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Die vierte Person von Meri-es-anch

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Kapitel Bemerkung:
Spoiler: Alles, was mit Jolinar und Sams Vergangenheit zu tun hat.
Staffel: Anfang 4 Staffel, alles beginnt etwa kurz nach der Folge Nemesis
Die vierte Person


Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Weder ich noch eine der Personen mir gegenüber sagt etwas. Jeder sieht mich gebannt an und wartet auf meine Reaktion. Aber ich sitze nur regungslos und mit versteinerter Miene da und versuche, meinen Atem wieder unter Kontrolle zu bringen.

Ich bin nicht ich.

Ich bin nicht ich. Ich bin eine fremde Person, eine andere Frau, jemand Fremdes mit einer anderen Vergangenheit – falsch, eine Person, die überhaupt eine Vergangenheit hat. Ich heiße anders, ich lebe anders, ich mache alles anders…Und ich wusste es.

Noch immer ist kein Wort in dem hell erleuchteten Raum gefallen. Schließlich erwache ich aus meiner Starre und sehe die acht Menschen langsam der Reihe nach an.

   „Dessen bin ich mir schon lange bewusst.“

   „Du wusstest es?“ fragt mich ein überraschter Dr. Daniel Jackson.

Das Doktor steht für einen akademischen Grad, den man sich auf der Erde durch eine besondere Leistung erwerben kann. Das hat er mir erklärt und sein Gebiet ist das Erforschen von fremden oder vergangenen Kulturen. Sicherlich ist mein Volk auch sehr interessant für ihn und ich wundere mich immer noch darüber, dass er meine Sprache beherrscht – als einziger bei den Tau’re. Überhaupt bewundere ich ihn sehr und mein Vertrauen zu ihm ist erstaunlich, wenn man nur bedenkt, dass ich ihn erst seit kurzer Zeit kenne. Sicherlich trägt sein Erscheinung dazu bei – die lieben Augen und die Brille… Seine manchmal etwas tollpatschige Art und den Elan, den er an den Tag legt, um mir das jetzige Leben so gemütlich wie möglich zu machen. Ich weiß nur nicht, ob das durchführbar ist – ein gemütliches Leben, überhaupt ein Leben zu haben…

Und nun fragt er mich, ob ich wusste, dass ich nicht ich bin. Es mag sich verwirrend anhören, denn eigentlich bin ich ich, aber auf eine Weise, die hier keinem – nicht einmal mir – zu gefallen scheint. Mein Name ist E’ilia und ich stamme von Crusalon, einem Wüstenplaneten, aus der Stadt Dschigun. Das hoffe ich jedenfalls, denn Genaueres ist mir über mein Leben und vor allen Dingen über meine Vergangenheit nicht bekannt. Nach der Zeiteinheit der Tau’re kann ich mich nur an etwa vier Monate meines Lebens erinnern und alles, was davor ist, befindet sich im Dunklen. Deswegen gehe ich einfach davon aus, dass Crusalon meine Heimat ist, denn die Sprache von dort ist die einzige, die ich spreche.

   „Du wusstest es?“ wiederholt Daniel Jackson seine Frage noch einmal.

Ich nicke nur und sehe ihn dann etwas strafend an: „Daniel, wie soll ich sonst diese wehmütigen Seitenblicke deuten, die mir hier jedermann zuwirft? Außerdem sagtest du, dass ich Jacob an jemanden erinnere. Ich sehe, dass ich ihn und euch alle nicht nur an jemanden erinnere, sondern dass ich dieser jemand sogar bin. Trotzdem schockt es mich ein bisschen. Wieso hast du mir das nicht früher gesagt?“

   „Nun ja, diese Entscheidung lag nicht nur bei mir. Sieh mich nicht so vorwurfsvoll an! Auch alle anderen haben das gleiche, wenn nicht sogar das größere Recht darauf, darüber zu entscheiden, dir die Wahrheit zu sagen oder nicht. Außerdem waren wir uns nie so richtig darüber im Klaren, ob du uns überhaupt verstehst – vom sprachlichen und vom inhaltlichen Aspekt aus betrachtet. Ich bin der einzige, der deine Sprache beherrscht, das heißt, niemand kann sich ohne mich richtig mit dir unterhalten, na gut – kein richtiges Gespräch führen. Und dass du die erste Zeit nicht gesprochen hast, das hat die Angelegenheit nicht gerade leichter gemacht.“

Der junge Mann beginnt damit, den anderen alles zu übersetzen. Eine Diskussion entbrennt, bei der ich nur ein paar Mal meinen Namen höre und eines der wenigen Wörter auf Englisch, die ich bisher gelernt habe. Einen Sinn ergibt das ganze allerdings nicht.

Mein Leben hat sich in den letzten Tagen drastisch geändert und es scheint gar nicht damit aufhören zu wollen. Erst entführte mich SG-1 mehr oder weniger und brachte mich hierher auf die Erde, von der ich übrigens nicht mehr als diese Einrichtung gesehen habe. Ich habe inzwischen schon viele Bilder von diesem Planeten betrachtet – und er scheint eine sehr vielfältige Vegetation und Landschaft zu besitzen. Es gibt riesige Mengen an Wasser, von denen man auf Crusalon nur träumen kann. Dort herrscht fast immer Wasser- und Nahrungsknappheit – im Gegensatz zu diesem Center. Ich kann mir Essen holen wann immer ich hungrig bin und ebenso Getränke. Aber was nützt mir das, wenn ich frische Luft, Wind und vor allen Dingen die Sonnen vermisse?

Ich rede nicht viel. Sicherlich weil ich es nicht anders gewohnt bin. In Dschigun verbot man mir, zu sprechen. Außerdem musste ich mich als einzige der Frauen verschleiern. Das hängt bestimmt mit meinen Haaren und Augen und der hellen Haut zusammen. Alle anderen Einwohner sind dunkelhäutig und haben schwarze Haare und Augen. Nur meine Wenigkeit fällt aus dem Rahmen. Auf der Erde habe ich viele verschiedene Typen von Mensch gesehen: Graue, blonde, braune, schwarze, rote Haare und Kahlköpfe wie z.B. bei Teal’c oder General Hammond, den ich irgendwie gerne habe. Auch meine blauen Augen fallen nicht so auf und langsam werde ich mir immer sicherer, dass ich ursprünglich von diesem Planeten stamme. Die Reaktionen der Leute, wenn sie mit mir sprechen, deuten ebenfalls darauf hin und dass Jacob Carter anfing zu weinen, als er mich sah, ist ein weiterer Beweis. Ich fühle mich irgendwie schuldig. Schuldig in Bezug darauf, dass ich mich nicht mehr erinnere, wer ich einmal war und dass ich meinen neu gewonnenen Freunden so viel Leid antun muss.

   „Wer?“ unterbreche ich plötzlich die Diskussion und sehe Daniel in die Augen.

   „Was?“

   „Wer bin ich? Wenn ich nicht E’ilia bin – wer bin ich dann?“

Der Doktor scheint irgendwie ein bisschen überrascht zu sein von meiner Frage und schaut nervös auf seine Hände.

   „Ich bin Samantha Carter, nicht wahr?“

Alle im Raum sehen mich erstaunt an, als ich ihren…meinen Namen in den Mund nehme. Daniel wirft einen Blick zu Jacob. Hoffnung. Hoffnung liegt in seinem Blick, die ich gleich wieder zerstören muss.

   „Ich bin Samantha Carter, Tochter von Jacob Carter, der den Tok’ra Selmak in sich trägt“, lasse ich leise verlauten. Ich fühle mich nicht wohl in meiner Haut und stehe auf, um zu meinem Vater zu gehen. Vor mir sitzt ein fremder Mann mit Tränen in den Augen und der es nicht wagt, zu atmen.

   „Oh Gott, was habe ich nur getan?“ Meine beiden Hände verdecken mein Gesicht und ich fange still an zu weinen. Dieses ganze Leid, diese Trauer wird nur durch mich hervorgerufen. Aber ich kann nicht mal etwas dagegen tun, kann nicht helfen. Wie auch?

Noch immer mit den Händen vorm Gesicht fange ich an zu sprechen. Es ist mir egal, ob nur undeutliche Worte zu verstehen sind. „Ich erinnere mich nicht… Aber ich möchte mich erinnern. Ich will euch nicht wehtun. Es tut mir leid. Bitte verzeiht mir!“

Plötzlich spüre ich zwei Arme um mir und ich weiß, dass es Jacob ist. In seiner Gegenwart und in der Martoufs und Teal’cs fühle ich mich immer etwas merkwürdig, als hätten sie etwas an sich, wodurch wir miteinander verbunden sind. Ich weiß, dass alle drei einen Goa’uld in sich tragen. Aber wieso bemerke ich dann deren Präsenz?

Die Umarmung tut gut. Ich fühle mich sicher in der Nähe dieses Mannes. Kommt es daher, dass er mein Vater ist? Je länger dieser Gedanke in meinem Kopf herumschwirrt, desto schwächer wird der Glaube daran.

Ich habe meine Vergangenheit vergessen.

   „Bitte! Erzählt mir etwas über mich!“

Daniel blickt etwas verunsichert und nach einem kurzen Gespräch mit General Hammond und den anderen nickt er mir zu und ich setze mich wieder neben Janet, der Ärztin.

   „Es ist nicht leicht für mich, dir das alles zu erzählen und es wird bestimmt nicht leicht für dich, das alles zu erfahren. E’ilia, falls du dich erinnern solltest, sag bitte Bescheid. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wo ich anfangen soll…“

   „Wie wäre es mit dieser Umgebung? In welcher Beziehung stehe ich zu euch einzelnen und was tue ich hier auf der Erde?“

   „Na gut, ein Anfang. Du…du weißt doch, dass wir hier mehrere Teams haben, weit über zehn und Jack, Teal’c, Adam Darst und meine Wenigkeit bilden SG-1.“

   „Das ist mir bekannt.“

   „Eh, richtig. Du hast früher mal zum SG-1-Team gehört. Nachdem du vor fünfzehn Monaten verschwunden warst, hat dich der Captain ersetzt.“

   „Und wie bin ich verschwunden?“

   „Wir waren gerade auf einer Mission und gerieten in einen Hinterhalt. Dabei wurdest du von Apophis gefangen genommen. Jack, Teal’c und ich konnten fliehen, dich aber nicht retten.“

Apophis. Sollte ich Furcht bei diesem Namen empfinden? Ich habe schon viel über die Bösartigkeit der Goa’uld, insbesondere von Apophis, gehört, aber trotzdem erschienen mir diese ganzen Geschichten immer als übertrieben. Ich bin sehr skeptisch und glaube erst etwas, wenn ich es mit eigenen Augen gesehen habe.

Mein Volk weiß, dass die Goa’uld falsche Götter sind. Wir haben glücklicherweise nichts weiter mit ihnen zu tun, zumindest ist mir nicht bekannt, dass einer von ihnen etwas von Crusalon weiß.

Dennoch fühle ich mich jetzt, wo dieser mächtige Feind der Tau’re ins Spiel gebracht wurde, unsicher. Ich hatte noch nie Kontakt mit einem Goa’uld…aber meine erste Begegnung mit dem Tok’ra Selmak lässt anderes vermuten. Als ich Jacob und Martouf das erste Mal getroffen habe, bemerkte ich das gleiche seltsame Gefühl wie bei Teal’c. Durch Zufall kam ich später in einen Raum, in dem sich Selmak gerade mit SG-1 unterhielt, und meine Reaktion auf die dunkle Stimme war überraschend. Selbstverständlich wäre jeder erst einmal zurückgeschreckt, aber ich litt regelrecht unter Todesangst. Zum Glück hat mir Daniel erklärt, das Lantash und sein Freund Tok’ra und Freunde der Tau’re sind.

   „Was ist dann geschehen?“

   „Nun, wir haben zwei Monate nach dir gesucht, ohne Erfolg. Eine Spur führte uns nach Crusalon zu Re’en, aber auch dort warst du nicht. Eines unserer Teams war vor etwa fünf Monaten noch mal dort, um nach Naquada Ausschau zu halten. Und wir vier von SG-1 sollten dann über den Abbau verhandeln. Dabei haben wir dich entdeckt. Im Prinzip ist das alles, was wir über deinen Verbleib wissen.“

Jack, der sich die ganze Zeit in Schweigen hüllt, sagt etwas zu seinem Freund. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er mir permanent aus dem Weg geht.

   „Jack fragt, an was du dich erinnern kannst. Keiner zwingt dich, uns etwas zu sagen, aber wir wissen sehr wenig von dir…von E’ilia. Da du die erste Zeit stumm warst…“

   „Ich war nicht stumm.“

   „Warst du nicht?“

   „Nein. Ich habe bloß nicht geredet. Auf Crusalon war es mir verboten worden. Außerdem hat es durchaus Vorteile, nicht alles von sich preiszugeben.“

   „Allerdings.“

Er sieht mich gespannt an und ich mache schließlich den Anfang. „Ich weiß nicht, wie ich nach Crusalon gelangt bin. Ich kann mich nicht daran erinnern. Ich ging, bevor ich euch begegnete, immer davon aus, dass ich dort geboren wurde. Ich spreche die Sprache, ich habe einen Namen in dieser Sprache. Vermutlich wurde ich wegen meines Aussehens gezwungen, nicht zu reden und mich zu verhüllen…“

   „Das ist es nicht. Bohg und wahrscheinlich auch Re’en sahen dich als Schutz vor Apophis. Man hatte ihnen gesagt, dass du wertvoll für die Goa’uld seiest. Man hätte dich im Tausch gegen die Sicherheit von Crusalon an sie weitergegeben. Aus Angst, du könntest etwas verraten, wurde dir das Sprechen verboten.“

   „Woher weißt du das alles?“

   „Tja, während unserer Auseinandersetzung mit Bohg kam die Wahrheit ans Licht.“

Ich bin erschüttert. Heute ist ein Unglückstag. Erst erfahre ich, dass ich Samantha Carter von der Erde bin, und dann erklärt mir Daniel den wahren Grund der Abneigung von Crusalons Bevölkerung. Ich fühle mich heimatlos.

   „Sehe ich mir sehr ähnlich?“ frage ich nach einigem Zögern.

   „Na ja, du hast jetzt lange Haare – bis auf die Schultern und du bist etwas unterernährt und hast…Narben auf deinem Rücken.“

Er verlangt von mir die Antwort auf seine ungestellte Frage. Ich werde ihm nicht sagen, woher die Narben stammen. Schließlich habe ich sie meinem eigenen (falschen?) Stolz zu verdanken. An Verbote hat man sich zu halten!

   „Ich meinte vom Charakterlichen…“, lenke ich vom Thema ab.

   „Oh, ach so… Du bist dir sehr ähnlich. Sam war…ist jemand, der sehr neugierig ist und alles wissen muss – so wie du. Sie ist nicht umsonst Doktor der Astrophysik, unser kleines Genie…“

Ich lächle schwach. Irgendwie werde ich plötzlich fürchterlich müde. Ich bin es leid, nicht zu wissen, wer ich bin, was ich gemacht habe, was mit mir passiert ist. Ich will mich erinnern!

   „Ich weiß. Wir wollen auch, dass du dich wieder erinnerst.“ Ich wusste gar nicht, dass ich eben laut gesprochen habe!

   „Gibt es nicht auf diesem fortschrittlichen Planeten eine Möglichkeit, dass ich mich wieder erinnere?“

Er schüttelt den Kopf. „Das Problem ist, dass du eine fremde Technologie in deinem Kopf hast. Einen kleinen Mikrochip, der nach unseren Annahmen für deinen Gedächtnisverlust zuständig ist und vielleicht auch dafür, dass du eine andere Sprache beherrscht. Nicht einmal die Tok’ra können den ohne Risiken herausoperieren, da sie nicht wissen, wie sich das auswirken kann auf dein Gehirn. Es tut mir leid.“

Langsam werde ich wirklich hoffnungslos. Ein Technologie in meinem Kopf, die alles weggelöscht hat. Verdammt, verdammt, verdammt! Was ist mit mir geschehen?

   „Keine andere Möglichkeit?“

Er scheint zu zögern. „Doch… Die Tok’ra haben ein Erinnerungsgerät. Dabei werden die Informationen hervorgerufen und du erlebst alles mit, was je deiner Person passiert ist – Gefühle, Schmerz, Freude, Alltagsleben…alles. Allerdings ist das sehr realistisch. Sam, also du, hatte schon mal so etwas Ähnliches verwendet, um an die Erinnerungen von Jolinar, dem Tok’ra, den sie kurz in sich trug, zu gelangen. Sie musste eine Folterung miterleben und das war wirklich schrecklich für sie.“

Deswegen spüre ich die Goa’uld! Gut zu wissen. Mich interessiert dieses Verfahren, auch wenn es sich nicht allzu positiv anhört.

   „Aber was nützt mir das? Ich habe früher auf Englisch gedacht und jetzt verstehe ich es nicht mehr…“

   „Oh – wir nehmen an, dass dies das kleinere Übel ist – immerhin fühlst du so wie sie und dann lassen sich Gedanken damit sicherlich in Einklang bringen. Außerdem können wir dir immer noch erklären, was gerade passiert ist.“

   „Wie könnt ihr in meine Gedanken gucken?“

   „Ehm, eine weitere Funktion dieses Gerätes ist es, das von dir Gesehene für andere zugänglich zu machen. Wir hören mit deinen Ohren und sehen mit deinen Augen, aber wir fühlen nicht, falls du verstehst, was ich meine. Der Nachteil dabei ist allerdings, dass…wir so in deine und Sams Privatsphäre eindringen würden und das wäre sicherlich unangenehm.“

Allerdings.

   „Aber wie funktioniert das Gerät?“

   „Frage nicht mich – da bist du an der falschen Adresse.“

   „Und wie könnt ihr Vorstellungen von wirklich Passiertem unterscheiden?“

   „Tja, das schafft diese wundertätige Technologie ebenfalls, wie auch immer…“

Ich schweige. Zeit für den Doktor, eben Gesagtes für die anderen zu übersetzen. An den Gesichtern von allen sehe ich, dass keiner zufrieden mit dieser Lösung wäre. Würde ich es sein? Wahrscheinlich werde ich mich in der nächsten Minute für diesen Entschluss ohrfeigen, aber bevor ich zu lange darüber nachdenke und den Mut verliere… Ich will mein Leben zurück!

   „In Ordnung, ich werde es machen!“ Der entschlossene Ausdruck meiner Stimme schockt mich ein bisschen.

   „Du…du.… E’ilia, du musst das nicht machen, d…“ Daniel verstummt, als er in meine Augen blickt.

   „Ich möchte es. Ich möchte meine Vergangenheit zurück. Diese Gelegenheit werde ich nicht einfach verstreichen lassen!“

Ich glaube, ich bereue es schon jetzt.

 

 

            (2)

 

Ich sitze auf einem bequemen Sessel, leicht zurückgelehnt. Der Raum, in dem wir uns befinden, ist ein Teil der Krankenstation, der zur Zeit nicht genutzt wird. Hier werde ich mich also erinnern, das hoffe ich zumindest.

Martouf steht vor mir und erklärt, übersetzt von Daniel, die einzelnen Schritte, die er durchführen wird. Der Tok’ra ist extra noch mal zu seiner Heimatwelt gereist, um die Technologie zu holen.

   „E’ilia, du weißt, dass du jederzeit aufhören kannst! Wir werden sofort stoppen. Das ist immer möglich.“

Ich nicke nur. Wenn es nötig ist, aufzuhören…

   „Die Erinnerungen können von Samantha sein oder von dir aus der Zeit, an die du dich noch erinnern kannst. Es wird alles sehr realistisch sein. Wir sind bei dir…“

Ja, ihr seid bei mir. Ich fühle mich etwas unwohl bei dem Gedanken, dass sie alles miterleben. Aber das ist nötig, das habe ich eingesehen. Ich denke nämlich, dass ich mit den Erinnerungen nicht sehr viel werde anfangen können. Da brauche ich Hilfe. Martouf leitet die Behandlung. Er kann durch Sprechen meine Gedanken und Erinnerungen etwas leiten, da sie sonst wild durcheinander an die Oberfläche gelangen würden und ich so wahrscheinlich total verwirrt sein würde. Daniel ist zum Übersetzen da, Janet, weil sie meine Ärztin ist. Ihr gefällt das ganze hier überhaupt nicht. Schon wie sie gerade in der Ecke steht und die kleine Apparatur kritisch begutachtet… Wenn es nötig ist, wird sie sofort bereit sein, um einzugreifen.

Tja, und dann wird noch Jacob an meinem Erlebnis teilhaben, da er wahrscheinlich sehr viel von Sams Gedanken verstehen wird, er ist schließlich ihr…mein Vater. Ich habe lange überlegt und schließlich entschieden, dass Jack auch dabei sein sollte. Im Prinzip habe ich seit meiner Ankunft auf der Erde nicht viel mit ihm zu tun, was ich schade finde. Ich kenne ihn nicht richtig. Er geht mir aus dem Weg und verschließt sich vor mir, bleibt aber trotzdem meist in meiner Nähe, um ein wachsames Auge auf mich zu haben. Es nervt mich ein bisschen, aber ich lasse ihn in dieser Hinsicht tun, was er tun muss. Aufgrund meiner Beobachtungen nehme ich an, dass er mir früher ziemlich nahe stand, deswegen wird er nun auch teilhaben.

Zu Teal’c habe ich seltsamer Weise tiefstes Vertrauen und er ist wichtig, wenn ich mich vielleicht an Apophis erinnern werde… Er bleibt also auch.

   „Okay, Martouf wird jetzt das Erinnerungsgerät an deiner Schläfe befestigen. Das wird ein wenig weh tun.“

Tatsächlich zuckt ein kurzer, heftiger Schmerz durch meinen Kopf und ich verziehe mein Gesicht etwas, aber so schnell wie er gekommen ist, verschwindet er auch wieder.

   „Wie fühlst du dich?“

   „Ganz normal. Ich fühle mich wie vorher.“

   „Gut. Die Wirkung setzt erst nach einer Weile ein. Wenn du bemerkst, dass es losgeht, kannst du uns Bescheid sagen.“

Mit einem Nicken bestätige ich Daniels Anweisung und lehne mich dann zurück, um mich zu entspannen. Janet misst noch einmal meinen Blutdruck. Das hat sie mir schon vorher erklärt – was Blutdruck ist.

Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ich erkennen soll, wann die Erinnerungen wiederkehren. Einen kleinen Trost gibt es allerdings doch: Andere haben vor mir schon dieses Experiment durchgeführt und sie haben schließlich auch gemerkt, wann alles beginnt. Na gut, sie hatten auch keine fremde Technologie in ihrem Gehirn… Ich registriere, dass ich etwas Angst habe. Verständlich, denn ich habe keine Ahnung, was auf mich zukommt. Ich will bloß meine Erinnerungen wieder haben.

Um mich etwas abzulenken, denke ich an Crusalon. Ich stelle mir vor, wie ich gerade mein kleines Haus verlasse. Der rote, verwaschene Vorhang dient als Sichtschutz in der Tür und ich müsste ihn vielleicht mal wieder ausstauben. Aber das lohnt sich nicht, denn Sandstürme kommen sehr häufig und danach sieht die Decke aus wie vorher. Die Einwohner sehen mich etwas feindlich an oder sie ignorieren mich einfach. Man hat sich inzwischen damit abgefunden, dass ich unter ihnen lebe, aber zufrieden ist man deswegen noch lange nicht. Mein Aussehen schreckt sie wohl ab. Dabei bin ich schon verschleiert und zeige meine blonden Haare nicht. Es macht es auch nicht leichter, nicht zu sprechen, denn wie kann ich so beweisen, dass ich eine ganz normale Frau bin, die auch nur leben will und ihren Freiraum braucht?

Zum Glück habe ich Xalvie. Die alte Dame schert sich nicht um die Anordnungen von Re’en, nicht mit mir in Kontakt zu treten. Sie ist die einzige, mit der ich ohne Probleme reden kann, und oft denke ich angsterfüllt daran, was sein wird, wenn sie einmal nicht mehr ist. Wer bringt mir dann meine Nahrungsmittel? Die Händler verkaufen mir schließlich nichts…

Wenn man eine Weile die verschmutzte Straße entlanggeht, kommt man langsam in freundlichere Gebiete. Meine Hütte liegt in einem sehr dreckigen Teil von Dschigun – dort, wo die Armen und Kranken wohnen. Oder solche wie meine Wenigkeit. Wenn…

Plötzlich durchzieht mich eine eisige Kälte, die meinen gesamten Körper erstarren lässt. Was ist los? Ich gerate in Panik. Ein Gefühl, das schwerlich zu beschreiben ist, macht sich breit und auf einmal gibt es einen kleinen Ruck und ich sehe in die grellen Sonnen von Crusalon. Vor mir steht ein Mann und sein Gefolge. Ich kenne diesen Mann – es ist Re’en und ich bin gerade durch das Chaapa’ai gekommen. Er sieht mich etwas böse an und…schon stehe ich wieder in Crusalons Straßen.

Ich blinzle mit den Augen und finde mich im SGC auf dem Sessel wieder. Was war das gewesen eben? Ich kann mich nicht erinnern, je durch das Chaapa’ai gegangen zu sein… Das kann nur eines bedeuten – das Erinnerungsgerät hat mit seiner Arbeit begonnen. Irgendwie habe ich Angst davor, was auf mich zukommen könnte. Nach einer Weile bemerke ich erst, dass ich angesprochen wurde. Neben mir stehen Martouf, Daniel und mein Vater und sehen besorgt auf mich nieder.

   „Es…hat begonnen.“ Meine Stimme hört sich heiser an.

   „Alles in Ordnung?“ fragt ein etwas nervöser Daniel.

   „Ja. Ich sah nur gerade, wie ich durch das Chaapa’ai kam. Das wusste ich vorher noch nicht…“

   „Na gut. Wir werden uns jetzt diese Helme aufsetzen, mit denen wir alles nachverfolgen können, was du gerade siehst und hörst, wenn du denkst. Wir sind bei dir. Denke daran, dass du immer aufhören kannst…“

Natürlich. Janet, der Jaffa, die beiden Tok’ra, Daniel und Jack stülpen sich die Helmen ähnelnden Objekte über den Kopf. Ich beobachte sie dabei schweigend. Diese Dinger sehen irgendwie lustig aus und ich muss daran denken, wie Xalvie, obwohl sie eine alte Frau ist, sich einmal eine Tonschale über den Kopf stülpte, um mich aufzuheitern. Das hatte auch geklappt, denn das Gefäß war mir auf den Fuß gefallen und ich hatte fürchterlich lachen müssen.

   „Wow!“ ertönt es aus der Richtung von Jack. Diesen Ausdruck mögen die Tau’re anscheinend sehr gerne.

   „Ja. E’ilia, wir…das ist faszinierend.“

   „Was?“

   „Nun ja, eben habe ich noch ganz normal meine Umgebung wahrgenommen, genauso wie jetzt gerade, aber als du an die alte Frau mit der Schüssel dachtest… Das war faszinierend. Es war, als würde ich du sein, ich habe alles gesehen und gehört, nur nichts dabei empfunden – auch nicht den Schmerz, als du dich geschnitten hast.“

Ich sehe Daniel mit großen Augen an. Das haben sie auch alle gesehen! Oh oh, das wird bestimmt peinlich werden… Wenn ich nur an die Situation mit… NEIN, daran denke ich jetzt NICHT! Schnell blicke ich zu den anderen und sehe nur verwirrte Gesichter. Sie haben erst den Anfang meines Gedankens gesehen… Zum Glück.

   „Martouf möchte, dass du dich erst einmal an Crusalon erinnerst. An etwas, was du schon weißt, um dich mit dieser Technologie vertraut zu machen.“

Nichts leichter als das…

 

Ich eile die Straßen von Crusalon entlang. Es ist sehr heiß und dass ich renne, hilft mir auch nicht. Meine Gedanken wandern wieder zu Xalvie, der alten Frau. Sie ist krank und es steht nicht gut um sie. Es ist mir egal, ob ich auffalle – alles, was ich will, ist zu dem Medizinmann zu kommen. Schließlich erreiche ich sein Haus und stürze durch die Tür. Als er mich sieht, zieht er verärgert seine Stirn kraus.

   „Bitte! Hilf mir! Xalvie ist krank!“ keuche ich. Er schreckt zurück, als er mich sprechen hört. Als ich ein weiteres „Bitte!“ erklingen lasse, folgt er mir schließlich zögernd. Es ist seine Pflicht, Kranken zu helfen, und auch wenn ich, E’ilia, deswegen mit ihm gesprochen habe, wird er dennoch mitkommen müssen.

Wir erreichen Xalvies Hütte. Als ich mit hineinkommen will, schubst er mich zurück und ich lande unsanft auf meinem Hintern. Na gut, er lässt mich nicht mit zu ihr hinein, aber das hindert mich nicht daran, hier draußen zu warten.

Es vergeht ziemlich viel Zeit und meine Sorgen wachsen und wachsen. Schließlich tritt der Medizinmann hinter dem Vorhang hervor. Ich sehe ihn flehend an, aber er ignoriert mich und verschwindet in Richtung Stadtmitte.

Danach gehe ich ins Innere und begebe mich zur kranken Frau. Sie sieht nicht gut aus.

   „Xalvie!“

   „Ich danke dir, E’ilia.“

   „Wird es dir wieder gut gehen?“ Meine Stimme ist voller Angst und sie nickt zu meiner Beruhigung.

   „Nur eine vorübergehende Krankheit. Das geht vorüber. Aber Kind, warum hast du dich in Gefahr gebracht, um mir zu helfen?“

Ich weine und nehme ihre Hand in meine. „Weil du der einzige Mensch bist, den ich noch habe. Und ich will dich nicht verlieren.“

Die alte Dame lächelt mir einmal schwach zu, schließt ihre Augen und schläft schließlich ein. Auch ich, die auf dem Boden hockt, werde langsam müde und ich entschwinde ebenfalls ins Reich der Träume.

Das Aufwachen ist nicht sehr schön. Jemand reißt mich brutal am Arm nach oben und ehe ich mich versehe, bin ich auch schon auf der Straße und werde von Re’ens Wachen zu seinem Haus gezerrt. Man wirft mir feindselige Blicke zu, die zu sagen scheinen: Das geschieht dir ganz recht.

Am Ende werde ich vor die Füße des Herrschers gestoßen. Ich weiß, was ich falsch gemacht habe – ich redete.

   „Wozu, glaubst du, gibt es Verbote? Damit man sie bricht?!“ Beim Klang seiner Stimme zucke ich zusammen und ein Gefühl der Angst steigt in mir hoch. „Ich habe dir nicht umsonst verboten, zu sprechen – und was tust du? Du belästigt den armen Mann dort drüben und dann auch noch die alte Frau.“

Ich will wütend etwas sagen, kann es mir in letzter Sekunde aber noch verkneifen. Ich darf nicht sprechen. Jeder weiß, dass Xalvie die einzige ist, die Kontakt zu mir hat. Unter normalen Umständen wäre das gar nicht geduldet worden, da es aber auch um mein Überleben geht, duldet man dieses Übereinkommen. Aber keinesfalls belästige ich sie!

   „Du wirst nie wieder – hast du gehört? nie wieder – mit jemandem ein Wort wechseln…“

Das bringt das Fass zum Überlaufen. „Aber es ging um das Überleben dieser F…“ Und schon habe ich eine Faust im Gesicht. Die Wucht des Schlages wirft mich zu Boden.

   „Schweig!“ donnert Re’en.

Nicht mit mir! Man schlägt eine E’ilia nicht einfach so.

   „Wieso? Warum? Was habe ich denn getan? Ich habe einer Bewohnerin deiner Stadt das Leben gerettet und alles was ich ernte, sind Schläge? Das ist ungerecht! Und d…“

Eine Wache tritt mir mit aller Kraft in die Seite, so dass ich kaum noch Luft bekomme und husten muss. Dann werde ich auf Befehl von Re’en hochgezerrt und an zwei Seilen an der Decke befestigt. Jemand reißt mir meine Kleider vom Oberkörper. Der Herrscher steht nun ganz dicht vor mir. „Du hast wohl nicht verstanden! Du hast nicht zu reden!“ Er nickt kurz einem Mann hinter mir zu und ich schließe die Augen. Ich weiß, was jetzt kommt…

Der erste Peitschenschlag tut fürchterlich weh, aber ich werde nicht schwach werden und ihnen die Genugtuung geben, zu schreien…

Nach einer Weile qualvoller Folterung wird es langsam schwarz um mich und ich verliere das Bewusstsein. Endlich.

 

   „E’ilia!“ Jemand ruft schon zum dritten Mal meinen Namen und langsam kann ich wieder so weit klar denken, dass ich langsam meine Augen öffne und in das besorgte Gesicht von Jacob sehe. Meine Hände tun weh – kein Wunder, denn sie umklammern noch immer krampfhaft die Armstützen des Sessels. Ich schließe meine Augen wieder und atme einmal kurz durch.

   „Daher stammen deine Narben“, sagt ein erschüttert aussehender Daniel. Ich nicke stumm und lege meinen Kopf zurück an die Lehne. Es war so realistisch! Als würde ich alles ein zweites Mal durchleben. Ich konnte zwar nicht mehr die Schmerzen empfinden aber hatte gedacht und empfunden, was ich damals gedacht und empfunden hatte.

Ich weiß, dass ich jederzeit aufhören kann. Nach diesem Erlebnis verlässt mich beinahe mein Mut, aber wenn ich mich durch ein Erlebnis so beeindrucken lasse, werde ich wohl nie erfahren, was mit mir geschehen ist.

   „Wenn du willst, können wie die Sitzung hier beenden“, übersetzt Daniel für Martouf.

   „Ich wei߅“ Gerade, als ich ja sagen will, werde ich wieder von meinen verlorenen Gedanken heimgesucht. Anscheinend wirkt dieses Gerät wirklich so, dass alles ganz plötzlich kommt und man es nicht oder kaum steuern kann. Hervorragend!

 

Hoppla! Ich fühle mich auf einmal so klein. Ich bin klein. Ich bin ein Kind – die junge Samantha Carter im Alter von vielleicht neun Jahren. Ich sitze auf einem weichen Bett in einem Zimmer mit vielen seltsamen Dingen – Spielsachen. Sicherlich ist das hier mein Zuhause.

Plötzlich wird die Tür aufgerissen und ein Junge stürzt herein. Er sieht etwas älter als ich aus und ist mir sehr ähnlich. Mein Bruder?

   „Sam! Hast du meinen Baseballschläger?“

Er spricht englisch, aber seltsamerweise kann ich trotzdem den Sinn verstehen. Das hat bestimmt etwas mit den Gefühlen zu tun oder so… Um den anderen ebenfalls klar zu machen, dass ich alles verstehe, sage ich: „Ich weiß, worum es geht… Keine Übersetzung.“ Habe ich das wirklich gerade ausgesprochen? Es scheint schwierig zu sein, wieder in die Realität zurückzufinden, denn im Moment fesselt mich das Geschehen…meine Erinnerung.

Ich schüttele den Kopf. „Nein, hab ich nicht.“

   „Bist du dir sicher? Du hast schon öfter einfach Sachen von mir genommen!“

   „Das stimmt doch gar nicht!“

   „Natürlich!“

   „Nein!“

   „Doch!“

   „Immer musst du mich ärgern!“

   „Du hast ja auch meinen Baseballschläger!“

   „Hab ich gar nicht!“

   „Lügnerin!“

   „Ich bin keine Lügnerin! Guck dich doch selber an! Du hast Dad immer noch nichts davon erzählt, dass du derjenige warst, der die Fensterscheibe zerbrochen hat.“

Mein Bruder sieht mich wütend an. „Na und! Und du hast neulich in Moms Sachen rumgewühlt… und dich dann verkleidet. Das ist was für Fünfjährige!“

   „Das ist nicht wahr, Marc!“ Ich merke, wie Zorn in mir hochsteigt. Und schon renne ich auf meinen Bruder zu, der immerhin einen Kopf größer ist als ich und schlage ihn. Daraufhin entbrennt eine Rangelei, bei der ich schließlich mit dem Kopf gegen den Schrank falle und mir eine Platzwunde an der Stirn zuziehe. Marc sieht auch nicht besser aus, denn seine Nase blutet.

Plötzlich geht die Tür auf und eine Frau mit blonden Haaren kommt herein. Sie sieht mir sehr ähnlich… Meine Mutter!

   „Marc! Samantha! Was ist hier schon wieder los? Wie oft habe ich euch gesagt, dass ihr euch zusammenreißen sollt?“

   „Er hat angefangen.“

   „Sam hat angefangen.“

   „Das ist mir ganz egal! Ihr beseitigt jetzt diese Unordnung und vertragt euch wieder! Denk an deine Nase, Marc – und du, Sam, kommst mit. Ich werde erst mal deine Wunde versorgen…“

 

   „…ich werde erst einmal deine Wunden reinigen!“

Xalvie beugt sich langsam über meinen Rücken. „Ach Kindchen! Das hättest du nicht tun sollen. Wie siehst du denn jetzt aus! Ich hoffe, dass du dir keine Infektion zuziehst.“

Umnebelt von Schmerzen beobachte ich sie, wie sie ein Tuch in eine Schüssel mit Wasser taucht und es dann vorsichtig auf meine geschundene Haut tupft. Ich ziehe die Luft scharf ein und kann die Tränen, die meine Wangen herunterlaufen, nicht zurück halten.

   „Erzähl mir von etwas Schönem, E’ilia!“ fordert mich Xalvie auf, um mich abzulenken. Ich muss schlucken. Etwas Schönes?

   „Ich…aaah…ich stelle mir vor, wie ich…wie ich ohne Schleier durch die Straßen von Crusalon gehe… Keiner sieht mich feindselig an und jeder ist so nett wie du es bist…“

   „Und weiter?“

   „Es…es ist angenehm kühl, nicht so heiß und ich habe Durst. Und weil ich durstig bin, gehe ich um eine Häuserecke und vor mir ist ein riesiger Garten mit Wasser…in großen Mengen… Mit Blumen… Ich gehe zu dem Wasser und trinke soviel ich will. Kein Re’en, der mich daran hindert, das zu tun, was ich will…“ Ich schreie einmal kurz auf, als sie aus Versehen etwas zu heftig meinen Rücken reinigt. „Ich…“

   „Und was tust du dann? Erzähl weiter!“

   „Ich laufe den Weg entlang und rieche den Duft der Blumen… Die Sonne wärmt meine nackte Haut – Sonne auf meiner Haut – und ich strecke ihr mein Gesicht entgegen und drehe mich im Kreis, immer schneller…“

 

Ich drehe mich im Kreis und lasse dabei ein Geheul erklingen.

   „Du benimmst dich wie ein Baby!“ sagt jemand zu mir.

   „Ist das ein Wunder? Ich habe sie hinter mir – ich habe die Schule hinter mir. HINTER mir – weißt du, was das bedeutet, Jen? Nie wieder bescheuerte Lehrer…“

   „Aber dafür Air Force Offiziere, die dich herumkommandieren, nicht wahr?“

   „Na und! Oh, ich bin ja so glücklich…“ Und deswegen nehme ich anscheinend das Mädchen stürmisch in meine Arme und lasse sie danach gleich wieder stehen, um mich wieder wie wild im Kreis zu drehen.

 

   „…schneller und schneller. Ich bin frei, Xalvie. Ich bin frei.“

Sie streicht sanft über mein Oberarm. Verständnisvoll. Liebevoll. Ich fühle mich geborgen, aber die Schmerzen hindern mich daran, etwas anderes zu tun, als da zu liegen und zu hoffen, dass sie bald aufhören.

   „Es tut so weh, es tut so furchtbar weh.“

   „Ich weiߓ, sagt die alte Dame beruhigend und sieht mich traurig an. „Ich weiß.“

 

   „Können wir für heute aufhören?“

   „Natürlich!“ Daniel sagt etwas zu Martouf und der Tok’ra deaktiviert das Erinnerungsgerät. Ich stelle fest, dass es ziemlich schwierig ist, wieder in die Realität zurückzufinden. Noch immer befinde ich mich in Gedanken bei Xalvie und seltsamerweise scheint mein Rücken leicht zu schmerzen. Als ich aufstehe, wird mir leicht schwindelig. Sofort ist Janet bei mir und sieht mir besorgt ins Gesicht.

   „Alles in Ordnung?“ Ich habe diesen englischen Satz schon so oft gehört, dass ich ihn ohne Übersetzung verstehe. Ein Nicken beruhigt die Ärztin zwar nicht, aber als ich zielstrebig zur Tür gehe, ohne mich weiter um meine Freunde zu kümmern, lässt sie es gut sein. Es ist mir egal, was die anderen jetzt von mir denken. Ich möchte einfach meine Ruhe haben und über eben Erlebtes alleine nachdenken. Während ich in der Tür stehe, drehe ich mich noch einmal um. Mein Vater sieht sehr bekümmert aus, genauso wie Daniel und Janet. Das Gesicht des Jaffas scheint regungslos, aber ich glaube in ihm sieht es nicht so ruhig aus wie es wirkt. Jack sieht mich nicht an, seine Züge sind wie versteinert und Martoufs Ausdruck kann ich überhaupt nicht deuten.

Ohne ein weiteres Wort gehe ich zu meinem Quartier.

 

 

            (3)

 

Inzwischen sind zwei Tage vergangen. Und nichts hat sich geändert. Langsam fange ich wirklich an, aufzugeben. Aber ich darf nicht aufgeben! Ich werde nicht aufgeben. Ich werde mich wieder erinnern, mir mein Leben zurück holen und wenn ich dazu tausend verdammte Sitzungen mit dem Erinnerungsgerät durchführen muss!

   „E’ilia, was ist?“ Daniel hat meine fahrigen und zornigen Bewegungen bemerkt. Ich seufze.

   „Es ist nichts.“

   „Bitte! Was ist los?“

   „Nichts!“

   „Ich weiß aus eigener Erfahrung, das Reden hilft! Er war auch einmal so, dass ich nicht reden wollte. Und ich habe wirklich schon viel durchgemacht.“

   „Was?“ will ich wissen.

   „Meine Frau wurde von Apophis entführt und zu dem Wirt seiner Gefährtin gemacht. Jetzt ist sie tot.“

Ich bin erschüttert. Dieser Apophis scheint wirklich der Teufel persönlich zu sein!

   „Das tut mir leid“, sage ich sanft.

   „Ich weiß. Und deswegen bitte ich dich, mir zu erzählen, wenn du etwas hast. Okay?“

   „Okay.“

Stille. Wir sitzen uns in der Kantine gegenüber und keiner sagt etwas.

   „Und?“ bricht der junge Wissenschaftler schließlich das Schweigen.

   „Ich… Ich merke, dass ich meine Hoffnung verliere. Aber ich will sie nicht verlieren. Ich will meine Erinnerungen zurück. Es stört mich, dass mich hier niemand außer dir versteht. Es nervt mich, dass mich hier alle mit so einem Seitenblick ansehen – als hätten sie mich bereits abgeschrieben und denken: Die wird sich sowieso nicht mehr erinnern! Es macht mich krank, wenn ich sehe, dass ihr leidet, weil ich keine Fortschritte mache und…“

   „Aber E’ilia! Du hast das Erinnerungsgerät doch erst einmal benutzt!“

   „Na und! Martouf meinte, dass ich mich durchaus von alleine erinnern kann! Und was ist? Nichts! Nichts hat sich verändert! Es ist alles so geblieben wie vorher! Aber ich sag dir was! Ich gebe nicht auf! Ich werde kämpfen! Und wenn ich persönlich zu Apophis gehe und ihn auffordere, diesen verdammten Mikrochip aus meinem Kopf zu entfernen!“

Wütend stehe ich auf und verlasse den Tisch. Dabei stoße ich mit Jack zusammen, der mich erstaunt ansieht.

   „Hoppla!“

Ich rausche an ihm vorbei und bin mir der Blicke, die mir nachgeworfen werden, durchaus bewusst. Mein Weg führt mich schnurstracks zu Martoufs Quartier. Ich klopfe und warte, bis er mir die Tür aufmacht. Er wirft mir einen überraschten Blick zu.

   „E’ilia?“

   „Ich…Erinnerungsgerät!“ fordere ich mit meinem wenigen Englisch und deute dabei auf die Technologie an meiner Schläfe. Der Tok’ra sagt etwas zu mir, aber ich verstehe es nicht. „Bitte!“ sage ich mit noch mehr Nachdruck. Er nickt und wir gehen zu Janet. Sie scheint nicht erfreut zu sein, als sie von meinem Vorhaben erfährt, aber sie schließt uns das Behandlungszimmer auf. Kurze Zeit später erscheinen auch die restlichen Ausgewählten, die meinen Erinnerungen beiwohnen dürfen. Martouf schaltet die Technologie an und diesmal dauert es überhaupt nicht lange, bis es Wirkung zeigt. Ein Fortschritt?

 

Ich sitze wieder in meinem Zimmer – aber es hat sich verändert. Lange stehen keine Spielsachen mehr herum. Ich sehe in den Spiegel vor mir. Es ist seltsam, mich als Jugendliche zu sehen. Kurz muss ich daran denken, dass die anderen mich nun auch das erste mal in diesem Alter sehen, mit Ausnahme von Jacob natürlich.

Ich sehe nicht gerade sehr glücklich aus. Mit dem Zeigefinger fahre ich die Konturen meines Gesichtes nach. Plötzlich geht die Tür auf, aber ich schaue nicht auf.

   „Wird Dad kommen?“

   „Nein, Schatz. Er muss leider noch arbeiten. Aber soll dir ganz liebe Grüße ausrichten. Es tut ihm leid, dass er nicht hier sein kann.“

   „Natürlich. Ich verstehe schon. Es ist seine Pflicht.“

   „Sam! Das nächste Mal wird er bestimmt da sein!“

   „Sicher. Es ist ja mein Geburtstag.“ Ich unterdrücke das Gefühl, weinen zu müssen. „Ich mache ihm keinen Vorwurf. Es… Ich bin nur traurig.“

   „Ich weiß. Aber trotzdem bist du heute 16 geworden. Du solltest dich freuen! Außerdem warten unten auf dich noch ganz viele Geschenke. Hm? Wie wär’s?“

Nach einigem Zögern nicke ich und gehe dann hinter meiner Mutter her. Im Wohnzimmer wartet Marc bereits auf mich und gratuliert mir herzlich. Plötzlich sagt eine Stimme hinter mir: „Und auch ich wünsche dir alles Gute!“

Ich wirble herum und sehe das breite Grinsen auf dem Gesicht meines Vaters und falle ihm glücklich um den Hals.

   „Ich dachte, du kommst nicht.“

   „Ich weiß. Aber jetzt bin ich hier. Sieh mich nicht so traurig an! Ich bin ja da und nun können wir deinen Geburtstag feiern! Wie wär’s mit Alkohol?“

Ich nicke freudig und lächle selig.

Und dieses Lächeln habe ich auch in Wirklichkeit auf den Lippen. Ich blicke zu Jack und den anderen und sehe, dass auch sie ziemlich zufrieden sind. Jacob strahlt über beide Backen, als ich zu ihm schaue.

Es ist seltsam, alles mitzuerleben… Das, was mir früher einmal passiert ist. Einerseits kommt es mir seltsam vertraut vor, wahrscheinlich, weil ich fühle, was ich damals fühlte und so auch englisch verstehe, aber andererseits sind es Erinnerungen, die einem Teil von mir gehören, der nicht mehr existiert. Und das ängstigt mich. Falls ich mich nicht von alleine erinnere, kann ich das Leben von mir – Samantha Carter – nicht wieder aufnehmen. Ich hätte vielleicht alles Erlebte zurück, aber es wäre wie ein überdimensionaler Film der Tau’re, uns Menschen, und das hilft mir nicht weiter! Ich muss mich entsinnen.

 

Ich überquere eine Straße und habe allerhand schwere Bücher in der Hand. Es ist angenehm warm und ich schaue nach oben direkt in die Sonne mit dem Resultat, dass ich erst einmal geblendet bin. Das war’s jetzt ja!

Plötzlich höre ich ein wildes Hupen, schaue nach links und sehe ein rotes Auto auf mich zurasen. Wie gebannt stehe ich da und kann mich nicht regen. Ich sehe dem Fahrer tief in die Augen, Bremsen quietschen, der Wagen schlittert weiter auf mich zu… Und es wird schwarz.

Das erste, was ich sehe, als ich meine Augen wieder öffne, ist das gleiche Gesicht, in das ich als letztes sah. Es sieht sehr besorgt aus und ich bin etwas verwirrt. Mein Blick wandert nach rechts, wo meine Bücher auf der Straße verstreut liegen. Einige Menschen kommen herbeigeeilt.

   „Oh Gott, ich habe sie überfahren!“

Ich gucke nun wieder nach dem Fahrer. Er scheint noch sehr jung zu sein. Er hat braune Augen und die fesseln mich. Ich kann nicht klar denken, denn alles, was ich sehe, sind diese braunen, besorgten Augen und ich folge ihnen. Ich will meine Hand heben, um sein Gesicht zu berühren, aber ich kann meinen rechten Arm nicht bewegen. Als ich nach unten schaue, sehe ich auch warum: Der Arm sieht ziemlich deformiert aus.

   „Rufen Sie einen Krankenwagen!“

   „Oh Gott, das habe ich nicht gewollt! Sie ist mir vors Auto gelaufen…und…oh Gott, was habe ich nur getan?“

Ich will ihn beruhigen und etwas sagen, aber meine Kehle ist wie ausgetrocknet. Also versuche ich, aufzustehen. Seltsamerweise spüre ich keine Schmerzen…

   „Bitte bewegen Sie sich nicht! Bleiben Sie liegen! Der Arzt kommt gleich!“

Als ich wieder das Bewusstsein verliere, habe ich noch immer sein Gesicht im Gedächtnis.

 

   „Hey! Du bist wach!“

Meine Augen schmerzen und mein Arm fühlt sich sehr…gebrochen an. Es ist die Stimme meines Bruders.

   „Marc? Was ist passiert?“

   „Du erinnerst dich nicht? Du wurdest angefahren, als du die Straße überquert hast.“

   „Wie spät ist es?“

   „Ist das alles, was dir einfällt? Du hättest tot sein können!“ Als ich nicht antwortet, schreit er fast. „Weißt du, was das bedeutet? Du wärst auch tot – genauso wie Mom. Und auch bei einem Autounfall. Weißt du eigentlich, was Dad sich für Sorgen und Vorwürfe gemacht hat?“

Ich schließe die Augen wieder. Schmerzen wallen durch meinen Kopf. Ich kann das jetzt nicht hören!

   „Bitte! Hör auf! Es war meine Schuld, dass ich überfahren wurde. Wo ist der…Fahrer?“

   „Er stand unter Schock, aber es geht ihm gut. Er möchte dich besuchen, aber ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist…“

   „Doch, hole ihn bitte her. Und könntest du bitte gleich einen Arzt mitbringen? Ich habe höllische Kopfschmerzen…“

Er nickt und steht auf. Kurze Zeit später kommt der junge Mann herein.

   „Hey…“

   „Hey.“

   „Wie geht es Ihnen?“

   „Ganz gut“, sage ich, ziehe daraufhin aber gleich eine Grimasse, weil mein Schädel brummt. „Aber bitte siezen Sie mich nicht… Ich bin erst zweiundzwanzig und lege nicht sehr viel Wert auf so was…“

   „In Ordnung, aber dann sage auch du zu mir. Übrigens bin ich Alex…“

   „Sam. Sam Carter.“

   „Ich weiß.“

   „Ach, die Versicherung?“

Er nickt und grinst.

   „Es tut mir leid, dass ich nicht besser aufgepasst habe.“

   „Es tut mir leid, dass ich nicht früher gebremst habe. Aber so…hatte ich wenigsten die Chance, dich kennen zu lernen.“

Ich sehe ihn nur mit großen Augen an und lächle dann.

   „Danke“, sage ich leise.

   „Wofür das?“

   „Dafür, dass du mich nicht überfahren hast. Dafür danke ich dir.“

Ich schließe meine Augen, zufrieden, denn ich habe jemanden gefunden, den ich lieben werde. Und das lässt die Schmerzen vergessen.

 

Als ich wieder in die Realität zurückfinde, machen sich leichte Kopfschmerzen in mir breit. Aber das ist sicherlich nichts Unnormales, denn nach dem Wiedererlebnis der Folterung hatte ich auch wage Rückenschmerzen gehabt.

Für heute reicht die Sitzung und ich bin froh, eine schöne Erinnerung zu haben. Deswegen sage ich Daniel auch, dass ich aufhören möchte. Ich mache mich auf den Weg zu meinem Quartier und summe dabei irgendeine Melodie. Ich fühle mich irgendwie beruhigt – mein Leben scheint früher sehr schön gewesen zu sein – im Gegensatz zu Crusalon, wo ich sehr viele schlechte Erfahrungen machte. Ich glaube, das werde ich Daniel erzählen. Es tut mir leid, dass ich ihn vorhin so angefahren habe.

Summend gehe ich wieder zurück und betrete noch einmal das Arztzimmer. Als sich die anderen umdrehen und mich erkennen, starren sie mich fast entsetzt an.

   „W…was ist denn?“

   „Du…du…Was hast du da gerade gesummt?“ Daniel sieht ziemlich aufgeregt aus und wirft den Männern und Janet vielsagende Blicke zu. Nur Martouf scheint genauso ahnungslos zu sein wie ich. Ich verstehe nicht, was der Doktor von mir will.

   „Nichts besonderes, nur eine ausgedachte Melodie. Wieso?“

   „Das war keine ausgedachte Melodie!“

   „Nicht?“

   „Nein, das war die neunte Sinfonie Beethovens mit der Ode an die Freude. Wieso kennst du diese Melodie?“

   „Kenne ich sie denn?“

   „Du hast sie doch gerade gesummt!“

   „Ja…aber…unbewusst…glaube ich.“

Ich stehe noch immer ziemlich verwirrt da und langsam kommt mir die Bedeutung dieses kleinen Summens in den Sinn: Eine Melodie von der Erde, eine sehr bekannte anscheinend…und ich kenne sie nicht, aber ich summe sie…was soviel bedeutet, wie dass sie noch irgendwo in meinem Gedächtnis vorhanden ist. Mein Fall ist nicht hoffnungslos! Meine Erinnerungen sind nur…blockiert…und nicht verschwunden!

   „Ich möchte sie hören!“

   „Was?“

   „Ich würde gerne die Melodie hören!“

Daniel sagt etwas zu den anderen und fordert mich dann auf, mitzukommen. Der Rest folgt. Sicherlich sind alle genauso aufgeregt wie ich es bin. Wir kommen in Daniels Quartier an und er legt eine CD in den CD-Player. Je länger ich hier bin, desto mehr fasziniert mich der Fortschritt auf diesem Planeten. Er schaltet die Musik an und es ertönt genau die Melodie, die ich vor kurzem gesummt habe, allerdings unerwartet anders.

   „Was ist das für eine Sprache?“ will ich wissen.

   „Das ist deutsch.“

   „Es hört sich schön an…“

   „Ich weiß.“

Ich traue mich kaum, zu fragen, aber nach einer Weile tue ich es trotzdem: „Daniel, meinst du, dass dies ein gutes Zeichen ist?“

Er sieht mich erstaunt an. „Natürlich ist es das. Verlier die Hoffnung nicht, E’ilia!“

Ich nicke. Ich habe Hoffnung, aber trotzdem ängstigt mich die Möglichkeit, dass eben Erlebtes einmalig war und ich nie wieder so eine Erfahrung machen werde. Ich merke, dass ich wieder Kopfschmerzen bekomme und verabschiede mich von den anderen. Müdigkeit macht sich in mir breit, deswegen verschwinde ich in meinem Quartier und ziehe mich um, um schlafen zu gehen.

Als ich vor dem Spiegel stehe, betrachte ich mich. Ich sehe nicht sehr gesund aus, habe tiefe Augenränder und bin bleich im Gesicht. Meine Hände zittern leicht und das Dröhnen im Schädel wird immer stärker. Schließlich lege ich mich in mein Bett und versuche, zu schlafen, aber ich liege noch lange wach und muss nachdenken.

Warum mir wohl gerade so was passierte? Manchmal schlägt das Schicksal eben zu. Je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass ich an Schicksal nicht glaube. Ich bin mein eigener Herr, das hoffe ich zumindest.

 

 

            (4)

 

Ich stehe vor einem großen Spiegel…in einem mir unbekanntem Raum. Aber ich fühle mich wohl, es ist angenehm warm, etwas schummrig und ich bin…nackt!

Uh oh, das ist peinlich.

Ich betrachte mich im Spiegel und jetzt – in der Realität – wünsche ich mir nichts anderes, als im Erdboden zu versinken oder mir dieses verdammte Erinnerungsgerät vom Kopf zu reißen… Wenn das so einfach wäre!

Plötzlich küsst jemand meinen Nacken und im Spiegelbild erkenne ich Alex…ebenfalls nackt. Er umfasst mich von hinten und massiert zärtlich meine Brüste. Das geht eindeutig zu weit!

   „Aufhören!“ rufe ich schon fast panisch. „Sofort aufhören!“

Als ich die Augen wieder öffne und die Erinnerung verdränge, was gar nicht so einfach ist, greife ich zu meiner Schläfe und berühre die Technologie. Die anderen sehen fast alle ziemlich…berührt aus. Daniel räuspert sich und kratzt sich am Kopf, Janet ist rot angelaufen (obwohl ich diejenige bin, die es sein müsste), Jacob ist verwirrt und Jack sieht irgendwie sehr mitgenommen aus. Nur Martouf und Teal’c machen ein relativ normales Gesicht.

   „Martouf, schalte diesen Kram bitte SOFORT ab!“

Als er nichts macht und mich nur einigermaßen dumm ansieht, werde ich böse. „Ich will nicht, dass jeder meine Erinnerungen sieht! Stell es ab, oder ist das so schwierig…zu…“ Oh Gott! Ich habe in englisch geredet! Oh Gott!

Nach einer Weile presse ich ein „Nun ja.“ heraus. „Ich spreche englisch… Das ist großartig, nicht? Sagt doch was!“ Meine Erinnerung scheint immer noch in der Luft zu hängen, zumindest fühle ich mich so. Peinlich, peinlich.

   „Wirklich wunderbar!“

   „Ich freue mich!“

   „Wie kommt das zu Stande, Martouf? Warum kann sie auf einmal englisch sprechen?“

   „Das weiß ich nicht…“

Das Erinnerungsgerät ist noch immer aktiv, und das Erlebnis mit Alex ist sehr hartnäckig… Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, es zu erleben, aber nicht unter den Augen von anderen! Zum Glück haben alle ihre Helme abgenommen.

   „Wenn ihr nichts dagegen habt, würde ich lieber alleine sein“, lasse ich vorsichtig verlauten.

Teal’c neigt nur seinen Kopf, Jack scheint zu grinsen… Oh, ich LIEBE diese Situation! „Mir wird schon nichts passieren, Martouf kann ja im Nebenraum bleiben oder so!“ Ich habe mich noch nie so erbärmlich gefühlt. Die Kopfschmerzen, die nun hochsteigen, helfen mir auch nicht. „Wirklich, ihr könnt ruhig gehen. Ich habe alles unter Kontrolle.“

   „Echt?“ fragt Jack interessiert und ich könnte ihn köpfen.

   „Ja, Sir!“ Das hat gesessen! Seit ich wieder hier bin, habe ich ihn noch nie mit Sir angesprochen, und das erste Mal ist immer das wirkungsvollste.

So verlassen alle den Raum und ich bin ungestört…

 

Die Kopfschmerzen haben zugenommen und ich entschließe mich, mit der Sitzung aufzuhören. Ich habe sehr viel über Sam, über mich, erfahren – über meine Kindheit, meine Freunde, meine Arbeit… Nicht alles hat einen Sinn ergeben, aber es hat mir weiter geholfen. Allerdings tritt das ein, was ich von Anfang an befürchtet habe: Ich verfüge zwar über Informationen meines Lebens, aber es ist wie ein Film und nur durch das Erinnerungsgerät erfahre ich sie…

Es muss mit dem Mikrochip in meinem Gehirn zu tun haben. Ich will wissen, was Apophis mit mir angestellt hat, aber nie erinnere ich mich an ihn. Ich habe schon so vieles aus meinem Leben gesehen – von Freunden bis zum Tod meiner Mutter, den ich eben miterleben musste. Es war schrecklich. Aber es ist, als wenn ich mich an den Goa’uld einfach nicht erinnern kann. Martouf ist vielleicht in der Lage, meine Gedanken zu ihm zu leiten…

Mit diesem Anliegen gehe ich zu ihm.

   „E’ilia.“

   „Hallo Martouf. Es ist schön, dass ich mich mit dir nun auch unterhalten kann.“

   „Ja, das ist es.“

   „Ich habe eine Frage… Nein, falsch… Ich habe sogar mehrere Frage. Aber… hier meine erste. Wäre es möglich, dass du mich irgendwie dazu bringen könntest, mich daran zu erinnern, was damals mit mir passiert ist?“

   „Das wäre möglich. Und was waren deine anderen Fragen?“

Ich zögere. Es ist schwer, alles in englisch auszudrücken. Ich muss mir Mühe geben, nicht ständig wieder auf die Sprache Crusalons zurückzugreifen. „Ich komme mit einigem noch nicht klar, was ich gesehen habe. Ich weiß, dass einmal eine Tok’ra in mir war, Jolinar, und manchmal sehe ich beim Gebrauch des Erinnerungsgerätes anscheinend ihre Erinnerungen. Aber ich bin mir nicht sicher…es  ist alles verwirrend. Ab und zu tauchst auch du darin auf. War ich… Es fällt mir schwer, das zu sagen… War ich je mit dir zusammen?“

Martouf sieht mich etwas traurig an. „Jolinar war meine Gefährtin für einen langen Zeitraum. Ihr Wirt war Rosha, und Lantash und ich haben sie wirklich sehr geliebt. Jolinar hatte dich als Wirt genommen, weil sie sonst nicht überlebt hätte. Später hat sie ihr Leben für deines geopfert. Durch ihre Erinnerungen habt ihr schließlich uns Tok’ra gefunden und Jacob wurde der Host von Selmak, weil er Krebs hatte, wie du vielleicht weißt. Sicherlich sahst du das Erlebte von Jolinar…“

   „Ja, aber ich…empfinde etwas für dich.“ Martouf sieht mich lächelnd an. „Geht das nun von mir, von Sam oder von Jolinar aus?“ Er schaut mich ernst an.

   „Das kann ich dir wirklich nicht sagen.“

   „Ich weiß.“ Ich bin verwirrt. Ich empfinde tiefe Zuneigung zu ihm, aber ist es meine Zuneigung? Kurzerhand lehne ich mich nach vorne und umarme ihn.

   „Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich will wieder ich sein… Mich erinnern…“

   „Das wollen wir auch“, meint Lantash und umfasst mich fest. Mir ist leicht schwindelig und meine Kopfschmerzen melden sich wieder zurück. „Wir werden alles tun, damit du dich wieder erinnerst. Das schwöre ich.“

   „Ich danke dir. Auch ich werde nicht aufgeben. Ich habe mir vor kurzem etwas geschworen – ich werde NIE die Hoffnung aufgeben und wenn ich persönlich zu Apophis muss und ihn auffordere, diesen Mikrochip zu entfernen…“

   „So weit wird es nicht kommen.“

Ich nicke langsam und löse mich dann von dem Tok’ra. „Danke, dass ihr für mich da seid.“ Ich gehe aus dem Raum.

 

 

            (5)

 

   „In Ordnung, E’ilia! Dann werden wir heute sehen, was wir über Apophis herausfinden, okay?“

   „Ja. Ich bin fertig.“

Mir ist etwas mulmig zumute. Mein Kopf dröhnt, meine Hände zittern leicht und ich habe Angst davor, was auf mich zukommt. Martouf aktiviert das Gerät an meiner Schläfe.

   „Ich möchte, dass du dich an SG-1 erinnerst. An die damalige Zeit, an Missionen…“

Das ist kein großes Problem, aber so viele Bilder stürzen auf mich ein, dass ich schon total verwirrt bin.

Daniel niest und hat gerötete Augen.

Teal’c schießt mit einer Stabwaffe.

Jack wurde tödlich getroffen und ich stürze zu ihm, bevor auch ich erschossen werde…

Ich sehe Martouf…und Jacob… Mein Vater ist verletzt…

Ich habe eine Handspange und durch die Wucht der Energie wird ein Mann von mir in den Boden gedrückt… Seth?

Meine Kopfschmerzen steigern sich.

   „E’ilia“, sagt Martoufs Stimme, „Jack möchte dir erzählen, wie ihr damals losgegangen seid…“

   „Ich…wir… Ich erzählte damals so einen dämlichen Witz über einen Frosch und ein Auto und darüber, dass wir schon wieder zu einem Waldplaneten müssen. Sie haben gelacht…“

 

   „…Schluss. Fini! Und? Gefallen?“

   „Natürlich, Sir!“

   „Auf zu einer neuen spannenden Mission auf einen Planeten mit WALD. Weil es im gesamten Universum ja nichts anderes gibt als nur Bäume, Bäume und Bäume. Oh, und fast hätte ich’s vergessen: Natürlich auch noch Bäume!“

Ich muss grinsen.

 

   „Auf der anderen Seite sind wir losmarschiert, nachdem wir die Umgebung sicher gestellt hatten. Es war ziemlich kühl und wir unterhielten uns übers Angeln…“

 

   „Also, Carter. Sie sollten mal nach Minnesota mitkommen. Da gibt es solche großen Fische!“

   „Na, die möcht’ ich sehen, Sir.“

   „Stimmt doch Teal’c, oder? Sehen Sie, Teal’c stimmt mir zu. Teal’c mag ja auch angeln.“

Ich schaue zum Jaffa, der nur leicht seinen Kopf neigt.

   „Nein, wirklich! Solche großen Fische…“

   „Meinen Sie manchmal Thunfische, Sir?“

Er scheint mich beleidigt anzugucken und grinst dann aber breit.

   „Natürlich…“

Der Spaß wird von einem plötzlichen Schuss unterbrochen, der nur knapp an Daniels Kopf vorbeifegt und in den Baum dahinter einschlägt.

Sofort begeben wir uns in Deckung.

   „Scheiße! Teal’c hast du eine Ahnung, wer da auf uns schießt?“

   „Ich habe dort hinten eine Schlangenwache gesichtet, O’Neill.“

   „Verdammt! Carter! Sehen Sie nach, was sich links machen lässt. Teal’c, du bleibst mit Daniel hier und ich gehe rechts lang.“

Ich nicke und verschwinde nach links ins Dickicht. Lautlos schleiche ich weiter und sehe vom Weiten drei Jaffa von Apophis, die hinter einem Baumstumpf in Deckung gegangen sind. Ich gehe wieder zurück und warte auf O’Neill und erstatte ihm Bericht.

   „Drei dort hinten, Sir.“

   „Und sieben weitere rechts. Wir ziehen uns zum Stargate zurück.“

Jack, Teal’c, Daniel und ich machen uns lautlos auf den Weg zu unserem Ziel, um festzustellen, dass weitere Jaffa, acht an der Zahl, das Sternentor bewachen.

   „Sir, es dürfte kein Problem sein, die Jaffa mit einer Schockgranate zu bewältig…“ Das Wort wird mir durch ein altbekanntes Geräusch abgeschnitten. Todesgleiter. Hervorragend!

   „Wenn man einen von denen trifft, kann man sicher sein, dass hier ein ganzes Nest ist“, schimpft der Colonel. Plötzlich reißt Teal’c seine Stabwaffe herum und feuert auf einen Feind hinter uns. O’Neill sieht überrascht aus und presst ein kurzes „Danke!“ heraus. Leider sind durch den Schuss die Männer vor dem Stargate auf uns aufmerksam geworden und verschwinden aus unserer Sicht in die Büsche. Kurz darauf wird schon das Feuer eröffnet und ich reiße meine MP hoch und schieße, treffe, entwische nur knapp der Ladung einer Stabwaffe…

Der Platz vor dem Stargate hat sich inzwischen in ein kleines Schlachtfeld verwandelt. Etliche Jaffa liegen regungslos am Boden und wir haben, trotz Unterzahl, nun eine reelle Chance, doch nach Hause zu gelangen.

   „Daniel, wählen sie uns nach Hause!“ ruft Jack und der Archäologe rennt zum DHD und gibt die Koordinaten ein, während Teal’c, der Colonel und ich weiterhin verbissen kämpfen.

Gerade, als ich mich umsehe, erblicke ich den jungen Wissenschaftler. Eine Schuss aus einer Stabwaffe trifft ihn am Bein und er stürzt zu Boden. Schnell renne ich zu ihm, töte während des Laufens den Schützen und knie mich zu meinem Freund…

   „Daniel? Alles in Ordnung? Daniel?“

Er stöhnt leise und richtet sich langsam wieder auf. „Alles in Ordnung, Sam…“

   „Los! Aufstehen!“ Ich helfe ihm und wir gehen zum Ereignishorizont.

   „Verdammt! Sam, ich habe den Code noch nicht eingegeben!“

   „Waaas?“

   „Und das GDO ist verschwunden… Ich muss es verloren haben, als ich getroffen wurde.“

   „Ich hole es!“ rufe ich und mache meinem CO ein Zeichen. Er sieht sehr besorgt aus, aber hat selbst genügend zu tun, als mich an meinem Vorhaben zu hindern. Die zwanzig Meter zum DHD sprinte ich, suche kurz nach dem GDO und gebe dann den Iriscode sofort ein.

Jack und Teal’c feuern noch immer und in der Ferne hört man einen sich nähernden Todesgleiter. Meine drei Teammitglieder stehen inzwischen vor dem Stargate.

   „Carter!“ brüllt O’Neill. Ich nicke leicht und sprinte wieder los. Die Distanz zwischen mir und dem Tor ist nicht weit, aber trotzdem erscheint es mir wie eine Ewigkeit. Auf der Hälfte der Strecke werde ich plötzlich zur Seite geschleudert. Schmerz zieht meinen Rücken entlang, wallt in jede Faser meines Körpers, mein Gesicht befindet sich in Ästen und Matsch und die linke Hand ist durch die Wucht des Sturzes unnatürlich verdreht. Ich kämpfe gegen die hochkommende Dunkelheit an und will mich aufrappeln, aber meine Beine gehorchen mir nicht mehr. Hoffnungslos sehe ich zu meinem Team, sehe Jack verzweifelt schreien, aber ich verstehe ihn nicht, höre nur das Rauschen meines Blutes in den Ohren und das Feuern des Todesgleiters, der direkt auf das Tor zuhält. Die Energiesalven zielen auf SG-1 und ich erkenne, wie O’Neill, Daniel und Teal’c sich in letzter Not durch den Ereignishorizont werfen. Eine Sekunde später trifft der Schlag auf den Boden, auf dem sie eben noch standen.

Sie haben es geschafft. Sie werden überleben.

Der Schmerz holt mich wieder ein und ich lasse meinen Kopf auf den kalten Boden sinken. Ich bin alleine.

 

   „E’ilia! Wie ging es weiter? Was ist dann passiert?“

Schon wieder sind meine Hände verkrampft um die Armlehnen und mein Kopf dröhnt fast unerträglich.

Aber ich muss mich erinnern!

 

Als ich erwache, zieht eine Kälte durch meinen Körper. Noch immer schmerzen mein Rücken und die linke Hand und ich befinde mich anscheinend in einer Zelle, die kaum beleuchtet ist.

Plötzlich wird eine Tür am anderen Ende des Gefängnis’ aufgerissen und zwei Jaffa betreten den kleinen Raum. Sie sagen etwas zu mir, aber ich kann es nicht verstehen. Als der eine seine Stabwaffe aktiviert, begreife ich.

   „Immer wieder freundlich…“, stelle ich sarkastisch fest und bemerke, dass ich wohl schon zu lange mit meinem Colonel zusammenarbeite.

Als ich mich bemühe, aufzustehen, es aber nicht schaffe, reißt mich der eine Mann hoch und zerrt mich auf den Gang.

 

   „Oh Gott! Bitte…hört auf!“ flehe ich. Die Kopfschmerzen sind fast unerträglich.

   „E’ilia, du musst dich erinnern! Aber keiner will dich dazu zwingen…“

Ich nicke nur… Diese Tortur möchte ich nicht noch einmal durchmachen.

 

Ein Ringtransporter bringt mich zu ihm…

Zu ihm…zu Apophis…

Aber wieso habe ich mich noch immer nicht an ihn erinnert?

Kopfschmerzen…

Martoufs und Jacks Stimmen…

Apophis… Wo bist du?

Ich verkrampfe immer mehr, schreie auf, als mir jemand seine Hand sanft an die Wange legt. Mein Kopf scheint zu explodieren…

Apophis…

Plötzlich sehe ich ein Gesicht, sein Gesicht. Er starrt mich spöttisch an, seine Augen glühen und er richtet sein Handmodul auf mich.

Ich beginne zu schreien.

 

Ich schreie.

Die Schmerzen sind unerträglich geworden, klares Denken ist nicht mehr möglich.

Als ich die Augen gequält öffne, liege ich neben dem Sessel auf dem Boden, zusammengekrümmt, die Hände am Kopf, mit tränenüberströmten Gesicht. Meine Sicht ist umnebelt und ich erkenne nur noch Schatten über mir.

   „Sam!“ sagt jemand, aber die Stimme rast verzerrt durch mein Gehirn und ruft eine weitere Welle des Schmerzes hervor.

Er beugt sich über mich, Apophis beugt sich über mich… Und ich kann nichts tun, kann nicht entkommen. Wieder benutzt er sein Handgerät und ich werde fast verrückt.

Wie automatisch fasse ich an meine Schläfe und reiße an dem Erinnerungsgerät. Jemand ergreift meine Hände und hält sie davon ab, meine Qual zu beenden…

Schmerzen.

Mein Kopf scheint zu explodieren, nein… er tut es. Taub von der Qual liege ich am Boden.

Oh Gott, es tut so weh!

Wie genugtuend, als mich Schwärze empfängt…

 

 

            (6)

 

   „Es tut mir so Leid, Sam. Es tut mir so Leid.“

   „Was tut dir Leid, Dad? Was hast du?“ Ich stehe meinem Vater gegenüber. Der Ausdruck, welcher sich auf seinem Gesicht breit gemacht hat, macht mir Angst. Einerseits scheint er zutiefst betrübt, aber andererseits sind seine Augen leer und seine Gesichtszüge verhärtet. Was ist nur geschehen?

   „Deine Mom ist… Sie ist mit dem Taxi gefahren, weil ich keine Zeit hatte, sie abzuholen. Es gab einen Unfall.“

Mein Blut rauscht in meinen Ohren und mir wird schwindelig. Vollkommen perplex sehe ich Dad an, aber er blickt weg.

   „Was… Wieso? Wie?“

Er zieht nur eine Grimasse. „Ein Betrunkener hat das Auto gerammt. Die Ärzte haben noch versucht, sie zu retten, aber sie war auf der Stelle tot.“

   „Oh Gott…“ Die Erkenntnis bricht über mir zusammen und es wird mir bewusst: Meine Mutter ist tot. Ich werde sie nie wieder sehen, nie wieder mit ihr sprechen. Sie nicht lachen hören. Tot.

   „Es ist meine Schuld. Ich hätte sie abholen sollen!“

Langsam sehe ich zu meinem Vater. Ich kann ihm weder zustimmen noch widersprechen, denn seine Worte erreichen kaum mein Bewusstsein. Der einzige Gedanke, der nun ständig anwesend ist, gilt meiner Mutter. Sie ist tot.

Das Leben hat keinen Sinn mehr. Ich werde nie wieder lachen können oder Freude empfinden und meine Freunde zu Hause besuchen können und dabei ihre Familien sehen, wie sie mehr oder weniger glücklich ihr Leben führen und sich nicht bewusst sind, wie viel Glück sie eigentlich haben.

Es lohnt sich nicht mehr. Es lohnt sich nicht mehr.

 

Der Jaffa zerrt mich brutal den Gang entlang. Schließlich kommen wir in einem kleinen Raum an. Ich kann an nichts anderes denken als an meine Flucht. Gibt es einen Ausweg? Die zwei Jaffa wären leicht zu bewältigen, wenn ich meine Waffen hätte. Aber ich habe sie nicht, ganz davon abgesehen, dass mein Rücken noch immer unglaublich schmerzt und ich meine linke Hand nicht bewegen kann. Mir ist schwindelig und der Raum dreht sich leicht. Keine Chance… Wie immer. Nein – nicht wie immer, rufe ich mir ins Gedächtnis. Ich bin alleine, verletzt, weiß nicht, wo ich mich befinde und wer mich gefangen hält. Apophis? Aber ich werde überleben. Denn sie werden nicht warten und sofort nach mir suchen. Man lässt einen Kameraden nicht zurück! Niemals.

Plötzlich erscheint ein helles Licht und blendet mich und erst jetzt registriere ich, dass Transportringe aktiviert wurden. Ich bin nervös in Anbetracht der Tatsache, dass ich nicht weiß, wo sie mich hinbringen werden.

Ruhig, Blut! Immer mit der Ruhe. Es hat keinen Zweck, in Panik auszubrechen. Nach einer Weile übernimmt der rationale und professionelle Teil meines Ichs die Kontrolle und mein Puls verlangsamt sich wieder auf ein Normalmaß. Ich war schon oft in solchen Situationen, warum sollte diese schlimmer sein?

Und dann sehe ich ihn, wie er höhnisch grinsend von seinem Thron auf mich zugeht und mir spöttisch in die Augen sieht. Die Handspange an der rechten Hand, mit einem goldenen Gewand bekleidet scheint seine Gestalt noch imposanter als sonst. Ich kann nicht verhindern, dass ein leichtes Gefühl der Angst in mir aufsteigt.

   „Kree, Jaffa!“

Oh, wie ich diese Stimme hasse und wie sie mich gleichzeitig fasziniert!

   „Tau’re“, sagt er einfach und blickt mich prüfend von oben bis unten an. Meine Erscheinung muss nicht sehr befriedigend sein, denn die Armeesachen sind mit Erde und Blut beschmutzt und zerrissen. Mein Gesicht fühlt sich geschwollen an und die verletzte Hand schmerzt fast unerträglich, ebenso mein Rücken.

Erst jetzt wird mir klar, dass ich gerade darüber nachdenke, wie ich aussehe. Wegen ihm! Eigentlich müsste es mir egal sein, was er über mich denkt, aber es ist mir seltsamer Weise nicht. Vielleicht, weil ich mich in diesem Zustand wesentlich verletzlicher fühle…und weil ich es bin.

Da ich nichts sage, sondern ihm nur unverschämt in die Augen blicke, gibt mir der eine der beiden Jaffa einen Hieb mit seiner Stabwaffe in den Rücken. Unglaublich starker Schmerz wallt durch jede Faser meines Körpers und ich kippe fast vorne über. Der Schmerz weicht der Wut. Wenn diese miese, kleine Schlange schon Wachen braucht, um anzudeuten, dass ich sprechen soll…

   „Was willst du, Apophis?“ sage ich mit soviel Stärke und Verachtung in der Stimme, wie ich nicht geglaubt habe, sie noch zu haben. Er scheint unbeeindruckt und das macht mich nur noch wütender.

Er beugt sich etwas zu mir herunter und berührt leicht mein Kinn mit seiner Hand. Er dreht meinen Kopf prüfend hin und her und dabei halten wir Augenkontakt. Plötzlich leuchten seine Augen kurz auf und er gibt mir eine Ohrfeige, die mich nach hinten wirft.

   „Ganz einfach, Tau’re. Gib mir den Code der Iris und du wirst schnell und schmerzlos sterben.“

Obwohl sich die Angst in mir steigert, werde ich noch zorniger. „Niemals!“

   „Wir werden sehen.“

   „Niemals. Ob ich langsam oder schnell sterbe ist mir egal. Ich werde NIEMALS etwas sagen!“

Er lächelt mir nur humorlos zu und meint dann spöttisch: „Natürlich… Das haben schon viele erwidert. Ihr Menschen seid doch alle Narren. Glaubst du im Ernst, dass du einer Folterung standhalten wirst?“

   „Als wenn dich das interessieren würde! Deinem kranken Verstand gefällt es doch nur, wenn er jemand leiden sehen kann!“ Im selben Moment, wie die Worte meinen Mund verlassen, könnte ich mich dafür ohrfeigen. Taktisch unklug, Sam. Was haben wir bei der Air Force gelernt? Den Feind möglichst nicht reizen. Schlecht. Sehr schlecht.

Apophis’ Augen glühen leicht auf und er richtet das Handgerät auf mich. Die Energiewelle wirft mich zurück an die gegenüberliegende Wand und alles wird schwarz.

 

Das nächste, was ich sehe, ist das Gesicht des Goa’uld über mir. Er scheint nicht lange gewartet zu haben und er hat ein zufriedenes Grinsen aufgelegt, dass ich am liebsten aus ihm herausprügeln würde. Aber ich bin gefesselt und schwach und mir tut alles weh…

   „Ich werde es mir nicht nehmen lassen, die Folterung selbst durchzuführen“, höre ich ihn sagen. Es scheint, als hätte ihn wirklich sehr verärgert. Na super!

   „Du wirst sterben und ich werde dich wiederbeleben, nur damit du noch ein weiteres Mal und noch ein weiteres Mal sterben kannst. Und du wirst mir alle Informationen geben, die du hast!“

Ich erwidere nichts und er aktiviert sein Handgerät und richtet es auf meinen Kopf.

   „Wie lautet der Iriscode?“ Ich schnaube nur verächtlich und schon durchzieht mich unerträglicher Schmerz.

Womit habe ich das nur verdient?

 

Als ich erwache, liege ich im Dunkeln. Wo bin ich und warum kann ich mich nicht bewegen? Aaah – ich liege in einem Sarkophag. Langsam kommen die Erinnerungen an die letzten Stunden wieder… Stunden voller Schmerz, Agonie… Aber ich habe nichts gesagt.

Erst jetzt wird mir bewusst, dass Apophis seine Drohung wahr gemacht hat und mich bis zum Tode gefoltert hat. Die Erkenntnis erschlägt mich fast und schockt mich. Er ist wirklich so weit gegangen und er hat keine Skrupel vor etwas… Oh mein Gott! Er wird es wieder tun, wieder und wieder. Und ich werde nicht standhalten können… Nicht noch einmal.

Welche Lust ich im Moment habe, einfach aus einem gemeinen Alptraum aufzuwachen, eine kalte Dusche zu nehmen und einfach nur ins SGC fahren, um dort langweilige Reporte zu schreiben, und von einem gelangweilten gewissen Colonel genervt zu werden oder einfach nur mit Teal’c so etwas Belangloses wie Scrabble zu spielen oder mit Daniel Debatten über Geschichte zu führen, einfach nur mit den Dreien herumhängen und nichts tun… Je mehr ich an sie denke, desto mehr wird mir klar, dass ich ohne SG-1 nicht existieren kann. Sie werden mir Kraft geben, oh ja! Sie werden…

Der Sarkophag öffnet sich und ich erhebe mich langsam, noch schwach, aber gesund und unverletzt – physisch. Niemand ist in dem Raum und ein Funken von Hoffnung blitzt wieder auf, aber gerade, als ich meine Füße auf den Boden setze, öffnet sich die Tür und herein kommt Apophis.

   „Es wird mir eine Freude sein, dich ein weiteres Mal leiden zu sehen“, meint er und langsam regt mich das nicht mehr auf.

   „Du wiederholst dich.“ Ich arbeite wirklich schon zu lange mit dem Colonel zusammen.

Ich werde von zwei weiteren Jaffa in den Raum geführt, indem ich schon zuvor gefoltert wurde. Mir werden wieder Fesseln angelegt und Apophis beginnt ein weiteres Mal mit der Tortur.

Zwischen den Schmerzen rufe ich mir immer wieder ihre Gesichter vors Auge: Jack, Daniel, Teal’c, Dad, Mom, Marc, Janet, Cassie, General Hammond, Martouf… Alle, alle. Sie helfen mir. Sie retten mich, geben mir die Kraft zu widerstehen.

Und auf einmal wird mir eines klar: Auch wenn ich sterben sollte und nicht wieder aufgeweckt werde, so werde ich dennoch glücklich sterben. Ich wünschte bloß, alle anderen wüssten das auch! Ich habe ihnen noch so viel zu sagen… Und trotzdem weiß ich, dass sie alle mich lieben, egal auf welche Art, und dass macht mir Mut.

Ich kann mir nicht helfen, aber plötzlich kommt mir die Melodie der neunten Sinfonie Beethovens in den Sinn. Ich wollte schon immer einmal ein Konzert besuchen, und zwar gerade dieses. Warum ich auch immer soviel mit diesem Stück verbinde… Eigentlich bin ich kein Mensch, der Klassik im Übermaß hört, aber Beethovens Musik bedeutet mir so viel.

   „Wie öffne ich die Iris?“ höre ich Apophis fragen und er schaut mich wütend an. Mein Blick klärt sich. Er wird nichts von mir erfahren, nicht solange ich mich dagegen wehren kann!

   „Wenn ich wieder zu Hause bin, in meinem Bett liege und eine Dusche nehme und esse,…“ Apophis sieht mich verdutzt an, aber er macht nichts sondern wartet sogar fast gespannt auf die Fortführung meines Satzes. „…dann werde ich mir eine Konzertkarte kaufen und die Musik Beethovens genießen und dich vergessen für den Moment… Freude schöner Götter funken, Tochter aus Elysium – wir betreten feuertrunken, himmlische dein Heiligtum…“ Er sieht mich erstaunt an, als ich in einer ihm fremden Sprache spreche. Ich kann nicht sehr gut deutsch, nur ein bisschen, aber den Text der Ode an die Freude kann ich aus dem Stand. „Und weißt du, was das bedeutet, Apophis?“ Es sieht mich erwartungsvoll an. Fast neugierig. Das mir so etwas noch passiert! Einen Goa’uld wirklich so gespannt zu machen, dass er mir zuhört. „Du kannst mich mal! Bleib doch hier und versieche in deinem trostlosen Leben! Du bist mir scheißegal!“

Seine Augen leuchten so hell auf, wie ich es noch nie bei einem Goa’uld gesehen habe und er schreit mir ins Gesicht, bevor er seine Hand hebt und die Energie auf mich niederfährt.

 

Ein weiteres Mal wache ich auf, doch diesmal nicht im Sarkophag, sondern auf einem kalten Tisch.

Da ist er wieder und spricht auf mich ein.

   „Nun, Tau’re. Ich habe mich umentschieden. Du wirst einem anderen Zweck dienen…“

Oh Gott, kein Goa’uld… Nein, das kann er mir nicht antun.

   „Ich habe eine neue Technologie, die in den Kopf der Person eingepflanzt wird. Sie sorgt dafür, dass alles, was der Träger erlebt und denkt, übertragen wird auf ein Gerät, von dem ich dann die Informationen ablesen kann. Eine äußerst wirksame Methode, um einen Spion effektiv einzusetzen. Vor allen Dingen, weil ich so vollkommene Kontrolle über ihn habe. Gedankenkontrolle. Du kannst stolz auf dich sein, denn du wirst die erste Person sein, die diese Technologie in sich trägt.“

Ich schlucke. „Und wie willst du sie in meinen Kopf bekommen?“

   „Das ist bereits geschehen.“

Er grinst höhnisch, als er meinen geschockten Ausdruck sieht. Aber warum merke ich dann nichts? Er scheint meine Gedanken gelesen zu haben, denn er beantwortet meine ungestellte Frage.

   „Die Technologie in deinem Gehirn ist noch nicht aktiviert. Aber das werde ich jetzt machen. Es wird vielleicht etwas weh tun, aber das stört dich ja nicht, nicht wahr?“ Er wirft mir einen süß-sauren Blick zu und ich erkenne mit Entsetzen die Wut in seinen Augen. Er hasst mich und würde mich am liebsten auf der Stelle töten. Aber das hat er ja schon einmal. Warum also lässt er mich leben und… Oh mein Gott! Er wird mich als Spion einsetzten und wissen, dass er mir so wesentlich mehr Schaden zufügen wird – psychisch.

Ich beobachte aus meinen Augenwinkeln, wie er etwas holt und sich dann wieder zu mir dreht. Eine Art Schalter ruht in seiner Hand und dann drückt er auf etwas. Sofort setzt der Schmerz ein.

Das fühlt sich aber nicht wie ein bisschen Schmerz an!

   „Du hast mich angelogen, du Schweinehund!“ stöhne ich.

Er sieht mich erstaunt an. „Wobei?“

   „Was bei dir wenig Schmerzen sind…“ Mein Kopf scheint zu explodieren. Er sieht noch erstaunter aus.

   „Du willst mich hereinlegen!“ Aber ich sage gar nichts mehr, sondern fange lauthals an zu schreien. Das muss ihn überzeugen, denn ich habe während der gesamten Folterung versucht, nicht zu schreien. Und nun kann ich gar nicht mehr damit aufhören. Wenn es nur die Qual beenden würde! Ich greife mir an den Kopf und schluchze einmal auf. Er beugt sich über mich und schaut wütend auf mich nieder. Befehle auf Goa’uld folgen und eine Person tritt aus dem Hintergrund hervor. Alles, was ich noch sehe, sind Kreise, die vor meinen Augen tanzen. Und dann wird es erneut schwarz.

 

 

            (7)

 

Ich fühle mich sehr seltsam. Fast schwerelos. In wohliger Wärme. Was ist geschehen?

Ich vermisse nichts und niemanden und bin mit meinen Gedanken alleine.

Was mache ich hier?

Ich denke an meine Mutter. Irgendwie fühle ich mich ihr sehr nah, ihre Präsenz zu spüren gibt mir Mut. Mut wofür?

Alles andere ist unbedeutend.

Das Stargate Programm.

Mein Vater, Marc.

SG-1 und der Rest von meinen Freunden im SGC…

Alles…

Nur meine Mutter ist wichtig und ich werde bei ihr sein. Ich freue mich darauf. Sie endlich wieder in die Arme schließen zu können und mit ihr zu lachen…

Plötzlich durchzieht mich etwas. Schmerz? Schmerz ist unbedeutend. Ich möchte zu Mom. In ihre Arme.

Da ist er wieder, dieser Schmerz und hält mich davon ab, weiter an sie zu denken.

Apophis beugt sich über mich.

„Ich werde es mir nicht nehmen lassen, die Folterung selbst durchzuführen.“

Welche Folterung?

   „Du wirst sterben und ich werde dich wiederbeleben, nur damit du noch ein weiteres Mal und noch ein weiteres Mal sterben kannst. Und du wirst mir alle Informationen geben, die du hast!“

Wieso sagt er mir das? Ich fühle mich nicht mehr geborgen. Ich will zu Mom!

   „Und weißt du, was das bedeutet, Apophis? Du kannst mich mal! Bleib doch hier und versieche in deinem trostlosen Leben! Du bist mir scheißegal!“

Ja! Ich muss kämpfen! Aber wofür?

   „Freude schöner Götter funken, Tochter aus Elysium – wir betreten feuertrunken, himmlische dein Heiligtum…“

   „Du wirst sterben und ich werde dich wiederbeleben, nur damit du noch ein weiteres Mal und noch ein weiteres Mal sterben kannst. Und du wirst mir alle Informationen geben, die du hast!“

   „Ich werde es mir nicht nehmen lassen, die Folterung selbst durchzuführen.“

   „Und weißt du, was das bedeutet, Apophis? Du kannst mich mal! Bleib doch hier und versieche in deinem trostlosen Leben! Du bist mir scheißegal!“

   „Du wirst sterben und ich werde dich wiederbeleben, nur damit du noch ein weiteres Mal und noch ein weiteres Mal sterben kannst. Und du wirst mir alle Informationen geben, die du hast!“

Du wirst sterben.

Ich werde sterben.

Ich will nicht sterben!

   „Du wirst sterben und ich werde dich wiederbeleben, nur damit du noch ein weiteres Mal und noch ein weiteres Mal sterben kannst. Und du wirst mir alle Informationen geben, die du hast!“

Nein. Kämpfe…

   „Kämpfe!“ höre ich jemanden rufen.

Schmerzen, überall Schmerzen. Ich scheine aus der Dunkelheit aufzutauchen. Meine Mutter ruft mich…

   „Kämpf dagegen, Sam! Tu es!“

Es wird immer heller und ich spüre eine Hand, die meine hält.

Und schließlich öffne ich die Augen und sehe in das helle Licht der Krankenstation. Ich fühle mich so unendlich schwach. Neben mir sitzt Dad, der meine Hand hält.

   „Dad…“, flüstere ich. „Was ist passiert?“

   „Oh Gott! Sammy! Du erinnerst dich nicht?“

Er wirft einen beunruhigten Blick auf meine rechte Seite. Langsam drehe ich meine Kopf und sehe dort Teal’c, Jack und Daniel stehen. Janet erscheint kurze Zeit später und lächelt mir zu. Und auch Martouf steht dort.

   „Samantha.“

   „Sam, erinnerst du dich nicht?“ fragt noch einmal mein Vater.

   „Ich bin E’ilia…“

   „Oh Gott…“

   „Ich bin E’ilia gewesen, aber ich bin wieder hier… Ich bin Sam, deine Tochter. Oh Dad…“

Er fängt an zu weinen und küsst meinen Handrücken. Ich schließe meine Augen wieder. Ich bin so furchtbar müde…

 

Inzwischen ist eine Woche vergangen und ich kann morgen wieder aus der Krankenstation. Oh wie ich mich darauf freue!

Am Anfang meiner Genesung habe ich fast nur geschlafen und kaum Besuch empfangen dürfen. Da ist Janet eisern. Trotzdem waren alle meine Freunde da und auch mein Vater, ebenfalls Cassie. Sie ist so groß geworden und ich musste fürchterlich weinen, als ich sie sah. Was für ein Wiedersehen.

Es ist alles sehr verwirrend für mich und bis ich wieder ein halbwegs normales Leben führen kann, wird es wohl noch eine Weile dauern. Ständig habe ich Probleme, mein jetziges Leben von dem davor, also als ich E’ilia war, zu trennen und manchmal spreche ich auch noch in der Sprache von Crusalon. Auf diese Weise habe ich Martouf zu Tode erschreckt. Das Schlimme war, dass ich nicht mal merkte, dass ich nicht englisch sprach. Es ist seltsam – jetzt bestehe ich aus vier Ichs. Einmal ist das E’ilia, mein neues und auch altes Ich und ein wichtiger Bestandteil, der im Moment sehr im Vordergrund steht. Dann gibt es Jolinar und ihre Erinnerungen, die mich ebenfalls verwirren. Der dritte und vierte Teil gehören zum Leben von Samantha Carter – einmal die logisch denkende, passionierte Wissenschaftlerin, der Major, der sich an Regeln hält, die Kämpferin… Und dann noch das Ich, welches sich wünscht, eine Familie zu haben und einfach nur eine Frau zu sein. Verständlich, dass ich manchmal etwas verwirrt bin.

Daniel, Teal’c und Jack wollen mich heute noch besuchen. Eigentlich müssten sie gleich da sein. Da kommen sie ja schon.

   „Hey, Sam!“ sagt Daniel und grinst.

   „Hey. Schön, dass ihr gekommen seid.“

   „Wir haben dir etwas mitgebracht, Major Carter.“ Teal’c überreicht mir eine kleine Schachtel. Gespannt öffne ich sie und finde dort ein Buch, eingefasst in sich wie Seide anfühlendes Papier, einen Stift sowie eine kleine Kette mit einem Henkelkreuz daran.

   „Ehm. Das Buch ist für dich, damit du alles, was du erlebt hast, aufschreiben kannst. Wir dachten, das würde dir vielleicht helfen, wieder Fuß zu fassen“, lässt Jack verlauten und klingt dabei schüchtern. Seit ich wieder aufgewacht bin, duzen wir uns.

   „Außerdem soll es dich daran erinnern, dass wir immer für dich da sein werden. Also wenn du unsere Hilfe brauchst…“

Ich muss die Tränen unterdrücken, die in meinen Augen aufsteigen. „Ich werde ganz sicher darauf zurückgreifen. Aber was bedeutet das hier?“ frage ich und deute auf den Anhänger der Kette.

   „Das ist ein Anch, ein ägyptischer Glücksbringer, der für das Leben und…die Fruchtbarkeit und Gesundheit steht.“

Ich muss leicht grinsen. „Fruchtbarkeit?“

   „Ehm ja…“

   „Schon gut.“

Wir haben nicht viel gesprochen, seit ich wieder aufgewacht bin und deswegen habe ich mir vorgenommen, alles heute zu erfahren, was ich wissen muss.

   „Setzt euch doch, Jungs!“

Die drei nehmen Platz und schließlich sehe ich alle an. „Ich danke euch. Für alles, für alles, was ihr mir gegeben habt und dass ihr mich nicht aufgeben habt. Das hat mir Kraft gegeben und es wird mir auch in der Zukunft helfen.“

Stille entsteht, aber sie ist nicht unangenehm. So viel liegt in der Luft. Ein vollkommener Neuanfang wartet auf mich, und mit der Unterstützung meiner Freunde werde ich es schaffen.

   „Aber was mich interessiert… Wieso lag ich in der Krankenstation, als ich aufgewacht bin?“

Die drei werfen sich kurz Blicke zu, bis Jack das Wort ergreift. „Durch das Erinnerungsgerät konntest du dich wieder an Apophis erinnern, allerdings nicht richtig. Es scheint irgendeine Reaktion bei der Technologie in deinem Gehirn ausgelöst zu haben. Du bist ein Koma gefallen und erst nach zwei Wochen wieder aufgewacht.“

Ich schlucke. Wie ist da möglich? „Ich weiß nicht, aber diese Technologie sollte etwas anderes bewirken und Apophis sah überrascht aus, als…“ Ich breche ab.

   „Wir wissen es.“

   „Wie bitte?“

   „Wir sahen keine andere Möglichkeit, als noch einmal das Erinnerungsgerät zu benutzen, zumal es sich nicht mehr ausschalten ließ. Im Prinzip mussten wir nur die Helme aufsetzen. Zuerst sahen wir gar nichts, aber dann kamen Erinnerungen aus deinem Leben zum Vorschein und schließlich konntest du dich vollkommen an Apophis erinnern und wir wussten somit auch, was dir zugestoßen ist. Es war furchtbar…“ Daniel sieht nun recht mitgenommen aus. Und auch ich fühle mich etwas verwirrt.

   „Wieso…“

   „Nur so konnten wir dich retten, Samantha Carter“, addiert Teal’c.

   „Also ward ihr das – die sich ständig wiederholenden Erinnerungen von Apophis?“

Nach einem Zögern nicken die Drei. „Es tut mir Leid, dass wir dir so viel Schmerz bereiten mussten.“

   „Aber wieso ist das Erinnerungsgerät dann jetzt nicht mehr aktiv?“

   „Tja… Wir nehmen an, dass – da du dich jetzt wieder an dein früheres Leben erinnern kannst – die Blockade verschwunden ist und somit der Mikrochip in deinem Gehirn nun vollkommen nutzlos ist. Die verschlüsselten Informationen sind entschlüsselt, der Chip hat keine weitere Funktion mehr…“

   „Aber es hat keine weitere Wirkung auf Technologien wie zum Beispiel das Erinnerungsgerät, oder? Nicht dass ich das ausprobieren möchte…“

   „Nein, im Prinzip ist es nur ein sinnloses Stück Metall…“

   „Und dennoch verstehe ich dann nicht, warum ich noch immer die Sprache von Crusalon beherrsche. Und ich weiß immer noch nicht, was mit mir passiert ist, nachdem Apophis mich als Versuchsobjekt benutzt hat. Ich meine, ich bin ja irgendwie nach Dschigun durch das Stargate gebracht worden, aber ich war ja nicht ewig dort.“

Die drei sehen mich traurig an. Ich werde wohl nie erfahren, was mir damals zugestoßen ist.

   „Vielleicht werden wir irgendwann deine Vergangenheit aufdecken können“, meint Daniel.

Ich nicke leicht. In Jacks Augen sehe ich Schuld und ich will ihn gerade beruhigen, als Janet hereinkommt und die Männer freundlich darauf hinweist, dass ich trotz besserer Gesundheit noch immer Ruhe brauche. Also verabschieden sich meine Freunde. Gerade, als Jack als letzter das Zimmer verlassen will, halte ich ihn zurück.

   „Jack?“

Er dreht sich um und sieht mich lange an.

   „Es ist nicht deine Schuld.“

Er kommt auf mich zu und setzt sich wieder.

   „Am Anfang wollte ich nicht wahr haben, dass du noch immer auf diesem Planeten warst. Wir haben dich gesucht, aber alle Bemühungen waren umsonst. Es war auf einmal so still im SGC. Ich konnte es kaum ertragen.“

Ich lege ihm meine Hand an die Wange. „Warum?“

Er sieht mich nicht an und meint nach einer Weile: „Weil du mir sehr viel bedeutest.“

   „Wie viel?“

   „Sehr, sehr viel. Ohne dich hat mein Leben keinen Sinn mehr.“

Tränen schießen in meine Augen und ich lehne mich mit einiger Anstrengung zu ihm und küsse ihn sanft auf den Mund.

   „Und dafür danke ich dir.“

Er lächelt sanft und küsst mich zurück. Weder Regeln noch irgendwelche anderen Probleme spielen eine Rolle.

   „Als ich E’ilia war, fühlte ich sehr viel für dich, aber das tat ich hier für jeden. Ich konnte Gefühle nicht richtig einordnen und das kann ich auch jetzt noch nicht, aber bei einem bin ich mir ganz sicher.“

   „Wobei?“

   „Dass ich dich liebe.“

Er umarmt mich und ich werde müde. Schließlich schlafe ich fast ein und er legt mich sanft zurück auf das Bett. Ich bin glücklich.

 

 

            (8)

 

Ich stehe in meinem Quartier und schaue mich um. Bis ich ein neues Apartment gefunden habe, wohne ich im SGC. Ich möchte mir nicht noch einmal ein Haus kaufen. Was soll ich mit so viel Möbeln und Raum? Eines hat mir die vergangene Zeit beigebracht: Alles Lebensnotwendige ist in meinem Herzen und Zusätzliches belastet nur.

Ich verlasse meine Unterkunft und gehe zum Stargate. Mein Dad und Martouf stehen bereits abreisefertig davor.

   „Ich werde dich vermissen, Dad.“

   „Ich dich auch, Kleines.“

   „Und auch dir vielen Dank, Selmak. Auch du hast mir sehr geholfen.“

Mein  Vater senkt den Kopf und seine Augen glühen leicht auf, ein Zeichen dafür, dass sein Symbiont die Kontrolle übernommen hat.

   „Selbstverständlich. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.“

Ich lächle und umarme Selmak. Dann wende ich mich an Martouf und Lantash.

   „Danke.“

Wir umarmen uns fest und bleiben einen Moment so stehen.

   „Wir werden aufpassen, dass dir nie wieder so etwas zustößt.“

Schließlich wird das Wurmloch etabliert und die zwei Tok’ra, die mir so viel bedeuten, treten hindurch. Ich stehe traurig und glücklich zugleich da. Plötzlich höre ich Jacks Stimme.

   „Sam, wir haben etwas für dich.“

 

Vollkommen aufgelöst höre ich dem Schlussakkord der neunten Sinfonie Beethovens zu. Jack sitzt auf meiner rechten Seite, Daniel links von mir und neben ihm Janet. Teal’c hat den Nachbarsitz von Jack. Die letzten Töne erklingen und alle klatschen. Ich bin begeistert.

Schließlich verlassen wir unsere Plätze und stehen noch ein bisschen da und plaudern und trinken Sekt.

   „Ich kann nur immer wieder betonen, wie glücklich ich bin, dass es euch gibt. Woher wusstet ihr…“

   „Schon vergessen – wir haben alles mitgehört, was du Apophis so um die Ohren gehauen hast. Nicht schlecht, meine Liebe!“ meint Janet.

Ich grinse nur leicht und zupfe an meinem Haar. Ich habe es lang gelassen, nur etwas kürzer geschnitten. Ich fühle mich wie ein anderer Mensch, vollkommen neu geboren. Und das sage ich auch.

   „Man sieht es dir an“, sagt Jack mit einem Blick auf mein blaues Kleid und nun muss ich lachen. Ich kneife ihm leicht in die Seite.

   „Irgendwann bekommt ihr das alles wieder. Soviel, wie ihr mir gegeben habt!“

   „Ich glaube, wir sind uns einig, dass du das nicht brauchst“, sagt Daniel. „Du hast uns schon immer viel gegeben. Du schuldest uns gar nichts.“

Ich seufze leicht. Am liebsten würde ich jeden vor Freude erdrücken, aber ich begnüge mich damit, meinen Arm um Jacks Taille zu legen und den anderen ein Lächeln zu schenken.

   „Übrigens… Gibt es hier auch etwas zum Essen? Ich habe furchtbaren Hunger…“

Janet grinst mich breit an. „Womit das wohl zu tun hat?“

Ich sehe sie verständnislos an.

   „Liebe geht bekanntlich durch den Magen.“

Oh, wie das stimmt, wie das stimmt!

   „Eines hat mir das ganze Problem mit Apophis doch gegeben. Es hat mir gezeigt, dass ihr meine Familie seid. Und darauf bin ich stolz.“

Glücklich bin ich, und wie! Ich könnte das Universum umarmen.

Sicherlich werde ich noch Probleme haben – die Alpträume, die mich immer wieder ängstigen, die Irritiertheit bei einer Erinnerung. Ein Teil von mir wird für immer E’ilia bleiben. Aber wozu gibt es eine Familie?

Ich bin glücklich.


ENDE
By Meri-es-anch, 2002
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