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Der Jungbrunnen von Hyndara71

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Vashtu stand in der Tür und hatte Tränen in den Augen. Sie wirkte so zart und verletzlich, daß es John schier das Herz brechen wollte.
So kannte er sie am wenigsten. Vashtu spielte immer die Starke, war diejenige, die nicht aufgeben konnte, die weiterkämpfte. Aber der Schlag, den sie im Moment zu verkraften hatte, war deutlich mehr, als sie ertragen konnte. Kein Wunder, ging es doch um ihr Lebenswerk.
John wußte, daß die Antikerin es nie zugeben würde, zumindest nicht in der Öffentlichkeit, vielleicht nicht einmal ihm, Anne oder George gegenüber, den drei Menschen, denen sie am meisten vertraute. Aber die Arbeit, die man ihr endlich ermöglicht hatte in Vineta und ihr dann auch schließlich den so lange verweigerten Doktorgrad einbrachte, den sie sicherlich zu ihrer Zeit inne gehabt hatte, das bedeutete Vashtu viel, fast soviel wie Jordan. Es war mehr als nur das Erbe ihrer Familie, sie blühte auf, wenn sie in ihrem Fach arbeiten konnte.
John, der bis jetzt am Küchentresen gelehnt hatte, stieß sich ab und trat auf die Antikerin zu, um sie fest und sicher zu umarmen und ihr so vielleicht die Stärke wiederzugeben, die sie im Moment verloren hatte.
Warum hatte sie denn auch mit Dave sprechen müssen? Er hatte ihr doch gesagt, was sie erwartete, ließ sie sich mit seinem Bruder ein.
Vashtu lehnte sich schluchzend an ihn, vergrub ihr Gesicht an seiner Brust.
John wiegte sie langsam und gab beruhigende Laute von sich. Er war im Moment mehr als froh, daß Jordan oben im Kinderzimmer war und spielte. Wenn es seine Mutter so aufgelöst sehen würde, davon war er überzeugt, würde das Kleine auch noch beginnen zu weinen. Und zwei waren im Moment ein am Boden Zerstörter zuviel für ihn.
„Ich habe Angst", wisperte Vashtu endlich und blickte mit tränennassen Augen auf.
John streichelte sacht über ihren Rücken. „Wovor?" fragte er leise.
„Davor, daß Dave uns Jordan wegnimmt." Vashtus Lippen zitterten wieder.
John schluckte, schüttelte dann den Kopf. „Das wird er nicht wagen. Dazu muß er erst an mir vorbei. Und das traut er sich nicht."
„Er hat mich doch schon als Rabenmutter abgestempelt. Er zweifelt ja sogar meinen Titel an." Vashtu drückte sich wieder gegen ihn, ihre Schultern bebten, während ihre Fingernägel sich schmerzhaft in seinen Rücken gruben.
„Niemand, der dich kennt, würde dich jemals als Rabenmutter bezeichnen. Vashtu!" John verbiß sich den Schmerz und drückte sie enger an sich. „Laß Dave reden, wenn er will. Er wird nicht weit kommen. Wir haben die besseren Karten, wir sind die Eltern. Jordan wird nichts geschehen, glaube mir."
„Und wenn er mich vor der Welt diskreditiert? Er hat das doch schon angedroht, weil diese verdammte Doktorarbeit nicht veröffentlicht wird."
John dirigierte Vashtu vorsichtig zum Sofa hinüber und drängte sie dann mit sanfter Gewalt, sich zu setzen. Er mußte ihr einfach in die Augen sehen bei diesem Gespräch, es ging nicht anders.
„Pete und ich haben so lange und so hart an dieser verdammten Impfung gearbeitet. Wir wollten Leben retten damit. Und jetzt ..."
„Vashtu, du arbeitest im weiteren Sinne für die Regierung. Das SGC ist direkt dem Präsidenten unterstellt, das weißt du doch. Wenn Dave dich also anschwärzen will, muß er sich erst mit besagtem Präsidenten anlegen, und der steht für genau die Lobby, mit der mein Bruder seine Geschäfte macht. Er wird sich nur selbst das Wasser abgraben, und das wagt er nicht, dazu ist ihm die Firma zu wichtig."
Vashtu schüttelte stumm den Kopf, während weitere, dicke Tränen über ihre Wangen kullerten.
Dave war dabei, ihrer beider Traum von einem zumindest angedeuteten Familienleben zu zerstören, ging John auf. Nicht nur, daß sein Bruder Vashtu in Mißkredit bringen wollte vor der versammelten Fachwelt, nein, er ging sogar noch weiter. Und was auch immer er da vorgebracht hatte, es hatte die Antikerin dermaßen verschreckt, daß sie ihre Welt schon in Scherben sah. Der Schmerz, den sie empfand, war kurz davor, auf ihn überzuspringen durch das emotionale Band. Noch konnte John das ganze blocken, aber wie lange würde ihm das gelingen?
„Keiner wird deine Arbeit schlecht machen, dir deinen Titel wegnehmen oder sogar Jordan. Ich werde das zu verhindern wissen, glaube mir. Wenn Dave mit harten Bandagen kämpfen will, er kennt mich nicht", sagte er mit fester Stimme.
Kannte Dave ihn wirklich nicht? Hatte er nicht vielleicht doch damals ein bißchen mehr von sich preis gegeben als er gewollt hatte, als er nach der Trauerfeier zu ihm gekommen war, um sich mit ihm auszusprechen?
„Ich werde nicht zulassen, daß mein Bruder meine Familie zerstört", fügte er noch hinzu.
Es war gleichgültig. Für ihn zählte, was er hatte, was ihm etwas bedeutete. Und das „Geschäft", wie sein Vater dieses ganze Imperium genannt hatte, über das Familie Sheppard gebot, interessierte ihn nicht einmal am Rande. Er hatte endlich das, was er sich sein ganzes Leben lang gewünscht hatte. Es mochte nicht immer einfach sein, da sie weit voneinander getrennt lebten und er sein Kind nicht so oft sah, wie es ihm lieb gewesen wäre, aber er hatte das, was er immer vermißt hatte: In Vashtu mehr als eine Seelenverwandte, die Frau, die er lieben konnte wie niemanden sonst und mit Jordan das Kind, auf das er nicht mehr gehofft hatte nach all den Turbulenzen in seinem Leben. Er würde jetzt nicht danebenstehen und zusehen, wie sein Bruder wie ein wütender Derwisch kam und ihm genau das wieder nahm, was er und Vashtu in den letzten Jahren so mühevoll aufgebaut hatten.
Vashtu schüttelte unvermittelt den Kopf. „Ich gehe morgen nicht mehr dahin", flüsterte sie heiser.
John seufzte, strich ihr mit einem Finger liebevoll eine Träne von der Wange. „Schlaf erst einmal drüber und beruhige dich", schlug er sanft vor. „Morgen kann das ganze schon vollkommen anders aussehen. Außerdem ... es ist doch nur noch morgen."
„Ich habe dich und Jordan schon viel zu sehr vernachlässigt." Vashtu blickte auf. Ihre Augen schwammen in Tränen.
„Du hast uns ganz und gar nicht vernachlässigt." John beugte sich vor und küßte sie sanft auf die Stirn. „Im Gegenteil, du hast mehr Zeit mit uns verbracht als ich zunächst angenommen habe nach der Eröffnung, daß du zur Konferenz möchtest."
Sie sah ihn schweigend an, während er ihr auch noch die anderen Tränen, die feuchte Spuren in ihre Wangen gruben, sacht fortwischte.
„Ich möchte euch nicht verlieren", wisperte sie schließlich. „Ich habe immer darum gekämpft, bei dir und Jordan sein zu können."
John nahm ihr Gesicht in beide Hände und sah sie zärtlich an. „Und du hast bis jetzt alles überlebt, selbst als es wirklich schlimm aussah", flüsterte er. „Und genau darum laß dich jetzt nicht von meinem Bruder ins Bockshorn jagen. Wenn Dave sich die Zähnen an der Regierung ausbeißen will, meinen Segen hat er. Aber er wird weder dir noch Jordan jemals wieder wehtun, das schwöre ich dir." Er beugte sich noch weiter vor und küßte liebevoll ihre warmen Lippen.
„Mummy, Daddy! Guckt doch mal!" schallte in diesem Moment Jordans helle Kinderstimme durch das Ferienhaus.
John zog sich langsam wieder zurück, ein Grinsen auf den Lippen. „Am Timing müssen wir noch arbeiten", sagte er, ehe er sie wieder losließ.
Vashtu wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht und nickte. Noch immer brannten Tränen in ihren Augen, doch auch sie lächelte.
„Mummy? Daddy?" Jordan zog beide Worte fast bis zur Unkenntlichkeit in die Länge.
Vashtu wurde unruhig. „Ich möchte nicht, daß Jordan mich so sieht", sagte sie leise. „Ich gehe laufen."
John zögerte, warf einen Blick zum Fenster hinaus. Die Nacht klopfte an das Glas. „Bist du sicher?"
„Hey, ich lebe in einer auseinanderfallenden Galaxie mit künstlich erzeugten Hybridwesen, die meist doppelt so groß sind wie ich. Ich komm schon klar." Vashtu erhob sich, zupfte an ihrer Jogginghose herum, die sie schon den ganzen Abend trug. „In einer Stunde bin ich wieder da. Dann hab ich, denke ich, auch nachgedacht."
„Laß dir Zeit." Jetzt stand auch John auf.
Vashtu ging zur Terrassentür hinüber und schob sie langsam auf. „Warte nicht auf mich, okay?"
„Mummy! Daddy!" Dieses Mal war der Ruf eher ein Singsang.
John sah, wie Vashtu in der Dunkelheit verschwand, dann drehte er sich endlich um und ging zur Treppe.

Warum mußte diese verdammte Klinik mitten in der Everglades liegen?
Mike knabberte nervös an seinen Fingernägeln, streckte dann die Hand aus und nahm das Glas, um den Inhalt auf Ex runterzukippen.
Er haßte die Everglades! Er mochte diese gewaltige Natur nicht, die Alligatoren, die Mücken und Stechfliegen, die Aale, die Vögel, das ganze Viehzeugs. Er mochte den fauligen Geruch von brackigem Wasser nicht, nicht die feuchte Schwüle, die dort draußen herrschte. Er mochte auch die Sumpfgaswolken nicht, die unregelmäßig Irrlichter über dem Gebiet tanzen ließen.
Die Everglades, das war Mikes persönliche Hölle. Der Ort, den er am liebsten am anderen Ende der Welt gewußt hätte.
Beim letzten Mal, als er in dieses verdammte Sumpfgebiet hineingeraten war, hatte ihm das die Bekanntschaft mit Caine und eine mehrjährige Haftstrafe eingebracht, nicht zu vergessen eine langwierige Entzündung durch irgendwelche Amöben, die da draußen im Sumpfwasser schwammen und sich auf jeden stürzten, der es wagte, ihnen zu nahe zu kommen.
Als Julie den Job annahm in dieser merkwürdigen Klinik hatte er von seinem geringen Veto-Recht Gebrauch gemacht und sie darüber aufgeklärt, daß, sollte jemals ihr Wagen da draußen verrecken, er sich sicher nicht bereitfinden würde sie abzuholen. Aber das größere Gewicht der nicht gerade schlechten Bezahlung hatte schließlich den Ausschlag gegeben, daß Julie doch den Job als Schwester bei diesen beiden Ärzten annahm.
Julie war auf der Arbeit verschwunden. Er hatte mit Ruth Bloch, der Oberschwester, die ihr die Anweisung gegeben hatte, dieses Zimmer 113 zu säubern, telefoniert. Die hatte sich schon Sorgen gemacht und sich ihrerseits melden wollen, wußte aber offensichtlich auch nichts. Niemand wußte irgendetwas und die Polizei legte die Hände in den Schoß und grinste sich einen.
Mike goß sich noch ein Glas ein.
Die Everglades, dieser gewaltige Sumpf, diese unwirtliche Wildnis, in der er sich immer so klein und unbedeutend wie eine Ameise fühlte. Darum mochte er das Marschland nicht, weil die Sümpfe ihn darauf aufmerksam machten, daß er vergänglich war und nichts zurückbleiben würde von ihm, wenn er in einem der Sumpflöcher verschwand oder gar einem Alligator zum Opfer fiel.
Mike schluckte den billigen Fusel hinunter, ohne ihn zu schmecken, knallte dann das leere Glas hart auf den Tisch.
Julie war noch immer nicht wieder aufgetaucht. Sie hatte sich nicht gemeldet, ihr Auto war angeblich nicht mehr an der Klinik, selbst ihre Sachen waren noch hier. Soviel also zum Thema „sie hat Sie verlassen, Mike!". Nein, nicht Julie. Die kam immer zurück, immer!
Nur dieses Mal nicht, wisperte ihm eine kleine boshafte Stimme zu. Dieses Mal ist sie wirklich weg.
Ja, das war sie wohl ...
Mike wurde die Kehle eng, japsend holte er Atem, griff nach der Flasche.
Zum Teufel mit den Everglades! Zum Teufel mit dieser verdammten Klinik! Zum Teufel mit diesen beiden Medizin-Gurus, die den Indianern einen Teil ihres Landes abgeschwatzt hatten.
Oh ja, die Patienten hatten es einfach. Kaum zwanzig Minuten lag die Klinik vom Casino entfernt. Ein Umstand, der Mike früher einmal amüsiert hatte. Es gab zwar keinen direkten Zugang, weil zwischen den beiden Anlagen Brackland lag, aber ...
Vielleicht war Julie ja in diesem verdammten Casino versumpft.
Nein, rief Mike sich zur Ordnung. Das war eine seiner ersten Anlaufstellen gewesen. Dort war sie nicht.
Er starrte die halbleere Flasche an, nagte wieder an seinen Fingern.
Und dann, von einem Moment auf den anderen, ging ein Ruck durch seinen Körper und er richtete sich auf.
Wenn ihm keiner helfen wollte, dann würde er eben selbst suchen. Auch wenn diese verdammte Klinik in den verfluchten Everglades lag, er würde rausfahren und nach Julie suchen. Genau das, was er die letzten drei Tage nicht getan hatte.
Mike kam, trotz aller innerer Ernüchterung, taumelnd auf die Beine und griff sich seine Wagenschlüssel.
Er würde Julie finden, und sie würde ihn als ihren Helden feiern, davon war er überzeugt.

Vashtu joggte den Strand entlang, der nur unzureichend erhellt wurde durch die Sterne und die fernen Lichter der Innenstadt von Miami. Ihre Augen hatten sich mittlerweile recht gut an die ungewohnte Dunkelheit gewöhnt, dennoch verfluchte sie sich selbst dafür, daß sie keine Lampe mitgenommen hatte.
Mittlerweile war es für sie einfach nur ungewohnt, wenn es abends nicht hell genug war, um selbst Zeitung lesen zu können.
Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Wieso hatte sie getan, was sie getan hatte? Es hatte ihr doch klar sein müssen, daß Dave ihr daraus einen Strick drehen konnte. Sie hätte es John sagen müssen, aber ... Wenn sie ehrlich war, schämte sie sich dafür, daß sie sich nicht richtig unter Kontrolle gehabt hatte in der Limosine.
Es war einfach ihre schlimmste Angst, mußte sie zugeben. Alles konnte man ihr nehmen, wenn es sein mußte sogar ihre Arbeit. Aber niemand durfte ihr John oder Jordan wegnehmen, niemand! Was man im Medusenhaupt nicht geschafft hatte, keiner ihrer Feinde, weder ihrer persönlichen, noch die Vinetas, das würde sie auch auf der Erde nicht zulassen.
Und doch hatte Dave mehr oder minder direkt gedroht, ihr Jordan wegzunehmen. Er hatte sie bezichtigt, eine billige Hure zu sein, die sich aus purem Kalkül hatte schwängern lassen.
Ihre Augen brannten wieder. Sie mußte blinzeln und redete sich ein, daß es nur die salzige Luft so nahe am Wasser war, auch wenn sie es besser wußte.
Wenn sie sich nur an ihre Schwangerschaft zurückerinnerte, daran, wie sie erfahren hatte, daß sie Johns Kind unter dem Herzen trug. Wenn sie daran dachte, zu was Jordan sie damals gezwungen hatte ... Es wurde ihr immer noch übel.
Anne hatte seit der Geburt mehrmals in Gesprächen betont, daß sie Jordan hätte abtreiben lassen für das, was es damals angerichtet hatte. Doch Vashtu wußte es besser. Sie kannte ihre beste Freundin so gut wie kaum jemand anderen, einmal abgesehen vielleicht von John. Anne hätte sich ebenso wie sie an dieses ungeborene Leben geklammert, wenn sie in der gleichen Situation gewesen wäre.
„Wäre es anders und du ein Mann ..."
Vashtu war es, als stünde sie plötzlich wieder in diesem Park, den Annes Bewußtsein geschaffen hatte, und würde erneut die Hand der anderen halten.
Jordan hatte zwei Mütter, ging ihr auf. Anne war mindestens ebenso an der Erziehung des Kindes beteiligt wie sie als die leibliche Mutter. Und Jordan akzeptierte diese Situation auf eine ganz eigene kindliche Art.
Vashtu wußte, wie sehr das Kind geweint hatte, als diese Sache mit Anne geschah, man hatte ihr berichtet, das Jordan sich damals beinahe die Seele aus dem Leib gebrüllt hatte, als man sie, Vashtu, mit den Irion-Spinnen folterte und das Kleine durch purem Zufall im Kontrollraum gewesen war, als eine neue Forderung einging.
Was hatte sie für ihr Kind riskiert? Seit es Jordan gab, und das wurde Vashtu jetzt erst richtig klar, tat sie, was sie tat, für das Kleine. Anne hatte gemeint, als sie von ihrer Schwangerschaft erfuhr, sie würde nach der Geburt ruhiger und umsichtiger werden. Das war nicht der Fall, und der Antikerin ging endlich auf, warum: Weil es da noch drei andere gab, die auf Jordan achten konnten, wenn ihr etwas zustieß.
Nein, seit das Kind geboren war, tat sie, was sie tun mußte, mit dem Herzen einer Mutter, die ihr Leben geben würde, wenn sie dadurch das ihres Kindes retten konnte. Es mochte stimmen, daß sie längst nicht mehr so waghalsig war wie früher, aber gab es eine Bedrohung, war sie zur Stelle, um zu tun, was sie als ihre Pflicht empfand. Jordan mußte leben, mußte groß werden, erwachsen, würde vielleicht irgendwann selbst Kinder haben, das war alles, was letztendlich zählte. Vashtu war klar, sie würde selbst Vineta riskieren, wenn sie dadurch ihrem Kind helfen konnte.
Wenn sie ehrlich war, im Moment wünschte sie sich wirklich Anne hierher. Nicht, weil John nicht helfen konnte, wahrscheinlich war genau das Gegenteil der Fall. Nein, sie brauchte jedes Quentchen Kraft, das sie bekommen konnte. Und Anne hatte ihr von Anfang an Kraft gegeben durch das Vertrauen, daß sie in sie investierte.
„Wäre es anders und du ein Mann ..."
Das hatte Anne zu ihr gesagt damals, in dieser Traumwelt, in der die zivile Leiterin der Stadt gefangen gewesen war. Vashtu hatte eine Ansteckung riskiert, hatte interveniert, wie und wo sie konnte, um Anne weiter in der Stadt halten zu können. Dabei aber war ihr auch klar geworden, daß es ihr ähnlich ging, wenn auch auf einer anderen Ebene. Anne war der ausgleichende Teil, der Brunnen, aus dem sie Kraft schöpfen konnte, das was sie brauchte, auch für Jordan. Wäre Anne nicht gewesen, trotz der Weigerung, sie an einem Heilmittel für die Erethianer mitarbeiten zu lassen, sie wäre nicht hier, würde nicht von der Fachwelt wahrgenommen und als neuer Stern am Genetikerhimmel gefeiert werden. Hätte Anne die Berichte und Forschungsergebnisse, die sie irgendwo in den Tiefen ihres Rechners vergraben hatte, nicht nach Atlantis und dann zur Erde geschickt, ihr wäre nie der Doktortitel zugesprochen worden, der sie jetzt so stolz machte.
Wäre Anne jetzt hier, ihr würde sicherlich irgendetwas einfallen, ging Vashtu auf. Irgendwie würde sie sie abzulenken wissen und vielleicht wirklich John das Ruder überlassen. Oder sie würde mit ihrem fraulichen Charme, um den Vashtu sie ehrlich beneidete, irgendeinen Verantwortlichen in die Pflicht nehmen als Ritter auf dem weißen Roß, der zur Ehrenrettung der Antikerin angaloppiert kommen würde. Anne würde eine Lösung finden, die ihr nicht die Tränen in die Augen trieb vor Angst.
Ein flackerndes Licht riß die Antikerin aus ihren Gedanken. Sie stoppte und blinzelte in die Nacht die Düne hinauf. War da nicht ein leises Wispern?
Vashtu zögerte, sah kurz auf ihre Uhr hinunter und stellte fest, daß die Stunde, um die sie John gebeten hatte, fast vorbei war. Sie sollte umkehren, nach Jordan sehen und versuchen, diese ganze Sache zu vergessen. Vielleicht hatte sie Dave ja genug eingeschüchtert, daß der nicht einmal in Erwägung zog, noch weiter zu gehen.
Wieder huschte ein greller Lichtfinger durch die Nacht.
Vashtu sah sich kurz am Strand um, doch abgesehen von den stetig auflaufenden Wellen war dieser Teil des Strandes leer.
Was ging da oben vor sich?
Ihre Neugier war geweckt. Tief und schwer stapfend, als würde sie durch frisch gefallenen Schnee laufen, nahm sie die Düne in Angriff und kam mühsam vorwärts. Ein kurzes Stück weiter flatterte etwas in der kühlen Brise vom Ozean her. Wäre es heller gewesen, wäre Vashtu sicherlich die gelbe Färbung des zerrissenen Plastikbandes aufgefallen, sowie der Warndruck: Crime Scene - Do not cross!
Die Stimmen wurden deutlicher, aber sie verstand immer noch kein Wort. Es ging ihr nur auf, daß es sich nur um eine Stimme handelte, die offensichtlich einen Monolog abhielt. Wozu und warum war ihr allerdings nicht klar ... oder besser solange nicht klar, wie sie brauchte, um am Gipfel der Düne anzukommen.
Ein Mann stand, einen Spaten in der Hand, über einer flachen Grube. Und in dieser Grube sah Vashtu etwas gelbliches leuchten, das definitiv kein Sand war.
„Sie?" Entgeistert trat die Antikerin näher, konnte nicht glauben, wen sie sah.
Aber es war wahr: Eine Leiche lag in der flachen Grube, und ein Mann war dabei, eben diese Grube wieder zuzuschaufeln.
Jetzt blickte der Mann auf und begann wie irr zu lächeln. „Dr. Uruhk, wie schön. Ich wollte ohnehin mit Ihnen über Ihren Genpol sprechen. Tom?"
Er war nicht allein!
Das ging Vashtu in dem Moment auf, in dem die Breitseite eines zweiten Spatens ihre Schläfe traf und sie zusammensackte wie eine Marionette, deren Fäden man durchschnitten hatte ...
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