Kalim, der Junge aus dem Nebel by Jolli
Summary: Ein dunkler Punkt in der Geschichte eines Dorfes wird einem Mitglied der Expedition beinahe zum Verhängnis. Nun muss bewiesen werden, wie viel Freundschaft wirklich bedeutet.
Categories: Stargate Atlantis Characters: Carson Beckett, Multi-Chara, Rodney McKay
Genre: Angst, Friendship, PoV
Challenges: Keine
Series: Keine
Chapters: 1 Completed: Ja Word count: 10358 Read: 2674 Published: 16.02.11 Updated: 16.02.11
Story Notes:
Short-Cut: Ein dunkler Punkt in der Geschichte eines Dorfes wird einem Mitglied der Expedition beinahe zum Verhängnis. Nun muss bewiesen werden, wie viel Freundschaft wirklich bedeutet.
Spoiler: 2. Staffel
Charaktere: McKay, Beckett, Multi-Charakter
Kategorie: Angst, Friendship, PoV
Rating: PG-13
Author's Note: -
Widmung: -
Disclaimer: Stargate Atlantis und alle vorkommenden Charakter sind Eigentum von MGM Television Entertainment.
Feedback: Immer doch. - Jollinar2002@aol.com

1. Kapitel 1 by Jolli

Kapitel 1 by Jolli
Kalim, der Junge aus dem Nebel


Die Dunkelheit hatte ihren Mantel über den Wald gelegt. Unter ihr hatte die Stille Einzug erhalten. Kein Wind, kein Tier löste auch nur das kleinste Geräusch aus. Zwischen den Wolken des Nachthimmels hatte der Mond sein silbernes Licht verbreitet. Aber sein Schimmer drang nicht durch das dichte Blätterdach des Waldes, sodass dort zwischen den Bäumen nahezu absolute Finsternis herrschte.
Es war ein Ort, den jeder Menschenverstand fürchtete. Ein Ort voller Gefahren, die jederzeit aus der Schwärze herausschießen konnten, um die Ahnungslosen mit ins Verderben zu ziehen. Deshalb war es ein verlassener Ort. So verlassen, dass man nicht einmal Tiere dort antreffen konnte.
Seit Jahren schon, hatte niemand mehr den Wald betreten. Die Natur dort war ihre eigenen Wege gegangen; hatte spitze Dornenranken über den Boden wachsen lassen und hohe Bäume gen Himmel gezogen. Eine andere Welt. Eine verwunschene Welt.
Doch in dieser Nacht war etwas anders. In die erdrückende Totenstille mischte sich ohne jede Vorwarnung ein Geräusch.
Schritte.
Zunächst nur weit entfernt, aber dann kamen sie immer näher, liefen immer tiefer in den Wald hinein. Nur die Bäume waren stumme Zeugen, wie der Mann versuchte, sich seinen Weg durch das Gestrüpp zu bahnen. Wie er in der Dunkelheit eine Dornenranke übersah und keuchend auf den blätterbedeckten Waldboden stürzte, der vom letzten Regen noch recht aufgeweicht war.
Er stieß einen leisen Fluch aus und rappelte sich wieder auf, ehe er weiter hastete, verzweifelt darum bemüht, weiteren Hindernissen auszuweichen. Ein jeder hätte geglaubt er wäre auf der Flucht. Aber es war nicht sein Leben, um das er bangte.
Es war auch kein Verfolger, der ihn immer weiter dazu antrieb, noch tiefer in den Wald zu laufen, sondern ein schier aussichtsloser Wettlauf gegen die Zeit.
Eine matschige Stelle ließ ihn ausrutschen und er fiel einen kleinen Abgrund hinunter. Nur ein kurzer Augenblick wurde damit verschwendet, sich von diesem Sturz zu erholen. Er biss die Zähne zusammen und zog sich an einem Baum wieder auf die Füße.
Schwach glaubte er seinen Atem zu sehen, als er inne hielt und sich in der Finsternis umschaute. Hatte er sich etwa verlaufen? Wenn er sich in der Richtung geirrt hatte, würde alles zu spät sein. Das durfte er nicht zulassen!
Er rannte weiter, ohne darauf zu achten, ob womöglich irgendwelche Gefahren auf seinem Weg lauerten. Er war selbst mit Legenden aufgewachsen. Er wusste, wo der Kern in ihnen lag und was man wirklich fürchten musste.
Erneut hielt er kurz an. Da! Ganz entfernt, glaubte er zu erkennen, dass sich der Wald wieder lichtete. Dort musste es sein!
Er verschwendete keine weitere Sekunde mehr und lief darauf zu. Er wusste nicht genau, was ihn erwartete. Ihm wurde erst jetzt allmählich klar, in welche Gefahr er sich begeben hatte. Aber das zählte im Moment nicht.
Carson Beckett war nicht bereit dazu, seinen Freund im Stich zu lassen.

Einige Stunden zuvor
Carson konnte nicht leugnen, dass ihm dieser Planet recht gut gefiel. Das kleine Fischerdorf, das nicht weit vom Stargate entfernt lag, war ein friedlicher Ort mit netten Menschen. Es waren einfache Leute, aber sie empfingen alle Besucher mit Freundlichkeit. Die Art, wie sie ihre Häuser gebaut hatten, ihre Lebensweise, ihre Kleidung, all das erinnerte Carson ein wenig an seine Heimat.
Er hatte diesen Gedanken lieber für sich behalten. Viele auf Atlantis belächelten das Heimweh, das ihn manchmal ergriff. Keiner sprach so oft von seiner Heimat wie er, das war ihm schnell aufgefallen. Aber er störte sich nicht daran. Im Laufe der Zeit hatte er gelernt, es zu ignorieren.
Trotzdem hätte keiner abstreiten können, dass dieses Dörfchen hier wunderbar ins Schottland des 18. Jahrhunderts gepasst hätte.
Er wusste nicht so genau, warum Sheppard und sein Team ursprünglich hierher gekommen waren. An sich hatten die Leute hier wenig, womit sie handeln konnten. Vermutlich ging es um Nahrungsvorräte, denn sie hatten eine blühende Landwirtschaft.
Carson war erst später nachgekommen um, als Zeichen des guten Willens und der neuen Freundschaft zwischen den Völkern, ein paar Kranke zu versorgen. Die Meisten hatten keinen besorgniserregenden Gesundheitszustand, aber sie waren dennoch begeistert von der fortschrittlichen Medizin, die er mitbrachte.
Er beteiligte sich eigentlich auch kaum an den Verhandlungen. Sheppards Team bekam er den Tag über selten zu Gesicht und so streifte er allein durch das Dorf, um die Kranken zu versorgen.
Einer von ihnen war Sammis, ein alter Fischer, der auf seine alten Tage jedoch lieber seine Zeit damit verbrachte vor seinem Haus zu sitzen, eine Pfeife zu rauchen und die Sonne zu genießen. Er hatte sich ein nettes Plätzchen neben der Tür seines Hauses hergerichtet, von wo er wunderbar das Geschehen auf der Straße beobachten konnte, auf der ab und an ein Marktkarren vorbeifuhr.
Carson mochte den alten Mann. Anstatt ihn sofort die Verletzung an seiner Hand behandeln zu lassen, hatte ihn Sammis zuerst auf eine Tasse Tee eingeladen, ehe er sich wieder eine Pfeife angezündet hatte und den Arzt vom fernen Planeten an jenem besagten Sonnenplätzchen seine Arbeit machen ließ.
Sammis war ein Plauderer. Er erzählte gerne von seinen Erlebnissen auf dem Meer und Carson hörte ihm ebenso interessiert zu, während er begann einen Verband um die Hand des Mannes zu wickeln. Es war eine willkommene Abwechslung zur Hektik, die auf Atlantis herrschte.
Als Sammis eine kleine Pause einlegte und statt zu reden lieber genüsslich an seiner Pfeife zog, drang Carson plötzlich ein leiser Gesang ans Ohr. Für einen kurzen Augenblick sah auf, um sich zu vergewissern, woher das schöne Lied kam.
Nicht weit von ihnen entfernt, befand sich ein kleiner Brunnen, den die Dorfbewohner gerne nutzten, um dort ihre Wäsche zu waschen.
Heute war dort nur eine junge Frau beschäftigt, die während sie einige Kleidungsstücke im Wasser reinigte, leise vor sich hinsang. Carson konnte sich daran erinnern, dass er sie schon einmal gesehen hatte und ihm kam wieder in den Sinn, dass er ihre Mutter an diesem morgen wegen einer Erkältung behandelt hatte.
Sammis schien ihrem Lied ebenfalls zu lauschen, denn er machte keine Anstalten weiterzusprechen und so beschloss Carson vorerst auch zu schweigen. Er verstand nicht, um was es in dem Lied ging, denn sie sang es in einer Sprache, die er nicht kannte und die offenbar ein hiesiger Dialekt sein musste. So kam es, dass er sich mehr auf die Melodie konzentrierte, während er damit fortfuhr den Verband um Sammis' Hand zu legen.
"Ist ein ziemlich trauriges Lied", stellte er nach einer Weile fest, um so wieder ein paar Worte mit dem alten Fischer zu wechseln. Sammis zog seine Pfeife aus dem grauen Bart heraus, unter dem sich irgendwo seine Lippen verbargen.
"Sie singt von Kalim", erklärte er ruhig und blinzelte kurz gegen die warme Sonne, ehe er hinzufügte: "Der Junge, der aus dem Nebel kam."
Carson sah auf. Das klang in seinen Ohren fast wie der Titel eines Buches.
"Ist das eine Legende?", fragte er deshalb neugierig. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass sich Sammis' Gesichtsausdruck verändert hatte. Er wirkte plötzlich sehr nachdenklich.
"Es ist die Wahrheit, Dr. Beckett", antwortete er schließlich und blickte ihn dabei mit seinen ernsten, grauen Augen an. "Wir singen dieses Lied, um unsere Kinder zu warnen."
"Wovor?"
Carsons Neugier war geweckt. Er hatte schon immer gerne alte Legenden verschlungen. Seine Mutter hatte ihm schon als Kind solche Geschichten erzählt. Von Zauberern und mutigen Rittern. Und von geheimnisvollen Orten, die irgendwo versteckt lagen.
Sammis zögerte. Vermutlich fragte er sich, ob Carson sein Interesse nur vortäuschte. Immerhin kam er aus einer anderen Welt und hatte sicher seine Vorbehalte gegenüber den Geschichten, die hier von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Aber dann entschied er sich dafür, dass sein Gegenüber doch recht vertrauenswürdig war.
"Es ist schon viele viele Jahre her…", begann er langsam zu erzählen und nahm erneut einen Zug von seiner Pfeife. Carson hörte ihm aufmerksam zu, während er anfing, das Verbandsmaterial einzupacken.
"…da tauchte eines Morgens ein Junge auf. Keiner wusste, woher er kam oder wie er ins Dorf gefunden hatte. Er stand auf einmal einfach da, im Nebel, der von den Bergen herabgezogen war."
Sammis erzählte die Geschichte, ohne sie übertrieben wirken zu lassen, aber mit einer Spannung, die Carson sofort fesselte.
"Er sprach nicht viel und konnte niemandem wirklich erklären, wer er war. Also beschlossen die Dorfbewohner, ihn bei sich aufzunehmen. Ein Schmied holte ihn zu sich ins Haus und zog ihn zusammen mit seinem eigenen Sohn auf. Aber schon bald wurde allen klar, dass der Junge noch ein Geheimnis hütete; dass er eine dunkle Seite in sich verbarg. Je länger er blieb, desto eigenartiger verhielt er sich. Und so stand für alle bald fest, dass er nur der Sohn einer Hexe sein konnte."
Carson spürte ein mulmiges Gefühl in sich aufkommen, als er bemerkte, mit welcher Verachtung der alte Mann den letzten Satz aussprach. So, als hege er einen tiefsitzenden Hass gegen diesen Jungen.
Der Sohn einer Hexe. Das passte hervorragend zu den Erzählungen, mit denen sich einst die Menschen im Mittelalter verrückt gemacht hatten. Wenn sie etwas nicht verstanden hatten, hatte sofort das Böse seine Finger im Spiel. Ohne die Geschichte zu kennen, wusste Carson bereits, dass sie mit Sicherheit kein gutes Ende nehmen würde.
"Eines Tages verschwand der Sohn des Schmieds spurlos und allen war klar, dass nur Kalim dafür verantwortlich sein konnte. Also taten die Leute, was sie tun mussten, um sich vom Bösen zu befreien, das ihr Dorf heimgesucht hatte."
Sammis dämpfte theatralisch seine Stimme und senkte für einen Moment den Blick, während ihn Carson nur ahnungsvoll beobachtete.
"Was haben sie getan?", fragte er vorsichtig, als der Alte nicht von sich aus weitersprach. Sammis sah wieder auf und in seinen Augen lag etwas Beängstigendes.
"Sie jagten den Jungen aus dem Dorf, hoch zur Ebene von Tansrit, wo die alten Ruinen liegen. Dort gibt es ein gefährliches Moor, das jeden verschlingt, der sich hineinwagt. Dorthin trieben sie ihn. Zurück in den Nebel, aus dem er gekommen war."
Carson spürte, wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. Und diese Geschichte hatte sich tatsächlich so zugetragen? Die Vorstellung einen Jungen, von dem man nicht mal wusste, ob er womöglich völlig unschuldig gewesen war, unbarmherzig in den Tod getrieben zu haben, erschreckte ihn. Er schluckte schwer und blickte dann nochmal zum Brunnen hinüber.
Die junge Frau war inzwischen mit ihrer Arbeit fertig und war gegangen. Allmählich fragte sich Carson, ob es so eine gute Idee gewesen war, Sammis nach dieser Geschichte zu fragen. Das Bild eines Jungen, der voller Angst im Moor ertrank, wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf.
"Und… was geschah dann?", fragte er schließlich, als er sich wieder Sammis zuwandte.
Der alte Fischer lehnte sich zurück und schob seine Pfeife wieder in den Mund.
"In der darauf folgenden Nacht, verschwanden alle Kinder aus dem Dorf. Eine alte Frau, die stets einen leichten Schlaf besaß, behauptete gesehen zu haben, wie die Kinder zielstrebig durch den Wald in Richtung Tansrit marschiert sind. Mit nichts weiter bekleidet als ihrem Nachtgewand und einer Laterne in der Hand. Man fand sie nie wieder. Genauso wenig wie all die Anderen, die es seither gewagt haben des Nachts die Ruinen zu betreten."
Sammis seufzte leise.
"Das ist der Grund, weshalb wir unsere Kinder warnen, Dr. Beckett. Niemand darf sich in die Nähe des Moors begeben, sonst zieht ihn Kalims verlorene Seele unweigerlich ins verderben."
Allmählich wurde es Carson doch ein wenig zu unheimlich. Nicht, dass er sich von Sammis' Geschichte einschüchtern lassen hätte - auch wenn er zugeben musste, dass sie nicht spurlos an einem vorüberging. Aber es kam ihm so vor, als wolle ihn der alte Fischer ganz gezielt davon abhalten, dorthin zu gehen.
"Keine Sorge", entgegnete er ihm schließlich und brachte endlich wieder ein Lächeln zustande, während er sich erhob und nach seinem Rucksack griff. "Ich sehe keinen Grund, warum ich zu den Ruinen gehen sollte."
Voller Unbehagen beobachtete er, wie Sammis nachdenklich die Augenbrauen hochzog und an der Pfeife kaute. "Sie vielleicht nicht", gab er verschwörerisch zurück. "Aber fragen Sie mal Ihre Begleiter."
Carson entgegnete nichts darauf. Auch wenn Sammis nicht mehr dazu sagte, war ihm durchaus klar geworden, worauf der alte Mann abzielte. Leicht verunsichert nickte er ihm zum Abschied zu, während er sich auf den Weg zur Unterkunft machte, wo sie ihr Quartier bezogen hatten. Er hatte einen beunruhigenden Verdacht und hoffte nur, dass Sammis sich irrte.

"Die Signale, die ich empfangen habe, deuten eindeutig auf eine Energiequelle hin. Zu schwach, um ihre genau Größe festzustellen, aber dafür müsst' ich sie mir ansehen."
Carson hörte Rodneys Stimme bereits, bevor er die Tür des Zimmers geöffnet hatte. Offensichtlich hatte er gerade einen günstigen Augenblick erwischt. Sheppards gesamtes Team war anwesend und beriet sich über ihr weiteres Vorgehen. Der Colonel hatte es sich auf einem der Betten bequem gemacht, während sich Ronon lässig an die Fensterbank lehnte. Teyla hatte auf einem Stuhl Platz genommen und Rodney stand irgendwo dazwischen und unterstrich seine Ausführungen mit wilden Gesten.
Carson beschloss, sich zunächst etwas im Hintergrund zu halten, schließlich wusste er ja nicht, um was es gerade ging. Und so blieb er neben der Tür stehen und hörte den Anderen einfach zu, die ihm nur einen kurzen Blick zugeworfen hatten, ohne einen Kommentar abzugeben.
"Lohnt es sich, das anzusehen?", fragte Sheppard, nachdem er McKay einige Zeit zugehört hatte. Dieser warf ihm einen genervten Blick zu, ehe er bissig erwiderte: "Nein, ich habe es nur erwähnt, um Ihnen die Gelegenheit zu geben, mir dumme Fragen zu stellen."
Der Colonel verdrehte leicht die Augen, verkniff sich aber jeglichen Kommentar. Er war nichts Anderes von seinem kanadischen Teamkollegen gewohnt.
"Natürlich lohnt es sich, das anzusehen", fügte dieser eingeschnappt hinzu. "Ich habe nämlich keine Lust, nach ewigen Verhandlungen mit nichts weiter als Kartoffeln und Obst zurückzukehren."
Im Grunde hatte er Recht. Für einen Wissenschaftler wie McKay war der Besuch in einem solchen Dorf sicher reine Zeitverschwendung. Es sei denn, er fand doch noch ein kleines Stückchen Technologie, das er erforschen konnte.
"Na schön", gab Sheppard nach. "Und wo finden wir diese Ruinen?"
"Irgendwo im Wald. Sie nennen sie die Ebene von Tansrit oder so ähnlich."
In diesem Augenblick wurde Carson hellhörig. Hatte er da gerade richtig gehört? Rodney wollte ausgerechnet zu jenen Ruinen, vor denen Sammis ihn gewarnt hatte? Einen Moment zögerte er, in der Hoffnung, dass jemand etwas sagte. Aber offensichtlich schien sonst niemand von den Geschichten zu wissen, die man sich über diesen Ort erzählte.
"Ich halte das für keine so gute Idee, Rodney", mischte er sich deshalb leicht beunruhigt ein. Es war genauso, wie er es befürchtet hatte. Niemand sonst hätte es für nötig gehalten, sich die Ruinen anzusehen. Nur Rodney musste das Schicksal unbedingt auf die Probe stellen.
Sein Einwand sorgte allerdings nur dafür, dass ihm der Kanadier einen entnervten Blick zuwarf. "Ach komm schon, Carson. Sag jetzt nicht, du glaubst an diesen Humbug."
Er wusste also davon. Das war typisch Rodney; solche Geschichten waren nichts weiter als Spinnereien, die man getrost ignorieren konnte. Dabei steckte in jeder Überlieferung immer ein wahrer Kern.
"Humbug?", wiederholte Sheppard überrascht und richtete sich leicht auf. Carsons Einwand hatte ihn offenbar stutzig gemacht. Sein fragender Blick wanderte zwischen den Beiden hin und her, während er auf eine Erklärung hoffte.
"Die Leute im Dorf behaupten, dass die Ruinen mit einem Fluch behaftet sind", antwortete ihm der Schotte schließlich, gemäß den Dingen, die er von Sammis erfahren hatte. Leicht gekränkt beobachtete er, wie Rodney abschätzig den Kopf schüttelte und ein leises, spöttisches Lachen von sich gab.
Einerseits mochte sich seine Antwort sicher etwas verrückt anhören, aber auf der anderen Seite hätte er es nicht erwähnt, wenn er nicht auch ein wenig daran glaubte. Er hatte inzwischen genug Erfahrungen gesammelt, um zu wissen, dass solche Geschichten nicht ohne Grund erzählt wurden.
Sheppard schien offenbar zu demselben Schluss gekommen zu sein, denn er warf McKay einen kritischen Blick zu, als er fragte: "Und Sie haben davon gewusst?"
Es war dem Kanadier deutlich anzusehen, dass er sich dicht an der Grenze seiner Geduld bewegte. Aber er beließ es bei einem Schnauben und entgegnete mit hart erkämpfter Ruhe: "Hören Sie, ungeachtet dessen, dass ich diese ganze Ruinen-Nebel-Geschichte für totalen Schwachsinn halte… die Warnungen beziehen sich lediglich auf diejenigen, die die Ruinen in der Nacht betreten. Aber wie Sie sehen ist es helllichter Tag, die Sonne scheint, was wollen Sie mehr? Wir sehen uns um und bis Sonnenuntergang sind wir längst wieder zurück."
Er schaute erwartungsvoll von einem zum anderen, als erhoffe er sich jetzt endlich die nötige Unterstützung. Auch die Anderen tauschten stumme Blicke untereinander aus, während jeder darauf wartete, dass der Andere als erstes Stellung dazu bezog.
"Ich bin sicher, dass sich diese Menschen diese Legende nicht einfach nur ausgedacht haben. Jede Geschichte hat auch einen wahren Kern", gab Teyla zu bedenken. Carson war froh, dass sie seiner Meinung war. Vielleicht konnte er sie ja doch noch umstimmen. Aber im nächsten Augenblick wurde seine Hoffnung bereits zunichte gemacht, als die Athosianerin hinzufügte: "Wir sollten dennoch nicht vergessen, dass solche Orte seit jeher schon eine beängstigende Wirkung auf die Menschen hatten."
Hilflos wanderte Carsons Blick zu Ronon, aber auch vom Runner konnte er keine Unterstützung erwarten.
"Ich finde, wir sollten das Risiko eingehen", knurrte er und verschränkte unbeeindruckt die Arme vor der Brust. Das war ja klar gewesen. Ronon schreckte vor nichts zurück. Sein Motto lautete stets mit dem Kopf durch die Wand und gerade in einem solchen Fall, konnte er sich damit hervorragend mit Rodney zusammentun.
Carsons letzte Hoffnung ruhte auf Sheppard. Schlussendlich würde er die Entscheidung treffen und er kannte den Colonel gut genug, um zu wissen, dass er stets die Sicherheit seines Teams berücksichtigte.
"Na schön", murmelte dieser schließlich und erhob sich langsam vom Bett. "Lassen wir's auf einen Versuch ankommen."
Carson schloss für einen kurzen Moment die Augen, während er resigniert den Kopf schüttelte. Er konnte nicht glauben, dass die Anderen ihn wirklich überstimmt hatten. War er tatsächlich so übervorsichtig? Langsam fing er selbst an, daran zu zweifeln, ob seine Sorge wirklich gerechtfertigt war.
Rodney hingegen grinste triumphierend, stolz darauf, wieder einmal seinen Dickschädel durchgesetzt zu haben. Carson glaubte sogar, ein kleinwenig Wut in sich aufkochen zu spüren, als er dies sah. Manchmal war es schwer zu ertragen, den Kanadier als Sieger aus einer Diskussion hervorgehen zu lassen.
Sheppard hatte für solche Fälle aber glücklicherweise immer den passenden Spruch parat, denn während seine Freunde die Ausrüstung anlegten, bemerkte er frech: "Ich habe aber keine Lust Ihren Hinter dann vor irgendeiner Waldhexe retten zu müssen."
Prompt verblasste Rodneys Grinsen und wich einer beleidigten Mine.
"Ich habe mich noch nie von irgendwelchen Märchengestalten fangen lassen", gab er empört zurück, was allerdings keinen zu interessieren schien.
Carson verfolgte alles, ohne sich von der Stelle zu rühren. Er hatte noch immer ein mulmiges Gefühl dabei, aber daran würde sich wohl jetzt nichts mehr ändern lassen.
"Also gut, auf geht's!", rief Sheppard, als alle soweit waren. "Ich will zurück sein, bevor's dunkel wird."
Damit machte er den Anfang und stapfte an Carson vorbei zur Tür hinaus. Keiner gab noch einen Kommentar von sich. Und niemand schien von ihm zu verlangen, sich anzuschließen, was er auch nicht erwartet hätte. Schließlich hatte er andere Dinge im Dorf zu tun. Nur Rodney, der konnte seine Gedanken natürlich nicht für sich behalten. Und so raunte er dem Schotten herausfordernd zu: "Du kannst ja hier bleiben, wenn du Angst hast."
Er wusste genau, dass Carson so etwas nicht auf sich sitzen ließ. Aber der Astrophysiker wartete nicht auf eine Reaktion, sondern folgte zielstrebig den Anderen aus dem Haus.

Trotz aller Bedenken ließ es sich Carson natürlich nicht nachsagen ein Angsthase zu sein und so begleitete er das Team zu den Ruinen. Ein Dorfbewohner brachte sie in die Nähe, wagte es allerdings nicht, sie bis ganz ans Ziel zu führen.
Die Ruinen entpuppten sich als ein riesiger Steinkreis aus haushohen Felsen, die nach oben hin spitz zuliefen. Es handelte sich eher um ein Oval als einen Kreis, bei dem sich an einem Ende eine Art Tempel befand. Das andere Ende jedoch war schwer zwischen den Nebelschwaden auszumachen, die alles, was sich dahinter befand, verschluckten. Dort lag die Ebene von Tansrit. Das Moor, das alle im Dorf so sehr fürchteten.
Carson war froh, dass sich seine Sorgen nicht bestätigten. Nichts deutete auf eine unmittelbare Gefahr hin, auch wenn der Ort zweifellos etwas Unheimliches an sich hatte. Vor allem wenn man wusste, was sich einst hier abgespielt hatte.
Als Carson an diesem Abend das Gasthaus verließ, in dem die Dorfbewohner ein kleines Fest zu Ehren ihrer neuen Freunde gegeben hatten, war er im Grunde mit allem recht zufrieden.
Ganz im Gegensatz zu Rodney, der nach stundenlangen Tüfteleien nicht in der Lage gewesen war, das Steintor des Tempels zu öffnen. Kurzum, der kleine Ausflug, um den so viel Wind gemacht worden war, entpuppte sich schlussendlich als völlig sinnlos.
McKay war nicht gerade dafür bekannt, solche Niederlagen gut wegstecken zu können, was vermutlich auch der Grund gewesen war, weshalb er das Fest schon so früh verlassen hatte. Es hatte ihn keiner aufgehalten, denn man war solche Phasen von ihm gewohnt.
Rodney war nun mal wie er war und er würde sich darin wohl auch nie ändern. Aber trotz seiner direkten und oft sehr arroganten Art, war er dennoch ein guter Kerl. Vielleicht war das nicht immer für alle offensichtlich, aber Rodney war durchaus ein Freund, auf den man sich verlassen konnte.
Carsons Schritte waren leise auf dem Kies der Straße zu hören, als er durch das nächtliche Dorf streifte. Er traf auf seinem Weg niemanden, was wohl daran lag, dass die Dorfbewohner entweder beim Fest oder schon im Bett waren.
Carson hatte sich ebenfalls dazu entschieden, das ganze Spektakel etwas früher zu verlassen. Nicht weil es ihm nicht gefallen hätte, aber irgendwie hatte er gemerkt, dass ihn der ganze Tag doch recht erschöpft hatte.
Bis zum Haus von Fara, der Frau, die ihnen großzügig ihr Haus als Unterkunft zur Verfügung gestellt hatte, war es ohnehin noch ein ziemliches Stückchen zu gehen und er genoss den nächtlichen Spaziergang.
Die frische Luft, die Stille und das silberne Mondlicht waren eine willkommene Erholung zur lauten, stickigen Atmosphäre, die im Gasthaus geherrscht hatte.
Er war schon einige Zeit unterwegs und versank immer mehr in Gedanken. Doch plötzlich wurden seine Schritte langsamer. Er hatte schon einige Zeit lang den Mond am Himmel angeschaut, aber erst jetzt glaubte er im Unterbewusstsein etwas mit ihm in Verbindung zu bringen. Worte, die ihm heute zu Ohren gekommen waren. Irgendetwas von Reflektoren, magnetischen Feldern, Einstrahlungswinkeln.
Je länger er grübelte, desto deutlicher glaubte er Rodneys Stimme in seinem Ohr zu hören und er verfluchte sich dafür, nicht besser aufgepasst zu haben. Wieso bloß kam ihm das auf einmal in den Sinn? Der Mond! Es hatte irgendetwas mit dem Mond zu tun!
Plötzlich blieb Carson wie angewurzelt stehen. Nur mühsam widerstand er der Versuchung sich fluchend mit der flachen Hand gegen die Stirn zu schlagen. Wieso zum Teufel war ihm das nicht schon früher eingefallen?
Der Tempel brauchte das Mondlicht. Zugegeben, er hätte nicht wirklich sagen können, wozu, aber es spielte mit Sicherheit eine Rolle. Deswegen war der Ort in der Nacht so gefährlich. Nach und nach setzten sich alle Puzzleteile zu einem Bild zusammen.
Aber warum war Rodney nicht darauf gekommen?
Irgendetwas zog sich auf einmal in ihm zusammen.
Natürlich war er drauf gekommen! Er hatte es nur niemandem gesagt, weil er gewusst hatte, dass Sheppard keine nächtliche Mission erlaubt hätte.
Schlagartig sah Carson alles ganz klar vor sich. Der Kanadier war nicht früher gegangen, weil er müde gewesen war, sondern um auf eigene Faust loszuziehen, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Erschrocken rannte Carson los. Bis zu Faras Haus war es nicht mehr weit. So schnell er konnte, hetzte er um die nächste Straßenecke, stieß die Haustür auf, polterte die Treppe hinauf und platzte ins Schlafzimmer. Er spürte wie ihm das Herz vor Aufregung bis zum Hals klopfte. Sein Verdacht hatte sich bestätigt; von Rodney fehlte jede Spur.
Einen Schreckensmoment lang blieb er nur regungslos in der offenen Tür stehen, um zu realisieren, dass ihn seine Intuition nicht getäuscht hatte. Dann erst griff er hastig nach seinem Funkgerät.
"Colonel Sheppard, Rodney ist weg!", platzte er heraus, noch immer völlig außer Atem durch den zurückgelegten Sprint. Keine unnötigen Details. Dieser Satz musste ausreichen, um den Ernst der Lage zu verdeutlichen und den Soldaten zu alarmieren.
"Was soll das heißen, er ist weg?", meldete sich Sheppards verwunderte Stimme nach einigen Sekunden. Inzwischen hatte Carson seine Atmung wieder soweit unter Kontrolle, um etwas ruhiger zu klingen und die Situation genau darzulegen.
"Er ist nicht hier. Ich fürchte, er ist nochmal zu den Ruinen."
Was Sheppard daraufhin murmelte, konnte Carson nicht recht verstehen. Aber er glaubte die Worte verdammter Sturkopf herauszuhören.
Der Schotte wurde langsam aber sich immer unruhiger. Jede Sekunde, die sie verschwendeten, bedeutete ein mögliches Risiko für Rodney. Nervös warf er einen Blick aus dem Fenster, durch das man die schwarzen Konturen des Waldes erkennen konnte.
Es würde zu lange dauern. Das Gasthaus befand sich am anderen Ende des Dorfes. So lange konnte er nicht warten.
"Ich gehe los und suche ihn", entschloss er sich kurzerhand und machte auf dem Absatz kehrt. Er hörte noch wie Sheppard ihm empört den Befehl erteilte, gefälligst an Ort und Stelle zu bleiben, aber auch das ignorierte er gekonnt. Auch wenn er wusste, welchen Fehler er hiermit beging, schaltete er einfach sein Funkgerät aus, um nicht weiter Sheppards Protest zu hören.
Als sich die ersten Zweifel in Carsons Gewissen regten, war er bereits aus dem Haus gerannt und hatte den Waldrand erreicht.
Natürlich war es verrückt. Natürlich wäre es vernünftiger gewesen, auf die Anderen zu warten.
Aber schlagartig waren all die Befürchtungen zurückgekehrt, die den Schotten seit Sammis' Erzählung nicht mehr losließen. Und wenn sich wirklich auch nur ein Fünkchen Wahrheit darin befand, dann schwebte Rodney in Lebensgefahr.

Gegenwart
Carson glaubte entfernt einen leichten Schimmer zu erkennen. Je näher er dem Waldrand kam, desto seltsamer kam ihm dieses Licht vor. Das konnte doch nicht einfach nur das Mondlicht sein.
Schnaufend stolperte er über den unebenen Boden. Wenn er doch nur eine Taschenlampe gehabt hätte. Aber diese musste er irgendwann auf dem Weg verloren haben. Lange hätte er wohl einen solchen Sprint nicht mehr durchgehalten, aber zum Glück erreichte er endlich sein Ziel.
Kaum, dass er am Waldrand angekommen war, musste er unwillkürlich stehen bleiben. Nicht allein, um wieder zu Atem zu kommen. Der Anblick, der sich ihm bot, machte es ihm für einen Augenblick unmöglich sich zu bewegen.
Die Steine leuchteten. Nein, eigentlich war das ganz unmöglich. Steine konnten schließlich nicht leuchten! Was er sah, war nichts anderes als das Mondlicht, das sich in kleinen Reflektoren in den Steinen widerspiegelte, die tagsüber nicht erkennbar gewesen waren.
Zusammen gesehen machten sie nun aus dem Steinkreis einen mystischen Ort, der in ein unheimliches Licht getaucht war.
Carsons Blick wanderte nervös die Steine entlang. Er konnte den Tempel erkennen und glaubte zu sehen, dass er sich geöffnet hatte. Tatsächlich schien sich das reflektierte Mondlicht genau auf den Tempel zu projizieren.
Carson wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte und inwiefern hier Technologie im Spiel war. Für ihn hatte es im Moment Vorrang, Rodney zu finden.
In diesem Augenblick entdeckte er ein kleines Licht, das sich vom Tempel weg bewegte, zusammen mit der Silhouette eines Menschen. Ohne weiter zu zögern, rannte Carson den kleinen Abhang hinunter, hinein in das Innere des Steinkreises. Ihm war bewusst, dass er hier in ebenso großer Gefahr schwebte, auch wenn er noch nicht genau sagen konnte, worin diese Gefahr bestand. Aber es gab Dinge, die machten ein solches Risiko wert.
Je näher er kam, desto besser konnte er erkennen, dass es sich bei dem Licht um keine Taschenlampe handelte, sondern um eine kleine Laterne. Aber das flackernde Kerzenlicht darin spendete genug Helligkeit, um mit Sicherheit sagen zu können, dass es wirklich Rodney war.
Der Kanadier schenkte Carson nicht die geringste Beachtung, obwohl er ihn längst hätte auf ihn zurennen sehen müssen. Stattdessen marschierte er zielstrebig quer über die Wiese, Richtung…
Carson erschrak. Er lief direkt auf das Moor zu.
Carson beschleunigte auf den letzten Metern seine Schritte. Das konnte hier doch nicht mit rechten Dingen zugehen!
"Rodney, was zum Teufel tust du da?", rief er, noch ehe er ihn wirklich erreicht hatte. Zumindest müsste er spätestens jetzt erkannt haben, dass noch jemand hier war. Aber er reagierte nicht. Nicht einmal für eine Sekunde wandte er sich um, noch verlangsamte er sein Tempo.
Zum Glück schaffte es Carson endlich ihn einzuholen. Aber noch ehe er seine Entrüstung zum Ausdruck bringen konnte, oder es schaffte, ihn festzuhalten, erstarrte der Schotte plötzlich.
Noch nie in seinem Leben hatte er so etwas gesehen. Rodney hatte ja schon von Natur aus blaue Augen, aber diese helle bläuliche Färbung der Augen war nicht normal. Ja, es war ein fast schon beängstigender Schleier, der in seinem Blick lag. Ein leerer, abwesender Ausdruck.
Rodney stand unweigerlich unter einem Bann, der ihn dazu trieb immer weiter auf ein Ziel zuzugehen, das vor ihm lag: die Ebene von Tansrit; das tödliche Moor.
Für einen kurzen Moment war Carson zu überrascht, um Rodney aufzuhalten und so ließ er ihn einfach weiterlaufen. Dann aber fasste sich der Schotte wieder und holte die Schritte auf, die der Astrophysiker bereits zurückgelegt hatte.
"Rodney, hör zu…", versuchte Carson sein Glück, zu ihm durchzudringen. "Ich weiß nicht, was hier vorgeht, aber ich werde nicht zusehen, wie du blind in dein Verderben läufst."
Keine Reaktion. Rodney schien nicht mal zu realisieren, dass Carson neben ihm herlief und immer wieder einen unruhigen Blick zum Moor hinüber warf, dem sie schon beachtlich näher gekommen waren.
"Egal, was du gerade glaubst zu sehen, es ist nicht real. Ich weiß, dass du stark genug bist, dagegen anzukämpfen."
Carson gab die Hoffnung nicht auf, dass Rodney ihn trotz allem hörte. Was immer das für ein Bann war, unter dem der Kanadier stand, tief im Inneren musste noch der Rodney sein, den er kannte und der versuchte, sich gegen diesen fremden Einfluss zu wehren.
Doch im Moment machte es nicht den Anschein, als würden Worte allein genügen. Sie hatten den unteren Teil des Steinkreises schon fast erreicht, ohne dass Carson einen nennenswerten Erfolg erzielt hätte.
Auf einmal packte ihn eine Mischung aus Wut und Angst, weshalb er plötzlich schrie: "Rodney, verdammt nochmal, bleib stehen!"
Blitzschnell hatte er seine Hand ausgestreckt und hielt McKay am Arm fest, worauf diesem völlig unverhofft die Laterne aus der Hand entglitt. Scheppernd fiel sie zu Boden und erlosch.
Carson wartete nervös auf eine Reaktion. Zum ersten Mal schien seine Maßnahme Wirkung zu zeigen. Rodney war stehen geblieben und blickte Carson schweigend an, so als wüsste er nicht, was er jetzt tun sollte.
Jetzt bloß keinen Fehler machen!
Carson suchte krampfhaft nach den richtigen Worten. Er durfte jetzt nichts Falsches sagen, sonst war alles umsonst. Aber ohne es zu wissen, war sein Zögern bereits an sich ein Fehler. Denn plötzlich verfinstere sich Rodneys Mine und noch ehe Carson sich versah, hatte ihn der Astrophysiker bereits grob zur Seite gestoßen.
"Geh mir aus dem Weg!", zischte er, ohne darauf zu achten, dass Carson zu Boden ging. Selbst Rodneys Stimme klang anders als gewöhnlich, so als würde nicht er es sein, der dies sagte.
Carson rappelte sich eilig auf. Entsetzt stellte er fest, dass Rodney zügiger als zuvor weitermarschiert war. Er atmete tief ein. Er durfte jetzt nicht aufgeben. Er konnte doch nicht daneben stehen und zusehen, wie sein Freund in den sicheren Tod lief.
Hartnäckig lief er ihm nach und versperrte ihm dann trotzig den Weg. Ein zweites Mal würde er sich nicht beiseite schubsen lassen.
Rodney blieb stehen. Es war ihm deutlich anzusehen, wie wütend er war, schon wieder aufgehalten zu werden. Und obwohl Carson genau wusste, dass vor ihm sein Freund stand, glaubte er einen ganz anderen Menschen in ihm zu sehen. Diese Veränderung in seinen Augen ließ dem Schotten einen eisigen Schauer über den Rücken laufen. Zudem musste er sich selbst die Frage stellen, wie weit er selbst bereit war zu gehen, um Rodney aufzuhalten.
Die Reaktion des Kanadiers ließ nicht lange auf sich warten. Langsam, aber entschlossen wanderte seine Hand an den Gürtel seiner Uniform, ehe er mit tödlicher Ruhe ein Messer herauszog.
Carson zuckte erschrocken zusammen. Er hatte geahnt, dass er sich vielleicht auf ein Handgemenge mit ihm einstellen musste. Aber er hatte gehofft, dass Waffen dabei aus dem Spiel blieben. Er hätte ja selbst längst seine Pistole ziehen können, aber dies weigerte er sich zu tun. Egal was passieren würde, er war nicht bereit, seine Waffe gegen seinen Freund zu richten.
Er kam nicht mehr dazu, ihn durch Worte zur Vernunft zu bringen. Schon im nächsten Augenblick musste er einem Angriff ausweichen. Unbeholfen taumelte er zurück, als Rodney zweimal mit dem Messer nach ihm schlug. Offensichtlich beeinträchtigte die mysteriöse Kraft, die ihn beeinflusste, seine Bewegungen. Aber Carson zweifelte nicht daran, dass er sich auf einen harten Kampf eingelassen hatte. Auch wenn Rodney kein Soldat war, hatte er oft mit Sheppard trainiert und er war kein Gegner, den man unterschätzen durfte.
Carson erschrak über seine eigenen Gedanken. So weit war es also schon gekommen, dass er Rodney als seinen Gegner bezeichnen musste?
Als der Kanadier einen weiteren Angriff startete, reagierte Carson schneller und packte ihn am ausgestreckten Arm. Im Versuch sich loszureißen, verlor Rodney allerdings das Gleichgewicht, worauf beide zu Boden gingen.
Einige Male rollten sie sich übereinander im nassen Gras, in dem Bemühen die Oberhand über den Anderen zu gewinnen. Doch das Kräfteverhältnis schien sehr ausgeglichen zu sein. Bis es Rodney plötzlich gelang, seinen Gegner mit dem Messer am Oberarm zu erwischen.
Carson schrie leise auf, mehr des Schrecks wegen, als wirklich durch den Schmerz. Es war keine bedrohliche Wunde und der Schotte schenkte ihr keinerlei Beachtung, denn wenn er jetzt nicht aufpasste, würde es bei so einer kleinen Fleischwunde nicht bleiben. Eilig verteidigte er sich, indem er mit dem Ellenbogen ausschlug und dabei Rodney direkt in die Magengegend traf, worauf dieser keuchend zurückzuckte.
Diesen Moment nutzte Carson, um den Kanadier von sich zu stoßen und sich damit von der unmittelbaren Gefahr zu befreien. Rodney fiel zur Seite. In seiner Überraschung über Carsons Gegenattacke war ihm das Messer aus der Hand entglitten. Aber er zögerte nicht lange, um sich aufzurappeln.
Carson sah auf. Wenn er schnell genug war, erreichte er das Messer, noch bevor es Rodney wieder in die Finger bekam. Hastig rappelte er sich auf und wollte nach dem Messer greifen. Aber in diesem Moment warf sich Rodney mit aller Kraft gegen ihn.
Carson verlor den Halt und schlug hart mit dem Rücken auf dem Boden auf. Einen kurzen Augenblick lang rang der Schotte nach Luft. Der drückende Schmerz machte es ihm unmöglich sich zu bewegen.
Dann aber sah er, wie sich Rodney auf ihn stürzen wollte und es gelang ihm gerade noch rechtzeitig, sich auf die Seite zu rollen. Nie hätte er sich träumen lassen Rodneys Kräfte auf diese Weise zu spüren zu bekommen. Sie führten einen Kampf, als wären sie schon seit jeher erbitterte Feinde, anstatt die besten Freunde.
Carson schaffte es, Rodney durch einen gezielten Tritt in die Kniekehle zu Fall zu bringen. Aber dieser wusste sich sofort zu helfen. Noch im Sturz gelang es ihm, sich über Carson zu rollen und ihm mit der Faust einen schmerzhaften Schlag in den Bauch zu verpassen.
Instinktiv krümmte sich der Schotte zusammen, aber ein harter Schlag ins Gesicht gab ihm den Rest. Er war zu benommen, um verhindern zu können, dass Rodney einen erneuten Angriff mit dem Messer startete. Das Einzige, was er noch schaffte, war abwehrend seine Hände zu heben, um ihm nicht völlig leichtes Spiel zu überlassen.
Doch auch das war im Grunde nur noch ein Verzweiflungsakt. Rodney war viel zu stark, als dass Carson es verhindern konnte, dass sich die Klinge bedrohlich seiner Kehle näherte. "Rodney… bitte!", keuchte Carson, in dem Bemühen die Hand des Astrophysikers von sich zu drücken. Es wäre aussichtslos gewesen, jetzt noch auf Handeln zu setzen. Ihm war klar, dass er diesen Kampf verloren hatte. Was ihm jetzt noch blieb, war ein letztes Mal an seine Vernunft zu appellieren.
"Ich weiß, dass du das nicht willst. Kämpf dagegen an! Du bist stärker als das."
Carson spürte, dass ihn die Kraft verließ. Er glaubte bereits die Klinge an seinem Hals zu spüren. Aber er hatte dennoch das Gefühl, als würde Rodney zögern.
Hoffend blickte er ihm in die Augen, über denen noch immer dieser unheimliche, blaue Schleier lag. Aber da war noch etwas. Ein Hauch von Zweifel. War er womöglich doch zu ihm durchgedrungen?
Carson biss die Zähne zusammen. Er musste jetzt alles auf eine Karte setzen, denn eine weitere Gelegenheit würde sich ihm nicht mehr bieten.
"Verdammt, ich bin's, Carson! Erkennst du mich denn nicht? Wir sind Freunde, hast du das vergessen?"
Für einen kurzen Moment flackerte noch einmal Hass und Zorn in Rodneys Augen auf, während die Klinge bereits Carsons Kehle berührte. So als fände in ihm ein weit härterer Kampf statt, als der, den sie beiden gerade ausgefochten hatten.
Carson konnte kaum noch atmen. Sekunden verstrichen wie eine Ewigkeit. Bis sich plötzlich Rodneys Miene veränderte. Der Wut wich plötzlich Entsetzen, ja, fast schon Angst. So als wäre ihm erst jetzt klar geworden, was er tat.
Carsons Atem stockte. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was als nächstes passieren könnte. Dann aber merkte er, wie sich der Druck an seinem Hals lockerte und der Kanadier langsam einen Arm zurückzog.
Carson war nicht in der Lage irgendetwas zu sagen. Er war schon froh, dass es ihm gelang wieder zu atmen, während er noch immer nervös jede von Rodneys Bewegungen verfolgte.
Er registrierte erst jetzt, dass er tatsächlich zitterte. Kein Wunder, wenn man bedachte, wie knapp er gerade dem Tod entronnen war. Er hatte mit vielen Möglichkeiten gerechnet den Gefahren in dieser Galaxie zum Opfer zu fallen, vorneweg durch einen Wraith. Aber sicher nicht durch die Hand seines besten Freundes.
Noch während er sich von dem Schreck erholte, richtete sich Rodney langsam auf. Auf einmal wirkte er gerade zu verstört. Trotz des schummrigen Mondlichts erkannte Carson, dass er anfing hastig und schwer zu atmen, als geriete er plötzlich in Panik.
Er hatte es also geschafft. Rodney fing tatsächlich an, sich dem fremden Einfluss gegenüber zu widersetzen. Im nächsten Augenblick ließ er einfach das Messer auf den Boden fallen, wirbelte herum und rannte davon.
Carson fuhr auf. Er hatte genug Zeit genug gehabt, sich zu erholen. Es ging jetzt nicht mehr darum, das eigene Leben zu retten. Hastig sprang er auf und setzte dem Kanadier nach, der bereits zwischen den ersten Nebelschwaden verschwunden war. Es blieb keine Zeit mehr für Zimperlichkeiten. Kaum, dass er Rodney eingeholt hatte, sprang er ihn einfach von hinten an und warf sich zusammen mit ihm zu Boden.
Noch nie in all der Zeit, seit er ihn kannte, hatte Carson je einen solchen Schrei von Rodney gehört. Gezeichnet von Angst und Hysterie. Zappelnd versuchte er sich zu befreien, aber Carson gelang es, ihn so zu umklammern, dass jede Gegenwehr zwecklos war. Es kostete den Schotten einige Mühe, ihn am Boden zu halten, aber diese brachte er auf. Schließlich waren sie dem unberechenbaren Moor schon viel zu nahe gekommen.
Er spürte, wie sich Rodney unter ihm ein letztes Mal versuchte vom Boden wegzudrücken, ehe sein Widerstand vollkommen in sich zusammenbrach.
Stille trat ein.
Einen kurzen Moment zögerte Carson noch, dann wagte er es vorsichtig, seinen Griff zu lösen. Rodney regte sich nicht. Carson ließ von ihm ab und vergewisserte sich dann besorgt nach seinem Zustand. Er hatte das Bewusstsein verloren. Dieser Kampf hatte ihm wohl die letzte Kraft gekostet.
Fürs Erste blieb Carson einfach nur neben ihm im Gras sitzen und atmete tief durch. Das Schlimmste hatten sie somit überstanden. Wenn er es schaffte, ihn wieder zurück ins Dorf zu bringen, weit weg von den Ruinen, dann würde sich sein Zustand sicher wieder bessern.
Als er glaubte wieder genug Kräfte beisammen zu haben, um seinen Plan in die Tat umzusetzen, stand er langsam auf.
Seltsam, er hatte eine Stille noch nie so erdrückend empfunden. Kein Windhauch. Nur die Nebelschwaden, die lautlos über den Boden krochen.
Oder täuschte er sich? Auf einmal glaubte er eine entfernte Stimme zu hören. Zunächst nur leise und nicht zu deuten, doch dann wurde sie immer verständlicher. Carsons Blick wanderte unruhig durch den undurchdringlichen Nebel. Aus dem Flüstern war ein Rufen geworden. Nur ein Wort, das er nicht verstand und doch vertraut wirkte.
War da jemand? Im Nebel? Vielleicht jemand, der sich verirrt hatte? Oder Sheppard und die Anderen?
Erst jetzt kam ihm der Gedanke sie über Funk zu verständigen. Er musste nur sein Funkgerät wieder einschalten. Aber noch während er seine Hand hob, entdeckte er plötzlich ein Licht. Das Licht einer Laterne. Es schimmerte zwischen den Nebelschwaden hindurch, ließ allerdings nicht darauf schließen, wer sich dort befand.
Carson spürte wie ihm das Herz raste. Da war noch eins! Allerdings ein ganzes Stück entfernt vom anderen.
Er fuhr erschrocken herum. Wieder war eines aufgetaucht.
Sie mussten hier weg. So schnell wie möglich. Eilig packte er den bewusstlosen Astrophysiker und versuchte ihn Richtung Wald zu schleppen. Aber die Hast, mit der er panisch versuchte zu entkommen und die Tatsache, dass ihre Auseinandersetzung ihn so erschöpft hatte, verhinderten es, dass er weit kam. Schon nach wenigen Schritten stolperte er und fiel samt Rodney hin.
Nicht aufgeben!, redete er sich ein und rappelte sich trotzig wieder auf. Doch noch ehe es ihm gelang auch Rodney hoch zu ziehen, erstarrte er. Zum ersten Mal verstand er deutlich was die fremden Stimmen riefen. Sie verlangten nach ihm. Sie riefen seinen Namen.
Entsetzt blickte er wieder in die Tiefen des Nebels, sah die unheimlichen Lichter tanzen und verspürte plötzlich den Drang, herauszufinden was sich dort befand.
Ein schwacher Windhauch fegte vorbei und gab für den Bruchteil einer Sekunde den Umriss eines Menschen preis.
Da war doch jemand!
Carson machte einen Schritt nach vorne. Dann noch einen. Ehe er, ohne es zu merken, immer weiter darauf zuging.
Er würde aufpassen nicht ins Moor zu laufen. Er wollte doch nur wissen, wer dort stand. Er kam ihm allmählich näher. Aber die Stimmen waren verstummt, die entfernten Lichter erloschen. Nur der Mensch stand dort noch, als warte er auf ihn.
Und Carson kam. Schritt für Schritt. Als wäre es selbstverständlich.
Wenn es eine Halluzination gewesen wäre, wäre sie doch irgendwann verschwunden. Aber die Gestalt im Nebel blieb, rührte sich nicht und wartete auf ihn.
Je näher Carson kam, desto mehr Details wurden ihm bewusst. Es war eine kleine Gestalt. Ein Kind. Ein Junge.
Kalim!
Plötzlich blieb Carson stehen, nur wenige Schritte von ihm entfernt. Er sah den Jungen an und war sich sofort klar, das musste Kalim sein. Auch wenn er ihn nie zuvor gesehen hatte und vor allem, obwohl er sich nicht erklären konnte, wie der Junge schon seit Jahren hier im Nebel ausgeharrt haben konnte.
War er so was wie ein Geist?
Carson schluckte schwer. Er war Legenden gegenüber aufgeschlossen, aber war es nicht doch etwas übertrieben an Geister zu glauben?
"Ich habe nichts getan", sagte der Junge plötzlich. In seiner hellen, kindlichen Stimme lag Traurigkeit und Enttäuschung. Carson brauchte einen Augenblick, ehe ihm klar wurde, dass Kalim versuchte, sich vor ihm zu rechtfertigen; für eine längst vergangene Geschichte.
Nervös überlegte er, wie er reagieren sollte und entschied sich dann, sich vorerst darauf einzulassen.
"Ich weiß", gab er leise und beruhigend zurück. "Was dir passiert ist, war großes Unrecht."
Er konnte den Jungen jetzt deutlich vor sich sehen, in seinem einfachen Gewand, wie es die hiesigen Dorfbewohner trugen und mit seinen wachsamen blauen Augen, die es im Grunde unmöglich machten, ihm etwas Böses zuzutrauen.
War es womöglich nur Fassade? Wieso hatten die Dorfbewohner einst geglaubt, er hätte eine schwarze Seele? Mehr denn je war sich Carson sicher, dass das alles nur Aberglaube gewesen war. So wie auf der Erde einst viele unschuldige Frauen der Hexerei beschuldigt worden waren.
"Arus war mein Freund", erklärte Kalim weiter. "Ich hätte ihm nie etwas getan."
Arus musste der Sohn des Schmieds gewesen sein. Vielleicht war das jetzt die Gelegenheit Licht in diese Angelegenheit zu bringen.
"Was ist damals passiert?", fragte er deshalb. Glücklicherweise war Kalim bereit, alles offen zu erklären. "Wir haben gespielt… draußen in den Wäldern. Wir wollten zu den Ruinen. Aber dann wurde es dunkel und plötzlich ist er verschwunden. Ich habe ihn überall gesucht, aber ich konnte ihn nicht mehr finden."
Er schwieg und senkte den Blick. Damit hatte Carson schon gerechnet. Eine simple Erklärung ohne Hokuspokus. Aber in ihrem Wahn hatten sich die Leute damals etwas Anderes eingeredet.
"Niemand wollte mir glauben", fügte Kalim traurig hinzu.
Carson sah ihn mitfühlend an. Es war schon schwer genug in eine solche Situation zu geraten, aber erst recht für ein Kind.
"Ich glaube dir", sagte er dann und für einen kurzen Moment schien es, als könne man ein erleichtertes Strahlen in Kalims Gesicht zu erkennen.
"Wirklich?", entgegnete er hoffnungsvoll.
Carson nickte ihm lächelnd zu. Vielleicht war ja das ein Weg, um Kalims verlorene Seele zu erlösen. Vielleicht brauchte er einfach die Gewissheit, dass es doch noch so etwas wie Gerechtigkeit gab.
Kalim schwieg. Zu lange, nach Carsons Ansicht. Was ging in dem Jungen bloß vor?
Und plötzlich merkte der Schotte, dass ein eigenartiger Ausdruck in seinem Gesicht lag. Eine versteinerte Miene ohne jede Emotionen.
Es war, als würde Carson völlig ohne Vorwarnung aus einem Traum aufwachen. Ein Windstoß lichtete für einen kurzen Moment den Nebel und da erkannte er es schlagartig: der Boden unter ihm hatte nachgegeben.
Sein Verstand hatte sich zu sehr auf Kalim konzentriert, um zu merken, dass er bereits den festen Untergrund verloren hatte.
"Ich muss ihn finden", murmelte Kalim, während Carson einen vergeblichen Versuch unternahm, seine Füße herauszuziehen.
"Wen? Arus?", hakte der Schotte nach und stellte entsetzt fest, dass seine Bemühungen nur dafür sorgen, dass er noch mehr einsank.
"Ich kann nicht aufhören zu suchen", fuhr der Junge ungerührt fort. Kalt schaute er zu, wie Carson verzweifelt versuchte sich dem Moor zu entziehen. Er musste zu dem Schluss gekommen sein, dass auch er ihm nicht helfen konnte.
"Doch das kannst du!", widersprach ihm Carson, der bereits bis zu den Knien feststeckte. Er hatte keine Chance mehr aus eigener Kraft zu entkommen. Der feste Teil war sicher nur einen Schritt von ihm entfernt, aber dennoch unerreichbar.
"Hör auf die Menschen in ihr Verderben laufen zu lassen!", forderte er den Jungen auf. Immerhin war er es gewesen, der ihn hierher gelockt hatte.
"Es tut mir Leid", gab Kalim leise zurück, ehe er langsam vom Nebel eingehüllt wurde.
Carson erschrak. "Nein, warte! Kalim!"
Sein Ruf verhallte ungehört und wurde vom Nebel verschluckt. Kalim war verschwunden. Er war allein zurückgeblieben, ohne eine Möglichkeit zu entkommen.
Verzweifelt versuchte er sich selbst herauszuziehen, aber es war sinnlos. Er war schon bis über die Hüften eingesunken und konnte sich kaum mehr bewegen.
Panik ergriff ihn. Er konnte nicht mehr tun, als auf seinen Tod zu warten; die letzten Minuten seines Lebens in der Gewissheit zu verbringen, kläglich unter der Oberfläche des Moors zu ersticken.
Er fing an zu zappeln. Ein letzter und doch sinnloser Versuch noch nicht die Hoffnung aufzugeben. Aber es war ein Fehler, denn dadurch schien er nur noch schneller einzusinken.
Resigniert gab er auf. Es hatte keinen Sinn mehr. Diesen Kampf konnte er nicht mehr gewinnen.
Seine ganze Kraft war auf einmal gewichen und er schloss die Augen; wartete darauf, dass es endlich zu Ende ging. Hätte jetzt nicht sein Leben noch einmal vor seinem inneren Auge ablaufen sollen? Oder lag es einfach daran, dass er zu sehr Angst hatte, loszulassen?
Völlig ohne Vorwarnung wurde er aber an den Handgelenken gepackt und festgehalten.
Verdutzt öffnete Carson die Augen und sah auf. Er hatte bereits so sehr mit dem Tod gerechnet, dass er noch gar nicht realisiert hatte, was um ihn herum vorging. Und es brauchte auch erstaunlich lange bis ihm klar wurde, dass es Rodney war, der ihn festhielt.
Er kniete auf dem Boden, der offensichtlich festen Halt bot und versuchte mit aller Kraft seinen Freund aus dem tödlichen Moor zu ziehen.
Carson bemühte sich, ihn so gut es ging dabei zu unterstützen, auch wenn das verdammt schwer war. Trotzdem spürte er, wie ihn das Moor zögerlich losließ und er seine Freiheit zurückerlangte, bis er endlich schwer atmend neben Rodney auf dem festen Boden lag.
Carson vernahm ein Rausch in seinen Ohren. Er konnte nicht mehr. Irgendwo weit entfernt glaubte er ein leises Klingeln zu hören. Erschrocken sah er auf. Fing es etwa schon wieder an?
"Wir müssen hier weg", stellte Rodney fest und sprang auf. Glücklicherweise schien er wieder zur Vernunft gekommen zu sein. Nun war er es, der einen kühlen Kopf bewahrte.
"Los, komm schon!"
Ohne lange zu zögern, packte er Carson und zog ihn auf die Beine.
Er hatte Recht. Sie mussten die Gelegenheit zur Flucht nutzen, solange sie noch konnten.
Mühsam stolperte er hinter dem Kanadier her, der erstaunlich geschickt den Weg aus dem Nebel herausfand. Aber sie vergeudeten keine Sekunde mit einer Pause. Rodney rannte sofort auf den Wald zu und Carson folgte ihm bereitwillig, auch wenn ihm jeder Schritt schwer fiel. Kaum zu glauben, welche Kräfte man noch aufbieten konnte, wenn es ums Überleben ging.
Nur als sie schon fast den Rand der Ruinen erreicht hatten, wagte es Carson zumindest einen kurzen Blick über die Schulter zu werfen. Fast so, als fürchte er verfolgt zu werden. Und tatsächlich wirkte es so, als könne er in den Nebelschwaden noch einmal Kalims Gestalt ausmachen.
Zum ersten Mal hatte er ein Opfer entkommen lassen.
Carson musste sich erneut auf seine Schritte konzentrieren und hastete den Abhang hinauf. Sie hatten die Ruinen endlich verlassen. Sie waren in Sicherheit.
Doch er freute sich zu früh. Kaum, dass er den sicheren Wald erreicht hatte, dröhnte plötzlicher ein schriller Ton in seinem Ohr.
Das letzte was er noch registrierte war, dass er die Hände gegen den Kopf presste, ehe ihm schwarz vor Augen wurde und er zu Boden ging.

Dunkelheit konnte etwas Beängstigendes haben. Es gab viele Menschen, die sie fürchteten. Dabei konnte sie auch ein Zufluchtsort sein, wo man endlich seine Ruhe fand.
Carson wusste, dass er vor dieser Art von Dunkelheit nichts zu befürchten hatte. Er schlief nur und solange er die Augen geschlossen hielt und sich nicht rührte, war er sich sicher, dass ihm nichts passierte.
Nur langsam nahm er die Dinge um sich herum wahr. Er hörte vertraute Geräusche, spürte einen weichen Untergrund unter sich. Es fiel ihm schwer zu akzeptieren, die sichere Dunkelheit zu verlassen, solange er nicht wusste, was ihn jetzt erwartete. Aber dann stieg ihm plötzlich ein wohlbekannter Geruch in die Nase, ehe er eine Stimme hörte; ein Fluchen.
Endlich gelang es dem Schotten langsam die Augen zu öffnen und gegen das Licht zu blinzeln, das ihm im ersten Moment noch sehr grell vorkam. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Lichtverhältnisse und er erhielt eine Bestätigung für seinen Verdacht: er lag in einem Bett, auf seiner eigenen Krankenstation.
Kaum zwei Schritte entfernt von ihm hatte sich Rodney aufgesetzt und tippte leise fluchend auf seinem Laptop herum. Kaum zu fassen, wie schnell der Kanadier sich wieder in seine Arbeit stürzen konnte.
"Rodney?", murmelte Carson leise, um zumindest mal auf sich aufmerksam zu machen. Dummerweise versagte seine Stimme und es kam nicht mehr als ein leises Raunen zustande. Dennoch musste es Rodney gehört haben, denn er wandte sich um und grinste ihn umgehend schief an.
"Hey, Carson! Ausgeschlafen?", fragte er frech.
Einerseits tat es gut, wenn er so unbeschwert mit ihm sprach, aber dennoch spukten Carson so viele Fragen durch den Kopf, dass er seinen Freund nur völlig verdutzt ansehen konnte.
"Wie…?", fing er an, schaffte es aber nicht seine Frage zu Ende zu bringen. Er war zu erschöpft, um einen vernünftigen Satz zusammen zu bekommen. Es kam ihm so vor, als befände sich in seinem Gedächtnis ein riesiges Loch.
"Ja, genauso hab ich auch geschaut, als ich aufgewacht bin", meinte Rodney, nachdem er den Schotten einen kurzen Moment beobachtet hatte.
Dieser blickte ihn hoffnungsvoll an. Das hörte sich ja beinahe so an, als könne Rodney ihm erklären, wie er hierher gekommen war.
"Anscheinend waren wir über sechs Stunden lang weg vom Fenster, nachdem uns Sheppard und die anderen im Wald gefunden haben", erklärte der Kanadier gelassen, weshalb ihn Carson mit großen Augen anschaute. "Keine Sorge, uns fehlt nichts", fügte Rodney eilig hinzu. "Sobald dieser Dr. Hesin…nein, Hamon…"
"Hanson", korrigierte ihn Carson, der um Rodneys miserables Namengedächtnis wusste.
"Ja, genau! Sobald er sich nochmal vergewissert hat, lässt er uns gehen."
Carson nickte wortlos und schaute vor sich hin. Allmählich kehrten alle Erinnerungen an die Ereignisse auf dem Planeten zurück. Es war erschreckend, wenn man bedachte, wie knapp sie dem Tod von der Schippe gesprungen waren.
"Oh, und ich habe Sheppard gesagt, er soll uns etwas zu essen aus der Cafeteria mitbringen. Der Fraß, den sie mir hier vorsetzen wollten, war ja nicht auszuhalten gewesen."
Carson hörte nur halb hin. Im Moment brauchte er einfach seine Zeit, um die Ereignisse zu verarbeiten. Es war nicht einfach für ihn zu begreifen, dass er tatsächlich mit seinem Freund einen Kampf auf Leben und Tod ausgefochten hatte und sie nun wieder hier zusammen auf der Krankenstation lagen und miteinander sprachen, als sei nie etwas gewesen.
Schweigen stellte sich ein und hielt für einige Zeit an, ehe Rodney erneut das Wort ergriff.
"Es tut mir übrigens Leid, wegen…"
Er führte den Satz nicht zu Ende, sondern tippte sich kurz an die Schulter, ohne jedoch sich selbst zu meinen. Nun erst registrierte Carson den Verband um seinen eigenen Oberarm und erinnerte sich daran, dass dies die Stelle gewesen war, an der ihn Rodney mit dem Messer erwischt hatte.
"Na ja, du hast ja auch einiges von mir einstecken müssen", entgegnete er, worauf Rodney tatsächlich einen kurzen Blick auf seine eigenen blauen Flecken warf.
"Trotzdem", sagte er und sah ihn wieder an. "Tut mir Leid, dass du wegen meiner Sturköpfigkeit in den ganzen Schlamassel reingezogen wurdest."
Es kam selten genug vor, dass Rodney Schuld eingestand. In dem kurzen, schweigenden Blick, den die Beiden austauschten, wurde aber deutlich wie ernst er seine Worte meinte.
"Du hättest das Gleiche auch für mich getan", entgegnete Carson schließlich und beobachtete zufrieden, wie ein Lächeln auf Rodneys Gesicht erschien.
Gut möglich, dass der Astrophysiker oft ein bisschen schwierig im Umgang war. Aber wenn man ihn erst einmal gut genug kannte, fand man einen wahren Freund in ihm.
Leise seufzend wandte sich Carson ab und blickte an die Zimmerdecke. Vieles, was auf diesem Planeten vorgefallen war, beschäftigte ihn noch sehr.
"Ich würde nur gerne begreifen, was überhaupt passiert ist", sagte er dann leise. "Glaubst du, wir haben wirklich Kalims Geist gesehen?"
Langsam wanderte sein Blick zurück zu Rodney, der einen Moment lang nachdenklich die Lippen schürzte, ehe er erwiderte: "Was das angeht, habe ich eine Theorie."
Carson runzelte die Stirn. Das klang so, als gäbe es für all das eine logische Erklärung.
"Wie es aussieht haben die Antiker früher mit einem geomagnetischen Feld des Planeten herumexperimentiert, dessen Zentrum in diesem Moor liegt. Viel konnte ich leider nicht rausfinden, bevor ich…" Er geriet ins Stocken, ehe er zähneknirschend hinzufügte: "… na du weißt schon." Offenbar war es ihm noch immer unangenehm, zugeben zu müssen, unter diesem fremden Einfluss gestanden zu haben.
"Aber ich glaube, ich weiß jetzt, was damals wirklich passiert ist", fuhr er eilig fort. "Das Tor des Tempels, ist abhängig vom Mondlicht. Aus den Aufzeichnungen geht aber hervor, dass es oft sehr bewölkte Nächte gibt und sehr lange Neumondphasen. Als die Jungs im Wald gespielt haben, muss einer der beiden versehentlich im Tempel eingeschlossen worden sein. Daraufhin dachte man, Kalim hätte ihm etwas getan. Als Arus versucht hat zu entkommen, hat er aus Versehen einige der Geräte aktiviert, die nun dafür Sorgen, dass sich viele blindlings vom Zentrum des Magnetfeldes angezogen fühlen. Was wir sehen - oder glauben zu sehen - ist ein Mittel, um unsere Sinne zu täuschen und ist nichts weiter als ein Trugbild unserer Phantasie. Ausgelöst durch die unheimlichen Geschichten, die man uns aufgeschwatzt hat."
Carson war sprachlos. Irgendwie klang alles recht einleuchtend, wenn Rodney ihm das so erzählte. Und doch war es eigenartig. Es würde bedeuten, dass Technologie im Spiel war und nicht die verlorene Seele eines Jungen.
"Und wie bist auf all das gekommen?", hakte er deshalb nach. Rodney schien mit dieser Frage gerechnet zu haben, denn er überlegte nicht lange, sondern antwortete umgehend: "Ich habe im Tempel ein Skelett gefunden, dass zu einem Kind passen würde."
Das, was von Arus noch übrig geblieben war. Hätten sich die Dorfbewohner damals getraut noch einmal die Ruinen nach den Kindern zu durchsuchen, hätten sie womöglich Arus' wie auch Kalims Leben retten können.
Aber für sie war es einfacher gewesen, die dunkle Seele in dem Jungen zu suchen und diese für alles verantwortlich zu machen. So wie es nun auch einfacher war, an eine Legende zu glauben, anstatt an eine rationale Erklärung.
Es war ja nicht so, dass er sich dagegen sträubte, eine technologische Ursache in Betracht zu ziehen. Aber Carson war der Ansicht, dass vieles was dort geschehen war nicht allein mit Technologie zu erklären war.
Rodney merkte ihm seine Zweifel schnell an und fragte deshalb: "Du glaubst mir nicht, oder?"
Carson zögerte, als er ihn schweigend ansah. Da war ein Gedanke, der ihn nicht loslassen wollte und der nicht in das Schema einer Technologie mit Magnetfeldern passte.
"Weißt du, ich glaube, dass sich hinter alldem auch etwas Wichtiges verbirgt", entgegnete Carson schließlich.
"Und was?"
"Vieles steht und fällt damit, wie sehr wir Freundschaft achten."
Rodney schwieg. Carson wusste, dass er keine Antwort von ihm erwarten konnte, zumindest nicht in Worten. Aber im Blick des Kanadiers war deutlich zu erkennen, dass er über das Gleiche nachdachte.
Wäre es eine rein technologische Sache gewesen, wie hätte er sich dann gegen den fremden Einfluss zu Wehr setzen können? Hatte er nicht genau deshalb von ihm abgelassen, als ihm bewusst geworden war, dass es sein bester Freund gewesen war, den er fast umgebracht hätte?
Carson musste unwillkürlich an Kalims Worte denken, der so verzweifelt betont hatte, dass Arus sein Freund gewesen war. Und je mehr er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass Freundschaft eine wichtige Komponente in der ganzen Geschichte dargestellt hatte. Mehr als irgendwelche Magnetfelder.
In diesem Augenblick wanderte Rodneys Aufmerksamkeit zur Eingangstür des Zimmers.
"Ah, da kommt ja das Essen!", rief er strahlend, als Sheppard tatsächlich mit einem reichlich beladenen Tablett hereinkam. Der Kanadier war sichtlich erleichtert, nichts auf Carsons Bemerkung erwidern zu müssen. Aber das erwartete er auch gar nicht von ihm.
Carson wusste auch so, dass sie stets Freunde bleiben würden, die sich aufeinander verlassen konnten.

ENDE
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