniel schwieg. In seinem Gesicht arbeitete es und für einen Moment schien es so, als würde er doch noch zu einer Antwort ansetzen wollen. Es wurde nichts daraus. Daniel wich Jacks Blick aus und blieb ihm die Antwort schuldig. Aber schließlich war auch das eine Antwort.
Es ist unmöglich hatte der alte Harlan gesagt. Auch Jack wagte es nicht mehr zu hoffen. Eine nochmalige Enttäuschung hätte er nicht verkraftet.
Wenn man nicht hoffte, konnte man auch nicht enttäuscht werden. Teal’c war weise genug gewesen seine Energie nicht auf etwas zu verschwenden, das er bei besten Willen nicht ändern konnte. Auch Jack würde sich von nun an damit abfinden müssen hier zu bleiben. Falls sich daran noch etwas ändern sollte, gut. Wenn nicht... dann auch gut.

Die anderen machten ihr keine Vorwürfe. Keine einzige abfällige Bemerkung zu dem misslungen Versuch war über ihre Lippen gekommen. Vielleicht wäre es dann einfacher für sie gewesen.
Sam störte es nicht, wenn andere ihr etwas vorwarfen, während sie dachte richtig gehandelt zu haben. Es interessierte sie nicht sonderlich, was andere über sie dachten. Sollten sie sie doch kritisieren, das mochte sie zwar ärgern, spielte aber für sie keine weitere Rolle. Dies mochte keine Einstellung sein, die einer Beförderung in der Air Force sehr zuträglich gewesen wäre, aber in dieser Hinsicht war sie wohl mehr Doktor Carter, als Captain Carter.
Die einzige, die ihr Vorwürfe machen konnte, war sie selbst. Die Vorwürfe, die sie sich selbst machte, waren die einzigen, die sie interessierten – und die an ihr nagten.
Sie war äußerst kritisch sich selbst gegenüber. Fehler bei anderen tolerierte sie ohne Probleme, nur bei sich selbst nicht. Sie konnte sich sagen, dass sie es nicht zu eng nehmen sollte, aber das tat sie trotzdem.
Der Reaktor war falsch gebaut gewesen. Schlimm genug, aber es war aber weniger das Scheitern an sich, das sie aufwühlte, sondern dass sie es überhaupt soweit hatte kommen lassen. Sie hätte von Anfang an gründlicher arbeiten müssen. Sie war sich ihrer Verantwortung bewusst gewesen und sie hatte sich dieser nicht als würdig erwiesen. Sie hatte einen Fehler gemacht, der ihr nicht hätte passieren dürfen.
Der Colonel hatte versucht ihr das auszureden. Und natürlich war er der Commanding Officer, aber er hatte ihr ja nichts befohlen und sie beide wussten, dass er sich auf ihr Urteil verlassen hatte. Zwar war Daniel ebenfalls mit dem Versuch einverstanden gewesen, aber er hatte keine Ahnung gehabt. Keiner von ihnen hatte Ahnung gehabt.
Wenn dagegen sie sich gesperrt hätte, dann hätten sie das akzeptieren müssen. Hatte sie sich gesperrt? Nein. Das war ja das Problem.
Diese Scharte musste sie wieder auswetzen. Nicht für die anderen. Nicht für ihren eigenen Wunsch hier fort zu kommen. Allein, um vor sich selbst das Gesicht zu wahren.
Sie war wieder im Labor und versuchte eine Lösung für ihr Problem zu finden. Es ist unmöglich hatte Harlan prophezeit. Was wäre, wenn er Recht behalten würde?


* * *


In den nächsten Jahren versuchte Jack ernsthaft sich anzupassen. Er begann nun regelmäßig die Station zu reparieren.
Das war einfacher, als es auf den ersten Blick erschien. Normalerweise hätte jeder von ihnen sehr viel Zeit benötigt, um den Umgang mit den Geräten zu lernen. Da ihnen allerdings Harlan das nötige Wissen einfach in ihre Gehirne gespeichert hatte, waren diese Fähigkeiten sozusagen angeboren. Immer, wenn Jack etwas über die Technik der Station wissen musste, war die Lösung plötzlich einfach da und er wusste, was zu tun war.
Immer wieder improvisierte er bei seiner Arbeit aus Schrott Ersatzteile. Obwohl dies nicht zu dem eingeimpften Wissen gehörte, war er darin richtig gut.
Er unterhielt sich sogar mit Harlan. Eigentlich konnte er ihn nicht ausstehen. Seine ganze Art war nur als nervend zu beschreiben. Wenn man sowieso schon etwas gereizt war, konnte er einen auf die Palme bringen. Des weiteren vermochte Jack einfach nicht zu vergessen, dass sie letztlich Harlan das Schlamassel verdankten, in dem sie saßen. Doch zu hassen vermochte er ihn dafür nicht. Harlan hatte irgendetwas an sich, das dies verhinderte. Außerdem sah Jack ein, dass eine offene Feindschaft zu jemandem, mit dem man über einen nicht absehbar langen Zeitraum zusammen leben musste, sicherlich nicht förderlich für ihn gewesen wäre.
Also arrangierte er sich mit ihm und versuchte mehr oder weniger normal mit ihm zusammenzuleben und zu arbeiten. Manchmal setzte Harlan sich zu ihnen, wenn Jack sich gerade mit Teal’c oder Daniel unterhielt. Er ließ ihn, aber den einen oder anderen Seitenhieb auf ihn konnte er dann doch nicht unterdrücken. Harlan war darüber allerdings nie beleidigt, er lachte höchstens, was vielleicht mit ein Grund dafür war, dass man ihm einfach nicht auf Dauer böse sein konnte.
Doch obwohl er sich auf den ersten Blick eingelebt hatte, musste Jack letztlich zugeben, dass er nur so tat, als würde er sich anpassen. Er machte sich damit selber etwas vor. Mit der Zeit wurde er dadurch immer gereizter und nervöser. Er merkte es, konnte aber nichts dagegen tun. Jede Kleinigkeit begann ihn aufzuregen. Er vermochte es einfach nicht, sich mit der Situation abzufinden. Im Gegenteil: seine Situation war es, die ihn so zur Weißglut brachte. Und er hatte nicht einmal mehr die Perspektive daran etwas ändern zu können. Er musste es akzeptieren, konnte es aber nicht.
Seit Ewigkeiten hatte er Sam nicht mehr zu Gesicht bekommen. Sie hatte sich eingeschlossen und tat so, als ob sie ihnen keine Rechenschaft schuldig wäre.
Es war interessant, über was sich der Mensch alles aufzuregen vermochte. Darunter waren teilweise Dinge, die er sonst nie wahrgenommen hätte. Diese Kleinigkeiten mochten Tropfen sein, doch wie es so schön hieß, steter Tropfen höhlt den Stein. Dieses kleine Blechstück, dass es wagte, ihm im Weg zu liegen zum Beispiel. Ein Tropfen konnte ein Fass zum überlaufen bringen.
Die Station leitete Wasser in die Tiefen des Planeten, wo es durch die außergewöhnlich hohe Temperatur dort unten erwärmt und wieder zutage gefördert wurde. Aus dieser Wärme gewannen sie ihre Energie. Das Problem dabei war, dass mit dem Wasser alle mögliche Stoffe mit nach oben gespült wurden, die chemisch gesehen so aggressiv waren, dass sie selbst den besten Edelstahl mit der Zeit zerfressen hätten – und dieser Schrott hier sah ihm bereits sehr mitgenommen aus.
Jack reparierte eine der unzähligen Wasserleitungen. Jahrelang hatte er nichts anderes getan, als irgendetwas zu reparieren und es begann ihn aufzuregen. Reparieren war nicht sein Ding. Er war Soldat, er musste etwas tun.
Es machte ihn rasend. Dieses Rohr hatte er bestimmt vor kurzem schon einmal geflickt. Alles, alles kotzte ihn förmlich an. Er hatte das dringende Bedürfnis irgendwohin zu schlagen. Das Licht war hier absolut unter aller Sau. Er konnte nicht sehen, was er hier so bescheuert zusammenbasteltete. Die Schraube klemmte. Jetzt lag auch noch der Schraubenschlüssel so weit unten im Werkzeugkasten.
„Achtung! Undichte Stelle in Abschnitt 37, Sektion 2. Dringende Wartung erforderlich.“ O’Neill hasste den Klang der Stimme des Stationscomputers und dessen ständiges Genörgel. Es regte ihn auf und jetzt war er auch noch so blöd, dass ihm diese verfluchte Schraube aus der Hand glitt und irgendwo im Dunkel verschwand.
VERDAMMT! Er trat gegen das Rohr. Es zerbarst und die Trümmer schlitterten über den hässlichen schwarzgrauen Boden. Das war so klar gewesen: das Rohr führte nichtmal Wasser sondern nur heiße Luft!
Heiße Luft! Es gab hier noch jemanden, der nichts als heiße Luft produzierte. Carter hatte sich jetzt lange genug in ihrem verfluchten Labor verkrochen. Jack warf den schweren Schraubenschlüssel nach den Resten des Rohrs. Natürlich traf er nicht. Mit all dieser Wut im Bauch stürmte er durch die Korridore. Wie eine unaufhaltbare Naturgewalt durchpflügte er die Luft.
Als er das Labor erreichte, marschierte er achtlos an dem Montagekäfig vorbei, in den Raum mit der Liege und wummerte dort gegen die Tür. „Carter, machen sie auf!“
Keine Antwort.
Zur Hölle mit den Umgangsformen. Früher hatte er auch nicht immer auf das „Herein“ gewartet. Er öffnete die Tür. Neben ihm schlug ein schwerer Maschinenblock dumpf gegen die Wand, den er früher bestimmt nichtmal hätte hochstemmen können.
„Raus!“ fuhr ihn Carter an, die dieses Teil geworfen hatte.
Jack stand da wie ein Fels. Vor einer Ewigkeit hätte er die Situation sicher mit einem flapsigen Spruch entschärft, doch diesmal nicht. Er stand mit verschränkten Armen in der Tür und fixierte sie.
„Es funktioniert nicht.“ fluchte Carter, wie um sich zu rechtfertigen.
„Das will ich aber nicht hören!“ schrie Jack auf einmal los.
„Sie haben doch keine Ahnung!“ schrie sie zurück. „Sie wissen doch überhaupt nicht, um was es hier geht, für sie ist Physik doch ein Fremdwort. Ich habe Ahnung davon. Ich weiß es! Und ich sage ihnen, es ist unmöglich!“
„Eines weiß ich auf jeden Fall ganz genau,“ dröhnte er. „Wir werden hier elend verrecken, wenn sie es nicht möglich machen.“
„Das ist mir verdammt bewusst, Colonel und ich sage ihnen, ich tue alles, was in meiner Macht steht, doch ich kann leider nicht hexen.“
„Dann lernen sie es, Captain, dann lernen sie es!“ schnauzte er, drehte sich um und verschwand.

Mit einem dumpfen Geräusch fuhr die Tür hinter dem Colonel zu. Sam entspannte sich wieder. Es hatte gut getan, all ihren Frust aus sich herauszuschreien. Sie lachte in sich hinein. Diese Situation machte ihnen allen zu schaffen. Es war klar gewesen, dass sie eines Tages aneinander geraten würden. Sie versuchte wieder zu Atem zu kommen und zog sich einen der Drehstühle heran.
O’Neill hatte völlig Recht gehabt, auch wenn er vor allem wahrscheinlich genau wie sie nur die Absicht gehabt hatte sich abzureagieren. Sie war ihm nicht böse, denn er hatte sie wach geschüttelt. In letzter Zeit hatte sie kaum etwas zustande gebracht. Es war inzwischen eine Ewigkeit vergangen, viel mehr als diese lächerlichen fünf Jahre und in all der Zeit war sie ihrem Ziel nicht näher gekommen. Ihre ganze Motivation war kurz davor gewesen sich vollständig in unproduktiven Frust umzuwandeln.
Wenn sie aufgab, gab es wirklich keine Hoffnung mehr. Sie würden hier bis in alle Ewigkeit bleiben müssen. Bei diesem Gedanken lief ihr immer ein Schauer über den Rücken.
Ein letztes Mal brachte sie all ihre Energie auf, um das Problem zu lösen.

Es ist unmöglich...


* * *


Jack kehrte in die Halle mit dem Rohr zurück, das er zerschmettert hatte. Wer hatte behauptet, dass ein Wutausbruch Erleichterung verschaffen konnte?? Jetzt hatte er ein kaputtes Rohr mehr, dass er ersetzen musste. Er hatte Glück gehabt, dass es kein kochendes Wasser geführt hatte, wie es eigentlich hätte sein sollen. Das wäre dann ganz schön unangenehm geworden. Aber was vielleicht noch schlimmer war, dass er Carter angebrüllt hatte.
Er holte aus, um gegen den Werkzeugkasten zu treten, hielt aber dann doch inne. Die Vorstellung von Werkzeugen, die durch die Halle flogen und die er dann alle wieder auflesen durfte, gefiel ihm nicht. Er hatte sich mit Carter gestritten, ihr sarkastische Bemerkungen zugeworfen, aber er konnte sich nicht daran erinnern sie jemals ernsthaft angebrüllt zu haben. Angebrüllt, nur um seine Wut an ihr auszulassen.
Er hatte ihr nie gesagt, was er von ihr hielt. Niemals. Vielleicht hatte er gegenüber Daniel oder Teal’c mal geäußert, dass ihn ihre Fähigkeiten beeindruckten. Sie war unglaublich clever und schien einfach für alles eine Erklärung zu haben. Aber seine Bewunderung für sie beschränkte sich nicht nur auf die professionelle Ebene.
Jetzt gab er dem Werkzeugkasten doch einen kleinen Schubs und beobachtete, wie er zur nächsten Wand schlitterte. So war er erst einmal aus dem Weg, während er die Trümmer des Rohrs auflas.
Wenn er sich fragte, wann er angefangen hatte so zu empfinden, musste er ehrlich sagen, dass er es nicht wusste. Die Wurzeln dafür lagen noch auf der Erde, aber darüber im Klaren war er sich erst hier geworden. Überhaupt hatte es eine Weile gedauert, bis er sie als Frau überhaupt wahrgenommen hatte. Irgendwann hatte er erkannt, dass es nicht Sara war, der er nachtrauerte, sondern seiner Ehe im Allgemeinen. Er konnte sich nicht vorstellen, wieder mit ihr zusammenzuleben. Jede Minute davon hätte sie beide an ihren toten Sohn erinnert. Andererseits erinnerte ihn Carter ein wenig an Sara...
Er und Carter waren gute Freude und er glaubte zu wissen, dass sie ihn gut leiden konnte. Doch sie beide waren von Anfang an auf Distanz geblieben. Dabei war es schon ein wenig merkwürdig, wenn man manchmal spät in der Nacht zusammen mit Freuden im Wohnzimmer einer Person saß, die einen selbst nach dem einen oder anderen Bier noch konsequent mit Sir anredete. Dabei wusste er, dass er keinen Deut besser war. Manchmal vergaß er sogar, dass Carter einen Vornamen hatte.
Er wusste, wie sehr sie in ihrer Arbeit aufging, aber immer, wenn sie versuchte darüber zu reden, würgte er sie gerne ab. Manchmal reduzierte er sie einfach auf Carter, sagen sie uns einfach, ob sie es reparieren können.
Eigentlich war das für ihn normal. Er behandelte Daniel ähnlich und meinte es nicht böse. Es war für ihn mehr eine Mischung zwischen freundschaftlicher Stichelei und der Einstellung, dass sie und Daniel sich überall austoben konnten, ihn damit aber verschonen sollten. Er würde sich jedem anderen gegenüber genauso verhalten. Hätte er Carter reden lassen, wäre das einem Eingeständnis gleichgekommen. Außerdem konnte er dieses Technikgeschwätz einfach nicht ertragen, selbst wenn er es gewollt hätte.
Mit den Überresten des Rohres war nichts mehr anzufangen. Er würde ein ganz neues Rohr einbauen müssen.
Als sich damals dieser glattrasierte Tollaner für sie interessiert hatte, hatte er sich noch für sie gefreut. Jetzt war er froh, dass der Typ bei den Nox war und da auch hoffentlich bleiben würde.
Es war auf einer ihrer letzten Missionen gewesen, als er und Carter nicht im SGC, sondern aus dem zweiten Tor auf der Erde herauskamen, das in der Antarktis lag. Das hatten sie damals natürlich nicht gewusst und sie hatten die Antarktis für einen Eisplaneten gehalten. Wer konnte denn schon ahnen, dass es auf der Erde ein zweites Tor gab, das nur nicht mehr richtig funktionierte? Der Grund wegen dem sie von dort aus nicht auf die Erde hatten zurückkehren können, war allerdings nicht der Schaden am Tor gewesen, sondern die Tatsache, dass sie sich bereits auf der Erde befunden hatten.
Er war damals verletzt gewesen und als Carter trotz aller Reparaturversuche die Erde nicht hatte anwählen können, hatte er ihr befohlen auf die Oberfläche zu gehen und dort ihr Glück zu versuchen. Natürlich hatte dies einige Überzeugungsarbeit gekostet, was wohl normal war. Oder normal sein sollte. Er hatte leider schon gegenteilige Erfahrungen gemacht.
Dort oben war bis zum Horizont nichts als Eis und Schnee gewesen, aber anstatt einfach in der Hoffnung loszulaufen etwas oder jemanden zu finden, war sie zu ihm zurückgekommen um mit ihm zu sterben. Normal?
Schon vorher hatte sie etwas zu ihm gesagt, an das er sich noch ganz genau erinnerte, obwohl er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr völlig bei sich gewesen war. Innere Blutungen waren nun mal eine hässliche Sache, vor allem wenn noch Minustemperaturen dazukamen. Er hatte das Gefühl gehabt sich gleichzeitig zu Tode zu schwitzen und zu erfrieren. Trotzdem wusste er noch genau, was sie damals zu ihm gesagt hatte. Colonel. hatte sie gesagt. Falls wir es nicht schaffen sollten... Ich bedaure nichts.
Hölle, was hatte sie damit gemeint? Was war es, dass sie nicht bedauerte? In diesem Augenblick hatte er geglaubt es zu verstehen und gleichzeitig bezweifelt, dass sie ehrlich war. Ich bedaure es hatte er geantwortet ... zu sterben.
Heute zweifelte er an der Deutung dieses kleinen Satzes im Angesicht des Todes. Verdammt, was machte er sich überhaupt für Hoffnungen? Sie würde nicht so auf Distanz bleiben, wenn sie ähnlich fühlen würde. Außerdem hatte sie etwas besseres verdient als einen alten Kotzbrocken wie ihn!
Doch selbst, wenn sie sich beide darüber klar gewesen wären, was sie empfanden – er hätte es nie ausgesprochen, er hätte es immer verleugnet. Sogar vor sich selbst. Er wusste, dass wenn er sich eingestanden hätte sie zu lieben, er nicht mehr in der Lage gewesen wäre zuzulassen, dass ihr Leben in Gefahr geriet. Zu dem Job von ihnen allen gehörte aber nun mal ein gewisses Risiko.
Carter liebte ihren Job genau wie er. Das Problem war wohl, dass ihm nicht nur seine Arbeit an sich etwas bedeutete, sondern auch das Arbeiten mit Carter zusammen. Doch sie konnten nur so zusammenarbeiten, wie sie es bisher getan hatten. Anders hätte es einfach nicht funktioniert.
Jack hatte einmal eine mehr oder weniger offene Beziehung aus der Entfernung mitbekommen und er hatte den Schmerz und die Verzweiflung ins Johnsons Gesicht gesehen, als ihr Freund damals von einem irakischen Scharfschützen niedergestreckt wurde. Er wollte nicht, dass dieser Ausdruck eines Tages in Sams Gesicht stehen würde. Wenn er Johson damals nicht aus dem Schussfeld gezogen hätte, wäre auch sie gestorben.
Deswegen gab es Vorschriften, die eine Beziehung zwischen Mitgliedern einer Einheit streng untersagten. Hätte er dagegen verstoßen, hätte nichts mehr funktioniert. Er wäre nicht mehr in der Lage gewesen Carter zu befehlen, ein Risiko auf sich zu nehmen, selbst wenn dies absolut notwenig für den Rest des Teams gewesen wäre.
Diese Vorschriften galten hier zwar nicht mehr, doch solange auch nur der Hauch einer Chance bestand, dass sie SG-1 wieder beleben könnten, würde er nichts in dieser Richtung unternehmen. Dann würden sie diese Vorschriften nämlich wieder brauchen, schließlich entsprangen sie zumindest in diesem Fall nicht der Laune eines Büroheinis, sondern einfach der Notwendigkeit.
Er warf all die Bruchstücke des Rohrs in eine Ecke der Halle. Dort würden sie bis auf weiteres bleiben. Viel war damit sowieso nicht mehr anzufangen. Ein Schrotthaufen mehr. Manchmal wünschte sich Jack, der Umgang mit emotionalem Ballast wäre genauso einfach.


* * *


Sam stand einsam inmitten der Halle zwischen den Werkzeugmaschinen und fixierte einen Punkt irgendwo vor ihrer Nase. Ewigkeiten waren vergangen. Sie wusste alles, was es zu wissen gab. Sie hatte Aspekte, die sie früher links liegengelassen hatte, von jedem möglichen Standpunkt betrachtet, sie hatte alle Möglichkeiten durchgespielt. Sie hatte ihr synthetisches Gehirn genutzt bis es zu qualmen schien und das alles nur, um zu einem Schluss zu kommen: es ist unmöglich!
Jede Energiequelle wurde mit einer Fertigungsungenauigkeit gebaut. Für alle profanen Geräte, die sie gekannt hatte, war diese nie von Bedeutung gewesen. Aber Harlan war so genial gewesen, dass er ihre Körper exakt auf die fertigungsbedingten Eigenheiten der Energiequelle der Station eingestellt hatte. Es war kein physikalisches, sondern ein technisches Problem: sie konnte mit ihrem Naquadareaktor niemals die Quelle der Station nachahmen. Es war unmöglich, das hatte sie nun erkannt.
Das war auch der Grund dafür, dass sie nicht noch ein Experiment ansetzte. Es gab einfach keine Chance auf Erfolg. Sie hatte seitdem soviel gelernt. Sie hatte den Mechanismus erkundet, der sie an die Quelle der Station band. Sie wusste, was in Daniel an diesem verhängnisvollen Tag abgelaufen war, doch es hatte ihr nichts eingebracht, außer die Kenntnis ihrer Ohnmacht.
Dennoch war sie nicht bereit aufzugeben, sie versuchte immer noch eine Lösung zu finden, war einfach nicht bereit aufzugeben. Vielleicht hatte sie etwas übersehen. Doch ihre Gedanken bewegten sich immer nur im Kreis. Es gab keine Idee, die sie noch nicht verfolgt hätte. Sie konnte den Reaktor nicht verändern, sie konnte ihre Körper nicht verändern, zu tief greifend war die Anpassung. Was blieb also noch?
Es fiel ihr schwer sich zu konzentrieren. Ihre Gedanken schweiften immer wieder ab, als ob sie versuchen würden neue Wege zu finden. Doch da war nichts, außer den alten ausgetrampelten Pfaden. Alles, worüber sie in Sachen Reaktor nachdenken konnte, hatte sie bereits mehrfach durchgekaut bis ans bittere Ende verfolgt. Sie konnte sich nur noch wiederholen – und dabei verlor sich ihr Geist dann immer wieder.
Gefangen zwischen dem Wunsch sich mit dem Thema auseinander zu setzen und der Unfähigkeit sich völlig davon zu lösen, blieben ihre Gedanken irgendwo im Nichts hängen, ohne das Sam zu sagen vermocht hätte, was sie da taten. Erst Tage, Monate später schreckte sie dann jedes mal wieder auf, realisierte, was sie getan hatte und verfluchte sich. Als ob sie nichts besseres zu tun hätte! Sie hätte diese Zeit produktiver nutzen können. Dann versuchte sie sich immer wieder zusammenzureißen, nur um sich wieder zu verlieren.
Als sie damals behauptet hatte es sei unmöglich, hatte sie keine Ahnung gehabt, von was sie sprach. Trotzdem es war so. Es war unmöglich.


* * *


Es hatte für sie nie einen konkreten Augenblick gegeben, in dem sie beschlossen hatte, es aufzugeben. Dennoch hatte sie es getan.
Immer wieder hatte sie das Labor verlassen, um in diesem Fall ganz bewusst auf andere Gedanken zu kommen und sich aus den ewigen Kreisbahnen zu lösen, in der sich ihre Gedanken verfingen. Sie musste sowieso nichts mehr ausprobieren oder nachlesen, sie hatte alles, was sie brauchte im Kopf. Wozu also zurück ins Labor?
Die Abstände ihrer Besuche dort wurden immer größer. Irgendwann war sie dann wirklich nicht mehr dorthin zurückgekehrt. Sie würde in ihrem Leben nie wieder dorthin gehen.
Sie saß in ihrem Raum, der immer noch völlig leer war, und lehnte an der Wand. Dort verbrachte sie Jahre mit der Betrachtung ihrer Hand. Sie wusste bis ins kleinste Detail wie sie aufgebaut war, wie sie funktionierte, wie sie ihre Befehle erhielt und wie sie sich selbst wartete. Es war äußerst beeindruckend.
Sie hatte bestimmt eine bessere Vorstellung über ihren Körper und seine Vorgänge als damals die Mediziner auf der Erde. Doch was nutze es ihr? Sie hatte ihr ganzes Leben dafür verschwendet, einen Weg aus diesem Gefängnis zu finden. Ihr ganzes altes Leben, war im Vergleich zu der Dauer, in der sie eben das versucht hatte, nur ein Augenblinzeln gewesen. Und doch war sie gescheitet.
Alle Energie, die sie darauf verwand hatte, ihr Enthusiasmus, ihre Besessenheit, all die Gaben ihres Verstandes und sie hatte es nicht geschafft. Jetzt war sie ausgetrocknet, nicht einmal in der Lage mehr, sich etwas vorzuwerfen.
Aber dazu würde sie ja noch genügend Zeit haben...

Der Ausschlag des Pendels wurde immer kleiner und kleiner, bis es schließlich vollends zur Ruhe kam. Es war also vorbei. Es hatte lange gedauert, bis diese Nachricht Teal’c erreichte. Zu überraschen vermochte sie ihn nicht mehr. Er hatte es längst gewusst.
Tief in seinem Inneren hatte er bis zuletzt gehofft. Letztlich war es diese Hoffnung gewesen, die ihn angetrieben hatten, etwas für die Station zu tun. Er hatte gehofft sie als Ausgangsbasis für sein neues Leben zu verwenden zu können – aber nicht als ewige Heimat. Ein Krieger, der sein ganzes Leben zu Hause verbrachte war kein Krieger mehr. Es widersprach seiner Kultur und Erziehung hier zu sein.
Teal’c erhob sich vom kalten Fußboden. Sein Körper war über all die Jahrhunderte, in denen er hier gesessen hatte, nie im Stande gewesen, ihn zu erwärmen. Die Körperwärme war zwar da, ließ sich aber vom kalten Boden leicht aufsaugen und wurde von seinem Körper nicht schnell genug nachgebildet, denn auch sie war nur Fassade.
Teal’c überlegte sich, ob er wieder nach draußen gehen sollte, um zu reparieren. Inzwischen half jedoch O’Neill Harlan bei dieser Sache, so dass er dafür nicht wirklich gebraucht wurde. Ob die Reparaturen heute überhaupt noch einen Sinn machten, war er sich nicht sicher. Aber selbst wenn, so fehlte ihm sowieso die Energie dafür. Er war müde geworden. Also beschränkte er sich darauf, dass Pendel wieder anzuheben und in Schwingung zu versetzten. Es würde ihm helfen, über dieses Thema zu meditieren.


* * *


Die ersten tausend Jahre waren die schlimmsten – nicht, dass die folgenden viel besser gewesen wären.
Die Menschen sagten, man würde sich mit der Zeit an alles gewöhnen. Sie hatten keine Ahnung. Nicht nur, dass sie überhaupt keine Vorstellung hatten, wie lange Zeit sein konnte, es stimmte auch schlicht und einfach nicht.
Harlan hatte behauptet, dass Jack sich nach ein paar hundert Jahren an das Leben hier gewöhnen würde. Hatte er sich daran gewöhnt? Nein, er hatte sich allenfalls damit abgefunden. Keiner von ihnen gewöhnte sich völlig an diese Existenz.
Unsterblichkeit war einer der Urträume der Menschheit. Alte Legenden rankten sich um Helden, die sich auf die Suche nach ihr begaben und noch in der Neuzeit hatte es ähnliche Geschichten gegeben. Sie dagegen hatten die Unsterblichkeit nie gesucht. Sie hatten niemanden darum gebeten. Jetzt wussten sie, dass Unsterblichkeit kein Segen war. Sie war ein Fluch.
Ein langes Leben mochte Sinn für jemanden machen, der mehr in seinem Leben vorhatte, als er verwirklichen konnte. Dies mochte das edle Ziel sein, die Welt besser zu gestalten oder auch nur die ausgiebige Befriedigung der eigenen Wünsche. Doch selbst für diese Leute wäre das Leben nach erreichen ihrer Ziele sinnlos geworden.
Nichts davon ließ sich hier realisieren. Wenn es wirklich stimmte, dass Gott tot war, es ihn nie gegeben hatte, dass der Menschheit keine Aufgabe im Universum zugedacht war oder das Individuum mit dem Wohlwollen eines gütigen Gottes lebte, dann blieb dem Menschen nur, sich seine eigenen und ganz persönlichen Ziele zu schaffen. Doch wie sollten die hier aussehen?
Hier gab es keine Ziele, nichts war hier wichtig. Es gab nur das eine: den nicht endenden Kampf ums Überleben. Sie mochten unsterblich sein, doch sie würden die Ewigkeit damit verbringen Tag für Tag um ihr Leben zu kämpfen. Die Station war ihre Existenzgrundlage, aber der Versuch ihren Verfall zu bremsen eine Arbeit ohne Aussicht auf Ende – kaum war etwas repariert, war schon wieder etwas anderes kaputt.
Wenn das Leben nicht schon von vornherein sinnlos war, dann wurde es das hier. Der Mensch war einfach nicht geschaffen ewig zu leben. Es lag in der Natur allen Lebens, abzutreten um Platz für etwas neues, vielleicht besseres zu schaffen. Das lag nicht nur an einer anfälligen Biologie; nur so hatte es Evolution geben können.
Keiner von ihnen hätte sagen können, warum sie es nicht einfach geschehen ließen, warum sie nicht einfach zu irgendeinem Planenten reisten und ihren Energievorrat versiegen ließen. Warum sie die Station nicht einfach dem Verfall überantworteten und auf ihr Ende warteten. Wozu sollten sie noch den Aufwand betreiben, wenn das Leben sowieso keinen Zweck hatte.
Vielleicht fehlte ihnen dazu jetzt die Verzweiflung, die sie anfangs erfüllt hatte und die inzwischen dem verhassten Gefühl der Normalität gewichen war. Vielleicht war es aber auch der letzte Rest ihres Menschseins, an den sie sich klammerten. Der Selbsterhaltungstrieb war ein Urtrieb allen Lebens. Vielleicht fehlte ihnen aber auch einfach der Mut diesen letzten Schritt zu tun...

Wenn Sam auf ihr Leben zurückblickte gab es da nichts, auf das sie stolz sein konnte. Alles, was sie auf der Erde erreicht hatte, konnte sich jetzt die Andere als Verdient anrechnen und das, was sie hier „geleistet“ hatte, war ein Armutszeugnis.
Es mochte schon sein, dass sie einen Naquadareaktor gebaut hatte. Ganz toll, schön klein. Sie konnte damit den dummen Laptop von der Erde betreiben, zu mehr was das Ding letztlich nicht gut gewesen. Doch nichtmal dazu hatte es genutzt. Nach ein paar Jährchen, in denen der Laptop eifrig vor sich hin gebrummt und sie daran erinnert hatte, wie anstrengend sinnloses Nichtstun sein konnte, hatte er den Geist aufgegeben.
Der Reaktor indessen war fröhlich weitergelaufen. Inzwischen musste ihm das Naquada ausgegangen sein. Vielleicht war er auch durchgeschmort. Das war völlig egal.
Sie hatte ihr ganzes Leben mit dem Bau dieses Dings verbracht und versucht, es für sie nutzbar zu machen. Völlig umsonst. Sie war unfähig, ob ihr das nun gefiel oder nicht.
Früher hatte sie einmal geglaubt, das alles, was physikalisch möglich sei, auch machbar wäre. Sie war an einer bloßen technischen Schwierigkeit gescheitert. Da, seht her, die große Physikerin. Wahrscheinlich die beste der Air Force.
Ja. Man sah es.
Wenn sie jemals auch nur einen Hauch von Genialität gehabt hatte, dann hatte die Andere ihr nichts davon vererbt. Die Andere war immer erfolgreich gewesen. Der Major! Sie hätte es sicher geschafft, den Reaktor anzuschließen.
Sam hatte die ganze Zeit versucht vor sich selbst zu beweisen, dass sie ebenso viel Wert war wie die Andere. Sie hatte kein Abklatsch von dem sein wollen, was sie einst gewesen war. Deshalb hatte sie versucht sich einen Platz als Gleichberechtigte neben der Anderen zu erkämpfen.
Doch sie war durch ihre eigene Prüfung gefallen. Sie konnte nichts vorweisen, war also doch nur die minderwertige Kopie. Ein Echo, das im Nichts verhallte. Damit verlor ihr Leben im gleichem Maße an Wert. Alles, was sie tat, würde von der Anderen besser gemacht werden können. Wenn sie Ihr auf einem Gebiet unterlegen war, galt dies womöglich auch für andere Bereiche. Sie konnte noch viel mehr Schwächen haben. Vielleicht war sie nur darauf programmiert sie nicht zu bemerken.
Früher war sie einzigartig gewesen und die Fehler, die sie gemacht hatte, waren ihre Fehler gewesen. Doch als Kopie hatte für sie nicht mehr der Grundsatz zu gelten Ich bin ich und das ist auch gut so, sondern Sie ist Sie und ich sollte so sein wie Sie. Es war nicht einfach nur so, dass die Andere ihr Leben gelebt hatte, sondern Sie hatte ihr auch noch die Möglichkeit genommen ein eigenes Leben zu führen, das den Namen „Leben“ auch verdiente und nicht etwa neben dem der Anderen in Bedeutungslosigkeit versank.
Sie würde es nie schaffen, sich aus dem Schatten ihres erdrückenden Vorbilds zu lösen. Diese Chance war endgültig vorbei, selbst der Tod der Anderen würde daran nichts ändern. Ihr Leben war gescheitert. Alles, was Sam blieb, war die Verbitterung über ihr eigenes Versagen.

Nur langsam war in Jacks Bewusstsein gedrungen, dass die Anderen tot sein mussten. Sorgfältig hatte er deren Existenz verdrängt, doch irgendwann kam die Erinnerung wieder ans Tageslicht, so wie eine Luftblase, die völlig unverhofft aus den Tiefen des Meeres auftauchte. Sie hatten Sie überlebt. Die Anderen waren längst tot.
Jack wusste, das dies für Sam keine Probleme löste, aber er fühlte sich jetzt endlich wieder wirklich und unumstößlich einzigartig im Universum. Es gab keinen Zwilling mehr, an dem er sich hätte messen müssen. Das Universum mochte Platz für alle haben, aber in seinem Geist war nie Raum für sie beide gewesen. Es war eine Erleichterung endlich frei zu sein.
Falls einem von uns irgendetwas zustoßen sollte, hilft es mir zu wissen, dass wir in euch weiter leben werden. Sam hatte Jack irgendwann von diesem Satz ihres Vorbildes erzählt. Das war nichts besonderes, sie alle hatten sich im laufe der Zeit so ziemlich alles erzählt, was überhaupt zu sagen war.
Keiner von ihnen hatte es den Andern je verziehen, dass sie ihnen ihr Leben weggenommen hatten. Dennoch hatte das Wissen, dass da draußen jemand war, der trotz allem dieses Leben weiterführte, zumindest auf Jack irgendwie beruhigend gewirkt. Sie waren es, die in Wirklichkeit in den Anderen weitergelebt hatten und nicht umgekehrt. Das hatte ihn über sein eigenes Dasein ein wenig hinweggetröstet. Er mochte nicht an Seinem Leben teilhaben können, aber dennoch fand es statt. Oder hatte stattgefunden.
Dies war jedoch nun vorbei. Jetzt waren sie zwar frei, aber ob sie es wollten oder nicht – ein Teil von ihnen war mit den Anderen gestorben. Die Anderen hatten ihr Leben gelebt, nicht sie hier auf PX3989. Mit dem Ende der Lebensspanne der Anderen war auch ihr Leben vorbei gewesen. Damit wurden sie zu Relikten einer Zeit, die längst hätte vergessen sein müssen.
Zweifellos hatten die Menschen der Erde sie längst vergessen. Das lag nicht einmal an ihrem mickrigen Gedächtnis. Es war einfach ihre kurze Lebensdauer nach Art der Eintagsfliegen. Ehe sie sich versahen waren sie schon wieder tot und nahmen all ihre Erinnerungen mit sich.
Selbst, wenn sie nur ein Jahrhundert weg gewesen wären – für die Menschen existierten sie nicht mehr. Sie hatten ihnen sowieso nie eine Träne nachgeweint.

Sam Carter hockte noch immer auf dem kalten Fußboden in ihrem Raum und brütete vor sich hin. Es brachte nichts ziellos durch die Station zu wandern. Der Gedanke an ihre Unfähigkeit verfolgte einen überall hin.
Es gab nichts mehr für sie zu tun. Die anderen kümmerten sich um die Station, ihr Job war es gewesen, sie hier heraus zu bringen. Das sie das nicht geschafft hatte und nie schaffen würde, würde sie sich niemals verzeihen. Vielleicht konnte sie es irgendwann verdrängen und unter irgendwelchen immer dicker werdenden Schichten ihres Unterbewusstseins begraben. Doch das änderte nichts daran die Verbitterung da war und immer bleiben würde. Wie ein Splitter in ihrem Kopf – der sie verrückt machte.
Am liebsten hätte sie sich diesen Gedanken noch eine Weile hingegeben, aber irgendwann klopfte es an der Tür. Immer wenn man allein sein wollte, schien es jemanden zu geben, der etwas dagegen hatte.
„Herein“, hörte sie sich sagen.
Es war O’Neill. Er wirkte etwas desorientiert, wie es so in der Tür stand. Vielleicht auch einfach nur unsicher. „Hi“, sagte er.
„Hi“, erwiderte sie langsam.
„Kann ich reinkommen?“
„Ja“, antwortete sie, blieb aber in ihrer Ecke sitzen, ein Knie an sich rangezogen. Stühle hatte sie sowieso keine. Die schwere Tür surrte hinter ihm wieder zu.
„Ich wollte mich nur dafür entschuldigen, dass ich vor... dass ich neulich so unfreundlich war. Ich hätte sie nicht anschreien sollen.“ Er betrachtete interessiert seine Füße.
„Das ist okay“, sagte sie langsam. „Eigentlich sollte ich ihnen dafür danken. Es hat mich für eine Weile wachgerüttelt.“
Er schwieg lange. Eine Eigenheit der Gespräche von Unsterblichen war es, dass sie lange Pausen in einer Unterhaltung ließen. Sie hatten genügend Zeit dafür. „Es funktioniert nicht, oder?“ fragte er dann direkt.
Sam schüttelte den Kopf. Dabei horchte sie in sich hinein, ob da nicht vielleicht irgendwo im Unterbewusstsein doch ein Gedanke war, der Einspruch erhob. Doch da war nichts. Kein Wunder. Vielleicht mochte das Problem lösbar sein, aber dazu war sie auf jeden Fall nicht fähig.
Eine ganze Weile schaute er grübelnd drein. Sie glaubte schon, dass er nichts mehr sagen würde. Sie trennten sich meist wortlos. Ein Gespräch konnte jederzeit wieder aufgenommen werden. Genauso hätte es sie nicht gewundert, wenn er sie so richtig zusammengestaucht hätte. Sie hätte ihm nichtmal widersprechen können. Verdient hatte sie es auf jeden Fall.
Dann sagte er jedoch zu ihrer Überraschung: „Ich kann mir niemanden vorstellen, mit dem ich lieber die Ewigkeit verbringen würde.“

Wenn ein Vater länger lebte, als sein Sohn, dann war das gegen die Natur.
O’Neills Sohn war längst tot gewesen, als er hier ankam. Vielleicht war es besser so – Teal’c hatte Rya’c auf Chulak zurückgelassen. Auch er musste inzwischen tot sein.
Er hatte keine Ahnung, was mit ihm geschehen war, seit er sich hier aufhielt. Teal’c hoffte, dass Bra’tac sich um ihn und seine Frau gekümmert hatte, aber sein alter Lehrmeister würde nicht lange genug gelebt haben. Der Andere hätte sie von Chulak holen und in Sicherheit bringen müssen. Ihm war langfristig gar keine Wahl geblieben. Die Unsicherheit darüber, ob das nun tatsächlich geschehen war oder vielleicht irgendeine Katastrophe dazwischen gekommen war, wühlte ihn auf.
Er machte sich Vorwürfe. Einst hatte er seinem Sohn versprochen, dass er zu ihm zurückkehren würde. Er hatte sich nicht auf einen Zeitpunkt festgelegt, aber er hatte es geschworen – und diesen Schwur hatte er gebrochen. Er hatte seinen Sohn verraten.
Aber das war nicht alles. Nicht nur, dass es seine Pflicht als Vater gewesen wäre, Rya’c beim Aufwachsen zu begleiten und dabei zu sein, wenn aus ihm ein Mann wurde. Als Ehemann hätte er, wenn er seine Frau schon überlebte, zumindest bei ihr am Totenbett sein sollen. Als Sohn hätte er den Mord an seinem eigenen Vater rächen müssen. Selbst wenn der Andere dies alles getan hatte – es war nicht das gleiche, obwohl es jetzt sowieso längst Geschichte war.
Schon als Kind hatte Teal’c lernen müssen seine Gefühle zu beherrschen. Seit er denken konnte, hatte er nach dem Prinzip gelebt, möglichst wenig seiner Emotionen nach außen dringen zu lassen – diesen Luxus gestattete er sich nur selten. Als dann der Zweifel in ihm erwachte, war diese Einstellung lebenswichtig für ihn geworden, denn wenn er der Welt zu früh gezeigt hätte, wie er wirklich zu Apophis stand, wäre er heute nicht mehr am Leben.
Es war jedoch ein Unterschied, ob man seine Gefühle schlicht nicht zeigte, oder sie wirklich verdrängte. Obwohl man es ihm nur selten ansah, war er nicht so ernst und abgebrüht, wie es oft den Anschein machte. Das war auch gut so, denn er hatte seine Gefühle benutzt, um aus ihnen Stärke und Entschlossenheit zu schöpfen, ohne sich dabei jedoch von ihnen behindern zu lassen. Öfter als ihm es lieb war hatte das nicht funktioniert, aber er hatte immer versucht einen kühlen Kopf behalten, der über die Emotionen wachte und sie in Schach hielt.
Hier und heute jedoch bekam er damit zunehmend Probleme. Daher versuchte er schon länger seine Situation so stoisch wie nur möglich zu betrachten und die Dinge einfach freudig aufzunehmen wie sie kamen. Er versuchte die Gefühle wie von einem Balkon der Rationalität herab zu betrachten ohne sie dabei auf sich wirken zu lassen zu müssen. Wenn er sie schon nicht verdrängen konnte, musste er wenigstens versuchen über ihnen zu stehen. Noch hing dieser Balkon jedoch zu tief, als das das Brodeln da unten nicht noch zu ihm hätte hoch schießen können.
Genauso wie er versuchte sich selbst objektiv zu betrachten, so betrachtete er auch seine alten Freunde. Er fragte sich, ob Daniel Jackson wirklich so zufrieden mit ihrer Situation war, wie er den Anschein erweckte. Er schien sich damit abgefunden zu haben, dennoch fiel es Teal’c schwer zu glauben, dass selbst Daniel hier unten glücklich werden konnte.
Früher einmal hatte er Captain Carter und vor allem O’Neill gut gekannt. Er hatte die beiden beobachtet und geahnt, was zwischen ihnen vorging. Eine Weile hatte er sich gefragt, warum sie sich trotz ihrem Interesse füreinander nicht offen näher kamen. Schüchtern waren die beiden gewiss nicht. Dann war ihm klar geworden, dass in einem solchen Fall General Hammond gezwungen gewesen wäre zumindest einen von ihnen aus dem Team zu nehmen.
Also waren die beiden auf Distanz geblieben. O’Neill, Daniel Jackson und Captain Carter redeten sich alle beim Vornamen an, nur nicht O’Neill und Captain Carter untereinander.
Jetzt hatten sie Gelegenheit das alles zu ändern. So erfreulich wie das war, bedeutete es aber gleichzeitig, dass sie mit ihrem alten Leben abgeschlossen hatten. Und sie hatten es geändert. Es hatte eine Weile gedauert, aber schließlich hatten sie sich zusammengerauft. Ja, zusammengerauft, war wohl das richtige Wort. Teal’c war froh, dass er nicht die ganze Story mitbekommen hatte. Aber was er gesehen hatte, reichte aus, um zu erkennen, dass es selbst für Menschen der Erde bestimmt direktere Wege gegeben hätte. Die beiden waren äußerst fähig auf ihren jeweiligen Gebieten und zögerten dort nicht das zu tun, was sie für notwendig hielten, aber was ihre Gefühle anging, waren sie vielleicht doch ein wenig unbeholfen.
Letztendlich spielte das für Teal’c keine Rolle. Er hatte selber genug Sorgen. Die Tatsache, dass die letzte Chance hier fort zu kommen sich ins Nichts aufgelöst hatte, hatte ihm einen schweren Schlag versetzt. Lange war er unfähig gewesen, etwas zu tun. Doch dann war ihm klar geworden, dass er entweder in Selbstmitleid untergehen oder hier wieder produktiv werden konnte.
Und Teal’c musste irgendwie produktiv sein, selbst, wenn nicht mehr auf die gleiche Art wie früher. Ansonsten hätte sein Leben keinen Sinn gehabt. Also war er wieder an die Arbeit gegangen.
Sollten die anderen treiben was sie wollten. Teal’c würde dafür sorgen, dass sie es weiter tun konnten, indem er alles tat, um die Station und damit ihre Existenz weiterhin zu erhalten.

Sam hatte nicht damit gerechnet, dass sie eines Tages einmal Kinder haben würde. Sie hatte diese Möglichkeit nie ganz ausgeschlossen, aber wenn man sich für eine Karriere in der Air Force entschied, war ein solcher Fall doch recht unwahrscheinlich.
Doch nun hatte sich ihre Karriere genauso in Luft aufgelöst, wie ihre Fähigkeit Kinder zu bekommen.
Jack schien sich nicht sicher zu sein, ob er dies bedauern sollte oder nicht, hätte doch die Möglichkeit bestanden, dass er einen Sohn bekam, der ihn im Guten wie im Schlechten an Charlie erinnerte.
Sie hätte gerne ein, zwei Kinder gehabt, wenn sich dazu die Möglichkeit geboten hätte. Das sie nun nicht einmal mehr theoretisch dazu im stande war, war bestimmt keine Tatsache, die sie in Freudentaumel versetzt hätte. Aber da sie sich mit diesem Gedanken schon vorher mehr oder weniger angefreundet hatte, würde dies bestimmt zu den wenigen Dingen gehören, mit denen sie sich wirklich würde abfinden können.

Die Tischplatte war fleckig. Ein trauriges, stumpfes Grau durchzogen von braunen Schlieren. Alle Bemühungen sie sauber zu bekommen, waren gescheitert. Leider war die einzige Farbe, mit der sie den Tisch hatten überziehen können, ein Schutzlack gewesen. Und der war durchsichtig.
Daniel saß im Gesellschaftsraum, doch seine Gedanken waren nicht bei der Tischplatte. Es hatte eine ganze Weile gedauert, aber nachdem die anfängliche Faszination über ihre Situation verfolgen war, war ihm doch ein wenig mulmig geworden. Nicht, weil er seine Meinung über ihre Körper oder die Aussicht eine unermessliche Zeitspanne zu leben geändert hätte, sondern ganz im Gegenteil: Er hatte die Möglichkeiten, die sich ihnen eröffneten, voll ausschöpfen wollen.
Dies war der Grund gewesen, warum er den Reaktor damals getestet hatte. Er hatte fort wollen. Er hatte im Schutz seines neuen Körpers durch das Stargate gehen wollen. Es wäre so viel möglich gewesen, was er hätte tun können. Er hätte die Ewigkeit damit ausfüllen können, Zivilisationen über eine Zeitspanne von mehreren tausend Jahren zu beobachten und womöglich sogar der Evolution zuschauen können. Er hätte die Möglichkeit bekommen wieder nach Sha’re zu suchen.
Doch es hatte nicht funktioniert. Wenn Sha’re heute noch lebte, so wurde sie immer noch von Amaunet beherrscht. Wenn sie dagegen nicht mehr unter ihrer Kontrolle stand, war sie inzwischen gestorben. Keine dieser Möglichkeiten gefiel ihm.
„Daniel?“
„Mmh...“ machte dieser und sah zu Carter hinüber, die an der anderen Seite des Tisches saß. Vor einer Weile war sie hier rein gekommen, sie hatten ein paar Worte gewechselt und dann beide wie so oft schweigend ihren Gedanken nachgehangen.
„Was beschäftigt sie?“
Daniel seufzte. „Seien sie ehrlich: Glauben sie, dass wir Sha’re jemals hätten retten können?“
Sie senkte den Blick. „Ich weiß es nicht, Daniel“, gestand sie. „Als ich damals auf der Erde war, hätte ich Sie fragen können, was bis dahin geschehen war. Doch ich hab es nicht getan. Ich wollte nicht wissen, was ich versäumt hatte.“ Sie machte eine kurze Pause. „Ich habe nur mein Abbild gesehen. Vielleicht waren die anderen schon alle tot...“
Wieder schwiegen sie eine Weile. Eigentlich hätten die Angelegenheiten der Menschen nicht mehr ihr Problem sein sollen. Doch in letzter Zeit kehrten Daniels Gedanken immer wieder in die Jahre nach der Wiederentdeckung des Stargates zurück, in denen er Sha’re gefunden, wieder verloren und nach ihr gesucht hatte.
Nach dem Tod von Ra war er nicht auf die Erde zurückgekehrt, sondern war auf Abydos geblieben, wo sie das Stargate vergraben hatten. „Ich hätte damals glücklich mit ihr auf Abydos leben können“, erinnerte er sich. „Aber das war mir nicht genug. Ich habe das Stargate wieder ausgegraben. Nur dadurch konnten die Goa’uld zurückkehren. Was mit Sha’re geschehen ist, war meine Schuld.“
„Sie konnten nicht vorhersehen, was geschehen würde“, versuchte sie sein Handeln zu rechtfertigen. „Sie hatten nur die besten Absichten. Was dann passiert ist, konnten sie nicht ändern. Und trotzdem haben sie die Verantwortung übernommen und alles getan, um es wieder gut zu machen. Das war mehr, als man von ihnen hätte verlangen können.“
„Ja, ich habe die Verantwortung übernommen. Aber nichts von dem was ich getan habe, hat diesen einen Fehler, den ich gemacht habe, ungeschehen werden lassen.“
„Wenn sie das Stargate nicht wieder geöffnet hätten, dann hätten wir auf der Erde nie die Abydos-Kartusche erhalten. Es hätte keine weiteren Sternentorreisen gegeben.“
„Ich weiß... Aber verleiht mir das Absolution?“ seufzte er schwer. Er hatte gewusst, dass dieses Argument kommen würde. Er hatte es sich selber oft genug vorgehalten. Doch dadurch wurde es nicht besser. Im Gegenteil: hätte er damals gewusst, was geschehen würde, hätte ihn diese Tatsache dazu gezwungen wieder genauso zu handeln. Er hätte gewusst, was mit Sha’re geschehen würde, aber hätte es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren können, der Erde die Reisen durch das Stargate vorzuenthalten. „Ich wünschte nur, dass es anders gekommen wäre. Ein Tag vorher war das Stargate noch vergraben gewesen. Wäre Apophis ein wenig früher aufgebrochen, hätte er Abydos nie erreicht.“
„Daniel...“, versuchte sie einzuwenden. „Sam!“, unterbrach er sie. „Jedes mal, wenn ich durch dieses Tor gegangen bin, war irgendwo in mir der Gedanke, dass wir sie vielleicht diesmal finden würden! Vielleicht ist dies der richtige Planet, vielleicht finden wir wenigstens einen Hinweis oder irgendetwas, das ihr helfen könnte. Wie damals Thors Hammer.
Ich habe mir immer gesagt, dass jetzt mein anderes Ich irgendwo da draußen auf der Suche nach ihr ist. Vielleicht hat Er sie sogar gefunden und die Dinge wieder ins Lot gebracht. Aber in letzter Zeit frage ich mich immer wieder, was bedeutet das für mich? Verstehen sie? Für mich. Ich war genauso wie Er für das verantwortlich, was geschehen ist und ich konnte nie etwas tun, um das wieder gut zu machen.“
Während er sprach ging eine Veränderung mit Sam vor sich. Bis eben hatte sie ihm aufmerksam zugehört. Sie hatte sichtbar mit ihm gefühlt und ihm helfen wollen. Doch nun verfinsterte sich ihre Mine und ihr besorgter Blick ging ins Leere. Sie wirkte zwar nicht abweisend aber dennoch verschlossen.
„Sie konnten nichts tun, weil sie hier nicht fort konnten“, sagte sie schließlich und versuchte ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. „Sie brauchen sich keine Vorwürfe zu machen. Niemand kann von ihnen das Unmögliche verlangen... man kann immer nur das verlangen, was auch möglich sein sollte... “ Sie klang unglaublich verbittert. Zuletzt war ihre Stimme doch ein wenig brüchig geworden.
Daniel stand auf und setzte sich neben sie auf die Tischkante. Er hatte nichts weiter gewollt, als ihr zu sagen, was ihn bedrückte. Es hatte ihm fern gelegen ihr die Schuld für seine Probleme zu geben oder sie damit zu belasten. „Sie müssen sich keine Vorwürfe deswegen machen.“
Sie sah an ihm vorbei als sie tonlos erwiderte „Ich mache mir keine Vorwürfe...“

Sam war wieder gegangen. Auch Daniel hatte es schließlich nicht mehr in dem kleinen Raum ausgehalten und war lange Zeit durch die Station gelaufen. Jetzt saß er im Archiv und grübelte weiter.
Er hatte Sha’re schon vor sehr langer Zeit verloren. Früher hatte er noch oft davon geträumt sie wieder zu sehen, obwohl es unmöglich erschienen war. Aber das war schon ewig her. Er kam nicht umhin zuzugeben, dass er sich inzwischen mit der Situation abgefunden hatte. Die ganzen Jahre war er so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass er kaum noch an Sha’re gedacht hatte. Vielleicht war der Grund, aus dem sich dies jetzt plötzlich geändert hatte, sein schlechtes Gewissen darüber. Vielleicht glaubte er es sich zu einfach gemacht und zu schnell aufgegeben zu haben.
Doch was hatte er schon für eine Wahl gehabt? Sam hatte recht. Manchmal wurde ein Argument erst überzeugend, wenn man es nicht nur von sich selbst, sondern auch von jemand anderem hörte. Er hatte die Verantwortung einzig und allein deswegen abgelegt, weil er keine Chance mehr gehabt hatte ihr noch gerecht zu werden. Daher machte es auch keinen Sinn sich Vorwürfe zu machen – zumindest in der Theorie.
Die Vergangenheit konnte man nicht ändern. Er konnte seine Fehler nicht ungeschehen machen. Aber das Leben ging weiter. Und er würde sich damit abfinden müssen, dass seine Träume auch Träume bleiben würden.


* * *


Es gab eine Zeit, da war Jack glücklich. So viel hatte er verloren, doch irgendwann hatte er erkannt, dass er auch etwas gewonnen hatte, das er in seinem alten Leben nie hätte haben können: Sam. Endlich musste er sich selber nichts mehr vorlügen, endlich hatte er ihr sagen können, was er empfand. Und er war glücklich. Seit Charlies Tod war er nie so glücklich gewesen.
Und irgendwie hatte das das auch auf seine Freunde abgefärbt. Die Tatsache, dass sie nie mehr hier wegkommen würden, hatte sie vielleicht zu Anfang deprimiert, aber wenigstens hatte diese Erkenntnis Klarheit geschaffen. Sie wussten nun, woran sie waren und mussten keine Energie mehr an sinnlose Hoffungen verschwenden.
Es hatte eine Weile gedauert, aber letztendlich hatten sie dann das Beste daraus gemacht. Das Leben war hart, aber das bedeutete nicht, dass sie endlos Trübsal blasen konnten. Nach langer Zeit hatten sie sich alle gemeinsam wieder in dem Raum getroffen, der sich den Namen „Gesellschaftsraum“ früher nie richtig verdient hatte, um ein wenig Spaß zusammen zu haben.
Während Jack versuchte einen möglicht neutralen Gesichtsausdruck zu behalten, musterte er die Karten des selbst gebastelten Pokerspiels. Vielleicht hätte er wie Sam und Daniel passen sollen. Sein Blatt war gut, aber im Moment wünschte er sich, dass es besser gewesen wäre.
Alle musterten ihn gespannt darüber, was er nun tun würde. Selbst in Harlans Blick lag ein gewisses Interesse. Auch er hatte sich inzwischen zu ihnen gesellt, aber noch hatten sie ihn nicht zum mitspielen überreden können. Er hatte sie für verrückt erklärt und vielleicht waren sie das auch, denn Poker gehörte noch zu ihren intelligenteren Spielen. Sie spielten auch alle möglichen anderen Karten- und sonstigen Spiele, die teilweise wirklich verrückt und kindisch waren... einfach aus dem Grund, weil ihnen keine anderen einfielen.
Zwischen Jack und Teal’c lag eine beachtliche Zahl an Schrauben. Natürlich hatten sie kein Geld, um das sie spielen konnten. Aber sie hatten Schrauben und das war schließlich auch was.
Daniel unterbrach die gespannte Stille. „Er blufft, Jack, da bin ich ganz sicher“, mutmaßte er über Teal’c.
Jack musterte die Mine des Jaffa, der ihm direkt gegenüber saß, aber natürlich brachte er es nicht fertig aus seinem Pokerface etwas zu lesen. Daniels Behauptung auf jeden Fall nahm er völlig gelassen hin.
„Ja, das denke ich auch“, sagte Jack langsam. Er war pleite und hatte schlicht und einfach nichts mehr zu verlieren, selbst wenn er jetzt noch bis zum Höchsteinsatz ging. Tastend fuhr er mit den Hand über die Unterseite seines Stuhls. Da war tatsächlich noch eine! Der Kopf der Schraube war so groß, dass er sie bequem mit den Fingern aus der Fassung konnte. „Ich will sehen“, forderte er Teal’c heraus und ließ lässig die neue Schraube zum restlichen Einsatz kullern. Das war nichtmal geschummelt. Wo sie ihre Schrauben herbekamen war letztlich egal. Jack deckte seine Karten, die aus weißer Kunststofffolie bestanden, auf.
Teal’cs Mundwinkel begannen ein Stückchen nach oben zu klettern. Genüsslich breitete er seine eigenen Karten eine nach der anderen vor sich auf dem Tisch aus. Jacks Augen wurden immer größer, als er erkannte, dass da ein Royal Flush entstand. Er hatte also wieder verloren.
„Ich bluffe niemals“, erklärte Teal’c in Daniels Richtung.
„Ach!“ meinte Daniel feixend und lehnte sich ein Stück vor. „Und was war das vorhin, als du ein Gesicht gemacht hast, als hättest du fünf Asse... und dann gar nichts hattest?“
Völlig unbeeindruckt erklärte Teal’c: „Ich habe nie behauptet, so viele Asse zu besitzen.“
Daniel grinste, als er erkannte worauf Teal’c hinaus wollte. „Und deswegen war es kein Bluff? Weil du nichts offen behauptet hast?“
„Genau.“
Teal’c schob die Schrauben zu einem Haufen zusammen und zog ihn zu sich hinüber – schön langsam, damit es auch alle mitbekamen. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen. Vor ihm türmte sich jetzt ein beachtliches Schraubendepot auf.
„Merk dir die Formulierung, Sam“, stichelte Jack. „Du wolltest nie bluffen!“ Er durchschaute sie fast immer, wenn sie das versuchte.
„Und du wolltest nie deinen ganzen Gewinn verspielen“, erwiderte sie schlagfertig.
„Das war Taktik. Ich will euch nur in Sicherheit wiegen.“ Außerdem würden sie die Schrauben jetzt sowieso wieder neu verteilen.
Gerade als er das gesagt hatte, fühlte Jack, wie etwas unter ihm nachgab. Es krachte kurz und er fand sich in mitten der Einzelteile seines Stuhls auf dem Boden wieder.
Als Jack sich von dem Schreck erholt hatte, fiel er in das allgemein ausgebrochene Gelächter mit ein. Hinter der Tischkante erschien Teal’cs dunkles Gesicht. „Jeder Stuhl hat nur sechs Schrauben“, erklärte er und zeigte sein weißes Gebiss.
„Danke für die Warnung“, ächzte Jack.
Sam half ihm nach oben. „Alles in Ordnung, Jack?“ fragte sie, jetzt doch ein wenig besorgt.
„Keine Angst,“ er klopfte sich den Staub von der Kleidung, „du wirst nicht an mir rumschrauben müssen.“
Er biss sich auf die Zunge, als er erkannte, was er da gesagt hatte. Von einem Moment zum anderen erstarb auch das kleinste Lächeln.
Es war bis eben so schön gewesen. Keiner hatte an ihre Lage gedacht. Es kam selten vor, dass sie alle ihre Sorgen vollkommen vergaßen und dies war einer dieser Momente gewesen. Vermutlich war das überhaupt der Grund aus dem sie hier waren: sie versuchten sich abzulenken. Und er hatte sie mit dieser an sich harmlosen Bemerkung wieder auf den Boden der Tatsachen geholt.
Da half jetzt auch keine Entschuldigung mehr. „Also?“ versuchte er daher möglichst schnell wieder davon abzulenken. „Hilft mir jemand mit meinem IKEA-Stuhl?“

Früher einmal war Jack Soldat gewesen. Sein ganzes Leben war er irgendwie in Bewegung gewesen, hatte seinen Körper benutzt.
Die Maschine, die sein Körper war, hatte für ihn etwas unheimliches. Daran hatte sich bis heute nichts geändert. Er hätte längst schlapp und eingerostet sein müssen, völlig aus dem Training. Er hatte hier unten viel zu lange nichts für seine Fitness getan. Dennoch fühlte sich sein Körper verflucht gut an.
Er hatte es geliebt, wenn er seinen Körper spürte. Das Pochen des Herzens, die Bewegung seiner Muskeln. Die Anstrengung, die jede seiner Fasern durchzog und die er dennoch meisterte. Die Maschine hatte kein Bedürfnis nach Sport. Aber er, Jack O’Neill, hatte es.
Früher hatte er manchmal geboxt. Damals hatte er mit dem Gedanken gespielt, es Teal’c beizubringen und inzwischen hatte er sich vorgenommen das auch wirklich zu tun.
Er hatte sich einen Boxbeutel gebastelt. Das Ding war mit Stahlspänen gefüllt und daher unglaublich hart. Aber das waren seine Finger auch. Er fühlte zwar den Schmerz in seinen Fäusten, wenn er auf den Beutel einboxte, jedoch war dieser nicht stark genug, um ihn vom weitermachen abzuhalten. Der Beutel musste auch äußerst schwer sein, dennoch pendeltet er bei Jacks Schlägen hin und her, als ob er federleicht wäre. Die Maschine schien die Kraft eines Presslufthammers zu entwickeln.
Während er um den schwingenden Beutel herumtänzelte und einen Hieb nach dem anderen austeilte, suchte er nach einer Reaktion der Maschine. Früher hatte er immer irgendeine Rückmeldung von seinem Körper bekommen. Es hatte ihn angestrengt und ihn erschöpft. Es hatte sich gut angefühlt.
Er sagte sich, dass irgendwann die Maschine auch eine Pause brauchen musste. Jede Maschine überhitzte einmal oder tat sonst etwas, das ihre Funktion beeinträchtigte. O’Neill war fest entschlossen, diesen Punkt zu erreichen. Er wollte die Maschine fühlen, wie sie aufgeben wollte. Dann würde er sie solange allein mit seinem Willen dazu zwingen weiterzumachen, wie es möglich war. Er würde sie besiegen.
Jahrelang drosch er auf den Sack ein. Hin und wieder tauchten seine Freunde bei ihm auf, fragten was er da trieb oder ob er nicht lieber mit ihnen Kadis-Kot spielen wollte. Doch Jack lehnte ab und hörte nicht auf. Er wollte nicht aufhören bis die Maschine an ihre Grenzen stieß. Aber die Maschine ermüdete nicht.
Er gab nicht auf. Der Geist musste einfach länger durchhalten können als der Körper. Er hatte die Macht über seinen Körper zu triumphieren. In seinem alten Körper hatte er das immer wieder geschafft und er wollte es wieder tun. Er wollte der Maschine eine Niederlage beibringen.
Viele Menschen wurden auf der Erde geboren und starben wieder, während er auf den Sack eindrosch und sich weigerte einzusehen, dass er dies in alle Ewigkeit fortsetzen konnte ohne etwas zu erreichen. So blieb ihm nichts weiter übrig, als es irgendwann dann doch zu akzeptieren. Die Maschine war einfach besser als er. Sie würde nie müde werden – er war es. Die Maschine gab hier den Ton an, nicht er. Also gab er es auf.

„Ja. Bis dann“, grummelte Jack eher zu sich selbst, als Teal’c im Halbdunkel des Korridors verschwand.
Es war immer normal gewesen, dass sie sich ab und zu trennten, um eine Pause bei ihren diversen Spielen und was sie sonst noch taten, zu machen. Dann gingen sie wieder ihren ganz persönlichen Beschäftigungen nach. Man konnte schließlich nicht die ganze Zeit gemeinsam verbringen.
Dabei fielen diese Pausen beliebig lange aus. Zeit spielte keine Rolle, wenn man in einer Gruppe lebte, in der alle unsterblich waren. Nur die Sterblichen mussten die Zeit in Einheiten aufteilen. Sie hatten das nicht mehr nötig.
Derartige Unterbrechungen waren nie ein Problem für sie gewesen. Jack hatte jedoch zusehends das Gefühl, dass sie ein Zeichen dafür waren, dass sie sich auseinander gelebt hatten. Er und Sam waren da vielleicht die einzige Ausnahme, aber auch das konnte nicht wirklich darüber hinwegtäuschen, dass die Familie, die sie einmal gewesen waren, in ihrer alten Form nicht mehr existierte. Sie verloren nicht nur das Interesse an dem, was sie zusammen taten, sondern auch das Interesse an Gesellschaft an sich.
O’Neill hob den Ball auf und warf ihn ohne genau hinzusehen gegen die Decke. Er prallte im spitzen Winkel ab und flog direkt durch den Basketballkorb an der Wand. Von der Wand prallte er wiederum ab, kam einmal am Boden auf und flog Jack direkt in die Arme, der ihn gelangweilt auffing.
Auf diesen Ball war er einmal mächtig stolz gewesen. Zusammen mit Teal’c hatte er es geschafft ihn mit den hiesigen Materialien zu basteln und so mit Luft zu füllen, dass er vom Boden abprallte. Sie hatten viel Freude mit dem Ding gehabt. Jetzt war der Ball so undicht, dass er schon kurz nach dem Aufpumpen wieder weich wie ein geschrumpelter Luftballon war.
Jack sah hinüber zu Daniel, der ebenso gelangweilt wie er selbst an einem Container lehnte und ihn beobachtete. O’Neill ließ den Ball zwischen seinen Fingerspitzen rotieren. Ihm war völlig klar, was Daniel in diesem Moment dachte. Er kannte diesen Gesichtsausdruck und er kannte den Gedanken.
Sie hatten es in den letzten Jahrhunderten tatsächlich geschafft, diese düsteren Hallen mit etwas Freude zu füllen. Vermutlich hatte die Station vorher noch nie soviel Lachen gehört. Es war eine schöne Zeit gewesen, aber ein Höhepunkt war nur deshalb ein Höhepunkt, weil er von tiefer gelegenen Punkten umgeben war.
„Wie lange kann man Basketball spielen und dabei auch noch Spaß haben?“ fragten sie beide wie aus einem Mund heraus.
Daniel lachte kurz und trocken auf. Die vereinzelten Momente in denen man ganz genau wusste, was der andere sagen würde, waren jedes mal erschreckend und faszinierend zugleich. Und das, was sie da gesagt hatten, traf die Sache leider auf den Punkt.
Die Ablenkung hatte ihnen geholfen, doch das war jetzt vorbei. Sie hatten alles unternommen, was man gemeinsam unternehmen konnte. Basketball war nicht das einzige Spiel das sie heute langweilte. Daher würde Teal’c auch so schnell nicht wieder kommen. Sie alle waren diesen ganzen gemeinsamen Aktionen überdrüssig.

Das Archiv war ein Wunder. Man musste nicht zu anderen Planten reisen, um sich die Ewigkeit über beschäftigen zu können. Auch hier konnte man leben. In der Zeit, als Daniel die Station hatte verlassen wollen, hatte er aus dem Blick verloren was sie ihm bot.
Der ganze Wert des Archivs war ihm vorher nie so bewusst gewesen. Erst jetzt wurde ihm klar, dass es nicht einfach nur irgendein Archiv war. Besonders, weil die sich stapelnden Computerspeicher so klein erschienen, war es schwer vorstellbar, wie groß es wirklich war. Das Wort „groߓ allein traf es nicht und „gigantisch“ wäre zwar um einiges protziger gewesen, traf aber immer noch nicht die richtige Dimension.
Ein Planet umfasste schließlich nicht bloß eine Kultur. Der ganze Planet war über fünftausend Jahre genauso bevölkert gewesen wie die Erde! Auf der ganzen Oberfläche hatten sich hunderte von Kulturen entwickelt und waren wieder untergegangen. Jede davon mit ihrer eigenen Geschichte, Kultur und Technik.
Das Archiv war umfangreicher, als er es je zu träumen gewagt hatte. Die Altairaner hatten hier äußerst erfolgreich versucht ein vollständiges Bild von sich selbst und ihren Wurzeln zu schaffen. Generationen von Studenten der ganzen Welt in Archäologie, Anthropologie, Geschichte, Politik, Psychologie, Soziologie und den diversen Naturwissenschaften hätten hier ihre Doktorarbeiten bestreiten können. Und es gehörte ihm alleine. Ihm alleine stand es zu, diesen Schatz zu heben und ihn zu nutzen. Das Wissen einer ganzen Welt mit einer Geschichte über mehrere tausend Jahre.
Aber das Archiv vermittelte nicht nur Wissen über eine Zivilisation, es war die Zivilisation. Ganz Altair vereinigte sich hier. Es zeigte die großen Zusammenhänge wie auch die einzelnen Menschen, die eine Zivilisation schließlich ausmachten. Das Archiv konnte diese Welt wieder lebendig machen.
Gerade die alten griechischen Philosophen hatten sich lange mit der Frage beschäftigt, was es war, nach dem der Mensch in letzter Konsequenz strebte. Letztendlich waren sie dabei aber immer nur bei ihren persönlichen Glücksvorstellungen gelandet und hatten den Fehler gemacht zu glauben, dies sei die allgemeingültige Lösung.
Daniel hatte nun seine persönliche Definition gefunden. Eine Weile hatte er geglaubt ohne seine Frau nie wieder glücklich werden zu können. Vielleicht war da auch etwas wahres dran. Sein Leben würde nie wieder so aussehen, wie es einmal gewesen war. Aber trotzdem würde es weiter gehen.
Bei aller Liebe zu Sha’re hatte es immer noch etwas gegeben, dass ihn angetrieben hatte. Es war etwas, dass zwar nie so stark gewesen war wie diese Liebe, aber dafür um einiges älter war und ihn sein ganzes Leben über begleitet und geprägt hatte. Es war die Suche nach Wissen gewesen. Sein ganzes Leben hatte er nach Wissen gesucht. Nun hatte er es gefunden. Dies war es, nach dem er strebte. Es war sein Lebensziel, auch wenn ihm das nie so bewusst gewesen war.
Vielleicht war ihm nichts anderes übrig geblieben als sich so zu entwickeln. Schon seine Eltern waren Archäologen gewesen, die versucht hatten die Geheimnisse der Geschichte zu ergründen. Sie waren bis zu ihrem plötzlichen Tod durch die ganze Welt gereist – und was war dem kleinen Daniel da anderes übrig geblieben, als sich für die Sachen zu interessieren, die schon seine Eltern taten.
Letztlich war es seine unbändige Neugier gewesen, die es möglich gemacht hatte, das er hier stand. Wenn er nicht sein ganzes Leben damit verbracht hätte, dort zu suchen, wo sich sonst niemand hinwagte und Fragen zu stellen, die auch er nicht sofort zu beantworten wusste, wenn er nicht ein Experte der Archäologie geworden wäre, der zwar in der Fachwelt verschien war und von Uni zu Uni gejagt wurde, weil ihm niemand zuhören wollte, aber dennoch viele Ideen hatten, die sich als richtig erwiesen, dann wäre er auch nicht für die Air Force mit ihrem Stargateprogramm interessant geworden.
Und auch hier gab es wieder neue Rätsel. Gleichzeitig hoffte er mit diesem unglaublichen Wissen, die alten Rätsel lösen zu können. Da war zum Beispiel die Frage, wer es gewesen war, der lange bevor die Goa’uld als falsche Götter vom Himmel gekommen waren, Menschen von der Erde nach Altair gebracht hatte. Vielleicht waren es die Antiker selbst gewesen. Falls das so wäre, dann musste es im Archiv stehen und Daniel würde es finden. Das Wissen über das mysteriöse Volk, das die Stargates erbaut hatte, könnte sich als sehr wertvoll erweisen.
Damit war Daniel über Jahrtausende hinweg der einzige außer Harlan, der eine Beschäftigung hatte, die ihn wirklich ausfüllte.

Jack hatte so lange gegen Harlan Kadis-Kot gespielt, bis er ihn besiegt hatte – und dann das Interesse verloren. So war es mit allem gewesen und so würde es auch in Zukunft mit allem sein.
Trotzdem hatte er immer wieder etwas neues zu tun gefunden. Es war erstaunlich, wie erfinderisch der Geist in dieser Hinsicht sein konnte. Da war zum Beispiel das Archiv. Neben den geschichtlichen Aufzeichnungen enthielt es auch tonnenweise Literatur und sogar Filme.
Jack war eine ganze Weile neben Daniel an einem zweiten Monitor zwischen den sich auftürmenden Datenspeichern gehockt und hatte sich das Zeugs angesehen. Er bekam aber nie einen echten Bezug zur Handlung, fühlte sich nie angesprochen. Vielleicht lag es dran, dass die Altairaner eine ganz andere Art hatten ihre Geschichten zu erzählen. Doch das eigentliche Problem war wohl, dass alle Geschichten von Menschen handelten – und mit denen wollte Jack nichts mehr zu tun haben. So blieb ihm nichts anderes übrig als einzusehen, dass er im Archiv definitiv keine Beschäftigung finden würde.
Sam dagegen schrieb Bücher. Natürlich über Physik. Sie meinte, dass sie das schon immer mal hatte tun wollen, aber dazu nie Zeit gefunden hatte.
Die Bücher waren gut. Jack hatte einige davon gelesen. Da sie wohl Zeit herausschinden wollte, hatte sie praktisch bei Adam und Eva angefangen und so hatte sogar er noch etwas über Wurmlöcher, Naquadareaktoren und Roboterkörper gelernt.
Irgendwann hatte sie jedoch angefangen sich zu wiederholen. Sie schrieb die selben Bücher noch einmal, nur diesmal vielleicht etwas hochtrabender für die Fachwelt oder auch mal für Kinder oder das breite Publikum und vor allen Dingen – für sich selbst.
Jack war derweil zum Golfen übergegangen. Ein paar hundert Jahre hatte er nichts anderes getan, als eine Stahlkugel mit einem Rohr quer durch die Station zu schlagen.
Irgendwann hatte er auch darauf keine Lust mehr gehabt und begonnen Skulpturen herzustellen. Früher wäre er nie im Leben auf eine solche Idee gekommen, aber Not macht erfinderisch. Er hatte Schrott zusammengesucht mit dem beim besten Willen nichts mehr anzufangen war – was nicht schwierig war – und hatte ihn neu zusammengeschweißt.
Er hatte nie eine Idee gehabt, was es einmal werden sollte. Er hatte einfach geschweißt bis er auf die Idee kam, Hey, das sieht doch aus wie ein Hund .. .oder was auch immer. Dann hatte er noch ein paar Teile hinzugeschweißt und so wurde es tatsächlich ein Hund.
Irgendwann waren ihm dann die Teile ausgegangen und er hatte alles noch mal zerlegt und von vorne angefangen. Dabei wurden die Hunde immer seltener und surrealtische, manchmal fast beängstigende Körper immer häufiger.
Doch was konnte jemanden schon die Ewigkeit über beschäftigen? Jetzt standen die Skulpturen in langen Reihen Spalier in unzähligen Korridoren wie die stummen Wächter einer untergegangen Zivilisation. Auch Sam hatte das Bücherschreiben inzwischen aufgegeben. Nichts war in der Lage einen auf Dauer fesseln zu können – und irgendwann gingen einem dann doch die Ideen aus.
Es war einer dieser sich ewig dehnenden Augenblicke, in denen er sich völlig orientierungslos fragte, was er nun noch tun könnte, als ihm der größte Witz des Universums eingefallen war. Dabei war er ursprünglich gar nicht als Witz gemeint gewesen. Ganz im Gegenteil. Es war eine der frommen Geschichten, die man kleinen Kindern im Religionsunterricht erzählte.
Ein Mann stirbt und kommt in den Himmel. Ein Engel fragt ihn, wie er die Ewigkeit verbringen wolle und der Mann wünscht sich lauter dumme Dinge: eine Villa mit viel Geld drinnen und jeden Tag was gutes zu essen!
Nach tausend Jahren kommt der Engel wieder und fragt den Mann, der inzwischen todunglücklich ist und sich langweilt, wie es ihm ginge. Der meint, dass dies wohl kaum der Himmel sein könnte, worauf der Engel erwidert, dass es die Hölle sei, in die er sich selber gewünscht hätte.

Soweit so gut. Doch was war dann der Himmel, hatte sich der kleine Jack gefragt. Und tatsächlich gab es in der Geschichte auch noch den Nachbarn des Mannes. Er hatte sich einen kleinen, bescheidenen Schemel gewünscht, mit dem er bis in alle Ewigkeit Gott zu Füßen sitzen konnte, um ihn zu bewundern.
Als er sich daran erinnerte war Jack in schallendes Gelächter ausgebrochen. Er hatte gelacht, wie es nur ein Unsterblicher tun konnte, der schon wieder viel zu lange nichts mehr zu lachen gehabt hatte. Wie lächerlich. Wie naiv! Bis in alle Ewigkeit!! Diese Sterblichen hatten doch überhaupt keine Ahnung, was sie da sagten, wenn sie von Ewigkeit redeten. Und auch noch die erste Mine, mit der alle der Geschichte gelauscht hatten!
Die Idee, dass es irgendetwas geben könne, was man bis in die Unendlichkeit tun konnte, war völlig absurd. Selbst der Anblick eines nicht-existenten Gottes konnte es nicht sein.
Jack hätte den Autor dieser Geschichte so gern gesehen, wie er da saß. Er gab ihm tausend Jahre, vielleicht auch zehntausend. Danach würde jemand kommen müssen, um ihn von seinem bescheidenen Schemel ins göttliche Irrenhaus zu schleifen.
Selbst, wenn ihnen das Universum offen gestanden hätte, wäre auch das ihnen irgendwann überdrüssig geworden. Es gab nichts, absolut nichts, was einen auf Ewigkeit beschäftigen würde.
Er ertappte sich bereits bei der Frage, wann er das Interesse an Sam verlieren würde. Was wäre aus all den glücklichen Märchenpaaren geworden, wenn das Ende ihrer Tage nicht gekommen wäre? Er mochte sie lieben, doch was war hier unten schon ewig, wenn man mal von ihrem Leben absah...

Als Sam Jacks Raum betrat, war dieser dunkel. Ihre Augen passten sich blitzschnell an das schwache Licht an, so dass sie sehen konnte, wie Jack auf seinem selbstgezimmerten Bett hockte und sie anstarrte.
Die Tür rollte zu und ihr wurde klar, dass er nicht sie ansah, sondern die Tür und die Wand hinter ihr. In der Mitte des Raums stand ein Projektor, den er irgendwo ausgegraben haben musste, der einen Sternenhimmel an die Wand projizierte.
Sie trat ein Stück in den Raum hinein und betrachtete das Bild. Der Projektor brummte alterschwach vor sich hin.
„Sie sind wunderschön“, sagte er auf einmal. „Die Sterne meine ich. Wir können sie hier unten nur nicht mehr sehen.“
Sie waren tatsächlich wunderschön. Das Bild musste in einer klaren Nacht fern jeder Lichtquelle gemacht worden sein. Zu einer Zeit, als man auf Altair den Himmel noch hatte sehen können. Die Sterne funkelten so hell, wie man es nur selten sah.
„Aber sie wirken so fremd. Die Sternbilder sind fort“, redete er wie zu sich selbst. „Da wird einem erst klar, wie weit wir von der Erde fort sind...“
27.000 Lichtjahre , war die Zahl sofort in ihrem Kopf. Aber sie verzichtete darauf es auszusprechen. Er wusste es.
Nach dem Tod seines Sohnes hatte Jack jede Nacht auf seiner Terrasse gesessen und mit seinem kleinen Fernrohr die Sterne betrachtet. Er hatte sowieso nicht schlafen können.
„Sara und ich waren draußen im Garten als wir den Schuss hörten“, erinnerte er sich. Sam kannte die Geschichte. Er hatte sie ihr schon oft genug erzählt. Er stöhnte. „Wie konnte ich nur...“ Ein einziges Mal hatte er seine Dienstwaffe geladen und ungesichert zu Hause rumliegen lassen. Unverantwortlich, wenn man ein Kind im Haus hatte. Die ganze Zeit über hatte er versucht Charlie von jeder Art von Waffe fernzuhalten, selbst wenn es sich dabei nur um eine Wasserpistole gehandelt hatte. Aber was nutzte das schon. Charlie hatte keine Ahnung gehabt, was er da tat, als er Jacks Pistole in die Hand nahm. Er wusste nicht, dass sie geladen war und ihn zu töten vermochte. Das Unglück hatte Jack damals so gelähmt, dass er sich nicht einmal mit seiner Frau darüber unterhalten hatte. So hatten sie sich auseinandergelebt.
„Ich glaube Sara hat es mir verziehen. Sie konnte es nur nicht vergessen“, fuhr er fort. Wie oft hatte sie das schon gehört. „Bei mir war es umgekehrt. Ich habe es mir nie verziehen – aber früher konnte ich es wenigstens manchmal vergessen.“ Er sah sie an. In der Dunkelheit spiegelten seine Augen das Sternenlicht wieder. Es gab viel in seinem Leben, an das er sich nicht gern zurückerinnerte und dies war bestimmt das Schlimmste. „Doch diese Gehirne vergessen nicht. Ich versuche es zu verdrängen, aber die Bilder tauchen immer und immer wieder auf.“
„Das ist nicht wahr, Jack. Wir vergessen sehr wohl. Oder weißt du noch, was du getan hast bevor du den Projektor aufgestellt hast?“ Sie mochten sich an alles erinnern, was sie sich gemerkt hatte, aber sie merken sich nicht alles. Der Geist machte sich einfach nicht mehr die Mühe. Man hatte etwas so oft getan oder gesehen, dass es auf dieses eine Mal einfach nicht mehr ankam.
Sie hatte keine Lust sich das länger anzuhören. Nicht, dass sie nicht Mitleid mit ihm gehabt hätte. Natürlich hatte sie das, sie liebte ihn, wenn auch heute nicht mehr so wie früher. Vielleicht war sie es ihm schuldig auf ihn einzugehen, aber wenn man die Geschichte so oft gehört hatte wie sie, reichte es langsam. Oft waren nicht einmal ein paar Jahre Luft gewesen, bis er es wieder jemandem erzählen musste.
Vielleicht hatte sie ihm jetzt etwas gegeben, dass ihn ablenken würde. Vielleicht würde er einige Zeit versuchen sich zu erinnern, was er zuletzt so getan hatte. Oder auch nicht. Sam verließ den Raum. Im Notfall hatten sie alle Zeit der Welt das Gespräch fortzuführen.

Wenn es wirklich stimmte, dass dem Menschen eine unsterbliche Seele innewohnte, was war dann mit ihnen? Konnte man die Seele eines Menschen kopieren, konnte eine künstliche Intelligenz eine Seele haben? Oder bildeten sie sich nur ein eine zu haben und waren vielleicht darauf programmiert zu glauben, dass sie noch sie selbst waren?
Wenn auch sie eine Seele hatten, was würde dann geschehen, wenn in ferner Zukunft ihre Existenz endete? Zwei identische Seelen – wie konnte das sein. Würden ihm Engel vor den Toren ins Jenseits den Zugang verweigern, weil sie schon vor langer Zeit einen Haken hinter seinen Namen gesetzt hatten? Sicher nicht...
Jack war nie ein sehr religiöser Mensch gewesen. Dazu hatte er viel zu sehr auf dem Boden der Tatsachen gestanden. Er hatte zuviel Leid und Ungerechtigkeit gesehen, so viele Tote. Er wusste, dass Gott ihm nie mit einer Kavallerie zu Hilfe kommen würde, um seinen Hintern zu retten, dennoch war in seinem Hinterkopf immer der Glaube gewesen, dass es ihn gab.
Religion war nichts, dass einem mit Verhaltesregeln oder Ritualen das Leben absichtlich schwer machen wollte. Gott mochte nie direkt in das Geschehen auf Erden eingreifen, aber das musste er auch gar nicht. Er half den Menschen allein durch seine Anwesenheit, ohne für jemanden Partei zu ergreifen. Er gab den Gläubigen das Wissen in einer feindlichen Welt geliebt zu werden. Er vergab einem Fehler, die man sich selbst nie verzieh.
Das hatte ihm geholfen – früher einmal. Sein Problem war wohl gewesen, dass er nie darüber nachgedacht hatte, was er da glaubte. Über den Sinn des Lebens nachzudenken hatte er lieber anderen Leuten, insbesondere Daniel, überlassen. Jetzt wagte er zu zweifeln.
Wie konnte ein gütiger Gott ihnen das antun? Es war ein uraltes Argument, aber niemand hatte verdient, was sie hier durchmachten. Wenn es Gott wirklich gab, dann verdiente er keine Anbetung. Jemand der ein Universum schuf, um es dann sich selbst zu überlassen obwohl es so voller Leid war, währe von jedem ordentlichen Gericht wegen unterlassener Hilfeleistung und fahrlässiger Tötung in Milliardenhöhe verurteilt worden, Neutralität hin oder her.
Das das Universum einen Schöpfer benötigte bezweifelte er, aber vielleicht waren es die Menschen die Götter brauchten. Und weil sie sie brauchten erfanden sie sich welche. Es gab auf der Erde so viele Religionen und fast jede erhob ultimativen Wahrheitsanspruch. Warum sollte da ausgerechnet eine einzelne davon die Weisheit gepachtet haben? Vielleicht ergab sich, wenn man sie alle betrachtete eine Art kleinster gemeinsamer Nenner der Moral, aber die Tatsache, dass es so viele Menschen waren, die prinzipiell an etwas Höheres glaubten, bewies nicht dessen Existenz. Früher hatte auch die ganze Erdbevölkerung geglaubt die Erde sei eine Scheibe...
Nein, es gab keinen Gott. Letztlich war das für Jacke aber keine Frage von Argumenten, denn das Problem war, dass man nicht die Nichtexistenz von etwas beweisen konnte, was theoretisch möglich war. Wäre die Existenz oder Nichtexistenz Gottes – wenn man mal die ganzen Aliens beiseite ließ – mit Argumenten beweisbar gewesen, dann hätte die Geschichte der Menschheit ganz anders ausgesehen.
Für Jack war es eine reine Sache des Gefühls. Und dieses Gefühl sagte ihm, dass jemand der so lange gelebt hatte wie er, von der Existenz eines so mächtigen Wesens irgendetwas hätte mitbekommen müssen.
Dabei musste er natürlich zugeben, immer noch nicht mehr zu wissen als vor zigtausend Jahren. Ihm blieb immer noch nichts weiter, als einfach zu glauben, denn auch der Glaube an die Nichtexistenz von etwas war ein Glaube. Aber diese Unsicherheit konnte ihn nicht davon abhalten, sich seine Gedanken zu machen. Und vermutlich blieb ihm nichts anderes übrig.
Vor kurzem hatte Daniel die Idee aufgebracht, dass die Menschen der Erde – sofern sie sich denn für sie interessiert hätten – sie vielleicht als Übermenschen bezeichnen würden. Da sie keine Ahnung hatten, musste für sie ein Androidenkörper etwas so tolles sein, dass dieser Begriff gerechtfertigt war. Doch wären sie wirklich Übermenschen gewesen, dann hätten sie auch in geistiger Hinsicht wachsen müssen und das hatten sie nicht getan – zumindest noch nicht.
Sie waren also doch keine Übermenschen und das störte Jack nicht weiter – die Bezeichnung erschien ihm sowieso viel zu angeberisch. Aber es hatte ihn zu der Frage geführt, was sie denn dann überhaupt waren, schließlich waren sie auch längst keine Menschen mehr. Zwar ähnelten sie diesen noch, so wie die Menschen mehr als sie sich zugestehen wollten den Affen ähnelten, aber trotzdem waren sie keine mehr. Überhaut waren sie nichts, was irgendwie definiert wäre.
Und dies war das Problem. Er hatte auf die elementare Frage Was bin ich? keine Antwort mehr. Zwar hatte er als Mensch auch keine Antwort gewusst, aber er hatte geglaubt, dass es eine gab und dass sie zufrieden stellend war. Doch zusammen mit seinem Menschsein hatte er auch seinen Platz in der Welt verloren, die Sicherheit einer Antwort. Er musste sich nun neu orientieren. Er brauchte ein neues Weltbild. Und zwar eines, das ihn nicht noch einmal enttäuschen konnte.
In einem anderen Leben, so schien es ihm heute, war er auf einer Welt gewesen, von der er einmal gedacht hatte, dass er ihre Nummer vergessen hätte. Sein neues Gehirn aber war unglaublich gut darin verschüttete Erinnerungen wieder ans Licht zu bringen. Auf der Erde nannte man die Welt Q81B5A. Der äußerst einfallsreiche Name, den ihre Bewohner ihr gegeben hatten, lautete schlicht „Boden“.
Die Bauten dort hatten O’Neill an die Stätten der Mayas und Inkas erinnert. Sie waren völlig aus Stein, was nicht verwunderlich war, denn Holz war dort Mangelwahre gewesen. Daniel hatte jedoch daran gezweifelt, dass sie etwas mit diesen Kulturen zu tun hätten, denn sie kannten deren Götterkult nicht. Obwohl sie riesige Felsenpyramiden gebaut hatten war keine davon ein Tempel oder ein Grabmal gewesen, sondern es waren öffentliche Gebäude gewesen.
Eines Abends hatten sie dem Oberpriester zuhören müssen. Eine Geste des gegenseitigen Kennenlernens und der Freundschaft. Dieses Ereignis schien ziemlich wichtig für diese Leute gewesen zu sein, denn sie hatten sogar ein Lagerfeuer aus wertvollem Holz entfacht. So in etwa stellte Jack sich vor, hatten einst Priester dem ungebildeten und leichtgläubigen Volk die Geschichten erzählt, die nachher im alten Testament zu lesen waren.
Als der Priester dann anfing von Atomen zu reden, hatte er geglaubt sich verhört zu haben. Seit sie den Nox begegnet waren, war er sich nie mehr sicher gewesen, ob eine Kultur wirklich so primitiv war, wie sie erschien. Was wussten die von Atomen? Daniel hatte ihn jedoch beruhigt. Er meinte, dass selbst die alten Griechen auf der Erde schon davon geredet hatten.
Jack hatte das alles damals nicht weiter interessiert; er hatte die meiste Zeit damit verbracht immer wieder den schützenden Klettverschluss von seiner Uhr zu reißen und auf ihr Display zu starren. Doch was dieser Priester erzählt hatte, ergab für ihn heute durchaus Sinn.
Der Priester erklärte, dass die Welt aus Atomen bestünde. Alles bestand aus Atomen und deren Existenz hatte an sich keinen tieferen Sinn. Sie existierten nur aus einer Laune des Schicksaals heraus.
Das war aber nicht schlimm. Worauf es ankam, waren nicht die Atome an sich, sondern das Zusammenspiel, das sich zwischen ihnen ergab. Irgendwann hatten sich die Atome völlig selbstständig zu Strukturen zusammengefunden. Das war kein Prozess, der auf eine göttliche Schöpfungskraft, sondern allein auf das Verhalten der Atome zurückzuführen war, das auf Naturgesetzen basierte.
Doch es war nicht einfach ein bloßes Zusammenklumpen der Atome, das einmal geschah und dann vorbei war. Selbst in so etwas totem wie einem Stein wirkten die Atome des Steins weiterhin mit anderen Atomen zusammen, zum Beispiel wenn der Stein von Wasser langsam blank geschliffen wurde.
Alles, was im Universum geschah, war letztlich auf ein Zusammenspiel der Atome zurückzuführen. Auch das, was man im allgemeinen als „Leben“ bezeichnete, entstand allein und ausschließlich daraus. In Lebewesen war es lediglich viel komplexer als in „toter“ Materie – sofern man eine solche Unterscheidung überhaupt noch treffen konnte. Dort war es aber nicht das plumpe Wirken zwischen Wasser und Stein. Es waren äußerst komplizierte chemische und physikalische Vorgänge, die ein riesiges System aus sich selbst regelnden Mechanismen bildeten.
Diese Leute hatten keine Ahnung von Biologie oder Physik gehabt und dennoch hatten sie geahnt, dass Leben auf nichts weiter zurückzuführen war, als auf Molekülchen und elektrische Impulse, die irgendwelche Kleinigkeiten taten aber in ihrer Gesamtheit und Komplexität etwas so beeindruckendes wie den menschlichen Geist schaffen konnten, der in der Lage war über sich selbst nachzudenken.
Letztlich war das Prinzip das gleiche wie beim Stein, aber die Gesamtheit nicht. Wenn der Stein ein einzelner Ton war, dann war das Leben eine Symphonie. Viel, viel komplexer und viel, viel schöner, aber letztlich doch „nur“ aus Tönen bestehend.
Nicht, das deswegen das Verhalten von Menschen oder des Universums vollständig vorhersehbar gewesen wären. Das Zusammenspiel der Atome war zu komplex dazu. Zudem schrieben die Naturgesetzte selbst eine gewisse Unsicherheit vor und außerdem konnte man die Ausgangssituation nie gut genug kennen, um genauere Vorhersagen über die spätere Entwicklung liefern zu können als der Wetterbericht.
Auf den ersten Blick war ihm das völlig menschenverachtend erschienen. Menschen unterschieden sich nicht vom Stein, weil sie auch aus Atomen bestanden! So einfach war es jedoch nicht. Auch wenn die Existenz dieser Atome prinzipiell sinnlos war, so galt dies nicht zwangsläufig auch für die Dinge, die sie bildeten. Der Mensch war dank seines Geistes in der Lage Dinge zu bewirken. Er konnte die Welt verändern, er konnte sich selber Ziele setzen und sie verwirklichen. Er schuf sich selbst seinen Lebenssinn. Aus der Haltung dieser Leute sprach keine Verachtung für das Leben, sondern im Gegenteil ein unheimlicher Respekt vor dem, was die Evolution aus einfachen Atomen gemacht hatte.
Dieses Konzept konnte man aber noch erweitern. Dies war gerade der Punkt, der Jack daran so gefiel und der Grund dafür, warum er sich jetzt daran erinnerte. Leben und Geist waren nicht an eine bestimmte Form gebunden! Jede komplex organisierte Struktur konnte es hervorbringen. Die Funktion des menschlichen Hirns war rein auf das Zusammenwirken von Atomen zurückzuführen. Was ihr künstliches Hirn tat, war nichts anderes. Es steuerte sich genauso selbstständig wie das menschliche. Die Atome mussten kein Fleisch und Blut bilden, um auf die Art und Weise zusammenzuwirken, die einen Geist möglich machte.
Sie waren Maschinen, aber das bedeutete in keinster Weise, dass sie nicht den gleichen Wert gehabt hätten, wie jedes andere intelligente Wesen des Universums auch. Sie hatten durchaus eine Seele! Nicht im religiösen Sinn. Es war nichts göttliches oder etwas, das nach ihrem Tod weiterlebte. Es war statt dessen der Geist, der von ihrem Gehirn allein aufgrund der Naturgesetze produziert wurde. Sie waren keine seelenlosen Geschöpfe.
Ob diese Idee der Wahrheit jetzt näher lag oder nicht, sie half Jack in diesem Augenblick auf jeden Fall weiter als der Glaube an einen gleichgültigen Gott und ein fragliches Paradies nach einem in sehr weiter Ferne liegenden Tod.


* * *


Ihre Gedanken waren irgendwo in den Wolken. Aus den Tiefen ihres Bewusstseins tauchen zusammenhanglos Erinnerungen auf und zerstoben wieder. Gedanken bilden sich aus, reihten sich zu einer Kette, die dann auf einmal endete. Zeitlos, bedeutungslos. Sie fühlte sich wie ein Vogel, der durch ihre innere Welt flog, aber nirgendwo lange blieb.
Lange Zeit war da nichts als Leere. Sie ließ ihren Geist schweifen, fand aber nichts, wo sie sich hätte niederlassen können. Sie konnte ewig driften, ohne dass sie dabei einen wirklich konkreten Gedanken gehabt hätte. Es kam ihr vor, als schwebe sie in einer endlosen Kaverne irgendwo in der Dunkelheit. Sie konnte in der Finsternis nichts erkennen, wusste aber, dass sie eingeschlossen war.
Hier gab es nichts außer den Nebelschleiern, die ihre innere Welt durchzogen wie gestaltgewordene Melancholie. Träge Nebelschwaden, die über den Boden krochen. Sie konnten eine Seele völlig ausfüllen. Der Nebel mochte zwar schweben, aber er war unglaublich schwer und setzte sich überall ab, umhüllte sie. Und mit jedem Atemzug sog sie die von ihr selbst ausgeströmte Traurigkeit wieder ein. Der Nebel füllte ihre Lungen und breitete sich in ihr aus.
Irgendwann fing sie an zu summen. Leise, damit es niemand außer ihr hörte. Sie ließ ihrem Geist freien lauf und lauschte den Tönen, die das aus dem Inneren ihrer Seele quollen. Sie war erstaunt wie schön und traurig sie waren.
Sie redeten nicht mehr miteinander. Längst nicht mehr. Eigentlich sollte man erwarten, dass Unsterbliche aufgrund der unendlichen Zeit, die ihnen zur Verfügung stand, auch entsprechend lange Gespräche führten. Dies mochte früher einmal der Fall gewesen sein. Einst hatten sie über alles geredet, was ihnen in den Sinn gekommen war. Sie hatten über völlig banale Dinge gesprochen oder sich gegenseitig ihr Herz ausgeschüttet. Doch ein Gespräch konnte kein Problem lösen, höchstens den Umgang mit dem selben verändern. Und wie sollte man damit umgehen? Es gab so viel, das sie schon eine Ewigkeit belastete. Ihr Versagen, ihre eigene Unfähigkeit im Schatten der Anderen. Das alles hatte sie niemals losgelassen.
Heute gab es einfach nichts mehr zu sagen. Ein düsteres Schweigen erfüllte die Station. Jeder hatte bereits alles gesagt, jeder hatte bereits alles gehört und sie hatten keine Lust sich alles noch mal anhören zu müssen.
Irgendwann hatte sie Daniel im Archiv besucht und irgendeine Bemerkung gemacht, dass er sich immer noch da aufhielt. Daraufhin hatte er sie angefahren, dass es wohl sein Problem sei, „wie er die Ewigkeit verbringe“. Wie recht er hatte. Sie hatte ihn allein gelassen. Es war wirklich das Problem eines jeden einzelnen von ihnen wie er mit der Ewigkeit fertig wurde. Doch keiner schaffte es.
Es war nicht schwer einander aus dem Weg zu gehen, wenn man die typischen Aufenthaltsorte der anderen mied. So konnte man lange durch die Station wandern ohne jemandem zu begegnen. Manchmal kam es jedoch vor, dass man sich an einer Stelle traf, die der Computer als fällig zur Reparatur ausgerufen hatte. Traf man als zweiter ein, verkrümelte man sich so schnell wie möglich wieder, nur um allein zu sein. Die anderen erinnerten einen nur an die eigenen Probleme.
Niemand konnte ihr helfen, also musste sie es allein schaffen. Doch schon die Dinge für sich selbst zu formulieren, um sie dann angehen zu können, war schwierig. Man war nicht unbedingt ehrlich gegenüber sich selbst.
Also begann sie zu summen. Sie musste keine Worte formulieren, um alles aus sich rauszuspülen. Sie musste nicht denken, sie musste mit niemanden darüber reden. Sie ließ die Klänge einfach fließen. Manchmal konnte Musik Gefühle besser ausdrücken als Worte. Mit den langen, melodischen Tonketten schien auch der Dunst aus ihr zu entweichen. Die Depressionen blieben, aber sie fühlte sich ein wenig befreiter.

Er hasste das Archiv. Er hasste sich, er hasste diese Welt. Hier ruhte der größte Schatz dieses Planeten, das Wissen einer ganzen Welt und er vermochte es nicht zu würdigen. Er konnte es einfach nicht mehr. Es war langweilig. Total überflüssig. Was interessierte es ihn, was ein Typ gesagt hatte, der schon fünftausend Jahre tot gewesen war, bevor das Archiv überhaupt gegründet wurde.
Daniel hatte nie gelernt, er hatte immer nur geforscht. Es war sein Leben gewesen. Er hatte versucht, Dinge zu finden und sie in den richtigen Zusammenhang zu bringen. Doch im Archiv gab es keine Rätsel mehr zu lösen. Alles war aufgearbeitet. Es war nicht so, dass er nach langem Suchen und Detektivarbeit vielleicht etwas über die Erbauer der Stargates herausbekommen hätte, wie er es lange gehofft hatte. Alles, was im Archiv war, konnte er über einen praktischen Index erreichen.
Und trotzdem waren noch so viele Fragen offen. Es war zum verzweifeln, wie als würde er auf einem Haufen Geld sitzen, ohne es ausgeben zu können. Er scheiterte nicht daran, dass es keine Rätsel mehr gegeben hätte, sondern daran, dass selbst dieses phantastische Archiv ihm bei der Suche nach Antworten nicht weiterhelfen konnte.
Hier gab es nichts für ihn in zu tun. Es war keine wirkliche Forschung, die er hier betrieb. Alles, was ihm blieb, war, das Zeugs zu lesen. Doch wofür? Wofür?? Es würde ihm in seinem späteren Leben nichts mehr nutzen und es gab niemandem, den er es lehren konnte. Selbst, wenn ihm einer der anderen vor lauter Langeweile zugehört hätte, wozu war es gut? Auch sie könnten damit nicht wirklich etwas anfangen. Am Ende wäre er dann wieder so weit wie vorher.
Und so wurde alles, was er hier tat und überhaupt je getan hatte, sinnlos.
Er hasste sich für diese Einstellung. Als er damals im Archiv der vier Spezies gestanden hatte, war er noch bereit gewesen, sein Leben für dieses Wissen zu riskieren, denn Wissen war Selbstzweck. Man forschte nicht, um technische Neuerungen zu machen, sondern allein weil das Wissen selbst es wert war. Es schaffte das, was schon Myriaden von Religionen seit Anbeginn der Zeit versucht hatten: ein Verständnis von der Welt zu schaffen.
Daniel hätte es nie gewagt, etwas gegen Leute zu sagen, die nicht dieser Meinung waren. Es war nun mal ihre Art. Aber es war eben nicht seine Art, dass er nichts mehr für das Archiv und sein Wissen übrig hatte. Es regte ihn auf und er verabscheute sich dafür.
Er wollte raus, raus aus dem Archiv, raus aus der Station. Manchmal glaubte er hier drin zu platzen. Er wollte wieder durch das Stargate gehen.
Doch was erhoffte es sich davon? Eine neue Kultur, die er studieren konnte? Vielleicht wäre sie interessanter als die der Menschen. Aber nein, es wäre nicht besser als das hier. Das Archiv war nicht zu überbieten und dennoch würde es ihn noch zu Tode langweilen! Was wollte er dann da draußen? Einfach nur Auslauf haben, mal was anderes sehen, wie eine Ratte, die man zu lange in einem Käfig gehalten hatte?
Er konnte sich nicht konzentrieren. Sein Blick glitt immer wieder durch den Monitor hindurch. Er spielte gedankenverloren mit den Einstellungen des Computers herum, zog sinnlose Markierungen in die Texte hinein oder zoomte und scrollte durch die Zeilen hindurch.
Plötzlich stand in großen Lettern „Nichts“ auf dem Monitor geschrieben. Es war der riesenhafte Ausschnitt aus einem der Texte. Daniel stoppte sein fruchtloses zoomen. Nichts. Er zog einen Rahmen um das Wort. War es nicht bezeichnend, dass in dem Wort Nichts das Wort Ich enthalten war? nICHts. Ich bin nichts. Ein Niemand. Was tue ich schon hier?
Aber auch das war mal wieder typisch für den neuen Daniel! Dieses Selbstmitleid, dass er sich in letzter Zeit zugelegt hatte. Immer, wenn etwas nicht so lief wie es sich Dr. Jackson vorstellte, bemitleidete Dr. Jackson sich selbst. Es war doch so schön in der Tragik der eigenen Situation zu baden, sich vielleicht noch viel deprimierendere Entwicklungen auszudenken.
Selbstmitleid hatte noch niemandem genutzt und er würde da sicherlich nicht der erste sein. Aber er hörte ja nicht auf den gesunden Menschenverstand. Verdammt Daniel, hör dir doch selber einmal zu! Er machte sich kaputt. Es war erbärmlich, was er da trieb, aber er konnte nichts dagegen machen.
Eine hilflose Wut überkam ihn. Er sah, was mit ihm los war, aber vermochte es nicht zu ändern. Dabei wäre es zu ändern gewesen, wenn er nicht so...
Immer wieder versuchte er sich zusammenzureißen und versuchte, statt sich seiner Wut hinzugeben, lieber das Geschenk zu nutzen, das ihm in den Schoß gefallen war. Es war eine unerschöpfliche Quelle des Wissens. Er konnte endlich eine Kultur bis ins Detail studieren. Er wünschte es sich von ganzem Herzen sich dem Studium wieder widmen zu können. Wieder er selbst zu sein, wäre zu schön. Doch er konnte es nicht. Dazu hatte er sich viel zu sehr verändert.
Er löschte die Markierungen und zoomte wieder auf normale Größe zurück. Er musste es versuchen.
Das war so klar gewesen! Er hatte keine Ahnung, wo er zuletzt gewesen war. Er scrollte nach oben, las ein paar Zeilen, scrollte weiter, las wieder. Er glaubte nicht, es schon gelesen zu haben, aber es kam ihm unheimlich bekannt vor. Durch den Wandel der Technik konnte eine Gesellschaft sich in einem anderen Licht präsentieren, aber letztlich konnte es sie von ihren Strukturen her vor ein paar Jahrhunderten schon einmal gegeben haben. Die Leute und Orte hießen anders, aber die Geschichten blieben die selben. Es geschah etwas und die Menschen begannen nach dem gleichen zu schreien, nach dem schon andere vor ihnen geschrieen hatten.
Nein! Oh, nein. Konnte er nicht einmal beim Thema bleiben?! Warum konnte er sich nicht konzentrieren? Warum schweiften seine Gedanken immer wieder ab? Es musste doch gehen! Was gab es hier sonst zu tun? Er hatte sein ganzes Leben doch mit dem verbracht, was er gerade versuchte zu tun, wie konnte es da sinnlos sein?
Schluchzend lag er auf der Konsole und tat schon wieder nichts...

Manchmal fragte sich Jack, wie es enden würde. Ihr Leben würde lange dauern. Sehr, sehr, sehr lange. So lange, dass man es getrost eine Ewigkeit nennen konnte. Doch es würde nicht unendlich währen. Nicht, dass er sich deswegen hätte Sorgen machen müssen oder erleichtert sein sollen. Aber wenn einem ein langes Leben etwas einbrachte, dann war es die Fähigkeit langfristig zu denken. Und langfristig würde es irgendetwas geben, das ihr Leben auf die eine oder andere Art irgendwann einmal beendete.
Vielleicht würden sie lange genug leben, um das Ende von Altairs Sonne mitzuerleben. Jack kannte Bilder von explodierten Sternen und den leuchtenden Gaswolken, die sie zurückließen. Sie sahen sehr schön aus. Er fragte sich, wie es wäre auf einer Welt zu leben, auf der es immer heißer und heißer wurde, weil die Sonne immer näher rückte. Wie es wäre wenn die Ozeane zu kochen begannen und der Sonnenwind die Atmosphäre davon blies. Ob sie es noch erleben würden, wie der Planet verdampfte, bevor er von seiner eigenen Sonne verschluckt wurde?
Doch selbst wenn die Sonne Altairs um einiges älter wäre, als die der Erde, dann würde das sicherlich noch ein paar Milliarden Jahre dauern. Ein Zeitraum, der ihm inzwischen nicht mehr so fantastisch groß erschien wie früher, aber dennoch groß genug, das er bezweifelte, ihn zu überleben.
Die Station würden sie auf keinen Fall Milliarden Jahre erhalten können. Sie würden an die Oberfläche gehen müssen. Jack sah ein Bild vor sich, klar, als ob er es mit eigenen Augen gesehen hätte. Er sah den Ausgang einer Höhle, die einen Schacht zur Station verbarg, den sie wieder freigelegt hatten. Vor diesem Ausgang standen fünf verdreckte Gestalten, die mit den Händen ihre Augen gegen das herrliche Licht der Sonne abschirmten.
Die Welt da draußen bestand aus grünen Hügeln und war bewachsen mit weichem Gras. An den Hängen wuchsen vereinzelte kleine Wäldchen und unter ihnen lag ein schöner, kleiner See, an dem seltsame Pflanzen in die Höhe ragten. Die Luft war frisch und angenehm warm. Der Himmel war blau und es gab nur einige vereinzelte, kleine Wölkchen, die wie Watte langsam dahin zogen. Auf der Wiese wuchsen viele bunte, außerirdische Blümchen... Altair hatte sich wieder erholt.
Es wäre wie ein Garten Eden. Sie würden sich keine Sorgen um Nahrung oder Unterschlupf machen müssen, sondern nur, dass sie immer über Energie verfügten.
Sie würden die Energiequelle nach oben bringen. Einen Transport durch den Hyperraum würde sie nicht überstehen, aber auf dem Planeten konnten sie sie beliebig verlegen. Der Begriff Quelle war dabei eigentlich missverständlich. Sie gab die Energie an ihre Körper weiter, aber sie erzeugte sie nicht. Das übernahm das geothermische Kraftwerk der Station.
Sie würden die Quelle nach oben schaffen und Sam würde sicherlich eine Möglichkeit finden, sie dort oben zu betreiben. Vielleicht mit Solarzellen. Oder sie würden Naquadavorkommen für einen Groß-Reaktor finden.
Jack hoffte wirklich, dass die Zukunft so aussehen würde, aber zu glauben vermochte er es nicht. Die Energiequelle war so ziemlich das robusteste Gerät, das es hier unten gab. Sie hatte kaum Verschleiß und ließ sich auch notfalls reparieren. Aber irgendwann würde ihr Herzstück ausfallen und sich nicht mehr reparieren lassen. Und genau dieses Herzstück sorgte für die exakte Modulierung der Energie auf die sie angewiesen waren. Würden sie es ersetzen, wäre das ihr Tod.
Doch dies war nicht das einzige. Er hatte Harlan zugehört, was er über den Untergang seiner Zivilisation erzählt hatte. Er hatte Daniel zugehört, was er ihm über die Hintergründe erzählt hatte und vor allem hatte er Sam zugehört, was sie ihm über die Waffen erzählt hatte, die da zum Einsatz gekommen waren. Und wenn er etwas davon wieder verdrängt hatte, dann hatte er nicht zuletzt auch Teal’c zugehört, der es ihm wieder ins Gedächtnis gerufen hatte.
Die Atombomben, vor der sich viele auf der Erde gefürchtet hatten, waren nichts gegen die Waffen der Altairaner gewesen. In diesen waren künstliche Elemente zu Einsatz gekommen, die sich nicht in das gewöhnliche Periodensystem einreihen ließen, weil sie irgendwie zu einem Teil im Hyperraum hingen. Sie vermochten unglaublich viel Energie freizusetzen, noch mehr als Naquada. Sam hätte ihm davon vorschwärmen können, wenn er sie gelassen hätte.
Die Bomben waren verheerend gewesen. Einige von ihnen waren so groß gewesen, dass sie die Erdkruste aufgerissen und dabei Vulkane erzeugt hatten, die bis heute immer wieder neuen Staub in die Atmosphäre wirbelten. Sie konnten froh sein, dass der nächste Vulkan weit genug weg war, sonst wäre die Station längst unter den Erdbeben zusammengestürzt.
Der große Nachteil dieser Hyper-Elemente war zudem, dass sie radioaktiv waren und bei ihrem Zerfall viel harte Strahlung abgaben. Aufgrund ihrer hohen Halbwertszeit verteilte sich diese Strahlung zwar über einen großen Zeitraum, aber das machte die Sache nicht besser, denn die Strahlung war trotzdem immer noch tödlich und nahm aufgrund des langsamen Zerfalls praktisch nicht ab.
Dummerweise hatten sich die Elemente jedem Versuch ihre Halbwertszeit genau zu bestimmen widersetzt und so war niemand in der Lage gewesen vorherzusagen, wie groß der Zeitraum denn nun war, über den sich die Strahlung verteilte und wie lange es dauern würde, bis die radioaktive Strahlung überhaupt merklich weniger wurde. Ein Zweifel, dass es sehr, sehr, sehr lange dauern würde, hatte jedoch nie bestanden...
Das einzige Leben, dass es auf Altair heute trotz der widrigen Bedingungen vermutlich noch gab, waren winzige Einzeller in den Tiefen der Erde oder der Ozeane, die weder Licht noch Sauerstoff brauchten. Bis sich daraus wieder höheres Leben entwickeln würde, war es ein langer Weg. Deswegen würde aus den grünen Wiesen wohl nichts werden, schließlich hatten selbst die Dinosaurier noch kein Gras gekannt.
Nein, er konnte nicht daran glauben, so schön die Aussicht auch gewesen wäre. Dafür formte sich in Momenten, in denen er mal wieder zu diesem Schluss kam, ein anderes Bild. Es war einmal in seinem Kopf entstanden und es wollte nicht wieder daraus verschwinden. Es deprimierte ihn. Er fürchtete sich vor dem Bild, hoffte das er sich irren würde.
Wieder sah er sie vor sich. Uralt und doch äußerlich um keine Minute gealtert. Irgendwann würde das letzte Ersatzteil verbaut sein, die letzte improvisierte Reparatur vollzogen. Es würden keine Worte zwischen ihnen nötig sein, um dies zu erkennen. Wenn dann noch etwas kaputt ging, würden sie es nicht mehr reparieren können. Sie würden sich ansehen und um die Energiequelle versammeln.
Früher hatte diese Halbmeter große Kugel hoch über ihren Köpfen in der Halle mit dem Stargate geschwebt und aus Schlitzen orange-rot geglüht. Jetzt lag sie auf dem Boden und das Glühen war kaum noch zu sehen. Sie würden sich im Kreis um die Quelle setzen wie um ein Lagerfeuer, für das kein Holz mehr da war und wissen, dass sie sterben würden. Sie würden sitzen und warten und irgendwann würde etwas seinen Geist aufgeben. Vielleicht war es eine Lappalie, aber diese würde sie ihr Leben kosten, das scheinbar eine Unendlichkeit gewährt hatte.
Der Energiefluss von der Quelle würde versiegen, sie würden in sich zusammensinken und gemeinsam das Leben aushauchen.

Eine Konservendose. Man konnte diesen Ort mit allen möglichen Worten belegen, die schöner klangen, aber letztendlich änderte ein Wort nicht den Gegenstand, den es beschrieb. Und das hier war nun mal eine Konservendose.
Wenn Jacks Raum nur zum schlafen oder arbeiten gedacht gewesen wäre, dann hätte die Größe ausgereicht. Um darin wohnen, war er jedoch viel zu klein.
Sein einziger Vorteil bestand darin, dass er dank Jacks Bemühungen schön hell war. Er wollte nicht hinaus in die dunkle Station. Da blieb er lieber da, wo es hell war. Und dies war nun mal einer der hellsten Orte.
Je länger er sich jedoch in ihm aufhielt, desto kleiner schien der Raum zu werden. Jack wusste, dass er sich das einbildete, aber er konnte sich dieses Gefühls nicht erwehren. Dann begann er immer auf- und ab zu gehen, wie ein Löwe in seinem Käfig. Immer von einer Wand zur anderen, immer im Kreis.
Manchmal öffnete er die Tür, um den Raum größer erscheinen zu lassen. Der Korridor dahinter war stockdunkel. Die offene Tür erschien ihm wie ein dunkler, weit aufgerissener Rachen. Eigentlich wollte er niemanden einladen hier herein zu kommen, doch die Tür stand offen wie die sprichwörtliche Büchse der Pandora, die bereit war das ganze Unglück dieser Welt zu ihm hinein zu lassen. Wenn er den Platz nicht gebraucht hätte, hätte er die Tür sofort wieder geschlossen.
Sein Tisch hatte ursprünglich im rechten Winkel zur Wand gestanden. Auf ihm standen ein Computerterminal, ein kleiner Hund aus Schrottteilen und aller möglicher unsinniger Krimskrams. Er hatte den Tisch jetzt parallel und direkt an die Wand gestellt, nur um mehr Platz bei seinen unruhigen Runden zu haben.
Den Schrank mit seinen Kleidern hatte er gegen einen weniger sperrigen eingetauscht. Er hatte längst damit aufgehört die Klamotten einfach zum Spaß zu wechseln, entsprechend war sein Vorrat an neuen Kleidern sowieso geschrumpft. Auch den großen Schrott-Mann mit dem Gebiss anstatt Kopf und Schlangen anstatt Armen hatte er aus dem Weg geschafft. Er stand jetzt vor der Tür. Vielleicht schreckte er dort jemanden ab, hier herein zu kommen. Auf jeden Fall verbrauchte er drinnen keinen Platz mehr.
Immer im Kreis, immer im Kreis. Sein ganzes Leben schien diesem Prinzip zu folgen. Jack hatte nie unter Klaustrophobie gelitten, aber wenn er sich hier zu lange aufhielt, war er irgendwann der Panik nahe. Die Wände schienen immer näher zu kommen. Dabei taten sie ihm nicht den Gefallen, ihn irgendwann zu erreichen, so dass es vorbei gewesen wäre. Sie beschränkten sich nur auf das immerwährende bedrohliche heranrücken.
Er glaubte sein Herz rasen zu fühlen und konnte es nicht verhindern, dass er zu zittern begann. Immer wieder blieb ihm nichts anderes mehr übrig, als fluchtartig durch die offene Tür zu verschwinden.
Mit langen Schritten durchmaß er dann die Station. Er ging vorbei an leeren Tanks, offen verlegten Leitungen und scheinbar sinnlosen Metallgerüsten. Vorbei an verschiedenen Aggregatblöcken, glimmenden Schaltschränken und verkommenen Ersatzteilregalen. Die Hinweise auf den Wänden waren längst vergilbt und abgeblättert. Seine Schritte klangen dumpf auf dem massiven Stahlfußboden und schepperten, wenn er über Metallroste oder Abdeckplatten lief. Die Geräusche von wackelnden Treppen und lockeren Geländern waren nicht gerade vertrauen erweckend.
Die Dämmerung war weiter vorangeschritten. Der Zahn der Zeit hatte auch vor den Lampen nicht halt gemacht und ihre Reihen stark gelichtet. Schon als sie hier ankamen waren neue Lampen knapp gewesen. Inzwischen hatten sie aus diversen Teilen neue gebaut. Dabei war ihr schwaches Licht nicht einmal weiß, sondern gelblich. Manche von ihnen flimmerten von Anfang an und gingen wahnsinnig schnell an und aus. Man nahm es kaum wahr, aber es machte einen nervös. Aber auch der Bau dieser neuen Lampen wurde immer schwieriger, da auch die Einzelteile knapp zu werden drohten. Irgendwann würde es für immer Nacht werden. Sein Weg führte Jack immer wieder an den langen Reihen der Skulpturen vorbei, die er einst geschaffen hatte. Einige von ihnen wurden immer noch beleuchtet. Im farbigen Licht der Scheinwerfer erschienen sie noch skurriler als sonst und warfen bizarre Schatten. Manchmal glaubte er eine Bewegung gesehen zu haben. Sie jagten ihm Angst ein, wenn er so nahe an ihnen vorbeilief. Insgeheim fürchtete Jack, sie könnten zum Leben erwachen und als Ausgeburten seines Unbewussten durch die Station streifen. Die Geister die ich rief...
Die Station sprach zu einem. Man musste nur zuhören. Ihre Stimme war allerdings nicht die die künstliche Stimme des Stationscomputers. Es waren die Laute, welche die Station selbst produzierte. Ein ständiges Gluckern und Brummen und Summen und Wummern wo man auch hinkam. Es mochte vertraut sein, aber daher längst nicht angenehm.
Die Station war wie ein allgegenwärtiger Feind. Eine stille Feindschaft herrschte zwischen ihr und Jack, denn sie ließ ihn nicht fort. Wenn der biblische Jonas die Ewigkeit im Bauch des Wals verbracht hätte, dann hätte er ihn auch gehasst.
Schon von weitem schlug ihm der Atem von Sektion 3 entgegen. Es roch nach Rost und Alter. Dies war der Bereich, der schon von Anfang an die meisten Probleme gemacht hatte. Sie hatten ihn aufgegeben und stillgelegt. Nichts arbeitete mehr dort. Sie hatten alles ausgeschlachtet.
Hier war es weitaus kühler als im Rest der Station, denn es gab hier keine Rohre mehr, die heißes Wasser führten. Kälte wie in einer Gruft. Sämtliche Geräusche waren verloschen, nichts brummte oder gluckste hier. Es gab nur das hohle Echo der eigenen Schritte.
Alles, was nicht niet- und nagelfest gewesen war, hatten sie mitgenommen, um es zur Reparatur der anderen Sektionen zu verwenden. Auch die Lampen, so dass es jetzt stockfinster war. Selbst wenn er Infrarot hätte sehen können – hier gab es längst keine Temperaturunterschiede mehr. Aber Jack kannte sich gut genug aus, um den Weg auch ohne Licht zu finden.
Immer wieder kam das Verlangen in ihm hoch durch das Stargate zu gehen. Doch das war nicht möglich. Es ging ihnen wie Tantalos in der griechischen Mythologie – inzwischen verstand selbst Jack etwas davon. Tantalos war von den Göttern damit bestraft worden bis zum Kinn in Wasser zu stehen, das perverserweise immer genau dann vor ihm zurückwich, wenn er, durstig wie er war, versuchte davon zu trinken. Durch das Stargate war das Universum nur einen Schritt entfernt, aber dieser Weg war ihnen verschlossen.
Oft stand er in Halle, in der sich einst das Gate erhoben hatte. Der große, schwere Container lastete immer noch auf ihm. Es war ein Grab.
Hin und wieder strichen seine Hände fast zärtlich über die 39 Tasten des Anwahlgeräts. Einmal hatte er dabei aus Versehen eines der Symbole eingedrückt und das Stargate war in seinem Grab wieder zum Leben erwacht. Wie als ob seit seiner letzten Benutzung nichts passiert sei, nahm es wieder seine Funktion auf. Jack hörte, wie mit einem leisen Zischen sich das Anwahlrad in Bewegung setzte.
Er hatte hinab auf das DHD gesehen. Das Symbol, das er gedrückt hatte, leuchtete. Auriga . Die erste Koordinate der Erde. Hörbar rastete Auriga ein, das Geräusch war ihm immer noch unheimlich vertraut, obwohl er es so lange nicht mehr vernommen hatte. Jack sah hinüber zum Gate. Der Grabstein vermochte das Tor nicht zum Schweigen zu bringen. Wenn sie wirklich die Absicht gehabt hätten, es nicht mehr zu benutzen, hätten sie es zerlegen sollen. Die primitiven Kulturen, denen sie empfohlen hatten das Tor zu vergraben, hätten das nicht gekonnt. Sie mit Sicherheit schon.
Der Chevron, der auf Auriga eingerastet war, leuchtete in seinem düsten Rot unter dem Container hervor wie das Auge eines Drachen. Das Tor wartete auf die nächste Koordinate. Jack hatte auf das DHD gesehen. Es hatte ihn in den Fingern gejuckt die restliche Adresse einzugeben. Doch das Wasser wich vor Tantalos zurück. Es ging nicht!
Er hatte gemacht, dass er davon kam.
Die Station hatte die Form eines Schuhkartons und erstreckte sich über mehrere Stockwerke. Wenn man lange genug geradeaus lief, war es unvermeidbar, dass man irgendwann abbiegen musste. Letztendlich lief man also auch hier nur im Kreis.
Es gab eine sehr große Anzahl von Routen, die man durch die Station nehmen konnte, doch letztlich war die Zahl begrenzt. Er kannte die Konservendose in- und auswendig. Er konnte einen detaillierten Plan von ihr zeichnen oder sie mit geschlossenen Augen durchqueren. Das war nicht nur eine Mutmaßung; er hatte es schon oft getan.
Jack hatte es immer gewusst, dass er sich auch bei seinen Touren durch die Station letztlich nur im Kreis bewegte, dennoch hatte es ihm gereicht, sich bewegen zu können. Irgendwann war es jedoch auch in sein Unterbewusstsein gedrungen, dass er im Prinzip das selbe tat, wie in seinem winzigen Raum.
Dann blieb er immer resigniert stehen und musste in den meisten Fällen feststellen, dass er sich wieder im Torraum befand.

Bei seinen Wanderungen durch die Station traf Jack eines Tages an dem Boxbeutel, den er vor Ewigkeiten aufgehängt hatte, Daniel.
Einst hatte er geglaubt ihn zu kennen. Daniel war freundlich und versöhnlich gewesen. Er war bereit gewesen alles zu tun, um Leuten zu helfen, die er nicht einmal kannte. Sofern er einmal zu Waffe griff, dann nur, wenn es wirklich notwendig war. Er war kein Heiliger gewesen. Natürlich nicht. Jack hatte den Hass in seinen Augen gesehen, wenn er sich daran erinnerte, wie die Goa’uld seine Frau mitnahmen, um sie zu einem ihrer Wirte zu machen.
Bei alledem hatte Daniel Jackson jedoch nie die Kontrolle über sich verloren. Er war sich immer äußerst bewusst über das gewesen, was er gerade tat. Von der Person, die dort auf den Boxbeutel eindrosch, wollte Jack das nicht behaupten.
Voller Zorn schlug Daniel auf den Sack ein. Blind vor Wut wie er war, geschah das ziemlich unkoordiniert, aber dafür umso brutaler. Der Beutel war schon völlig zerknautscht. Daniel lebte seine Aggressionen völlig aus. Blindwütig trieb er immer wieder seine Fäuste zwischen die Stahlspäne. Es musste eine Wut sein, die er über Jahre hinweg zurückgehalten hatte und die sich nun ihren Weg nach draußen suchte. Jack hatte keine Ahnung woher sie kommen mochte.
„Daniel!“ platzte es aus ihm heraus.
Daniel sah ihn nur kurz an und rief, während er bereits weiter den Sack traktierte „Verschwinden sie, Jack.“
Jack dachte nicht daran dem folge zu leisten. Nicht jetzt. Er trat vor und hielt den Beutel fest, der wild von einer Seite zur anderen schaukelte. „Was ist los, Daniel?“ rief er zurück. Daniel trommelte nur noch weiter gegen den Sack, der nun von Jack an seinem Platz gehalten wurde. „Ist das Archiv durchgebrannt, oder was?“
Mit einem kräftigen Hieb schlug Daniel Jack den Sack aus der Hand, so dass er zwischen ihnen hin- und her schwang. Anklagend zeigte er mit dem Finger auf ihn. „Erwähnen sie es nichtmal, Jack!“ zischte er. „Ich hasse es!“ Er passte den Beutel ab und versetzte ihm einen weiten Stoß.
„Wie bitte? Erklären sie mir das“, redete Jack auf ihn ein. Doch Daniel tat schon wieder so, als würde er ihn nicht hören. Jack packte den Sack und zerriss die Kette, an dem er hing. Dumpf fiel er zu Boden. „Daniel! Hören sie. Ich habe keine Lust die Ewigkeit mit einem Mann zu verbringen, der alle paar Jahre auf etwas einschlagen muss, weil er nicht mit seinen Problemen fertig wird!“ schrie er ihn an.
Vielleicht konnte er so zu ihm durchdringen. „Also erklären sie es mir“, fügte er leiser hinzu.
Daniel schüttelte den Kopf und begann wild auf- und ab zu gehen. Die Energie, die er gerade noch in die Fäuste geschickt hatte, lief nun in seine Beine. Schließlich blieb er stehen. „Jede Zeile die ich lese, glaube ich schon mal gelesen zu haben, obwohl ich ganz genau weiß, dass es nicht sein kann“, sagte er dann mühsam beherrscht. „Ich kann nicht glauben, dass ich damit früher mein Leben verbracht habe.“
Anfangs hatte Jack noch geglaubt, dass er derjenige sei, der hier als erstes durchdrehen würde. Daniel war es gewesen, der damals versucht hatte ihn zu beruhigen. „Was ist mit ihrer alles-ist-besser-Nummer passiert?“
Daniel trat gegen den Beutel. Er flog gegen die nächste Wand und platze auf. „Nichts ist besser!“ grollte er. Er schien seine Wanderung durch den Raum wieder aufnehmen zu wollen. „Ich drehe hier noch durch. Ich platze! Ich muss hier irgendwie raus. Ich ertrage er nicht mehr!“ Er drehte sich um und stürmte durch einen der Gänge hinaus.
„Wohin gehen sie?“ rief Jack ihm nach.
„Zurück ins Archiv. Es gibt noch so viel zu tun.“
Jack folgte ihm. „Warten sie Daniel.“ Der reagierte schon wieder nicht. „Warum tun wir es nicht einfach?`“
Daniel blieb wie angewurzelt stehen und drehte sich um. „Was?“ fragte er lauernd.
„Von hier fortgehen.“


* * *


Geblendet schloss Jack die Augen. Er war es gewöhnt in der Dämmerung etwas sehen zu müssen. Hier schien die Sonne grell am Himmel. Ihr Licht wurde vom Boden reflektiert. Es war so hell, dass ihm die Augen weh taten. Nur langsam schälten sich die Konturen der Umgebung heraus.
Die trockene Luft brannte in seinen Lungen. Es war unglaublich heiß. 740215 war immer noch die gleiche Felswüste wie damals. Die unnatürlich große, gelbe Sonne stand hoch am Himmel. Es war keine Wolke zu sehen.
Die Wüste war eine endlose Ebene, die aus unzähligen, ineinander verschachtelten Felsblöcken bestand, die alle eine holprige, aber im Großen und Ganzen doch flache, Oberfläche bildeten. Es gab nur wenig herumliegendes Gestein – scharfkantige Felsbrocken der unterschiedlichsten Größen und ein wenig feiner Sand dazwischen.
Der Boden war dunkelbraun, wie Erde oder Holz. Der Himmel, der sich über ihm aufspannte, hatte ein blasses blau. Platz. Es gab keine Decke über dem Kopf. Da war nur der blaue Himmel und das Weltall über ihm. Bis zum Horizont war nichts zu sehen.
Freiheit. Die Schwerkraft hier war geringer als auf Altair. Es gab kein Hindernis, keine Wand, die ihn hätte stoppen können. Mit dem Zusammenbruch des Wurmlochs von Altair war nicht nur die Nabelschnur der Energiequelle durchtrennt worden. Es hatte auch die Leine zerrissen, die ihn an diesen Ort gefesselt hatte.
Hier gab es nichts, dass ihn irgendwie einschränkte. Nichts und niemand konnte ihn aufhalten. Es gab nur die endlose Ebene unter seinen Füßen und den endlosen Himmel über seinem Kopf.
Jack jagte los. Einfach der Nase nach. Er sprintete über Stock und Stein dem Horizont entgegen. Zum ersten mal konnte er die Fähigkeiten seines Körpers voll ausschöpfen. Er erreichte eine wahnsinnige Geschwindigkeit. Er fühlte, wie seine Beine immer schneller umherwirbelten und wie er schließlich auf Widerstand seines Körpers stieß. Sein Körper reagierte auf das, was er tat! Es schien nicht schneller zu gehen, aber Jack schaffte es trotzdem noch an Geschwindigkeit zuzulegen.
Zum ersten Mal seit langem fühlte sich Jack wieder richtig lebendig. Er fühlte seinen Körper bis ins letzte synthetische Härchen hinein. Er spürte wie sich die Gelenke bewegten und ihn über die Ebene trugen. Es tat unglaublich gut. Er hatte die Maschine unter Kontrolle, er triumphierte über sie. Sie tat dass, was er von ihr verlangte. Sein Wille zwang sie zu Höchstleistungen. Er hielt den Atem an und die Maschine folgte weiter ihrem Kurs. Sie brauchte keinen Sauerstoff.
Nichts konnte ihn aufhalten, wie er durch die Ebene rauschte wie ein Wirbelwind. Über einen riesigen Felsbrocken in seinem Weg setzte er mit einem gewaltigen Sprung hinweg. Für einen kurzen Moment glaubte er zu schweben, dann setzte er auf und rannte er weiter. Er fühlte, wie kleine Steine unter der Wucht seiner Schritte zermalmt wurden.
Wie im Rausch pflügte er Kilometer um Kilometer durch die Wüste und hinterließ nichts als eine Staubfahne.

740215 hatte sich nicht verändert, seit Daniel diese Welt durch die Kamera des MALPs gemustert hatte. Geologische Vorgänge spielten sich offensichtlich in noch größeren Zeiträumen, als ihr bisheriges Leben ab. Damals hatten sie auf der Erde gemeinsam beschlossen, dass es nicht nötig wäre, hier ein Team herzuschicken. Es war eine tote, trostlose Welt.
Ein wenig ratlos stieg Daniel die Stufen des Stargates hinab. Sie waren fast völlig mit Kies und feinem Sand bedeckt. Er hatte sich oft ausgemalt wie es wäre wieder zu anderen Welten zu reisen, war aber nie zu einem Entschluss gekommen, was er tun würde, wenn er einmal da war.
Er drehte sich um sich selbst. Das Stargate und das hiesige DHD waren die einzigen Erhebungen hier. Das Tor schimmerte im grellen Licht der großen Sonne. Jack war inzwischen zu einem kleinen Strich in der Landschaft geschrumpft.
Eine innere Ruhe füllte ihn aus. Zum ersten Mal seit langem konnte er wieder frei durchatmen. In der Station hatte er noch alles zertrümmern wollen. Hier gab es nichts zum zertrümmern. Auf eine gewisse Weise übertrug sich die blanke Friedlichkeit der Landschaft auch auf ihn.
Daniel erkannte jetzt was es war, das er in der Station gesucht aber nie gefunden hatte. Einsamkeit. Er hatte versucht sich von der Gesellschaft der anderen abzukapseln. Er hatte sich zuletzt selbst nicht mehr ausstehen können, aber es war immer leichter, dies auf die ganze Menschheit abzuwälzen, anstatt es auf einem selbst ruhen zu lassen. Lieber hatte er sich eingeredet Gesellschaft nicht ausstehen zu können.
In der Station hatte er jedoch nie Einsamkeit gefunden, selbst wenn er sich im Archiv einschloss, das sich im untersten Stockwerk der Station befand. Er hatte immer gewusst, dass die anderen nicht weit waren und jederzeit vor seiner Tür erscheinen konnten.
Hier war er wirklich allein. Jack war längst nicht mehr zu sehen. Es gab keinen anderen Ort, an dem man einsamer sein konnte, als in einer Wüste. Selbst, wenn man frei im Weltraum schweben würde – dort gab es nichts mehr, an dem man den Platz um einen ermessen konnte. Hier sah das Auge den Horizont und er wusste, dass da sonst nichts mehr war.
Sein Blick strich über die Landschaft und er sah – Nichts. Es war wunderschön. Ein brauner Balken unten, ein blauer darüber und das Bild der Wüste wäre fertig gewesen. Es beeindruckte durch seine Schlichtheit und pure Größe.
Hier wuchs kein Grashalm und keine Flechte. Er hielt die Luft an und lauschte. Es war völlig windstill, nichts regte sich. Nicht einmal er erzeugte Geräusche, die er hätte hören können. Kein Atem, kein Herzschlag. Es war völlig ruhig. Daniel breitete die Arme aus, wie als ob er die Leere um sich herum völlig ausfüllen wollte und platzte. Alles, was er über die Zeit hinweg in sich aufgestaut hatte, entlud sich in diesem einen Augenblick. Ein gewaltiger Schrei entsprang seiner Kehle und raste durch die Wüste. Ein Leuchtfeuer des Lebens inmitten des Nirgendwo.
Daniel sah dem Pfad nach, den Jack hinterlassen hatte. Er konnte nicht anders. Seine Beine setzten sich in Bewegung und er raste hinter O’Neill her.

Vor ihnen fiel der Boden fast im rechten Winkel ab und führte einige hundert Meter in die Tiefe. Erst, wenn man kurz vor dem Abgrund stand, wurde man sich klar, dass die Ebene ein riesiges Plateau über einer noch viel größeren Ebene war.
Direkt an der Kante standen zwei einsame Gestalten und betrachteten friedlich die Landschaft. Der Boden tief unter ihnen sah genauso aus, wie der, auf dem sie standen. Sie mochten nicht weiter können, aber das machte nichts. Von hier aus hatten sie einen perfekten Blick über die große Ebene. Wenn man weit genug vortrat, so dass man den Abgrund nicht mehr sehen konnte, hatte man das Gefühl über der Ebene zu schweben und sie völlig im Blick zu haben. Die Schwerkraft schien keine Bedeutung mehr zu haben. Sie waren wie Vögel, die hoch am Himmel kreisten und hinab auf die Erdoberfläche sahen. So musste sich Gott gefühlt haben, als er über seine Schöpfung blickte und sah, dass es gut war. Sehr, sehr gut. Zum ersten Mal in ihrem künstlichen Leben waren sie frei.
Der kleine Planet drehte sich viel rascher um seine Achse wie die Erde, so dass die große Sonne wahnsinnig schnell über den Himmel wanderte. Sie stand inzwischen um einiges tiefer und strahlte ihnen ins Gesicht. Sie blinzelten nicht, denn sie konnten in die Sonne sehen, ohne dass es ihren Augen geschadet hätte. Sie sogen ihr Licht förmlich in sich auf und versuchten die Dunkelheit und Kälte, die sich über Jahrtausende in ihnen eingenistet hatte, zu vertreiben. Noch nie in ihrem langen Leben hatte Sonne auf ihre künstliche Haut geschienen. Es war ein gutes Gefühl.
Das Licht knallte nun frontal auf ihre schwarzen Kleider. In der Station war es immer schwül gewesen. Jetzt war es richtig heiß; die Luft trocken und sauber. Angenehm.
Ihre Schatten waren länger geworden. Der Himmel war nun dunkelblau. Ein kühler Wind strich durch ihr Haar. Er kam von dort, von wo sie gekommen waren und strömte in die Regionen, die jetzt stärker von der Sonne erwärmt wurden. In der Ebene weit unter ihnen erhoben sich feine Staubfahnen.
Sie wussten nicht, wie viel Energiereserven sie noch hatten. Sie spürten nichts, ahnten aber, dass der Sprint sie sehr geschwächt haben musste. Es war zweifelhaft, ob sie den Weg zurück schaffen würden.
„Bereuen sie es, Daniel?“ fragte Jack leise.
„Nein“, kam die Antwort. „Und sie?“
„Nicht im geringsten.“


* * *


Erst als es klopfte wurde ihr bewusst, wo sie sich aufhielt. Wenn man sich eine Ewigkeit an ein- und demselben Ort aufgehalten hatte, spielte es keine Rolle mehr, wo genau man sich dort befand.
Sam war schon in jeder Ecke der Station gewesen und kannte jeden Quadratzentimeter. Sie hatte auch schon praktisch alles getan, was man hier so tun konnte. Dies machte alles nicht nur zu etwas normalem oder langweiligem, sondern zu auch etwas äußerst stupidem.
Des weiteren war es sowieso völlig ohne Bedeutung, was man gerade machte und was nicht. Wenn ein Sterblicher darüber nachdachte, was er gerade nicht tat, dann hatte er immer irgendwo den Gedanken im Hinterkopf, dass er es vielleicht nie tun würde. Für sie war das keine Frage. Sie hatten alle Zeit der Welt. Was sie jetzt nicht taten, konnten sie jederzeit nachholen.
Jetzt jedoch klopfte es an ihre Tür und Sam wurde sich klar, dass sie sich in ihrem Raum aufhielt. Sie hatte ihn immer noch nicht mit irgendwelchen Dingen gefüllt. Wahrscheinlich würde sie das auch nie tun. Sie konnte es ja jederzeit nachholen.
Nur widerstrebend kehrte sie in die Realität zurück. „Herein“, murrte sie. Dann sah sie auf und stellte fest, dass sie die Tür verriegelt hatte. Sie trat zur Tür und zog den Griff nach unten, der daneben angebracht war. Die Tür glitt zur Seite und der Griff schnappte wieder nach oben.
Herein kam ein völlig durch den Wind gedrehter Harlan. „Ein großer Notfall“, sprudelte es aus ihm hervor. „Du musst helfen. Wirst du helfen. Ja? Nein?“
Sie schüttelte den Kopf, wie um wach zu werden. „Harlan!“ unterbrach sie ihn.
„Ja?“
„Was ist passiert?“
„Sie sind durch den Ring gegangen. Ich sagte ihnen, dass es gefährlich sei. Ich flehte sie an. Aber sie wollten nicht hören. Sie haben gesagt, dass sie zurückkommen würden, aber jetzt sind sie schon viel zu lange weg. Oooooh, ihr müsst ihnen nach. Ihr müsst sie zurückholen. Ich hab mich an sie gewöhnt. Ich kann ohne sie doch nicht mehr funktionieren“, redete er wie ein Wasserfall.
„Wer ist fort?“ fragte Carter.
„Colonel O’Neill und Doktor Jackson.“ Er konnte durchaus exakte Antworten liefern, wenn er nur wollte.
„Hast du gesehen, welche Koordinaten sie eingegeben haben?“
Harlan nickte nervös. Natürlich hatte er das.

Flink huschten Harlans Hände über die Tasten des Anwahlgeräts und gaben die Koordinaten der Welt an, zu der Jack und Daniel gereist waren. Sam konnte sich nicht vorstellen, was die beiden dazu getrieben haben könnte. Es war Wahnsinn. Sie wusste das und sie hatte geglaubt, dass die anderen es auch wussten. Offensichtlich war das aber doch nicht der Fall. Die beiden riskierten ihr Leben ohne sie und Teal’c zumindest davon in Kenntnis zu setzen.
Brausend wie eine Naturgewalt brach der Vortex aus dem Gate hervor. Es war immer wieder faszinierend. Erst als er wieder in sich zusammenfiel, stabilisierte sich der Ereignishorizont. Zögerlich erklomm Sam die Stufen zum Tor und blieb vor der Grenze zum Wurmloch stehen. Die Fluktuationen des Horizonts ließen ihn wie die Oberfläche eines senkrecht stehenden Teiches erscheinen.
Hinter dem Schimmern glaubte sie verschwommen den Torraum des SGC erkennen können. Es war Einbildung, aber sie schien Hammond und die Andere sehen zu können, wie sie hinter den Soldaten mit den Waffen standen und voller Misstrauen das Tor von der anderen Seite her musterten.
Sam wusste, dass es Wahnsinn war. Sie wusste es besser als jeder andere, denn sie hatte diesen Wahnsinn erlebt. Sie hatte das Risiko schon einmal auf sich genommen und war durch das Tor gegangen. Ausgerechnet zur Erde war sie gereist. Es war ein Fehler gewesen. Es hatte ihr nichts als Schmerzen eingebracht, die sie nur mühsam überwunden hatte. Und letztlich war die Reise zudem völlig überflüssig gewesen. Die Naquada-Technologie hatte ihnen nichts genutzt.
Sie kannte das Universum da draußen. Es war tückisch, es lockte einen an, wie eine fleischfressende Pflanze die Fliege. Jeder, der seinem Ruf folgte, würde es bereuen. Sie hatte es bereut, oh ja. Sie hatte auch genug Zeit dafür gehabt. Nur wer wirklich frei war, hatte eine Chance in der Welt da draußen zu bestehen. Wenn überhaupt. Sie hatte sich damals geschworen nie noch einmal so schutzlos diesen Planeten zu verlassen, wie sie es damals getan hatte. Sie trug keinen Reaktor in der Brust, also würde sie hier bleiben.
Carter hörte Harlan, wie er sie drängte. Sie blieb wie erstarrt vor dem Tor stehen. Selbst, wenn sie es gewollt hätte, wäre es ihr nicht möglich gewesen, hindurch zu gehen. Sie hatte ihre Lektion gelernt. Erst jetzt merkte sie, dass ihr linker Fuß immer noch nicht auf der obersten Stufe der Treppe stand. Er hing noch frei in der Luft. Sie ließ ihn auf die untere Stufe zurücksinken. „Nein.“
Harlan versuchte sie umzustimmen, aber auch wenn sie zugehört hätte, wäre er kaum in der Lage gewesen ihren Entschluss zu kippen. Schließlich verschwand er, kam aber schon nach kurzer Zeit wieder zurück. Zum ersten Mal konnte sie sich wieder sicher sein, dass es wirklich nicht lange gedauert hatte. Ein Wurmloch konnte nicht länger als 38 Minuten bestehen und die Verbindung nach 740215 stand noch als Harlan wieder kam.
Teal’c war bei ihm. „Ich kann nicht“, erklärte sie auch ihm.
„Captain Carter, es ist deine Pflicht.“
„Ich bin kein Captain mehr!“ korrigierte sie ihn gereizt.
Er senkte den Kopf und deutete ein Nicken an. „Es ist auch eine Pflicht für Samantha Carter“, fügte er dann sanft hinzu.
„Es tut mir leid,“ beharrte sie.
„O’Neill ist da draußen,“ erinnerte er. „Wenn ihm und Daniel Jackson etwas zugestoßen ist, werde ich nicht in der Lage sein, beide hierher zurückzubringen.“
„Gutes Argument!“ rief Harlan.
„Nein.“ Wie oft sollte sie das noch wiederholen?
Teal’c sah zu Harlan hinüber. „Dann wirst du mich begleiten.“
Harlan trat einen Schritt zurück. „Oh. Oh, nein. Ich gehöre hier her.“
„Notfalls werde ich dich tragen“, erklärte Teal’c ausdruckslos. Wenn Harlan sich sonst auch so schnell wie in diesem Augenblick verkrümelt hätte, wenn er einen zu nerven begann, wäre das schön gewesen.
Teal’c sah Carter einen Moment mit unergründlichem Blick an. „Ich werde alles was in meiner Macht steht tun, um sie zu retten, aber ich weiß nicht ob ich alleine erfolgreich sein kann“, erklärte er salbungsvoll. „Folge mir, wenn es dir möglich ist.“ Dann verschwand er.
Sie sah ihm nach. Sam stand nun ganz allein in der Halle. Der Ereignishorizont gluckerte leise vor sich hin und warf sein waberndes blau-weißes Licht auf die Wände. Hatte sie wirklich geglaubt, dass jetzt, wo sie nicht mehr in der Air Force war, es keine Pflicht mehr in ihrem Leben gab?
Was immer sie jetzt auch war, früher war sie einmal ein Mensch gewesen – und Menschen halfen einander. Was sie auch durchgemacht hatte, es war ihre Pflicht. Sie ging wieder die Stufen hinauf und zögerte erneut. Wenn doch alle Probleme durch eine simple Erkenntnis zu lösen gewesen wären...
Das Wurmloch war jetzt vielleicht 30 Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt und sie konnte sich trotz allem nicht überwinden, ihm noch näher zu kommen.
Jack... Sie musterte den Horizont als wäre er der Übergang zur Unterwelt, für den ihn manche Völker hielten. Von dort gab es gewöhnlich keine Wiederkehr. Trotzdem hatte es in den Mythologien immer wieder Helden gegeben, die es gewagt hatten. Für sie war es kein blindes, sondern ein kalkuliertes Risiko gewesen.
Die Zeit drängte. Sie wusste, dass das Tor nicht ewig in der Lage sein würde, die Verbindung aufrecht zu erhalten. Das Wurmloch konnte jeden Moment zusammenbrechen. Sam wusste, dass es dann vorbei gewesen wäre. Sie würde es nicht über sich bringen die Adresse noch einmal zu wählen.
Carter gab sich keine Chance noch einmal darüber nachzudenken, als sie einen Schritt nach vorne tat.



Nicht hinsehen. Nur nicht hinsehen. Die beiden hatten eine höllisch gute Wahl getroffen. Sie fühlte, wie sich Euphorie in ihr ausbreitete und versuchte sie irgendwie einzudämmen. Sie hatte die Wüste gesehen. Es gab hier so viel Platz.
Die dunkle, neblige Höhle, in der sie sich manchmal eingeschlossen gefühlt hatte, schien sich aufgelöst zu haben. Eine Last war von ihr gewichen, sie fühlte sich leicht und beflügelt.
Aber sie wusste, dass es nur ein Trugbild war. Sie wusste, dass es sich auflösen würde wie eine Seifenblase. Es war unvermeidbar, dass sie wieder nach Altair zurück mussten. Sie war auf dem Kelch der fleischfressenden Pflanze gelandet und musste jetzt sie aufpassen, dass sie nicht hineinfiel.
Sie konnte die Augen schließen, um nichts zu sehen und sie konnte aufhören zu atmen, um nicht die saubere Luft einatmen zu müssen, aber sie kam nicht umhin die Wärme der Sonne zu spüren. Diese Welt war wundervoll; früher hatten sie nicht einmal ein UAV zu ihr gesendet.
Sie musste die Augen wieder öffnen, wenn sie den anderen helfen wollte. Die tiefstehende Sonne am tiefblauen Himmel strahlte ihr ins Gesicht.
Vielleicht konnte sie sich gestatten, es ein wenig zu genießen. Aber sie durfte sich nicht überwältigen lassen. Ständig musste sie sich bewusst sein, dass sie bald wieder fort sein würde.
Teal’c war schon ein ganzes Stück von ihr entfernt. Er lief dem Horizont entgegen. Von Jack und Daniel war nichts zu sehen. Sie sah aber die Spur die Teal’c hinterlassen hatte. Es war der einzige Trampelpfad, der vom Tor wegführte, also mussten schon Jack und Daniel ihn getreten haben. Sie folgte Teal’c.


* * *


Es wäre ein Fehler gewesen ihnen zu folgen. Harlan hatte diesen Planeten nie verlassen, weder mit einem Raumschiff, noch durch den Ring. Er gehörte hierher.
Der Ring war ihm unheimlich. Harlan gehörte zu einem Volk, dass schon Hyperraumantriebe kannte und auch er wusste, was der Ring tat und wie er es tat. Dennoch jagte es ihm immer wieder Schauer über den Rücken, wenn er sah, wie Leute auf der einen Seite in das Energiefeld hinein traten und auf der anderen Seite nicht wieder zum Vorschein kamen. So etwas durfte nicht sein.
Die wenigsten, die durch den Ring gegangen waren, kamen wieder zurück. Dennoch hatte er Geschichten dieser wenigen gehört. Er hatte lange genug Zeit gehabt, um zu hören, was SG-1 alles zu berichten hatte. Er konnte nicht nachvollziehen, was Menschen dazu trieb da durch zu gehen. Das Universum mochte voller Wunder und Schätze sein, aber eine Kugel beendete immer noch ein Leben. Da blieb er doch lieber hier.
Seit die Station in ihrer Aufbauphase einigermaßen bewohnbar gewesen war, hatte er sie nicht mehr verlassen. Sie bot ihm Sicherheit und Geborgenheit. Hier wusste er, woran er war. Das Universum dagegen kannte er nicht und er fürchtete es.
Jetzt war er wieder allein. Er hatte ihnen gesagt, dass sie nicht gehen sollten und er hatte die beiden anderen hinterher geschickt, um sie zurückzuholen. Mehr vermochte er nicht zu tun. Entscheidungen waren Entscheidungen. Man musste konsequent bleiben. Wenn man Raum für Zweifel ließ, dann beschäftigten diese einen ewig. Also musste man bei der einmal getroffenen Entscheidung bleiben. Er hatte die Wahl gehabt, er hatte sich entschieden, es war vorbei. Entweder sie kamen zurück oder sie kamen nicht zurück.

Teal’c hatte ihn nie um etwas gebeten. Nur Harlan war es gewesen, der immer wieder Teal’c darum bat, ihm zu helfen. Und das hatte er getan, sogar noch weit mehr als das.
Jetzt hatte Teal’c ihn um etwas gebeten. Zwar hatte er es nicht offen ausgesprochen, aber dennoch hatte eine Bitte hinter der Forderung gestanden, ihn zu begleiten, um bei der Rettung seiner Freunde zu helfen.
Die Station war so leer ohne sie. Er hatte sich an sie gewöhnt. Er konnte nicht mehr leben ohne sie. Sie waren auch seine Freunde. Gute Freunde! Mit ihnen hätte er die Ewigkeit verbringen können. Ohne sie würde er vielleicht den Rest seines Lebens in Einsamkeit verbringen müssen. Grauenhaft!
Der Gedanke machte ihm Angst. Harlan wusste besser als jeder andere was Einsamkeit bedeutete. Dieser Abschnitt seines Lebens kam ihm im Rückblick wie ein Albtraum vor, aus dem er erwacht war. Doch nun schien ihn dieser Albtraum von einem Moment zum andern wieder Realität zu werden und ihn zu umschlingen.
Er hatte die Chance gehabt, ihnen zu helfen. Diese Chance war nun vertan, er hatte sich entschieden. Aber das Leben würde weiter gehen. Würde es nach einer ausgeschlagenen Chance einfach enden, so hätte keine bewohnte Welt Probleme mit Überbevölkerung gehabt.
Es war doch immer das gleiche: Er traf eine Entscheidung, die er sich vorher mehr oder weniger gut überlegte. Wenn sie sich dann doch als falsch erweisen sollte, würde er daraus lernen. Je größer der Fehler war, desto größer war die Lektion die er dadurch lernte. Er würde diesen Fehler dann nie wieder machen.
Und dies war ein Fehler gewesen, das fühlte er jetzt. Er würde einen solchen Fehler nie wieder begehen. Es fragte sich nur, ob er dazu noch einmal Gelegenheit haben würde.


* * *


Teal’c hätte nie gedacht, dass er das Wissen, das er sich als Krieger erworben hatte, noch einmal brauchen würde. Er trabte durch die Wüste. Er bewegte sich schnell voran, aber nicht so schnell, als das es übermäßig Energie gekostet hätte. Es war ihm sehr bewusst, dass er hier auf dem trockenen saß und seine Energie und Zeit begrenzt waren.
Er folgte der Spur, welche die beiden hinterlassen hatten. Früher war er einmal sehr gut im Spurenlesen gewesen. Ihrem Pfad zu folgen war aber in einer Umgebung, die seit Urzeiten allenfalls vom Wind geformt wurde, wirklich nicht schwierig. Sie hatten sich sehr schnell bewegt. Sie waren schneller gelaufen, als er je einen Menschen oder ein anderes Wesen hatte rennen sehen. Ihre Füße hatten mit der Wucht, mit der sie den Boden berührten, regelmäßig Steine und kleine Felsbrocken zermahlen.
Teal’c wusste, dass Samantha Carter hinter ihm war. Er hatte gewusst, dass sie ihm folgen würde. Es war beruhigend zu sehen, dass er nach all dieser Zeit das Verhalten seiner alten Freunde noch vorhersehen konnte. Zumindest teilweise. Bei O’Neill und Daniel Jackson hatte es offenbar nicht funktioniert. Er hatte es nicht kommen sehen. Vermutlich war es ein spontaner Entschluss gewesen. Ein äußerst leichtsinniger.
Die Sonne stand jetzt dicht am rötlich leuchtenden Horizont. Der Himmel darüber nahm einen violetten Ton an. Er fand die beiden ausgestreckt auf dem Wüstenboden liegen. Sie hatten offenbar versucht, zum Tor zurückzukehren, sich aber mit ihrer Energie verkalkuliert gehabt. Der Spurt musste ganz schön an ihren Reserven gezehrt haben. Offenbar hatten sie versucht sich gegenseitig zu stützen, bevor sie zu Boden gegangen waren.
Sie regten sich nicht. Dies war, wie Teal’c wusste, nicht unbedingt besorgniserregend. Unterschritt die Energiereserve ein gewisses Niveau, so tat der Körper alles, um das künstliche Gehirn am Leben zu halten. Alles andere trat dann in den Hintergrund, denn sobald das Hirn einmal seine Funktion einstellte, würde es sie nie wieder aufnehmen können. Deswegen zitterten sie nicht einmal mehr.
Nach kurzer Überlegung kümmerte er sich um Daniel Jackson. Samantha Carter würde sich sicherlich um O’Neill kümmern wollen. Er lud sich Daniel auf den Rücken. Eine leichte Übung für den ehemaligen Primus von Apophis. Dennoch überraschte es ihn immer wieder wie federleicht ihm solche Aktionen heute fielen. Obwohl Daniels Roboterkörper das Vielfache eines Menschen wog, schien er fast keine Kraft zu brauchen, um ihn hochzuheben.
Er wartete nicht auf Samantha. Sie war später als er durch das Tor gekommen und hatte noch mehr Reserven als er. Teal’c trabte zurück zum Tor, Samantha entgegen und an ihr vorbei. Er überlegte, ob er sich lieber beeilen sollte und dabei viel Energie zu verbrauchen oder lieber langsamer machten sollte, während seine normalen Körperfunktionen Energie benötigten.
Er begann sich zu fragen, was die beiden gerade auf diese Welt geführt hatte. Wenn sie die Erde oder eine andere bewohnte Welt aufgesucht hätten, wäre dies für ihn nachvollziehbar gewesen. Sie hätten sehen können, was aus diesen Welten geworden war. Sie hätten für einen kurzen Moment wieder daheim sein könnten. Dafür wäre er vielleicht bereit gewesen das Risiko auf sich zu nehmen. Aber diese Wüste hier inmitten des Nirgendwo...
Sie hatten eine gewaltige Strecke zurückgelegt. Als er sich umgedreht hatte, war das Tor kaum mehr zu sehen gewesen. Erst langsam wurde es wieder größer. Teal’c brauchte sich nicht umzudrehen, um sich davon zu überzeugen, dass Samantha Carter hinter ihm war. Er konnte sie hören.
Er hatte das Tor fast erreicht und steuerte bereits das DHD an, als seine Beine unter ihm nachgaben. Sie knickten ohne Vorwarnung einfach zusammen und Teal’c ging zu Boden. Daniels Gewicht schlug auf seinen Rücken. So kurz vor dem Ziel musste ihm die Energie ausgehen. Mühsam schob er sich unter Daniels Körper hervor. Sämtliche Kraft war aus ihm gewichen. Die ganze Stärke war nichts als Illusion.
Er konnte nicht aufstehen. Die Signale erreichten zwar noch die Beine, aber es gab nicht genügend Energie, um die Befehle umzusetzen. Teal’c wusste genau, was in seinem Körper vor sich ging. Seine Beine zitterten, wenn es sie bewegen wollte, taten aber ansonsten nichts.
Er stöhnte auf, streckte die Arme nach vorne und krallte sich an einer flachen Felskante fest. Dann zog er sich nach vorne. Der Klimmzug brachte ihn ein kleines Stück dem DHD näher. Noch ein Stück. Wie es sich für eine Maschine gehörte, arbeitete er sich vor. Ein Zug nach dem anderen.
Dann ging es nicht mehr. Auch seine Arme begannen zu zittern. Noch ein letzter Zug. Geschafft! Was sprach gegen noch einen letzten Zug. Und noch einen...
Doch irgendwann blieb der letzte dann der letzte. Er konnte seine Arme nicht mehr bewegen. Er sah zum Anwahlgerät. Es war vielleicht noch 50 Meter entfernt. Doch so klein die Strecke auch war, für ihn war sie unüberwindbar. Er sackte in sich zusammen. Der Atem ging langsamer.
Die Sonne versank hinter dem Horizont.
Das war es also gewesen. Ihre Existenz würde hier auf einer Welt irgendwo im Nichts enden – wie passend. Und das alles wegen 50 Metern.
Sie hatten ewig gelebt und waren durch die Hölle auf Erden gegangen. Diese menschliche Analogie war äußerst passend. Vielleicht war es höhere Gerechtigkeit. Vielleicht hatte er durch das Leben auf Altair für all seine Taten und Verfehlungen gebüßt. Vielleicht bedeutete der Tod die endgültige Erlösung.
Sie waren gemeinsam durch die Hölle gegangen und würden gemeinsam enden. Das war der Lauf der Dinge. Teal’c konnte nicht mehr zu kämpfen. Alles, was er wollte, war Frieden.
Es war vorbei. Er hatte sich immer geschworen, dass, wenn er eines Tages sterben würde, er dann frei sein würde. Er war frei. Also konnte es geschehen.
Es wurde Nacht. Obwohl seine Augen offen waren, konnte er nichts mehr sehen. In seinen Ohren begann es zu rauschen. Sein letzter klarer Gedanke war, dass er nun sterben würde.


* * *


Er wurde von starken Armen gepackt und hoch gehoben. Wahrscheinlich war es nur Einbildung. Seine Ohren gluckerten. Es hörte sich an, wie wenn man unter eine Wasseroberfläche tauchte und die Luftblasen nach oben steigen hörte. Er litt bereits unter Wahnvorstellungen. Seinem Hirn mangelte es nicht an Sauerstoff, sondern an Energie.
Das Gluckern wurde lauter. Es erschien ihm seltsam vertraut. Ihm wurde schwindlig. Er konnte seine Beine nicht mehr spüren. Das Gluckern schien seinen Kopf sprengen zu wollen und dann purzelte er auf Altair die Stufen des Stargates herunter.
Schlagartig kehrte das Leben in Teal’c zurück. Es ging ihm plötzlich wieder besser. Die Energie flutete durch seinen Körper und brachte jedes Bauteil zu seiner Funktion zurück.
Er schlug die Augen auf und rollte sich vollends von der Treppe herunter. Das Gluckern war nun kaum noch zu hören. Es war der Ereignishorizont des Wurmlochs. Mit einem schmatzenden Geräusch trat Harlan aus ihm hervor. „ Com-traya! Ihr seid alle wieder hier.“ Dann brach er in wildes Gekicher aus.
Teal’c sah, wie sich O’Neill vom Boden erhob. Er taumelte. Er hatte viel länger von den Reserven zehren müssen als Teal’c. Er torkelte auf ihn zu, packte ihn an den Schultern und stützte sich dort ab. Da war ein Feuer in seinen Augen, dass er noch nie zuvor gesehen hatte. „Teal’c, du hast die Welt dort gesehen“, krächzte er. „ Warum zur Hölle hast du uns nicht dort gelassen?“


weiter: Kapitel 3

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