Be All Their Sins Remember'd by Nyada
Summary: Seit Major Evan Lorne’s Tod und dem tragischem Unfall, bei dem er selbst nur knapp mit dem Leben davongekommen ist, sind nun mehrere Monate vergangen, doch noch immer hat John Sheppard mit den Folgen der traumatischen Ereignisse zu kämpfen. In der Hoffnung, den Geistern der Vergangenheit entkommen zu können, verlässt er Atlantis und versucht sich fortan fernab der Antikerstadt und seinen Freunden ein neues Leben aufzubauen. Wenngleich er noch immer regelmäßig von Alpträumen und tiefen Schuldgefühlen heimgesucht wird, kehrt schließlich tatsächlich so etwas wie ‚Normalität’ in John’s Leben zurück. Doch die eigene Vergangenheit lässt sich nicht so einfach vergessen, wie John schon sehr bald feststellen muss, als er sich auf einmal nicht nur mit einem Gesicht aus früheren Zeiten konfrontiert sieht, sondern auch mit der Frage, wo er wirklich hingehört. (Sequel zu „The Good Shepherd“)
Categories: Stargate Atlantis Characters: John Sheppard, Multi-Chara, Own Character, Teyla Emmagan
Genre: Angst, Drama, Friendship, Hurt/Comfort, Romance, Sequel, Tragik
Challenges: Keine
Series: Keine
Chapters: 2 Completed: Nein Word count: 12157 Read: 11293 Published: 12.03.14 Updated: 07.04.14

1. Prolog by Nyada

2. Kapitel 1 by Nyada

Prolog by Nyada
Mit gerunzelter Stirn saß er hinter dem Steuer seines Wagens, balancierte einen Coffee-to-go-Becher zwischen seinen Handflächen und blickte durch die die ziemlich verdreckte Frontscheibe. Er hatte den Wagen auf der gegenüberliegenden Straßenseite im Schutz der Büsche geparkt und konnte durch das geöffnete Tor direkt auf das Grundstück, auf den Hof und den Hauseingang blicken. Nichts, aber auch gar nichts entging seinen wachsamen Augen.
Aufmerksam verfolgte er die kleine Szene, die sich in diesen Augenblicken auf dem Hof abspielte, und beobachtete die beiden Gestalten mit starrem Blick. Als er sah, dass sie sich küssten, rümpfte er die Nase.

Alles zu seiner Zeit, sagte er zu sich selbst, leerte den Kaffeebecher und schmiss ihn in den Fußraum auf der Beifahrerseite, startete den Wagen und manövrierte ihn auf die Fahrbahn. Alles zu seiner Zeit, wiederholte er beschwörend. Lächelnd steuerte er seinen Wagen durch den dichten Verkehr San Franciscos, zurück in Richtung der Bay.

Heim.


*°*°*



„Sag erst mal nichts, okay?“, bat John, als er sie vorsichtig durch den Flur manövrierte. „Lass es einfach… einen Moment auf Dich wirken, verstanden?“

Teyla Emmagan nickte. „Ja, ich habe verstanden“, antwortete sie. „Aber“, meinte sie dann und versuchte durch John’s Finger hindurchzublinzeln, „ist es unbedingt nötig, mir deswegen die Augen zu zuhalten?“

„Nein“, erwiderte John und lehnte sich dann etwas vor, so dass sie seinen warmen Atem an ihrem Ohr spüren konnte. „Aber so macht es mir einfach mehr Spaß. Also bitte, tu mir den Gefallen und hör auf zu blinzeln. Denkst Du wirklich, ich merke das nicht?“

Auch wenn sie diese spielerische Seite an ihm liebte, verdrehte Teyla hinter John’s Händen die Augen. „Du bist es unmöglich“, seufzte sie. „Sind wir wenigstens bald da?“

„Einen Moment noch-“ Sie blieben stehen, und Teyla hörte, wie John eine Tür öffnete. „Wie gesagt“, meinte er, als er sie vorsichtig in einen hellen, warmen Raum führte, in dem es nach frischer Farbe und Holz roch, „lass es erst einmal auf Dich wirken.“

„In Ordnung“, versprach Teyla.

„Bereit?“

Sie nickte. „Ja“, antwortete sie ungeduldig.

„Na, dann.“ Sie spürte, wie John seine Hände langsam und sachte zurückzog. „Du kannst Deine Augen jetzt aufmachen“, hörte sie ihn schließlich leise sagen.

Auf dem Weg hierher hatte Teyla einige Vermutungen angestellt, was sie wohl erwarten würde, aber der Anblick, der sich ihr jetzt bot, als sie endlich die Augen öffnen durfte, verschlug ihr im wahrsten Sinne zunächst die Sprache und ihren Atem. Sie hielt überrascht die Luft an und spürte schon im nächsten Augenblick, wie ihr Tränen in die Augen stiegen und ihre Sicht trübten.
Vor ihr lag ein großer, quadratischer Raum, dessen Wände in einem zarten Gelbton gestrichen waren. Das Sonnenlicht fiel durch zwei große Fenster herein, leuchtete das ganze Zimmer aus und zeichnete jetzt, am späten Nachmittag, bizarre, gleichzeitig aber auch wunderschöne Muster auf den hellen Holzfußboden. Eines der beiden Fenster war geöffnet, und eine laue Sommerbrise wehte durch die schlichten, weißen Gardinen.

„Du… meine Güte.“ Teylas Kinnlade klappte herunter, denn sie konnte nicht glauben, was sie sah. Vor ihren Augen lag ein wunderschönes Zimmer, welches vor nicht einmal zwei Wochen noch vollständig kahl und unfreundlich gewesen war. Nicht einmal im Traum hätte sie sich vorstellen können, dass einmal etwas so Schönes aus diesem Raum werden könnte. Und jetzt… Jetzt war es perfekt, schlichtweg atemberaubend!

„Oh… John!“

Noch immer vollkommen überwältigt, ließ Teyla ihren Blick durch das liebevoll eingerichtete Kinderzimmer schweifen. Eine Wiege aus geweißeltem Holz mit einem weißen Betthimmel befand sich zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken ein Schaukelstuhl nebst einer ebenfalls geweißelten Kommode und ein Wickeltisch. An den zitronengelben Wänden hingen Bilder von der Familie und von Freunden; Teyla lächelte ergriffen, als sie an der Wand über der Wiege die liebevollen Worte Little Princess entdeckte.
Der Raum sprühte nur so vor Freundlichkeit und Liebe. Die hellen, klaren Farben und die Möbel aus hellem Holz gaben ihm eine klar erkennbare Linie. Er war …
Teyla suchte nach dem richtigen Wort, aber es wollte ihr partout nicht einfallen. Perfekt traf es nicht ganz, denn das hier war mehr als perfekt. Alles in diesem Raum trug John’s Handschrift. Eine liebevolle, wenngleich auch etwas verrückte Handschrift, die Teyla dennoch zu Tränen rührte.

Sie drehte sich zu ihm um und schenkte ihm ein ergriffenes Lächeln. „Du bist doch verrückt“, flüsterte sie; ein leises Schluchzen mischte sich unter ihre zitternde Stimme.

„Wie findest Du es? Gefällt es Dir?“, erkundigte sich John unsicher. „Wenn es Dir nicht gefällt, dann-“

Mit zwei großen Schritten überbrückte Teyla die Distanz zwischen ihnen, stellte sich auf die Zehenspitzen, zog seinen Kopf zu sich herunter und verschloss seinen Mund mit ihren Lippen, bevor er auch nur noch ein weiteres Wort sagen konnte. Seufzend schlang sie die Arme um seinen Hals und küsste ihn innig auf die Lippen.

„Ist das ein ‚ja’?“, fragte John, als sie sich etliche heiße Küsse später zum Luftholen voneinander lösten. „Es gefällt Dir?“

„Ob es mir gefällt?“ Teyla lachte atemlos. „John, es ist wunderschön! Es… es ist absolut herrlich“, hauchte sie, befreite sich aus John’s Umarmung und machte sich daran, dass zukünftige Reich ihrer Tochter weiter zu erkunden. Überwältigt von all den neuen Eindrücken schlenderte sie durch das Zimmer, kreiste in der Mitte einige Male hin und her, steuerte dann auf die Wiege zu. Die Hand ausstreckend, strich sie über das helle Holz und betrachtete die Fotografie, die neben der Wiege auf einer kleinen Kommode stand.
Unwillkürlich hielt sie den Atem an. Es war eine Außenaufnahme von Atlantis oder, besser gesagt, des Piers während eines traumhaften Sonnenaufgangs. Die ersten Sonnenstrahlen brachen durch die Wolkendecke und hüllten die noch von Nebelschwaden umgebene Stadt in ein warmes, rot-goldenes Licht.

„Ich fand es irgendwie passend“, erklärte John, der nun zu ihr herübergeschlendert kam und die goldengerahmte Fotografie ebenfalls in Augenschein nahm. Er lehnte sich neben sie mit den Ellenbogen auf den Rand der Kommode und lächelte leicht. Sein Blick war noch immer auf das Bild gerichtet, als er mit emotionsreicher Stimme meinte:

„Ich möchte, dass unsere Tochter weiß, wo ihr Zuhause ist. Ihr richtiges Zuhause“, verbesserte er.

„Oh, John.“ Teylas Herz schwoll an, als sie ihn das erste Mal seit seinem Zusammenbruch vor zweieinhalb Monaten wieder über die Stadt der Vorfahren, sein ehemaliges Zuhause, sprechen hörte. „Danke“, flüsterte sie und lehnte ihren Kopf an seine Schulter, hob ihn nach wenigen Sekunden allerdings wieder an und blickte zu John auf. „Das alles bedeutet mir wirklich sehr viel.“

John legte einen Arm um ihre nunmehr kurvige Taille und zog sie so nah wie es ihr hochschwangerer Bauch zuließ an sich heran. „Ich bin nur froh, dass es Dir gefällt.“

„Es ist so wunderschön, John. Es gefällt mir sehr“, lächelte Teyla, legte eine Hand an seine Wange und stellte sich etwas auf die Zehenspitzen, um seinen Mund besser erreichen zu können. „Wirklich, ich danke Dir“, wisperte sie, bevor sie ihn zärtlich auf die Lippen küsste.

„Hoffentlich gefällt es ihr auch“, murmelte er nachdenklich, als er seine freie Hand auf ihren Bauch legte, der sich selbst unter dem fließenden Schnitt ihres Sommerkleides kaum noch verbergen ließ. Stirnrunzelnd streichelte er sanft über die Rundung ihres Unterleibes.

Teyla schmunzelte. „Weißt Du, wieso ich weiß, dass Du ein guter Vater sein wirst?“, fragte sie ihn, nahm seine Hand und führte sie zu der Stelle, an der ihr Ungeborenes gegen ihre Bauchdecke strampelte.

„Nein“, antwortete John und drückte seine Hand flach gegen ihren Bauch.

„Du machst Dir Sorgen“, sagte sie. „Du fürchtest ständig, dass es mir oder dem Baby an etwas fehlt- aber das ist nicht der Fall, weil Du uns so gut umsorgst.“

„Ich will halt nicht, dass euch beiden schlecht geht“, erklärte John verlegen. „I…Ihr seid alles was ich habe“, stotterte er und errötete leicht.

„Und das, John“, meinte Teyla, „ist der Grund, warum Du unserer Tochter ein großartiger Vater sein wirst.“

Unsicher zog er erst die eine, dann die andere Augenbraue in die Höhe. „Tatsächlich?“

„Tatsächlich“, bestätigte sie. Als ob es ihr beipflichten wollte, bewegte sich ihre Tochter in diesem Moment ruckartig, nur um ihr im nächsten Augenblick einen kräftigen Tritt zu verpassen. „Deine Tochter scheint mir zustimmen zu wollen“, keuchte sie lächelnd, stöhnte aber gleich darauf dumpf auf, als das Baby sie boxte. „Autsch“, zischte sie, verzog das Gesicht und krümmte ihren Oberkörper leicht nach vorne.

„Alles okay?“, fragte John leicht alarmiert.

„Ja, alles okay“, seufzte Teyla und richtete sich wieder auf. „Sie kann manchmal nur ziemlich kräftig zutreten, unsere Kleine.“ Lächelnd rieb sie sich über den Bauch. „Nicht wahr?“, wandte sie sich an ihr Ungeborenes, welches prompt mit einem weiteren Tritt auf die sanfte Stimme seiner Mutter reagierte.

„Ich kann es kaum erwarten, sie endlich kennenzulernen“, gestand sie aufgeregt. „Vier Wochen erscheinen mir nur so unglaublich lang. Am liebsten würde ich sie jetzt schon in meinen Armen halten.“

„Wir werden später alle Zeit der Welt haben, sie kennenzulernen, Teyla“, erwiderte John sanft, nahm ihre Hand und drückte sie.

„Du hast recht“, lächelte die Athosianerin. „Wir sollten diese letzten Wochen genießen. Auch wenn ich Dir sagen muss, dass ich, wenn ich mich hier drin so umsehe, nur noch ungeduldiger werde.“

John warf ihr einen fragenden Blick zu. „Es gefällt Dir also wirklich?“

„Aber natürlich gefällt es mir“, antwortete Teyla. „Dieser Raum ist… Es ist einfach perfekt. Alles in diesem Raum zeigt mir, wie sehr Du unser Kind liebst, John.“ Ihre letzten liebevollen Worte, zauberten ein breites Grinsen auf John’s Gesicht, und sie konnte seinen Stolz, seine Liebe und seine Vorfreude förmlich auf sich überspringen fühlen, als sie ihn küsste.
„Unser Kind wir es hier sehr guthaben“, flüsterte sie, streckte die Hand nach der Wiege aus und berührte die weichen Decken und Laken, in denen ihre Tochter schon sehr bald schlafen werden würde.

Genau in diesem Augenblick passierte es. Teyla hielt den Atem an und erstarrte.

Statt Vorfreude verspürte sie plötzlich etwas anderes. Kaum, dass ihre Finger den Stoff berührten, durchfuhr sie ein eiskalter Schauer und sie erschauderte. Ihr Herz zog sich in ihrer Brust kurz, aber kräftig genug zusammen, dass sie erschrocken den Atem entweichen ließ und die Hand ruckartig zurückzog.

„Teyla?“ John war sofort an ihrer Seite und berührte sie an der Schulter. „Stimmt irgendetwas nicht?“

„I…ich…“, war alles, was sie herausbringen konnte, ehe ihre Stimme versagte; der Rest des Satzes blieb ihr im Halse stecken. Völlig überrumpelt von den starken Emotionen, welche sie auf einmal verspürte, begann sie zu zittern. Erschrocken starrte sie auf die Wiege und die Decke hinab.

„Teyla? Tey, bitte rede mit mir! Was ist denn los?“, fragte John nervös und besorgt klingend. „Komm“, sagte er, griff nach ihrer Hand und wollte sie behutsam wegführen, doch Teyla sträubte sich.

„D…diese Decke…“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern. Sie streckte ihre zitternde Hand aus und glitt abermals mit den Fingerkuppen über die glatte Textur des Stoffes, die sich so vertraut anfühlte. „W…woher hast Du sie?“

„Ich habe sie gefunden, als ich Deine Sachen auspackte“, antwortete John. „Ich dachte, sie sei für das Baby.“

Teyla schüttelte mit dem Kopf und holte tief Luft, ehe sie mit emotionserstickter Stimme flüsterte: „Sie… sie gehörte…Torren. I…Ich habe sie d…damals für…Torren gemacht.“

„To- Oh, mein Gott! Teyla…“ John entließ einen tiefen Seufzer, als er begriff. „Oh, mein Gott, es tut mir leid“, beeilte er sich zu sagen. „Das wusste ich nicht. Ich wollte ja nicht… Oh, Gott!“

„Nicht“, wies Teyla ihn zurück, als er einen Schritt auf sie zumachte und in seine Arme schließen wollte. „Nicht“, krächzte sie und ballte ihre Hand um den samtenen Stoff der Babydecke.

„E...es tut mir wirklich so leid, Teyla“, wiederholte John. „Ich wusste nicht, dass-“

„Könntest Du… Könntest Du mich bitte einen Moment allein lassen?“ Teyla schluckte und sah ihn flehend an. „Bitte. Ich… ich möchte jetzt allein sein.“

„Teyla…“

Bitte, John“, wiederholte Teyla mit bebender Stimme und drehte sich von ihm weg, so dass er ihre Tränen nicht sehen konnte. „Bitte geh.“

„Es tut mir leid“, sagte er ruhig. „Ich wusste nicht, dass Du sie für Torren gemacht hast. Hätte ich es gewusst, hätte ich sie nie-“

„Das weiß ich doch“, schluchzte Teyla. „Es… es ist nur…“ Wieder versagte ihre Stimme und sie schnappte nach Luft.

„Hey.“ John berührte sie sanft an den Schultern und drehte sie zu sich um. Als sie seinem Blick auswich, drückte er ihr Kinn mit dem Finger nach oben, sodass sie gezwungen war ihn anzusehen. „Es tut mir leid. Ich wollte das wirklich nicht.“

Teyla biss sich auf ihre zitternde Unterlippe.

„Wenn es Dir dabei besser geht, kaufen wir eine andere Decke“, schlug John vor. „Weißt Du was, ich fahr heute noch los und kaufe eine andere. Das ist gar kein Problem.“

„D…Darum geht es doch gar nicht“, seufzte Teyla und wischte sich mit ihren zitternden Händen die Tränen aus dem Gesicht. „Es… es… geht…Es geht um…“ Sie versuchte es wieder und wieder, jedoch ohne Erfolg. Jedes Mal versagte ihre Stimme aufs Neue und sie spürte, wie ihre Augen sich wieder mit Tränen füllten.

„Es geht um Torren“, erkannte John das eigentliche Problem. „Ach, Teyla.“ Seufzend schlang er die Arme um sie und zog sie zu sich heran. „Es ist nicht Deine Schuld“, flüsterte er. „Du kannst nichts dafür.“

Teyla schüttelte mit dem Kopf. „I…Ich hätte bei ihm bleiben sollen, John“, schniefte sie. „Es ist meine Schuld. Ich habe meinen Sohn verstoßen!“

„Nein, Teyla, das hast Du nicht“, entgegnete John in einem strengen Tonfall. „Wenn hier irgendjemanden die Schuld trifft, dann Torren’s Vater. Er hat ihn Dir weggenommen. Er hat die Entscheidung gefällt, Dir Deinen Sohn wegzunehmen. Es ist nicht Deine Schuld, sondern seine.“

„Aber-“

„Nichts ‚aber’. Es ist nicht Deine Schuld“, wiederholte er und nahm ihr Gesicht in die Hände. „Hörst Du? Es ist nicht Deine Schuld, Teyla.“

Er hatte recht- das wusste Teyla. Dennoch zog sich bei dem Gedanken an ihren geliebten Sohn ihr Herz in ihrer Brust schmerzhaft zusammen, und sie konnte nicht anders, als sich wieder und wieder zu fragen, was sie hätte anders machen können. Im Grunde wusste sie, dass John recht hatte; ihr war klar, dass Kanaan hinter ihrem Rücken niederträchtig gehandelt und sie bevormundet hatte. Ohne ihr Wissen hatte er eine Entscheidung getroffen, und Teyla fragte sich bis heute wieso. Es war unverständlich, wie der gutmütige, liebevolle Vater ihres Sohnes nur so grausam hatte handeln können. Er hatte sie in der Entscheidung vollkommen außen vor gelassen und sie so womöglich für immer von ihrem Sohn getrennt.
Teyla schluckte. Es verging nicht ein Tag, an dem sie nicht an ihren Sohn dachte, der vor wenigen Wochen drei Jahre alt geworden war. Drei Jahre, von denen sie den Großteil verpasst hatte, weil Kanaan sich das Recht herausgenommen hatte, allein über sie Zukunft ihres Sohnes zu entscheiden. Für sie war er noch immer das hilflose Baby, welches sie am Tage von Atlantis’ Rückkehr auf die Erde liebevoll in den Armen gewogen hatte. Ihre Erinnerungen an die letzten Momente mit ihrem Sohn waren selbst nach fast eineinhalb Jahren noch so frisch und klar, dass Teyla manchmal glaubte, es sei erst gestern gewesen, dass sie ihren Sohn in ihrem Quartier auf Atlantis sanft in den Schlaf gesungen hatte.
Torren hatte dieses Lied geliebt und ihr in den ersten Minuten mit großen, wachen Augen gelauscht. Den Daumen im Mund, war er schließlich doch eingeschlafen, und Teyla hatte ihn behutsam in sein Bettchen zurückgelegt, nicht ahnend, dass dies das letzte Mal sein würde, dass sie ihren Sohn friedlich schlafend sah.

John’s sanfte Hände holten sie aus der Vergangenheit zurück in die Gegenwart. „Komm“, sagte er mit liebevoller Bestimmtheit und führte sie zu der gepolsterten Fensterbank herüber. „Setz Dich hin.“ Gehorsam tat Teyla wie ihr geheißen und setzte sich, denn sie hatte weder Kraft noch die Lust jetzt mit John zu diskutieren. Mit einem tiefen Seufzer ließ sie sich auf die Polster sinken und umklammerte den Rand der Fensterbank fest mit den Händen.

„Ssh, ganz ruhig“, hörte sie John sagen. Er setzte sich neben sie und strich ihr beruhigend über den Rücken. „Denk an das Baby. Ihr tut der Stress nicht gut.“

Teyla nickte. „Ja, ich weiß“, murmelte, lehnte sich John’s sanften Berührungen entgegen und schloss die Augen.

„Alles wird gut“, flüsterte er und begann sanften Druck auf ihre verspannten Steißmuskeln aufzuüben. „Das verspreche ich Dir, okay?“ Teyla stöhnte leise, als seine Hände ihren Rücken in stetigen, kreisenden Bewegungen zu massieren begannen, und schon bald spürte sie, wie sich ihre harten Muskeln langsam lockerten und entspannten.

„Gut so?“, erkundigte sich John.

Teyla stöhnte erneut. „Ja“, seufzte sie, ließ ihren Kopf nach vorne fallen und bog den Rücken durch. „Oh ja, bitte hör nicht auf. Das fühlt sich so gut an, John.“

Er lachte leise. „Wie sehr ich es doch vermisst habe, solche Worte aus Deinem Mund zu hören“, flüsterte er, arbeitete sich mit seinen Händen an ihrer Wirbelsäule hinauf zu ihren Schultern, schob ihr Haar beiseite und presste seine Lippen zärtlich auf den Flecken nackter Haut zwischen ihren Schulterblättern. Als sie spürte, wie er sie küsste, erschauderte Teyla sogleich und rutschte ein Stück von ihm weg.

„John…“

„Ich weiß“, winkte er ab und senkte schuldbewusst den Blick. „Entschuldige bitte, das war unangebracht. Es tut mir leid. Ich hätte nicht-“

„Ach, John“, seufzte Teyla, nahm seine Hände in ihre und drückte sie sanft. John blickte auf und sah sie an. Seine haselnussfarbenen Augen flackerten und waren mit einem Mal so aufrichtig, dass Teyla schlucken musste, als sein Blick den ihren traf und festhielt.

„Ich verspreche Dir, dass Du Deinen Sohn wieder sehen wirst“, meinte John schließlich in einem Tonfall, der keinen Zweifel daran ließ, dass er es ernst meinte.

„Wie kannst Du so etwas versprechen?“, fragte Teyla dennoch, worauf John wie zu erwarten vorerst keine Antwort parat hatte. Die Wahrheit hing unausgesprochen zwischen ihnen in der Luft und sorgte für ein bedrückendes Schweigen.

„Weil ich es nun mal kann“, antwortete er nach einer Weile und drückte ihre Hände. „Ganz egal, was es mich kostet, Teyla, ich versprech’s Dir.“

„John…“

„Ich werde Dich zurück zu Torren bringen“, beharrte er.

„Und was ist mit Dir?“

John blickte auf und sah sie mit traurigen Augen an. Er sagte nichts, dennoch bekam Teyla die Antwort auf ihre Frage. Eine Antwort, die ihr nicht gefiel, mit der sie aber gerechnet hatte; er war noch immer nicht bereit, mit ihr nach Atlantis zurückzukehren. Er würde alles tun, um sie mit ihrem Sohn wiederzuvereinen- da war sich Teyla sicher-, aber selbst einen Fuß in die Stadt zu setzen, schien für ihn nicht infrage zu kommen.

„John…“ Er antwortete nicht und wich nun wieder ihrem Blick aus, wandte den Kopf ab.

In diesem Moment begriff Teyla, dass sie beide eine unsagbar schwere Bürde zu tragen hatten, die es ihnen unmöglich machte, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Ihr Wunsch, Torren endlich wieder in die Arme schließen zu können, wurde von Tag zu Tag stärker, während John’s Angst ihn ebenfalls von Tag zu Tag mehr vereinnahmte. Es würde nicht besser werden- dessen war Teyla sich bewusst. Es würde nur noch schwieriger für sie werden. Von Tag zu Tag immer schwieriger.

Bis es zu spät wäre.

Teyla schluckte. Es war an der Zeit, dass sich etwas ändern musste. Ihr zuliebe, John zuliebe und ihres Kindes wegen. Sie würden schon sehr bald eine Familie sein, und es konnte nicht so weitergehen. Also beschloss sie die Dinge in die Hand zu nehmen, bevor es endgültig zu spät war. John’s gespielten Frohmut und sein Tatendrang, ihr und ihrem Baby ein zuhause zu geben, hin oder her- sie brauchten Hilfe! Und Teyla wusste, dass es nur eine Person gab, die ihnen diese Hilfe bieten konnte.
Ebenso wie sie wusste, dass John alles andere als begeistert sein würde. Doch sie musste es versuchen. Dies war nicht die Zukunft, die sie sich wünschte.

Und aus ebendiesem Grund fasste sie einen Entschluss.

„Ich möchte Grace zu uns einladen.“ Sie sagte es viel überzeugter, als erwartet. „Hast Du etwas dagegen?“ Es war eine rhetorische Frage, natürlich hatte er etwas dagegen, aber darauf konnte und wollte sie dieses Mal keine Rücksicht nehmen. Umso überraschter war sie, als John mit dem Kopf schüttelte und verneinte.

„Nein“, antwortete er, „ich hab nichts dagegen. Du kannst sie einladen, wenn Du willst.“

Teyla fiel ein Stein vom Herzen. „Danke“, sagte sie und seufzte erleichtert. „Ich danke Dir, John.“

„Ja.“ Er nickte, ließ ihre Hände los, stand auf und ging. Verließ den Raum, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, und ließ sie allein im Kinderzimmer zurück. Schottete sich wieder einmal ab und schloss sie aus. Es war nicht das erste Mal, dass er so etwas tat, und Teyla hatte sich inzwischen daran gewöhnt, dass es Grenzen gab, die sie nicht überschreiten durfte, und dass John seine Freiräume brauchte. Es gehörte zu seinem Krankheitsbild, mit welchem sie sich in den letzten Wochen intensiv befasst hatte.

Als sie ihm nun nachblickte, wurde ihr klar, dass es die richtige Entscheidung war, Doktor Grace Kinsella zu sich einzuladen. Sie würde sie gleich morgen früh anrufen. Auch wenn das Gespräch womöglich erfolglos bleiben würde, war es hoffentlich ein Schritt in die richtige Richtung.

Wenn auch nur ein sehr kleiner.

*°*°*



„Ja, das ist es. Sie machen das fabelhaft, Misses Sheppard! Jetzt nur nicht aufhören zu pressen! Ja… Sehr schön. Pressen Sie!“

„WAS DENKEN SIE, WAS ICH HIER TUE?!“, schallte es wütend zurück, wovon sich der Arzt jedoch nicht beeindrucken ließ. Er blickte zwischen den Beinen seiner Patientin hervor und begann mit ruhiger und routinierter Stimme auf diese einzureden.

„Sie machen das wirklich gut, nur pressen Sie weiter“, drängte er sie. „Sie dürfen jetzt nicht aufhören. Der Kopf des Babys ist draußen, hören Sie? Ich kann Ihr Baby sehen! Nur noch ein paar Mal pressen, dann ist es soweit.“

Verständnislos schüttelte sie mit dem Kopf. „Ich bin so müde“, murmelte sie und sank erschöpft in die Kissen zurück. „Ich kann nicht mehr.“ Tränen stiegen ihr in die Augen und trübten ihre Sicht. „John?“, keuchte sie und spürte sogleich, wie er ihre Hand drückte.

„Ich bin hier, Liebling“, sagte er. „Ich bin hier.“

„Ich kann nicht mehr“, wisperte sie atemlos. „Ich will nicht mehr, John. Mach, dass es aufhört, bitte.“

„Ssht, alles wird gut, mein Schatz.“ Zärtlich strich er über ihr schweißnasses Haar. „Du machst das großartig. Es ist alles in Ordnung“, beschwor er sie und tupfte ihr mit einem kühlen Tuch fürsorglich den Schweiß von der Stirn. „Ich bin ja bei Dir. Ganz ruhig.“

„John“, wimmerte sie. „Ich kann nicht.“

„Ich bin hier“, wiederholte er. „Ganz ruhig. Wir schaffen das, hörst Du? Wir beide schaffen das. Komm, nimm einen tiefen Atemzug mit mir zusammen. Atme ganz ruhig ein und wieder aus, okay? So wie wir das geübt haben.“

„Ich…habe…Angst…John“, hechelte sie und klammerte sich panisch an seine Hand.

„Ich weiß, aber-“

„Oh, Gott“, unterbrach sie ihn stöhnend und kniff die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. „Bitte nicht“, winselte sie. „Nicht schon wieder. Nicht- ich kann nicht m…“ Sie brach den Satz auf halber Strecke ab und entließ einen lauten, gepeinigten Schrei, als eine weitere Wehe über ihren geschwächten Körper hinwegrollte. „John!“, japste sie und langte nach ihrem Mann, bekam ihn am Handgelenk zu packen und umklammerte es so fest, dass er selbst kurz vor Schmerz aufstöhnte.

„Sehr gut machen Sie das, Misses Sheppard“, lobte der Arzt sie über ihren bebenden Körper hinweg. „Jetzt nicht aufhören! Pressen! Kommen Sie! Helfen Sie Ihrem Baby!“, feuerte er sie an.

Ächzend krümmte sie sich zusammen, alle Muskeln zum Zerreißen gespannt, tat wie von ihr verlangt und presste, presste so fest es ging, half ihrem Kind- ihrer Tochter.

„Pressen“, rief der Arzt.

„DAS TUE ICH DOCH“, keifte sie und bleckte die Zähne. Eine Strähne ihres dunklen Haars rutschte ihr in die Stirn, als sie ihren Kopf nach vorne auf ihre Brust fallen ließ und kräftig nach unten drückte. Ein lauter, verzweifelter, nach Erlösung verlangender, fast schon animalisch anmutender Schrei entrang sich ihrer Kehle, als die kundigen Hände des Arztes das Kind aus ihrem Leib herausmanövrierten, erst die linke Schulter, dann die rechte.

„Gleich hast Du’s geschafft!“ Die Stimme ihres Mannes überschlug sich beinahe, und er drückte ihre Hand. „Gleich… Oh, Gott!“ Den Blick zwischen ihre Beine gerichtet, erblasste er und riss die voller Staunen die Augen weit auf.

„So ist’s gut. Fast geschafft… Noch einmal pressen. Nur noch einmal… Ja… ja… Sehr gut… Ja… Und da kommt sie! Wir haben sie!“, verkündete der Arzt, als das winzige Baby nass und blutverschmiert aus dem Leib seiner Mutter hinaus und direkt in die kundigen Hände des Geburtshelfers glitt.

„Sie haben’s geschafft! Wir haben sie!“, rief er und säuberte rasch Mund und Nase des Neugeborenen.

„Oh, mein Gott!“ John lachte. Seine Stimme war heiser und tränenerstickt. „Ein Mädchen! Wir haben ein kleines Mädchen! Oh, Gott“, keuchte er dann auf einmal, „ich habe eine Tochter!“

„Wir haben eine Tochter“, verbesserte sie ihn schwach, aber liebevoll und rappelte sich etwas auf, um ihre neugeborene Tochter, die sich noch immer in den Händen des Arztes befand, in Empfang nehmen zu können. Wie gebannt starrte sie den Säugling an. Die Kleine sah aus wie ihr Vater- dieselben dunklen Haaren, dieselbe Nase. Ihre Tochter. Ihre kleine Tochter.

Ihre kleine,
ruhige Tochter.

„Schwester.“ Der Arzt hatte seine Stimme gesenkt und blickte mit unbewegter Miene auf das Baby hinab. Erst jetzt, in diesem Moment, wurde klar, was nicht stimmte. „Schwester!“, rief der Arzt erneut, dieses Mal etwas lauter und bestimmter, und erhob sich.

John verfolgte mit großen Augen, wie man seine neugeborene Tochter fort trug. „Was ist denn los?“, fragte er. „S…Stimmt etwas nicht? Warum schreit sie nicht? Müsste sie nicht schreien?!“

„J…John?“

„Piepen Sie sofort Doktor Wallace an. Schnell! Sie soll sofort herkommen!“

„J…John?!“

„Was ist mit meiner Tochter? Herrgott“, fuhr er den Arzt und die beiden Schwestern an, die sich über einen ruhigen, reglosen Säugling beugten, „reden Sie mit mir? Was ist mit meiner Tochter? Warum schreit Sie nicht?“

„Warum… Oh, Gott! John? J…John, bitte? Was ist mit meinem Baby? Was… Oh, nein, bitte… Bitte nicht… JOHN!”



Von einem erstickten Schrei geweckt, den er offensichtlich selbst ausgestoßen hatte, schreckte John Sheppard schweißgebadet aus dem Schlaf hoch. Keuchend kam er hoch, setzte sich auf, der Stoff seines T-Shirts an seinem schweißnassen Körper, seinem Rücken, seiner Brust, klebend. Zutiefst beunruhigt von den Geschehnissen in seinem Traum, rieb sich John am ganzen Leib zitternd über sein erhitztes Gesicht und atmete ein paar Mal tief ein und wieder aus. Ganz ruhig, John, sagte er sich, versuchte sich selbst und seinen rasenden Herzschlag zu beruhigen. Ganz ruhig, alter Junge, es ist alles in Ordnung. Es war nur ein Traum, nur ein…

Ein leises, feminines Seufzen ließ ihn innehalten. Langsam drehte John den Kopf zur Seite und seufzte erleichtert, als er Teyla’s Silhouette neben sich ausmachte. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt, schlief mit dem Gesicht zum Fenster. Ohne groß darüber nachzudenken, schlüpfte John wieder unter die Bettdecke, rutschte nah an die Athosianerin heran und schmiegte seinen Körper in die Mulde ihres Rückens. Die Nase in ihrem honigbraunen Haar vergrabend, das wie ein Fächer auf dem Kopfkissen ausgebreitet lag, schlang er den Arm um ihre Hüfte und zog sie an sich.

„John?“ Teylas schläfrige Stimme ließ ihn erstarren. Gähnend drehte sie sich halb zu ihm um und sah ihn über ihre Schulter hinweg müde an. Ihr Blick war verhangen, ihre Lider flatterten und hingen auf Halbmast, schlossen sich, als John sich rasch vorbeugte und sie küsste. „Ist alles in Ordnung?“, hörte er sie fragen.

„Jaja“, beeilte er sich ihr zu antworten, „alles okay. Schlaf weiter, Teyla.“ Er küsste sie auf die Stirn und rollte sie dann sanft in ihre ursprüngliche Position zurück. Teyla seufzte wohlig, als er seinen Körper enger als zuvor an ihren schmiegte, und tastete in der Dunkelheit nach seiner Hand.

„Es ist alles in Ordnung. Es war nur ein Traum“, murmelte sie, führte seine Hand an ihre Lippen und küsste seine Knöchel, ehe sie sie auf ihrem runden Bauch bettete und mit ihrer zudeckte. „Alles….wird gut, John“, waren ihre letzten Worte, bevor der Schlaf sie übermannte.

„Ja, das wird es“, flüsterte er und streichelte über ihren Bauch, lächelte, als er spürte, wie sich das Baby unter seine Hand bewegte. Nur ein Traum, wiederholte er in Gedanken und schloss die Augen, auch wenn er wusste, dass er bis zum nächsten Morgen nicht wieder einschlafen würde.

Fortsetzung folgt…
Kapitel 1 by Nyada
„Verflucht, Grant, das ist doch jetzt nicht Dein Ernst, oder?“, zischte Nancy Parker in ihr Smartphone und kniff sogleich die Lippen fest aufeinander, um nicht noch etwas zu sagen, was ihr womöglich später leid getan hätte. Auch wenn sie bezweifelte, dass es ihren intoleranten Exehemann interessierte, was sie dachte, und es ihm wahrscheinlich egal war, wenn sie ihm am Telefon eine Standpauke hielt.

Nance“, meinte er nun, „ich habe in fünf Minuten ein wichtiges Meeting. Können wir das später besprechen?“

„Ob wir das später besprechen können?“ Nancy ließ das Handy sinken und holte mehrmals tief Luft, um sich zu besinnen und nicht mitten im Trubel des Supermarktes, in dem sie sich gerade befand und einkaufte, loszubrüllen und auf Grant einzuschimpfen.

Natürlich können wir das später besprechen“, nahm sie das Gespräch schließlich übertrieben freundlich wieder auf. „Aber bis dahin, verlange ich, dass Du mir sagst, wie ich Deinem enttäuschten Neffen klarmachen soll, warum Du nicht zu seiner Geburtstagsparty kommst, obwohl Du es ihm hoch und heilig versprochen hast!“

Nance“, muffelte Grant, „ich hab’ gerade wirklich zu tun, okay? Wir sind gerade an einem wirklich heißen Fall dran, und da kann ich nicht so einfach-“

„Und ob Du kannst!“, keifte Nancy nun und verfrachtete die Kekspackung, die sie soeben aus dem Regal gezogen hatte, so schwungvoll in den Einkaufswagen, dass die ältere Dame neben ihr zusammenzuckte. Nancy ignorierte ihren vorwurfsvollen Blick und konzentrierte sich wieder auf das Gespräch.

„Nun hör mir mal gut zu, Grant Harrison“, begann sie. „Ich habe mir extra die Tage freigenommen und bin von Washington hierher geflogen, weil Du mich gebeten hast, Dich zu Jimmy’s Party zu begleiten, und jetzt auf einmal sagst Du mir, dass Du zu viel zu tun hast?!“

Es war wirklich kurzfristig“, verteidigte sich Grant. „Ich weiß auch erst seit heute Vormittag, dass wir den Fall haben. Bitte, Nancy“, flehte er, „zeig doch etwas Verständnis.“

„Ich soll-“ Nancy blieb abrupt mitten im Gang stehen und starrte fassungslos ins Leere. „Wie bitte? Habe ich das richtig verstanden? Ich soll Verständnis zeigen?“, wiederholte sie. „Okay, damit mal eins klar ist, mein Lieber: Ich wäre gar nicht hier, wenn Du mich nicht darum gebeten hättest-“

Nance“, fiel Grant ihr ins Wort.

„Oh, nein, mein Lieber“, fauchte sie. „Komm mir jetzt bloß nicht mit ‚Nance’! Das macht es jetzt auch nicht besser!“

Grant seufzte. „Nancy, ich muss jetzt wirklich Schluss machen. Man wartet auf mich.“

„Oh, ja, klar“, höhnte Nancy. „Wenn’s brenzlig wird, ziehst Du den Schwanz ein und läufst weg. Wieso überrascht mich das jetzt nicht?“

Weißt Du, dass wird mir jetzt echt zu blöd“, schimpfte ihr Exmann. „Ich ruf Dich heute Abend an, okay? Grüß bitte Tom, Marcy und besonders Jimmy von mir und sag ihnen, dass es mir leid tut. Bitte, tu es einfach.“

„Ach, du kannst mich mal, Grant“, schnaubte Nancy erbost in den Lautsprecher des Handys und beendete, ohne auf Grants Antwort zu warten, das Gespräch. Für wen hielt er sich überhaupt, dachte sie, als sie das Handy in ihre Tasche schmiss und ihren Einkaufswagen ruckartig aus dem Gang schob. Was dachte sich Grant eigentlich dabei, sie dermaßen ins Messer laufen zu lassen? Er wusste ganz genau, dass sein Bruder Tom und seine Frau Marcy sie hassten und sie sogar regelrecht verabscheuten, seit sie und Grant sich vor einem Jahr hatten scheiden lassen. Sie waren nicht gerade begeistert gewesen, als es hieß, dass sie Grant zur Geburtsfeier seines Neffen Jimmy begleiten würde- nein, sie waren alles andere als begeistert gewesen. Nancy hatte ihrem Exmann von Anfang an klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass sie ihn nicht begleiten wollte, doch irgendwie hatte es Grant dennoch geschafft sie zu überzeugen.
Und nun hatte er sich geschickt aus der Sache herausgeredet und seine Arbeit vorgeschoben- oh, was für ein Wunder!

„Idiot.“

Nancy war selbst überrascht, dass sie sich von dieser Sache dermaßen mitnehmen ließ, doch die letzten Wochen waren nicht leicht für sie gewesen, weswegen sie sich ihren kleinen Ausbruch verzieh. Beruflich ging es nur schleppend voran und auch ihr Privatleben hatte schon einmal bessere Zeiten hinter sich gehabt. Einziger Lichtblick war das unerwartete und ungeplante Zusammentreffen mit ihrem Exmann John vor vier Monaten gewesen. Für ein paar wenige Stunden hatte Nancy wieder Freude an ihrem Leben gehabt und sich gefragt, ob es von nun an wieder bergauf gehen würde. Doch kaum, dass sie nach Washington ihr gewohntes Umfeld zurückgekehrt war, hatte sich diese Freude verflüchtigt ihre Hoffnungen in Luft aufgelöst.
Nun war sie wieder zurück in San Francisco und fragte sich die ganze Zeit, wie sie den heutigen Tag bloß überlebte. Sie war am Nachmittag des vorherigen Tages angekommen und ihr erster Gedanke hatte überraschenderweise sofort John gegolten. Hätte sie nicht gewusst, dass er das Haus am ‚Princeton Boulevard’ verkauft hatte und fortgezogen war, hätte sie sich aufgemacht, um ihn zu besuchen. Irgendetwas in ihr hatte sich nach ihm gesehnt und sehnte sich auch immer noch. Wie schön es doch wäre, ihn wiederzusehen und seine Stimme zu hören. Sie hatte in den letzten vier Monaten mehr als nur einmal an ihn denken müssen, und ihre letzte Begegnung wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen. Insbesondere ihr Kuss und das, was danach um ein Haar geschehen wäre…
Es ärgerte sie, dass sie nicht wusste, wohin er, nachdem er das Haus verkauft hatte, gegangen war, denn sie hätte ihn zu gern wieder gesehen. Gerade jetzt, in diesem Moment, vermisste sie ihn irgendwie und wünschte sich nichts sehnlicher, als mit ihm reden zu können.

Nancy seufzte tief und schob den Einkaufswagen missmutig durch die breiten Gänge des Supermarktes. Im Grunde brauchte sie gar nichts; sie hatte sich in eines der besten Hotels von San Francisco einquartiert und der Hotelboy Tony Savage, den sie bereits seit vielen Jahren kannte, las ihr wirklich jeden ihrer Wünsche von den Lippen ab. Trotzdem hatte sie es in dem einsamen Hotelzimmer nicht mehr ausgehalten, und der Supermarkt lag nun mal nur einen Katzensprung entfernt. Also hatte sie beschlossen für die Tage, die sie von nun an in der Stadt sein würde, ein paar Besorgungen zu erledigen, und vielleicht fand sie ja auch noch ein Geschenk für Grants Neffen. Sie hatte zwar keine Ahnung, über was sich Neunjährige Jungen heutzutage freuten, aber ihr würde schon etwas einfallen.

Und so kam es, dass sie sich keine viertel Stunde später mit einem Einkaufswagen voller Krims Krams, den sie eigentlich gar nicht brauchte, Süßigkeiten und einer Iron Man-Actionfigur für Jimmy auf den Weg zu den Kassen machte. Sie hatte sie fast erreicht, als sie auf einmal unweit entfernt eine bekannte Gestalt den Gang entlang schlendern sah. Sofort erstarrte sie, blieb stehen, blinzelte und schaute noch einmal hin, doch der Mann war bereits zwischen zwei Regalreihen verschwunden.

„Wird das heute noch etwas?“, ertönte da eine genervte Stimme hinter ihr. „Wissen Sie, Miss, es gibt noch andere Leute, die bezahlen wollen“, schimpfte der ältere Herr und drängelte sich grob mit seinem Einkaufswagen an ihr vorbei.

„Oh, äh, ja, Verzeihung.“ Nancy machte ihm verwirrt Platz und schob ihren Einkaufswagen langsam auf die Regalreihe zu, hinter der sie ihn vermutete. Mit klopfendem Herzen umrundete sie die Ecke… und, tatsächlich, da war!
Nancy entdeckte ihn sofort und blieb stehen. Noch hatte er sie nicht bemerkt. Mit konzentrierter Miene und einem Einkaufskorb am Arm, ließ er seinen Blick das Regal entlang schweifen und studierte die Auswahl an Dosengemüse mit kritischem Blick, ehe er sich entschied und zwei Dosen eingelegte Tomaten in den Korb legte. Er warf einen kurzen Blick auf den Einkaufszettel in seiner Hand, drehte sich dann um und kam den Gang entlang in ihre Richtung geschlendert. Nach wenigen Schritten schaute er auf, entdeckte sie und blieb stehen.

„Nancy?!“

„John. Schön… schön Dich zu sehen“, stammelte sie. „Was für eine Überraschung!“

„Das kannst Du aber laut sagen“, murmelte er und kam langsam auf sie zu. „Was machst Du hier?“ Kein ‚Schön Dich zu sehen’ oder ein ‚Wie geht’s Dir’. John schien ehrlich überrascht zu sein, sie zu sehen, ein Gefühl, welches auf Gegenseitigkeit beruhte. Seine verwunderten Augen taxierten ihr Gesicht, während er auf eine Antwort wartete.

„Grants Neffe hat heute Geburtstag und ich bin zur Feier eingeladen“, erklärte sie ihrem Exmann, worauf Verständnis seine argwöhnisch angespannten Züge etwas ebnete. Er sah… anders aus, als bei ihrem letzten Treffen vor ein paar Monaten, stellte Nancy fest. Etwas erholter und frischer. Sein Gesicht wirkte voller, und er hatte wieder etwas Farbe bekommen. Die Schatten, die damals unter seinen Augen gelegen hatten, waren verschwunden, und er hatte sich den Bart abrasiert und die Haare geschnitten, trug sie jetzt kürzer, als sie es von ihm gewohnt war, aber es stand ihm. Seine Kleidung, welche aus einem blau karierten Button Down Hemd und einer dunklen Jeans bestand, wirkte ordentlich und war nicht zerknittert. Was auch immer er in den letzten vier Monaten getrieben hatte, es schien ihm gut zu tun!

„Oh, wie schön.“ John lachte nervös und strich sich durchs Haar. „Ähem, entschuldige bitte. Ich bin nur etwas überrascht Dich zu sehen.“

„Nun“, meinte Nancy, „ich hatte auch nicht damit gerechnet, Dich ausgerechnet hier wiederzusehen. Ich dachte, Du wolltest weg aus der Stadt.“

„Das war ich auch“, erwiderte John. „Ich, äh, ich war für ein paar Wochen in Pasadena, aber irgendwie hat’s mich wieder hierher verschlagen.“

„Du wohnst wieder hier?“, wiederholte Nancy verwundert.

„Ähem, ja“, bestätigte John und fuhr sich durchs Haar. „Ich habe ein kleines Haus am Stadtrand gekauft und gedenke vorerst hier zu bleiben.“

„Vorerst?“

John zuckte mit den Achseln. „Nun, man weiß ja nie.“ Er lächelte nervös und trat unruhig von einem Bein aufs andere, und Nancy bemerkte, wie er an ihr vorbei blickte.

„Alles in Ordnung? Suchst Du jemanden?“, fragte sie schmunzelnd, worauf John’s Blick zu ihrem Gesicht zurückzuckte.

„Hhm? Oh, ob ich jemanden…“ Erneut hob er die Hand, um sich durchs Haar zu streichen, eindeutig ein Zeichen dafür, dass er aufgeregt war. „Äh, nein. Ich… ich, ähem, ich muss einfach nur schnell weiter“, sagte er. „Zeitdruck, Du weißt schon.“

Nancy nickte verunsichert. „In… Ordnung“, meinte sie. „Es war schön Dich wiederzusehen, John. Vielleicht sehen wir uns die Tage ja noch. Ich bin bis Samstag in der Stadt, falls Du also Zeit hast, könnten wir uns ja mal treffen und… reden. Ich wohne im Four Seasons.“

„Äh, ja, klingt gut“, erwiderte er hektisch, nun sichtlich aufgescheucht. „Ich meld’ mich einfach bei Dir, okay? Sorry, ich muss jetzt echt los, bevor-“

„Da bist du ja, John!“, ertönte in diesem Augenblick eine weibliche Stimme hinter ihnen und ließ John verstummen. Als Nancy sich umdrehte, sah sie eine junge Frau auf sich und John zukommen. „Ich hatte schon befürchtet, Du wärst ohne mich gegangen.“

„Das würde ich doch niemals wagen, Teyla“, entgegnete John mit etwas belegt klingender Stimme und lächelte nervös.

„Ich habe alles bekommen, was wir für das Dinner morgen brauchen, außer-“ Sie warf einen Blick auf die Einkaufsliste in ihrer Hand und kniff die Augen etwas zusammen, als ob es ihr Probleme bereitete, das Geschriebene zu entziffern-„den Steinpilzen und den… Oliven. Die scheint es hier nicht zu ge…“ Sie stoppte und schaute auf, als sie Nancys Blick auf sich liegen spürte.

„Ähem, Teyla, das ist Nancy. Nancy- Teyla“, machte John die beiden Frauen rasch miteinander bekannt.

„Nanc- Oh.“ Teyla lupfte die Augenbrauen, lächelte schmallippig und streckte ihre Hand aus. „Freut mich Sie persönlich kennenzulernen.“ Die Art, wie sie es sagte, verriet Nancy, dass Teyla wusste, wem sie da gerade die Hand schüttelte.

John räusperte sich verlegen.

„Die Freude ist ganz meinerseits“, erwiderte Nancy verblüfft und warf ihrem Exmann einen fragenden Seitenblick zu, den dieser jedoch zu ignorieren schien und erneut leise hüstelte. Also wandte Nancy ihre Aufmerksamkeit wieder Teyla zu. Sie schätzte sie auf Mitte dreißig. Sie war hübsch, keine Frage, sehr attraktiv und genau zu der Sorte Frauen zählend, die ihr Exmann bevorzugte. Die dunklen Augen wirkten freundlich und aufrichtig, ebenso wie ihr nettes Lächeln. Das honigbraune Haar hatte sie zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden, den sie zusätzlich noch einmal hochgesteckt hatte, sodass ihr Nacken und ihre zierlichen Schultern bis auf wenige Strähnen, die sich aus dem Zopf gelöst hatten, frei lagen. Den sommerlichen Temperaturen, die draußen herrschten, angepasst, trug sie ein schlichtes, bodenlanges Sommerkleid aus einem leichten, fließenden, grünen Stoff und Flip Flops.
Erst jetzt, als sie ihren Blick über Teylas ganzen Körper schweifen ließ, fiel Nancy auf, dass sie schwanger war. Von Weitem hatte sie es nicht bemerkt, nun aber war es unübersehbar; ihr hochschwangerer Bauch wölbte sich überdeutlich unter ihrem Kleid.

„Ich habe schon viel über sie gehört“, sagte Teyla nun. „Es ist schön, Freunde von John kennenzulernen. Er hat mir einiges über sie erzählt.“

In diesem Augenblick wurde Nancy einiges klar. Zum einen, dass Teyla offensichtlich log, um dieses für alle Parteien unangenehme Gespräch etwas angenehmer zu gestalten, und zum anderen, dass Teyla die Frau war, von der John damals, als sie ihn besucht hatte, gesprochen hatte. Es ist kompliziert, waren seine Worte gewesen. Nancys Blick fiel auf Teylas gewölbten Unterleib. Hatte er damit das Kind gemeint? Womöglich war es nicht einmal von ihm. Die Möglichkeit bestand durchaus, dass es nicht John’s Kind war. Schließlich war er derjenige gewesen, der nie Kinder haben wollte, erinnerte sich Nancy. Warum sollte er nun seine Meinung geändert haben? Zugegeben, John konnte gut mit Kindern. Kinder liebten ihn, nein, sie vergötterten ihn. Doch eigene Kinder? Nein, das war für John Sheppard nie infrage gekommen! Und nach allem, was mit…

„Oh, nicht doch.“ Schneller als gedacht erhielt Nancy eine Antwort auf die Frage, in welcher Verbindung John zu dieser Frau und ihrem Kind stand, als Teyla plötzlich leise aufstöhnte, das Gesicht verzog und sich an den Bauch fasste.

„Teyla?“ Von jetzt auf gleich durchlebte John eine bemerkenswerte Verwandlung. Binnen eines Wimpernschlages hatte er seine Nervosität beiseite geschoben und eilte an Teyla’s Seite. Besorgt griff er nach ihrer Hand und half ihr fürsorglich sich aufzurichten.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte nun auch Nancy besorgt und ließ ihren Blick über Teylas schmerzverzerrtes Gesicht gleiten.

Die Angesprochene lächelte schwach. „Ja, es ist alles in Ordnung“, erwiderte sie, holte tief Luft und rieb sich den Bauch. „Mir scheint, als hat Deine Tochter heute einen schlechten Tag“, meinte sie an John gewandt.

„Bist Du sicher?“, hakte John nach, den Arm stützend um ihren Leib schlingend.

Teyla seufzte. „Ja, John“, antwortete sie gedehnt und schenkte ihm ein liebevolles Lächeln. „Mir geht es gut. Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen.“

John schnaubte. „Das sagst Du so leicht. Ich wünschte, Du würdest nur mal einen Tag in meiner Haut stecken.“

„Wirklich“, beteuerte Teyla mit beruhigender Stimme, „es geht mir gut.“

Nancy, die sich auf einmal mehr als fehl am Platz fühlte, räusperte sich leise und trat einen Schritt zurück. „Nun denn“, sagte sie, „war schön, Sie kennenzulernen, Teyla. John.“ Sie schenkte ihrem Exmann ein kleines Lächeln. „Ich muss dann los. Man sieht sich.“

„Nancy…“

„Auf Wiedersehen, John.“ Den Blick ihres Exmannes im Nacken spürend, wendete Nancy den Einkaufswagen und schob ihn schnell in Richtung Hauptgang, womöglich etwas zu schnell, aber das war ihr jetzt egal. Sie musste weg! Weg von John, weg von Teyla, weg von dieser perfekten, kleinen Familie, die die beiden abgaben. Mir scheint, als hat Deine Tochter heute einen schlechten Tag. Teylas Worte glichen Schwerthieben, und Nancy zuckte zusammen und krampfte ihre Hände um den Griff des Einkaufswagens. Sie konnte es nicht glauben, wenngleich sie es mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört hatte. Deine Tochter… Das Funkeln in John's Augen, sein scheues Lächeln, als er die Hand auf Teylas Bauch gelegt und ihr verträumt in die Augen geschaut hatte. Deine Tochter

Nancy schluckte. Unglaube machte sich in ihr breit, wurde nur noch übertrumpft von dem stechenden Schmerz in ihrem Herz. John wurde tatsächlich Vater! Der John Sheppard, der sie damals im Krankenhaus sitzengelassen hatte, erwartete eine Tochter. Eine Tochter! Das konnte nicht sein! Das durfte nicht wahr sein! Nicht nach dem, was sie beide damals durchgemacht hatten! Nicht nach dem…

„Ma’am? Ma’am, ist alles in Ordnung?“ Die besorgte Stimme einer jungen Verkäuferin riss Nancy aus ihrer Schockstarre. „Ma’am, ist Ihnen nicht gut?“

„I...ich… ich…“ Nancy, die mitten im Gang stehengeblieben war, nickte erst, dann schüttelte sie mit dem Kopf und dann tat sie beides abwechselnd. „M…mir geht es gut“, schaffte sie es irgendwie die besorgte Verkäuferin abzuwimmeln. Zitternd setzte sie sich wieder in Bewegung und steuerte auf die Kassen zu. Dort angekommen blieb sie wieder stehen, starrte einen Momentlang auf ihre verkrampften Hände hinab, ehe sie sich umdrehte und in die Richtung zurückblickte, aus der sie gekommen war.

„Ma’am?“

Wie im Trance legte Nancy den Inhalt ihres Einkaufswagen auf das Kassenband, verfrachtete ihn, nachdem der Verkäufer die Waren eingescannt hatte, mit fahrigen Bewegungen zurück und bezahlte mit zittrigen, schweißnassen Händen ihren Einkauf. Den Blick stur geradeaus gerichtet, hielt sie auf den Ausgang des Supermarktes zu. Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ sie das wohl klimatisierte Gebäude und trat hinaus in die warme Junisonne. Erst, als sie stehenblieb, um nach ihrem Wagen Ausschau zu halten, fiel ihr wieder ein, dass sie vom Hotel zu Fuß gekommen hierher war, was bedeutete, dass sie wohl oder übel noch einmal zurück in den Supermarkt musste, da es mehr als unangebracht sein würde, einen Einkaufswagen durch die Lobby des Four Seasons zu schieben.

Nancy seufzte, machte kehrt und marschierte sich auf den Einkaufswagen stützend zurück in Richtung Eingang. Genau in diesem Moment, jedoch, verließen ihr Exmann und Teyla das Gebäude. Nicht gerade darauf aus, den beiden ein zweites Mal über den Weg zu laufen, flüchtete sich Nancy in den Schatten eines Baumes. Sie wusste, dass ihr Verhalten kindisch war, und sie hoffte, dass keiner der beiden sie dabei entdeckte, wie sie sich hinter ein paar Ästen vor ihnen versteckte. Und sie hatte Glück. In eine Unterhaltung vertieft, steuerten die beiden auf einen der geparkten Wagen zu. Nancy konnte ihre Gesichter nicht sehen, aber sie wusste, worüber sich John und seine schwangere Freundin unterhielten. Erst als er den Kofferraum eines dunklen SUVs öffnete, die Tüten darin verstaute und die Luke wieder schloss, erhaschte Nancy einen kurzen Blick. John’s Miene wirkte nachdenklich. Die Lippen fest aufeinander gepresst, umrundete er den Wagen, um Teyla beim Einsteigen behilflich zu sein. Als er zurückkam und den Blick wohl eher beiläufig über den vollen Parkplatz schweifen ließ, entdeckte er sie.
John blieb stehen und starrte in ihre Richtung. Nancy verharrte regungslos im Schatten des Baumes, dennoch trafen sich ihre Blicke. Braun auf grün, so wie damals. So wie vor ein paar Monaten. Nancy erschauderte. Ein eiskalter Schauer rann ihr den Rücken hinab, doch sie konnte nicht wegsehen. Zu sehr hielten sie die intensiven Augen ihres Exmannes gefangen. Zogen sie in ihren Bann und ließen sie nicht wieder los.
So sehr auf John fixiert, bemerkte Nancy nicht, dass sie am ganzen Leib zitterte. Erst, als ihr Exmann sich plötzlich abwandte und in den Wagen einstieg, wurde sie sich ihrer schlotternden Knie und den aufeinanderschlagenden Lippen bewusst.
Der Motor des SUVs startete. Enttäuscht, aber auch erleichtert beobachtete Nancy, wie der Wagen in die andere Richtung abbog. Erst, als der Blinker gesetzt wurde und John den Wagen vom Parkplatz auf die Straße lenkte, traute sich Nancy aus ihrem Versteck hervor und blickte dem davonfahrenden Wagen nach, bis er um eine Ecke bog und aus ihrem Sichtfeld verschwand.

In diesem Augenblick wurde ihr klar, dass John sie bewusst allein zurückgelassen hatte. Allein mit sich, ihren Gedanken und Erinnerungen an vergangene Zeiten. Allein mit den Geistern ihrer dunklen Vergangenheit, von der Teyla und das unschuldige, kleine Mädchen in ihrem Bauch womöglich nie erfahren würden.

*°*°*



„Wann hattest Du vor, es mir zu sagen?“, fragte Teyla, als John den Wagen von der Straße auf die Hauseinfahrt lenkte und ihn vor der Doppelgarage zum Stehen brachte.

„Dir was sagen?“, wiederholte John, zog den Schlüssel aus dem Zündschluss, verstaute ihn in der Hosentasche und stieg aus.

„Du weißt ganz genau, wovon ich rede, John“, sagte Teyla, als er die Beifahrertür öffnete und ihr die Hand reichte. Dankbar ergriff sie diese und ließ sich von ihm beim Aussteigen helfen, eine schwierige Aktion, die nur Dank seiner Hilfe nicht in einem Fiasko endete. Dennoch kostete es sie beträchtliche Mühe, ihren Leib aus dem Wagen zu manövrieren, auch wenn sie es heute ohne das übliche Ächzen und Seufzen schaffte.

„Bedaure, ich weiß nicht, wovon Du sprichst.“ John schloss die Wagentür, nur um gleich darauf den Kofferraum zu öffnen und nach den Einkaufstüten zu greifen. „Untersteh Dich“, zischte er warnend, als Teyla ebenfalls die Hand ausstreckte.

„Aber…“

„Der Arzt hat gesagt-“

„Ich weiß, was der Arzt gesagt hat, John“, unterbrach Teyla ihn, doch er ließ sich nicht beirren.

„Er hat gesagt, dass Du nicht schwer heben sollst“, beendete er seinen Satz in jenem belehrenden Tonfall, den er sich im Laufe der letzten Wochen angeeignet hatte und den Teyla hasste.

„Und das weiß ich“, sagte sie daher. „Ich möchte Dir doch nur helfen. Ich bin schwanger, John, nicht krank.“

„Keine Widerrede, Miss. Hier.“ John drückte ihr die Hausschlüssel in die Hand. „Wenn Du wirklich helfen möchtest, kannst Du einem schwer beladenen Mann die Tür aufschließen.

Teyla verdrehte die Augen und griff nach dem Schlüssel. „Das ist jetzt nicht Dein Ernst, oder?“

„Mein voller Ernst“, bestätigte John. Die Mundwinkel zu einem frechen Grinsen nach oben ziehend, fügte er triezend hinzu: „Und außerdem liebe ich es, wenn Du vor mir her watschelst.“

Was?!“, quiekte Teyla. „Nimm das sofort zurück!“, verlangte sie entrüstet, obwohl sie wusste, dass John sie nur aufzog. „Ich watschele nicht“, entschied sie im Brustton der Überzeugung.

John grinste noch immer. „Doch, tust Du“, erwiderte er und küsste sie liebevoll auf die schmollenden Lippen. „Aber es ist absolut hinreizend. Ich habe noch nie jemanden derartig bezaubernd und lieblich watscheln sehen wie Dich, Honey. Und jetzt los, bevor meine Arme ausleiern.“

„Ich könnte immer noch…“

„Los jetzt!“, rief John.

„Ich watschele nicht“, beharrte Teyla ein allerletztes Mal, als sie sich in Bewegung setzte. John grinste nur und schüttelte belustigt mit dem Kopf, während er ihr den schmalen Pfad entlang, der von der Einfahrt zur Veranda führte, folgte.

„Doch, tust Du“, erwiderte er, als sich Teyla vor ihm mühsam die fünf Treppenstufen hinaufschleppte.

„Eines Tages wirst Du diese Worte bereuen, John Sheppard“, drohte sie ihm und schloss die Haustür auf.

„Oh, ich kann es kaum erwarten“, griente er und folgte ihr ins Haus. Im Vorbeigehen ergaunerte er sich einen weiteren zärtlichen Kuss, der Teyla für einen Moment alles vergessen ließ. Viel zu schnell, jedoch, war der Moment vorbei, und John löste sich von ihr. „Wann sagtest Du, kommt Grace morgen?“, fragte er auf dem Weg in die Küche.

„Kurz vor sechs“, antwortete Teyla und entledigte sich ihrer Schuhe. „Sie wusste es aber noch nicht genau“, setzte sie nach. „Sie sagte am Telefon irgendetwas von Personalbewertungen.“ Barfuss folgte sie John in die offene Küche, die direkt an den Wohnbereich angrenzte. „Es scheint im Moment viel los zu sein“, sagte sie und ließ sich ächzend auf die weiche Couch sinken.

„Hhm“, war alles, was John erwiderte. Das Gesicht von ihr abgewandt, wirbelte er durch die Küche, packte die Einkäufe aus und räumte sie in die Schränke. Teyla wusste, dass er sie gehört hatte, und es machte sie wahnsinnig, wenn er sie derartig offensichtlich ignorierte. Unter Aufbringung all ihrer nach dem anstrengenden Einkauf verbliebenen Kraft, rappelte sie sich auf und schlenderte in die Küche.

„Ich habe wohl gemerkt, dass Du vorhin das Thema gewechselt hast“, meinte sie vorsichtig und begann, John beim Wegräumen des Einkaufs zu helfen.

„Teyla…“

„Denkst Du wirklich, ich hätte diesen Blick, den Du ihr auf dem Parkplatz zugeworfen hast, nicht bemerkt?“

John seufzte. „Ich möchte jetzt nicht darüber sprechen, okay?“

„Nein, es ist nicht okay.“ Teyla schüttelte mit dem Kopf. „Du möchtest vielleicht nicht darüber reden, aber ich.“

„Teyla…“

„Hör auf damit, John“, bat sie ihn. „Also-“ Sie lehnte sich gegen die Kücheninsel und sah ihn erwartungsvoll an- „was war das da vorhin?“

„Wieso interessiert es Dich?“, verlangte John zu wissen. „Was zwischen mir und Nancy war, ist lange vorbei. Da gibt es nichts für Dich zu wissen.“ Er log, Teyla erkannte es an seiner Stimme.

„Aber dieser Blick…“

„Herrgott, Teyla!“ John ließ eine Schranktür geräuschvoll zufallen und drehte sich zu ihr um. „Ich habe gesagt, dass ich jetzt nicht darüber sprechen will, also bitte, sei so lieb und lass es sein, okay? Da war kein… besonderer Blick zwischen uns. Du musst Dich geirrt haben.“

„Ich weiß, was ich gesehen habe, John“, beharrte Teyla, „und ich mache mir einfach Sorgen, dass es da irgendetwas gibt, was Du mir verschweigst.“

„Menschen haben nun mal Geheimnisse voreinander- das war schon immer so“, erwiderte John barsch. „Das ist eine Tatsache, mit der Du Dich abfinden solltest, Teyla. Glaub mir, manchmal ist es besser, nicht alles zu wissen.“

Teyla nickte. „Natürlich. Ich verstehe“, murmelte sie und senkte den Blick.

„Entschuldige, bitte“, seufzte John, als er merkte, dass er sie verletzt hatte, und umrundete die Kücheninsel. „Hey“, sagte er leise und drückte ihr Kinn mit zwei Fingern sanft nach oben. „Es tut mir leid. Ich wollte nicht…“

„Ist schon in Ordnung“, fiel Teyla ihm ins Wort. „Ich verstehe.“

John seufzte erneut. „Du hast ja gar keine Ahnung, wie wahnsinnig Du mich mit diesem ewigen ‚Ich verstehe’ machst. Bitte“, flehte er, „hör auf damit.“

„Aber ich…“

Dieses Mal lag es an John, sie nicht ausreden zu lassen. „Du sagst das nur, um mir ein gutes Gefühl zu geben, schon klar. Aber ich hasse es, mit Samthandschuhen angefasst zu werden. Und genau das tust Du die ganze Zeit.“

„Ich möchte Dir bloß helfen, John“, erklärte Teyla ihm ruhig.

„Wenn Du mir wirklich helfen möchtest, dann hör bitte auf, mich so zu behandeln, als sei ich irre oder todkrank, okay?“

Teyla nickte, wenn auch widerwillig. „In Ordnung.“

„Denn das bin ich nicht.“

„Nein, das bist du nicht“, bestätigte sie.

„Mir geht’s gut.“

„John…“

„Mir geht es gut, Teyla“, wiederholte er mit fester Stimme. „Mir geht’s gut.“ Er schenkte ihr ein nicht ganz echtes Lächeln und küsste sie auf die Stirn, bevor er sich wieder den Einkäufen zuwandte. Nachdenklich beobachtete Teyla, wie er sich pfeifend durch die Küche bewegte, die Einkäufe wegräumte und über die Dinnerplanung für den morgigen Tag sinnierte, während er das Obst abwusch.

Mir geht’s gut, hallten seine beschwörenden Worte in ihrem Kopf wieder, doch Teyla konnte ihnen keinen Glauben schenken. Es ging ihm vielleicht besser, aber noch lange nicht gut.

Auf einmal konnte sie den morgigen Tag kaum noch erwarten.

*°*°*



„Du liebe Güte, war das gut.“ Ächzend ließ Grace Kinsella das Besteck sinken und schob den leeren Teller von sich. „Das“, sagte sie, „war mit Abstand das Köstlichste, was ich jemals gegessen habe!“

„Freut mich, dass es Ihnen geschmeckt hat, Grace“, lächelte Teyla Emmagan, die ihr gegenübersaß. „Es war wirklich sehr köstlich.“

„Es war fabelhaft“, verbesserte Grace sie und spülte die Reste des Pilzrisottos mit einem Schluck trockenen Rotwein hinunter. „Ich bin wirklich überrascht“, meinte sie dann. „Ich wusste gar nicht, dass Sie so gut kochen können, Teyla.“

„Nun-“ Die Athosianerin errötete leicht- „ich muss gestehen, dass sich meine Kochkünste auf das Zubereiten niederer Speisen beschränken. Ich bin wirklich keine begabte Köchin.“ Sie warf dem neben ihr sitzenden Mann einen raschen Blick zu.

„Wohl war“, murmelte John Sheppard in sein Weinglas hinein. „Wo sie recht hat, hat sie recht.“

„Aber wer… Oh.“ Grace grinste, als sie begriff. „Sie haben das gekocht, John? Ich bin überrascht. Sie scheinen ein Mann vieler Talente zu sein.“ Sie konnte sich irren, aber Grace glaubte tatsächlich eine leichte Röte zu entdecken, die dem Soldaten über die Wangen kroch, als sie ihm dieses Kompliment machte.

„Ich hatte in den letzten Monaten viel Zeit“, meinte John, „und mindestens genauso viel Langeweile.“ Er erhob sich und ließ sich von den beiden Frauen das schmutzige Geschirr reichen. „Es freut mich, dass es Ihnen geschmeckt hat, Grace.“

„Ich glaube, ich komme jetzt öfter“, schmunzelte diese. „Der Fraß, den wir seit Kurzem in der Mensa bekommen, ist wirklich nicht mehr vertretbar.“

„Sie sind stets willkommen, Grace“, sagte Teyla. „Nicht wahr, John?“

„Ja, natürlich“, erwiderte er knapp, die dreckigen Teller in Händen und auf dem Unterarm balancierend. „Ich geh das kurz abspülen“, meinte er. „Bin gleich wieder da.“ Sagte es, lächelte ein gezwungenes Lächeln und zog von dannen. Kaum dass er außer Hörweite war, entließ Teyla einen schweren Seufzer.

„Es tut mir leid“, murmelte sie. „So ist er immer, wenn man über Atlantis spricht.“

„Er weicht dem Thema aus.“ Es war keine Frage, vielmehr eine Feststellung. „Tut er das schon länger?“, erkundigte sich Grace.

Teyla zuckte mit den Achseln. „In letzter Zeit beobachte ich es vermehrt“, antwortete sie. „Davor ist es mir nie wirklich aufgefallen. Wir haben nie viel über Atlantis gesprochen, müssen Sie wissen. Ich wollte ihm Zeit geben.“

Grace nickte verstehend. „Er spricht also nie über Atlantis?“

„Sehr, sehr selten“, seufzte Teyla. „Die meiste Zeit, jedoch, weicht er dem Thema aus, so wie Sie sagen. Es scheint fast so, als wolle er sich gar nicht daran erinnern, wie sein Leben damals war.“

„Er hat Angst“, entgegnete Grace ihr. „Er will nicht an die früheren Zeiten erinnert werden. Ein typisches Verhalten für PTBS. Mit der Vergangenheit konfrontiert zu werden, bereitet den Erkrankten oft Angst. Meistens geschieht das in einer Phase, in der die Erkrankten sich gut fühlen und denken, dass es mit ihrem Leben endlich wieder bergauf geht.“

„Ich versuche nicht bewusst über Atlantis zu sprechen, aber manchmal kommt es vor, dass ich unbewusst darüber spreche“, berichtete Teyla. „Ich achte schon sehr darauf, aber es passiert trotzdem immer wieder.“

„Niemand erwartet von Ihnen, dass Sie Atlantis komplett aus Ihren Erinnerungen streichen, Teyla“, beruhigte Grace sie. „Auch John erwartet das nicht von Ihnen. Er weiß, dass Ihr Leben in der Stadt für immer ein Teil von Ihnen sein wird. Atlantis ist Ihr Zuhause. Glauben Sie mir, er weiß das. Er weiß nur nicht, wie er damit umzugehen hat. Das braucht seine Zeit.“

Teyla seufzte. „Aber wie lange?“

„Das kann ich Ihnen nicht sagen“, bedauerte Grace. „Es ist von Patient zu Patient unterschiedlich. John muss sich bereit fühlen. Er muss lernen, wieder glücklich zu sein. Er muss… leben lernen. Und er muss bereit sein, zu vergessen und sich selbst zu vergeben. Erst wenn er all das geschafft hat, ist er bereit weiterzugehen.“

„Ich verstehe“, sagte Teyla und nickte. „Ich frage mich manchmal nur, ob ich ihm dabei noch besser behilflich sein könnte.“

„Ihre bloße Gegenwart bedeutet ihm mehr, als Sie vielleicht denken, Teyla.“ Grace beugte sich etwas über den Tisch, griff nach der Hand der Athosianerin und drückte sie. „Mehr als tagein tagaus für ihn da zu sein, können Sie nicht.“

„Sie haben womöglich recht.“

„Aber?“ Grace schmunzelte, als Teyla sie ertappt ansah. „Ich bitte Sie, Teyla, ich bin Psychologin. Es gehört zu meinem Job, Menschen ihre dunkelsten Geheimnisse zu entlocken. Und im Moment höre ich bei Ihnen ein ganz großes ‚aber’. Ist schon in Ordnung. Sie können es mir ruhig sagen. Ich werde es schon niemanden verraten“, fügte sie augenzwinkernd hinzu. „Was ist es?“

Teyla seufzte zum wiederholten Male innerhalb weniger Minuten und warf einen raschen Blick über ihre Schulter, ehe sie sich Grace zuwandte und ihr mit leiser, fast flüsternder Stimme offenbarte:

„Kurz bevor wir hierher gekommen sind, hat John mich gebeten, seine Frau zu werden.“

Ein Lächeln flammte auf Grace’s Gesicht auf. „Oh, Teyla, das ist ja eine tolle Nachricht!“, rief sie erfreut und mit glänzenden Augen aus, doch das traurige Lächeln der Athosianerin bremste sie in ihrer Euphorie. „Oh“, sagte sie stumpf. „Das ‚aber’.“

Teyla nickte, dann schüttelte sie mit dem Kopf. „Ich… ich habe ihm noch keine Antwort gegeben“, gestand sie schließlich.

„Nicht?“, wiederholte Grace überrascht.

„Nein“, antwortete Teyla. „I…ich habe ihn um etwas Bedenkzeit gebeten. Nun, das ist jetzt über drei Monate her.“

„Drei Monate“, wiederholte Grace vorsichtig. „Das ist eine lange Zeit.“

Teyla senkte beschämt den Blick. „Ja, das ist es.“

„Wollen Sie es etwa nicht?“, fragte Grace. „Ihm eine Antwort geben, meine ich.“

„Doch“, erwiderte Teyla prompt. „Natürlich. Allerdings... Ich… ich weiß nicht…“

„Was für eine Antwort Sie ihm geben sollen“, beendete Grace den Satz, und Teyla nickte zögerlich. „Wollen Sie seine Frau werden?“

„I…ich weiß es nicht“, antwortete Teyla piepsig.

„Also wollen Sie es nicht?“

Wieder ein kaum hörbares ‚Ich weiß es nicht.’

Grace seufzte. „Hat er Sie in der Zwischenzeit wieder einmal gefragt?“

Teyla verneinte. „Nicht einmal. Aber ich sehe, dass es ihn immer noch beschäftigt, und ich habe Angst, dass er deswegen unglücklich ist.“

„Und deswegen so ablehnend auf alles reagiert, was mit seiner Vergangenheit zu tun hat“, führte Grace den Gedanken zu Ende.

„Ja“, seufzte Teyla und strich gedankenverloren über ihren gewölbten Bauch. „Ich befürchte, dass es meine Schuld ist, dass er sich mehr und mehr distanziert. Ich versuche wirklich alles, um ihm zu helfen, aber in letzter Zeit fühlt er sich wohl etwas überrumpelt.“

„Weil Sie es womöglich zu gut meinen?“, hakte Grace nach. Als Teyla zögerte, lächelte sie. „Wann ist es soweit?“, fragte sie und fasste Teylas hochschwangeren Bauch ins Auge.

Die Athosianerin blinzelte irritiert. „In vier Wochen“, antwortete sie mit einem kleinen Lächeln.

„Es macht Ihnen Angst, nicht zu wissen, wie es nach der Geburt des Babys weitergehen wird, oder?“ Grace wusste, dass sie damit den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.

„Ich wollte immer, dass mein Kind in Atlantis aufwächst“, erklärte Teyla. „Ich will es immer noch. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich mich so um John bemühe. Ist das verwerflich?“

„Sie sind eine Mutter, die nur das Beste für Ihr Kind will, also nein“, erwiderte Grace. „Allerdings bin ich mir sicher, dass John auch das Beste für sein Kind möchte. Und da es ihm schwer fällt, sich im Moment mit Atlantis und seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen…“ Sie ließ den Satz unvollendet, war sich aber sicher, dass Teyla ihre Schlüsse daraus ziehen konnte. Und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis die Athosianerin begriff.

„Wir arbeiten gegeneinander.“

Grace nickte. „Ja, aber sie müssen miteinander arbeiten“, sagte sie. „Das ist sehr wichtig. Eine starker Zusammenhalt ist unerlässlich, wenn Sie einander helfen wollen, diese Krise durchzustehen.“

„Ich wünschte, es wäre so einfach“, seufzte Teyla. „Allerdings fällt es mir in letzter Zeit nicht immer leicht, mit ihm zusammenzuarbeiten.“

Grace runzelte die Stirn. „Wie meinen Sie das?“

„Ich glaube, es gibt da etwas, was John mir verschweigt“, antwortete Teyla im Flüsterton. „Wir sind gestern während des Einkaufens seiner Exfrau begegnet.“

„Ja?“

„Und da gab es auf einmal so einen Moment zwischen den beiden“, fuhr Teyla fort. „Ein Moment, in dem mir klar wurde, dass John mir etwas verschweigt.“

„Etwas, das mit seiner Exfrau zu tun haben könnte?“, hakte Grace nach.

„Ich weiß es nicht“, sagte Teyla. „Es ist nur ein Verdacht, aber als ich ihn darauf ansprach, wurde er wütend und meinte, ich solle mich raus halten und es ‚sein lassen’.“

„Es ‚sein lassen’?“

„Das waren seine Worte“, meinte Teyla. „Er war wirklich sehr aufgebracht.“

„Das klingt in der Tat so, als gäbe es da etwas“, überlegte Grace laut. Schließlich, nachdem sie ihren Gedanken noch etwas Raum gelassen hatte, fasste sie einen Entschluss. „Ich denke, ich sollte jetzt mit John reden“, verkündete sie. „Haben Sie etwas dagegen?“

„Aber nein.“ Teyla schüttelte energisch mit dem Kopf. „Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich seit Tagen darauf gewartet.“

Grace lächelte. „Dann werde ich jetzt mal schauen, was sich machen lässt“, sagte sie und erhob sich. „Sie wissen aber schon, dass ich Ihnen, falls ich etwas herausfinde, nichts davon sagen darf?“

„Reden Sie einfach mit ihm“, erwiderte Teyla milde. „Bitte, das ist alles, was ich von Ihnen verlange.“

„In Ordnung.“ Grace drückte Teylas Schulter, ehe sie das Esszimmer verließ und dem Geräusch von klappernden Geschirr entgegenging. Die Küche lag am anderen Ende des Ganges, und John war so sehr in seine Arbeit vertieft, dass er sie nicht gleich bemerkte. Erst als Grace ihm einen Teller anreichte, blickte er auf.

„Danke“, murmelte er und wusch den Teller ab. Er hätte den Geschirrspüler nehmen können, dachte Grace, doch er tat es nicht. Ein eindeutiges Anzeichen dafür, dass er den beiden Frauen Zeit zum Reden hatte geben wollen.

„Ich habe ein wenig mit Teyla sprechen können“, meinte Grace, schnappte sich ein Handtuch und begann das saubere Geschirr abzutrocknen.

„Das ist schön“, erwiderte John ruhig. „Aber deswegen sind Sie ja hier.“

„Ja, das bin ich“, wiederholte Grace und taxierte den Mann, der neben ihr mit angestrengter Miene Essensreste von einem Teller schrubbte. Er sah besser aus, bemerkte sie, viel besser, aber dennoch immer irgendwie traurig, müde und erschöpft. Die Schatten unter seinen Augen waren zwar verschwunden, dafür wirkte seine Miene hart und verbissen. Teyla hatte recht; irgendetwas lastete ihm auf der Seele, und Grace glaubte zu wissen, was es war.

„Können wir reden?“, fragte sie ihn vorsichtig.

„Klar“, antwortete er. „Worüber möchten Sie denn reden?“

„Über Atlantis.“

John ließ die Hände sinken.

„Wir können aber auch über Major Lorne sprechen.“

Der Soldat spannte seine Kiefermuskeln an.

„Oder über ihre Exfrau. Nancy, nicht wahr?“

Ein leises Stöhnen verließ John’s Kehle, als er sich mit aller Kraft an dem Waschbeckenrand festklammerte.

„Oder über das, was Sie Teyla nicht sagen wollen.“

„Hören Sie auf“, knurrte John.

Doch Grace hörte nicht auf. „Über was wollen Sie sprechen, John?“, fragte sie stattdessen hartnäckig. „Über Atlantis? Major Lorne? Ihre Exfrau? Oder über Mia?“

„HÖREN SIE AUF!“, schrie John, schleuderte den gerade gewaschenen Teller mit voller Wucht zurück in das Waschbasin, wirbelte herum und preschte keuchend davon.

„John!“, rief Grace ihm nach, doch er hörte sie nicht mehr. Oder ignorierte sie schlichtweg. Sie ließ sich Zeit, wollte ihm nicht sofort folgen. Sie hörte ihn die Treppenstufen hinaufdonnern; kurz darauf flog im oberen Stock eine Tür mit einem lauten Knall zu. Sie wartete noch einige Augenblicke, dann beschloss sie ihm zu folgen. Als sie die Küche verließ und auf den Flur hinaustrat, entdeckte sie eine leichenblasse Teyla am unteren Ende der Treppe stehen. Selbst von Weitem konnte Grace sehen, dass die Athosianerin zitterte und sich am Treppenpfosten festhalten musste, um nicht wegzukippen. Sie hatte alles mit angehört.

„Teyla?“ Besorgt um das Wohlergehen der Schwangeren, ging Grace auf sie zu, griff nach ihrer Hand und drückte sie.

„W…wer ist Mia?“ Teylas Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Grace“, wimmerte sie, „wer… wer ist Mia?“

„Das sollte John Ihnen selbst sagen“, antwortete Grace. „Kommen Sie.“ Teyla nickte langsam und stellte einen Fuß auf die erste Treppenstufe, doch Grace hielt sie zurück. „Nein, noch nicht. Lassen Sie ihm noch ein wenig Zeit. Er muss sich erst etwas beruhigen. Und Sie sich auch. Dann können Sie hoch, in Ordnung?“

Wieder nickte Teyla. „In Ordnung“, sagte sie.

„Gut. Kommen Sie. Setzen Sie sich erst einmal.“ Grace schlang einen Arm um die Taille der Athosianerin und führte sie langsam ins Esszimmer zurück. Teyla ächzte, als sie sich auf einen Stuhl sinken ließ. Mit Tränen in den Augen blickte sie zur Zimmerdecke hinauf; Grace tat es ihr gleich.

Zusammen lauschten sie dem Poltern wütender Schritte und dem lauten Krachen verzweifelt durch die Gegend geschmissener Gegenstände.

Fortsetzung folgt…
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