Und mein ist die Rache by Nyada
Summary: 2 Jahre sind seit Detective Teyla Emmagans turbulentem Ausflug in die New Yorker Kunstszene vergangen. Glücklich verheiratet und auf der aufsteigenden Berufsleiter könnte es für sie und ihren Partner, Detective Evan Lorne, nicht besser laufen, doch ein unglücklicher Umstand schwört die Geister der Vergangenheit herauf. Plötzlich scheint nicht nur Teylas Ehe auf dem Spiel zu stehen sondern sie sieht sich auch noch mit einer Person aus ihrer Vergangenheit konfrontiert, die nur auf eins aus ist: Rache!
Categories: Stargate SG-1, Stargate Atlantis, Stargate Universe Characters: Evan Lorne, John Sheppard, Michael, Teyla Emmagan
Genre: Alternativ Universum, Drama, Romance, Torture / Gewalt
Challenges: Keine
Series: Keine
Chapters: 5 Completed: Nein Word count: 28429 Read: 37144 Published: 21.06.11 Updated: 12.08.11
Story Notes:
Es handelt sich hierbei um ein ‚vollständiges AU’, weshalb es außer den Figuren keine weiteren Anspielungen auf die Storylines der jeweiligen Serien geben wird. Dies ist die direkte FS zu Corpus Delicti oder Der verflixte Fall des John Sheppard

1. Der alltägliche Wahnsinn by Nyada

2. Wolf im Schafspelz by Nyada

3. Schuld by Nyada

4. Sühne by Nyada

5. Während du schliefst by Nyada

Der alltägliche Wahnsinn by Nyada
Author's Notes:
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And you're singing the songs
Thinking this is the life
And you wake up in the morning
And your head feels twice the size
Where you gonna go?
Where you gonna go?
Where you gonna sleep tonight?
And you're singing the songs
Thinking this is the life

Amy MacDonald – This Is The Life


Dr. Janet Fraiser war eine zierliche Frau Ende Dreißig mit freundlichen braunen Augen und einem netten Lächeln. Ihre hellbraunen, von dunkleren Strähnen durchzogenen Haare trug sie modisch kinnlang als einen Bob. Sie war recht klein und im direkten Vergleich zu dem wuchtigen Schreibtisch, der eigentlich für das sowieso schon ziemlich kleine Behandlungszimmer eindeutig zu groß war und so gar nicht in das sterile Bild einer Arztpraxis passte, wirkte Dr. Fraisier geradezu winzig. Wenn sie sich setzte, drohte das dunkle Holz sie fast zu verschlingen und als Patient hatte man stets das Bedürfnis, sie aus den Klauen dieses Monsters aus Eichenholz befreien zu wollen.

Janet (sie bestand jedes Mal darauf, dass man sie Janet nannte) hatte ein ausgesprochen fröhliches Lächeln und sie begrüßte jeden ihrer Patienten per Handschlag, ohne jegliche, meist sowieso unnötige, Floskel. Sie lacht gern und oft, weshalb sich schon erste feine Lachfältchen um ihren Mund und ihre Augen bildeten, die Janet aber keinesfalls zu stören schienen; sie trug ihre Falten mit Würde.
Mit ihrer offenen Art, ihrem wahren Interesse an ihren Patienten und ihrer Kompetenz zog sie jeden auf ihre Seite und gab es doch einmal Kritik von einem, der neidisch auf sie war, zeigte sie diesem Jemand die kalte Schulter und machte sich nicht unnötig verrückt. Janet hatte schon sehr früh gelernt, dass man es nicht jedem recht machen konnte und dass das auch gar nicht notwendig war, um erfolgreich im Leben zu sein. Vielleicht war es ja genau diese Einstellung, die sie so beliebt machte.

In ihrer nun mehrjährigen Laufbahn als Ärztin war es noch nie vorgekommen, dass Janet uninformiert in ein Behandlungszimmer gekommen war. Sie hasste es schon seit frühster Kindheit über etwas nicht Bescheid zu wissen, weshalb sie sich vor jeder Sprechstunde schlau machte. Sie wollte nicht unwissend vor ihren Patienten sitzen und manchmal half ihr ein gewisses Vorwissen, das Gespräch in Gang zu bringen oder sich in die Patienten reinzuversetzen.
So wusste sie zum Beispiel, dass Mrs. Mayer Angst vor Spritzen hatte und dass Mrs. O’Connor lieber Tabletten als irgendwelche Säfte nahm. Mrs. Kowalsky spielte an den Wochenenden Golf im Countryclub und Mrs. Flanagan besaß einen Ara namens Sparky. Melinda Weatherly trank gerne Earl Grey.
Natürlich verließen diese Informationen nie das Behandlungszimmer, es sei denn, Janet traf sich mit einigen von ihnen am Wochenende, oder nachmittags zum Tee. Manche ihrer Patientinnen zählten zu ihren besten Freundinnen. Sie alle waren so unterschiedlich, aber schlussendlich kamen sie doch alle nur aus einem Grund zu ihr.

Janet Fraiser überbrückte die Wartezeit dadurch, dass sie das Krankenblatt ihrer momentanen Patientin noch einmal überflog, während diese immer nervöser zu werden schien. Sie schaute auf ihre Armbanduhr und seufzte.

„Machen Sie sich mal keine Sorgen, meine Liebe“, beruhigte Janet ihre Patientin. „Er wird schon noch kommen und wir haben ja auch genug Zeit.“

Teyla Emmagan-Sheppard hatte bereits auf der Untersuchungsliege Platz genommen. Ihre Finger krallten sich in das Schaumstoff der Sitzauflage. „Es tut mir so leid“, sagte sie. „Ich hatte im heute Morgen extra noch gesagt, dass wir heute um achtzehn Uhr den Termin haben. Ich kann ihn ja noch einmal versuchen anzurufen.“

„Stecken Sie das Handy weg“, befahl Janet, als Teyla in ihrer Handtasche nach ihrem Handy zu kramen begann. „Ich bin mir sicher, dass er schon auf dem Weg ist. Sie haben ihn dreimal angerufen, da wird er sich wohl denken können, dass es wichtig ist.“

„Ich kann nicht glauben, dass er ausgerechnet heute zu spät kommt“, seufzte Teyla. „Er ist doch sonst immer so pünktlich.“

„Es ist bestimmt nur eine Kleinigkeit dazwischen gekommen“, meinte Janet und legte das Krankenblatt beiseite. „Glauben Sie mir, Teyla, ich arbeite schon lange genug in diesem Beruf, um zu wissen, dass die wenigsten werdenden Väter die erste Ultraschalluntersuchung verpassen wollen. Ich kenne Ihren Mann zwar noch nicht, aber ich bin mir sicher, dass er ebenfalls schon auf dem Weg hierher ist.“

„Ich hoffe es“, erwiderte Teyla, erneut seufzte sie dabei. Ein scheues Lächeln verformte auf einmal ihre Lippen. „Es…es ist unser erstes Baby.“

Janet erwiderte das Lächeln. „Na, dann wird er sich hoffentlich doppelt anstrengen heute hier bei Ihnen zu sein. Die erste Untersuchung ist immer ein ganz besonderes Erlebnis für ein Paa-“

Die sich ruckartig öffnende Tür unterbrach Janet mitten im Satz. Ein dunkler, sehr wild aussehender Haarschopf lugte vorsichtig durch den kleinen Spalt, dann wurde die Tür weit aufgerissen und ein ziemlich außer Atem scheinender junger Mann stürmte mit einem hektischen Hallosorryfürdieverspätung in den Raum.

„Mr. Sheppard, nehme ich an?“ Janet lächelte den jungen Mann mit der verwegenen Frisur gütig an. Bei näherem Hinsehen wurde ihr klar, woher sie den Namen kannte. Das war John Sheppard, der Sohn des tragischerweise verstorbenen Industriemoguls Patrick Sheppard und seiner Frau Nora. Sie kannte ihn aus Zeitungsberichten, wusste, dass er nach dem Tod seines Vaters unter anderem dessen Investmentfirma übernommen hatte und ein anerkannter Kunstliebhaber, Architekt und nebenbei noch ein beliebter Gast auf Charityveranstaltungen war.
Seine Frau, eine New Yorker Polizistin, hatte er vor zwei Jahren kennengelernt. Vor einem Jahr hatten sie sich während einer kleinen Zeremonie auf einer kleinen Insel im Pazifik, die den Sheppards gehörte, das Jawort gegeben; nur die engsten Vertraute und die Familie waren anwesend gewesen. Die Presse hatte von der klammheimlichen Hochzeit des Paares erst einen Monat später erfahren.

„Tey, es tut mir so leid.“ John Sheppard nahm seine Frau in die Arme und drückte ihr ein paar schnelle Küsse auf den Mund. „Es gab noch ein kurzfristiges Problem mit einem Geschäftspartner aus Hongkong und ich konnte einfach nicht eher weg. Es tut mir so leid, Babe.“

„Schon okay, jetzt bist du ja da“, entgegnete ihm seine Frau.

„Musstest du lange auf mich warten?“, fragte er sie, nahm ihre Hand und drückte sie. „Ich hab’ mich wirklich beeilt. Ich-“

„Sie sind jetzt da“, fiel Janet dem jungen Mann ins Wort, der kurz vor einem nervlichen Zusammenbruch zu stehen schien. „Das ist gut, denn das bedeutet, dass wir jetzt anfangen können. Ich nehme doch richtig an, dass wir hier alle uns Ihr Baby anschauen wollen, anstatt uns große Reden anzuhören, nicht wahr?“

Lächelnd wandte sie sich an Teyla, deren Blick zu entnehmen war, dass sie einfach nur froh war, dass ihr Partner endlich bei ihr war. „Wenn Sie dann bereit sind…“

„O ja, natürlich.“ Teyla hievte ihre Beine über die Kante und lehnte sich dann gegen das aufgestellte Kopfteil der Untersuchungsliege. Sie atmete einmal tief ein und wieder aus, ehe sie ihre rehbraunen Augen auf Janet richtete. „Okay, ich…ich bin soweit.“ Ihr Blick, mit dem sie ihre Ärztin fokussiert hatte, fiel auf ihren Mann, der sich einen Stuhl herangezogen hatte und nun neben ihr saß, ihre Hand haltend.

„Sehr schön.“ Janet klatschte die Hände ineinander und positionierte den Bildschirm des Ultraschallgerätes so, dass alle eine gute Sicht auf ihn hatten. Die Sonde zur Hand nehmend, sah sie das wartende Paar an. „Nervös?“, erkundigte sie sich freundlich.

„Und wie“, kam es prompt aus Johns Mund.

Seine Frau nickte zustimmend. „Ich…ich möchte es jetzt einfach nur sehen.“

„Es gibt keinen Grund nervös zu sein“, erklärte Janet, das T-Shirt ihrer Patientin hochschiebend. „Es könnte jetzt gleich ein bisschen kalt werden“, gab sie Bescheid, bevor sie das durchsichtige Gel auf Teylas Bauch verteilte. Ihre Patientin zuckte wie erwartet zusammen und rutschte auf der Liege etwas höher, als ob sie dem Kältegefühl ausweichen wollte. Sie kniff die Lippen zusammen und musste sich sichtlich bemühen nicht nach Luft zu schnappen.
Janet lächelte mitfühlend und beruhigte Teyla, als sie deren nervöses, unsicheres Gesicht bemerkte. „Keine Sorge, dass ist bei jeder ersten Untersuchung so. Beim nächsten Mal werden Sie sich schon daran gewöhnt haben.“
„Gut“, war alles, was Teyla erwiderte. Sie lehnte sich vor, als Janet den Schallkopf ansetzte und ihn über ihren bereits leicht gerundeten Bauch zu führen begann. Gebannt starrte sie auf den Monitor, auf dem noch nicht viel zu sehen war, außer eine grobkörnige, rieselnde Aufnahme ihrer Bauchhöhle.

Janet führte den Schallkopf etwas tiefer, bis knapp oberhalb des Schambeins, als sich das Bild abrupt veränderte und mehr Konturen bekam. „Aha“, rief sie aus. „Sehen Sie mal dort.“

„Was ist?“, wollte John wissen und reckte seinen Hals, machte damit klar, dass er absolut nichts sah. „Was sehen Sie?“

„Moment“, bat Janet, „ich gehe mal näher heran.“ Sie drehte an einem Knöpfchen am Monitor und das Bild zoomte näher heran… an einen kleinen, hellen Schatten, in dessen Inneren es pulsierte.

„Ist…ist das etwa…“ Teyla hob die Hand und berührte sanft den Bildschirm mit den Fingerspitzen genau an der Stelle des pochenden Herzens.

„Ja, das Ihr Baby“, bestätigte Janet der werdenden Mutter, die zu Tränen gerührt dem kleinen Herzen ihres Ungeborenen beim Schlagen zusah und dabei die Hand ihres Mannes drückte, der bis über beide Ohren grinste.

„Das ist das Baby?“, fragte er, sich leicht über seine liegende Frau lehnend, um besser sehen zu können. „Dieses kleine…Etwas da? Wow!“

Janet nickte. „Ja, es ist unglaublich, nicht wahr? Ich schätze jetzt einfach mal, dass Sie in der neunten bis zehnten Woche sind, Teyla. Das „Kleine“ ist etwa 2 Zentimeter lang, würde ich sagen.“
„Ist denn alles in Ordnung?“, wollte Teyla wissen, ohne den Blick vom Monitor zu lösen.

„Das Herzchen schlägt kräftig“, antwortete Janet, mit dem Schallkopf herumschwenkend, „ und ich kann nichts Ungewöhnliches ent-“

Die Ärztin stutzte kurz, bevor sie jedoch zu lächeln begann. „Na, sieh mal einer an“, schmunzelte sie. „Das hätte ich jetzt nicht erwartet.“

„Was ist denn los?“ Das plötzliche Verstummen ihrer Ärztin verunsicherte Teyla und sie rutschte abermals etwas höher, warf ihrem Mann einen ängstlichen Blick zu.

John schenkte ihr ein nervöses Lächeln, drückte ihre Hand, wandte sich dann an Janet. „Stimmt irgendetwas nicht, Doc? Fehlt dem Baby irgendetwas?“

„Nein, nein, es ist alles in bester Ordnung mit Ihrem Baby“, beeilte sie sich zu sagen, bevor das Paar noch nervöser wurde. Sie schwenkte mit dem Schallkopf leicht nach links. „Es ist nur, dass ich hier zwei Herzschläge sehen kann.“

„Was!?“, erschrak John. „Zwei?“, echote er, sich mit der freien Hand durch seine dunklen, wirren Haare streichend. „Sie meinen…“

„Zwei Babys?“, meldete sich nun auch Teyla ungläubig und mit leiser Piepsstimme zu Wort, blickte zwischen ihrer Ärztin und dem Monitor hin und her. „Zwei?“, wiederholte sie, nun fast schon flüsternd.

Janet nickte. „Sie erwarten Zwillinge, meine Liebe“, bestätigte sie und zoomte abermals näher an die zwei kleinen Schatten heran, deutete erst auf das eine, dann auf das andere. „Sehen Sie, hier ist das erste Baby und dort… dort ist das Zweite. Es sind zwei Babys.“

„O mein Gott.“ Der frischgebackene, werdende Zwillingsvater machte auf einmal einen etwas schwächelnden Eindruck, ließ sich gegen die Lehne des Stuhls, auf dem er saß, sinken und fuhr wieder durch seine Haare. „Zwillinge? Sind Sie sicher? Ich meine, könnten Sie sich nicht…“

„Ob ich mich irren kann?“, beendete Janet seinen Satz. „Natürlich kann ich das, aber hier ist das nicht der Fall. Es ist wirklich eindeutig: Ihre Frau erwartet Zwillinge, John.“

„O mein Gott“, keuchte er wieder und sank noch weiter in seinem Stuhl zusammen.

„Aber…aber wie ist das möglich?“ Teyla starrte fassungslos auf die zwei Punkte, die die Ärztin für sie sichtbar markiert hatte. „In meiner Familie gab es noch nie Zwillinge.“

„Dann aber in der Familie Ihres Mannes“, schlussfolgerte Janet, woraufhin beide Frauen ihre Blicke auf John richteten.

„Was denn?“, entfuhr es diesem. „Ich bin genauso geschockt wie alle anderen hier in diesem Raum!“

„John“, sagte Janet mit sanfter Stimme, „kommen in Ihrer Familie häufiger Zwillinge vor?“

„Meine Mutter hat einmal Zwillinge erwartet“, war die Antwort des jungen Mannes. „Sie…sie hat sie aber in der achten Woche verloren.“

„Na dann ist diese Frage hoffentlich auch geklärt.“ Janet reichte Teyla ein Papiertuch, mit dem sie sich den Bauch reinigen konnte. „Ich werde Ihnen jetzt erst einmal ein Bildchen von Ihren Babys ausdrucken lassen, ja?“

„Ich…ja, natürlich, ja“, antwortete Teyla. „Das wäre nett.“ Unsicher fiel ihr Blick wieder auf den flackernden Bildschirm. „Ist denn sonst alles in Ordnung mit… den Babys?“

„Den Babys scheint es gut zu gehen“, versicherte Janet ihr, ließ den Schallkopf wieder in die dafür vorgesehene Verankerung gleiten und schaltete den Monitor aus. „Dass Sie zwei Babys erwarten, macht die Sache allerdings etwas komplizierter.“

„Inwiefern ‚komplizierter’?“, wollte John wissen, der sich wieder gefangen zu haben schien.

„Zwillingsschwangerschaften sind von der Natur eigentlich nicht vorgesehen und daher entstehen mehr Risiken als bei nur einem Baby“, erklärte Janet ihm. „Ich lege Ihnen also wirklich ans Herz, Teyla, ab sofort sehr vorsichtig zu sein, denn Sie befinden sich noch in einer kritischen Phase, in der es leider schnell zu einer Fehlgeburt kommen kann.“

„Ich arbeite bei der Polizei“, gab Teyla zu Bedenken. „Heißt das, ich muss jetzt sofort aufhören zu arbeiten?“

„Solange Sie keine Verbrecher durch die Straßen jagen oder in ein Feuergefecht geraten, sehe ich keine Probleme“, antwortete Janet. „Ich an Ihrer Stelle würde es mir allerdings noch einmal überlegen, weiterzuarbeiten. Zumindest in den nächsten vier kritischen Wochen. Denken Sie an Ihr Wohl und an das Ihrer Babys.“

„Gibt es sonst noch irgendetwas, auf das wir achten sollten?“, erkundigte sich John weiter, seiner Frau aufhelfend.

„Meine Assistentin, Cassandra, wird Ihnen an der Anmeldung ein paar Unterlagen aushändigen, die extra für werdende Zwillingseltern angefertigt wurden“, sagte Janet. „Falls Sie dennoch Fragen haben sollten, kommen Sie einfach vorbei.“

In diesem Moment begann der Drucker damit Pieps- und Pfeiftöne von sich zu geben und spuckte ein paar Sekunden später ein grau-schwarz-weißes Ultraschallbild aus, das Janet den werdenden Eltern in die Hand drückte.

oooOOOooo

Zur selben Zeit


„Laura, Schatz, beeil dich! Wir müssen in zwanzig Minuten da sein!“, rief Evan Lorne durch den Flur und hoffte, dass seine Frau ihn gehört hatte.
Nervös sah er auf die Uhr, die über der Tür zum Wohnzimmer hing. Sie hätten schon vor einer viertel Stunde losfahren müssen, nun würden sie ganz sicher in die Rushhour geraten

Um diese Uhrzeit war auf den Straßen New York buchstäblich die Hölle los und man konnte von Glück sprechen, wenn man es unter solchen Bedingungen innerhalb von einer halben Stunde von Manhattan nach Queens schaffte.

„Laura!“ Evans Tonlage hob sich. Ja, er klang schon fast etwas ärgerlich.

„Immer mit der Ruhe, Bruderherz“, redete sein Bruder Dylan auf ihn ein, der zusammen mit seiner Freundin Amanda auf dem Sofa saß und irgendeine spanische Seifenoper schaute.

„Frauen brauchen nun mal ihre Zeit“, pflichtete Amanda, die von allen nur Mandy genannt wurde, Dylan bei.

„Wir hätten schon vor einer halben Stunde weg sein können“, schimpfte Evan kopfschüttelnd und begann nun nervös auf und ab zu marschieren. „Und glaub’ bloß nicht, dass ich nicht weiß, wie lange meine Frau im Bad braucht. Nur das hier ist nicht mehr normal! Sie ist seit zwei Stunden da drin!“

Seine Schwägerin in spe lächelte still in sich hinein. „Sie ist schwanger, Evan. Da dauert nun mal alles ein bisschen länger.“

„Ach nein, wirklich?“, blaffte Evan Mandy an. Er hatte jetzt wahrlich keine Zeit für gutgemeinte Ratschläge. Um sieben waren sie alle vier zum Essen bei seinen und Dylans Eltern eingeladen, und wenn sie nicht in den nächsten fünf Minuten losfahren würden, dann…
Evan wollte es sich gar nicht vorstellen. Ein rascher Blick auf die Uhr ernüchterte ihn genauso schnell wie der Gedanke, dass seine Mutter vor lauter Sorge die Polizei anrufen würde.

„Großer Gott, Laura!“, stöhnte er und verfrachtete die Autoschlüssel, mit denen er in den letzten Minuten nervös herumgespielt hatte, auf den Tresen und eilte den Hausflur entlang, Richtung Schlafzimmer.

Ihn traf fast der Schlag und er glaubte es seinem Onkel Stan gleich zu tun und einen Herzinfarkt zu bekommen, als er seine Frau wimmernd und schluchzend auf der Bettkante sitzend fand. Sie trug ihren Morgenmantel und außer ihrem Makeup und ihrer Frisur deutete nichts darauf hin, dass die heute noch vor hatte das Haus zu verlassen.

„Was soll denn das, Laura?“ Kopfschüttelnd stand Evan in der Tür und sah Laura an, die wie ein Häufchen Elend auf dem Bett saß. „Weißt du eigentlich, wie spät es ist? Wir müssen in einer halben Stunde bei meinen Eltern sein! Wo ist dein Kleid?“

„Ich werde nicht mitkommen“, schnarrte Laura plötzlich gereizt, weswegen sich Evans Frage aber nicht erübrigte. Vielmehr machte ihn ein erneuter Blick auf die Uhr ärgerlich.

„Ach, hör auf mit dem Schwachsinn, Schatz.“

„Ich meine das ernst, Evan“, sagte Laura. „Du wirst da allein hinfahren. Ich komme nicht mit, ich bleibe hier.“

Evan seufzte. „Ich hab dir schon mal gesagt, dass meine Mutter wegen Weihnachten nicht mehr sauer ist. Sie hat sich sogar bei dir entschuldigt“, erinnerte er sie. „Nun mach nicht so einen Aufstand und zieh dich an. Wir müssen los!“

„ Das ist es ja gerade“, jammerte Laura plötzlich los und dicke Tränen kullerten über ihre Wangen…
… und Evan wusste sofort, woher der Wind wehte. „ Oh“, machte er, schloss kurz die Augen, um seine Fassung wieder zu finden und schlenderte dann zu ihr herüber. Den Arm um sie legend, setzte er sich neben sie. „ Hey, du wirst umwerfend aussehen, okay?“

„Das sagst du jetzt doch nur so“, schniefte Laura. Alle werden gut aussehen, außer mir. Ich… ich bin einfach nur…“ Seufzend strich sie sich über den Bauch, in dem seit sechs Monaten ihr Kind friedlich heranwuchs.
„… wunderschön“, unterbrach Evan sie. „ Du siehst umwerfend aus, Laura, aber damit die anderen das auch sehen, musst du jetzt dieses Kleid anziehen.“

Seine Frau zog einen Flunsch.

„Guck mich gefälligst nicht so an“, seufzte Evan. „Glaub mir einfach- heute Abend wird niemand schöner aussehen als du.“

„Wirklich?“ Lauras grünbraune Augen begannen zu funkeln.

„Wirklich“, versicherte er ihr und küsste sie auf die Wange. „Aber jetzt komm, zieh dich bitte an, sonst kommen wir noch zu spät. Ich will Mom und Dad nicht so lange warten lassen. Du weißt, dass meine Mutter es nicht ausstehen kann, wenn wir zu spät kommen.“ Er reichte ihr seine Hand und half ihr auf.
„Wird sie wieder die Polizei anrufen?“, kicherte Laura.

Evan zuckte mit den Schultern. „Wer weiß“, antwortete er. „Ich will es dieses Mal nicht darauf ankommen lassen, also…“

Er hätte weitergeredet, doch das fast schon etwas… dämliche Grinsen, das plötzlich auf dem Gesicht seiner Frau auftauchte, hinderte ihn daran. „Laura?“, fragte er vorsichtig. In den letzten sechs Monaten hatte er gelernt, die Gesichtsausdrücke seiner Frau zu deuten, doch dieser Ausdruck war ihm fremd, machte ihm Angst.

Laura grinste noch immer. „Gib mir mal deine Hand“, forderte sie ihn auf.

„Was?“ Evan trat einen Schritt näher an sie heran.

„Los, gib mir deine Hand, Evan“, verlangte sie ein zweites Mal, griff kurz entschlossen einfach nach seiner Hand und platzierte sie auf ihrem Bauch. „Spürst du das?“

„O wow“, schmunzelte Evan, als er merkte, wie sich das Baby unter seiner Hand bewegte und herumstrampelte. „Da ist ja jemand aufgewacht.“

„Es war den ganzen Nachmittag ruhig“, sagte Laura und musste wieder lachen, als das Baby sich drehte und seinen kleinen Fuß gegen ihre Bauchdecke rammte.

„Großer Gott!“ Evan ließ seine Hand über ihren Bauch gleiten. „Was macht es da?“

„Ich weiß es nicht“, antwortete seine Frau ihm. „ Fühlt sich an, als ob es tanzt, nicht wahr?“ Sie drückte seine Hand leicht auf die Stelle, wo sie die dünnen Beinchen des Babys vermutete. „ Na los, strampel noch ein bisschen für deinen Dad, Kleines“, lockte sie ihr Baby.

Genau in diesem Moment steckte Dylan seinen braunen Lockenkopf durch den Türspalt und grinste frech, als er Evans Handflächen an Lauras Bauch bemerkte. „Hey, Dad, hast du schon mal wieder auf die Uhr gesehen? Ich bin mir sicher, dass Mom schon den Heimatschutz informiert hat und das FBI nach uns fahnden lässt.“
Evan warf seinem jüngeren Bruder einen finsteren Blick zu. „Wir kommen gleich“, sagte er. „Du und Mandy könntet ja schon mal den Wagen vorfahren und nicht untätig herumsitzen und euch irgendwelchen Mist anschauen, den ihr sowieso nicht versteht.“
„Mein Spanisch hat sich in den letzten Monaten sehr verbessert“, entgegnete Dylan trotzig. „Aber wenn du meinst…“
Er zuckte mit den Schultern und trottete davon.

„Du willst das Teil doch nicht etwa mitnehmen, oder?“, fragte Laura etwas später, als Evan zu seinem Nachttisch schlenderte, seinen Notfallpager aus der Schublade holte und in seiner Hosentasche verschwinden ließ.

„Laura, du weißt, dass ich „das Teil“ immer dabeihaben muss“, antwortete er ihr. „Falls irgendetwas passiert muss ich stets erreichbar sein.“

„Manche Leute besitzen für so etwas ein Gerät, das sich ‚Mobiltelefon’ oder ‚Handy’ nennt“, triezte Laura ihn. Sie stieg in ihr fliederfarbenes Kleid und drehte sich um, damit ihr Mann den Reißverschluss schließen konnte.

„Der Pager ist vom Departement“, erklärte Evan schwach.

Laura seufzte und drehte sich zu ihm um. „Mir sagst du, ich soll mich beeilen, damit wir nicht zu spät zum Essen mit deinen Eltern kommen, aber du darfst deine Arbeit überall mit hin nehmen? Ich meine, du hattest das Teil sogar in unseren Flitterwochen dabei!“

„Es hätte etwas passieren können“, sagte Evan schnell… und ihm wurde erst bewusst, dass es nicht so toll und professionell geklungen hatte, wie er vorgehabt hatte.

„In unseren Flitterwochen“, wiederholte Laura ernst. „Kannst du das Ding wenigstens nicht heute Abend zuhause lassen? Nur heute Abend, ja?“

Evan schüttelte mit dem Kopf. „Du weißt, wie ungern ich dir einen Wunsch ausschlage, aber ich kann nicht, Laura. Ich muss das Ding dabeihaben. Mein Chef geht mir sonst an den Kragen, wenn nicht.“

Laura gab sich schlussendlich doch geschlagen. Beim Verlassen des Zimmers, schnappte sie sich noch eine dünne Jacke, die für das Frühlingswetter zwar viel zu kalt, aber für ihren momentanen hormonellen Zustand genau richtig war.

„Dann nimm das Teil mit“, sagte sie, klang aber nicht glücklich dabei.

„Und da heißt es, Frauen seien die Höhere Gewalt des Mannes“, meldete sich Dylan zu Wort, der scheinbar alles genaustens mitbekommen hatte.

„Noch so ein Spruch und du darfst den Web bis zu Mom und Dad dem Wagen hinterher laufen“, warnte Evan und boxte seinem Bruder spielerisch gegen die Schulter.

„Ich bin mir nicht sicher, ob Polizisten so etwas tun dürfen“, hinterfragte Dylan grinsend.

„Wir dürfen alles“, erwiderte Evan. „Und glaub mir, seinen kleinen Bruder hinterm Auto herlaufen zu lassen, ist noch das Harmloseste, Freundchen.“

„Jungs“, riefen Laura und Mandy simultan aus dem Flur.

„Wir kommen ja schon“, gab Dylan Bescheid und wich einem Faustschlag seines älteren Bruders leichtfüßig aus. „Du wirst alt, Bruderherz“, triezte er ihn… und war verschwunden.

Sich überlegend, was es wohl tatsächlich für Konsequenzen haben würde, seinen kleinen Bruder hinter dem Auto herlaufen zu lassen, machte sich Evan daran den Dreien zu folgen. Ein letztes Mal kontrollierte er vor dem Verlassen der Wohnung seinen Pager, vergewisserte sich, dass er auch wirklich eingeschaltet war. Als Polizist musste man schließlich immer erreichbar sein, denn: Das Verbrechen schlief nie!

oooOOOooo


„Zwillinge!?“ Elizabeths ziemlich überrascht klingender Ausruf dröhnte so laut in Teylas Ohren, dass sie den Telefonhörer etwas weiter weg halten musste. „O mein Gott, das ist ja… Zwei Babys? Seid ihr euch sicher?“

„Wenn nicht wir, dann ist es die Ärztin“, erwiderte Teyla seufzend. Sie saß auf ihrem Bett, lehnte seit nunmehr einer halben Stunde gegen das harte Kopfteil, wofür ihr ihr Rücken nicht gerade dankbar zu sein schien. Ihre Position etwas verändernd, gestand sie Elizabeth, mit der sie nun schon fast eine halbe Stunde telefonierte: „Ich habe es noch gar nicht richtig realisiert.“

„Was gibt es denn daran nicht zu realisieren?“, fragte Elizabeth, klang dabei aber trotzdem mitfühlend. Im Hintergrund hörte man Mike Branton, ihren Lebensgefährten, durch die Küche wirbeln.

Teyla machte eine verzweifelte Handbewegung, die ihre Freundin und Kollegin natürlich nicht sehen konnte. „Es…es kommt nur so überraschend.“

„Was sagt John dazu?“

„Bis jetzt noch nicht viel“, antwortete Teyla; diese ehrliche Antwort versetzte ihr einen Hieb in die Magengegend. Erst durch Elizabeths Frage wurde ihr bewusst, dass John und sie, seit sie von Dr. Fraiser zurückgekommen waren, kaum miteinander über „die Sache“ gesprochen hatten. Demnach wusste sie nicht, wie er über die Zwillinge dachte.

„Gib ihm noch etwas Zeit“, riet Elizabeth ihr. „Für Männer ist es schon aufregend genug, zu erfahren, dass sie Vater werden. Aber wenn es dann auch noch zwei Babys werden…“ Sie seufzte und meinte dann wieder: „Du musst ihm Zeit geben, Teyla.“

„Ich wünschte nur, dass ich erkennen kann, wann der richtige Zeitpunkt ist, um mit ihm darüber zu sprechen.“

„Er wird zu dir kommen“, sagte Elizabeth. „Das ist immer so. Männer kommen von ganz allein zu einem, wenn es ihnen wichtig ist. Und so, wie John sich gefreut hat, bin ich sicher, dass es nicht lange dauern wird.“

„Wenn du meinst.“

Vor einer Woche hatte sie herausgefunden, dass sie schwanger war- mit Elizabeths tatkräftiger Unterstützung, die daraus bestanden hatte, dass ihre Freundin ihr einen Test nach dem anderen unter der Toilettentür hindurchgeschoben hatte. Dass sie ausgerechnet auf einer Polizeitoilette herausgefunden hatte, dass sie ein Kind erwartete, behagte Teyla immer noch etwas, zumal es sich noch nicht einmal um die Angestelltentoilette sondern um die für die Öffentlichkeit gehandelt hatte.

Es war am Nachmittag gewesen. Sie hatte auf dem Toilettendeckel gesessen und versucht, Elizabeths ständiges Nachfragen zu ignorieren. . Den gerade einmal zehn Zentimeter Plastikstreifen hatte sie dabei fest umklammert, besorgt, dass er ihr runter fallen könnte und sich so das Ergebnis verfälschen würde. Sie konnte sich das Ergebnis zwar schon denken, aber trotzdem sollte man das Glück bekanntlich nicht herausfordern.
Das Ergebnis präsentierte sich ihr in Form zweier prachtvoller rosafarbener Streifen, die genau das verkündeten, was sie befürchtet hatte, und bestätigten, was die drei vorherigen Tests ihr auch schon deutlich gemacht hatten. Sie war schwanger!

Teyla konnte sich noch genau an Johns Gesicht erinnern, als sie ihm „offenbart“ hatte, dass sie schwanger war. Leicht geschockt, mit zuckenden Mundwinkeln, die sich nach ein paar Sekunden anhoben und seinen Mund zu einem Lächeln verzogen. Dieser Ausdruck war unbezahlbar!

Wenn John nachdachte, grübelte oder überlegte, konnte man ihm das ansehen. Er zog dann immer angestrengt die Augenbrauen zusammen und runzelte die Stirn. So auch, als sie sich seine Hand geschnappt, sie auf ihren Bauch gelegt und mit ihrer eigenen Hand zugedeckt hatte. Sie hatte ihm dabei direkt ins Gesicht geblickt und konnte schließlich sehen, wie er nach und nach den Sinn ihrer Worte realisierte. Sein Mund tat sich auf und formte sich zu einem ‚O’, als er begriff. „Heißt das, du bist…“

Teyla hatte genickt.

„Willst du damit sagen… du und ich… wir beide...wir zwei-“ John brach ab, deutete mit dem Finger erst auf sich selbst, dann auf sie und schließlich wieder auf sich.

Teyla nickte erneut, dieses Mal heftiger und mit einem Lächeln auf den Lippen. „Wir bekommen ein Baby“, sprach sie das aus, wozu er nicht in der Lage war.

„Ein… ein Baby?“,wiederholte John. „Wirklich? Du bist…schwanger?“

„Ja“, bestätigte sie ihm lachend, hatte dann ihre Hand an seine Wange gehoben und ihm tief in die funkelnden, grünen Augen gesehen. „Du wirst Vater, John.“

„Wirklich?“, fragte er noch einmal. „Ein Baby?“ Ein breites Grinsen huschte ihm über die Lippen und ein Strahlen legte sich über sein ganzes Gesicht. Teyla konnte sich vorstellen, woran er dachte, als er zärtlich die Hände um ihr Gesicht gelegt hatte und so nah an sie herangetreten war, dass ihre Nasenspitzen einander berührten.

„Freust du dich?“, wollte sie von ihm wissen.

„Ob ich mich freue?“ John lachte auf. „Wie kannst du mir nur so eine Frage stellen? Natürlich freue ich mich! Ich freu mich wahnsinnig. Ich…“ Erneut brach er mitten im Satz ab, zog sie stattdessen zu sich und küsste sie lang und innig. Als sie sich wieder voneinander lösten, hielt er ihr Gesicht noch immer in den Händen und flüsterte ihr atemlos zu: „Und wie ich mich freue.“

Ob er sich jetzt wohl immer noch freute? Diese Frage wollte Teyla einfach nicht aus dem Kopf gehen. Sie warf einen verstohlenen Blick auf das Ultraschallbild in ihren Händen; Dr. Fraiser hatte die beiden unförmigen Klumpen, aus denen einmal zwei richtige kleine Menschen werden sollten, mit einem bunten Stift markiert.


„Hey, Teyla? Bist du noch dran?“, riss sie Elizabeths Stimme aus ihren Gedanken. „Ist alles okay?“

„Jaja, mir ist nur gerade eben etwas eingefallen“, antwortete Teyla auf die erste Frage, aber was die zweite betraf… War alles okay mit ihr?

„Hör zu, Schätzchen.“ Wieder Elizabeth. „Mike hat das Essen fertig. Können wir morgen weiter darüber reden? Ich meine, du kommst doch wieder zur Arbeit, oder?“

„Natürlich komme ich morgen zur Arbeit.“ Teyla verdrehte die Augen und war ganz froh, dass man sie durch das Telefon nicht sehen konnte. „Ich bin schwanger, Elizabeth, nicht krank.“

„Ich meine ja nur, wegen… wegen den Zwillingen.“ Ihre Freundin klang auf einmal sehr verunsichert, fast, als ob sie sich deswegen schämte. „Solltest du nicht lieber-“

„Ich werde doch wohl am Besten wissen, was gut für mich und… meine Babys ist“, fiel Teyla Elizabeth ins Wort. „Ich werde morgen kommen und dann können wir uns in Ruhe unterhalten, okay?“

„Okay.“ Man konnte Elizabeth förmlich durchs Telefon nicken hören. „Dann bis morgen. Grüß John von mir.“

„Und du Mike von mir“, erwiderte Teyla, ließ noch ein ‚Bis morgen’ folgen und damit war das Telefongespräch beendet.

Teyla rollte herum, um das Telefon wieder auf die Aufladestation zu stecken. Als sie sich wieder zurückdrehte, entdeckte sie plötzlich John, der im Türrahmen stand und sie mit gerunzelter Stirn betrachtete. Er dachte nach, mal wieder.

„Hey“, grüßte sie ihn.

„Hey“, grüßte er zurück. „Ich…ich hab’ Eis geholt, falls du…“ Er brach ab und winkte stattdessen mit einer Packung Ben & Jerry’s: Cookie Dough- ihre Lieblingssorte.

Teyla lächelte und verspürte nun, wo sie die Eispackung in seinen Händen sah, einen unglaublichen Appetit auf die wohlschmeckende Eiscreme. Sie verfluchte noch schnell die Hormone, bevor sie mit der flachen Hand auf seine Hälfte des Bettes klopfte. „ Na dann, her damit. Wir wollen das gute Zeug ja nicht verkommen lassen.“

John blieb noch ein paar Sekunden unschlüssig in der offenen Tür stehen, bevor er sich mit den Ellenbogen abstieß, herüberschlenderte und neben sie aufs Bett kletterte. Wortlos hielt er ihr einen Löffel hin, den sie aber nicht annahm. Es brauchte keinen großen Worte, damit John verstand, was sie von ihm wollte.
Immer noch schweigend legte er den zweiten Löffel beiseite, bohrte den anderen in das cremige Eis hinein und führte den mit eisummantelten Löffel schließlich an ihren Mund.

„Schmeckt’s?“, fragte er etwas lahm, als sich Teyla den Löffel in den Mund schob und ihn fein säuberlich ableckte.

„Empfehlenswert“, antwortete sie nickend. „Solltest du auch mal probieren. Es schmeckt so nach…Cookies.“

„Wirklich?“ Endlich huschte ein Lächeln über Johns Lippen. „Na, wenn du das sagst.“ Er gönnte sich nun ebenfalls einen Löffel voll Eis. „Mhm.“ Er nickte. „Hast recht. Sehr cookielastig.“


Teyla amüsierte sich über seine besondere Art des Humors. Sie ließ sich noch ein paar weitere Mal von ihm füttern- wobei sie beide beharrlich schwiegen-, bevor sie merkte, dass John auf ihren Bauch starrte.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte sie ihn, woraufhin er zusammenzuckte wie ein Kind, dass man beim Süßigkeitenklauen erwischt hatte, und sie mit großen Augen ansah.

„Jaja.“ Er nickte hastig. „Alles okay.“

Teyla seufzte, als ihr klar wurde, dass Elizabeth recht behalten hatte. John war tatsächlich gekommen, um mit ihr über „die Sache“ zu reden, doch jetzt schien ihm irgendwie der Mut anzufangen zu fehlen.

„John.“ Als er sie ansah, hielt sie ihm ihre Hand hin, die er zögerlich ergriff. Sie drehte ihre Hand so, dass sie seine führen und auf ihrem Bauch platzieren konnte. Als sie das tat, durchzuckte es ihn kurz, doch nur wenige Augenblicke später war er wieder ruhig.

„Wie schnell sich alles doch ändern kann“, flüsterte er und blickte ihr dabei direkt in die Augen.

„Ja, in der Tat“, pflichtete sie ihm bei, deckte seine Hand mit ihrer zu, so wie sie es letzte Woche getan hatte. „So schnell.“

„Wir…wir kriegen das hin, oder?“, fragte John, schob ihren Pullover hoch und legte seine Hand auf ihre nackte Haut. „Ein Baby oder zwei- was gibt’s da schon für einen Unterschied, solange ich das mit dir zusammen durchstehen kann?“

Teyla merkte, wie Tränen in ihren Augen zu schwimmen begannen, als ihr Mann seine Lippen an ihren Bauch senkte. „Wir kriegen das hin“, erwiderte sie ihm und fuhr ihm durch die kurzen Haare an seinem Hinterkopf.

„Und wie wir das hinkriegen“, hörte sie John murmeln; er küsste noch immer ihren leichten Bauchansatz. „Wir werden die besten Zwillingseltern der Welt.“ Er stemmte sich mit den Händen auf, schwang ein Bein und ein Arm auf die andere Seite ihres Körpers, sodass er nun über ihr lehnte. Sich zu ihr herabbeugend, legte er seine Lippen auf die ihren und küsste sie kurz und liebevoll.

Teyla schlang die Arme um seinen Nacken und zog ihn erneut zu sich herunter. Kurz bevor sich ihre Lippen wieder berührten, stoppte sie ihn. „Das heißt, wir müssen alles doppelt kaufen“, wisperte sie.

„Seit wann hast du denn ein Problem damit mein Geld auszugeben?“, stichelte John sie.

„Dein Geld?“ Teyla hob die Augenbraue.

Unser Geld“, verbesserte John sich. „Ich korrigiere: Seit wann hast du ein Problem damit unser Geld auszugeben?“

„Habe ich überhaupt nicht“, antwortete Teyla kichernd. „Ich wollte dich nur vorwarnen. Jetzt, wo ich weiß, dass es zwei Babys werden, werde ich mich nicht zurückhalten.“

John seufzte theatralisch auf. „Ich wusste, dass diese ganze Babysache einen Haken hat“, meinte er, packte sie an den Hüften und ließ sich zur Seite wegfallen.

Teyla gab ein überraschtes Quieken von sich, das aber in ein leises Lachen überging, als sie auf ihn kletterte und sich rittlings auf ihn setzte. Ihn unter sich zu haben, gab ihr ein gewisses Gefühl der Macht, weil sie nun mit ihm anstellen konnte, was sie wollte. Und im Moment wollte sie nur eines…


Das Telefon klingelte genau in dem Moment, als sie ihre Finger unter seinen Hosenbund schob und seine Finger damit beschäftigt waren den Verschluss ihres BHs zu öffnen, nachdem er sich ihres Pullovers und sie seines Hemdes entledigt hatte.

„Das darf doch wohl nicht wahr sein“, stöhnte John, der inzwischen schon gewohnt war, dass man sie in solchen Momenten generell immer störte.

„Entschuldige.“ Teyla schenkte ihm einen beschwichtigen Blick und küsste ihn rasch, rollte sich auf die ihre Hälfte des Bettes zurück und griff nach dem klingelnden Telefon; ein kurzer Blick auf die Nummer, die auf dem Bildschirm angezeigt wurde, genügte, um zu wissen, dass es etwas Ernstes sein musste.

„Ja, Evan, was gibt’s?“, meldete sie sich, runzelte noch im selben Moment die Stirn. „Ja, ich bin Zuhause. Warum?“

Aufmerksam lauschte sie den Worten ihres Partners, was sich als eine Herausforderung erwies, denn als Johns Ungeduld siegte, er es irgendwie schaffte, wieder über ihr zu lehnen und an ihrem Ohrläppchen zu knabbern begann, war es mit ihrer ungeteilten Aufmerksamkeit für Evan schlagartig vorbei.
Ein süßer Schmerz, den sie so sonst nur am Ende ihres Liebesspiels gewohnt war, durchfuhr sie und ließ sie aufstöhnen. Ein ungewohntes Kribbeln zog sich durch ihren ganzen Körper und sie ließ fast den Telefonhörer fallen, als John an ihrer wild pulsieren Halsader entlang zu küssen begann.

„Teyla, alles in Ordnung?“, hörte sie Evan plötzlich am anderen Ende fragen, und ihr wurde bewusst, dass sie gerade nicht nur in Gedanken den Namen ihres Mannes immer und immer wieder gesagt hatte, sondern es wirklich getan hatte.

„Alles bestens“, beeilte sie sich zu sagen, während sie gleichzeitig ihren keck grinsenden Mann auf Abstand zu halten versuchte. „Hör auf damit“, warnte sie ihn.

„Was?“

Teyla schüttelte mit dem Kopf, obwohl Evan es nicht sehen konnte. „Nicht du, Evan. Nicht du.“

„Ist John bei dir?“ Man konnte förmlich das Grinsen aus Evans Stimme heraushören.

„Wie kommst du nur auf die Idee?“, entgegnete Teyla halbherzig, mit geschlossenen Augen und aufeinandergepressten Lippen.
„John!“, zischte sie, als dieser begann, ihr ganz langsam die Jeans von den Beinen zu zerren. „Ich sagte, du sollst aufhören!“

„Stör’ ich euch bei was?“ Evans Belustigung klang jetzt schon fast unverschämt und Teyla konnte sich ihn bildlich vorstellen, wie er versuchte ein Lachen zu unterdrücken.

„Nein, du störst nicht“, antwortete sie entschlossen, eine Hand zwischen sich und John bringend. Ihr Mann brummelte kurz enttäuscht, was ihn aber nicht daran hinderte, ihren Hals weiter mit federleichten Küssen zu bedecken.
Teyla verdrehte die Augen, konzentrierte sich dann darauf wieder ihre innere (ruhigere) Mitte zu finden… und wandte sich schließlich wieder an Evan: „Wieso rufst du an?“

Als sie das Telefongespräch eine halbe Minute später beendete und sich daran machte, ihre Klamotten wieder einzusammeln, spürte sie plötzlich eine Hand auf ihrem Arm, die sie sanft zurückhielt.

„Bitte sag mir, dass du nicht noch mal los musst.“ John klang flehend, mit einem enttäuschten Unterton.

„Es ist nichts Besonderes“, beruhigte Teyla ihn, schloss ihren BH und zog sich ihren roten Pullover über. „Es wird nicht lange dauern. Ich versprechs dir.“

John drehte sich, sodass er nun mit dem Kopf am Fußende des Bettes lag und sie dabei beobachtete, wie sie sich ihre Haare bürstete. „Wenn es nichts Besonderes ist, wieso musst du dann hin und nicht irgendwer anders?“, fragte er.

Teyla fuhr mit spitzen Fingern durch ihren schulterlangen Bob, kam dann aber zu dem Schluss, dass heute nichts mehr aus ihren Haaren herauszuholen war. „Weil Evan und ich heute Bereitschaft haben, deswegen“, erwiderte sie ihrem Mann. „Und das heißt, dass wir rund um die Uhr erreichbar sein müssen und auch sofort aufbrechen, wenn man nach uns verlangt.“

„Ich wusste, dass es ein Fehler war, 'ne Polizistin zu heiraten“, muffelte John, stellte die Ellenbogen auf und stemmte sein Gesicht in die Hände, was ihn wie einen trotzigen Schuljungen aussehen ließ.
Er behielt diese Position für ein paar Sekunden bei, richtete sich dann aber auf und kam auf die zugeschlendert, bis er hinter ihr stand, die Hände an ihre Hüften und das Kinn auf ihre rechte Schulter legte.

„Bitte sei vorsichtig“, säuselte er ihr ins Ohr. „Du weißt, was Dr. Fraiser gesagt hat.“

Teyla drehte ihren Kopf so weit, dass sie ihm einen Kuss auf die Wange drücken konnte. „Ich werde in einer Stunde wieder da sein, John. Es ist wie gesagt nichts Besonderes. Evan und ich müssen nur bei einem paranoiden Pharmachef vorbeischauen, der glaubt, man will ihn umbringen. Keine Sorge, ich werde schon auf mich aufpassen.“

„Und auf die Babys“, ergänzte John und legte seine Hände auf ihren Bauch.

„Natürlich.“ Teyla seufzte und lehnte ihren Kopf gegen seinen Brustkorb. Für einen Moment verlor sie sich in dem Spiegelwelt, das eine perfekte Familie zeigte; sie, die sich gegen ihren Mann lehnte und er, der seine Nase in ihren Haaren vergraben hatte und über ihren Bauch streichelte, in dem ihre Babys heranwuchsen. Es war perfekt.

Teyla wollte nicht aus dieser Harmonie ausbrechen, doch sie wusste, dass ihr keine andere Wahl blieb.

oooOOOooo


‚Millionenerbe Jonathan Sheppard heiratet New Yorker Polizistin nach anderhalbjähriger Beziehung’, titelte die ‚New York Times’

Sohn des verstorbenen Industrietycoon Patrick Sheppard bringt seine Schäfchen ins Trockene’, lautete die Schlagzeile der ‚New York Post’.

Das Paar sah glücklich aus. Überglücklich, um genau zu sein. Sie strahlten, hielten einander in den Armen, küssten sich, liefen Hand in Hand durch die Straßen New Yorks, lächelten sich an, flüsterten sich gegenseitig Liebesschwüre ins Ohr.

Michael schnaubte erbost. Wut wallte in ihm auf. Dieser ganze Gefühlskram machte ihn krank. Ihm wurde übel, wenn er sah, wie glücklich sie war. Wie glücklich sie ohne ihn war. Wie glücklich wie mit ihrem reichen Schnösel war. Nicht, dass er ihr es nicht gönnte, endlich den Mann fürs Leben gefunden zu haben. Nur hatte er immer angenommen, dass er dieser Mann sein würde und nicht irgendein x-beliebiger reicher Sohn eines verstorbenen Industriemoguls mit Haaren, die aussahen, als hätte er nach dem Aufstehen direkt in die Steckdose gefasst.

Michael erwischte sich dabei, wie er nach seinem blonden, dichten Haar tasten wollte, aber stattdessen nur ein paar dünne, verfilzte Strähnen vorfand.
Er seufzte. Die Krankheit hatte ihn gezeichnet, hatte aus ihm ein menschliches Wrack gemacht, hatte ihn… schwach gemacht. Zerbrechlich. Das lichter werdende Haar war nur ein Merkmal, es gab noch viele, viele weitere, die ihm tagtäglich vor Augen führten, wie schnell ein Menschenleben doch vorbei sein konnte. Von heute auf morgen konnte es aus sein. Er würde nicht mehr sein, während das Leben für die anderen weiterlief.

Wieder drohten die Emotionen mit ihm durchzugehen und als er den Zeitungsausschnitt ins Auge fasste, der die Trauung seiner ehemaligen Freundin verkündete, sah er rot. Einen erstickten Schrei ausstoßend, zerknüllte er die Zeitungsseite zu einem kleinen Fall und schleuderte ihn in die Dunkelheit des Raumes hinein; er hörte wie das Papier auf dem Boden aufschlug, es war ein leises, fast nicht hörbares Aufditschen. Mochte sein Sehsinn von Tag zu Tag schlechter werden, sein Gehör konnte locker mit dem eines gesunden Mannes mithalten.

Michael schluckte schwer, nahm den zweiten Zeitungsartikel zur Hand und betrachtete das abgebildete Paar, das glücklich in die Kamera strahlte. O Teyla, dachte er, strich mit dem Finger vorsichtig über ihr lebloses Gesicht. Er erinnerte sich noch genau daran, wie es sich angefühlt hatte, ihre warme Haut zu berühren, sie in den Armen zu halten, sie zu küssen, sie zu lieben, sie einfach nur in seiner Nähe zu spüren. Es war ein unbeschreibliches Gefühl gewesen…

…doch nun war es vorbei. Vorsichtig faltete Michael den Zeitungsartikel wieder zusammen und steckte ihn in seine zerfledderte Lederbrieftasche. Er löschte das Licht seiner Nachttischlampe, saß für ein paar Sekunden in völliger Dunkelheit völlig ruhig und regungslos dar. Dann erhob er sich und humpelte zur Tür, öffnete diese und trat hinaus in den schäbigen Wohnungsflur des Hauses, in dem er sich ein kleines Zimmer gemietet hatte.

Es wird alles anders werden, dachte er sich noch, als er am Straßenrand stand, die Hand in der Jackentasche, mit den Fingern nach dem kühlen Metall seines Revolvers fühlend. Es gab ihm ein sicheres Gefühl, eine Waffe dabeizuhaben, aber auch ein Gefühl der Macht. Er kannte dieses Gefühl nur zu gut aus alten Zeiten, als er noch Polizist gewesen war und Seite an Seite mit seiner Partnerin das Verbrechen bekämpft hatte. Eine Waffe hatte damals für ihn Macht bedeutet. Heute sicherte sie sein Überleben.

Michael atmete die frische Frühlingsluft ein und hob die Hand in die Höhe, als er eins der berühmtberüchtigten New Yorker Yellow Cabs vorfahren sah. Sehr zu seiner Freude, fuhr der Wagen sofort rechts ran und hielt.

„Wohin soll’s denn gehen, Mister?“, erkundigte sich der Fahrer, der asiatischen Ursprungs zu sein schien, kaum dass Michael eingestiegen war und auf der Rückbank Platz genommen hatte.

„Fahren Sie mich nach Manhattan, bitte“, antwortete Michael höflich. „153 East 67th Street.“

Der Fahrer drehte sich zu ihm um, musterte seinen Fahrgast kurz von oben bis unten, murmelte dann irgendetwas für Michael Unverständliches (Chinesisch?) und lenkte seinen Wagen zurück auf die Fahrbahn.

Michael schaute aus dem Fenster und sah die verwahrlosten Gebäude seiner Wohngegend an sich vorbei fliegen. Schon bald würden sie in neuere, höhere, vollkommen intakte Gebäude übergehen und er würde die Sonnenseite New Yorks zu sehen bekommen- Manhattan.

Es wird alles anders werden, dachte Michael ein zweites Mal innerhalb von fünf Minuten, legte den Kopf zurück und schloss die Augen. Es wird alles anders werden.

TBC
Wolf im Schafspelz by Nyada
And I’ve lost who I am
And I can't understand
Why my heart is so broken
Rejecting your love
Without love gone wrong
Life
Less words
Carry on
Trading Yesterday - Shattered

8 Wochen später


Es war Mai und es war warm. Nicht diese unerträgliche Hitze, die die Stadt in wenigen Wochen ganz gewiss heimsuchen würde. Und auch nicht die drückende Schwüle, die in den Sommermonaten üblich für New York war. Es war eine angenehme Wärme, die die New Yorker aus den Häusern, Wohnungen, Büros und Geschäften lockte, an die frische Luft, hinein in die wärmende Maisonne.
Endlich, nach all den düsteren, kalten Wintermonaten und einem recht eisigen Frühling mit Schneefall bis in den frühen April hinein, schien New York und auch seine Bewohner nun endlich aufzutauen.
Der Geruch des herannahenden Sommers lag in der Luft!

Teyla erwischte sich wieder dabei, wie ihr Blick auf die Uhr fiel. Es war kurz nach sechs, was bedeutete, dass sie bereits seit einer halben Stunde darauf wartete, dass er auftauchte, um sie abzuholen. Sie seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust. Es war ungewöhnlich, dass sich John dermaßen verspätete, zählte er für sie doch noch immer zu einem der pünktlichsten Menschen auf dem Planeten. Er kam nie zu spät und falls doch, nicht ohne vorher Bescheid gegeben zu haben.
Doch heute hatte er ihr nicht Bescheid gegeben, dass es im Büro eventuell später werden könnte. Nein, er hatte heute Morgen vor dem Weggehen noch extra darauf bestanden, sie von der Arbeit abzuholen. Und nun war er noch nicht einmal da!

Der Minutenzeiger der Uhr näherte sich unaufhaltsam der Ziffer ‚Zehn’ und Teyla merkte, wie sie nervöser wurde. Nein, es war ganz und gar nicht Johns Art, sich zu verspäten, und die Angst, dass ihm etwas passiert sein könnte, wuchs. Vielleicht war ihm aber auch einfach nur etwas auf der Arbeit dazwischen gekommen, wie sooft in den letzten Wochen. Johns Investmentfirma oder vielmehr die Firma seines verstorbenen Vaters Patrick, die er übernommen hatte, fusionierte im Moment mit einem weltweit bekannten Unternehmen aus dem Land der aufgehenden Sonne- Japan. Im Großen und Ganzen bedeutete dies für ihn Stress und es kam selten vor, dass er vor Mitternacht zuhause war. Tage wie der heutige, an denen er sich die Freiheit nahm, die von der Arbeit abzuholen, damit sie einen gemütlichen Abend daheim verbringen konnten, waren selten.

Teyla sah erneut auf ihre Uhr, nur um festzustellen, dass sie fünf Minuten damit verbracht hatte, über den Grund von dem Fernbleiben ihres Mannes nachzudenken. Inzwischen war es viertel nach Fünf und von John war immer noch nichts zu sehen.

„Dadurch, dass du Trübsal bläst und ständig auf die Uhr starrst, wird er auch nicht eher kommen“, meinte Elizabeth sagen zu müssen, die am Nachbarschreibtisch saß und sie bereits die ganze Zeit beobachtet hatte. Sich mit dem Finger an die Lippen tippend, richtete sie den Blick ihrer grünen Augen auf ihre schwangere Kollegin. „Vielleicht solltest du ihn mal anrufen“, schlug sie vor.

Teyla musste zugeben, dass das eine Idee war, auf die sie bisher noch nicht gekommen war, aus Angst, John in einem womöglich wichtigen Meeting zu erwischen. Sie wusste, dass er es nicht ausstehen konnte, wenn sie ihn während seiner Arbeit störte- auch wenn er ihr das gegenüber noch nie offen dargelegt hatte.
„Vielleicht sollte ich das, ja.“ Sie fischte ihr Handy aus der Hosentasche, wählte rasch seine Nummer, zögerte jedoch ihn anzurufen. Wenn er nun gerade tatsächlich in einer Besprechung ist, dachte sie sich und steckte das Handy nach kurzem Zögern wieder weg; sie konnte und wollte es nicht riskieren, dass er wütend auf sie war. Immerhin wusste sie ja, wie wichtig ihm seine Arbeit war.
„Ich werde lieber noch etwas warten“, teilte sie Elizabeth mit, die daraufhin gleichgültig nickte und einen Schluck Tee aus ihrer Tasse trank.

„Wie du meinst.“ Elizabeth griff in ihre dichten, dunkelbraunen Locken, schüttelte sie. Sie stellte ihre Teetasse ab und nachdem sie kurz in einem Bericht gelesen hatte, wand sie ihre Aufmerksamkeit wieder ihrer Kollegin zu. „Diese Fusion scheint länger zu dauern, als angenommen“, bemerkte sie.
„Woher weißt du-“ Teyla brach ab, als sie sich daran erinnerte, dass Elizabeth und ihr Verlobter Mike Branton letzten Monat bei ihnen zum Abendessen eingeladen waren und John eifrig von der bevorstehenden Fusion gesprochen hatte; er war mit so einem Feuereifer dabei gewesen, dass er sich fast an den Linguinis verschluckt hätte.
„Ja, es dauert etwas länger“, antwortete sie. „Es gab einige Probleme mit der Logistik, was das Ganze eine Woche hinaus gezögert hat.“

„Ah“, machte Elizabeth, in einer Art und Weise, die Teyla aufhorchen ließ. Sie schaute ihre brünette Kollegin an, sagte aber nichts. „John verbringt viel Zeit im Büro“, fuhr Elizabeth fort.
„Alle seine Mitarbeiter verbringen viel Zeit im Büro“, stellte Teyla richtig; sie mochte den seltsamen Unterton in der Stimme ihrer Freundin nicht. Elizabeth mochte zwar gut darin sein, ihr wahres Ich vor Verdächtigen zu verstecken, doch wenn es darum ging, es vor ihren Freunden zu verbergen, war sie eine echte Niete. Teyla konnte sich vorstellen, worauf sie hinaus wollte, und als Elizabeth ein hinterfragendes ‚Alle?’ in den Raum warf, bestätigte sich ihr Verdacht.
„Elizabeth“, seufzte sie, „worauf willst du hinaus?“
„Auf gar nichts will ich hinaus“, antwortete Elizabeth, sich in ihrem Stuhl zurücklehnend. Sie kniff die Lippen aufeinander und sah sich rasch um, als ob sie sich vergewissern wollte, dass sie beide allein waren. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie schließlich.
Teyla war verwirrt. „Was sollte denn nicht in Ordnung sein?“
„Ich meine zwischen dir und John“, spezifizierte sich Elizabeth. „Ist zwischen euch beiden alles in Ordnung?“
„Was?“, entfuhr es der überraschten Teyla und sie blinzelte ein paar Mal. Wieso kam Elizabeth nur auf solche Gedanken?
„Ich mache mir nur Sorgen um euch zwei“, erklärte Elizabeth sanft, ihre Psychologenmiene aufsetzend.
Teyla schüttelte ungläubig mit dem Kopf. „Ich verstehe nicht“, gestand sie ihrer Freundin. Sie verstand wirklich nicht; hatte Elizabeths Kennerblick möglicherweise etwas entdeckt, dessen sie sich noch nicht bewusst war? „Natürlich ist zwischen uns beiden alles in Ordnung. Ich wüsste nicht-“ Teyla verstummte abrupt, als sie Elizabeths Blick bemerkte- es war eine merkwürdige und besorgniserregende Mischung aus Bitterkeit und Mitgefühl… und Wissen. Sie wusste etwas, wollte es ihr aber nicht sagen.
„Elizabeth?“, versuchte Teyla ihre beste Freundin und Kollegin zu appellieren, konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme zitterte. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihr breit und unliebsame Gedanken tauchten urplötzlich in ihrem Kopf auf. Teyla versuchte sich ihnen zu sperren, ebenso der Vermutung Elizabeths, dass John sie…

Nein!, schrie eine Stimme in Teylas Kopf auf. Nein, das konnte nicht sein. Zu etwas war John nicht in der Lage. Er würde nie etwas tun, was sie verletzte. Er würde ihr nie wehtun wollen. Schon gar nicht jetzt, wo sie seine Babys unter ihrem Herzen trug. Nein, so etwas würde er nicht tun. Nicht John. Nicht jetzt. Nie!
In einem unbeobachteten Moment streichelte sich Teyla sanft über ihren sich leicht wölbenden Bauch. Nicht jetzt.

Das Klingeln ihres Handys riss Teyla aus ihren Gedanken. Sie musste nicht einmal auf den Display schauen, um zu wissen, wer es war. Ihre Stimme klang zerbrechlich, als sie sich mit einem ‚Hallo?’ meldete.
„Hey, Teyla.“ Es war John, er klang gestresst. „Hör zu, es tut mir schrecklich leid, aber ich kann nicht kommen. Wir haben hier noch so viel zu tun und ich befürchte, dass es heute Abend spät wird.“
Teyla seufzte. Keine nette Begrüßungsfloskel. O… ja gut, okay. Macht ja nichts. Ist schon in Ordnung“, log sie. „Ich werde schon irgendwie nach Hause kommen.“
„Es tut mir leid, Babe“, zeigte sich John reumütig. „Ich wünschte, ich könnte es ändern, aber-“
„Nein, nein, schon gut“, fiel Teyla ihm ins Wort, versuchte sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. „Wir werden das irgendwann anders nachholen, ja?“
„Natürlich“, versprach John ihr. Seine Stimme klang merkwürdig weit weg, weswegen man glauben konnte, dass er nur mit halber Aufmerksamkeit bei der Sache war. „Ich muss jetzt Schluss machen; die haben 'ne Besprechung einberufen, zu der ich muss.“
„Okay, zu der solltest du dann nicht zu spät kommen.“ Teyla leckte sich nervös über die Lippen. „Ich… John?“
„Ja?“
„Ich…ich liebe dich“, sagte sie, schon fast flüsternd.
John lachte leise am anderen Ende. „Das weiß ich doch“, erwiderte er. „Wir sehn uns dann nachher, ja?“ Damit beendete er das Gespräch; kein Tschüss und erst recht kein Ich liebe dich auch. Nichts. Er legte einfach auf.

Teyla fühlte sich wie mit einem Brett vor den Kopf geschlagen und sank in ihrem Stuhl zusammen. Ihr Herz pumpte schwer in ihrer Brust und sie glaubte, kalten Schweiß auf der Stirn zu haben.
„Teyla?“ Elizabeths Stimme drang durch das Rauschen in ihren Ohren. „Teyla, ist alles in Ordnung?“
„Ich…“ Sie blinzelte ein paar Mal, bevor sie sich aufrichtete, nach ihrer Handtasche griff und lächelte schwach. „Es ist alles okay“, flunkerte sie ihre Freundin an. „Ich… ich muss jetzt nur los. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend, Elizabeth.“
„Teyla?“, rief ihr ihre Kollegin nach und Teyla blieb stehen, verharrte in ihrer Bewegung, wagte es nicht sich zu Elizabeth umzudrehen, da sie ahnte, was nun kommen würde. Zum anderen sollte ihre Freundin ihre Tränen nicht sehen, die in ihren Augen schwammen. Sie konnte genau hören, wie Elizabeth zögerte.
„Es…“, begann sie nach einigen Sekunden. „Es gibt da etwas, was du wissen solltest, Teyla.“ Elizabeths Stimme war sanft, dennoch war Teyla klar, dass ihr das, was ihr ihre Freundin im Begriff war zu sagen, nicht gefallen würde. Als sie es schließlich doch tat, konnte Teyla nicht anders, als zusammenzuzucken.

„Es geht um John.“

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Michael beobachtete von einer schäbigen Parkbank aus, wie das quittengelbe Yellow Cab vor dem hohen Bürogebäude hielt und sie ausstieg. Sie bezahlte rasch den Fahrer, nur um dann ein paar Sekunden unschlüssig auf dem Bürgersteig herumzustehen und an der stählernen Fassade des Wolkenkratzers hinaufzusehen. Sekunden, die ihm die Möglichkeit boten, sie von oben bis unten zu betrachten.

Die Schwangerschaft stand ihr. Zwar konnte er aufgrund der voranschreitenden Dämmerungen nicht viel erkennen, aber sie schien im Licht der untergehenden Sonne zu strahlen. Als sie sich kurz umwandte und dem davonfahrenden Taxi nachsah, erhaschte er einen Blick auf ihren Bauch, der sich unter ihrer weiten Tunikabluse wölbte. Sanft berührte sie ihn mit der rechten Hand, streichelte ihn, als wollte sie ihr Ungeborenes beruhigen. Michael schätzte, dass sie im vierten oder fünften Monat war… und musste neidlos gestehen, dass sie schöner denn je war. Ihre Wangen waren voll und glühten und ihre rehbraunen Augen glänzten. Das letzte Mal hatte er sie vor vier Wochen so genau betrachtet und ihm fiel auf, dass ihre Haare etwas länger waren. Ihre wundervollen, seidigen karamellfarbenen Haare, die ihr locker, leicht gewellt über die Schultern fielen und ihr zartes, klar geschnittenes Gesicht perfekt umrahmten.
Sie sah schlichtweg umwerfend aus!

Michael seufzte, als sie sich von ihm wegwandte und begann die Treppen zum Eingang des Gebäudes hinauf zu steigen. Sie schien es eilig zu haben, denn sie nahm zwei Stufen auf einmal. Er war zu weit weg gewesen, um Näheres erkennen zu können, doch im war der besorgte, ja, sogar leicht panische Ausdruck in ihrem Gesicht nicht entgangen. Er kannte diese Art von Gesichtsausdruck- er zeugte von purer Angst.

Als sie im Gebäude verschwunden war, wanderte Michaels Blick zum sechsten Stockwerk des Gebäudes hinauf, welches der inzwischen verstorbene Patrick Sheppard komplett für seine Investmentfirma gemietet hatte, die nun sein ältester Sohn leitete- John. Die gesamte Etage schien verdunkelt zu sein, bis auf ein einziges Büro.
Ein kleines, bitterböses Lächeln umkurvte Michaels Lippen und er lehnte sich zurück, legte seine Arme auf der Rückenlehne der Bank ab, schlug die Beine übereinander und begann genüsslich auf seinem Kaugummi herumzukauen. Schon seit Stunden schob er es in seinem Mund hin und her und es hatte schon damit begonnen sich aufzulösen. Von Geschmack konnte keine Rede mehr sein. Doch jetzt…ja, jetzt schmeckte Michael auf einmal den süßen Geschmack des Erfolges, des Sieges. Aber das war erst der Anfang. Er ermahnte sich, diesen Moment nicht sofort vollends auszukosten. Ja, er war sich sicher, dass er schon bald einen Erfolg einfahren würde, doch das war erst die erste Hürde. Es stand ihm noch so viel bevor…

Doch zuerst würde er warten. Ja, und wie er warten würde.

Michael grinste zufrieden und pumpte Luft in das spröde Kaugummi, formte eine kleine, blassrosa Blase und ließ sie dann platzen. Er starrte noch immer zu dem schwach beleuchteten Büro hinauf, behielt aber gleichzeitig die Drehtür des Gebäudes im Auge. Er war sich sicher, dass es nicht lange dauern würde.

++++++++++++++


Es geht um John. Zuerst hatte Teyla nicht wissen wollen, was Elizabeth über ihren Mann wusste. Nein, sie hatte nicht zugehört, aber Elizabeth hatte sich nicht davon abbringen lassen. So war sie nun mal- klar und direkt. Sie nahm nie ein Blatt vor den Mund, weshalb sie auch dieses Mal nichts beschönigte, als sie von der adretten Blondine berichtete, die bereits mehrere Abende hintereinander an Johns Seite gesichtet worden war und die erst spät nachts das Gebäude verließ, in dem Johns Firma ihren Sitz hatte.
Teyla hatte all das nicht wissen wollen, doch Elizabeth hatte alles gnadenlos auf den Tisch gelegt. So war Elizabeth, ja, so war sie.

Mit den Gedanken bei ihrer besten Freundin, hatte Teyla den Aufzug betreten und wie im Trance die Schaltungen bedient; es war ein altmodischer Gitteraufzug, tagsüber von einem Mann in Portiersuniform bedient, abends mit einer Anleitung ausgestattet, damit spät ankommende Gäste oder Klienten nicht die Treppe nehmen musste.
Regungslos blieb Teyla in der Mitte des Aufzugs stehen, der für nicht mehr als drei Personen Platz bot, atmete einmal tief ein und aus, ehe sie die Gittertüren zuzog und darauf wartete, dass sich die Gerätschaft in Bewegung setzte. Als sie es schließlich tat, zuckte sie zusammen, obschon sie hunderte Male mit diesem Aufzug gefahren war. Doch heute…

Die Büroräume der Sheppardschen Investmentfirma befanden sich im sechsten Stock und normalerweise dauerte eine „Fahrt“ nicht länger als eine Minute. Heute jedoch kam es Teyla deutlich länger als eine Minute vor. Die Zeit schien stillzustehen und wollte nicht vorübergehen. Das Rattern und Klappern dröhnte laut in ihren Ohren, doch Teyla bekam davon nichts mit. Sie stand einfach nur da und fragte sich, was zum Teufel sie hier machte. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? So spät abends noch durch halb Manhattan zu fahren!

Ob Elizabeth recht hatte?, fragte sie sich schließlich, als der Aufzug das vierte Stockwerk erreichte und sie nur noch zwei Stockwerke von der Wahrheit trennten. Einer Wahrheit, die Teyla nicht unbedingt herausfinden wollte. Beim Gedanken daran, zog sich ihr der Magen zusammen und für einen kurzen Moment befürchtete sie, sich übergeben zu müssen. Ihr wurde schwindelig und sie musste sich abstützen. John und… eine andere Frau? Der Gedanke war so absurd. Teyla war sich sicher, dass er sie nie betrügen würde…
… aber gleichzeitig war da diese Ungewissheit. Was, wenn Elizabeth tatsächlich recht hatte? Das würde bedeuten…
Teyla vertraute Elizabeth seit sie sich zum ersten Mal gesehen hatten. In ihren Augen war sie stets eine kluge Frau gewesen, die wusste, wie die Dinge liefen. Ihrem Wort konnte man bedingungslos vertrauen, doch dieses Mal war Teyla sich nicht sicher, ob sie das auch wirklich wollte. Immerhin bezichtigte sie John, eine Affäre zu haben. Ausgerechnet John, der wohl treuste und hingebungsvollste Mann, den Teyla kannte.
Es stimmte, dass er in den letzten Wochen abends öfter länger im Büro gewesen und erst nach Hause gekommen war, wenn sie bereits geschlafen hatte. Es war selten geworden, dass sie abends Möglichkeit gehabt hatten, zu reden, geschweige denn miteinander zu schlafen. Der Sex war… so gut wie gar nicht mehr vorhanden. Aber bedeutete das, das etwas an dem Gerücht, John vergnüge sich mit dieser mysteriösen Blondine, dran war? Schließlich bedeutete so eine „Megafusion“- wie John es nannte- eine Menge Stress.

Teyla merkte, wie ihre Nervosität stieg und ihren Höhepunkt fand, als der Aufzug ruckelnd zum Stehen kam und sich vor ihr, hinter den Gittertüren, der lange Flur auftat, der zu den Büroräumen führte. Sie zögerte einen Moment, griff dann nach den Türen, zog sie auf und trat mit kleinen Schritten in den dunklen Flur hinein… und wunderte sich. Wieso war das Licht nicht an, wenn angeblich noch so viele Leute hier waren und arbeiteten?

Es war dunkel, beunruhigend dunkel. Und still. Teyla klammerte sich an den Riemen ihrer Handtasche und schritt, mit einer Hand auf ihrem Bauch, voran. Sie spürte dieses seltsame Flattern in ihrer Unterleibsgegend, wohl wissend, dass es die ersten zaghaften Bewegungen der Babys waren. Ausgerechnet jetzt, dachte sie, konnte sich ein kleines Lächeln aber nicht verkneifen. Es war ein… wirklich merkwürdiges Gefühl, fast so, als hätte sie hunderte von Schmetterlingen in ihrem Bauch.
Teyla blieb stehen, legte nun auch die andere Hand auf ihren Bauch und lächelte. „Hallo, ihr zwei“, wisperte sie ergriffen, mit einem gewissen Unterton der Sorge in ihrer Stimme. Wenn ihre Kinder nur wüsste, auf welcher „Mission“ sie sich gerade befand; ihren Vater bei seiner möglichen Untreue zu erwischen.

Untreue.Das Wort hallte schmerzhaft in Teylas Kopf wieder, als sie sich in Bewegung setzte und durch den Flur schlich. Die ersten Türen tauchten zu ihrer Rechten und Linken auf, allesamt geöffnet, hinter ihnen dunkle Büros liegend. Die Marketingabteilung- leer. Das Logistikzentrum- ebenfalls leer. Das Büro von Johns neuer Sekretärin Kate Heightmeyer- auch leer. Leer und dunkel. Alles leer und dunkel. Bis auf ein Zimmer. Am Ende des Flurs. Durch die Glastüren drang schummeriges Licht. Die Tür stand leicht offen und Teyla hörte Stimmen. Sie verstand nicht, was sie sagten, aber sie erkannte sie trotzdem, zumindest eine davon. John.

Als sie plötzlich Gläser klirren hörte, stoppte Teyla. Sie wusste, dass es falsch war, so herumzuschleichen und ihrem Mann hinterher zu spionieren. Damals, bei ihrer Hochzeit, hatte sie ihm Vertrauen geschworen und nun machte sie einen auf Sherlock Holmes. i>Das passte doch irgendwie nicht zusammen, musste sie gestehen. Das war kein Vertrauensbeweis.
Teyla überlegte ernsthaft zurück zum Aufzug zu gehen und nach Hause zu fahren, als sie plötzlich ein Lachen hörte, das viel zu hoch war, um John zu gehören. Sie erschauderte und fuhr herum. Nein, dachte sie. Nein, bitte nicht.
Ihr Herz begann schneller zu schlagen, als sie näher an das Büro ihres Mannes heranschlich, sich rasch im Schatten eines Pfeilers duckte, als sie beinahe in den Lichtkegel geraten wäre. Sie presste sich so gut es ihr rundliches Babybäuchlein zuließ zwischen Wand und Pfeiler, beugte sich etwa so weit vor, dass sie einen Blick in Johns Büro werfen konnte.
Sie erstarrte augenblicklich.

Was sie sah, versetzte ihr einen schmerzhaften Stich ins Herz. John, der hinter seinem Schreibtisch saß, ein Glas Champagner in der Hand haltend und mit einem Lächeln auf den Lippen, welches er sich nur in der Gegenwart seiner Frau erlaubte- dieses schiefe, sexy Lächeln. Vor ihm, auf der Tischkante sitzend, eine junge, blonde Frau, die ebenfalls ein Glas der prickelnden Köstlichkeit in den Händen hielt und ihren nackten Fuß auf seinem Oberschenkel abgestellt hatte. Sie lachte und warf ihre langen, honigblonden Haare zurück, entblößte beim Lachen eine Reihe perfekter, weißer Zähne. Johns Blick glitt von ihrem Gesicht zu ihrem Dekolletee und wieder zurück. Er lächelte ebenfalls, hielt ihre dann sein Champagnerglas hin, prostete ihr zu. Sie tranken einen Schluck und dann beugte sich die fremde Frau vor und…

Teyla ächzte entsetzt auf. Elizabeth hatte recht gehabt! Sie hatte ja gar nicht gewusst, wie schmerzhaft es war, zu beobachten, wie eine andere Frau ihren Mann küsste. Das war schon schlimm genug, aber sich dann noch mit ansehen zu müssen, wie John die Arme um die Schultern der Frau legte, war schier unerträglich. Teyla spürte, wie ihr die Tränen aus den Augen quollen und heiß über ihre Wangen liefen. Ihr Herz zog sich inzwischen immer und immer wieder schmerzhaft zusammen, begleitet von diesen stechenden Schmerzen in ihrer Brust. Sie musste hier weg! Und zwar sofort!

Beim Wegrennen Richtung Aufzug achtete sie nicht darauf, leise zu sein. Sollte John doch mitbekommen, dass sie hier gewesen war und ihn gesehen hatte. Mit der anderen Frau. Großer Gott, sie konnte nicht glauben, dass er sie tatsächlich betrog! Teyla hechtete in den Aufzug zurück und zog die Türen zu, die mit einem lauten Knall in die Verankerung zurücksprangen. Der Aufzug setzte sich sofort ratternd in Bewegung, nachdem sie panisch die Schaltung bedient hatte, und das letzte, was sie sah, bevor sie die Etagen wechselte, waren zwei Gestalten, die aus Johns Büro gelaufen kamen… und Johns entsetztes Gesicht, als er sie erkannte. Sein Mund formte ein stummes ‚Tey’, sonst nichts. Teyla sah das ‚Nein’, was in seinen grünen Augen aufflammte, doch es war zu spät.

Als der Aufzug im Erdgeschoss hielt, stürzte Teyla eilig in das Foyer heraus, wohl wissend, dass es nicht lange dauern würde, bis John ihr folgte. Sie hatte keine Lust, ihm jetzt gegenüberzutreten. Sie wollte einfach nur noch raus. Die Luft im verlassenen Foyer schien ihr unheimlich stickig und der Kragen ihrer Bluse viel, viel zu eng. Nach Luft schnappend, zerrte sie daran, rannte los, als keine Besserung eintrat, stürmte durch die Drehtüre hinaus ins Freie.
Die laue Mailuft schlug ihr entgegen und verschlug ihr im ersten Moment den Atem und sie musste stehen bleiben. Hastig rang sie nach Atem, eilte gleichzeitig die steinernen Treppen hinunter, blieb dann auf dem Gehweg stehen und schaute sich um. Weit und breit war kein Taxi in Sicht, die Straße war leer. Ein paar Passanten schlenderten auf der anderen Seite den Gehweg entlang, machten sich aber scheinbar nichts aus der heftig keuchenden schwangeren Frau.
„Verdammt“, murmelte Teyla erregt und begann auf und ab zu laufen, in der Hoffnung, ein Taxi würde schon im nächsten Augenblick um die Ecke biegen, sie mitnehmen und weg vor hier bringen.
Teyla fuhr herum und sah John durch die Drehtür ins Freie eilen. „Teyla“, hörte sie ihn rufen, als er sie entdeckte. Er begann die Treppen hinab zu steigen.
„Verschwinde!“, schrie sie ihn an. „Hau einfach ab! Lass mich allein, ja?“
„Teyla“, beharrte John mit fester Stimme. „Bitte, hör mir zu.“
„Verschwinde, John“, kreischte sie wieder, keuchte entsetzt auf, als er nach ihren Handgelenken packte und sie festhielt. „Lass mich los, verdammt“, verlangte sie barsch, doch er ließ sie nicht los. Er verfestigte seinen Griff, sodass sich seine Finger schmerzhaft in ihre Handgelenke gruben. „Du tust mir weh, John“, rief sie.
„Teyla, hör mir zu.“
„Nein.“ Hatte sie eben noch geschrieen, flüsterte sie jetzt aus Heiserkeit. Sie schüttelte mit Tränen in den Augen mit dem Kopf, warf sich gegen ihn und schlug mit den Fäusten auf ihn ein, trommelte gegen seine Brust, in der Hoffnung er würde sie loslassen, was er jedoch nicht tat.
Johns Miene war ausdruckslos, als er sie festhielt. „Verdammt, Tey, mach nicht so ein Theater“, herrschte er sie an. „Es ist nicht so wie du denkst!“
„Ach nein?“, brauste sie auf. „Nicht so wie ich denke? Was ist es dann gewesen, John?“ Sie schlug ihm ein letztes Mal gegen die Brust. „Was war es dann? Sag’s mir! Was war es-“ Ein plötzliches, schmerzhaftes Ziehen ließ sie abrupt verstummen und sie stand ganz still.
„Was ist?“, verlangte John zu wissen, sich der Situation erst langsam bewusst werdend. Seine Augen weiteten sich, als er begriff. „Teyla, was ist los?“
Mit großen erschrockenen Augen sah Teyla ihn an. Ihr Atmen kam stoßweise und dicke Schweißperlen traten ihr auf die Stirn. Sie schloss die Augen, öffnete sie im nächsten Moment aber wieder. Ihre Hände strichen über ihren Bauch. Nein, flehte sie. Ein Stöhnen kam aus ihrer Kehle, und sie sank zusammen. Ihre Knie gaben einfach unter ihr nach. John legte den Arm um sie. Er versuchte, sie aufzurichten, aber es ging nicht.
Teyla japste auf, stieß mehrere kurze und leise Schreie aus, als der Schmerz zurückkehrte, und grub ihre Fingernägel in Johns Arm.
„Sscht, ist ja gut“, versuchte er sie zu beruhigen. „Hol einfach tief Luft, ja, so ist’s gut. Alles wird gut, hörst du?“
Doch es wurde nicht gut. Erneut von einem Schmerzanfall gepackt, sank Teyla zusammen und entdeckte die roten Tropfen, die auf den Asphalt getropft waren. „O Gott, nein!“, rief sie aus, rang nach Luft, atmete gegen den Schmerz in ihrem Unterleib an. „ O… bitte, nein…“

TBC
Schuld by Nyada
I wish that
I could take back
All the things
I've done to hurt you
I didn't mean to be so cruel
Yet I know that
I've been selfish
And at times a thoughtless fool
Kenny Rankin – Regrets


Es war seine Schuld. John Sheppard gab einen frustrierten Seufzer von sich. Er konnte noch immer nicht begreifen, was passiert war, hoffte jeden Augenblick aus diesem fürchterlichen Alptraum aufzuwachen. Aber er tat es nicht, denn die Wahrheit war, dass es kein Traum war sondern die bittere Realität. Es war alles wirklich geschehen und es würde nicht aufhören, wie ein schlechter Traum, aus dem man irgendwann erwachte. Nein, es würde weitergehen, immer und immer weiter. Es gab kein Entrinnen aus diesem so realen Alptraum, er war darin gefangen.

John seufzte erneut auf und starrte die ihm gegenüberliegende, kalkweiße Krankenhauswand an, die in etwa dieselbe Farbe wie sein Gesicht hatte. Er hatte nicht in den Spiegel gesehen, wusste jedoch, dass er aschfahl war und seine Hände zitterten. Kalter Schweiß bedeckte seinen ganzen Körper und sein Herz hörte einfach nicht auf wie wild in seiner Brust zu schlagen. Gedanken rasten ihm durch den Kopf, der diesem Ansturm nicht gewachsen zu sein schien; John hatte rasende Kopfschmerzen. Eine Krankenschwester hatte seine Not erkannt und ihm Tabletten angeboten, doch er hatte sie einfach ignoriert und die Wand angestarrt. So wie er es jetzt auch tat.

Seit vier Stunden starrte er nun schon abwechselnd die Wand und die Decke über ihm an, hatte jedoch nicht die Erkenntnis erlangt, die er zu finden gehofft hatte. Er war noch nie der große Denker gewesen sondern ein Mann der Tat. Doch, nachdem er nun fast vier Stunden allein auf dem Krankenhausflur gesessen hatte, hatte er viel nachgedacht, vielleicht mehr, als in seinem ganzen Leben zuvor. Nun ja, vielleicht war diese These etwas übertrieben, aber er hatte sich wirklich so viele Gedanken gemacht, dass sein Kopf rauchte.
Und er war auch nicht wirklich allein gewesen.

John hatte so sehr seinen Gedanken nachgehangen, dass er gar nicht bemerkt hatte, dass der Mann, der sie ins Krankenhaus gefahren hatte, zurückgekehrt war und auf der Sitzbank, die auf der anderen Seite des Flurs stand, Platz genommen hatte. Er kannte ihn nicht, aber trotzdem fühlte sich John zu Dank verpflichtet, wusste aber nicht, ob er den Mann nach zwei Stunden des Schweigens einfach so ansprechen sollte.
Der Mann war Mitte bis Ende Dreißig, blond und schlank. Er trug eine ziemlich abgetragen aussehende Jeansjacke mit der farblich dazupassenden Jeanshose, ein Karohemd und Sportschuhe. Ein ziemlich durchschnittlicher Kerl, stellte John fest, mit einem Herzen aus Gold.
Der Fremde schien bemerkt zu haben, dass er beobachtet wurde, denn er löste den Blick von der Zeitschrift, die er sich besorgt hatte, und sah zu John rüber. Stahlblaue Augen fesselten Johns Blick. Das Gesicht des Mannes war wie gemeißelt und seine Haut ebenso blass wie Marmor. Seine Nase war fein, spitz und gerade. John wusste, dass es sich nicht gehörte, jemanden derartig anzustarren, aber er schaffte es nicht, den Blick abzuwenden.
„Michael Kenmore“, kam es plötzlich über die Lippen des Mannes.
John wurde aus seiner Betrachtung gerissen. „Entschuldigen Sie, was?“ Super, erst hatte er ihn angestarrt wie ein Museumsstück und dann hörte er ihm noch nicht einmal zu!
„Michael Kenmore, mein Name“, wiederholte der Mann gütig, legte seine Zeitung beiseite, erhob sich halb und streckte John seine blasse Hand entgegen. „Wir hatten noch keine Gelegenheit einander vorzustellen.“
„O, ja“, erwiderte John, da ihm nichts Besseres einfiel. Er griff nach Michaels Hand und schüttelte sie kurz. „John Sheppard.“
Michael lächelte leicht. „Das habe ich mir schon gedacht. Ihr Name stand auf dem Gebäude und ich kenne Ihr Gesicht aus der Zeitung. Es ist nicht leicht berühmt zu sein, oder?“ Ganz klar, der Mann versuchte, die angespannte Stimmung etwas zu lockern, aber John wusste nicht, ob das Erfolg hatte oder nicht.

Michael lehnte sich mit einem Seufzen zurück und wandte sich wieder seiner Zeitung zu. Hin und wieder blickte er über den Rand hinweg und fasste John für wenige Momente ins Auge, fast so, als wollte überprüfen, dass er tatsächlich noch da war. John kam nicht drumrum sich über diesen komischen Kauz zu wundern.
Bevor seine Gedanken jedoch wieder abschweifen konnten, wurde die Durchgangstür aufgestoßen und Schritte näherten sich. John musste nicht einmal aufsehen, um zu wissen, wessen Schuhabsätze diesen Lärm verursachten.
„O, John, es ist ja alles so tragisch!“ Larrin Wagner eilte mit wehendem Haar heran, ihre grünen Augen voller aufrichtiger Sorge. „Es tut mir ja alles so schrecklich leid!“ Sie nahm John in die Arme und drückte ihn an sich.
„Hi, Larrin“, grüßte John seine Kollegin und schluckte den Kloß in seinem Hals herunter, den er bei ihrer bloßen Anwesenheit verspürte.
Larrin nahm neben ihm auf der Sitzbank Platz und schlang die Arme um seine Schulter. „Wie geht’s ihr?“ Es war dreist von ihr, das zu fragen, fand John, schließlich war es auch mit ihre Schuld, dass sie jetzt alle hier im Krankenhaus waren.
„Der Arzt ist noch bei ihr drin“, antwortete er, ohne sich etwas anmerken zu lassen. „Die haben mich nicht zu ihr gelassen.“
„O Gott!“ Larrin seufzte auf. „John, es tut mir so leid.“ Sie umarmte ihn erneut. „Ich wollte ja nicht…“, murmelte sie gegen seine Schulter. „Ich wusste ja nicht….o nein. Hoffentlich ist ihr nichts passiert! Und den Babys, o Gott!“

John zuckte zusammen, als Larrin neben ihm leidvoll aufseufzte. Er sah sie an und konnte wieder einmal nicht glauben, was passiert war. Dabei hatten sie nur feiern wollen, dass der Vorstand von 'Yakasha Industries' endlich dem Vertrag zugestimmt hatte, was ihrer Firma Millionen einbrachte. Er hatte extra für diesen Augenblick eine Flasche Champagner kalt gestellt, die er mit seinen Mitarbeitern teilen wollte. Doch die meisten waren kurz nach dem erlösenden Anruf aus Tokio verschwunden, wollten nach 72 Stunden Dauerstress einfach nur noch nach Hause, zu ihren Familien. Nur Larrin und er waren zurückgeblieben, hatten also den Champagner geköpft und waren mit steigendem Alkoholspiegel etwas… ausgiebiger geworden. John konnte selbst nicht fassen, was er getan hatte. Er hatte sie geküsst! Nun ja, genau genommen hatte sie ihn geküsst, aber er hatte den Kuss erwidert…und das ließ ihn bitter aufstoßen. Larrin und er waren Kollegen, kannten sich schon, seitdem er denken konnte. Sie waren auf dieselbe Schule gegangen, hatten dasselbe College besucht und dieselben Kurse auf der Uni belegt. Es war ein Freundschaftsdienst von ihm, sie bei sich einzustellen. Sie war eine Freundin, aber nicht mehr. Doch trotzdem hatte er sie geküsst!
Und nun war sie mitverantwortlich dafür, dass seine schwangere Frau in irgendeinem Zimmer lag, umwimmelt von fremden Leuten, die um ihr Leben und das der Babys kämpften.
John stieß einen Seufzer aus. Und das alles nur wegen Yakasha Industries!

Larrin hatte ihren Kopf noch immer an seiner Schulter und John bemerkte den Blick, den Michael ihnen zuwarf; seine Augenbraue hob sich über den Rand seiner Zeitung hinweg und in seinen stahlblauen Augen glaubte John Abneigung zu erkennen. Er hatte ja recht! Schnell und mit einem Räuspern löste sich John aus Larrins Umarmung; es fühlte sich plötzlich so falsch an.
Larrin schien zu merken, dass sie sich unpassend verhalten hatte. „Entschuldige“, murmelte sie. „Ich wollte nicht-“
„Schon gut“, fiel John ihr ins Wort und war beruhigt, dass Michaels Augen nun wieder damit beschäftigt waren, die Zeilen zu lesen.
„Möchtest du einen Kaffee?“, fragte Larrin plötzlich. „Also, ich konnte einen vertragen. Wie steht’s mit dir?“
John lehnte dankend ab und sie marschierte davon. Erst als sie verschwunden war, fiel ihm auf, dass er seit Stunden weder etwas gegessen noch getrunken hatte; sein Körper schrie förmlich nach einem Kaffee- doch es war zu spät.

Das Gesicht in seinen Händen verbergend, beugte sich John vor. Er schloss die Augen und genoss die momentane Stille, die nur dann unterbrochen wurde, wenn Michael die Seiten umblätterte. John lauschte dem Rascheln des Papiers und plötzlich kam ihm die Frage in den Sinn, warum der Kerl noch hier war. Er war zufällig vorbei gekommen, als Teyla auf dem Gehweg zusammengebrochen war, und hatte sie ins Krankenhaus gefahren. Normale Menschen verschwanden gleich darauf wieder und blieben nicht. Vielleicht will er sicher gehen, dass alles in Ordnung ist, überlegte John…und genau in diesem Moment fiel ihm wieder ein, dass er seit Stunden nichts Neues über Teylas Zustand erfahren hatte. Er wurde nervös.

Just in dem Moment, als er drauf und dran war, aufzuspringen, öffnete sich eine der Türen und ein weißgekittelter Mann trat auf den Gang heraus. Er schaute sich kurz um, entdeckte den wartenden John und kam schnurstracks auf ihn zu marschiert.
„Mr. Sheppard?“ Er sprach mit einem harten Akzent- John vermutete, dass er nicht aus den Staaten kam. Sein Akzent klang irgendwie nordisch…vielleicht britisch oder vielmehr schottisch. Er hatte kurze braune Haare und strahlend blaue Augen, war nicht sehr groß und von stabiler Statur. Seine Gesichtszüge waren markant, so wie es sich für einen Schotten (er vermutete nur) gehörte.
John war aufgesprungen, kaum dass der Arzt die Tür hinter sich geschlossen hatte, stürzte nun auf den Mediziner zu. „Wie geht es meiner Frau, Doktor?“
„Setzen wir uns doch“, sagte Dr. Carson Beckett- das verriet sein Namensschild- und deutete auf die Sitzbank. Sie beide nahmen Platz und Michael entschuldigte sich unter dem Vorwand, er könne nun auch einen Kaffee vertragen, und ließ die beiden allein; mit der Zeitung unter dem Arm schlenderte er von dannen.
John sah ihm nach, wandte seine Aufmerksamkeit aber sofort wieder dem Arzt zu. „Geht es meiner Frau gut?“, fragte er wieder.
Dr. Beckett nickte. „Ihr geht es den Umständen entsprechend gut“, antwortete er und John atmete erleichtert auf. „Das ganze war sehr anstrengend für sie, aber jetzt schläft sie.“
„Gut.“ John nickte nervös. „Und was ist mit den Babys?“
Sein Gegenüber schürzte die Lippen. „Ja, was das angeht…“ Er seufzte und John glaubte, keine Luft mehr zu kriegen.
„Doktor…“ John schüttelte mit dem Kopf. „Was…was ist mit den Babys?“ Nein, flehte er innerlich, nein, bitte nicht. O Gott, nein!
„Aufgrund des…Stress’ sind bei Ihrer Frau starke Krämpfe aufgetreten, die mit spontanen Blutungen in der Gebärmutter einhergegangen sind“, begann Beckett behutsam zu erklären. „Es ist gut, dass Sie schnellstmöglich hergekommen sind. Wir konnten so verhindern, dass sie zuviel Blut verliert.“ Beckett legte eine Pause ein. Mit leiser Stimme fuhr er fort: „Allerdings ist es zu Komplikationen gekommen.“
John schluckte. „Komplikationen?“, wiederholte er heiser. „Was für Komplikationen?“ Er konnte sich denken, was nun folgen würde, und eine Enge begann sich in seiner Brust auszubreiten. Als Beckett die Hand auf seine Schulter legte, keuchte John auf, sackte nach vorne und schlug sich die Hände vors Gesicht. „Nein“, flüsterte er in seine Handinnenflächen. Er begann heftig mit dem Kopf zu schütteln, schaffte es mit all seiner Kraft den Kopf zu heben und den Arzt anzusehen. „Bitte, sagen Sie mir, dass das nicht wahr ist.“
„Es tut mir leid“, meinte Dr. Beckett und schleuderte ihm dann die grausame Wahrheit um die Ohren, „aber Ihre Frau hatte einen teilweisen Abort.“
John horchte auf. „Teilweise? Was bedeutet das? Das heißt doch…“
„…das eines der Babys noch am Leben ist, ja genau“, schnitt Beckett ihm nickend das Wort ab. „Wir konnten ein Baby retten, doch das andere hat es leider nicht geschafft. Es ist selten, sehr selten sogar, dass nur ein Fötus abgeht. Normalerweise verliert die Mutter beide.“
Normalerweise!?“, echote John erbost, entzog sich der Berührung des Arztes und sprang auf. „Sie lassen es so klingen, als wäre es das normalste auf der Welt.“ Wütend erregt fuhr er sich durch die Haare. Er drehte sich ein paar Mal um seine eigene Achse. „Kann ich sie sehen?“, fragte er. „Ich will zu ihr.“
„Vielleicht sollten Sie ihr noch etwas Zeit geben“, sinnierte Beckett. „Sie-“
John schnaubte. „Ich habe vier Stunden gewartet“, rief er. „Ich halte keine zwei Minuten mehr aus. Also, lassen Sie mich gefälligst zu meiner Frau. Ich will sie sehen. Sofort!“

„Bitte, bitte.“ Beckett hob beschwichtigend die Hände. „Sie müssen hier keinen Aufstand machen. Natürlich können Sie zu ihr, aber bitte bedenken Sie, dass Ihre Frau schwere Stunden hinter sich hat. Sie dürfen sie auf keinen Fall aufregen.“
„Das habe ich auch nicht vor“, schnappte John, zwang sich dann zur Ruhe. Er musste ruhig bleiben. Ruhig. Er musste sich jetzt beruhigen. So konnte er Teyla auf keinen Fall gegenüber treten.

Dr. Beckett bat ihn noch einmal inständig, Teyla nicht aufzuregen, und ließ ihn dann in das verdunkelte Zimmer eintreten. Johns Herz schlug ihm bis zum Hals, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Nun war er allein. Allein mit Teyla und dem quälenden Gedanken, dass er das Leben eines ihrer Kinder auf dem Gewissen hatte.

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Michael musterte die Frau neugierig von der Seite; er stand am Süßigkeitenautomaten und tat so, als könne er sich nicht recht entscheiden, doch in Wirklichkeit interessierte er sich nicht für die trockenen Schokoriegel und die Gummibärchen, sondern für die Frau, die seinem Plan eine so interessante und unerwartete Wendung gegeben hatte.

Larrin war ihr Name- das hatte er aufgeschnappt, als er dem Gespräch zwischen ihr und diesem Sheppard gelauscht hatte. Sie war eine bemerkenswert hübsche Persönlichkeit und von schlanker, athletischer Gestalt. Ihre langen, honigblonden Haare waren sanfte Wellen und flossen über ihre schmalen Schultern. Sie studierte die Anzeige des Kaffeeautomaten aus smaragdgrünen Augen, die das Bild ihres perfekten, Porzellangesichts vervollständigten. Ihr Gesicht sah aus wie gemalt, einziger Makel war eine Handvoll Sommersprossen auf ihrer Nase und eine klitzekleine Falte an ihrem rechten Mundwinkel. Sie trug ein schwarzes Etuikleid, das ihre gute Figur noch unterstrich, und schwarze Pumps, die ihre sowieso schon langen Beine noch länger erschienen ließ.

Für Michael war sie ein Engel in Menschengestalt, der vom Himmel herabgekommen war, nur um ihm zu helfen, seinen Plan durchzuführen. Sie hatte für ihn das erledigt, woran er verzweifelt war. Alles weitere hatte er sich genaustens überlegt, wusste genau, wie er vorgehen wollte. Doch ein kleines Puzzleteil hatte noch gefehlt. Endlich, mit Larrins (unbewusster) Hilfe, war das Bild vollständig. Er sah es schon vor sich. Jetzt, da es ihm gelungen war, Zwiespalt zwischen dem achso glücklichen Paar zu sähen, würde es nicht mehr lange dauern. Eine Woche noch, vielleicht auch nur noch wenige Tage, dann würde er endlich das bekommen, worauf er seit jenem Tag vor einem Jahr gewartet hatte: Rache! Er wollte, dass die beiden litten, Teyla etwas mehr als ihr „Gatte“, schließlich war sie es gewesen, die ihn verletzt hatte. Trotzdem sollte ihm dieser John Sheppard nicht ungeschoren davonkommen, dieser Mistkerl. Für ihn hatte Michael sich etwas ganz Besonderes aufgehoben.

Michael grinste, warf einen viertel Dollar in den Münzschlitz und wählte irgendeinen Schokoriegel aus, der sich, als er hinein biss, als widerlich schmeckendes Zuckerprodukt entpuppte. Michael spie aus, versenkte den Rest im Mülleimer. Dass so etwas überhaupt produziert werden durfte, schimpfte er.
„Sie haben da wohl den falschen erwischt“, mischte sich eine weibliche Stimme ein. Michael sah auf und blickte in Larrins lächelndes Gesicht.
„Ja, kann man wohl sagen“, erwiderte er. „Dieses Zeug ist Karies in bunter Plastikverpackung“, scherzte er.
Larrin schüttelte lachend mit dem Kopf. „Ich rate Ihnen: Lassen Sie die Finger von diesem Zuckerzeugs.“
„Und Sie von diesem Kaffee.“ Michael deutete auf den Automaten.
„Zu spät, befürchte ich“, sagte Larrin und winkte mit ihrem vollen Pappbecher. „Sie haben ja recht“, seufzte sie, trank einen Schluck und verzog das Gesicht. „Dieses Zeug ist übel.“
Michael neigte den Kopf. „Tja, dann sehe ich mich wohl mal wieder gezwungen, einer Dame aus der Not zu helfen. Darf ich Ihnen einen Kaffee spendieren, Miss-“
„Larrin“, fiel sie ihm ins Wort. „Einfach nur Larrin.“
„Larrin“, wiederholte Michael. „Ein schöner Name. Na gut, darf ich Sie zu einem Kaffee einladen, Larrin?“
„Nur, wenn Sie mir Ihren Namen verraten“, stellte Larrin zur Bedingung.
Michael wedelte mit dem Finger. „Sie können gut verhandeln“, schmeichelte er. „Aber ich will ja nicht so sein.“ Er hielt ihr die Hand hin und schüttelte sie, als sie sie ergriff; ihre Hände waren warm und weich. „Ich heiße Michael.“
„Na schön, Michael.“ Larrin lächelte, als sie seinen Namen aussprach. „Ich würde sehr gern eine Tasse Kaffee mit Ihnen trinken.“
„Sehr schön.“ Michael klatschte in die Hände. Warum sollte er sich der Frau, die ihm auf seinem Weg geholfen hatte, nicht erkenntlich zeigen?

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Er hasste Krankenhäuser. Das Zimmer, in dem sie lag, war noch dunkler und unfreundlicher als John es sich vorgestellt hatte. Die Jalousien waren heruntergelassen, die einzige Lichtquelle war eine kleine Stehlampe in der Ecke des Zimmers. Warmes Licht kroch über den Linoleumboden bis hin zum Krankenbett. Es war ein Einzelbettzimmer. Der Anblick des einzelnen Bettes in dem großen Raum behagte John. Er blieb stehen und wollte erst einmal alles auf sich wirken lassen, ehe er sich weiter traute. Er hasste Krankenhäuser!

„John?“ Er nahm eine Regung im Augenwinkel wahr. „Bist du das?“ Ein Flehen lag in ihrer Stimme, die so schrecklich heiser klang und nicht lauter als ein Flüstern war. Im matten Licht sah er Teyla halb aufgerichtet, gegen einen Kissenberg lehnend. Ihre sonst karamellfarbenen Haare schimmerten nun kupferfarben und trotz der Dunkelheit konnte John sehen, wie furchtbar blass sie war. Die Lippen, die er liebte zu küssen, waren aufgesprungen und ihre wunderschönen rehbraunen Augen waren glasig. Ihr Anblick erschreckte ihn.
„Hey“, sagte er matt. Ihm fiel nichts Besseres ein, er wusste nicht, was er zu ihr sagen sollte. Er fürchtete sich, ihr gegenüber treten zu müssen. Ja, er hatte Angst. Er hatte Angst davor, was er sich würde anhören müssen. Dass er Schuld an dem Ganzen war. Dass es nur seine Schuld war, dass das Baby tot war. Dass sie ihn nicht mehr sehen wollte. Dass sie ihn hasste.
„John?“ Teylas Stimme war jetzt mehr ein Wimmern. Tränen blitzten in ihren Augen auf, liefen ihr über die Wangen. Sie weinen zu sehen, weckte Mitleid in ihm. Er hatte sie noch nie weinen sehen können- so auch jetzt nicht.
Er holte einmal tief Luft, bevor er losmarschierte, an ihre Bettseite eilte und sie in die Arme nahm. „Sscht, schon gut“, flüsterte er in ihr Ohr, drückte sie fest an sich. „Ich bin hier.“
„G…geht nicht“, winselte Teyla, die sich an seine Brust schmiegte und in sein Hemd hineinweinte. „B…bitte bleib hier, John.“
John schüttelte mit dem Kopf. „Ich werde nicht gehen“, versprach er hier, hielt sie in seinen Armen und wiegte sie wie ein kleines Kind. Er hatte die Arme fest um sie geschlungen, hielt sie fest und verdrückte selbst ein paar Tränen, während sie sich an seiner Schulter ausweinte, bis ihr keine Tränen mehr blieben.
Ihr ganzer Körper zitterte, als sie sich schließlich zurücklehnte, und schwer aufseufzte. Sie wirkte erschöpft und sah furchtbar mitgenommen aus. Als sie nach unendlich langen Minuten des Schweigens ihre Stimme erhob, war es nicht mehr als ein Flüstern: „Ich…ich habe unser Baby verloren, John. Ich…ich hab’s verloren. Es ist-“
„Nein, Tey, nicht!“, beeilte sich John zu sagen, beugte sich vor und legte ihr einen Finger an die Lippen. Kopfschüttelnd sah er sie an. „Nicht“, wiederholte er, ließ dann aber ein leises ‚Ich weiß’ folgen.
Teylas Hände strichen über ihren Bauch, der sich unter der Bettdecke wölbte. Der Gedanke, dass nur noch ein Baby darin heranwuchs, schmerzte John. Gestern waren sie noch zu viert gewesen, eine richtige kleine Familie und jetzt…Sie hatten schon Pläne gemacht, hatten über Namenslisten gebrütet, sich darüber gestritten, welche Farbe das Kinderzimmer haben sollte. Sie waren zusammen in eine andere Sphäre eingetaucht, als sie vor ein paar Tagen zum ersten Mal einen dieser mit Waren überfüllten Babymärkte betreten und ihn nach einer Stunde mit Kopfschmerzen wieder verlassen hatten. Wie sehr sie sich gefreut hatten, als Teyla die ersten Bewegungen gespürt hatte, er seine Hand auf ihren Bauch gelegt und gerätselt hatte, welches Baby sich bewegte.

Nun war es einfach so vorbei. Auch wenn sie die Gewissheit hatten, dass es dem anderen Baby gut ging, wusste John zum ersten Mal, was es bedeutete ein Kind zu verlieren und wie es sich anfühlte. Es tat weh, der Verlust schmerzte und er hatte das Verlangen einfach nur bitterlich zu weinen, denn es war seine Schuld, dass das Baby tot war.

John setzte sich auf die Bettkante, nahm ihre Hände und küsste sie auf die zarten, blassen Fingerknöchel. „Es…es tut mir so leid, Teyla. Es tut mir so leid“, wiederholte er immer und immer wieder. Er konnte die Tränen nicht mehr länger zurückhalten und so versuchte er es nicht einmal mit Gewalt, er ließ sie einfach laufen. Kalt strömten sie über seine heißen Wangen, tropften auf den Bettbezug, während er sie immer wieder um Verzeihung anflehte und ihr sagte, wie leid es ihm tat.
„Es war ein Mädchen“, hörte er Teyla plötzlich tonlos sagen. Er sah sie an und erschrak in eine regungslose Maske zu blicken.
„Ein Mädchen?“, wiederholte John heftig schluckend. Ihre Miene verunsicherte ihn. Was bedeutete diese Leere in ihrem Blick?
Teyla nickte und John wurde schmerzhaft bewusst, dass sie nicht nur ein Baby verloren hatten, sie hatten ihre Tochter verloren. Ein kleines Wesen, das bestimmt einmal eine Schönheit geworden wäre.
Ein Mädchen, dachte John, was ihn erneut zum Weinen brachte. Es überraschte ihn, dass er derartig die Kontrolle über sich verlieren konnte. Er erinnerte sich nicht daran, in seinem Leben bisher so geweint zu haben. Doch es tat so weh! Er konnte nicht anders. Sein ganzes Leben lang hatte er beherrscht sein müssen. Jetzt hatte er das Gefühl, dass all diese aufgestauten Gefühle aus ihm herausbrachen. Es war nicht nur der Verlust des Kindes, obwohl es sich anfühlte, als hätte man ihm das Herz herausgerissen, es in den Dreck geworfen und trat nun darauf herum. Er wurde mit seiner Vergangenheit konfrontiert, fühlte sich plötzlich wieder in die Zeit zurückversetzt, als seine Mutter gestorben war, und einen Wimpernschlag später fand er sich auf dem New Yorker Friedhof wieder und sah zu, wie man den Sarg seines Vaters der Erde übergab. Und jetzt das!

„John?“ Teyla schien sein jämmerlicher Anblick zu befremden. Das Leben kehrte in sie zurück und mit besorgter Miene sah sie ihm beim Weinen zu.

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Sie hatte ihn noch nie weinen gesehen, außer den wenigen Glückstränen, die er bei ihrer Hochzeit vergossen hatte. Sie hatte ihn noch nie so weinen gesehen.
Er saß auf der Kante ihres Bettes und weinte, doch er weinte nicht einfach so, er weinte bitterlich, hatte die Hände vor sein Gesicht geschlagen und sie hörte ihn schluchzen. Seine breiten Schultern bebten und er zitterte am ganzen Körper.

„John?“, flüsterte sie erschrocken, streckte die Hand nach ihm aus und berührte ihn sanft an der Schulter. Rote, verquollene Augen lugten durch seine Finger hindurch. Langsam nahm er die Hände weg und tränenüberströmte Wangen kamen zum Vorschein. Teyla hielt die Luft an.
Sie hatte ja gar nicht gewusst, dass er so emotional sein konnte. Für sie war er immer die Sorte von Mann gewesen, die nichts umhauen konnte, komme was da wolle. Wie ein starker Fels in der Brandung hatte er dagestanden, hatte alles abgefangen, alles ertragen, hatte die schlimmsten Gerüchte in der New Yorker Klatschpresse wortlos niedergeschmettert. Ihn nun dermaßen heftig reagieren zu sehen, verunsicherte Teyla.
Sie wusste, dass er sich die Schuld für alles gab, und so gern sie ihm auch gesagt hätte, dass es nicht seine Schuld war, es hätte nichts daran geändert, dass er sich schuldig gefühlt hatte und sie immer wieder an das zurückdenken musste, was sie im Büro gesehen hatte.

Teyla schloss kurz die Augen und verdrängte den Gedanken. Darüber könnten sie später noch reden, jetzt war nicht die Zeit, um sich gegenseitig anzuschreien und sich Vorwürfe zu machen.

„Tut mir leid“, gluckste John.
Teyla schüttelte mit dem Kopf. „Es braucht dir nicht leid tun“, beruhigte sie ihn und nahm ihn in die Arme; der starke Mann fühlte sich so zerbrechlich in ihren Armen an, dass sie fürchtete, ihm irgendwie wehtun zu können.
„Es…es tut mir leid“, schluchzte John, seinen Kopf an ihren Brustkorb pressend, die Arme um ihren Leib geschlungen. „Ich wollte das nicht. Hört du? Ich-“
„Ich weiß“, fiel Teyla ihm ins Wort, ihm einen Kuss auf die Stirn drückend. Sie rutschte etwas beiseite, damit sie beide Platz auf der Matratze hatten, drehte sich dann auf die Seite, John, seinerseits, lag auf dem Rücken, den Blick gen Zimmerdecke gerichtet.
„Ich wollte das nicht“, wiederholte er.
„John...“
„Es…es ist einfach so passiert.“ Ein nervöses, ungläubiges Lächeln huschte über seine Lippen. „Ich wollte das nicht, Teyla. Ich weiß auch nicht, warum…“ John brach ab, leckte sich über die Lippen.
Teyla schloss die Augen und seufzte. Sie hatte dieses Thema nicht ansprechen wollen, nun lief es doch darauf hinaus. Die Bilder tauchten wieder vor ihrem geistigen Auge auf; John, wie er die fremde, blonde Frau anlächelte, die mit nackten Füßen vor ihm auf dem Schreibtisch saß. Die beiden, wie sie sich zuprosteten und sich sichtlich zu amüsieren schienen. Die Frau, die sich vorbeugte. John, der seine Arme um ihre Schulter schlang. Die beiden…
Ächzend öffnete Teyla die Augen wieder und ehe sie sich versah, war ihr auch schon ein anklagendes ‚Hast du sie geküsst?’ herausgerutscht.
Neben ihr wurde John ganz still; sein Weinen hörte auf, sein Atmen wurde gleichmäßiger. Er löste seinen Blick von der Zimmerdecke, starrte nun seine Hände an. „Ja“, antwortete er leise. „Ja, ich habe sie geküsst.“
Ja, ich habe sie geküsst, wiederholte Teyla seine Antwort in ihrem Kopf. Er hatte sie geküsst, eine andere Frau. Elizabeth hatte recht. Nur warum? Warum hatte er das getan? War sie ihm nicht mehr genug? War es, weil sie ihm seit Wochen körperliche Liebe verweigerte?
Teyla schluckte. Ihr kam ein schrecklicher Gedanke. Allein die Vorstellung war…schlimm, unerträglich verletzend.
„Schläfst du mit ihr?“, fragte sie mit zittriger Stimme.
„Was!?“ John sah sie ungläubig an, dann wurde seine Miene jedoch wieder neutral. Ein schlechtes Zeichen?
Teyla schluckte ein zweites Mal, bevor sie die Frage wiederholte: „Ich will wissen, John, ob du mit dieser Frau schläfst.“
„Nein“, antwortete John augenblicklich. „Ich schlafe nicht mit ihr. Das würde ich nie tun. Das, was du gesehen hast, war ein schlimmes…Missverständnis. Es hätte nie passieren dürfen und ich schäme mich wirklich sehr dafür.“
„Du hast sie geküsst“, krähte Teyla.
„Ja, ich habe sie geküsst“, gestand John, „und das war ein Fehler. Ich wünschte ich könnte es rückgängig machen, Tey, aber das kann ich nicht. Das einzige, was ich kann, ist dich um Verzeihung bitten. Bitte, es tut mir leid.“

Verzweiflung stand in seinen grünen Augen geschrieben. Verzweiflung darüber, was er getan hatte, was daraus erfolgt war. Verzweiflung darüber, dass es so weit gekommen war und sie beide nun hier waren.

Der Druck in ihrer Kehle brach als ein lauter Schluchzer hervor und Teyla schlang die Arme um den Hals ihres Mannes. Die Tränen liefen ihr nun unkontrolliert über die Wangen, durchnässten den dünnen Stoff von Johns Hemd. Sie wusste nicht, ob sie weinte, weil sie erleichtert war, dass sich alles als ein großes Missverständnis herausgestellt hatte, oder weil ihr plötzlich klar wurde, was dieses Missverständnis zur Folge hatte, nämlich, dass sie eines ihrer Babys verloren hatte.
Als sie sich aus Johns Umarmung löste und ihn durch ihren Tränenschleier ansah, glaubte sie plötzlich diesen Ausdruck in seinen Augen deuten zu können, der ihr sofort aufgefallen war, als er sich zu ihr gesetzt hatte.
Es war der Ausdruck der Schuld.

TBC
Sühne by Nyada
Author's Notes:
A/N:In diesem Kapitel gibt es wieder einen kleinen Zeitsprung. Des Weiteren eine POV-Sicht, aber ich verrate nicht, von wem.
This is the way you left me,
I'm not pretending.
No hope, no love, no glory,
No Happy Ending.
This is the way that we love,
Like it's forever.
Then live the rest of our life,
But not together.
Mika – Happy Ending


Ich hatte nie besonders große Angst vor dem Sterben- aber Respekt. Der Tod war für mich immer präsent in meinem Leben, doch trotzdem so unbegreifbar. Ich fürchtete mich nie vor meinem eigenen Tod, ja, manchmal ließ ich meine Gedanken schweifen und stellte mir vor, wie ich sterben würde. Zuerst waren es die Gedanken eines kleinen, dummen Jungen, der sich vorstellte, als Held zu sterben, nachdem er die Frau gerettet hatte, die er liebte und die ihn liebte. Dass es tatsächlich eine Frau sein würde, wegen der ich sterben würde, konnte ich damals noch nicht wissen.

Man sagt, dass, wenn man stirbt, das Leben vor den Augen noch einmal abgespielt wird. Das ganze Leben innerhalb eines Sekundenbruchteils. Ich hatte das nie für möglich gehalten und war demnach gespannt, ob diese Behauptung wirklich stimmte. Wie enttäuscht ich doch war, als es nicht mein Leben war, das ich sah, sondern meine Fehler, die ich begangen hatte. Ich hatte alles erwartet, nur nicht…das! Wer wollte denn schon beim Sterben sehen, was für Fehler er gemacht hatte?

Ich seufzte, als plötzlich vor meinem geistigen Auge das enttäuschte Gesicht meiner Ex-Frau auftauchte. Ich erinnerte mich noch ganz genau an den Tag, an dem ich ihr offenbarte, dass ich mich endgültig von ihr trennen wollte. Sie hatte die Nachricht der Scheidung positiver aufgenommen, als ich gedacht hatte, doch ich konnte in ihrem Gesicht sehen, wie sehr ihr sie verletzt hatte.

Plötzlich sah ich meinen wutentbrannten Vater durch die Gänge unseres Hauses hetzen. Das war einen Monat vor seinem Tod- wir hatten uns fürchterlich gestritten. Hinterher tat es mir leid, dass ich ihn angeschrieen hatte, und noch heute hasse ich mich dafür, dass ich nicht Manns genug gewesen war, mich bei ihm zu entschuldigen. Nun war es zu spät. Nicht nur er war tot, ich würde es auch gleich sein.


ooOOoo

Eine Woche zuvor


Teyla seufzte, stützte ihren Ellenbogen gegen die edle Autotürverkleidung von Johns Wagen und schaute aus dem Fenster, genoss den Anblick der vorbei fliegenden Bäume, die rechts und links die schmale Straße säumten, durch die John sein schwarzes Aston Martin Coupé steuerte.
Sie hatte es schon vor einer halben Stunde aufgegeben, herausfinden zu wollen, wohin sie fuhren, wenngleich sie eine Erklärung erwartete. John hatte sie von der Arbeit abgeholt und von ihr verlangt, in den Wagen einzusteigen. Er wolle ihr etwas zeigen, hatte er seine Tat begründet, doch was er ihr zeigen wollte und vor allem was wichtiger war als ihre Arbeit, hatte er ihr bis jetzt nicht verraten…
…und sie war sich sicher, dass er es nicht tun würde, bevor sie ihr Ziel nicht erreicht hatten.

Manchmal liebte sie ihn dafür, dass er dermaßen selbstbeherrscht sein und ein Geheimnis für sich bewahren konnte… und manchmal hasste sie ihn für diese Eigenschaft. Je länger sie unterwegs waren, desto größer wurde ihre Neugierde und desto öfter schaute sie aus dem Fenster, um einen Anhaltspunkt erhaschen zu können, wohin er sie brachte. Wenn er es ihr schon nicht sagen wollte…

Der Wagen wurde langsamer und nachdem John den Blinker gesetzt hatte, bog er in eine noch schmalere Straße ein, die ebenfalls von hohen, alten Bäumen flankiert wurde; im Schatten des dichten, herbstlichen Blätterwerks parkten unzählige Autos am Straßenrand…
… und Teyla glaubte sich plötzlich an diesen Ort erinnern zu können. Ihre Erinnerung war nicht ganz klar, aber sie war sich sicher, hier schon einmal gewesen zu sein. Sie lehnte sich leicht vor, sah aus der Frontscheibe des Wagens und betrachtete die kleinen Häuschen, an denen sie vorbeifuhren.
Die Häuser stammten größtenteils noch aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg und waren wie ihre Wohnung damals in Greenwich Village liebevoll restauriert worden. Vor den Haustüren befanden sich schnuckelige Vorgärten. Die Front der Häuser bestand meistens aus einem großen Fenster und einer Einganstür im Erdgeschoss, zwei Fenstern im ersten und ebenfalls zwei Fenstern im Obergeschoss; insgesamt hatten die Häuser alle drei Stockwerke.
Die Mauern der Häuser waren aus dunklem Backstein, der zwar alt aussah, es aber nicht war. Die Außenwände waren nicht älter als zwanzig Jahre, manche Häuser waren erst innerhalb der letzten fünf Jahre restauriert worden. Der Charme ‚der guten, alten Zeit’ war jedoch erhalten geblieben.
Während Teyla so ein Haus nach dem anderen betrachtete, fiel ihr plötzlich wieder ein, woher ihr diese Gegend nur so bekannt vorkam.

John parkte den Wagen genau in dem Moment, als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel und sie in dem Haus, vor dem sie hielten, ihr Haus erkannte. Nun ja, es war nicht wirklich ihr Haus. Sie hatten es ein paar Wochen nach der Hochzeit besichtigt, hatten dann aber doch beschlossen vorerst in Johns noblen Manhattaner Penthouse wohnen zu bleiben- sehr zu Teylas Leidwesen, denn erst hinterher war ihr klar geworden, wie sehr ihr dieses Haus gefallen hatte.
Es war perfekt und obwohl es sich nicht groß von den anderen Häusern in der Straße unterschied, war es für Teyla etwas Besonderes. Die leuchtend weiße Eingangstür stach aus der Masse hervor und harmonierte perfekt mit den ebenfalls weiten Fensterläden
Teyla liebte dieses Haus und nun, da sie im Wagen saß und hinaus, auf die weiße Eingangstür blickte, schlug ihr Herz bis zum Hals. Sich ganz langsam im Sitz zu ihrem Mann umdrehend, begann sie nervös zu lächeln. „John? Du…du hast doch nicht etwa…“ Als er zu Grinsen anfing, überschlug sich ihr Herz in ihrer Brust.
„Ich hoffe dir gefällt’s“, griente er und zog den Schlüssel aus dem Zündschloss. „Hat mich nämlich eine Menge Überzeugungsarbeit gekostet.“
„Du hast es…gekauft?“ Teyla wagte es kaum, die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, denn sie wusste, wie begehrt diese Häuser im Herzen Manhattans waren.
Johns Lächeln wurde weicher. „Die Marklerin war zugegeben etwas hartnäckig und wollte mir das Haus erst nicht verkaufen“, berichtete er. „Aber wir sind doch noch zu einer Lösung gekommen. Das…“ Er deutete aus dem Fenster „…ist jetzt unser Haus.“
„Unser Haus“, stammelte Teyla und deutete vage in die Richtung des Hauses.
Unser Haus“, bestätigte John ihr, lehnte sich zu ihr herüber und küsste sie sanft auf die Lippen. „Ich meine, so eine Stadtwohnung in einem Wolkenkratzer ist nichts für ein kleines Kind, also-“
Teyla fiel ihm mit einem innigen Kuss ins Wort. Sie konnte nicht glauben, was er getan hatte, dass er das Haus gekauft hatte. Sie wusste nicht, wie sie ihm danken sollte, presste deswegen einfach ihre Lippen auf die seinen, senkte ihren Mund heiß auf seinen.
Als sie sich zurücklehnte, sah sie ihn lächeln.

„Wollen wir reingehen?“, fragte er und winkte mit dem Schlüssel in seiner rechten Hand.
„Jetzt?“, flüsterte sie, als ob sie fürchtete etwas Falsches zu sagen und aus diesem wundervollen Traum zu erwachen.
John nickte. „Jetzt“, sagte er entschlossen, stieg aus, lief vorne um den Wagen herum, öffnete die Beifahrertür und half ihr beim Aussteigen aus seinem niedrigen Wagen. „Genau jetzt“, wiederholte er augenzwinkernd und hauchte ihr einen Kuss auf den Handrücken.

Teyla wusste gar nicht, wie ihr geschah. Als sie Hand in Hand mit John die Treppenstufen zur Eingangstür erklomm, begann ihr Herz noch schneller in ihrer Brust zu schlagen und ihr ungeborenes Baby strampelte munter in ihrem Bauch.
Sie konnte nicht glauben, dass er das Haus tatsächlich gekauft hatte, und ausgerechnet jetzt. Was war für ihn der Ausschlag gewesen? Teyla konnte sich über ihren Mann nur wundern. Er hatte nicht nur Talent, Geheimnisse für sich zu behalten, sondern war auch dafür bekannt, dass er ohne sehbaren Grund die verrücktesten Dinge anstellte. John war ein spontaner Mensch, der mehr aus dem Bauch heraus entschied, als länger über etwas nachzudenken. Er war ein Emotions- und Gefühlsmensch, kein Denker.
Allerdings beantwortete ihr das nicht die Frage nach dem Warum. Warum hatte er das Haus gekauft? Und warum jetzt? Das Baby würde bald auf die Welt kommen, der Geburtstermin war in acht Wochen. Sie war im achten Monat und konnte in diesem Zustand unmöglich einen Umzug bewältigen. Was, also, hatte er sich bei der Sache gedacht?

Als John die Tür aufgeschlossen hatte und sie beide die kleine Vorhalle des Hauses betraten, steigerte sich ihre Neugierde ins Unermessliche. Die Vorhalle war großzügig angelegt, perfekt für kleine Kinder zum Herumtollen, Spielen und sich jagen. Eine breite Treppe führe hinauf in den ersten Stock, entlang einer in einem zarten Cremeton gestrichenen Wand, mit weißer Stuckleiste.

„Komm schon“, drängte John sie, obwohl sie sich noch an jede Kleinigkeit erinnerte. Seit sie vor mehr als einem Jahr hier gewesen waren, hatte sich nichts verändert. Die Räume waren immer noch hell und klar und versprühten immer noch den alten Charme. In sämtlichen Zimmern war teurer Parkettboden verlegt und das besondere Highlight im großen, freundlichen Wohn-/Esszimmer war ein gemauerter Kamin.
„Nicht so schnell“, bat Teyla ihn lachend, als er sie durch alle Räume des Untergeschosses hinter sich herzog, einschließlich der hellen Küche, die modern eingerichtet war und klare Strukturen hatte.

„Es gibt noch so viel, was ich dir gerne zeigen möchte“, wisperte John, als sie im geräumigen Wohnzimmer eine kurze Pause einlegten.
„Wir haben uns dieses Haus doch schon einmal angesehen“, erinnerte sie ihn, liebevoll durch sein dunkles, wirres Haar streichend. Als sie das Funkeln in seinen grünen Augen bemerkte, kam ihr ein Verdacht. Sie kniff kurz die Lippen aufeinander und fragte dann: „Wann hast du es gekauft?“
„Spielt das denn eine Rolle?“, stellte John die Gegenfrage, schlang die Arme um ihre Taille und küsste sie kurz und zärtlich auf den Mund.
„John“, rügte Teyla ihn, die Arme vor der Brust verschränkend. „Wann?“
Er seufzte. „Vor zwei Monaten“, gestand er. „An dem Tag, als du aus dem Krankenhaus entlassen wurdest. Ich wollte, dass wir irgendetwas… Festes haben. Etwas mit Persönlichkeit. Ich wollte nicht, dass unser Baby in einer überteuerten, leblosen Wohnung aufwächst.“
„Wie theatralisch du sein kannst“, lächelte Teyla, hob ihre Hand und legte sie ihm an die Wange. Gerührt, wie er mit einem versonnenen Lächeln über ihren Bauch streichelte, stellte sie sich auf Zehenspitzen und drückte ihm einen weiteren Kuss auf den Mund.
„Gefällt’s dir?“, spürte sie ihn gegen ihre Lippen reden.
Sie nickte. „Und wie. Könntest du ruhig öfters machen“, kicherte sie, legte dann die Hände an seinen Nacken und sah ihm tief in die Augen. „Danke, John.“
Er lächelte sanft. „Nicht dafür“, sagte er leise. „Warte erst, bis du den ganzen Rest gesehen hast.“
„Den…Rest?“, echote sie.

John nahm sie wieder bei der Hand und führte sie aus der Küche hinaus, die Treppe hinauf, den Flur im ersten Stock entlang. Vor der Tür am Ende des Ganges blieb er stehen und befahl ihr mit ruhiger Stimme: „Mach die Augen zu!“
„Wie bitte?“ Teyla drehte sich leicht verwirrt zu ihm um.
„Mach bitte die Augen zu“, bat er sie erneut. „Komm schon, Babe, verdirb mir nicht den ganzen Spaß.“
Teyla schmunzelte, tat dann aber wie ihr geheißen worden war und schloss ihre Augen.

„Ich weiß, dass du mich vielleicht für verrückt erklären wirst, aber ich konnte einfach nicht anders“, erklärte John ihr, nahm sie vorsichtig an den Armen. Sie hörte wie er die Tür öffnete und sie in den warmen und hellen Raum hereinführte, in dem es nach frischer Farbe und Holz roch.
„John?“, sagte Teyla unsicher, als er sie gleich hinter der Tür zum Stehen brachte und sich hinter sie stellte. „Kann ich-“
„Du kannst die Augen aufmachen“, gab er ihr Bescheid und noch bevor sie blinzelnd die Augen öffnete, fügte er hinzu: „Sag erst einmal nichts. Lass es einfach auf dich wirken, ja?“

Der Anblick, der sich Teyla bot, als sie endlich die Augen öffnete, verschlug ihr die Sprache. Sie hielt überrascht die Luft an, spürte schon im nächsten Augenblick, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen.
Vor ihr lag ein großer, quadratischer Raum, dessen Wände in einem hellen, angenehmen Zitronengelb gestrichen waren. Das Licht fiel durch ein großes Fenster herein, leuchtete den ganzen Raum aus und zeichnete bizarre Schatten auf den hellen Parkettboden. Eines der Fenster war geöffnet und trug eine laue Brise herein.
Teylas Kinnlade klappte herunter. Sie konnte nicht glauben, was sie sah- mal wieder. Es war ein Zimmer, aber nicht irgendein Zimmer sondern ein Kinderzimmer oder besser ausgedrückt ein Babyzimmer. Eine Wiege aus geweißeltem Haus stand zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken ein gemütlich aussehender Sessel, in den man sich sinken lassen konnte, nachdem man das Baby ins Bett gebracht hatte.
An den gelbgestrichenen Wänden hingen Bilder und Fotografien von den Orten der Welt, die John während seiner vielen Dienstreisen besucht hatte, und eines der Kunstwerke erkannte Teyla als eines von Evan.

Der Raum sprühte nur so vor Freundlichkeit und Liebe. Die hellen, klaren Farben und die Möbel aus hellem Holz gaben ihm eine klar erkennbare Linie. Er war schlichtweg…Teyla suchte nach dem richtigen Wort, aber es wollte ihr partout nicht einfallen. Perfekt traf es nicht ganz, denn das hier war mehr als perfekt.
Es war so…John. Das Alles hier trug seine Handschrift. Eine liebevolle, wenngleich verrückte Handschrift, die Teyla zu Tränen rührte. Auf so etwas konnte nur er kommen.
„Du…du bist verrückt“, lächelte sie ergriffen; ein leises Schluchzen mischte sich unter ihre zitternde Stimme.
„Wie findest du’s?“, fragte John, von hinten die Arme um ihren Leib schlingend. Er küsste sie auf die Wange, legte dann sein Kinn auf ihrer Schulter ab.
„Es ist…“ Sie suchte nach den richtigen Worten, aber das Einzige, was ihr spontan einfiel war wundervoll. „Absolut wundervoll. Du hast das alles gemacht?“, fragte sie ihn. Plötzlich schien sich die Frage zu beantworten, warum er die letzten Wochen selten zuhause gewesen war, abends erst spät nachhause kam und ihr nicht verraten wollte, wo er gewesen war. Nach der Sache mit Larrin vor ein paar Monaten hatte sie das Schlimmste befürchtet. Nun lösten sich ihre Sorgen in Luft auf.
„Sagen wir es so: Ich hatte etwas Hilfe“, antwortete John auf ihre Frage und seinem Grinsen nach zu urteilen, dachte er an genau dasselbe wie Teyla.
„Hast du überhaupt irgendetwas in diesem Raum gemacht?“ Sie musste schmunzeln, denn es war weit und breit bekannt, dass John Sheppard nicht einmal einen Nagel in die Wand schlagen konnte, ohne dass etwas schiefging.

John entließ sie aus seinen Armen, damit sie sich in dem Zimmer genauer umsehen konnte. Er, seinerseits, blieb im Türrahmen stehen und beobachtete sie dabei, wie sie mit großen Augen durch den Raum streifte.
Sie schlenderte erst ziellos durch den Raum, kreiste in der Mitte einige Male hin und her, ehe sie auf die Wiege zusteuerte. Die Hand ausstreckend, strich sie über das helle, weiche Holz und betrachtete die Fotografie, die über der Wiege hing. Sie zeigte einen nebligen Sonnenaufgang im Himalajagebirge. Teyla erinnerte sich nur zu gut an dieses Bild und an seine Geschichte.
„Ich fand es als passend“, bemerkte John, der nun zu ihr herüber geschlendert kam und das große Bild ebenfalls ins Auge fasste. Er lehnte sich neben sie mit den Ellenbogen auf das Holz der Wiege und lächelte leicht.
Sein Blick war noch immer auf das Bild gerichtet, als er leise meinte: „An dem Morgen wusste ich, dass du diejenige bist, mit der ich mein restliches Leben verbringen will.“

Teyla schmunzelte. Sie erinnerte sich an den Tag, an dem sie ihm vom Flughafen abgeholt und er dieses bubenhafte Grinsen im Gesicht gehabt hatte. Bereits dort ahnte sie, dass etwas im Busch war und als sie schließlich am Abend in ein teures Restaurant ausführte, nach der Vorspeise dort vor ihr auf die Knie ging und sie bat seine Frau zu werden, bestätigte sich dieser Verdacht. Es war fast so, als hätte er auf dieser Reise zu sich selbst gefunden und verstanden, was er wirklich wollte.
„Ja, es passt“, erwiderte sie und lehnte sich gegen ihn, hob ihren Kopf nach wenigen Sekunden allerdings wieder an und sah sich um. „Es passt alles. Du hast dir wirklich Mühe gegeben“, lächelte sie. „Es ist einfach wunderschön.“
John zog sie zu sich und sie kuschelte sich an seine Brust. „Denkst du dir wird es hier gefallen?“, hörte sie ihn fragen.
„Ob es mir gefallen wird?“ Teyla sah auf. „Natürlich wird es mir hier gefallen. Es ist nur…“ Sie runzelte nachdenklich die Stirn.
„Es ist nur was?“, hakte John nach, legte den Finger unter ihr Kinn und hob es an. „Was ist? Ist irgendetwas nicht in Ordnung?“
„Doch, doch.“ Teyla schüttelte mit dem Kopf. „Es ist perfekt, John. Ich habe mir immer gewünscht, in so einem Haus zu leben, aber…“ Sie seufzte und beschloss ehrlich zu sein. „Wie sollen wir das alles schaffen? Es sind nur noch acht Wochen. Das Baby kommt bald und ich weiß wirklich nicht, wie ich jetzt einen Umzug schaffen soll.“
„Du wirst gar nichts machen, hörst du?“ John erhob den Finger gegen sie, spielte kurz den Strengen, küsste sie dann aber auf die Wange. „Keine Sorge“, beruhigte er sie, „es ist schon alles geregelt. Ich habe dafür gesorgt, dass alles innerhalb von zwei Wochen abgeschlossen sein wird und dass du keinen Finger krümmen müsst.“
Teyla kniff die Augen zusammen. „Du hast doch nicht wieder meine Kollegen bestochen, oder?“
John grinste. „Nein“, antwortete er. Er legte den Arm um sie und führte sie aus dem Kinderzimmer heraus. „Die Möbelpacker kommen morgen.“
„Morgen schon?“, rief Teyla aus. „Das heißt, ich-“
„Du machst gar nichts, meine Liebe“, fiel John ihr ins Wort. „Das Einzige, was ich dir erlauben werde, ist das Einpacken des Geschirrs. Und du darfst die schwerschuftenden Arbeiter mit Getränken versorgen.“
„Aha“, machte Teyla, „dafür bin ich also noch gut genug?“
John seufzte und lächelte schwach. „Ich will einfach nicht, dass dir und dem Baby was passiert“, sagte er besorgt. „Du weißt, dass Dr. Beckett gesagt hat, dass du dich schonen sollst. Und das heißt: Kein schweres Heben, keine Anstrengungen, kein Stress. Also, wirst du mit deinem lieblichen, schwangeren Hintern morgen schön auf dem Sofa sitzen bleiben. Hast du gehört?“
Teyla nickte geknirscht und bekam zur Belohnung einen Kuss auf die Wange.

ooOOoo

Eine Woche später


Ich nahm den Wagen, der plötzlich aus einer Seitenstraße geschossen kam und direkt auf mich zuraste, nur verschwommen war. Ich war stets ein disziplinierter Autofahrer gewesen, hatte in zwanzig Jahren keinen einzigen Unfall gehabt… und reagierte deshalb auch so, wie man es von einem anständigen New Yorker Autofahrer erwartete.
Ich riss das Lenkrad herum, trat gleichzeitig auf die Bremse. Die Reifen quietschten gequält auf und rutschten über den regennassen Asphalt. Der Geruch oder vielmehr Gestank von verbranntem Gummi stieg mir in die Nase. Das Hinterteil meines Wagens scherte erst nach links aus, rutschte dann aber nach rechts, als der andere Wagen frontal in die Seite raste. Ich trat noch immer auf die Bremse, obwohl ich wusste, dass es zu spät war.

Alles um mich herum geschah nun in Zeitraffer… und trotzdem so unglaublich schnell, dass ich nicht begreifen konnte, was geschehen war. Ehe ich mich versah, kippte mein Wagen. Die Seite, auf der ich saß, hob sich und es gelang mir, einen Blick auf den Fahrer des anderen Wagens zu werfen. War das nicht…
Ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, wen ich am Steuer des anderen Wagens gesehen hatte, musste ich die Hände hochreißen, um mich am Dach und der Tür abzustützen. Als sich mein Wagen überschlug, wusste ich nicht wo mir der Kopf stand, geschweige denn wo oben und unten war. Für einen Moment fühlte es sich an, als würde ich im Innenraum schwebe…
…doch dann fand mich die Schwerkraft abrupt wieder.


Der Wagen schlug auf dem Dach auf. Der Aufprall riss mich brutal nach vorne in den Gurt, schleuderte mich dann aber sofort wieder in den Sitz zurück. Die Scheiben um mich herum zerbarsten und Hunderte kleinster Glassplitter flogen mir ins Gesicht, bohrten sich in meine Arme, fraßen sich durch den Stoff meiner Kleidung. Überall, an meinem ganzen Körper, konnte ich die schmerzenden Stiche spüren. Unbeholfen flogen meine Gliedmaßen durch die Luft. Ich konnte keine Kontrolle darüber gewinnen und der Wagen überschlug sich noch immer. Mein rechter Arm knallte irgendwo gegen, der Schmerz zog stechend heiß durch meinen gesamten Oberkörper. Dann spürte ich, wie der Wagen an Geschwindigkeit verlor. Und dann war plötzlich noch etwas anderes im Weg. Mit einer enormen Wucht wurde der Wagen abgebremst. Das Metall des Wagens kreischte förmlich auf, als die Karosserie zerdrückt wurde.
Mein Kopf schnellte zur Seite und traf hart eine Kante des Wagens. Der Aufprall verursachte höllische Schmerzen, reichte aus, um mich für den Bruchteil einer Sekunde ohnmächtig werden zu lassen. Das Gefühl der herannahenden Bewusstlosigkeit ummantelte mich und schon bald sorgten die Schmerzen dafür, dass ich entkräftet die Augen schloss und sie nicht mehr öffnen wollte.

Also schloss ich meine Augen, atmete ein letztes Mal tief ein, bevor sich das dumpfe Gefühl über meinen Körper legte und die Welt um mich herum zu Stillstand kam.


ooOOoo


Es war die erste richtige Mahlzeit, die Teyla in ihrem neuen Domizil zubereitet hatte und die nicht aus einer Dose Würstchen und Kartoffelsalat aus dem Kühlregal bestand. Die Möbelpacker, Bauarbeiter und Inneneinrichter waren verschwunden und mit ihnen- Gott sei Dank- auch ihre ungesunden Essensgewohnheiten. Eine Woche lang hatte Teyla nichts anderes getan, als die hungrigen Mäuler zu stopfen, von denen nicht gerade wenig ihr Haus bevölkert hatten. Eine Woche lang nur Fertigessen! Wie froh sie doch war, das Haus nun endlich wieder für sich allein zu haben und nicht ständig, in jedem Raum, auf jemanden zu stoßen, den sie nicht kannte. Das sollte nicht heißen, dass sie den Männern nicht dankbar für ihre Arbeit war. Nein, sie war einfach nur froh, dass das Chaos größtenteils beseitigt und sie wieder allein war.

Teyla tat sich eine großzügige Portion Spaghetti Carbonara auf den Teller, schlurfte dann ins Wohnzimmer und ließ sich auf der Couch nieder, das einzige Möbelstück in diesem Raum, der noch etwas leer wirkte. Nicht einmal Gardinen hingen vor den Fenstern, aber es war nicht zu erwarten, dass die Nachbarn stierten. Die Gegend, in dem sie das Haus gekauft hatten, war eine der vornehmsten in New York und wer hier hinzog bestand schon auf seine Privatsphäre und musste sich auch nicht vor Spannern oder sonstigen zwielichtigen Gestalten fürchten. Diese Wohngegend war perfekt für all diejenigen, die dem Stress und Lärm Manhattans entkommen wollten, aber dennoch nahe am pulsierenden Zentrum der Stadt sein wollten… und das nötige Kleingeld in der Tasche hatten.
Teyla hatte John nicht gefragt, wie viel er für dieses schnuckelige Häuschen in angenehmer Lage hatte hinblättern müssen und sie war sich sicher, dass er es ihr sowieso nicht gesagt hätte. Eines hatte sie in den letzten zwei Jahren gelernt: John mochte zwar vermögend sein, aber er sprach nicht gern über Geld. Es ausgeben, ja, das tat er eigentlich ganz gern, doch nicht für sich, vielmehr für sie. Aber darüber sprechen, wie viel er denn nun auf dem Konto hatte? Nein, das war ein Tabuthema.
Genau genommen interessierte es Teyla auch nicht, wie viel ihr Gatte auf dem Konto hatte, sie hatte ihn schließlich nicht des Geldes wegen geheiratet, auch wenn manche, besonders die New Yorker Klatschpresse- ihr das vorwarfen. Nein, sie liebte ihn wirklich. Sie liebte ihn, seit sie ihn das erste Mal gesehen hatte, ganz gleich, dass man ihm damals vorgeworfen hatte, Camille Wray ermordet zu haben. Sie hatte ihn die ganze Zeit über geliebt, die ganzen zwei Jahre lang und ihr war es egal, das böse Zungen behaupteten, er würde es nicht ernst mit ihr meinen.

Ärgerlich drehte Teyla ein paar Spaghettis auf ihre Gabel auf und steckte sie sich in den Mund. Wieso behaupteten diese schmierigen Reporter eigentlich, dass sie John besser kannten als sie es tat? Sie war seine Frau, die Reporter schlichtweg sensationsgeil. Sie war diejenige, die seit nunmehr zwei Jahren an seiner Seite war und ihn stets bei allem unterstützt hatte. Sie hatte ihn zu allen Events, Charityveranstaltungen und Vernissagen begleitet. Sie teilte jeden Abend mit ihm das Bett und sie war es, die sein Kind erwartete.
Teyla war sich sicher, dass John sie auch liebte, nicht zuletzt wegen seinem ungeborenen Kind, das in ihr heranwuchs. Sie hatten in der Vergangenheit zwar einige Probleme gehabt- die von der Presse sehr zelebriert worden waren-, aber im Laufe der Zeit, war ihr Band immer enger und fester geworden. Es war ganz einfach: Sie liebte ihn und er, er liebte sie. Da war nichts, auf was die Presse sich hätte stürzen können, denn sie waren glücklich, sie liebten einander und ließen es jeden wissen.

Teyla stellte den leeren Teller beiseite, als sie aufgegessen hatte, und lehnte sich zurück. Der Gedanke, dass sie ganz allein in diesem riesigen Haus war, wirkte nun doch etwas merkwürdig und sie fühlte sich verlassen. Eine Woche lang war sie von Menschen umgeben gewesen und es war laut gewesen. Nun waren sie alle weg. Die Möbelpacker, die den Großteil ihres Hab und Guts aus Johns Penthouse hierher transportiert und teilweise aufgebaut hatten. Die Bauarbeiter, die die restlichen Arbeiten fertig gestellt hatten. Der Innenarchitekt, der stets geschäftig mit seinem Klemmbrett herumgelaufen war und dabei herumgebrüllt hatte, als ginge es um die Renovierung des Buckingham Palace. Und auch John war nicht anwesend, denn er war für ein paar Tage geschäftlich verreist und würde erst in zwei Tagen wiederkommen.
'Jetzt bin ich also allein', dachte sich Teyla… und wurde prompt von ihrem Ungeborenen mit einem Tritt daran erinnert, dass dem nicht so war. „Schon gut, schon gut“, lachte sie und legte ihre Hand auf ihrem Bauch ab. „Jetzt sind wir also allein. Nur du und ich“, sprach sie zu ihrem Baby. „Hey, vielleicht sollten wir die Zeit nutzen, bevor dein Daddy wiederkommt und uns beide bemuttert. Was meinst du?“
Das Baby strampelte kräftig und drückte von innen mit seinem kleinen Füßchen gegen ihre Bauchdecke.
„Das ist eine gute Idee, nicht wahr?“, sagte Teyla und richtete sich mühsam auf. Sie sammelte ihren Teller ein und schlenderte zurück in die Küche, stellte ihn dort ab und öffnete das Kühlfach, das prall gefüllt war mit allerlei Eissorten, die John ihr vor seiner Abreise noch besorgt hatte. Eine Packung 'Cookie Dough' von Ben & Jerry’s stach ihr ins Auge und ohne lange zu Zögern beschloss sie, sich mit einem Löffel darüber herzumachen. Zum Teufel mit den Kalorien, sie war schließlich schwanger!

Mit dem Löffel voller Eiscreme im Mund, machte sich Teyla auf den Rückweg ins Wohnzimmer, als es plötzlich an der Tür klingelte. Murrend und äußerst widerwillig stellte sie den Becher Eiscreme ab und beeilte sich zu Eingangstür zu gelangen. Sie fragte sich, wer wohl um diese Uhrzeit zu ihr wollte, denn sie erwartete niemanden. Ihre Kollegen arbeiteten und sie glaubte nicht, dass Johns Geschäftspartner seine neue Adresse bereits wussten und wenn doch, hätten sie ihn im Büro aufgesucht, wo man ihnen gesagt hätte, dass Mr. Sheppard leider im Moment nicht im Hause war.
Durch das Emailleglas spähend, machte Teyla zwei Männer aus, die vor der Tür standen und darauf warteten, dass man ihnen öffnete. 'Vielleicht zwei Arbeiter', die etwas vergessen haben, dachte sie sich und öffnete die Haustür.
Doch es waren weder zwei Möbelpacker, noch zwei Bauarbeiter und wie Innenarchitekten sahen die zwei Männer auch nicht aus. Eher wie zwei Polizisten. Zwei Polizisten mit unglaublich ernster Miene.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte Teyla die beiden. Sie kannte sie nicht, also vermutete sie, dass sie nicht dem Police Departement Precinct 19 zugeteilt waren, auf dem auch sie bis vor einer Woche noch gearbeitet hatte.
„Mrs. Sheppard?“, erkundigte sich der Kleinere von beiden.
Sie nickte. „Ja, das bin ich“, erwiderte sie… und bekam mit einem Mal ein fürchterliches Gefühl. Irgendetwas stimmte nicht. „Kann…kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie noch einmal und hoffte, dass die beiden das Zittern in ihrer Stimmte nicht bemerkten. Irgendetwas stimmte nicht, kreischte eine Stimme in ihrem Kopf. Sie kannte solche Szenarios, sie hatte selbst oft Miene genug mit ernster vor den Türen anderer Leute gestanden. Sie war oft genug selbst in der Situation gewesen, anderen Leuten zu sagen, dass es etwas passiert war.
Dass etwas passiert war, hallte es in ihrem Kopf nach und seinen Sekundenbruchteil später schlug ihre innere Stimme Alarm. John, schoss es ihr durch den Kopf und sie flehte, dass es ihm gut ging.
„Es geht um Ihren Mann, Ma’am“, erklärte der kleine Polizist das Anliegen… und bestätigte damit, ohne es zu wissen, ihre Befürchtungen.
Teyla schnappte nach Luft. „Was…was ist mit ihm?“ Sie traute sich kaum zu fragen. Nein, flehte sie. Nein, bitte nicht.
Zum ersten Mal zeigte sich eine Regung in den Gesichtern der beiden jungen Polizisten. Der eine senkte den Blick, während der andere sich verlegen auf die Unterlippe biss, den traurigen Blick seiner meeresblauen Augen auf sie richtete und die Worte aussprach, die ihre Welt bis in die Grundfesten erschütterten und ihr den Boden unter den Füßen wegrissen.

„Es gab einen Unfall, bei dem Ihr Mann schwer verletzt wurde.“

ooOOoo


Es heißt, der Körper spürt, wenn das Ableben herannaht. Nun ja, ich hatte noch nie das ‚Vergnügen’ dieses Gefühl zu verspüren… aber jetzt, wo mich von einer Sekunde zur nächsten dieses eiskalte Schaudern übermannte, wurde mir ganz anders. Es war wie, als legte man sich splitterfasernackt in den Schnee, alles wurde taub, die Geräusche um dich herum verstummten und für einen Moment verspürte ich nichts als Ruhe. Diese innere Ruhe war herrlich.
Mich interessierte es nicht, dass um mich herum wieder das Chaos ausbrach, dass die Ärzte um mich herumzulaufen begannen. Mich interessierte es nicht, dass der Monitor, an dem ich angeschlossen war, Alarm schlug.
Es interessierte mich nicht, bis zu dem Augenblick, als das taube Gefühl plötzlich, binnen eines Wimpernschlages, verschwand, meine Brust vor Schmerzen explodierte und ich das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu kriegen. Es war schrecklich und als ich plötzlich dieses weiße Licht von der Decke auf mich herabsinken sah, war es mir klar.

Ich starb.


TBC
Während du schliefst by Nyada
Delusional
I believe I can cure it all for you, dear
Coax or trick or drive or
drag the demons from you
Make it right for you sleeping beauty
Truly thought
I can magically heal you
A Circle Of Life – Sleeping Beauty

Vier Wochen später



Dave erinnerte sich an jenes Weihnachten vor sieben Jahren. Es war das letzte gewesen, dass sie zusammen als richtige Familie gefeiert hatten- er, sein Bruder, sein Vater und seine Mutter. Es war das letzte gemeinsame Weihnachten gewesen, bevor der Tod die Familie auseinander gerissen hatte. Die nächsten sechs Monate waren für seine Mutter eine Zeit der Qualen gewesen, bis man sie schließlich erlöste und sie ihrem schweren Krebsleiden erlag. Sie alle wussten, dass es ihr letztes gemeinsames Weihnachten werden würde, doch das hatte sie nicht davon abgehalten, sich am gedeckten Tisch zu streiten und sich unter dem prachtvollen Tannenbaum anzupöbeln.

Er erinnerte sich an dieses Weihnachtsfest vor sieben Jahren noch so, als wäre es gestern gewesen. Er erinnerte sich an den köstlichen Plumpudding, den seine Mutter nach einem alten Familienrezept ihrer aus England stammenden Vorfahren zubereitet hatte. Er erinnerte sich an den Tannenbaum, den sein Vater mit seiner damals dreijährigen Enkelin, seiner kleinen Tochter Hannah, ausgesucht hatte und den John und er ins Auto hatten schleppen müssen. Er erinnerte sich auch an das leuchtende Gesicht seiner Tochter, als sie ihre Geschenke auspackte. Er erinnerte sich daran, dass seine Frau Molly während des Essens zugeflüstert hatte, wie froh sie doch war, in eine so harmonische Familie eingeheiratet zu haben.
Harmonie war noch nie etwas gewesen, was man von seiner Familie an Festtagen erwarten konnte, also wunderte es Dave nicht, dass er sich nicht nur an das köstliche Dinner, den pompösen Weihnachtsbaum und die vielen, vielen Geschenke erinnern konnte, sondern auch an den mächtigen Krach, den er mit seinem Bruder John an diesem Abend gehabt hatte.
Worum es ging- das wusste Dave nicht mehr. Er wusste nur noch, dass ihn irgendeine Bemerkung seines älteren Bruders so sehr auf die Palme gebracht hatte, dass er kurz davor gewesen war, seine guten Manieren zu vergessen und John vor versammelter Mannschaft eine runterzuhauen. Stattdessen hatte er nur weiter mit giftigen und äußerst unschönen Worten um sich gefeuert, was schlussendlich dazu geführt hatte, dass John fluchtartig das Haus verlassen hatte und sie alle ihn bis zum Tod der Mutter nicht mehr sahen.

Ja, Feiertage wie Weihnachten und Thanksgiving hatten in ihrer chaotischen Familie stets für genügend Zündstoff gesorgt- manchmal beabsichtigt, manchmal traf es sie aus heiterem Himmel. Letzten Endes kam jedoch immer dasselbe heraus: Einer von ihnen stürmte wutentbrannt davon und ward für die nächsten Wochen nicht mehr gesehen. Es war schon fast ein Ritual, dass sie sich ständig stritten. Er erinnerte sich durchaus auch an die schönen Seiten der Feiertage, aber ebenso deutlich waren die Erinnerungen an die Streits die er entweder mit seinem Vater oder seinem älteren Bruder gehabt hatte. Im Nachhinein tat es ihm besonders für seine Mutter leid, dass sie sich so mies verhalten hatten…
… doch ebenso schlimm war für ihn die Tatsache, dass das Zusammenleben mit seinem Bruder John bisher fast nur aus Streitigkeiten bestanden hatte. Jedes Mal, wenn sie sich getroffen hatten, war es soweit gekommen, dass sie sich Anschuldigungen um die Ohren schlugen. Im Gegensatz zu der Sache mit den Feiertagen, gelang es Dave nur sehr schwer, sich an gute Zeiten mit John zu erinnern.

Das Verhältnis zu seinem drei Jahre älteren Bruder beschrieb Dave als… kompliziert. Nicht schwierig, aber kompliziert. In den letzten beiden Jahren war es ihnen gelungen, sich so weit zu verständigen, dass sie einander nicht mehr sofort an die Gurgel gingen, was aber nicht bedeutete, dass sie sich in den Armen lagen.
Seit seiner Kindheit war er auf seinen großen Bruder eifersüchtig gewesen, hatte ihn darum beneidet, dass die Eltern ihn anscheinend bevorzugten, dass er bei ihrem Vater besser angesehen war und dass er, vor allem während der Highschool-Zeit, bei den Mädchen besser angekommen war. John war schon immer das gewesen, was er gern sein wollte, aber nie sein konnte und würde. Auf der Highschool war er der beliebte Footballspieler gewesen, der, der ständig von den Cheerleadern umgeben war, der coolste Typ an der Schule. Dass er damals auch noch gute Noten geschrieben hatte, empfand Dave als besonders gemein, zumal er selbst immer nur der kleine Bruder ‚des großen Sheppard’ gewesen war.
An dieser unfairen Rollenverteilung hatte sich bis heute recht wenig geändert; John war noch immer der geliebte Sohn, selbst nach dem Tod der Eltern. Während es ihn schon recht früh aus dem Elternhaus gezogen hatte, war John lange genug geblieben, um den Großteil des Sheppardschen Vermögens zu erben. Er, seinerseits, hatte eine Familie gegründet, John war mit seiner Karriere und seinem Vergnügen verheiratet gewesen. Er war nie der bodenständige Typ gewesen, hatte stattdessen auf großem Fuß gelebt. Seine Ehe mit Nancy Ferguson war nur ein kleiner Ausrutscher gewesen, den er schnell bereut hatte. Nein, John war noch nie der Mann gewesen, der sich festlegte, sondern der das Vergnügen liebte.
Eine zeitlang besaß er sogar durchaus den Mumm seinen älteren Bruder als arrogant, egozentrisch und ichbezogen zu bezeichnen, doch nach der Veränderung, die John in den letzten zweieinhalb Jahren durchlaufen hatte, war er sich nicht mehr so sicher, ob diese Beschreibungen seinem Bruder noch entsprachen.
John hatte ein Leben auf Freierfüßen geführt, es nun aber beendet. Er hatte es auf die Reihe bekommen, die Firma seines Vaters nicht vollkommen Konkurs gehen zu lassen und sie stattdessen mit einem riesigen Unternehmen in Japan fusionieren zu lassen. Er hatte sich zu einem anerkannten Kunstkritiker, -kenner, Architekten, Unternehmer und Geschäftsmann gemausert, war der Freund vieler bedeutender Persönlichkeiten und mit dem Bürgermeister der Stadt perdu. Er hatte sein chaotisches Leben in die Hand genommen, hatte die Frau fürs Leben gefunden, sie geheiratet und erwartete ein Kind mit ihr.
Ja, jetzt, wo er das Leben seines Bruders objektiv betrachtete, musste er eingestehen, dass John die Kurve gekriegt hatte. Mal wieder. Und dass solch negatives Denken ihm nicht gerecht wurde. Natürlich, was denn sonst?

Dave Sheppard schreckte hoch, als er merkte, dass er wieder weggenickt war. Er schüttelte mit dem Kopf, versuchte sich den Schlaf aus den Augen zu blinzeln und rückte seine Lesebrille auf seinem Nasenrücken zurecht; die Zeitschrift, die er gelesen hatte, lag aufgeschlagen auf seinem Schoß. Schnell warf er einen Blick auf seine Armbanduhr, nur um festzustellen, dass diese noch immer nicht funktionierte. Sie war vor drei Monaten stehen geblieben und er hatte sich noch immer nicht darum gekümmert, obwohl er sich das fest vorgenommen hatte…
Ein erschöpftes Gähnen unterdrückend, tastete Dave nach seinem, Kaffee führte den Pappbecher an seine Lippen und trank einen Schluck.
Pfui, fluchte er innerlich. Nicht nur, dass das Gebräu abgestanden und kalt war, es schmeckte auch noch fad und lasch. Das war alles, nur kein Kaffee. Es gab nichts Schlimmeres auf der Welt, als kalten, abgestandenen, fad schmeckenden Automatenkaffee.
Dave seufzte tief und blickte sich dann suchend um. Er war noch immer in dem seelenlosen Krankenzimmer, saß neben dem Bett seines Bruders… und war mal wieder eingeschlafen. Er wusste nicht, wie spät es war und obwohl das Schwesternzimmer nur den Gang herunter war und hinzukommend überall Uhren herumhingen, konnte er sich nicht dazu aufraffen, aufzustehen und nachzusehen. Er wollte viel lieber hierbleiben, denn aus irgendeinem Grund fühlte er sich seinem Bruder verpflichtet.

John lag still in dem Bett, war blass und machte einen bemitleidenswerten Eindruck. Sein geschundener Körper war an allerlei Geräte angeschlossen, die seine Körperfunktionen überwachten, ihn beatmeten, sein Herz daran hinderten stehenzubleiben und noch etliche andere Funktionen durchführten, von denen Dave keine Ahnung hatte. Doch es waren ebendiese Maschinen, die das Überleben seines Bruder sicherten. Sie waren es, die ihn am Leben erhielten. Ohne sie würde er sehr bald sterben.
Dave musterte die piependen, knacksenden und pfeifenden Maschinen, aber nur kurz, dann richtete er den Blick wieder auf John. Dieser hatte sich nicht geregt. Warum sollte er das auch tun?

Vier Wochen war der tragische Unfall nun her, der seinem Bruder um ein Haar das Leben gekostet und ihn so zugerichtet hatte. Als Teyla ihn anrief und unter Tränen berichtete, was geschehen war, hatte es Dave zuerst nicht glauben können. Sein Bruder schwer verletzt? Nein, das konnte nicht sein. John war seit jeher der vorsichtigste Autofahrer gewesen, den er kannte, und sein Vater hatte immer gemeint, er solle sich an seinem großen Bruder ein Beispiel nehmen. Und ausgerechnet er wurde Opfer eines schweren Unfalls, dessen Verursacher man noch immer nicht gefunden hatte. Der andere Wagen, der Johns Aston Martin Coupé gerammt und von der Straße gedrängt hatte, war noch immer verschwunden- ebenso der Fahrer, der ebenfalls noch immer nicht identifiziert war.
Dave spürte Wut in sich aufsteigen, wenn er daran dachte, was dieser Kerl seinem Bruder angetan hatte, was er Johns Familie angetan hatte. Ihm, seiner Schwägerin und deren ungeborenem Kind.

Wieder seufzte Dave tief und hörte deshalb nicht, wie sich die Tür öffnete. Erst als er Schritte auf sich zukommen hörte, wurde ihm bewusst, dass er nicht mehr allein war, aber er hatte auch keine sonderlich große Lust sich umzudrehen, um zu sehen, wer da kam. Er konnte es sich schon denken. Als die Schritte jedoch innehielten, warf Dave doch einen kurzen Blick über seine Schulter.

Teyla war mitten im Raum stehengeblieben, fast so als hinderte sie eine unsichtbare Barriere am Weitergehen. Dave hatte sie in den letzten paar Stunden nicht gesehen, was sehr ungewöhnlich für sie war, wachte seine Schwägerin doch fast durchgehend an dem Bett ihres Mannes. Es war ein unmögliches Unterfangen, zu versuchen, die Stunden zu zählen, die sie an Johns Seite zugebracht hatte, und ebenso unmöglich war es, sie von dort wegzubekommen. Der Unfall war jetzt genau vier Wochen her und Dave konnte sich nicht daran erinnern, dass Teyla einmal nicht im Raum gewesen war, als er kam. Beharrlich wachte sie über ihren Mann, ganz gleich, dass alle sich Sorgen um sie und um ihr ungeborenes Kind machten. Sie war im neunten Monat schwanger und verbrachte die meiste Zeit ihres Tages ohne Schlaf, Nahrung, Bewegung und Frischluft. Ihr schien egal zu sein, was die Ärzte sagten.
Dave beobachtete das Verhalten seiner hochschwangeren Schwägerin mit Sorge. Inzwischen konnte man ihr die vier Wochen Dauerbelastung ansehen. Betrachtete man sie, wie sie tagein tagaus an dem Bett ihres Mannes saß, konnte man nicht anders, als sich Sorgen um sie und ihr Baby zu machen.

„Hey“, grüßte Dave sie. „Alles in Ordnung?“, erkundigte er sich. „Ich habe dich eine ganze Weile nicht gesehen.“
„Es gab da noch ein paar Papiere, die ich unterschreiben musste“, erklärte Teyla mit schwacher Stimme.
„Papiere?“, hakte Dave nach.
Teyla nickte und ließ sich schwerfällig auf dem Stuhl nieder, von dem Dave sich erhoben und in ihr angeboten hatte. „Unbedeutender Verwaltungskram“, sagte sie, hob ihre Hand und streichelte über Johns bärtige Wange. Eine einzelne Träne lief über ihre Wange, als sie mit ihrer anderen Hand seine zudeckte. Sie schloss die Augen und seufzte leise. Dave entging es nicht, dass ihre Lippen zu beben und ihre Schultern zu zittern begannen. Er hörte sie schluchzen… und wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Die ganzen vier Wochen war sie unglaublich stark gewesen- er hatte sie nicht ein einziges Mal weinen sehen, sodass ihn ihr jetziger Gefühlsausbruch überraschte.
Er trat hinter sie und legte ihr sanft die Hände an die Schultern. „Teyla?“ Es bereitete ihm Sorge, sie so erschöpft und weinend zu sehen. Rasch wischte sie sich die Träne weg, ehe sie ihre Hand auf ihrem gewölbten Bauch ruhte.
„E…es…es tut mir leid“, schniefte sich und scheiterte kläglich bei dem Versuch zu lächeln.
„Es muss dir nicht leid tun, Teyla.“
Sie seufzte. „Ich…ich habe nur das Gefühl, dass…dass es mir leid tun muss“, wimmerte sie und sah ihn mit ihren traurigen braunen Augen an. „I…ich hätte ihn n…nicht fahren lassen sollen.“
Daher wehte also der Wind, dachte sich Dave. „Teyla“, beeilte er sich zu sagen, „es war nicht deine Schuld. Das, was passiert ist, konnte niemand von uns voraussehen. Es ist nicht deine Schuld.“
„Ich mache mir n…nur so schreckliche Vorwürfe, Dave.“
Dave ging vor ihr in die Hocke. „Hör auf damit“, bat er sie- nein, er flehte. „John würde es nicht gutfinden, wenn du dich seinetwegen so fertig machst.“
„Aber-“
„Es ist nicht deine Schuld“, fiel Dave seiner Schwägerin unschön ins Wort. „Wann begreifst du das endlich, Teyla? Es die Schuld von irgendeinem Drecksschwein und ich versichere dir, dass wir den Schuldigen finden werden. Doch im Moment nützt es keinem etwas, wenn dir oder dem Baby auch noch was passiert. Glaub mir, John würde die Wände hochlaufen, wenn er wüsste, was du dir und dem kleinen Wurm zumutest. Er würde das alles nicht wollen.“
„I…ich mache mir nur so schreckliche Sorgen“, schluchzte Teyla.
„Ich mir doch auch“, seufzte Dave, nahm ihren Kopf sacht in die Hände und küsste sie auf die Stirn. „Ich mir doch auch. Aber jetzt gerade mache ich mir auch furchtbare Sorgen um dich. Du solltest dich eine Weile ausruhen. Leg dich hin, versuch’ zu schlafen, iss etwas. Oder geh etwas nach draußen. Ein bisschen frische Luft würde dir sicher gut tun. Ich werde solange hierbleiben und auf ihn aufpassen.“

Er war sich schon fast sicher, dass Teyla seinen Vorschlag ablehnen würde- und so kam es schließlich auch. Sie streckte wieder ihre Hand aus und strich John geistesabwesend durch die widerspenstigen Haare, die noch wilder als sonst von seinem Kopf abstanden. Der traurige Ausdruck in ihrem Gesicht versetzte Dave einen Stich ins Herz und war Grund genug für ihn, seine Schwägerin mit ihrem Mann alleine zu lassen.
Er küsste sie ein letztes Mal auf die Wange, richtete sich dann auf. Einen Augenblick lang verharrte er noch am Bettende seines Bruders, schaute auf dessen regungslose, blasse Form herab.
„Falls du mich brauchst- ich gehe unten, in der Kantine, einen Kaffee trinken“, sagte er. Er war sich nicht sicher, ob sie ihn gehört hatte.

Als Dave aus dem Krankenzimmer hinaus auf den leeren Flur hinaustrat und diesen entlang schlenderte, musste er wieder daran denken, wie oft er sich mit seinem Bruder gestritten hatte. Ihn in diesem Zimmer zu wissen, schwach und im Koma liegend, und gleichzeitig an die vielen Streits denken zu müssen, stimmte ihn traurig. Er fragte sich, wann John und er das letzte Mal eine Unterhaltung geführt hatten, die nicht in einem Streit geendet hatte. Zu seinem Entsetzen musste er feststellen, dass er sich nicht mehr daran erinnern konnte.
Mitten im Gang blieb er geschockt stehen, drehte sich herum und spielte einen Moment lang mit dem Gedanken, zurückzugehen. Was, wenn sie ihre letzte Chance war, sich auszusprechen, verpasst hatten?
Dave verbot sich diesen Gedanken rasch. So durfte er nicht denken. Das war der Anfang vom Ende, wenn er sich solchen… Fantasien hingab. Was aber, wenn es wirklich so kommen würden?

ooOOoo


Nachdem Dave gegangen war, hatte sie beschlossen, dass sie heute Nacht nicht allein sein wollte. Die wenigen Stunden, die sie allein in ihrem großen, leeren Haus verbracht hatte, waren genug Einsamkeit für heute gewesen. Sie hatte in der Vorhalle gestanden, die Treppe hinaufgestarrt und sich so verlassen gefühlt. Das Haus, das noch vor ein paar Wochen so voller Freundlichkeit und Lebendigkeit gewesen war, war nun nicht mehr als ein paar trostlose, viel zu große Räume, die voller Kälte waren. Nein, noch eine Nacht allein würde sie nicht aushalten.
Sie konnte es einfach nicht. Sie wollte nicht allein sein.

Zum Glück hatte sie eine mitfühlende Schwester gefunden, die ihr gütig das zweite Bett in dem Raum bezogen und es dicht neben das von John geschoben hatte. Ich weiß, wie Sie sich fühlen, Mädchen, hatte sie immer wieder gesagt, doch Teyla glaubte nicht, dass irgendjemand wirklich verstand, wie sie sich fühlte. Im Moment fühlte sie nur diese große Leere in sich, das klaffende Loch in ihrem Herzen. Jedes Mal, wenn sie John sah, wie er schwach und regungslos im Bett lag, wurde sie an diesen Schmerz erinnert und es war jedes Mal so, als bräche ihre Welt erneut zusammen.
Sie konnte noch immer nicht fassen, was geschehen war. Ein Augenblick, ein einziger Augenblick, der ihr ganzes Leben auf den Kopf gestellt hatte. Nichts würde mehr so sein, wie es einmal war. Alles war anders. Nur ein einziger Augenblick und ihre glückliche, heile Welt war vollkommen aus den Fugen geraten.

Teyla seufzte auf und ließ sich in die Kissen zurückfallen. Ihr entfuhr ein leises Seufzen. Das war alles so typisch!, schoss es ihr durch den Kopf. Nie gönnte ihr das Schicksal ein bisschen Glück. Immer, wenn sie dachte, es sei perfekt und könne so weitergehen, passierte etwas Unerwartetes. Es war schon immer so gewesen. Sie konnte einfach kein zufriedenes, glückliches Leben führen. Es war fast so, als wollte eine höhere Macht, die sie nicht verstand, verhindern, dass sie glücklich wurde.
Dabei war doch alles so perfekt gewesen. Zum ersten Mal seit Jahren glaubte Teyla, nun endlich angekommen zu sein. Sie wohnte in einem wunderschönen Haus und war mit einem Mann verheiratet, den sie über alles liebte, und zusammen erwarteten sie in wenigen Wochen ein gemeinsames Kind. Was gab es daran auszusetzen? Das war immer ihr Traum gewesen! Dass die dunklen Wolken über ihren Köpfen schwebten, hatte sie nicht wahrgenommen. Doch innerlich hatte sie gewusst, dass es nicht für immer friedlich sein würde.
Das Leben war unfair, hatte ihr bis jetzt fast alles genommen, was ihr wichtig war; ihre Eltern waren gestorben, als sie noch sehr klein gewesen war, mit ihrem Bruder hatte sie sich zerstritten, er wollte sie nicht mehr sehen. Sie hatte es ihr ganzes Leben lang schwer gehabt und wenn sie dann einmal für ein paar Monate glücklich gewesen war, hatte es nicht lange gedauert und das Schicksal schlug mit aller Härte zu. Man gönnte es ihr einfach nicht, glücklich und zufrieden zu sein.

Sie drehte den Kopf, bis der neuste „Geniestreich“ des Schicksals ins Bild kam. Die letzten zweieinhalb Jahre waren die glücklichsten ihres Lebens gewesen, weil sie endlich hatte herausfinden dürfen, was es bedeutete, zu lieben und geliebt zu werden. Noch nie war sie mit einem Mann so glücklich gewesen wie mit John. Er war ihr Seelenverwandter, auch wenn das verrückt klingen mochte. Sie war sich sicher, dass sie irgendwie miteinander verbunden waren, sie passten schlichtweg perfekt zueinander. Da war diese Leidenschaft zwischen ihnen, die sich nicht nur auf körperliche Liebe bezog. Es war schon fast unheimlich, wie sie wussten, was den anderen bedrückte, ohne das der etwas von sich gegeben hatte.
Teyla schätzte diese enge Bindung mit ihrem Mann und konnte sich nicht vorstellen, wie ihr Leben wohl ohne ihn aussehen würde. John brachte sie zum Lachen, wenn sie traurig war. Er hielt tapfer seinen Kopf hin, wenn sie wütend war, und er lachte mit ihr, wenn sie fröhlich war. Sie ergänzten sich perfekt, auch wenn sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Sie waren genaugenommen wie Feuer und Wasser; sie, mit ihrer temperamentvollen Art, das Feuer und er, mit seiner Gabe, die Menschen positiv zu beeinflussen, das Wasser. Gegensätze zogen sich bekanntlich an und so war es für Teyla kein Wunder, dass sie seit drei Jahren glücklich miteinander waren.
Bis zu dem Tag, vor vier Wochen…

Schluckend ließ Teyla ihren Blick über den geschundenen Körper ihres Mannes wandern. Die Realität war noch viel schlimmer, als man sie ihr immer beschrieb. Dr. Beckett und die Krankenschwestern, die sich tagtäglich um John kümmerten, versuchten die Lage immer herunterzuspielen… und Gott allein wusste, wie sehr Teyla sich wünschte, ihnen zu glauben. Wie sehr sie sich wünschte, Johns Zustand würde sich bessern und er würde endlich aufwachen. Jedes Mal schürten die Aussagen der Ärzte neue Hoffnung ihn ihr, doch wenn sie ihn dann sah, wusste sie, dass sich nichts geändert hatte- da konnten ihr die Ärzte noch so viel zureden.
Johns Zustand war nach wie vor unverändert. Sein Leben hing noch immer am seidenen Faden oder besser ausgedrückt an den Maschinen, an die er angeschlossen war. Alle wussten es, doch keiner wagte es sich, es auszusprechen, dass durchaus die Möglichkeit bestand, dass John… nie wieder aufwachen würde.

Wenn sie ihn jetzt so betrachtete, war es für Teyla, als schliefe er nur, als wären seine schweren Verletzungen nur ein schlimmer Alptraum, aus dem sie schon bald erwachen würde. Doch dem war nicht so.
Johns lebloser Körper lag in dem Krankenblatt und sein Anblick verschlug ihr selbst nach vier Wochen immer noch den Atem. Ihn so hilflos und still dort neben sich liegen zu sehen, tat ihr weh. Tief in ihrem Inneren zog sich alles zusammen, wenn sie ihn sah. Bis vor zwei Tagen hatte er noch eine Halskrause getragen, die ihm bis unters Kinn gereicht hatte, ihn aber am Atmen gehindert hatte, weshalb man sie ihm abgenommen hatte. Sein Kopf war aufgrund seiner Hirn-OP zu Hälfte einbandagiert, ebenso wie sein Oberkörper; obwohl man die Verbände erst vor wenigen Stunden gewechselt hatte, konnte Teyla dunkle Blutflecken entdecken, die durch den Verband und den Krankenhauskittel drückten.
Seine Arme waren übersät mit Kratzern und feinen Schnitten. Seine Handgelenke waren blau angelaufen, ebenso wie die rechte Hälfte seines Gesichts. Die Lippen waren rot und so geschwollen, dass der Beatmungsschlauch kaum durch sie hindurchpasste. Er hatte seine Augen geschlossen. Über seiner linken Augenbraue prangerte ein langer Cut, der sich bis zu seinem Haaransatz hochzog.
Er war kaum wieder zu erkennen.
Der Unfall hatte ihn schwer zugerichtet und noch immer spukten Teyla Wörter wie ‚Rippenbruch’, ‚Hirnschwellung’ und ‚innere Blutungen’ durch den Kopf; das waren nur einige Komplikationen gewesen, die aufgetreten waren und John von einem OP in den nächsten gebracht hatten.

Es fiel ihr sehr schwer, aber irgendwie schaffte es Teyla, die Gedanken an den Unfall beiseite zu schieben und sich nicht mehr darüber den Kopf zu zerbrechen. Sie rutschte näher an ihren Mann heran, streckte die Hand aus und streichelte ihm über die Wange. Ihr runder Bauch war zwischen ihnen und sie musste lächeln, als sie spürte, wie sich ihr Kind in ihr bewegte. Sie fasste sich an den Bauch und genoss die Bewegungen ihres Ungeborenen, das sein kleines Füßchen kräftig gegen ihre Bauchdecke stemmte. Nur noch drei Wochen und sie würde es endlich in den Armen halten können. Ihn, korrigierte sie sich selbst. Es war ein Junge. Sie würde ihn bald in den Armen halten können.

Ihr Blick fiel wieder auf John und sie fragte sich, ob ihr Sohn seinem Vater wohl sehr ähnlich sehen würde. Allein die Vorstellung eines kleinen Babys mit dunklen Haaren und diesen grünen Wahnsinnsaugen, wie John sie hatte, ließ Teyla schmunzeln.
„Hey“, begann sie leise zu sprechen; ihre Hand lag noch immer an seiner Wange. „Es…es tut mir leid, dass ich dich vorhin allein gelassen habe, aber ich hoffe, Dave hat sich gut um dich gekümmert.“
Sie streichelte sich über den Bauch. „Dein Sohn meinte, er müsse etwas Hektik verbreiten“, lächelte sie. „Da kommt er ganz nach dir. Du solltest fühlen, wie er manchmal tritt. Ich glaube, du hattest recht- er wird später bestimmt Profiboxer. Oder er vermisst einfach nur seinen Daddy, der mit ihm spricht.“

Teyla hielt inne. Schmunzelnd erinnerte sie sich daran, wie sie eines Tages aus ihrem leichten Mittagsschlaf erwacht war, weil es doch sehr eng auf der Couch geworden war. Der Grund war kein geringerer als John, der es irgendwie fertig gebracht hatte, sich mit auf die schmale Liegefläche der Couch zu quetschen. Die Nase hatte er gegen ihren Bauch gepresst und sein intensives Mienenspiel verriet, dass er seinem Sohn die neusten Ereignisse darlegte.
‚Was machst du da?’, hatte sie ihn irritiert und müde gefragt.
John blickte auf. ‚Ich erzähle ihm von Evan’s und Lauras Baby’, antwortete er trocken, wandte sich dann wieder an seinen Sohn. ‚Also, Kyle wird zwar ein paar Monate älter als du sein, aber ihr werdet bestimmt ganz viel Spaß miteinander haben, wenn ihr erstmal älter seid. Er wird ein super Spielkamerad sein und du kannst dir mit ihm die Zeit vertreiben, bis dein Geschwisterchen da ist-’
‚Geschwisterchen?’, hatte Teyla ihn unterbrochen. Himmel, in welchen Dimensionen dachte dieser Mann? ‚John, unser Sohn ist noch nicht einmal auf der Welt und da redest du schon von-’
Dieses Mal war er ihr ins Wort gefallen- mit einem Kuss, den er ihr auf die Lippen gepresst hatte. ‚Ich will nicht, dass mit diesem kleinen Kerl Schluss ist. Ich wollte schon immer eine große Familie und außerdem müssen wir Dave einholen.’
‚Indem wir so viele Babys wie möglich machen?’
John runzelte die Stirn. ‚Ich hätte es zwar etwas…anders ausgedrückt, aber…ja!’ Dann hatte er sie erneut geküsst und ihr ins Ohr gesäuselt: ‚Ich möchte ganz viele Babys haben, die genauso schön wie ihre Mom sein und alle deine braunen Augen haben werden.’
‚Na, darüber reden wir aber noch einmal, wenn der kleine Kerl hier auf der Welt ist’, hatte sie lachend erwidert. ‚Ich bin mir nämlich nicht sicher, ob ich dich nach der Geburt mit all diesen Schmerzen je wieder in meine Nähe lasse.’
‚Und vergiss nicht, dass du mir wahrscheinlich meine Hand gebrochen haben wirst’, ergänzte John sarkastisch. ‚Ich werde also etwas „eingeschränkt“ sein.’
‚Natürlich’, hatte sie daraufhin erwidert und lehnte sich zurück, schloss die Augen wieder und lauschte der einseitigen Unterhaltung, die John mit seinem Sohn führte.

Besonders in den letzten Wochen vor dem Unfall war klargeworden, wie sehr sich John darauf freute Vater zu werden. Er hatte alles getan, damit es ihr (und demnach auch dem Baby) gut ging. Er hatte sich um alles gekümmert, hatte im Haushalt anfallende Arbeiten erledigt, ohne dass dabei etwas zu Bruch ging. Sogar aus dem Büro war er früher zurückgekommen- etwas, das vor einem Jahr nach unmöglich gewesen wäre.
John hatte alles für sie getan; er war nachts aufgestanden, wenn sie mal wieder eine Heißhungerattacke heimgesucht hatte. Er hatte bereitwillig ihre Stimmungsschwankungen ertragen, ihre Wutanfälle und ihre Weinkrämpfe, weil ihr ihre alten Klamotten nicht mehr passten. Bereitwillig war er mit ihr von einem Babyfachmarkt zum nächsten gefahren, hatte sich über die Vorteile von Glasfläschchen gegenüber Plastikflaschen aufgeklärt und hatte in Erfahrung gebracht, warum ein Kinderwagen mit Doppelfederung besser war als ein herkömmliches Modell.
Er war ein schlichtweg unglaublich guter werdender Vater gewesen, hatte sich mit ihr durch sämtliche Geburtsvorbereitungskurse gehechelt und hatte tapfer die Gegenwart eines rosaweiß-gepunkteten Stillkissens im ehelichen Bett geduldet. Er hatte nicht einen einzigen Arzttermin verpasst, war bei jeder Ultraschalluntersuchung dabei gewesen und hatte sich immer so sehr gefreut, wenn er seinen ungeborenen Sohn auf dem Monitor gesehen hatte.
John hatte so viel für sie und das Baby getan, dass es Teyla jetzt schwer fiel, sich vorzustellen, dass er seinen Sohn womöglich nie sehen würde.

„Oh, John“, presste sie mühsam hervor. Sie vergrub ihr Gesicht in dem Patientenkittel, schluchzte in dieses hinein. Tränen strömten ihr über die Wangen und durchnässten den feinen Stoff, vermischten sich mit dem durch seine Verbände sickernden Blut. Doch das hinderte sie nicht daran ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen und sich an seiner Brust auszuweinen.
Sie weinte wegen ihm, wegen ihrem Baby und wegen sich selbst. Sie weinte wegen dem, was passiert war. Dieser schreckliche Unfall hatte ihre Familie auseinander gerissen, hatte ihr ihren geliebten Mann genommen und ihrem ungeborenen Kind den Vater. Wie konnte ein Mensch nur so skrupellos sein und eine Familie auseinanderreißen? Auch wenn es nicht die Schuld des anderen Fahrers gewesen war- warum war er nicht dort geblieben? Warum war er weggefahren und hatte John schwer verletzt, in seinem Wagen eingeklemmt, zurückgelassen? Warum hatte er sich bis jetzt nicht gemeldet? Warum?

Teyla war zu schwach, um darüber zu grübeln, warum es so war, wie es war. Das Weinen hatte sie ausgelaugt. Sie merkte, wie sie müder wurde…und ehe sie sich versah, sank ihr Kopf auf Johns Brust und sie war eingeschlafen.

ooOOoo


„Das du dir dabei nicht alle Knochen gebrochen hast, ist ein Wunder.“ Kate Heightmeyer schüttelte mit dem Kopf. „Gott weiß, was dir alles hätte passieren können“, schimpfte sie weiter. „Du hättest sterben können!“ Energisch zog sie den Verband fest und betrachtete dann ihr Werk kritisch.
„Vielen Dank, Katie“, war die einfache Erwiderung ihres Bruders. Er griff nach seinem T-Shirt, streifte es sich langsam, mit schmerzverzerrtem Blick, über den Kopf, was Kate genug Zeit gab, seinen malträtierten Oberkörper näher zu betrachten. Als er das erste Mal zu ihr gekommen war und sie ihn zum ersten Mal so zugerichtet gesehen hatte, hatte es ihr die Sprache verschlagen. Sein ganzer Oberkörper war mit blutigen Wundern, Kratzern und Rissen übersäet gewesen, von den Glassplittern, die in seiner blutigen, verwundeten Haut steckten mal ganz abgesehen. Es war ein Bild des Grauens gewesen, das selbst sie, als Krankenschwester, zuerst einmal hatte schlucken lassen. Jetzt, vier Wochen später, waren Dank ihrer regelmäßigen Kontrolle und Fürsorge sämtliche Wunden verheilt, hatten aber hässliche Narben hinterlassen. Blutergüsse, in allen Größen, Formen und Schattierungen sprenkelten sich über seinen Oberkörper und über seinen Rücken. Seine eine Schulter war leicht abgesenkt und man konnte ihm ansehen, dass er unter Schmerzen litt.

Wortlos sammelte Kate das Verbandszeug wieder ein und verstaute es in ihrem kleinen Erste Hilfe-Rucksack. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, mit ihm darüber zu reden, und sie wusste auch, dass ihr Tadel an ihm abgeprallt war. Ins eine Ohr rein, zum anderen wieder raus. Ihr Bruder ließ sich schon lange nichts mehr von ihr sagen und sie hatte schon lange damit aufgehört, ihm ins Handwerk zu pfuschen, auch wenn sie wusste, dass das, was er tat, falsch und dumm war.

Ihr Bruder hatte es inzwischen geschafft, sich anzuziehen, und sah ihr von seinem schmalen Bett aus dabei zu, wie sie ihre Sachen zusammensammelte.
„Wann kommst du wieder?“, wollte er von ihr wissen.
„Du weißt, dass ich am liebsten hier bleiben würde, um sicherzugehen, dass du nicht wieder einen solchen Unsinn machst“, erwiderte sie.
„Das geht nicht“, sagte er stumpf.
Kate seufzte. „Ja“, murmelte sie leise, „das war mir klar, dass du das sagst.“ Sie schulterte ihren Rucksack und schaute für einige Sekunden aus dem Fenster mit der schmierigen Scheibe, das das einzige in dem kleinen Zimmer ihres Bruders war.
„Katie“, hörte sie ihn leise rufen.
Sie holte tief Luft, drehte sich zu ihm um und fixierte ihn mit ihrem Blick. „Du weißt, dass das falsch ist.“ Es war vielmehr eine Aussage, als eine Frage, die sie ihm stellte.
Er nickte, sagte dann aber: „Aber ich kann nicht anders.“
Kate spürte die Wut in sich aufsteigen. „Und ob du anders kannst“, platzte es aus ihr heraus und ihre Stimme klang in dem kleinen Zimmer, das ihr Bruder bewohnte, doppelt so laut und bedrohlich. Sie setzte den Rucksack wieder ab und marschierte auf das Bett zu, ließ sich neben ihren Bruder auf die Bettkante sinken und nahm seine zittrigen Hände. „Und ob du das kannst“, wiederholte sie etwas leiser.
Tränen begannen in seinen blauen Augen zu schwimmen und jetzt, wo sie ihm so nahe war, sah sie, wie fertig er aussah. Sein Anblick erschrak sie. Wann war sie noch gleich das letzte Mal hier gewesen? Er sah noch schlechter aus, als bei ihrem letzten Besuch. Sein Gesicht war hager und aschfahl, sein Haar licht, mit einem gräulichen Touch. Er wirkte…alt, wie ein Gespenst so blass.
Kate wusste, dass seine Krankheit dafür verantwortlich war, aber dass es so schnell ging, hatte sie wirklich nicht gedacht. Es machte ihr Angst, ihn vor ihren Augen so verfallen zu sehen; es war fast so, als verschwand er direkt vor ihr und sie konnte nichts dagegen tun. Er starb vor ihren Augen!

Aus Angst, sie zu zerbrechen, ließ Kate seine Hände wieder los, legte ihm stattdessen eine Hand an die blasse Wange. „Michael“, flüsterte sie flehend.
Er räusperte sich. „Du…du solltest gehen“, sagte er fest, wenn auch mit dünner Stimme. „Geh jetzt.“
„Michael.“ Kate schüttelte unschlüssig mit dem Kopf. Dann senkte sie ihren Blick und nachdem sie kurz in sich gegangen war, fragte sie ihn: „Ist es das wirklich alles wert, Michael?“ Als er nicht antwortete, fuhr sie fort: „Sieh dich doch nur an.“ Ihr Blick fiel auf seinen dürren Körper, der in einem Zelt von T-Shirt steckte. „Du machst dich dadurch kaputt. Nichts auf der Welt ist es wert, dir so viel Schaden zuzufügen.“
„Morgen beginnt meine nächste Behandlung“, warf Michael ein. Wahrscheinlich hoffte er, sie dadurch irgendwie beruhigen zu können, doch Kate durchschaute sein Spiel.
„Na und? Dann geht es dir eben für ein paar Tage besser.“ Sie seufzte. „Aber ganz gleich, was du in diesen Tagen machst, Michael, du weißt ganz genau, dass es danach nur noch schlimmer sein wird. Du kannst nicht ewig so weitermachen. Und dich dann auch noch solchen Gefahren auszusetzen!“
Michael entzog sich ihrer Berührung. „Ich kann auf mich selbst aufpassen“, brummte er.
„Ja, das sieht man ja.“ Kate lachte hämisch. „Großer Gott“, fluchte sie, „ ich kann nicht glauben, dass du so leichtsinnig bist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das alles wert ist. Du musst der Wahrheit ins Auge sehen, Michael. Dadurch, dass du solchen Schwachsinn machst, kriegst du sie auch nicht wieder zurück. Es ist aus!“

Das schien gesessen zu haben. Michael krampfte zusammen und er richtete sich ruckartig auf. Im ersten Moment schwankte er hin und her und Kate fürchtete, er würde zusammenbrechen, was er jedoch nicht tat. Er baute sein bemitleidenswertes Gerippe vor ihr auf und verschränkte die Arme. Seine Augen funkelten bösartig auf sie herab und als er sie forsch anwies, zu verschwinden, zögerte sie nicht lange, dem nachzukommen. Sie wollte sich jetzt nicht mit ihm streiten, schon gar nicht in seinem Zustand.
Sie schnappte sich ihren Rucksack, warf ihn über ihre rechte Schulter und machte sich daran, den Raum zu verlassen. Auf halben Weg blieb sie jedoch noch einmal stehen und drehte sich zu ihrem Bruder um.
„Dadurch, dass du ihre Familie zerstörst, wirst du nicht gesund“, warnte sie ihn. „Du magst ihr vielleicht wehtun, aber dir helfen, zu überleben, wird es nicht.“
Michael schob angriffslustig das Kinn vor. „Dem mag so sein“, sagte er. „Aber mir geht es schon lange nicht mehr darum, gesund zu werden, Katie. Diesen Kampf habe ich verloren. Doch lass mich wenigstens diesen Kampf gewinnen.“
Kate gab einen ungnädigen Laut von sich, öffnete die Tür. „Wenn du denkst, dass man das Auseinaderreißen einer glücklichen Familie als Sieg bezeichnen kann, dann ist dir wirklich nicht mehr zu helfen. Das ist einfach nur krank, Michael!“

Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer ihres Bruders und stürmte den dunklen Flur entlang, Richtung Ausgang. Ihr war schon immer klar gewesen, dass Michael seinen eigenen Kopf hatte, und auch, dass er, wenn er nur wollte, alles bekam. Dass er aber so skrupellos auf seine Ziele hinausarbeitete war ihr neu und bereitete ihr Sorge. Jemanden tagtäglich heimlich zu beobachten und Zeitungsberichte derjenigen Person zu sammeln war nur das Eine. In New York gab es Tausende solcher Leute, denen nie etwas nachgewiesen werden konnte. Aber einen Unfall zu verursachen, der zur Folge hatte, dass ein Mann nun seit fast fünf Wochen im Koma lag? Wenn er schon dazu in der Lage war, wollte Kate sich nicht erst ausmalen, was noch kommen würde…

TBC
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