Freunde für immer by Jenny
Summary: Nach seiner Rückkehr zur Erde begegnet Daniel jemanden, der sein Leben grundlegend verändert, wenn nicht sogar gerettet hat.
Fortsetzung von: 'The Rising'
Categories: Stargate SG-1 Characters: Cassandra, Daniel Jackson (SG-1), Jack O’Neill (SG-1), Multi-Chara
Genre: Friendship, General
Challenges: Keine
Series: Keine
Chapters: 3 Completed: Ja Word count: 11451 Read: 13826 Published: 05.02.13 Updated: 05.02.13
Story Notes:


Spoiler: Cassandra, meine letzte FF (The Rising)
Staffel: 6./7. Staffel

1. Kapitel 1 by Jenny

2. Kapitel 2 by Jenny

3. Kapitel 3 by Jenny

Kapitel 1 by Jenny
Freunde für immer


„Wie geht es ihnen, Major?“ fragte General Hammond, als er zufällig auf Sam traf, die sich gerade auf den Weg zum Fahrstuhl machte.
„Sehr gut, danke Sir...“ entgegnete Sie und hielt mit ihm Schritt.
„Wir haben die Proben der verdächtigen Substanz von P7R334 mit allen uns bekannten hier auf der Erde verglichen und haben oxidähnliche Anteile nachgewiesen. Sergeant Boyle überprüft gerade noch einige weitere Testergebnisse, doch bisher sieht es ganz danach aus, als könnten wir diese Substanz durchaus für die Verbesserung unserer Waffentechnologie nutzen. Vielleicht könnten wir damit sogar die Iris des Stargates verstärken und gegen Angriffe wie die von Sokar schützen- aber im Moment sind wir noch in der Startphase.“
„Gut zu wissen...“
Beide blieben stehen, als sie am Fahrstuhl angekommen waren.
„Ich bin froh, dass Daniel wieder da ist, Sir.“ gab Sam zu „Ich habe ihn vermisst.“
„Ich weiß, Major...wie ich ihnen bereits gesagt habe...sie sollten nie die Hoffnung aufgeben...“
***
„Latein für Novizen?“, vergewisserte Jack sich, als er das große schwarze Buch in das Regal stellte.
„Ist so was wie ‚Fackeln im Sturm’ für Linguisten...besticht durch seine Emotionen...“, konterte Daniel und öffnete einen weiteren Karton Bücher. Nachdem er aus der Welt der „Lichtwesen“ zurückgekehrt war, musste er nun anfangen, wieder ein normales Leben zu führen. Und dazu gehörte auch, dass er sein leeres Büro einräumte.
Leider war das leichter gesagt, als getan.
Berge von Kartons stapelten sich in dem kleinen Raum und sie arbeiteten nun schon den zweiten Tag, doch noch immer schien das Chaos kein Ende zu nehmen. Glücklicherweise hatte der Rest von SG-1 sich bereit erklärt, ihm zu helfen und somit sah man wenigstens langsam einen Fortschritt.
„Lesen sie all diese Bücher überhaupt, oder stehen die nur so rum, damit Leute denken sie seien schlau?“, stichelte O’Neill erneut und Daniel lächelte.
Er hatte es vermisst.
Er wusste, als der Colonel damals an seinem Sterbebett erklärte, wie wichtig er ihm in den letzten Jahren geworden war, dass dies der Abschied war.
Jack sagte solche Dinge nicht einfach so, er meinte sie. Und ja, auch O’Neill war für ihn sehr wichtig geworden.
Er war sein Freund.
Wahrscheinlich der einzige, der ihn wirklich verstand, selbst wenn er allzu oft so tat, als sei dies nicht der Fall. Jack wusste genau, was in ihm vorging, genauso wie Daniel wusste, wie O’Neill sich fühlte. All die Missionen hatten sie zusammen geschweißt, all die Situationen, in denen sie für tot geglaubt waren und doch zurück kehrten, lehrten sie, ihre Freundschaft zu schätzen. Und es schien tatsächlich so, als ob ihre Pfade sich am Ende doch immer wieder kreuzen würden, egal wie weit sie voneinander entfernt waren...
Gerade als Daniel einen weiteren Karton Bücher zu Jack reichen wollte, hörte er eine jugendliche Stimme auf dem Korridor.
„Ist er hier drin?“ fragte sie und Jackson hörte Schritte, die sich seinem Büro näherten.
Erst, als er um die Ecke sah, erkannte er, um wen es sich handelte.
„Cassie“ begrüßte er sie lächelnd und die junge Frau umarmte ihn stürmisch.
„Daniel!“ rief sie euphorisch, „Mensch, ich habe dich so vermisst!“
Der Archäologe machte ihr Platz, damit sie sich auf einen Stuhl setzen konnte.
„Wie geht es dir?“ fragte sie dann, und Daniel bemerkte, dass Cassandra viel erwachsener geworden war, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte.
„Er hat ziemlich zugenommen, kann ja gar nicht mehr schweben...“ bemerkte O’Neill aus dem Hintergrund und kam nun auch auf Cassie zu, um sie zu begrüßen.
Daniel erkannte, wie sehr der Colonel ihn vermisst hatte, denn er wollte nicht aufhören, ihn über diese Sache zu necken. Das war meistens ein Merkmal dafür, dass Jack ihn wirklich vermisst hatte.
Cassandra lachte über den Einwurf und wandte sich wieder Daniel zu.
„Nun sag schon, wie ist es, wieder ein Mensch zu sein?“
Darüber musste der Archäologe selbst nachdenken. So viele Menschen hatten ihn das gefragt, doch meistens antwortete er nur mit einem schlichten „Gut.“, aber so genau wusste er das selbst noch nicht.
„Anders...“ bemerkte er dann und lächelte.
„Du vermisst es?“ fragte sie und Daniel war überrascht, wie gut sie durch ihn hindurch sah. Vermutlich lag es daran, dass sie sich charakterlich sehr ähnelten. Beide hatten den Verlust ihrer geliebten Eltern miterleben müssen, hatten aber nun wieder Leute gefunden, denen sie sich anvertrauen konnten. Dennoch verfolgte beide noch immer die Angst, wieder im Stich gelassen zu werden, wieder allein zu sein, und daher waren sie sehr vorsichtig anderen Menschen gegenüber.
„Vielleicht...ja, ich glaube schon...“
Er spürte, dass Jacks Blick auf ihm ruhte.
„Aber ich bin froh, wieder hier zu sein.“, fügte er an und Daniel meinte es auch so.
Natürlich erinnerte er sich an das gute Gefühl der Schwerelosigkeit, die Möglichkeit durch Wände gehen zu können oder einfach nur aufzutauchen und wieder zu verschwinden, doch all dies war nur halb so spannend, wenn man allein war.
Sicherlich war da Omah und er konnte sich jederzeit mit ihr unterhalten, doch es war nicht wirklich ein persönliches Verhältnis zwischen ihnen gewesen, wohingegen SG-1 seine Familie bildete. Dies waren Menschen, die sich um sein Wohl sorgten und die alles geben würde, falls sein Leben in Gefahr war.
Das war es wert gewesen, wieder zurück zu kehren.
Das war der Grund, warum die Menschen in ihrer Einfachheit den Lichtwesen vielleicht doch hin und wieder etwas voraus waren.
„Wie geht’s dir so?“, fragte Daniel dann und Cassie zog eine Grimasse.
„Ich sag dir, vor zwei Wochen haben wir einen neuen Lehrer bekommen, der spinnt total. Eigentlich hatten wir bei ihm Geschichte, doch die ganze Zeit erzählte er uns nur von Hawaii, wie schön es doch dort sei und das wir unbedingt mal einen Abstecher auf diese wunderbare Inselgruppe machen sollten.“
„Hawaii sagst du?“ erkundigte sich der Archäologe und wirkte bedrückt, was auch Jack mitbekam.
„Er hat doch recht, ich find’s auch toll.“, kommentierte der Colonel das Gespräch.
„Ja, aber er hat andauernd davon gesprochen. Wir konnten über das Problem der Überbevölkerung reden oder die Weltkriege, aber am Ende landeten wir immer bei Hawaii. Und dann sprach er ständig von seinem Bruder, den er vor vielen Jahren verloren hat und nie wieder fand. Er sucht ihn heute noch. Wenn ihr mich fragt, der spinnt total!“
„Wie hieß er denn?“ fragte O’Neill und versuchte auf diesem Weg herauszufinden, ob es irgendetwas mit Daniel zu tun hatte, der gedankenverloren neben Cassie stehen geblieben war.
„Jonath...“ antwortete der Archäologe dann.
„Jonath Cooper.“
Überrascht sahen Cassie und Jack ihn an.
„Woher weißt du das, Daniel?“ fragte sie.
„Weil ich sein Bruder bin...“ antwortete er dann und atmete tief durch.
***

„Gib uns den Stein!“ schrie eines der Kinder und Daniel schüttelte den Kopf.
„Gib uns den verdammten Stein, du Idiot!“ schrie ein anderes.
„Lasst mich in Ruhe...“ flehte Daniel und rollte sich auf dem Fußboden zusammen.
Weitere Tritte in seinen Rücken folgten.
„Wenn du uns den Stein nicht gibt, schmeißen wir dich zusammen damit aus dem Fenster!“ drohten sie.
Er konnte es nicht tun, der Stein war doch ein Artefakt, das seine Eltern ihn geschenkt hatten.
„Lasst mich in Ruhe...“ flehte Daniel und begann zu weinen.
Immer wieder schlugen die vier Kinder erbarmungslos auf ihn ein und die Angestellte des Waisenhauses schien es nicht zu kümmern.
Jedenfalls war sie noch nicht aufgetaucht.
Jemand trat mit einem Fuß auf Daniels Hand, dort, wo er den kleinen Stein aus Ägypten versteckt hatte.
Unter Schmerzen musste er sie öffnen, als ein Lachen durch die kleine Gruppe aus Kindern ging.
„Seht euch mal diesen blöden Stein an, den er hatte!“ schrie eines der Kinder und Daniel bekam nur noch mit, wie das Fenster geöffnet und das letzte bisschen Erinnerung an seine Eltern hinausgeworfen wurde.
„Nein!“ schrie er und wollte ihn noch rechtzeitig fangen, doch es war zu spät.
Sein Artefakt landete irgendwo im Wald hinter dem Waisenhaus.
Kraftlos und weinend setzte er sich an den kleinen Heizkörper in seinem Zimmer, bekam noch einen Tritt in die Rippen als Abschied und die Meute von Kindern verließ den Raum.
„Mommy...“ flehte Daniel und weinte bitterlich, doch sie würde nicht zurück kommen.
Nie wieder würde er seine Mutter oder seinen Vater wiedersehen.
„Mommy...“
Seine Augen schmerzten von all den Tränen und Daniel rollte sich wieder auf dem Boden zusammen, versuchte sich vorzustellen, er sei nicht in diesem Waisenhaus, sondern irgendwo in Ägypten, zusammen mit seinen Eltern, und würde noch immer bei Ausgrabungen mithelfen, mit der kleinen Schaufel und dem Pinsel, den er von ihnen bekommen hatte.
Plötzlich legte jemand eine Hand auf seine Schulter.
Daniel zuckte zusammen und sah vorsichtig auf.
Vor ihm stand ein Junge, den er zuvor schon einmal gesehen hatte, als man seine Sachen in das kleine Zimmer unter dem Dach brachte.
Er war viel größer als der kleine Achtjährige und auch um einiges stärker.
„Sie haben dich verprügelt?“ fragte er und Daniel nickte.
Zum ersten Mal seit drei Wochen fühlte er wieder, dass sich jemand um ihn sorgte, selbst wenn es möglicherweise nicht von Dauer war.
Erst waren seine Eltern gestorben, dann weigerte sich sein Großvater, ihn zu adoptieren und nun saß er hier, allein und ohne jemanden, den sein Schicksal irgendwie interessierte.
Als er noch immer nicht aufhörte zu weinen, nahm der Junge, etwa vierzehn Jahre alt, ihn in den Arm.
Wieder zuckte Daniel zusammen doch er rieb ihn vorsichtig mit der Hand auf den Rücken, was die Schmerzen etwas linderte.
„Schscht...“, sprach er dann, „....es wird alles wieder gut, Kleiner...“
„Mommy...“ flehte Daniel und der fremde Junge drückten ihn fester an sich.
„Hast du schon mal etwas von Hawaii gehört?“ fragte er dann um ihn abzulenken.
Daniel nickte.
„Inseln...“ stotterte er.
„Ja...“ antwortete der Junge.
„In Hawaii ist es wirklich schön. Sandstrände, surfen, Mädchen...wenn ich hier raus komme, gehe ich nach Hawaii...willst du mit?“
„Nimmst du mich mit?“ fragte Daniel unter Tränen.
„Na klar, Kleiner...“ erwiderte der Junge.
„Und übrigens, ich bin Jonath...“


***
Sam konnte ihre Tränen kaum noch verbergen, als Daniel die Geschichte abschloss, um Hammond und den anderen zu erklären, warum er unbedingt diesen Mann wieder sehen wollte. Auch Jack hatte den Kopf gesenkt und versuchte das Gehörte zu verarbeiten.
Daniel selbst hielt sich tapfer, doch auch aus seinen Augen liefen kleine Tränen, die er mit zusammengebissenen Zähnen aufzuhalten versuchte. O’Neill wusste, wie nahe er daran war, die Beherrschung zu verlieren.
„Nun, Doktor Jackson, ich verstehe, warum sie so eine persönliche Bindung zu diesem Mann aufgebaut haben. Ich genehmige ihren Antrag daher und gebe ihnen eine Woche frei vom Dienst, wenn sie damit einverstanden sind.“
Stumm nickte der Archäologe und beruhigte sich langsam wieder.
„Und was ist mit uns?“ fragte O’Neill.
„Colonel?“
„Naja, General...da wir ja Daniels Leibwache sind...und nebenher sowieso dringend Urlaub brauchen...wäre es da nicht eine passende Gelegenheit, uns auch gleich eine Woche freizustellen?“
Hammond grinste.
Daniel wusste, dass SG-1 für ihn etwas besonderes war, ja sogar ein Teil seiner Familie. Deshalb würde es ihm sehr viel bedeuten, wenn sie um ihn herum war, während er diesen Schritt zurück in seine Vergangenheit tat, selbst wenn das hieß, dass er möglicherweise einige seiner verborgendsten Erinnerungen mit ihnen teilen musste.
Er konnte ihnen trauen, dass wusste er.
„Also schön, aber danach möchte ich sie alle wieder fit hier antreffen....Wo befindet sich dieser Mann, von dem sie sprachen nun?“, fragte Hammond interessiert.
„An einer Highschool in Denver, als Vertretungslehrer- ich hoffe nur, wir kommen rechtzeitig an, um ihn nicht wieder zu verpassen...“
„Dann wünsche ich ihnen viel Glück bei ihrer Suche..“
„Aya aye, General...“ antwortete Jack salutierend und lächelte Daniel an, um ihn aufzumuntern. Noch immer stand ihm das Geschehene ins Gesicht geschrieben.
„Was dagegen, wenn wir sie begleiten?“, fragte er dann, doch eigentlich war dies sowieso schon geklärt...
***
Eine Stunde später saßen Jack und Daniel bereits in einem Auto, auf dem Weg zu Cassies Schule. Sam und Teal`c musste kurzfristig wieder zurückbeordert werden, nachdem es Zwischenfälle mit einem der SG- Teams gegeben hatte. Auch O’Neill sollte sie unterstützen, doch er konnte Hammond überzeugen, dass es absolut keine gute Idee war, Daniel im Moment alleine zu lassen.
Gerade begann etwas aus seiner Vergangenheit wieder aufgewühlt zu werden, dass der Archäologe für Jahre gut verborgen hatte, und Jack war sich nicht sicher, ob er wirklich all das hören wollte, was er zu erzählen hatte.
Aber er wusste, dass er seinen Freund jetzt nicht allein lassen konnte.
Natürlich wusste er, was damals in Waisenhäusern vorgekommen war, sogar von Vergewaltigungen und Totschlag war die Rede, aber plötzlich bekam all das einen persönlichen Touch, denn auf einmal ging es um Daniel. O’Neill wusste, wie schlimm es für ihn damals im Gefängnis gewesen war, all die Gewalt, das Elend, die Verzweiflung- er hatte niemanden so etwas gewünscht.
Und nun, als Daniel nur ansatzweise über seine Vergangenheit zu sprechen begann, tat sich da etwas auf, was wahrscheinlich auch niemand wieder durchmachen sollte.
Jack hatte die Tränen gesehen, die der Archäologe gut verbergen konnte, er hatte in seinen Augen all die Schmerzen gesehen, das Gefühl, unterdrückt zu werden, nichts wert zu sein.
Auch er kannte das viel zu gut. Deswegen waren sie auch einmal mehr wie Brüder. Und nun, nachdem sie endlich wieder gemeinsame „Pfade“ gingen, war Jack unendlich dankbar, ihm helfen zu können.
Klar, Daniel konnte einem schon ziemlich auf die Nerven gehen, aber er war auch der Einzige, der die harte Schale, die O’Neill um sich herum aufgebaut hatte, zu durchbrechen vermochte.
Es war seine Menschlichkeit.
Daniels Fähigkeit, sein Leben für das von Menschen zu geben, die er überhaupt nicht kannte. Für jemanden zwischen eine Stabwaffensalve zu springen, der ihn bei nächster Gelegenheit verprügeln wollte...
So etwas hatte Jack noch nicht erlebt- umso mehr schätzte er dies an seinem Freund.
Sie waren noch gute neunzig Minuten von der Schule entfernt und er fragte sich, ob es vielleicht möglich war, noch eine weitere Erinnerung aus Daniel heraus zu kitzeln.
Nur so konnte er es schließlich hinter sich bringen. Er musste reden...
„Wie lange warst du im Waisenhaus?“, fragte er und holte seinen Freund aus den Tagträumen.
„Ehm...vielleicht zweieinhalb Jahre, ich weiß nicht mehr genau. Mit elf habe ich meinen Geburtstag wieder bei einer Familie gefeiert.“
Jack erschütterte die Gleichgültigkeit, die in Daniels Stimme lag, doch er kannte sie selbst gut genug. In solchen Situationen schaltete der menschliche Geist auf Autopilot, Jahre konnten zu Stunden werden, oder Sekunden zu Tagen...
„Ich habe nie gewusst, dass es so schlimm war...“, gab O’Neill zu und beobachtete den Gesichtsausdruck seines Freundes.
Daniel blickte geradeaus, ohne genau von seiner Umgebung Notiz zu nehmen.
„Das habe ich auch gedacht, als du mir damals von Charlie erzählt hast...“
Verdammt, Daniel!
Jack wollte sich nicht zurück erinnern und fühlte sich zugleich schuldig. All dies hatte er tief in seinem Inneren versteckt und wollte es nur herausholen, wenn er wusste, dass er allein war.
Und schon hatte Daniel ihn wieder überrumpelt.
„Ja...“, entgegnete er, „Und irgendwann fangen die Albträume an.“
Der Archäologe hatte sich ihm zugedreht und schenkte ihm nun seine volle Aufmerksamkeit, sehr genau wissend, wovon O’Neill sprach.
„Denkst du, dass man irgendwann darüber hinweg kommt?“ fragte Daniel- aus seinem Munde klang das schon fast ein wenig zu naiv.
Er hatte den Tod seiner Eltern verkraften müssen, dann die Zeit im Waisenhaus, den Verlust seiner Frau...und plötzlich fragte er ihn, ob man darüber hinweg käme- er müsste es selbst gut genug wissen. Vielleicht wollte er einfach nur eine Bestätigung haben, dass es OK war, noch immer eine Träne hier und da zu vergießen.
Na da fragte er ja gerade den Richtigen. Jack musste sich gut überlegen, was er sagen sollte um nicht hypokritisch zu klingen.
„Nein, ich glaube nicht, dass man über so etwas hinweg kommt...aber man kann lernen, damit zu leben...“
Daniel nickte gedankenverloren.
„Wie hast du das geschafft?“
Verdammt, Daniel!
Jack überlegte eine ganze Weile.
Es wurde still im Wagen und Daniel drehte sich in seinem Sitz wieder zur Seite.
„Ich habe es noch nicht geschafft...kann es nur genauso gut verstecken wie du.“
***

„Wirst du wohl essen?“ fauchte die Betreuerin des Waisenhauses doch Daniel weigerte sich vehement.
Er hasste Spinat und was noch schlimmer war, er würde sich nicht vor all diesen gemeinen Kindern beugen.
„Du sollst essen!“ befahl sie ihm immer wieder doch Daniel schüttelte den Kopf.
„Ich will das nicht, lassen sie mich in Ruhe!“ schrie er als die Betreuerin ihn schmerzhaft am Arm packte.
„Daniel Jackson, du wirst jetzt essen, vorher wirst du keinen Fuß von diesem Tisch wegsetzen.“
Wild versuchte der Junge sich zu wehren, als die Betreuerin ihm eine Ohrfeige gab.
Schockierte blickte Daniel sie an und begann sie wild mit den wenigen ägyptischen Wörtern, die er kannte, zu beschimpfen.
„Hast du noch nicht genug?“ schrie die Frau ihn an und schlug ihn erneut.
Die Massen an Kindern grölten und Daniel verstand nicht, warum niemand ihn haben wollte und aus diesen Loch herausholte.
Diese Frau war grausam, warum kam niemand, um ihn zu retten?
Wieder begann er zu weinen, als er sich der Aussichtslosigkeit der Situation bewusst wurde.
„Mommy...“ schrie er doch sie kam nicht.
„Lassen sie ihn in Ruhe, ich mach das...“ erbarmte sich jemand und stieg vom Tisch auf.
Daniel sah zu der Person und erkannte Jonath.
Der Junge beugte sich zu ihm hinunter und schloss ihn wieder in seine Arme.
Verzweifelt klammerte Daniel sich an sein T-Shirt, als er erneut die beruhigende Hand auf seinem Rücken spürte.
„Beruhige dich, Kleiner, so machst du es doch auch nicht besser...schscht....“
Er bemerkte, wie die Frau sich zurückgezogen hatte und nun mit den anderen zu Abend aß.
Von nun an ignorierte sie ihn nur noch.
„Weißt du noch, was ich dir erzählt habe, über Hawaii?“ begann Jonath erneut.
„Weißt du das noch, Kleiner?“
Daniel nickte.
„Wenn wir hier raus kommen, gehen wir dorthin, hast du verstanden, wir werden von hier verschwinden und nie wieder zurückkommen...“
„Mommy...“ winselte er wieder und Jonath nickte.
„Auch deine Mommy wird dort auf dich warten, keine Angst. Du musst nur noch ein bisschen durchhalten...“
Damit spürte Daniel, wie der größere Junge etwas aus seiner Jackentasche zog, und es ihm in die kleine Hand drückte.
„Hier, versteck es von nun an besser!“ mahnte er und gab ihm Raum, den kleinen Stein wieder zu verstecken.
„Danke...“ flüsterte Daniel und Jonath ließ ihn wieder los.
„Und nun...setzt dich an den Tisch und iss...“ bat der größere Junge und der kleine Achtjährige nickte müde.
Er musste sich ergeben.

***
„Warum hat man das nie aufgedeckt?“ fragte O’Neill, obwohl er die Antwort selbst genau wusste, doch er wollte, dass Daniel weiter sprach.
„Es wäre nicht ganz glaubwürdig gewesen, wenn Waisenhauskinder sich über die Verwaltung beschweren, nehme ich an. Zu der Zeit kümmerte man sich nicht unbedingt darum, was wir wollten. Entweder man schwamm mit dem Strom, oder man ging in ihm unter...“
***

„Willst du warten, bis mein Unterricht zu Ende ist, dann können wir zusammen zurück zum Waisenhaus gehen?“ bot Jonath an und Daniel willigte ein.
Es wartete sowieso niemand auf ihn, also konnte er auch noch ein bisschen in der Schule bleiben.
Er beschloss, sich auf den Weg zur Bibliothek zu begeben, vielleicht konnte er sich da etwas ablenken.
Jonath hatte gerade die Tür zum Klassenraum geschlossen, und Daniel konnte ihn noch durch die Fenster sehen, als er Stimmen hinter sich hörte, die ihn in Angst versetzten.
„Wo willst du hin, Brillenschlange?“
Nervös drehte er sich um und erkannte die vier Schläger aus seinem Waisenhaus wieder.
Daniel beschloss, eine Gabe auszunutzen, die ihm in der Zukunft noch oft das Leben retten würde- er rannte.
Er rannte so schnell ihn seine kleinen Beine trugen.
Und für einen Achtjährigen war er verdammt schnell.
Leider holten ihn die Teenager rasch ein und er wurde mitsamt seiner Schultasche gegen die Wand geschleudert.
Daniels Brille fiel zu Boden und er sah noch die Eisenbahn, die Kinder auf die Betonmauer gemalt hatten, bevor er mit dem Kopf dagegen stürzte.
Tausend Sterne tanzten vor seinen Augen, als er nach einigen Sekunden langsam wieder zu sich kam.
Die vier Jungs hatten sich skeptisch über ihn gebeugt und wurden nervös.
„Komm, lassen wir ihn in Ruhe.“ flüsterte einer.
„Verschwinden wir, bevor noch ein Lehrer kommt.“ schlug ein anderer vor.
„Nein...“ grölte der größte der vier Teenager und trat Daniels Rucksack zur Seite.
„Wer denkst du eigentlich, wer du bist, du kleine Ratte?“
Langsam spürte Daniel, wie warmes Blut aus seiner Nase auf den Boden tropfte.
Er schniefte kurz und sah den übermächtigen Gegner stur an.
„Ich bin Daniel Jackson, habe einen einhundertmal höheren Intelligenzquotienten als du, und wenn ich groß bin werde ich wieder kommen, und dich fertig machen...“ fauchte er, was leider genau daneben ging.
„So...das denkst du also...“ sprach der große Junge und ein Tritt in die Rippen folgte.
Daniel krümmte sich auf dem Boden und fand sich bald in seiner eigenen Blutlache wieder.
„Lass ihn in Ruhe Jeffrey, der hat genug für heute...“ flüsterte wieder jemand aus der Runde, als sie von einem lauten Rufen gestört wurden.
„Ihr verdammten Mistkerle, könnt ihr euch nicht jemanden in eurem Alter suchen?“
Im Bruchteil einer Sekunde erkannte Daniel Jonath’ Stimme wieder und sah vorsichtig auf.
Sein Freund kam wutentbrannt auf die Jungs zugestürmt und packte sich den ersten schon am Kragen, als die ganze Meute auf ihn losging.
Daniel wollte aufstehen und ihm helfen, aber die Welt um ihn herum begann sich zu drehen und er sackte wieder auf dem Boden zusammen.
Als er das nächste Mal wieder zu sich kam, hockte Jonath neben ihm.
Seine Nase blutete ebenfalls und sein rechtes Auge nahm bereits eine blaue Färbung an.
Erst jetzt erkannte Daniel, dass die vier Jungs verschwunden waren.
„Wir haben schon einen Krankenwagen gerufen, Kleiner...“ sprach er ruhig und half dem kleinen Achtjährigen, sich vorsichtig aufzusetzen.
„Du hast mir schon wieder geholfen...“ bemerkte Daniel zitternd und lehnte sich an Jonath.
„Jeder braucht hier und da mal einen Schutzengel...“ antwortete dieser und hielt den Kleinen fest an sich gedrückt.
Als Daniel bemerkte, dass sich sein Blut mit dem von Jonath vermischte, blickte er wieder auf.
„Sind wir jetzt Blutsbrüder?“ fragte er dann hoffnungsvoll.
Der größere Junge lächelte, als hätte er dies nicht erwartet und fuhr ihm mit der Hand durch die kurzen Haare.
„Ja...ich glaube schon...von jetzt an sind wir Blutsbrüder...“

***
Jack und Daniel hatten Cassandras Schule endlich erreicht und erkannten diese zusammen mit Janet Fraiser am Eingang stehen. Die Pause wurde gerade ausgeläutet und die vielen Schüler stürmten in die Klassen, obwohl der Militär Hummer, mit dem die beiden gekommen waren, nicht unbeobachtet blieb.
Schon bald bildete sich eine kleine Traube aus Schülern um das riesige Gefährt.
Daniel begrüßte Janet und Cassie mit einem Kuss auf die Wange, Jack gab beiden die Hand.
„Sind wir soweit?“ fragte der Colonel dann und beobachtete die angespannte Miene seines Freundes. Der Archäologe wirkte unschlüssig, so als ob er sich nicht mehr sicher war, was er tun wollte.
„Ja, wir sind soweit.“, antwortete er dann zögerlich und sie begaben sich- bestaunt wie Kino- Stars- in das große Gebäude. Ihr Aufmarsch blieb auch im Inneren der Schule nicht unbemerkt und schon bald kam ihnen ein älterer Herr entgegen.
„Ich bin hier der Hausmeister. Kann ich ihnen helfen?“ fragte er höflich und schien Cassie wiederzuerkennen.
„Wir suchen nach Mr. Cooper!“ antwortete das Mädchen hastig.
„Es tut mir Leid, er hat gestern die Schule wieder verlassen...“
Daniel wirkte enttäuscht..
„Ich bin sein Bruder...“ antwortete er dann emotionslos und der ältere Mann zog die Augenbrauen hoch.
„Halb...“ setzte Jack fort, „...er ist sein Halbbruder...“
„Naja...“ noch immer wand sich der Mann in Skepsis, als Cassie ihn ansah, „Nun...ich werde nachsehen, ob ich seine Telefonnummer für sie herausbekommen kann.“

weiter: Kapitel 2
Kapitel 2 by Jenny
Teil 2


„Die werden dich gleich abholen“, hörte Daniel Jonath sprechen und sah sich nach ihm um.

„Nein...ich...dann werde ich weglaufen. Und hierher zurückkehren, damit wir beide nach Hawaii gehen können.“

Er glaubte sich selbst nicht.

Hier saß er nun mit zehn Jahren, hatte endlich den besten Freund gefunden, den er sich vorstellen konnte, und nun sollte er zu irgendeiner Vorortfamilie ziehen, bei der er sich nicht einmal sicher war, ob sie ihn nun wegen seiner Persönlichkeit, oder wegen seinem niedlichen Haarschnitt ausgewählt hatten.

Gerade, als er sich halbwegs an das Leben im Waisenhaus gewöhnt hatte, sollte er schon wieder aus dieser – ihm vertraut gewordenen- Umgebung herausgerissen werden, sollte er all das zurücklassen, was ihm lieb und teuer geworden war?

Nur um erneut in eine neue Umwelt gesteckt zu werden, in der er sich rechtfertigen musste, warum ein zehnjähriges Kind unbedingt sein Hieroglyphenbuch brauchte, um friedlich schlafen zu können, warum er kein Tapoika zum Nachtisch wollte, oder warum für ihn Fernsehen einfach nicht so wichtig war, genauso wie Football spielen oder Basketball?

Daniel war es leid, wie ein ungewollter Hund von einem Besitzer zum anderen gereicht zu werden.

Er hasste es, wenn diese – ach so perfekten - Familien ins Waisenhaus kamen, um sich ein oder zwei Kinder auszusuchen, da diese so gut zum Swimmingpool mit Golfplatz passen und der Hund ja auch tagsüber seine Beschäftigung brauchte.

„Da sind sie schon“, riss Jonath ihn aus den Gedanken und deutete zum Eingang des Aufenthaltbereiches.

Er erkannte eine blonde Frau mit kurzen Haaren und teurer Kleidung, zusammen mit einem Mann mit Mantel und einem Golden Retriever an der Leine.

Also wieder die Leute, die Beschäftigung für ihren Hund suchten...

„Ich werde nicht mit ihnen gehen.“

„Du musst- du hast keine Wahl, Kleiner.“

„Jonath...du musst mir helfen. Wir wollten doch zusammen nach Hawaii.“

„Die Zeit dafür ist noch nicht gekommen. Zuerst musst du mit ihnen gehen. Sobald du alt genug bist, kommst du hierher zurück, und wir werden gemeinsam nach Hawaii gehen, ok?“

Daniel schüttelte den Kopf, doch es war ein verlorener Kampf.

Die Hausleiterin gab den Leuten bereits seine Kleidung, ermahnte sie strikt, seine Medikamente nicht zu vergessen und dass es möglich wäre, dass er nicht gerne von hier weg wollte, aber das sei bei Heimkindern normal.

Und ehe er sich versah, saß er bereits in einer Chevrolet Limousine.

Wild versuchte er sich von seinem Gurt zu befreien, doch er bekam das Ding einfach nicht auf.

„Jonath!“ schrie er immer wieder verzweifelt, doch dieser stand nur neben dem Wagen, und versuchte ihn zu beruhigen.

„Jonath, hilf mir, du musst mich hier wieder rausholen!“

Es war der Moment gekommen, an dem seine beiden „neuen“ Eltern in den Wagen stiegen, sich bei der Heimleiterin bedankten und der Wagen sich langsam in Bewegung setzte.

„Jonath!“ flehte er ein letztes Mal und sah, wie die Leiterin ihn wieder in das Heim brachte.

Plötzlich drehte er sich noch einmal zu dem Wagen um.

„Vergiss nicht, Kleiner. Hawaii!“

Dann wurde er unsanft nach innen begleitet und Daniel war wieder an einem anderen Platz, mit anderen Leuten, die er nicht kannte und hoffte, dass er eines Tages seinen Freund wiedertreffen würde.

Auf Hawaii.

+++

Und wieder saßen sie im Auto.

Die Telefonnummer, die sie von dem Hausmeister erhalten hatten, stimmte zwar, jedoch antwortete niemand und so machten sie sich auf den Weg zu der nächsten Schule, in der sie Jonath vermuteten.

Immerhin hatte die Direktorin ihnen versichert, dass er in ihrer Gegenwart darüber gesprochen hatte, dass er bald in eine Grundschule nach Flint wollte, einer kleinen Stadt etwa neunzig Meilen entfernt. Und genau dort wollten sie nun ihr Glück versuchen.

Daniel saß noch immer sichtlich bedrückt im Wagen und schien die Verkehrsschilder zu zählen, während Jack fuhr. Eine unangenehme Stille hatte sich zwischen ihnen ausgebreitet und O’Neill war sich nicht sicher, wie er der Sache begegnen sollte.

Aber Fakt war, dass er mit Daniel reden musste, andernfalls würde er alles wieder tief in sich verstecken und letztendlich genauso verbittert werden, wie er selbst.

Vorsichtshalber stellte er das Radio aus und gewann somit die Aufmerksamkeit seines Freundes.

„Daniel...“, begann er, „ich weiß, ich kann nicht annähernd nachvollziehen wie du dich fühlst oder was du durchgemacht hast, aber ich weiß, dass man nur darüber hinweg kommt, wenn man bereit ist, zu vergessen.“

„Danke Omah“, erwiderte dieser gereizt und sah wieder aus dem Fenster.

„Wie hießen eigentlich deine Adoptiveltern? Könnte mich nicht erinnern, sie jemals getroffen zu haben“, wechselte Jack nach einer Weile das Thema.

„Thomas und Kathy“, antwortete Daniel trocken und zählte wieder Verkehrsschilder.
„Du standest ihnen wohl nicht sehr nahe, oder?“

„Jack...“, drohte der Archäologe und sah ihn an, „ich will nicht darüber reden, ok?“

„Ditto“, antwortete O’Neill und entdeckte besorgt, wie Daniels Unterlippe angefangen hatte zu zittern, seine angespannten Muskeln am Hals hervortraten und seine Auge herumirren und wild nach etwas suchten, dass sie anstarren konnten.

Als auch die darauffolgende Stille keine Erleichterung brachte, beendete der Archäologe das Schweigen.

„Ich wollte nur hin und wieder das Gefühl bekommen, etwas besonderes zu sein...Ich dachte, dass so etwas normal ist für ein Kind. Ich wollte einfach nur mal ein Wort der Bewunderung hören, irgendein Lob...“

„Das Problem im Leben ist, dass man sich seine Eltern nicht aussuchen kann, Daniel.“
„Ich weiß. Aber schließt das auch ein, dass man ständig zu etwas gezwungen werden darf, dass man nicht will?“

„Wie zum Beispiel?“

„Football...oder...oder Basketball. Warum muss ein elfjähriger Junge unbedingt Basketball spielen wollen? Warum konnten sie es nicht akzeptieren, dass ich mich für etwas anderes interessiert habe? Warum konnten sie mich nicht einfach für die Person lieben, die ich war?“

Nachdenklich hatte Jack dem Monolog seines Freundes gelauscht und fuhr nun etwas langsamer, um sich besser auf die Unterhaltung konzentrieren zu können.

„Daniel, viele Eltern haben eine Tendenz, ihre Sprösslinge zu sportlichen Hochleistungen bringen zu wollen, das heißt aber doch nicht, dass sie es böse meinten.“

Der Archäologe sah ihn mit einem Gemisch aus Verachtung und Unsicherheit an.

„Einem Kind die letzten Erinnerungen an seine wahren Eltern wegzunehmen hat nichts mehr mit sportlichem Ehrgeiz zu tun“, antwortete er gereizt und sah wieder weg.

„Das habe ich nicht gewusst“, bemerkte Jack bestürzt und beobachtete ihn im Augenwinkel.
„Probier es doch erst einmal, haben sie gesagt...“, fuhr Daniel fort, „spiel doch erst mal mit, haben sie gesagt, steig doch erst mal auf das Pferd, spring doch erst mal ins Wasser, steig doch erst mal auf das Fahrrad und wenn du es erst einmal eine Zeit lang gemacht hast, wirst du dieses Ägyptenzeugs schon vergessen...“

Der Archäologe seufzte kurz und sprach dann weiter. „Nick hätte mir helfen können, aber er wollte es nicht.“

„Du hast doch selbst gesagt, dass er durch die ganze Welt gereist ist, als es passierte. Er hätte sich unmöglich um dich kümmern können.“

Daniel antwortete nicht gleich, sondern lehnte erst seinen Kopf an die Stütze des Sitzes.

„Er hätte den Telefonhörer aufnehmen können, einfach nur mal anrufen und fragen, wie es mir geht, aber er wollte es nicht. Er hat es zugelassen, dass seine Leidenschaft ihm den Verstand raubt.“

+++

„Nick!“, schrie Daniel aufregt, als er seinen Großvater an der Tür sah.

Endlich, Nicholas Ballard war endlich gekommen um ihn abzuholen und aus dieser Hölle zu befreien.

Endlich würde er wieder das tun, was er am liebsten tat- auf Ausgrabungsexpeditionen gehen, fremde Sprachen lernen, fremde Kulturen erleben, Schätze ausgraben...
Freudig rannte er zur Tür, als seine Mutter ihn aus der Küche zurückhalten wollte.

„Danny, was ist los?!“

Er ließ sich nicht beirren.

Der Mann hinter der Haustür war sein Großvater.

Endlich hatte er wieder eine Familie!

Nach Monaten des Wartens kam sein Großvater endlich, um ihn abzuholen.

Schließlich, nahm Daniel an, dauerte es eine Weile, bis seine Expeditionen abgeschlossen waren und er musste sich auch erst darauf einstellen, seinen Enkel zu beherbergen.

Wild öffnete er den Knauf der Tür und entdeckte ein Paar alte Stiefel. Verbunden mit einem paar ausgetragener Jeans und einem karierten Shirt, wie es sein Großvater immer gerne trug, fehlte jetzt noch die warme Umarmung...

Doch plötzlich erkannte Daniel das Gesicht des Mannes und bei näherer Betrachtung fiel ihm auf, dass es ganz und gar keine Ähnlichkeit mit Nicholas Ballards Gesicht hatte.

„Hallo junger Mann, ich bringe die Post“, verkündete der Fremde mit einem warmen Lächeln, doch selbst das konnte ihn nicht mehr aufheitern.

Enttäuscht machte er seiner Ziehmutter Platz und lief auf sein Zimmer.

Wie konnte er nur so dumm sein zu erwarten, dass es irgendjemanden auf der Welt gab, dem sein Schicksal nicht egal war...

Er begann, seinen Großvater zu hassen...

+++

Nach zwei weiteren endlosen Autostunden hatten sie die besagte Schule endlich erreicht und wieder wurde Daniel nervös.

Sollte er endlich auf seinen verschollenen Bruder treffen, oder war die Suche nichts anderes als eine schlichte Verwechslung gewesen? Immerhin gab es eine ganze Menge Jonath Coopers in Amerika, viele von ihnen schwärmten vielleicht auch von Hawaii...

Unruhig stieg er aus dem Hummer und folgte O'Neill zu der Schule. Sie durchliefen den Pausenplatz, der durch zwei Basketballkörbe und Fußballtore begrenzt war. Neben dem Eingang lag noch immer ein vergessener Ball und wurde von dem aufkommenden Regen gewaschen.

"Bist du ok?", erkundigte sich Jack mit einem raschen Seitenblick. Er war langsamer gelaufen, um jetzt direkt neben seinem Freund zu sein. Nachdem er all die geheimgehaltenen Geschichten aus Daniels Vergangenheit gehört hatte, fühlte er sich ihm noch weitaus verbundener als je zuvor.

Und er wusste, dass er im Moment seine Unterstützung und Kraft brauchte.

"Mhm...", antwortete Daniel fast schüchtern und blieb noch einmal vor der Schule stehen. Es war ein altes Gebäude, Bauweise der siebziger Jahre, die große Eingangstür hatte zwei Flügel und bestand aus massivem Eichenholz.

Verdammt, was interessiert dich das im Moment?, fragte er sich innerlich und besann sich wieder auf den Zweck ihrer Reise.

"Na komm", ermutigte ihn Jack mit einer Hand auf seiner Schulter und schob ihn sanft nach vorne.

Daniel fügte sich der Bewegung und trat durch die Tür in einen großen Korridor, der nur so von Bildern der Grundschüler bis hin zu kleinen Kunstwerken der höheren Klassen und einigen Pokalen gesäumt war. All das erinnerte ihn schmerzhaft an seine Schulzeit...

Sie folgten dem Gang bis zum naheliegendem Rektorat und klopften vorsichtig an, als eine Frauenstimme antwortete.

"Herein."

Ihre Stimme klang jugendlich und freundlich.

Jack öffnete die Tür und versetzte Daniel einen sanften Stups, sodass dieser zuerst in dem Büro landete.

"Oh...Hi!", grüßte er unsicher und warf einen giftigen Blick in O'Neills Richtung.

"Hallo!", antwortete die Frau zurück und stand von ihrem Schreibtisch auf, um den Männern die Hand zu reichen. Sie war Anfang vierzig, hatte schwarzes, zu einem Pferdeschwanz gebundenes Haar. Ihre Fingernägel waren in einem hellen Blau lackiert und ein Ehering glitzerte an ihrer Hand.

"Hallo", begann der Colonel und gab ihr die Hand, "mein Name ist Jack O'Neill, dass ist Daniel Jackson. Wir suchen einen Mann, der momentan bei ihnen arbeitet. Sein Name ist Jonath Cooper."

Er spürte Daniels Erleichterung neben sich, als der erste Satz der Frau nicht lautete: "Der ist nicht mehr bei uns tätig."

"Was hat Mr. Cooper denn getan? Nichts Falsches, hoffe ich."

O'Neill räusperte sich.

"Nein, natürlich nicht. Es geht um eine private Sache, die wir dringend mit ihm besprechen müssen."

Die Direktorin sah die beiden Männer skeptisch an und blickte sich dann hilfssuchend nach ihrer Sekretärin um.

"Nun, er unterrichtet im Moment, ich fürchte, ihre privaten Angelegenheiten müssen bis zur Pause warten."

Jack gab sich damit nicht zufrieden und deutete nach draußen, wo der große Hummer- Jeep mitten vor der Schule geparkt war.

"Miss, wir sind vom Militär. Glauben sie mir, es ist wichtig genug, um diesen Mann davon abzuhalten, die Kinder mit langweiligem Geschichtsunterricht zu foltern."

Die Frau zog die Augenbrauen hoch und wollte protestieren, als ihr Blick au die Uhr fiel.
"Sie könnten sich auch einfach noch zwanzig Minuten gedulden, dann ist der Unterricht sowieso beendet."

Jack wollte wieder kontern, als Daniel ihm ins Wort fiel.

"Dann machen wir das. Wo können wir Mr. Cooper finden?"

"Raum 18, nächster Gang links."

Der Archäologe nickte mit dem Kopf, bedankte sich dann und trat aus dem Büro. Jack folgte ihm ohne ein weiteres Wort.

Draußen auf dem Korridor tauschten sie einige Blicke aus und Daniel lehnte sich nervös an einen Spind, der mit etwa fünfzig anderen in Reih und Glied stand.

Nervös lauschte er dem lauten Ticken der Schuluhr. Noch immer waren es neunzehn Minuten bis zur Pause. Im Nebenraum hörten sie die Stimme eines Mannes und Daniel versuchte sich vorzustellen, dass dies Jonath sein sollte, der Junge, der ihn damals beschützt hatte.

Unruhe ergriff ihn und drängte ihn nach draußen. Das ging alles viel zu schnell. Sie wussten nicht einmal, ob es der richtige Jonath Cooper war, was, wenn sie die ganze Zeit einem Phantom hinterher gefahren waren.

Was, wenn all seine Hoffnungen umsonst gewesen waren?

Daniel tat den ersten Schritt Richtung Ausgangstür, als er eine starke Hand auf seiner Schulter spürte.

„Hör auf wegzulaufen“, mahnte O’Neill mit beruhigender Stimme und lockerte seinen Griff.
Resigniert senkte er den Kopf und lehnte sich dann zurück an den Spind. Wahrscheinlich hatte Jack recht, es war Zeit, den Tatsachen ins Auge zu blicken.

+++

Fünf Minuten später standen sie noch immer nervös bei den Spinden, beobachteten, wie hin und wieder einige Schüler an ihnen vorbei liefen und warteten auf das Klingeln der Schuluhr.

Daniel war sich sicher, dass er vor lauter Unruhe schon sein Hemd durchgeschwitzt hatte.

Seine Finger zitterten, sein Herz pochte so laut, dass er kaum noch das Ticken der Uhr über ihnen hörte.

Verdammt, er musste sich zusammen reißen.

Es gab nur zwei Optionen, entweder der Mann war sein Freund, oder er war es nicht.
Also konnte er nicht wirklich überrascht werden. Warum machte er sich dann so viele Gedanken?

Daniel seufzte und deutete dann zur Kellertreppe.

„Ich muss mich kurz frisch machen, bin gleich wieder zurück.“

Jack, der die ganze Zeit neben ihm gewartet hatte, musterte ihn skeptisch.

„Ich verspreche es“, fügte er hinzu und der Colonel nickte leicht mit dem Kopf.

„Ich werde hier oben warten.“

Daniel blickte ihn dankend an und machte sich dann auf den Weg zu den Toiletten. Auf halber Strecke studierte er Collagen, die die Schüler für den Geschichtsunterricht angefertigt hatten und die nun an den Wänden ausgestellt wurden.

Einige erzählten von der ägyptischen Geschichte und Daniel musste unweigerlich lächeln, als er las, was die Schüler da an Informationen zusammengestellt hatten.

In den Toiletten angekommen, wusch er sich kurz die Hände und spritzte sich anschließend kaltes Wasser ins Gesicht. Nicht, dass es gegen seine Nervosität half, doch irgendwie brachte ihn das halbwegs wieder in die Realität zurück- und weg von diesen schlimmen Erinnerungen.

Der Blick auf die Uhr war nicht gerade vielversprechend und so trottete Daniel langsam wieder die Treppen hinauf, als etwas seine Aufmerksamkeit erregte.

Er hörte ein Kind schreien und als er aus dem Kellerfenster sah, erkannte er, wie zwei Jugendliche sich gerade auf einen kleinen Jungen stürzten, nicht älter als zwölf Jahre und ihn zu Boden schmissen.

„Wer denkst du eigentlich, wer du bist, du kleine Ratte?“, kam es ihm unweigerlich in den Sinn. Wieder sah er die drei großen Kerle vor sich, wusste, dass er keine Chance hatte.

„Ich bin Daniel Jackson, habe einen einhundertmal höheren Intelligenzquotienten als du und wenn ich groß bin werde ich wieder kommen und dich fertig machen...“

Jetzt war dieser Zeitpunkt gekommen...

+++

Als Daniel wieder halbwegs klar denken konnte, fand er sich auf dem Schulhof wieder.
Rechts von ihm lag einer der beiden Jungs, die er zuvor gesehen hatte und hielt sich die blutende Nase, daneben hockte der kleine eingeschüchterte Zwölfjährige und beobachtete ihn skeptisch.

Er war sich nicht sicher, was genau passiert war, doch seine Hände stemmten den anderen Jungen gegen die Hauswand.

„WIE FÜHLT SICH DAS AN?!“, schrie er ihn immer wieder an.

Als keine Antwort kam, drückte er ihn härter gegen die Wand.

„Na sag schon, WIE FÜHLT SICH DAS AN?!“

Das Adrenalin schoss Daniel durch die Adern und er war bereit, diese beiden Mistkerle hier halbtot zu prügeln dafür, dass sie sich an diesem kleinen wehrlosen Jungen vergriffen hatten.

[„Ich bin Daniel Jackson, habe einen einhundertmal höheren Intelligenzquotienten als du und wenn ich groß bin werde ich wieder kommen und dich fertig machen...“]

Es ging ihm nicht mehr aus dem Kopf, egal was er tat, wie ein Mantra wiederholte es sich immer und immer wieder.

„WIE FÜHLT SICH DAS AN?!“, schrie er erneut und dem Jungen liefen die Tränen übers Gesicht.

Verängstigt wollte er sich mit seinen Armen schützen, doch Daniel ließ es nicht zu. Während er den anderen Jungen im Augenwinkel beobachtete, fiel sein Blick auf die Hosentasche des Jugendlichen vor ihm.

Darin fand er ein kleines Nintendo und nahm an, dass es wahrscheinlich dem Kind gehörte, welches sich mittlerweile voller Furcht unter einen kleinen Baum verkrochen hatte und die Geschehnisse von da aus beobachtete.

Daniel nahm es ihm ab und steckte es in seine Hosentasche.

„Ist nicht so toll, wenn man mal auf der anderen Seite steht, oder?“, flüsterte er dem Jungen zu und presste ihn weiter gegen die Wand.

Dieser war mittlerweile komplett aufgelöst und weinte bitterlich.

„Es tut mir so Leid...“, stammelte er und blickte sich hilfssuchend um.

Daniel kaufte ihm diese Nummer nicht ab. Zu oft schon hatten das die Kerle gesagt, die ihn zuvor verprügelt hatten - und jedes Mal tat es ihnen mehr leid.

Im Augenwinkel erkannte er, wie der andere Junge aufstand und sich anschleichen wollte.
Genau das hatte ihm gefehlt, um zu explodieren.

In Windeseile drehte er sich um und erntete einen Fausthieb ins Gesicht. Durch die Wucht des Aufpralls taumelte er nach hinten, allerdings ließ ihn seine Wut alles vergessen und genauso schnell hatte er sich den Jungen geschnappt und gegen den geparkten Hummer geschleudert.
„Ich wird’ Sie fertig machen!“, brüllte der Halbstarke und Daniel holte aus, um sich für den Kinnhaken zuvor zu revanchieren.

Er traf den Jungen in den Magen und dieser schrie vor Schmerzen auf.

Ein eingesteckter Tritt gegen das Schienbein trieb Daniel nur noch mehr in Rage.

All das, was ihm als Kind angetan wurde, erkannte er in diesem einen Jungen wieder und egal wie viel Vernunft zuvor in ihm steckte, in diesem einen Augenblick war sie komplett verschwunden.

Es war ihm egal, wie es enden würde, dieser Mistkerle würde dafür bezahlen, dass er sich an Unschuldigen vergriff.

Mit voller Wucht schlug er wieder zu, nur um zu sehen, wie der Junge sich diesmal in letzter Sekunde duckte und seine Faust geradewegs in der Autoscheibe landete.

Es knallte laut, Scherben fielen zu Boden und ein Pochen ging durch seine Hand.

Erschrocken blickte Daniel auf den angerichteten Schaden, sah, wie Blut aus tiefen Schnitten an seiner Hand rann und auf den Asphalt tropfte, aber er war noch nicht fertig.

Gerade, als er zur Verfolgung des Jungen ansetzen wollte, griffen ihn zwei starke Arme von hinten.

„Hast du komplett den Verstand verloren?!“, brüllte eine sehr bekannte Stimme und langsam, viel zu langsam, kam er wieder zur Vernunft.

Sein Herz raste noch immer vor Aufregung und Blut strömte über seine Hand auf seine Kleidung, doch Daniel spürte es nicht.

Alles, was er spürte war der Hass über das, was man ihm als Kind angetan hatte.

Er wollte sich losreißen, doch Jack hielt ihn sicher fest.

Auch die anderen Kinder waren mittlerweile auf dem Pausenhof und beobachteten das Geschehen. Einer der Lehrer hatte sich den zwei Prügelknaben angenommen, die vor Schock weinten und Daniel erkannte, wie der kleine Junge immer noch unter dem Baum hockte.

Da fiel ihm das Nintendo wieder ein, dass in seiner Hose steckte.

Er beruhigte sich wieder genug, damit Jack ihn losließ und wütend anblickte.

„Sag mal, bist du übergeschnappt?!“, fuhr er ihn an und deutete auf das zerbrochene Fenster des Hummer.

Jetzt endlich kamen die Schmerzen in seiner Hand auf und er erlangte die Kontrolle über seine Emotionen zurück. All das schien nun ein böser Traum gewesen zu sein, doch tatsächlich gehörte ihm die gesamte Aufmerksamkeit der umstehenden Schüler.

Er zitterte vor Schock und starrte erst seine Hand, dann Jack an.

„Ich werd’s dir gleich erklären“, keuchte er und lief auf den kleinen Jungen unter dem Baum zu.

O’Neill wollte ihn zurück halten, doch Daniel deutete auf seine Hosentasche, in der das Nintendo steckte.

„Ich muss es ihm zurückgeben.“

Jack war zu erschrocken, um irgendwelche Diskussionen anzufangen und folgte ihm stattdessen.

Mit wackeligen Knien lief Daniel auf den Jungen zu und holte das Nintendo hervor. Vorsichtig legte er es vor ihm hin und trat einen Schritt zurück, hatten seine Taten das Kind doch ziemlich eingeschüchtert.

„Lass es dir das nächste Mal nicht wieder abnehmen“, sprach er sanft, als er eine laute Stimme im Hintergrund hörte.

„Was zum Teufel geht hier vor sich?“

Daniel drehte sich um und versuchte die Stelle zu lokalisieren, aus der sie gekommen war.
Irgendwo drängte sich ein dunkelhaariger Mann durch den Aufmarsch an schaulustigen Kindern hindurch. Einige von ihnen deuteten auf das zerstörte Autofenster, dann auf Daniel und der Mann kam aufgeregt auf sie zu.

„Was erlauben Sie sich?“, rief er ihnen mit hochrotem Kopf entgegen, als er plötzlich wenige Meter vor ihnen zögerte.

Seine Krawatte war von dem Sprint aus dem Schulgebäude heraus verrutscht und er richtete sie sich unterbewusst wieder, während er die beiden Fremden anstarrte.

Daniel wurde durch die unerwartete Verhaltensänderung aufmerksam und suchte Blickkontakt mit dem Mann.

Nur zwei Optionen, hielt er sich immer wieder vor, es gab nur zwei Optionen. Entweder er war es...oder nicht.

Voller Angst und Aufregung kam ihm kein Wort über die Lippen.

Keines bis auf:

„Jonath?“


weiter: Kapitel 3
Kapitel 3 by Jenny

Teil 3


„Was tust du da?“, fragte Daniel und betrat Jonath’ kleines Zimmer, das er sich mit fünf anderen Waisenkindern teilte.
„Ich trainiere.“, erklärte dieser und vollführte Tritte und Fausthiebe in der Luft.
„Und wozu?“, erkundigte sich der kleine Achtjährige wieder und sein Freund unterbrach das Training lächelnd.
„Hat dir deine Mutter nie beigebracht, dass du nicht so viel fragen sollst?“
„Nein.“, entgegnete Daniel und strahlte vor Stolz, „Sie hat mir beigebracht, dass ich immer und viel fragen soll.“
„Na wenn das so ist.“, erwiderte Jonath und setzte sich mit dem Kleinen auf sein Bett.
„Wie sind deine Eltern eigentlich ums Leben gekommen?“, fragte der Ältere der beiden und Daniel zögerte einige Sekunden, als all die bösen Erinnerungen wieder hochkamen.
„Sie haben eine Ausstellung vorbereitet, als sich die Abdeckplatte eines Grabmals über ihnen lockerte. Ich habe es gesehen doch dann hat man mich von dort weggezogen und ich habe meine Eltern nie wieder gesehen.“
Jonath hörte still zu, was der Kleine zu erzählen hatte und entschloss sich, ihn ebenfalls über seine Kindheit bis zum Waisenhaus aufzuklären.
„Meine Eltern waren Trinker.“, verriet er, „Tag und Nacht haben sie sich nur angebrüllt oder gesoffen, bis sie so dicht waren, dass sie nicht mehr schreien konnten. Dann war wieder Ruhe- bis zum nächsten Morgen.“
„Warum bist du nicht bei einer Pflegefamilie?“, erkundigte Daniel sich und spielte mit seinem kleinen Plüsch- Teddy, den er auf dem Hof gefunden hatte.
„Ich konnte diese Leute nicht ausstehen, ständig wollten sie mich in die Kirche zerren damit ich einen Gott anbete, der so etwas, wie es mir passiert ist erlaubt hat. Da bin ich weggelaufen. Sie haben mich gefunden und wieder hier rein gesteckt.“
Jonath schossen bei dem Gedanken die Tränen in die Augen, doch er konnte sie zurückhalten. Er musste stark sein um sich und seinen neuen kleinen Bruder vor den Alltagstücken im Waisenhaus beschützen zu können.
„Haben sie dich geschlagen?“, fragte Daniel plötzlich und suchte Blickkontakt mit Jonath, der nur still nickte.
„Wenn ich nicht genug Geld zusammenklaute, damit sie ihren Tagesbedarf an Alkohol decken konnten, setzte es immer Prügel.“
Er spürte, wie die Hand seines kleinen Freundes nach seiner suchte und reichte sie ihm.
„Tut mir leid für dich.“, erklärte der kleine Achtjährige und Jonath war verblüfft, wie erwachsen er doch war für so ein zierliches kleines Kind.
Das Mittagessen wurde ausgerufen als Daniel ihm plötzlich seinen Plüsch- Teddy, seinen einzig wirklichen Besitz im Waisenhaus gab.
„Was ist damit?“, fragte Jonath nach und erhielt ein schwaches Lächeln.
„Harrison hat mich immer zum Lachen gebracht, wenn ich traurig war. Ich möchte ihn dir schenken, damit er für dich dasselbe tut.“

+++

Daniel stand noch zu sehr unter Schock um zu verstehen, wem er da gerade gegenüber stand.
Eine kleine Stimme in seinem Hinterkopf wiederholte immer wieder diesen einen Namen:

Jonath.

Doch sein Bewusstsein weigerte sich nach wie vor, den Fakt zu akzeptieren, dass er endlich seinen lange verlorengeglaubten Bruder wiedergefunden hatte.

Stoisch begutachtete er die Arbeit des diensthabenden Unfallchirurgen des Krankenhauses und zählte die Nähte, mit denen die tiefen Schnittwunden geschlossen wurden.

Je länger er darüber nachdachte, umso absurder wirkte das Geschehen für ihn, aber es war so, als sei mit den zwei jungen Rowdies etwas in ihm erwacht- ein Albtraum wurde zu neuem Leben erweckt- und sein Gehirn schaltete auf Autopilot.

Er erinnerte sich nur vage an das Geschehen und im Nachhinein tat es ihm leid, aber auf der Hinfahrt hatte Jonath ihm versichert, dass er alles regeln würde und er sich nicht zu sorgen brauchte.

Daniel beobachtete, wie der Arzt einen dicken Verband um seinen rechten Unterarm legte und ihm noch eine Spritze gegen die Schmerzen gab, danach war er fertig.

Immerhin verriet ihm ein Blick auf die Uhr, dass er fast anderthalb Stunden in dem Unfallraum der Klinik verbracht hatte. Jack würde wahrscheinlich schon die Wände hochgehen.

Daniel fühlte sich ausgelaugt, die Schmerzen hatten ihn geschwächt und ermüdet.

Trotzdem überschlug sich sein Herz fast bei dem Gedanken, sich mit Jonath zu unterhalten.
Der Arzt gab ihm noch einige Tipps, wie er sich in den nächsten Stunden verhalten sollte, doch er nickte nur stumm.

Als er dann endlich auf den Gang hinaus trat sah er, wie Jonath und Jack gleichzeitig von ihren Stühlen aufstanden und auf ihn zuliefen.

O’Neills Gesicht war angespannt und er versuchte seine Wut mit seiner Sorge unter ein Dach zu bringen. Daniel verdachte es ihm nicht.

Er hatte zwei Jugendliche zusammen geschlagen, dass sah ihm nun wirklich nicht ähnlich.
Jonath schien entspannter und lächelte freudig.

„Alles wieder in Ordnung?“, erkundigte er sich und Daniel nickte.

„Alles...bestens...nehme ich an.“

Jack hatte die Situation richtig gedeutet und winkte mit dem Autoschlüssel.

„Wie wärs, wenn wir uns irgendwo etwas zu essen holen, diese sterile Atmosphäre ruft viel zu viele unangenehme Erinnerungen hervor.“

Daniel wusste, was gemeint war und stimmte ihm zu.

„Wie hast du mich ausfindig gemacht?“, fragte Jonath und kaute nervös an einem Kaugummi herum.

„Durch die Bekannte einer Bekannten einer Bekannten.“, erläuterte der Archäologe und erntete ein Lächeln.

„Beeindruckend.“, erklärte der ältere Mann und deutete in die Richtung, in der Jack den Hummer geparkt hatte, „Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns jemals wieder sehen.“

Der Kommentar packte Daniel und er wusste nicht mehr, als ein stilles Nicken beizutragen.

„Wie ist es dir so ergangen? Abgesehen davon, dass du deine gewalttätige Ader entdeckt hast?“, erkundigte Jonath sich nach eine kurzen Weile des Schweigens und lächelte.

Doch Daniel konnte nicht einmal im Geiste darüber lachen. Er fühlte sich schlecht wegen dem, was er getan hatte.

Vielleicht war es das richtige gewesen, doch er war ein erwachsener Mann.

Er sollte wirklich ein besseres Beispiel für andere Leute sein.

„Mir geht’s gut. Ich habe Archäologe studiert, noch ein paar Doktorate mit drangehängt und arbeite jetzt für das Militär.“, erklärte er so lässig, als sei es das normalste der Welt.

Jonath zog die Augenbrauen hoch und machte dann eine Grimasse.

„Tja...ich habs dann leider nur bis zum Grundschullehrer geschafft. Währenddessen habe ich sämtliche archäologische Fachbereiche hier in der Umgebung nach dir umgekrempelt, aber ich habe keine Anhaltspunkte gefunden. Erst vor einigen Jahren, als von dem Tempeleinsturz in Ägypten ein Bericht im Fernsehen kam, haben die kurz deinen Namen erwähnt, aber all meine Anfragen wurden abgeblockt.“

Daniel stieg vorsichtig in den Wagen ein und ließ Jonath auf dem Beifahrersitz platz nehmen, während er es sich hinten bequem machte.

„Du hättest mich wahrscheinlich nie erreicht, ich war in den letzten Jahren ziemlich...beschäftigt.“, erklärte er dann und schnallte sich an.

„Das kann ich mir vorstellen, bei den Qualifikationen.“

Jack zog bei dem Kommentar eine Augenbraue hoch, doch hielt sich sonst aus der Diskussion heraus. Er spürte, dass die beiden jetzt erst mal einige Dinge besprechen mussten.

„Wie ist es mit dir? Was hast du gemacht, seit du aus dem Waisenhaus...“

Daniel traute sich nicht, den Satz zu vollenden. Zu viele negative Erfahrungen waren mit dieser Einrichtung verbunden.

„Tja...“, Jonath machte eine kurze Pause und fuhr sich dann durch das kurze braune Haar, „Also ich bin dann auf die High School gegangen, hab nebenher ein paar kleinere Jobs
gemacht um mich über Wasser zu halten, dann kam das College und so weiter und so weiter.
Die ewig leidige Geschichte.“

Daniel schien ein wenig verwirrt.

„Ich dachte, du wolltest nie aufs College.“

Der ältere Mann schien etwas irritiert, lächelte dann aber.

„Naja, du weißt doch wie die Zeit einen verändert. Sieh dir doch nur mal an, was aus dir geworden ist. Aus einem kleinen, rotzfrechen, sturen Bengel.“

„Also an dem rotzfrech und stur hat sich noch nicht viel geändert.“, warf Jack nebenher ein und bog rechts ab.

Schon bald hatten sie das Restaurant erreicht.

+++

O’Neill hatte beschlossen, die beiden vorerst allein zu lassen und war zu einer nahegelegenen Autowerkstatt gefahren, um die Seitenscheibe ersetzen zu lassen.

Schon jetzt grübelte er, wie er das Hammond wohl beibringen sollte.

Währenddessen hatten Daniel und Jonath es sich in dem italienischen Restaurant bequem gemacht und über die alten Zeiten gesprochen.

Dabei spielte vor allem das Thema Waisenhaus und Pflegeeltern eine wichtige Rolle.

Daniel stand noch immer zu sehr unter Schock um zu realisieren, dass seine Suche ein Ende hatte und seine Vergangenheit ihn zum ersten Mal auf eine positive Weise einholte.

„Was ist eigentlich aus den Leuten geworden, die dich adoptieren wollten?“, erkundigte sich Daniel, doch Jonath runzelte die Stirn.

„Welche Leute?“

„Na die mit dem hässlichen Bernhardiner, weißt du nicht mehr?“

„Ach DIE!“, stieß sein Gegenüber laut hervor und lächelte nervös.

Daniel blieb das nicht unbemerkt und er wurde unruhig.

„Was ist los?“, fragte er besorgt und richtete seine gesamte Aufmerksamkeit auf Jonath.

„Ach, das ist eine lange und unschöne Geschichte. Ich möchte es dir wirklich ersparen.“, erklärte er dann und wechselte das Thema, „Was ist mit dir? Bist du verheiratet? Kinder?“

Über eine passende Antwort nachzudenken brachte Daniel von dem vorherigen Thema ab und er zuckte mit den Schultern.

„Hatte. Ich hatte eine Frau. Sie ist...verstorben.“

„Das tut mir leid.“, erklärte sein Gegenüber und legte ihm schnell über den Tisch hinweg eine Hand auf die Schulter, „Ich hätte das nicht fragen sollen, tut mir leid.“

„Du konntest es ja nicht wissen.“, wies Daniel die Entschuldigung ab und biss sich auf der Unterlippe herum.

Allein der Gedanke an Sha’uri brachte diese unendliche Leere in sein Leben zurück, das Wissen, jemanden verloren zu haben, der ihm so wichtig war wie sein eigenes Leben.

Er hatte nicht nur sie verloren, sondern auch einen großen Teil von sich selbst.
Seine jugendhafte Art, Dinge spielerisch anzugehen und seinen Humor.

Dem war nun zumeist der Sarkasmus gewichten.

„Es...Sie ist entführt worden. Und wurde getötet.“, erklärte er dann und rührte abwesend in seiner Suppe herum.

Das Schmerzmittel, dass der Arzt ihm gegeben hatte, lullte seinen Geist in eine Art Nebel ein, sodass er die Emotionen leichter wieder unterdrücken konnte, als es sonst der Fall gewesen wäre.

„Naja, ich weiß, dass es kein Trost ist, aber zumindest haben wir uns wieder gefunden, dass ist wenigstes etwas positives.“

„Ja.“, entgegnete Daniel und nickte, „Es ist mehr als nur das. Ich würde es eine Fügung des Schicksals nennen.“

Jonath nickte nur und lächelte bedrückt.

„Da stimme ich dir zu.“

„Weißt du noch, als wir zusammen auf das Dach des Waisenhauses geklettert sind um uns die Sterne anzusehen?“, fragte er und Jonath lächelte verträumt.

„Ja, das waren noch Zeiten. Wir dachten, die Welt würde uns gehören...uns allein.“

+++

Am nächsten Morgen musste Jonath wieder an der Schule Unterricht geben und so hatten Jack und Daniel sich kurzerhand ein Zimmer gemietet.

Nachdem O’Neill General Hammond auf den neusten Stand der Dinge gebracht hatte, entschlossen sie beide, für ein Frühstück in eines der zahlreichen Restaurants zu fahren, da das Motel selbst keinerlei Verpflegung anbot.

„Tut mir leid wegen der Scheibe.“, erklärte Daniel auf dem Weg zu den Parkplätzen.
Jacks Besuch bei der Autowerkstatt war erfolgreich gewesen und den Hummer zierte nun eine nagelneue Seitenscheibe.

„Sollte es auch.“, erwiderte der Colonel etwas vorwurfsvoll und lächelte dann, „Aber ich werde dir verzeihen. Allerdings solltest du so etwas nicht noch mal machen, zumindest nicht ohne dich zu vergewissern, dass du Handschuhe trägst.“

Daniel grinste und folgte seinem Freund zu dem Wagen.

Nur fünf Minuten entfernt warb ein kleines Restaurant mit gutem Service und einer ebenso guten Küche.

Sie hielten an und platzierten sich an eine der Sitzbuchten, weit weg von potentiellen Mithörern.

„Also.“, begann Jack dann, nachdem er einen Kaffe und für Daniel gegen dessen Willen eine warme Milch bestellt hatte- Anordnung vom Doktor.

„Was denkst du von ihm?“

Dem Archäologen schien die Frage etwas unangenehm und er haderte einige Sekunden mit sich.

„Er ist ok. Ich wünschte nur, ich hätte unser erstes Wiedersehen nicht derart vermasselt.“

„Ach.“, bemerkte Jack übertrieben laut, „Ist halb so wild. Warum eigentlich nur ok? Nach dem, was du mir gesagt hattest müsste er doch der Überflieger schlechthin sein- und nicht nur ok.“

„Das ist er ja auch.“, rechtfertigte sich Daniel und wartete ein paar Sekunden, bis die Bedienung ihre Getränke geliefert und eine Bestellung fürs Frühstück aufgenommen hatte, „Ich muss mich nur erst einmal wieder daran gewöhnen, wie es ist.“

„Was?“

„Einen...ihn...er war damals wie ein Bruder für mich. Und ihn wiederzutreffen ist etwas überwältigend.“

O’Neill blickte ihm daraufhin tief in die Augen, suchte nach etwas, dass Daniel nur allzu gut zu verbergen wusste.

Als der Archäologe den Blickkontakt abbrach war Jack klar, dass etwas nicht stimmte.

„Ich will nachher noch einmal kurz mit ihm unter vier Augen reden, danach können wir wieder zurück zum SGC fahren, ok?“

Seine Bitte kam zu unverhofft und O’Neill zog die Augenbrauen hoch.

„So schnell? Ich dachte ihr zwei startet heute Abend so ne richtige Wiedersehensparty mit wilden Entgleisungen und Curling- Wetten?! Ich hatte mich schon als eingeladen betrachtet.“

Daniel verzog die Mundwinkel kurz zu etwas, das Ähnlichkeit mit einem angedeuteten Lächeln hatte, doch Jack war sich nicht sicher.

„Das werden wir machen- ein anderes Mal. Wir wissen ja jetzt, wie wir miteinander Kontakt aufnehmen können. Für so etwas ist später noch genug Zeit.“

Seine Reaktion verunsicherte O’Neill.

Eigentlich hätte er erwartet, dass Daniel diesem Mann, der ihn offensichtlich einen großen Teil seiner Kindheit im Waisenhaus begleitet und beschützt hatte wild um den Hals fiel, dass beide sich freuten, einander wieder zu sehen, aber irgendwie steckte in der ganzen Sache der Wurm drin.

Daniel war ungewöhnlich verschlossen.

Natürlich trug er auch normalerweise sein Herz nicht auf der Zunge, sodass jeder Einsicht in seine Gefühlswelt hatte, aber derart verschlossen war er nur selten.

Meist dann, wenn ihn etwas störte, er aber mit niemanden darüber reden wollte.

„Und sonst ist auch alles ok? Was macht der Arm?“, war das einzige, was Jack einfiel.

„Alles bestens. Solange ich meine Schmerztabletten nehme, spüre ich kaum etwas.“

„Na dann lass uns mal die Nachspeisen studieren, oder?“

Daniel nickte abwesend und griff sich die entsprechende Karte.

„Ja, genau das sollten wir tun.“

+++

Daniel hatte sich wie versprochen am Nachmittag zur Schule fahren lassen um ein paar persönliche Worte mit Jonath zu wechseln, während Jack sich um das Abbestellen des Motelzimmers kümmerte.

Er wusste sein Gefühl des Zweifels diesmal richtig zu deuten und ließ sich von seinem Freund zu seinem kleinen Arbeitszimmer führen, wo sie unter sich waren.

„Also, was ist so wichtig, dass wir es uns hier drin bequem machen müssen?“, fragte Jonath lächelnd und schob demonstrativ einige alte Bücher und Schularbeiten beiseite.

„Ich wollte nur wissen ob du den Stein noch hast, den ich dir damals auf dem Dach des Waisenhauses gegeben habe. Den Stein meiner Eltern.“

Sein Gegenüber wurde sichtlich nervöser und drehte sich zu einem der Bücherregale um.
„Ja, den habe ich hier irgendwo, aber hast du mich deshalb hierher gebeten? Das hätten wir doch auch woanders klären können.“

Damit fuhr er mit seinen Fingern die Enden der Bücherregale entlang, bis er triumphierend den kleinen Kalkstein in der Hand hielt.

„Hier.“

Daniel erstarrte urplötzlich und Tränen stiegen in seinen Augen auf.

„Woher hast du den?“

Jonath sah ihn entgeistert an und schüttelte irritiert den Kopf.

„Was meinst du? Du hast ihn mir auf dem Dach gegeben, das hast du doch selbst gesagt.“
Daniel schüttelte nun seinerseits den Kopf und seine Augen verdunkelten sich.

„So etwas hat nie stattgefunden. Ich wollte nur herausfinden, ob Sie der wahre Jonath Cooper sind, denn der hätte gewusst, dass ich unter Höhenangst leide und nie so etwas getan hätte.“

Sein Gegenüber wirkte erschüttert und setzte sich auf die Kante seines Schreibtisches, die Augen auf irgendeinen imaginären Punkt am Boden gerichtet.

„Also. Woher haben Sie diesen Stein?“, forderte Daniel und ein Zittern wurde in seiner Stimme hörbar.

Der andere Mann schwieg lange, seufzte dann aber.

„Wir haben uns im Krankenhaus kennen gelernt, Jonath und ich...damals war ich neunzehn Jahre alt, er achtzehn. Er hat mir viel von Ihnen erzählt, wie Sie beide zusammen den Horror im Waisenhaus gemeistert hatten...auch ich hatte meine Familie verloren, bei einem Autounfall. Aber ich kam bei meinen Großeltern unter.“

Daniel hob hektisch die Hand, um ihn zu unterbrechen.

„Eine Sekunde- Sie waren zusammen mit Jonath im Krankenhaus?! Weshalb?“

Seine Stimme wurde immer brüchiger, auch seine Hände zitterten.

„Wir hatten beide Krebs. Blutkrebs.“

Daniel versuchte seine Erschütterung zu verbergen, doch es gelang ihm nicht.

„Wir...Jonath war in einem viel schlimmeren Stadium als ich, all die Chemotherapien hatten nichts mehr genutzt. Man wartete Wochen auf einen geeigneten Knochenmarksspender, doch es ergab sich einfach keine Möglichkeit.“

Das Gesicht des Archäologen war wie versteinert, nur eine einzige Träne fand den Weg nach draußen, wo sie schon bald weggewischt wurde.

„Aber...“, stammelte er, doch sein Gegenüber schüttelte nur den Kopf.

„Als es endlich so weit war, war er schon viel zu schwach, doch die Ärzte haben trotzdem den Eingriff gewagt. Leider hat er die OP nicht überlebt.“

Daniels Augen waren gezeichnet von Unglaube und Schock, das einzige, was nicht wie erstarrt zu sein schien waren seine zitternden Hände.

„Aber warum haben Sie...?“, brachte er heraus und wischte sich eine weitere Träne weg.

„Ich konnte mich mit ihm identifizieren. Er war all das, was ich in meiner Jugend gerne gewesen wäre. Er war ein Kämpfer und es hat ihn auch nicht gekümmert, was andere von ihm hielten. Er hat sein Ding gemacht und jeden, der ihn daran hindern wollte, in die Schranken gewiesen.“, jetzt wurden auch die Augen des älteren Mannes feucht, „Ich dagegen, ich war nur ein Verlierer. Habe meinen Großeltern ewig auf der Tasche gelegen weil ich zu faul war, mir einen anständigen Job zu suchen. Und Freunde hatte ich nie. Vor allem nicht solche, die dann wie Brüder für einen sind.“

Daniel musste sich gegen eine der Wände lehnen, um den Schock langsam zu verdauen.
„Wir hatten sowieso den selben Nachnamen, deshalb habe ich beschlossen, meinen Vornamen zu ändern und fortan das Leben des wahren Jonath Cooper zu leben. Ich wollte mit meiner Vergangenheit abschließen und noch mal neu anfangen. Als neuer Mensch. Jonath hatte mir viel von Ihnen erzählt, all Ihre Abenteuer und die Sache mit Hawaii. Er hat immer versucht, sie ausfindig zu machen, doch es war unmöglich. Und als ich damals den Bericht gesehen habe, wo von einem Archäologen mit Ihrem Namen gesprochen wurde hatte ich so ein Gefühl, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Sie mich oder ich Sie finden würde. Ich wollte Ihnen auch nur ein so guter Freund sein, wie es Jonath bestimmt gewesen wäre.“

Ungläubig schüttelte Daniel den Kopf und blickte zur Seite, als ihm wieder der Stein in den Sinn kam.

„Aber woher haben Sie den dann?“, fragte er und deutete auf das kleine Artefakt in seiner Hand.

„Bevor Jonath in den OP gebracht wurde, wollte er, dass ich ihn aufbewahre, für alle Fälle. Als ich dann hörte, dass er es nicht geschafft hatte, habe ich ihn behalten, für den Fall, das wir uns jemals treffen- was nun auch passiert ist.“

Daniel schloss für einige Sekunden die Augen und versuchte die Fassung wieder zu erlangen, doch es war schwerer, als er es sich vorgestellt hatte.

„Tut mir leid, dass ich es Ihnen nicht eher gesagt habe, ich wollte Ihre Hoffnungen nicht zerstören. Ich dachte, wenn ich so tue, als sei ich der echte Jonath, dann würden Sie zufrieden wieder von dannen ziehen.“, rechtfertigte der Mann sein Handeln, als der Archäologe minutenlang nichts mehr von sich gab und stattdessen nur stumm mit dem Kopf schüttelte.

„Wo...wo ist er begraben?“, stammelte er dann und drückte fest auf den Stein in seiner Hand.

„Er...ich weiß es nicht.“, gestand sein Gegenüber, „Das ist auch schon so lange her, ich bin mir nicht einmal mehr sicher, ob sie ihn in der selben Stadt begraben haben. Auf jedem Fall wurde das vom Waisenhaus aus geklärt.“

Ein Klingeln wurde hörbar und der falsche Jonath blickte auf die Uhr.

„Ich muss jetzt wieder raus, tut mir leid wegen der Sache. Wenn ich noch irgendetwas für Sie tun kann, Sie wissen ja, wo sie mich finden können.“

Damit trat er zusammen mit Daniel aus dem Raum heraus und verschwand in einem Klassenzimmer.

Der Archäologe stand noch zu sehr unter Schock, als das er irgendetwas anderes tun konnte, als sich stumm an die Wand zu lehnen und an seiner Unterlippe zu kauen.

Jonath war tot? Sein Bruder sollte tot sein? Und dieser Mann war nicht der echte Jonath? Denn der echte Jonath sollte tot sein? Sein Bruder?

Seine Gedanken drehten sich im Kreis, als er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter spürte.
Blitzartig öffnete er seine Augen und sah sich Jack gegenüber, der ihn zuerst genervt, dann besorgt anstarrte.

„Ich habe fünfmal versucht, dich anzurufen, aber du bist nicht rangegangen. Was ist los?“

Daniel wischte sich schnell eine Träne weg, zu langsam, als das es von O’Neill unbemerkt blieb und schüttelte den Kopf.

„Ich habe mich nur von ihm verabschiedet, von Jonath. Wir werden weiterhin in Kontakt bleiben.“, erläuterte er dann und folgte seinem Freund in Richtung Ausgang.

„Ach so. Na wenn das so ist.“

Aus Jacks Worten wurde ersichtlich, dass er ihm nicht glaube, aber Daniel scherte sich im Moment nicht darum. Zuerst musste er all das hier selbst verdauen.

O’Neill war klug genug, um ihn jetzt die nötige Distanz zu geben. Immerhin hatten sie noch eine lange Rückfahrt vor sich.

Als sie das Gebäude verließen fiel Daniels Blick automatisch auf das Fenster des Klassenraums, in dem der falsche Jonath unterrichtete. Er sah, wie er mit den Kindern sprach, doch als der Mann auf ihn aufmerksam wurde, wandte er sich schnell ab und verschwand aus dessen Sichtfeld.

Daniel seufzte.

Das waren alles viel zu viel Informationen auf einmal, er musste sich zunächst wieder sammeln, bevor er irgendetwas davon mit jemand anderem teilen konnte.

+++
Jonath lief einsam durch die Korridore und sang ein altes Elvis- Lied vor sich hin.
Daniel war schon seit Stunden weg, verschleppt von einer dieser neureichen Familien und hineingezogen in ein Leben, das er nicht wollte.
Aber danach fragte hier sowieso niemand.
Sie waren beide aufeinander angewiesen gewesen, umso mehr schmerzte diese Trennung nun.
Er war wieder allein, musste die Tücken des Alltags hier ohne seinen kleinen Bruder meistern und das tat ihm weh.
Zu gerne wäre er bei einer richtig guten Pflegefamilie untergekommen, von wo aus er Kontakt mit Daniel herstellen konnte, aber er war ja ein Problemfall, und für so etwas hatten angesehene amerikanische Familien keine Geduld.
Sie wollten etwas kleines und niedliches, was man wie einen Welpen erziehen konnte.
Frustriert warf er sich ins Bett, als sein Kopf gegen etwas hartes stieß, das auf seinem Kissen gelegen hatte.
Erstaunt holte Jonath es hervor und erkannte einen kleinen Gegenstand, der in Küchenpapier eingewickelt und mit mehreren Gummis verschlossen war.
Er öffnete das Päckchen und staunte nicht schlecht, als er Daniels Stein, seine letzte Erinnerung an seine Eltern, in den Händen hielt.
Anbei lag eine kleine, handgeschriebene Notiz.
Jonath hob das Blatt Papier auf und hielt es in Richtung Fenster, um es besser lesen zu können.
Lieber Jonath,
ich weiß, dass ich so schnell nicht wieder hierher zurückkehren werden, denn meine Sozialarbeiterin meinte, dass ich mich ordentlich verhalten solle, ansonsten werde ich einem anderen Waisenhaus zugeteilt.
Ich habe keine Ahnung, ob ich dich jemals hier erreichen werde, oder ob wir uns überhaupt jemals wiedersehen, vielleicht ja, vielleicht nein.
Aber zumindest hast du jetzt etwas, was dich ewig an mich erinnern wird, ein kleines Artefakt, dass Jahrtausende unter der ägyptischen Erde gelegen hat, bis man es fand.
Und ebenso lange wird unsere Freundschaft anhalten, egal was auch passiert.
Du wirst immer mein Bruder bleiben.
Daniel



Ende



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