Mission erfolgreich

Lautlosigkeit musste sein ständiger Begleiter sein. Dies war seine Mission und die durfte unter keinen Umständen scheitern! Jeder falsche Schritt, jede unüberlegte Bewegung konnte ihn sofort verraten.
Das gedämpfte Licht der halbdunklen Gänge war ein großer Vorteil. Aufmerksam wanderten seine Augen umher, um bei jeder Gefahr sofort zu reagieren.
An einer Verzweigung hielt er inne und spähte vorsichtig um die Ecke. Der Gang vor ihm schien leer zu sein; die Luft war rein.
Eilig huschte Rodney McKay aus seiner Deckung und schlich den Flur hinunter. Ein kurzer Blick über die Schulter verschaffte ihm Gewissheit nicht beobachtet oder gar verfolgt zu werden. Er wollte ein Schatten sein; unbemerkt und lautlos. Was er getan hatte, war kein Diebstahl gewesen. Nein, das hätte er niemals gewagt!
Es war eher eine ausgleichende Maßnahme von Gerechtigkeit. Die Vorräte standen allen in gleichem Maße zur Verfügung und wenn man ihn schon um seinen allerliebsten blauen Wackelpudding brachte, war es nur fair, wenn er dafür sorgte, dass man ihm nicht auch noch sein zweites Grundnahrungsmittel wegfutterte.
Es war ganz leicht gewesen. Niemand hatte die Vorratskammer bewacht. Er hatte nur den Türcode knacken müssen, war hinein gehuscht und hatte so viel Schokolade gehortet, wie er tragen konnte. Es war schwer gewesen, eine Wahl zu treffen. Das Sortiment an Leckereien hatte sich in den letzten drei Jahren erstaunlich erweitert. So hatte er sich von jedem etwas geschnappt und war wieder hinaus geflitzt, bevor man ihn auf frischer Tat ertappte.
Fest umklammerte er nun die vielen bunten Schachteln von Schokoriegeln, Cookies, Pralinen und Mohrenköpfen, über die er nur noch knapp hinweg schauen konnte.
Mit niemandem würde er sie teilen. Mit niemandem!
Dies war sein persönlicher Schatz und er würde ihn hüten, sodass selbst Gollum vor Neid erblassen würde.
Schritte ließen ihn aufhorchen. Panisch suchte er nach einem möglichen Versteck und fand es in einer grauenhaften alten Pflanze, hinter die er huschen konnte. Den Gestank von verwelkten Blütenessenzen ignorierend, spähte er vorsichtig zwischen den Blättern hindurch.
Ein Wachsoldat patrouillierte vorbei, doch er nahm das Augenpaar hinter dem Gebüsch nicht wahr.
Als seine Schritte verhallt waren, wagte sich Rodney wieder hervor und setzte seinen Weg fort. Er passierte einen Transporter und hielt kurz inne. Nein, viel zu gefährlich! Wenn jemand auf der anderen Seite lauerte, war er geliefert.
Die Zeit drängte. Wer hätte gedacht, dass so etwas Feines mit der Zeit so schwer werden könnte, wenn man es durch die halbe Stadt tragen musste?
Seine Miene verfinsterte sich, wenn er an Sheppard dachte. Der Colonel hatte ihm doch tatsächlich den letzten gottverdammten Schokoriegel mit Cappuccino Geschmack weggegessen und das vor seinen Augen! Jetzt dauerte es wieder geschlagene drei Wochen, bis der Nachschub eintraf. Er durfte nicht zulassen, dass derartiges Handeln sein Leben wegen der Gefahr von Unterzuckerung bedrohte!
Endlich hatte er sein Ziel erreicht: sein Quartier war in Sichtweite. Ein Lächeln voller Selbstzufriedenheit breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er seine Schritte beschleunigte. Mühsam balancierte er die wertvolle Fracht bei schnellen Schritten bis zur Tür, seine Hand wanderte umständlich in Richtung Öffnungsmechanismus, die Tür glitt zur Seite, nur noch ein Schritt und…
"Was tust du da?"
Sämtliche Schachteln wurden ein Opfer der Schwerkraft, fielen scheppernd zu Boden und verteilten sich in einem einzigen Durcheinander, als Rodney erschrocken herumfuhr und seinen Gegenüber entsetzt anstarrte.
Carson Beckett musterte ihn teils argwöhnisch, teils amüsiert, ehe sein Blick auf die bunten Schachteln zu seinen Füßen fiel.
"Ich…ich…ich kann das erklären", stotterte der Kanadier nervös, ohne sich regen zu können. Panik war es, die ihn ergriff, wenn er daran dachte, dass er seinem Ziel doch schon so nahe gewesen war. Würde er jetzt wirklich alles verlieren?
"Das sehe ich", nickte Carson wissend, während er die Augenbrauen hochzog.
Verdammt, hatte ihm der Arzt nicht erst vor zwei Tagen gesagt, er solle sich mit den Süßigkeiten etwas zurücknehmen?
"Du…du wirst mich doch nicht verraten, oder?", fragte er bang und sah den Schotten voller Verzweiflung an. Dieser blickte recht streng von der verräterischen Ware auf, um Rodney klar zu machen, wie ernst die Lage war. Er grübelte über eine Antwort und das machte Rodney fast wahnsinnig.
Er wollte nicht wissen, was er für eine Standpauke gehalten bekommen würde, wenn Elizabeth davon erfuhr, ganz zu Schweigen von der Schmach, wenn Sheppard ihn damit aufziehen würde.
"Du weißt, was los ist, wenn das raus kommt, oder?", wies ihn Carson ernst hin und Rodney musste einsichtig nicken.
"Ja", knurrte er leise zurück. Grund genug für Carson, Forderungen zu stellen.
"Ich will 30%."
"20."
"25!"
"Na gut."
Der Kanadier gab sich geschlagen. Hauptsache er konnte den Rest behalten.
Schweren Herzens gab er den erhandelten Anteil an Carson ab, der diesen stolz grinsend entgegen nahm.
Manchmal mussten Opfer eben in Kauf genommen werden, doch zum Glück war ihm der Löwenanteil erhalten geblieben und er konnte sich zumindest darauf verlassen, dass der Schotte nichts ausplaudern würde.
"Gute Nacht, Rodney", verabschiedete sich dieser mit einem frechen Schmunzeln, ehe er von dannen zog und Rodney ihm grimmig hinterher schaute. Eines Tages würde das ein Nachspiel haben, so viel stand fest. Und wenn er nur irgendeinen Schnappschuss von Carson im Kilt erhaschte, um ihn damit eiskalt zu erpressen!
Im Moment galten jedoch andere Prioritäten. Eilig hob er alles auf, was noch verblieben war und brachte es in Sicherheit. Erleichterung erfüllte ihn, als die Tür hinter ihm zu glitt und ein enthusiastisches Lächeln kehrte zurück, während er seinen Schatz liebevoll in einer Kiste unterbrachte, die er in seinem Schrank versteckt hatte. Hier gab es niemanden, der ihm die Ader seines Lebens streitig machen wollte.
Bevor er die Kiste aber verschloss, zog er noch einen Schokoriegel mit Nougatfüllung heraus, befreite ihn vom Papier und biss ein großes Stück davon ab. Genüsslich ließ er den süßen Geschmack auf der Zunge zergehen und lehnte sich zurück.
Mission erfolgreich!

- ENDE -