It's all coming back to me by Nefertit
Summary: Jack beschließt in Washington einen kompletten Neuanfang zu wagen
Categories: Stargate SG-1 Characters: Jack O’Neill (SG-1)
Genre: Romance
Challenges: Keine
Series: Die Chroniken von Jack und Kerry
Chapters: 1 Completed: Nein Word count: 9512 Read: 2176 Published: 01.06.12 Updated: 01.06.12
Story Notes:
Disclaimer: Alle Charaktere und sämtliche Rechte an SG-1 gehören MGM/UA, World Gekko Corp. Und Double Secret Production. Diese Fanfic wurde lediglich zum Spaß geschrieben und nicht, um damit Geld zu verdienen. Jegliche Ähnlichkeiten zu lebenden und toten Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle weiteren Charaktere sind Eigentum des Autors.

1. Kapitel 1 by Nefertit

Kapitel 1 by Nefertit
Author's Notes:
Ich trete vermutlich sämtlichen S/J-Shippern auf die Zehen mit dieser FF, aber für mich gehören die Beiden einfach zusammen.
(Diese Geschichte wurde noch nie irgendwo veröffentlicht, die späteren Kapitel sind noch in Arbeit, aber man braucht ja einen Anreiz das Ding mal zu beenden...)
But if I touch you like this
And if you kiss me like that
It was so long ago
But it's all coming back to me

Meat Loaf


Gegenwart – November 2005

General Jack O’Neill stand im Stau – und er hasste es, im Stau zu stehen. Es war verlorene Zeit, Zeit, in der er so viel Besseres tun konnte. Aber statt dessen musste er hier warten und die Rücklichter des Wagens vor ihm anstarren.

Seit er hier in Washington D.C. lebte, hatte er mehr Zeit im Stau verbracht, als in seinem gesamten bisherigen Leben zusammengerechnet – zumindest kam ihm das so vor. In Washington schien immer irgendwo ein Stau zu sein, und manchmal erschien es Jack, als würden sie, wie von Zauberhand gesteuert, immer genau da auftauchen, wo er entlang fahren wollte.

Als er neu in der Stadt gewesen war, hatte er einmal versucht, einen Stau zu umfahren, indem er auf kleinere Nebenstraßen auswich und hatte sich dabei so hoffnungslos verfahren, dass er nach einer halben Stunde planlosem Hin und Her schließlich zerknirscht bei Major Davis angerufen und ihn gebeten hatte, ihn wieder auf die Hauptstraße zu lotsen.

Inzwischen kannte er sich in der Stadt schon so gut aus, dass er nicht mehr regelmäßig verloren ging auf dem Weg von Punkt A nach Punkt B – aber seit seiner Irrfahrt unterließ er es tunlichst, zu versuchen Staus zu umfahren. Da nahm er lieber die Warterei in Kauf.

Manchmal erstaunte es ihn, wie sehr er sich schon an das Leben in Washington gewöhnt hatte. In den ersten Tagen und Wochen hatte er sich so fremd und verloren in dieser fremden, großen Stadt gefühlt, war so überfordert gewesen, von seinem neuen Job und dessen Herausforderungen, dass er am liebsten seine Koffer wieder gepackt hätte und zurück nach Colorado Springs gegangen wäre.

Doch das war leider nicht möglich gewesen und das hatte er auch gewusst. Er hatte beschlossen nach vorne zu blicken, nicht zurück. Und er hatte beschlossen noch ein paar Sachen zu klären, die seit einiger Zeit ungeklärt waren...



7 Monate früher

Ein wenig zögernd hob Jack die Hand und klopfte an der schweren dunklen Eichenholztüre von Kerrys Büro. Er hatte sie nicht mehr persönlich gesehen, seit sie ihn damals in seinem Büro aufgesucht und ihre Beziehung beendet hatte. Sie hatte ihm damals auch nahe gelegt, den aktiven Dienst bei der Air Force zu quittieren, um mit Sam Carter zusammen sein zu können, falls wirklich die dienstlichen Vorschriften das einzige waren, das sie nicht zusammen kommen ließ.

Viel war seitdem geschehen, und er hatte viel Zeit gehabt, um nachzudenken. Über sich selbst, über Carter, über alles in seinem Leben, und er hatte dabei einiges begriffen.

Er hatte erkannt, dass seine Gefühle für Sam sich geändert hatten – schon vor langer Zeit. Ja, er hatte sich zu ihr hingezogen gefühlt, als sie sich begegnet waren und die ersten Jahre war es schwer gewesen der Anziehung zu widerstehen – sehr schwer.

Aber irgendwann, ganz unbemerkt, hatten sich seine Gefühle geändert. Er hatte es sich nur nie eingestanden, hatte unbewusst daran festgehalten, wie an einer Angewohnheit, die man einfach nicht abstreifen konnte. Es war einfacher gewesen, sich hinter Regeln und Vorschriften zu verstecken, als hinauszugehen und einen wirklichen Neuanfang zu wagen, es war einfacher gewesen, sich an einen Traum zu klammern als dort draußen etwas reales zu suchen, wo man Gefahr lief enttäuscht zu werden..

Ihm war klar geworden, dass sie sich beide selbst im Weg standen, indem sie an den alten Gefühlen festhielten, und so lange sie das taten, würden sie niemals in der Lage sein, weiter zu gehen und sich auf etwas Neues einzulassen. Sie hatten es beide versucht und waren beide gescheitert, weil sie innerlich noch nicht losgelassen hatten, und sie hatten dabei Menschen, denen sie etwas bedeutet hatten, sehr weh getan.

Irgendwann hatte er begriffen, dass er klare Verhältnisse schaffen musste, um ihrer beider willen. Er hatte für sich entschieden, die Versetzung anzunehmen und nach DC zu gehen. Nicht nur wegen Sam, für seine Entscheidung gab es viele Gründe, aber dies war einer davon. Eine räumliche Trennung würde es ihnen beiden einfacher machen, sich mit den Tatsachen abzufinden, auch wenn es im ersten Moment vielleicht schmerzhaft war.

Auf diese Weise würde vielleicht auch Sam endlich aufhören können, an etwas festzuhalten, das keine Zukunft mehr hatte, und das nicht gut für sie war. Sie war noch jung genug, um eine Familie zu gründen, Kinder zu bekommen und mit einem anderen Mann glücklich zu werden. Sie durfte sich diese Chance nicht verbauen, indem sie sich emotional an ihn kettete.

Und er hatte begriffen, wie sehr er selbst Kerry damals weh getan hatte, wie gedemütigt und verletzt sie sich gefühlt haben musste, als sie erkannt hatte, dass er im Grunde seines Herzens immer noch an einer anderen Frau hing.

Er hatte Sam um ein klärendes Gespräch gebeten, bevor er gegangen war – das erste wirklich offene Gespräch das sie je geführt hatten – und hatte ihr seine Beweggründe erläutert. Er hatte klargestellt, dass und warum niemals etwas zwischen ihnen ablaufen würde und ihr gesagt, dass sie ihr Leben leben und glücklich werden solle. Zuerst hatte sie es nicht gut aufgenommen, war verständlicherweise enttäuscht und verletzt gewesen, doch Jack hatte gewusst, dass es so besser war.

„Herein!“ Kerrys klare Stimme erklang aus dem Inneren des Büros, und Jack drückte die Türklinke herunter und trat ein. Einen Moment blieb er unschlüssig in der halb offenen Türe stehen, während Kerry ihn mit einer Mischung aus Erstaunen und Freude anblickte. Sie sah gut aus, fand Jack. Sie hatte ihre langen, roten Haare hochgesteckt und trug eines ihrer edlen Kostüme, die ihre schlanke Figur immer gut zur Geltung brachten.

Als er durch die Türe trat, sah sie auf und schien mitten in der Bewegung zu erstarren, ihr Blick verriet ihre Überraschung. Offensichtlich war er der letzte Mensch mit dem sie gerechnet hatte.

Obwohl sie am selben Projekt arbeiteten, hatten sie sich seit ihrer Trennung nicht mehr gesehen. Sie hatten Berichte und Memos ausgetauscht, aber der Zufall hatte es gewollt, dass sie sich nicht einmal bei den Besprechungen begegnet waren, weil immer einer von ihnen den Termin nicht hatte wahrnehmen können.

„Jack!“ brachte sie schließlich hervor und erhob sich. Eilig schob sie ein paar Papiere auf ihrem Schreibtisch zusammen und schraubte ihren Füllfederhalter zu. „Komm rein. Setz dich. Was führt dich her?“

Jack schloss die Türe hinter sich, trat zu ihr an den Schreibtisch, lehnte ihre Aufforderung sich zu setzen jedoch mit einer Handbewegung ab.

„Danke, ich will nicht lange bleiben“, erwiderte er und vergrub die Hände in den Hosentaschen, weil er sonst nicht wusste, was er mit ihnen tun sollte. Kerry schien es ähnlich zu gehen, vermutete Jack, denn ihr geschäftiges Hin- und Herschieben von Papieren auf dem Schreibtisch wirkte ein wenig planlos.

„Hast du dich schon ein wenig eingelebt in Washington?“ fragte Kerry schließlich und zwang sich, ihre Hände still zu halten. Jack nickte zur Antwort.

„Und auf deinem neuen Posten hast du dich gut eingearbeitet?“ fuhr Kerry fort, offensichtlich bemüht, kein peinliches Schweigen aufkommen zu lassen. Offenbar war sie von der Situation nicht weniger überfordert als er selbst. Zum ersten Mal bedauerte Jack es ein wenig, dass er hier her gekommen war. Er hatte sie beide in eine unangenehme Situation gebracht.

„Wie geht es …“ Dieses Mal fiel Jack Kerry ins Wort, bevor sie eine weitere belanglose Frage stellen konnte.

„Hör zu“, sagte er und unterbrach sich dann kurz. „Ich bin nicht her gekommen um Smalltalk zu machen. Ich wollte dir sagen, dass es mir leid tut. Du weißt schon – wie das damals gelaufen ist ...

„Nicht.“ unterbrach Kerry ihn plötzlich. Jack verstummte und blickte Kerry verwundert an.

„Tu das nicht, Jack, ok? Ich will keine schönen Erklärungen hören. Lassen wir es einfach wie es ist.“

Jack hob abwehrend die Hände.

„Ich bin nicht hier, um irgend etwas schön zu reden. Ich – was ich getan habe war nicht in Ordnung. Es tut mir leid, dass ich dir weh getan habe wegen einer fixen Idee in die ich mich verrannt hatte ...“

„Was willst Du mir damit sagen, Jack?“

Jack seufzte lautlos.

„Meine Gefühle für Carter – das war ein Hirngespinst, Einbildung – nenn es wie du willst. Ich hab mich irgendwann einmal zu ihr hingezogen gefühlt und hatte mich so in diese Sache verrannt, dass ich nicht einmal bemerkt habe, dass meine Gefühle sich längst geändert hatten. Ich liebe sie nicht. Ich – ich habe sie nie wirklich geliebt. Das habe ich jetzt begriffen.“ Jack unterbrach sich und machte eine hilflose Handbewegung. Es hatte ihn alle Überwindung gekostet, diese Worte auszusprechen, doch nun, da er sie gesagt hatte fühlte er sich ein wenig besser.

„Jack, wenn du denkst, dass du mich mit dieser Rede zurückgewinnen kannst, hast du dich verrechnet“, erklärte Kerry hart, so hart, dass Jack innerlich zurückzuckte. Er wusste nicht genau was er erwartet hatte, aber er hatte nicht erwartet, dass sie ihm mit solcher Kälte begegnen würde.

„Nein! Nein, das ist es nicht!“ wehrte er schnell ab, „Ich weiß, dass es dafür zu spät ist. Ich wollte einfach nur, dass du weißt, dass mir ein paar Dinge klar geworden sind.“ Er zuckte ratlos die Schultern

Trotzdem wandte er sich gleich um und ging zurück zur Türe. Er hatte schon die Türklinke in der Hand, als Kerry ihn zurückrief.

„Jack!“ Er wandte sich halb zu ihr um. Ihr Blick war weicher als noch vor ein paar Sekunden, und als sie sprach, fehlte auch ihrer Stimme die Schärfe von vorhin.

„Danke Jack, ich – das weiß ich zu schätzen“, sagte Kerry.

Jack mied ihren Blick – die ganze Situation war ihm unangenehm. Es war ihm immer unangenehm über Gefühle zu sprechen. Aber er war froh, dass er es dennoch getan hatte.

Er nickte Kerry noch einmal zu, öffnete dann die Türe ihres Büros und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, hinaus.

**********************************

Die Wochen vergingen, und sie arbeiteten zusammen, wie vor Jacks Besuch in ihrem Büro auch schon. Sie tauschten Memos aus, schickten sich gegenseitig Berichte und ein einziges Mal telefonierten sie sogar kurz miteinander. Persönlich jedoch trafen sie sich erst wieder bei dem Empfang, den Senator Henderson in seinem Haus gab.

Es war inzwischen Ende April, und der Frühling hielt langsam Einzug in die Stadt. Die ersten Bäume trugen bereits Knospen, und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Knospen sich öffneten und das erste frische Grün des Jahres wieder etwas Farbe in die Stadt bringen würde.

Als Jack in seiner Ausgeh-Uniform dem Dienstwagen entstieg, der ihn zum Haus des Senators gebracht hatte, war es bereits dämmrig über der Stadt. Die Tage wurden nun zwar schon deutlich länger, dennoch blieb es abends noch nicht wirklich lange hell.

Zu offiziellen Anlässen und wichtigen Terminen konnte Jack immer einen der Wagen der Fahrbereitschaft nutzen, und er hatte es sich angewöhnt das zu tun. Zwar fühlte er sich immer ein wenig unbehaglich dabei, im Fonds eines Wagens zu sitzen und sich kutschieren zu lassen, aber nach seinem Abenteuer in den Seitenstraßen Washington DCs erschien es ihm sicherer, sich zu Terminen fahren zu lassen.

Die Männer und Frauen von der Fahrbereitschaft kannten die Stadt besser als er, wussten wo es häufig zu Staus kam und kannten die Schleichwege, um sie zu umfahren. Und sie schafften es immer, ihn pünktlich dort abzuliefern, wo er hin musste.

Er klingelte an der Türe und wurde von einem Angestellten der Hendersons hereingelassen und ins Wohnzimmer begleitet, wo ihn Hendersons Frau, eine resolute, ein wenig knochig aussehende Frau mit kurzen, grauen Haaren, begrüßte.

„General O’Neill!“ flötete sie, „ich freue mich ganz besonders, dass sie es geschafft haben zu kommen!“

Jack zwang sich zu einem Lächeln. Er war hier, ja, aber nur ausgesprochen widerwillig. Zum einen, weil er noch immer nicht gut auf Politiker zu sprechen war und den Kontakt zu ihnen auf ein Minimum zu beschränken versuchte, zum anderen, weil ihm solche Veranstaltungen allgemein nicht lagen.

Die gespielte Freundlichkeit der Anwesenden ging ihm ebenso auf die Nerven wie die politischen Gespräche und die gesamte Vetternwirtschaft in diesen Kreisen. Das ganze politische Kalkül lag ihm nicht, hatte es nie und würde es auch niemals.

Aber die Etikette hatte gefordert, dass Jack zumindest für eine Weile dort erschien, bevor er sich mit einer guten Ausrede zurückziehen konnte. Und er konnte es sich nicht leisten, den Senator zu verärgern. Er wäre ein zu mächtiger Feind für das Stargate-Programm

„Darf ich ihnen etwas zu trinken anbieten?“ Damit hakte Mrs. Henderson sich bei Jack unter und schleppte ihn nach nebenan ins Esszimmer, wo ein Catering-Service Getränke und kleine Häppchen anbot.

Jack ließ sich ein Wasser geben, lehnte den Wein, den man ihm anbot, ebenso wie den teuren französischen Champagner dankend ab. Er war in Uniform, und ein General in Uniform trank keinen Alkohol in der Öffentlichkeit. Außerdem war er sowieso mehr der Bier-Typ.

Er ließ sich von Mrs. Henderson ins Wohnzimmer zurück schleifen und ließ es gezwungenermaßen über sich ergehen, dass sie ihn allen möglichen Senatoren, Abgeordneten und Parteimitgliedern vorstellte – nebst ihren äußerst repräsentativen Gattinnen – perfekt gestylten Frauen, die sich auf dem rutschigen Pflaster hier so sicher bewegten wie Primaballerinen, die die Kunst des Smalltalks und der höflichen kleinen Schmeicheleien bis zur Perfektion gemeistert hatten.

Jack schüttelte unzählige Hände, wurde Leuten vorgestellt, deren Namen er bereits im Verlauf des darauf folgenden, belanglosen Geplauders wieder vergessen hatte und beantwortete die immer wieder gleichen Fragen.

Nach einer Weile begann sich ein lästiger Kopfschmerz hinter seiner Stirn auszubreiten, und er wünschte sich, er könnte sich endlich zurückziehen oder zumindest für eine Weile frische Luft schnappen.

Er beantwortete eine beiläufige Bemerkung der Ehefrau des er-wusste-nicht-mehr-wievielten Politikers mit einem höflichen Nicken und wandte sich dann mit der Frage: „Würden Sie mich einen Moment entschuldigen?“ an die Gastgeberin.

Ohne ihre Antwort abzuwarten, wandte er sich um und ging nach nebenan. Der Kellner des Catering-Service, ein junger blonder Mann, grüßte ihn freundlich, und Jack ließ sich von ihm ein frisches Glas Wasser geben. Seines war inzwischen lauwarm und schal geworden, nachdem er es beinahe zwei Stunden in der Hand mit sich herum getragen hatte.

„Ich sehe du konntest Dich befreien“, sagte plötzlich eine Stimme neben Jack, und als er sich umwandte, lächelte ihm Kerry entgegen. „Ich habe dich schon eine Weile beobachtet und überlegt, ob ich dich retten soll.“ Sie ließ sich von dem Kellner ein frisches Glas Champagner geben und nippte dann daran.

„Du hättest mich ruhig retten können – du weißt wie ich solche Veranstaltungen hasse“, sagte Jack.

„Natürlich – sie sind ja auch sterbenslangweilig“, erwiderte Kerry zwinkernd und mit einem schelmischen Unterton in der Stimme, „aber ich dachte ich lasse dich noch ein wenig schmoren.“

„Ich wusste gar nicht, dass du eine sadistische Ader hast.“ kommentierte Jack und verdrehte dann lautlos seufzend die Augen, als er hinter sich die Stimme von Mrs. Henderson hörte, die ihn rief.

„General O’Neill! Da sind sie ja!“

Jack und Kerry wandten sich beide zeitgleich nach ihrer Gastgeberin um, die gerade in diesem Moment mit ausgestreckten Armen auf sie zu eilte. Kerry setzte ein Lächeln auf, das so überzeugend wirkte, dass selbst Jack es ihr in diesem Moment beinahe geglaubt hätte. Er versuchte es ihr gleichzutun, scheiterte jedoch kläglich.

„Ah, wie ich sehe, haben sie sich bereits mit Miss Johnson bekannt gemacht“, bemerkte Mrs. Henderson dann und blickte misstrauisch von einem zum anderen.

„Wir kennen uns bereits“, antwortete Jack ausweichend, und noch bevor Mrs. Henderson auf diese neue Information mit einem weiteren Schwall von Fragen reagieren konnte, schaltete sich Kerry in das Gespräch ein:

„Wir arbeiten zusammen, und ich fürchte, Mrs. Henderson, ich muss ihnen den General schon wieder entführen. Ich habe eben einen Anruf aus dem Pentagon bekommen. Der General und ich werden dringend dort gebraucht.“

Jack warf Kerry einen überraschten Blick zu und formte mit den Lippen lautlos die Frage `Tatsächlich?´, was Mrs. Henderson zum Glück nicht bemerkte, da sie Kerry mit einem ebenso überraschten Blick bedachte.

„Tatsächlich? Oh, wie bedauerlich“, flötete Mrs. Henderson, und einen Moment fürchtete Jack, dass sie Kerry die Sache nicht abkaufen würde.

„Eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit – sie verstehen?”, flüsterte Kerry erklärend, mit einem leicht verschwörerischen Unterton in der Stimme, und bedachte die Gastgeberin mit einem so charmanten Lächeln, dass diese sich völlig entwaffnet geschlagen gab.

„Ich werde Sie bei meinem Mann entschuldigen, General“, versicherte sie Jack.

„Danke, Mrs. Henderson“, erwiderte Jack, und Kerry fügte charmant an:

„Und richten sie ihm unser Bedauern aus, dass wir so überstürzt aufbrechen mussten.“ Damit gab sie Jack ein Zeichen, und Jack folgte ihr zur Haustüre.

Kerry ließ sich ihren Mantel bringen, und Jack bat den Butler darum, dass sein Fahrer, der vermutlich mit den anderen Chauffeuren im hinteren Bereich des Hauses verpflegt wurde, den Wagen vorfahren möge.

Der Butler eilte davon, um Jacks Fahrer zu verständigen, während dessen öffnete Jack die Haustüre und folgte Kerry dann nach draußen.

Die Dunkelheit hatte sich inzwischen über die Stadt gelegt. In der Ferne erhob sich die Silhouette des Capitols gegen den Nachthimmel von Washington DC ab, der – wie der Himmel über jeder Großstadt – niemals völlig dunkel wurde.

„Ich fürchte, ich muss dich jetzt bitten, mich nach Hause zu bringen“, sagte Kerry, nachdem Jack die Haustüre hinter ihnen geschlossen hatte. „Wenn ich mir jetzt ein Taxi rufen lasse, werden sie uns die Sache mit dem Pentagon kaum noch abnehmen.“

„Das versteht sich doch von selbst, nachdem du mich vor dem Zirkus da drinnen gerettet hast“, erwiderte Jack mit einer angedeuteten Handbewegung in Richtung des Hauses.

Wie auf Kommando kam in diesem Moment Jacks Wagen vorgefahren. Noch bevor sein Fahrer die Zeit hatte, auszusteigen, um ihnen beiden die Türe zu öffnen, hatte Jack dies bereits selbst getan und bot Kerry eine Hand an, um ihr in den Wagen zu helfen als sie einstieg.

Jack schlug die Türe hinter ihr zu und lief mit schnellen Schritten auf die andere Seite des Wagens, wo er selbst dann einstieg. Während er neben Kerry rutschte und die Türe hinter sich zu zog, sagte er an seinen Fahrer gewandt:

„Würden Sie bitte zuerst Miss Johnson absetzen?“ und warf dann Kerry einen auffordernden Blick zu. Kerry nannte die Adresse, und der Fahrer nickte stumm zur Antwort. Dann setzte sich der Wagen in Bewegung.

Aufatmend lehnte Jack sich in den weichen Polstern der Sitzbank zurück und lockerte seine Krawatte, von der er schon den ganzen Abend das Gefühl hatte, dass sie ihn demnächst erwürgen würde. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass Kerry ihn beobachtete, und wandte sich zu ihr um. Um ihre Lippen spielte ein belustigtes Lächeln.

„Was?“, fragte er ein wenig verunsichert.

„Ach nichts, ich dachte gerade nur wie wenig du eigentlich hier her passt“, antwortete sie freimütig.

„Hier her?“, fragte Jack skeptisch zurück.

„Nun ja, nach Washington, die Hauptstadt des politischen Kalküls, der Intrigen und der Ränkespiele. Überall Politiker, die ihre eigenen Interessen verfolgen und all das. Ich dachte immer, du hasst das.“

„Das tue ich. Du kannst dir sicher vorstellen wie wohl ich mich hier fühle. Hätte ich nicht Major Davis, der mir hilft, hätte ich vermutlich schon meinen Verstand verloren!“, erklärte er inbrünstig und griff sich beim Wort Verstand an die Schläfe.

„Warum hast du den Posten dann angenommen?“, wunderte Kerry sich.

„Das hatte viele Gründe“, erwiderte Jack nachdenklich. Damit wandte er sich ab und blickte aus dem Wagenfenster. Die Häuser von Capitol Hill zogen draußen vorbei, jedes einzelne hübsch hergerichtet und gepflegt, hinter den Fenstern brannte Licht. Andere Autos kamen ihnen entgegen, dunkle Limousinen – einige davon mit kleinen Fähnchen fremder Staaten auf der Motorhaube, Polizeifahrzeuge, Autos, die sein geschultes Auge als nicht gekennzeichnete militärische Fahrzeuge identifizierte.

Viele Gründe – es war nicht einmal gelogen was er gesagt hatte. Für seine Entscheidung, nach Washington zu gehen, hatte es wirklich viele Gründe gegeben. Zum einen war da die Sache mit Sam. Es war besser für sie beide, so wie es jetzt war. Doch das alleine hätte sicher nicht ausgereicht, dass er sein ganzes Leben in Colorado Springs aufgab, alles zurückließ was ihm lieb geworden war, und in diesen Moloch von einer Stadt hier zog.

Es hatte rein praktische Gründe gegeben. George Hammond war in den Stab des Präsidenten befördert worden, was bedeutete, dass sein Platz im Pentagon frei geworden war. Und das Stargate Programm brauchte einen adäquaten Ersatz für Hammond an dieser Stelle.

Den Posten konnte nur jemand übernehmen, der das Stargate Programm kannte – im Schlaf kannte – und jemand, der das Beste für die Einrichtung und die Leute die dort arbeiteten im Sinn hatte, jemand der bereit war, für das Programm zu kämpfen, mit Klauen und Zähnen, wenn es notwendig sein sollte.

Die Alternative wäre gewesen, dass irgend ein anderer General den Posten übernommen hätte, irgend ein Fremder, der das Stargate Center, die Leute die dort arbeiteten, die Gefahren, die jeden Tag dort draußen auf sie lauerten, nur aus Berichten und Erzählungen kannte, der weder an dem Programm selbst, noch an den Menschen dort ein Interesse hatte, außer dem, was sie für seine weitere Karriere tun konnten, und der ganz sicher keine Kämpfe für die Einrichtung ausgetragen hätte.

Nein, es war die logische Konsequenz gewesen, dass er diesen Posten übernahm.

Und letztlich konnte er auch dort viel mehr für das Stargate-Programm tun, als als Kommandant der Basis vor Ort. Was konnte er denn dort schon tun, außer Befehlen geben, den Papierkram zu erledigen, zu warten, ob jeder wieder sicher nach Hause kam, und die Kondolenzschreiben zu unterzeichnen, wenn jemand nicht wohlbehalten zurückgekehrt war?

Und wenn eines ganz sicher noch nie sein Fall gewesen, war es das: Warten und zusehen.

In den letzten Monaten war es ihm zunehmend schwerer gefallen, nur in seinem Sessel zu sitzen und die Teams zu beobachten, wenn sie kamen oder gingen.

Gut er hatte seit Jahren gewusst, dass der Tag, an dem er nicht mehr selbst durch das Tor gehen konnte, irgendwann kommen würde. Sein Knie hatte in den letzten Jahren immer häufiger und immer heftiger aufbegehrt - fortgeschrittene Gelenkarthrose hatte der Arzt gesagt und ihm prophezeit, dass er eines Tages wohl einfach nicht mehr für einsatztauglich erklärt werden würde, wenn sein Knie noch schlimmer werden würde.

Und auch seine Kondition war inzwischen - so sehr es ihm widerstrebt hatte, das einzugestehen - nicht mehr so gut wie früher. Schon länger hatte er beobachtet, dass er immer öfter Schwierigkeiten hatte, mit Teal’c und den anderen mitzuhalten – selbst mit Daniel.

Er hatte die Beförderung zum General der Basis angenommen – nicht gerne - aber es war nur noch eine Frage der Zeit gewesen, bis man ihn ausgemustert hätte, zum alten Eisen abgeschoben – nein da war es besser gewesen, sich befördern zu lassen, und mit Würde aus der Sache heraus zu kommen.

Aber er hatte unterschätzt, wie es sein würde zuzusehen wie nun andere Männer – jüngere Männer – durch das Tor gingen und die Abenteuer erlebten, die eigentlich ihm zugestanden hätten. Er hatte nicht erwartet, dass es ihm sein Alter und seine eigene Sterblichkeit so deutlich vor Augen führen würde, und dass er so darunter leiden würde.

Und als ihm der Posten in Washington angeboten wurde, war ihm klar geworden, dass er leichter damit zurecht kommen würde, wenn er nicht jeden Tag sehen musste, was er verpasste. Also hatte er die Kröte geschluckt – wie der Volksmund so schön sagte – und sich versetzen lassen.

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Kerry ihre Hand auf seinen Arm legte.

„Jack - wir sind da“, sagte sie dabei. Erst jetzt realisierte Jack, dass der Wagen inzwischen zum Stehen gekommen war. Die Gegend, in der sie standen, kannte er zwar nicht, aber es war eine hübsche Gegend mit hübschen, schmalen Reihenhäusern mit Steinstufen, die zur Eingangstüre hinaufführten, und Straßen, die von ordentlich gepflegten Bäumen gesäumt waren.

„Warte, ich mach dir die Türe auf“, sagte Jack. Er beeilte sich, auszusteigen, und lief um den Wagen herum, um dann die Wagentüre auf Kerrys Seite zu öffnen. Er hielt ihr eine Hand hin und half ihr beim Aussteigen.

„Danke fürs Fahren“, sagte Kerry lächelnd, und Jack zuckte zur Antwort verlegen die Schultern.

„Nicht der Rede wert. Immerhin hast du mich gerettet“, erwiderte er. Kerrys Lächeln vertiefte sich noch.

Plötzlich jedoch machte sich eine unangenehme Stille zwischen ihnen breit. Keiner von beiden wusste recht, was er sagen sollte, und das Schweigen drohte peinlich zu werden.

„Gute Nacht, Jack“, sagte Kerry schließlich unvermittelt und wandte sich recht abrupt und ohne eine Antwort von Jack abzuwarten, um, und stieg die Stufen zu ihrer Haustüre hinauf. Oben angekommen fingerte sie ihren Hausschlüssel aus der Handtasche und schloss die Türe auf. Mit einer Hand schaltete sie das Licht im Flur ein und drehte sich dann noch mal kurz zu ihm um.

Jack stand noch immer neben dem Wagen und sah ihr hinterher. Als Kerry sich zu ihm umdrehte, hob er kurz die Hand zum Gruß, wandte sich dann zu seinem Wagen um und stieg wieder ein. Dann schlug er die Wagentüre hinter sich zu und bat den Fahrer, ihn nach Hause zu bringen.

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In dieser Nacht lag Jack noch lange wach. Normalerweise kannte er so etwas wie Schlaflosigkeit nicht. Die Jahre beim Militär hatten ihn darin geschult, Schlaf zu finden, wann immer er die Möglichkeit hatte, und er ließ sich sonst auch weder durch äußere noch durch innere Umstände vom Schlafen abhalten. Doch heute hielten ihn zum ersten Mal seine Gedanken wach.

Er rollte sich auf die Seite, verabreichte seinem Kopfkissen einen Stoß, um es in Form zu bringen, und zog dann die Decke wieder über sich.

Die Begegnung heute mit Kerry hatte ihn offenbar aufgewühlt. Er wusste selbst nicht genau, warum. Die Sache war seit Monaten beendet, er hatte sie für sich abgeschlossen geglaubt. Es war eine schöne Zeit mit Kerry gewesen, aber er hatte es versaut. Er hatte Fehler gemacht, die schließlich dazu geführt hatten, dass Kerry ihre Affäre beendet hatte.

Er hatte die Sache abgehakt gehabt. Es war schief gegangen, und es war seine Schuld gewesen weil er sich an eine alte Geschichte geklammert hatte, und zu blind gewesen war, zu erkennen, dass die längst vorbei war. Doch die Begegnung mit Kerry hatte die Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit zurück gebracht.

Es war alles relativ schnell gegangen bei ihnen damals. Sie hatten sich zu dieser Besprechung getroffen, Jack hatte Kerry zum Essen eingeladen, und schon am ersten Abend waren sie zusammen in Jacks Bett gelandet.

Zwischen ihnen war alles sehr unkompliziert abgelaufen. Sie hatten die Nächte zusammen verbracht, wenn sie in der Stadt war, hatten gemeinsam gefrühstückt, als wäre es völlig natürlich, und als hätten sie es seit Jahren nicht anders gehandhabt. Und er hatte es als selbstverständlich hingenommen.

Als es dann vorbei gewesen war, hatte er die Sache abgehakt, ganz einfach. Doch hier und jetzt wurde ihm langsam klar, was er da in den Händen gehalten und so leichtfertig verspielt hatte. Zwischen ihnen beiden hatte eine Vertrautheit geherrscht, eine Art der Intimität, die für die kurze Zeit die sie sich kannten, ganz außergewöhnlich war.

Jetzt erst erkannte Jack, dass das, was er und Kerry geteilt hatten, etwas ganz besonderes gewesen war, etwas, aus dem eine wahre, tiefe Liebe hätte entstehen können. Er hätte mit Kerry glücklich sein können, aber er hatte Sam nicht loslassen können, und nun, da er erkannt hatte, dass er, was Sam anging, nur Phantomen hinterher gejagt war, sich in eine Idee verrannt hatte, war es zu spät.

Die Erkenntnis, dass er vielleicht seine letzte Chance glücklich zu werden, aus Blindheit vertan hatte, war schmerzhaft. In seinem Alter traf man nicht so einfach eine neue Liebe, und er war ein Idiot gewesen, nicht zu erkennen, was sich ihm da dargeboten hatte.

Mit einer wütenden Bewegung warf er sich auf die andere Seite und zerrte heftig an der Bettdecke, um sie wieder über sich zu ziehen, und versuchte seine aufgewühlten Gedanken zu beruhigen.

Was er nicht ahnte, war, dass in einem anderen Teil der Stadt, in einem anderen Haus, in einem anderen Bett Kerry lag und ebenfalls nicht schlafen konnte.

Schon vor ein paar Wochen, als Jack so einfach mir nichts, dir nichts in ihrem Büro aufgetaucht war, war sie verwirrt und aufgewühlt zurück geblieben, nachdem er ihr Büro verlassen hatte. Die unerwartete Begegnung hatte sie an die Wunde erinnert, die er ihr damals zugefügt hatte, eine Wunde von der sie gedacht hatte, dass sie längst verheilt sei.

Damals, als ihr klar geworden war, dass Jack im tiefsten Inneren noch immer Gefühle für Major Carter hatte, hatte sie die Beziehung beendet. Sie hatte geglaubt, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch ohne große Schäden davon kommen konnte. So tief ging ihre Beziehung noch nicht, hatte sie gedacht.

Sie war nach Washington zurückgekehrt und hatte ihr normales Leben wieder aufgenommen mit all seinen Alltagsproblemen und den Dingen die sie beschäftigten. Sie hatte sich wieder ihrer Malerei gewidmet und ihren anderen Hobbys, wenn ihre Arbeit es erlaubt hatte, hatte sich mit ihren Freunden getroffen und mit anderen Männern geflirtet wie schon, bevor sie Jack kennen gelernt hatte, und hatte geglaubt dass die Angelegenheit damit erledigt war.

Es war vorbei, und es machte keinen Sinn, sich daran zu klammern und lange darum zu trauern. Es würde ja doch nichts ändern an den Tatsachen und diese waren, dass er sie einfach nicht geliebt hatte.

Sie hatte es doch geschafft, weiter zu machen, die Sache hinter sich zu lassen ohne allzu sehr darunter zu leiden, hatte es akzeptiert als eine der Romanzen, die einfach nicht dazu bestimmt waren, um lange zu dauern und glücklich zu enden.

Warum also lag sie nun hier und war einfach nicht in der Lage, den Gedanken an Jack aus ihrem Kopf zu verbannen? Warum kochten mit einem Mal all die alten Gefühle in ihr hoch, die sie längst überwunden geglaubt hatte?

Seufzend drehte Kerry sich auf die Seite und starrte eine Weile auf die Anzeige ihres Weckers, die in der Dunkelheit leuchtete. Dann schlug sie schließlich die Decke zurück, schaltete das Licht an und stand auf.

Barfuss und im Pyjama tappte sie hinunter in die Küche und nahm sich eine kleine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. Sie trank einen Schluck und ging dann, die Flasche noch immer in der Hand, wieder nach oben.

Sie kroch zurück in ihr Bett, das noch immer warm war, und erst jetzt bemerkte sie, dass sie vom Gehen auf dem kalten Fliesenboden ganz kalte Füße hatte. Sie lehnte sich gegen das Kopfende ihres Bettes, stopfte sich für mehr Bequemlichkeit ein Kissen in den Rücken, zog die warme Decke wieder über sich und griff nach dem Buch, das auf ihrem Nachtschränkchen lag.

Vor einigen Wochen hatte sie begonnen, das Buch zu lesen, war aber nicht weit gekommen. Und da sie heute Nacht ohnehin nicht würde schlafen können, konnte sie auch ebenso gut ein Stück weiter lesen.

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Ein paar Wochen später betrat Jack an einem regnerischen Donnerstag Morgen das Pentagon durch den Eingang, der seinem Parkplatz am nächsten war, wie jeden Tag. In seiner Position stand ihm ein eigener fester Parkplatz zu, der in relativer Nähe zum Eingang lag, um ihm längere Fußwege zu ersparen. Ein Privileg, das alle Männer und Frauen seines Ranges und höher genossen.

Manchmal fragte sich Jack, ob dies eine Art Respektsbezeugung vor seinem Rang war, oder eher eine heimliche Rücksichtnahme auf das fortschreitende Alter der Generäle. Irgendwie behagte ihm die Vorstellung, dass er nun zum alten Eisen gehörte, gar nicht.

Seit ihm dieser Gedanke das erste Mal gekommen war, hatte er wieder angefangen zu laufen und im Fitnessraum zu trainieren. Jeden Abend nach der Arbeit ging er entweder eine Stunde joggen oder – was wesentlich häufiger vorkam – wenn es draußen bereits dunkel und es nicht mehr ratsam war, alleine draußen durch die Straßen zu rennen, suchte er den Fitnessraum seines Wohnhauses auf, den er kostenlos nutzen konnte.

Manchmal kam er sich ein wenig albern dabei vor, und sein Knie protestierte auch immer wieder gegen diese Versuche, an seiner Jugend festzuhalten. Er wusste, dass das nicht gut war, und dass sein Arzt das bei der nächsten Routineuntersuchung sicher bemerken und ihm eine Standpauke halten würde.

Er stieg die Treppen bis in den dritten Stock und ging den langen, schnurgeraden Flur zu seinem Büro hinunter. Unterwegs erwiderte er die Grüße der entgegenkommenden Personen automatisch und ohne darauf zu achten, wer ihm begegnete, zu sehr war er bereits in seine Gedanken vertieft. Heute würde ein anstrengender Tag werden, das wusste er. Eine der Budgetverhandlungen stand an, und Paul Davis hatte ihm eine ganze Menge Papierkram als Hausaufgaben mitgegeben.

Den gesamten gestrigen Abend hatte er damit zugebracht brav die Papiere durchzuarbeiten, auch wenn er nichts so sehr hasste wie diesen Verwaltungskram. Aber er hatte wirklich das Gefühl gut vorbereitet in diese Besprechung zu gehen.

Er war so in seine Gedanken vertieft, dass er beinahe an Major Davis vorbei gelaufen wäre, wenn dieser sich ihm nicht in den Weg gestellt und ihn angesprochen hätte.

„Guten Morgen General!“

„Davis! - Guten Morgen!“ Jack blieb wie angewurzelt mitten im Flur stehen. „Sind Sie bereit für die große Verhandlung?“ Paul nickte zur Antwort.

„Ja, Sir. Aber eigentlich wollte ich Sie vorher noch etwas fragen.“

„Schießen Sie los, Davis!“, forderte Jack den jüngeren Mann auf und deutete auf die offene Türe seines Büros, vor der sie standen. Jack wollte noch ein paar Unterlagen mitnehmen, die auf seinem Schreibtisch lagen und ging voraus. Paul folgte ihm mit ein paar Schritten Abstand.

Während Jack in den Unterlagen auf seinem Schreibtisch wühlte und verzweifelt den Hefter mit den Unterlagen suchte, den er brauchte, blieb Major Davis abwartend mitten im Raum stehen. Erst als Jack nach einigem Suchen schließlich triumphierend den besagten Ordner zu Tage förderte und sich dann mit aufforderndem Gesichtsausdruck zu Davis umwandte begann dieser zu sprechen.

„Ich habe ein kleines Problem, Sir. Es ist privater Natur, aber vielleicht können Sie mir ja doch helfen. Sie mögen doch Opern, oder?“ Jack warf dem Major einen erstaunten Blick zu.

„Ja? Warum?“ fragte er verwundert zurück.

„Nun ja, ich hatte eigentlich Karten für die Aufführung von Tourandot morgen Abend im Kennedy-Center, aber ich muss morgen Nachmittag kurzfristig wegen einer Familienahngelegenheit nach Toledo und kann unmöglich hin gehen. Aber Dr. Jackson sagte einmal, dass Sie gerne Opern hören und ich würde die Karten nur ungern verfallen lassen…“, erklärte Major Davis.

„Und da dachten Sie, dass ich Ihnen einen Gefallen tun und die Karten übernehmen könnte“, vollendete Jack die Ausführungen des Majors. Dieser nickte nur zur Antwort.

„Sind es denn gute Karten?“ hakte Jack nach. Der Gedanke, mal wieder in die Oper zu gehen, reizte ihn mit einem Mal.

„Erster Rang in der Mitte, Sir“, antwortete Major Davis. Jack zog erstaunt die Augenbrauen hoch. Das waren in der Tat keine schlechten Karten. Der Major musste sich in den letzten Jahren zu einem großen Opernliebhaber entwickelt haben, wenn er so viel Geld ausgab für Opernkarten, denn während eines von Davis’ Aufenthalten in Colorado Springs hatte dieser einmal in einem Gespräch erwähnt, dass er andere Musik bevorzuge. Es sei denn natürlich, er wollte damit eine Frau beeindrucken, dämmerte es Jack in diesem Moment.

Schmunzelnd überlegte Jack ob DAS vielleicht der Grund sein könnte, warum der Major so plötzlich an Opern interessiert war. Das wäre jedenfalls eine positive Entwicklung. Jack hatte schon immer die Meinung vertreten, dass Major Davis dringend ein richtiges Privatleben brauchte.

„In Ordnung, Davis. Ich werde die Karten übernehmen“, sagte er dann schließlich.

Jack konnte richtig sehen, wie Major Davis in diesem Moment aufatmete, bevor er schließlich erleichtert verkündete:

„Danke, Sir! Sie haben mich gerettet!“

Gleich darauf warf er einen Blick auf seine Armbanduhr und Jack, der Davis’ Blick bemerkt hatte, sah auf seine eigene Armbanduhr und seufzte dann.

„Wir sollten gehen, Sir. Die Verhandlungen ...“ sagte Major Davis, und Jack nickte.

„Sicher. Die Details können wir auf dem Weg klären“, erwiderte Jack. Davis nickte zustimmend, und die beiden Männer machten sich gemeinsam auf den Weg.

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Stöhnend ließ sich Jack in seinen Schreibtischstuhl sinken und rieb sich mit der Hand über die Stirn. Die Verhandlung war lang und anstrengend gewesen, und inzwischen hatte er von den ganzen Zahlen und Summen und Berechnungen rasende Kopfschmerzen.

Er wusste genau, warum er mit diesem ganzen Zeug nie etwas hatte zu tun haben wollen, und er fragte sich angesichts dessen, was hinter ihm lag nicht zum ersten Mal, was ihn geritten hatte, als er diese Versetzung angenommen hatte.

„Ruby!“ rief er durch die offene Türe seines Büros, und nur ein paar Augenblicke später erschien Ruby in der Türe. Sie war eine etwas korpulente Frau mit kurzem, grau meliertem Haar, die in ein paar Wochen ihren 50sten Geburtstag feiern würde. Sie war früher eine der Schreibkräfte in diesem Department gewesen und vor einigen Wochen seine Sekretärin geworden, nachdem seine bisherige Assistentin weg befördert worden war.

Ruby war der gute Geist seines Büros, und Jack wusste nicht, was er ohne sie getan hätte. Sie schien telepathische Kräfte zu haben, denn sie wusste immer genau, wann er einen Kaffee brauchte, und brachte ihm diesen ungefragt, und auch ansonsten hatte sie sich durch ihr Organisationstalent und ihre warme Art für ihn unentbehrlich gemacht.

Major Davis hatte sich, als Ruby versetzt wurde, noch bei Jack beschwert, dass er ihm nun seine wertvollste und beste Mitarbeiterin weggenommen hätte.

„General?“ fragte sie.

„Ruby – haben Sie noch irgendwo eine Kopfschmerztablette? Mein Kopf bringt mich sonst noch um!“ fragte er und presste die Handballen auf seine hämmernde Stirn. Die Geräusche aus den angrenzenden Büros und Arbeitsnischen, das Schrillen der Telefone und das Klappern der Tastaturen, die Stimmen der Mitarbeiter und ihre Schritte auf dem Boden trugen nicht gerade dazu bei, dass es seinem Kopf besser ging.

„Natürlich habe ich das“, erwiderte Ruby mütterlich und verschwand aus seinem Blickfeld, nur um zwei Minuten später mit einem Glas Wasser in der Hand zurück zu kommen. Sie stellte das Glas vor Jack auf den Tisch und erklärte dann:

„Ich hab sie schon aufgelöst, General.“

Jack nahm das Glas und trank es in einem Zug leer. Das künstliche Zitronenaroma übertönte den etwas bitteren Geschmack des Medikamentes nur kurz, und Jack verzog das Gesicht.

„Soll ich dafür sorgen, dass Sie eine Weile nicht gestört werden?“, fragte Ruby dann. Jack seufzte leise und ließ den Kopf gegen die Rückenlehne seines Sessels sinken.

„Ja, das wäre wunderbar, danke, Ruby“, antwortete er und schloss die Augen. Er hörte, wie Rubys Schritte sich entfernten und die Türe leise geschlossen wurde, dann herrschte in seinem Büro erholsame Stille.

Ein paar Minuten blieb er so sitzen, den Kopf an die Rückenlehne gelegt, die Augen geschlossen, und wartete, bis das schmerzhafte Hämmern in seinem Kopf endlich nachließ. Nach einer Weile öffnete er die Augen wieder und bewegte vorsichtig den Kopf. Die Schmerzen waren fast verschwunden.

Dann fiel sein Blick auf den Umschlag, der auf seinem Tisch lag. Die Opernkarten hätte er beinahe vergessen. Seufzend richtete er sich auf und nahm den Umschlag in die Hände.

Er ging gerne in die Oper und Turandot mochte er besonders. Aber er hatte zwei Karten bekommen und eigentlich hatte er keine Lust, alleine dort hin zu gehen, und er wollte auch nicht, dass die andere Karte einfach verfiel.

In dem Moment kam ihm ein Gedanke. Er zog sein Telefonregister heran und suchte eine Nummer heraus. Kurzentschlossen – bevor er Zeit hatte, es sich anders zu überlegen - griff er nach dem Telefonhörer und wählte die Nummer, die er herausgesucht hatte. Erst als es das erste Mal klingelte, wurde ihm klar, dass er eigentlich gar nicht wusste, was er sagen sollte. Doch noch bevor er sich darüber groß Gedanken machen konnte, wurde bereits abgenommen.

„Hallo?“ sagte eine unverwechselbare, weibliche Stimme.

„Hallo Kerry – hier ist Jack“, sagte Jack und stockte dann kurz.

„Jack – hallo“, plötzlich klang auch Kerry unsicher und ein wenig atemlos.

„Hallo“, wiederholte Jack, „Ich wollte Dich etwas fragen ...“ er unterbrach sich und stellte fest, dass er angefangen hatte die Schnur des Telefons um seinen Finger zu wickeln. Er räusperte sich kurz, löste den Finger aus den Windungen der Telefonschnur und setzte sich auf. Als Kerry nach einigen Sekunden noch immer nichts gesagt hatte fuhr er fort:

„Störe ich gerade?“

„Nein, nein, ich habe Zeit. Worum geht es?“, erwiderte Kerry.

„Ich wollte Dir einen Vorschlag machen. Ich habe gerade ganz kurzfristig zwei Karten überschrieben bekommen für die Oper morgen Abend und dachte – na ja – vielleicht würdest Du ja gern mit dort hin gehen?“ fragte Jack. Einen Moment blieb es Still in der Leitung, Jack konnte Kerrys Zögern deutlich spüren.

„Ich denke nicht, dass das eine gute Idee wäre, Jack“, antwortete sie schließlich reserviert.

„Hör zu, das soll kein Date werden oder so etwas“, versuchte Jack zu erklären, „Ich habe einfach zwei Karten für die Oper bekommen, und ich kenne in Washington niemanden sonst, den ich mitnehmen könnte. Das Ganze wäre völlig harmlos.“

Kerry seufzte – zumindest glaubte Jack, dass er sie hatte seufzen hören. Doch er bekam auch keine Gelegenheit, groß darüber nachzudenken, denn Kerry fuhr gleich darauf in völlig neutralen Tonfall fort:

„Also gut“, sagte sie schließlich. „Du hast Glück, ich bin für morgen Abend noch nicht verabredet. Ich denke, es könnte nett sein, mal wieder in die Oper zu gehen. Was wird denn gespielt?“

„Turandot“, antwortete Jack knapp.

„Ah – ich liebe Puccini“, stellte Kerry fest, doch weder was sie sagte, noch ihr Tonfall verrieten Jack, ob das nun bedeutete, dass sie nun tatsächlich mitkommen würde oder nicht.

In diesem Moment ging die Türe zu Jacks Büro auf, und Ruby streckte den Kopf herein. Lautlos signalisierend gab sie Jack zu verstehen, dass ihn jemand dringend sprechen wollte. Jack bestätigte mit einem stummen Nicken, und Ruby zog sich wieder zurück, wobei sie fast lautlos die Türe wieder hinter sich schloss.

„Hör zu, Kerry, ich muss leider los. Irgend jemand will etwas von mir. Ich hole dich morgen Abend um sieben ab. Einverstanden?“ fragte er. Einen Moment war es still in der Leitung, dann antwortete Kerry:

„Einverstanden.“

„Wunderbar. Ich freue mich schon. Bis morgen.“ Damit legte Jack auf. Doch erst nachdem er den Hörer zurück auf die Gabel legte, wurde ihm bewusst, was er gerade gesagt hatte, und im selben Moment wurde ihm klar, dass es die Wahrheit war, dass er sich tatsächlich darauf freute.

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„Das war wirklich eine wunderbare Inszenierung“, stellte Kerry begeistert fest, während sie und Jack sich von dem Menschstrom mitziehen ließen, der sich aus dem Opernhaus hinaus in das Foyer des Kennedy-Centers bewegte. Rings um sie unterhielten sich auch die anderen Zuschauer über die Vorstellung und den Gesprächsfetzen nach, die Jack aufschnappte, waren sie nicht minder begeistert.

Aus den Augenwinkeln betrachtete Jack Kerry. In ihrem schlichten, schwarzen Abendkleid mit den schmalen Trägern und den hochgesteckten Haaren sah sie wirklich umwerfend aus. Vorhin, als er sie an ihrem Haus abgeholt hatte, hatte ihr Anblick ihm einen Moment lang die Sprache verschlagen.

„Ja, das war es. Ich hatte ganz vergessen wie beeindruckend Opernaufführungen immer sind“, bestätigte Jack, während er, gefolgt von Kerry, durch die Türe nach draußen ins Foyer trat.

Das vier Stockwerke hohe, weitläufige Foyer mit den raumhohen Fenstern war hell erleuchtet und erfüllt vom Stimmengewirr hunderter von Menschen. Es war ein enormes Gedränge, und der Raum war beinahe zu klein für all die Personen die zur Garderobe, den Ausgängen oder den Aufzügen, zum Restaurant, den Cafés und der Dachterrasse strebten.

Jack dirigierte Kerry sanft an den Rand des Geschehens, wo sie die anderen Gäste an sich vorbei ziehen ließen.

„Also – hättest du noch Lust auf einen Drink, oder möchtest du dass ich dich gleich nach Hause fahre?“ fragte Jack. Kerry sah überrascht zu Jack auf und warf dann einen prüfenden Blick auf ihre zierliche, goldene Armbanduhr. Es war erst kurz nach zehn – nicht unbedingt die Zeit, um die man sich an einem Freitag Abend nach Hause bringen ließ.

„Einverstanden. Lass uns oben in der Bar etwas trinken gehen. Ich mag die Aussicht“, erwiderte Kerry. Jack nickte zustimmend und führte dann Kerry zum Aufzug, wobei er fürsorglich eine Hand auf ihren Rücken legte.

Sie bekamen recht schnell einen Platz im Aufzug und oben angekommen betraten sie die Piano-Bar. Das Ambiente war sehr gediegen, dunkle, elegante Holzmöbel und weiche, warme Farben dominierten das Bild. Am Konzertflügel in der Ecke saß ein junger Mann im schwarzen Anzug und spielte gerade Strangers in the night als sie zusammen mit zwei weiteren Paaren eintraten.

„Möchtest du dich setzen?“ fragte Jack und deutete auf einen der freien Tische, doch Kerry schüttelte verneinend den Kopf.

„Ich würde gern raus gehen auf die Terrasse. Die Aussicht ...“

Jack schmunzelte und fragte dann: „Champagner?“ Kerry nickte zur Antwort, und Jack ging zur Bar, um die Getränke zu holen. Kerry blickte ihm lächelnd hinterher. Er sah gut aus in seinem schwarzen Smoking. Dabei hatte sie nicht einmal gewusst, dass er so etwas überhaupt besaß. Aber er schaffte es immer wieder sie zu überraschen.

Nach ein paar Minuten kehrte Jack zurück mit einem Glas Champagner für Kerry und einem Clubsoda für sich selbst – immerhin musste er noch fahren.

Gemeinsam traten sie an die Glastüre, die hinaus auf die hell erleuchtete Terrasse führte, und Jack öffnete die Türe für Kerry.

Es war inzwischen dunkel geworden über Washington, und die Luft hatte sich deutlich abgekühlt. Es war zwar bereits Mai, aber es war noch nicht richtig Sommer, und obwohl die Tage inzwischen schon recht warm waren, blieben die Nächte trotzdem immer noch kalt. Fröstelnd zog sich Kerry ihre schwarze Stola enger um die Schultern und trat an das Geländer heran.

Die Aussicht von der großen, umlaufenden Dachterrasse war in der Tat spektakulär. Im Norden konnte man das Watergate Hotel sehen, mit seiner markanten Hufeisen-Form und den hell erleuchteten Pool im Innenhof. Im Osten wurde die Sicht durch die Gebäude der Columbia-Plaza begrenzt, und dahinter erhoben sich eindrucksvoll beleuchet die schlanke Silhouette des Washington Memorials und weit in der Ferne die Kuppel des Kapitols, während im Südwesten die weiße, hell beleuchtete Säulen-Fassade des Lincoln Memorials schimmerte. Im Westen dagegen wälzten sich schwarz und still die gewaltigen Wassermassen des Potomac River gen Ozean, und jenseits des breiten Stromes leuchteten die Lichter der modernen Hochhäuser von Arlington Zentrum.

Der Verkehrslärm, der unter ihnen vorbei führenden Strassen, der auch in der Nacht niemals ganz verstummte, drang nur schwach bis zu ihnen herauf, und weil es hier oben auch ziemlich windig war, waren sie auch die einzigen, die sich im Moment auf der Terrasse aufhielten.

Kerry ließ den Blick über die Lichter der nächtlichen Stadt schweifen und summte dabei gedankenverloren die Melodie der Arie Nessun dorma. Jack schmunzelte, und nach einer Weile schien sich auch Kerry bewusst zu werden, dass Jack sie hören konnte, denn sie errötete leicht und erklärte verlegen:

„Entschuldige, ich bin immer noch ganz gefesselt. Der Darsteller des Kalaf war doch einfach großartig, oder?“

„Ja, er war wirklich gut. Ich finde sogar besser als der Tenor aus der Aufnahme, die ich zu Hause habe“, bestätigte Jack.

„Bei Nessun dorma muss ich jedes Mal beinahe weinen“, gestand sie, und Jack schmunzelte verhalten. Er hatte sehr wohl bemerkt, dass sie in der Aufführung selbst, bei eben dieser Arie heimlich mit ihrem Taschentuch in der Hand dagesessen hatte und es auch mehrmals hatte benutzen müssen. Er hatte gegen den Impuls ankämpfen müssen, sie tröstend an sich zu ziehen in diesem Moment.

„Ich brauche nur daran zu denken, und schon bekomme ich eine Gänsehaut“, fügte Kerry dann an und rieb sich mit den Händen über ihre nackten Arme, auf denen sich eine Gänsehaut gebildet hatte. Jack warf ihr einen besorgten Seitenblick zu und fragte dann:

„Bist du sicher, dass die nicht von der Kälte kommt? Vielleicht sollten wir doch lieber wieder rein gehen.“

„Nein, nein“, wehrte Kerry ab. „Ich finde es schön hier draußen.“ Ganz spontan zog Jack sein Jackett aus und hängte es Kerry ungefragt um die Schultern. Überrascht blickte Kerry zu Jack auf und lächelte.

„Danke“, murmelte sie und blickte hinaus in die Nacht.

„Wusstest Du, dass Turandot die erste Oper ist, die ich je gesehen habe?“ fragte Jack nach einer Weile, in der sie beide nur schweigend und nachdenklich an ihren Getränken genippt hatten.

„Nein, das wusste ich nicht“, erwiderte Kerry leise, und in ihrer Stimme schwang Überraschung mit. Was Jack nicht wusste war, es war weniger die Überraschung über seine Aussage an sich, als über die Tatsache, dass er tatsächlich von sich aus über etwas Persönliches sprach.

Es stimmte sie ein wenig wehmütig, dass er jetzt, als sie ihre Chance vertan hatten, zum ersten Mal über sich selbst sprach, und sie bedauerte, dass es nicht schon früher so gewesen war. Vielleicht hätten sie dann verhindern können, dass sie auf diese Art gescheitert waren.

„Meine Mutter hat mich damals mit in die Oper genommen. Ich war 14 und hatte auf so ziemlich alles Lust, aber nicht auf ein paar singende, geschminkte Gestalten“, fuhr er fort. Kerry lachte leise, als sie sich Jack als 14-jährigen vorstellte, der gegen seinen Willen in die Oper geschleift wurde.

„Aber hinterher ...“, sinnierte Jack weiter, „hinterher war ich ganz begeistert.“

„Bist du seither so ein großer Operngänger?“ fragte Kerry und blickte zu Jack auf. Der schaute geradeaus an einen unbestimmten Punkt am Horizont, während seine Gedanken zu den Zeiten zurück glitten, als er ein Teenager gewesen war, mit einer großen Klappe.

„Das hat noch eine Weile gedauert. Mit 14 geht man nicht in die Oper. Man musste ja cool sein, nicht wahr?“ erwiderte er, mit einem Schmunzeln. Doch schon im nächsten Moment verschwand das Lächeln von seinem Gesicht, er räusperte sich und es war als wäre der Zauber des Moments mit einem Mal wie weggefegt. Mit einem Mal wirkte er wieder so verschlossen wie eh und je.

Kerry lächelte wehmütig. Wenn es schon früher mehr solche Momente zwischen ihnen gegeben hätte wäre vielleicht vieles anders gekommen.

„Lass uns hinein gehen“, sagte sie schließlich. „Es ist doch ziemlich kalt hier.“

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Es war bereits weit nach Mitternacht, als Jack Kerry schließlich vor ihrem Haus absetzte. Sie hatten sich noch lange unterhalten, nachdem sie sich schließlich von der Kälte und dem immer mehr auffrischenden Wind von der Terrasse wieder nach drinnen in die Piano-Bar hatten vertreiben lassen.

Kerry hatte noch zwei weitere Gläser Champagner getrunken, und Jack hatte sich weiter an Clubsoda und Tonic-Water gehalten.

Als sie zurück zum Parkplatz gegangen waren, hatte Jack Kerry wie selbstverständlich seinen Arm angeboten, und Kerry hatte sich ohne weiter darüber nachzudenken, bei ihm untergehakt, während sie gemessenen Schrittes nebeneinander her gegangen waren.

Erst als sie den Parkplatz erreicht hatten und Jack dem Parkplatzwächter seinen Autoschlüssel reichte, fiel ihnen auf, wie vertraut sie aus reiner Gewohnheit miteinander umgingen, und Kerry hatte verlegen ihren Arm zurückgezogen und war einen Schritt von Jack weg getreten.

Die Rückfahrt war schweigend verlaufen, bis auf Kerrys Anweisungen, wie Jack am besten zu ihrem Haus fand – so wie sie ihn schon auf der Fahrt zur Oper durch die kleinen, gewunden, von Bäumen gesäumten Straßen von Burlington geleitet hatte.

Als Jack zum Schluss vor Kerrys Haus anhielt und den Motor abstellte, kehrte ein paar Augenblicke eine etwas befangene Stille ein. Kerry war es schließlich, die sie durchbrach, indem sie sagte:

“Das war ein schöner Abend. Danke.“

Sie schickte sich an, die Türe zu öffnen, doch Jack hielt sie mit einem leisen, aber bestimmten „Warte!“ zurück, stieg dann selbst aus, ging um den Wagen herum und öffnete ihr dann die Türe.

Obwohl es eine friedliche, sichere Gegend war, in der Kerry lebte, bestand Jack darauf, sie bis zu ihrer Haustüre zu begleiten, und so stiegen sie gemeinsam die breiten Steinstufen zu Kerrys Haustüre hinauf, während Kerry in ihrem kleinen Etui-Täschchen nach ihrem Hausschlüssel kramte.

Die Suche gestaltete sich durchaus schwierig, denn im Gegensatz zu den anderen Häusern der kleinen Straße, brannte die Lampe über der Haustüre von Kerrys Haus nicht. Schließlich jedoch fand sie den Schlüssel und förderte ihn mit einem triumphierenden Geräusch zu Tage.

„Die Lampe funktioniert nicht“, stellte er unnötigerweise fest, während Kerry im Dunkeln das Schlüsselloch suchte und schließlich auch fand. Sie drehte den Schlüssel im Schloss um und drückte die Türe ein Stück weit auf, bevor sie sich zu Jack umdrehte.

„Ich weiß“, erwiderte sie seufzend und fügte nach einem Augenblick erklärend an: „Neulich ist eine der Sicherungen raus geflogen und lässt sich nicht wieder einschalten. Irgendwas stimmt mit der Lampe nicht. Ich muss wohl einen Elektriker rufen.“

Jack runzelte die Stirn.

„Wenn du möchtest, kann ich mir die Sache mal ansehen. Wenn es nur die Lampe ist, kann ich eine neue anschließen“, erbot er sich sogleich, ohne lange nachzudenken. Erst als er Kerrys überraschten Gesichtsausdruck sah, ging ihm auf, dass er vielleicht ein wenig unüberlegt geantwortet hatte und beeilte sich anzufügen: „Ich erwarte natürlich keinerlei Gegenleistung dafür, ok? Das ist einfach nur ein Angebot.“

Auf keinen Fall wollte er sich Kerry aufdrängen oder dass sie dachte, dass er irgend etwas von ihr erwartete, wenn er ihr mit der Lampe half.

„Okay, ich – ich geb’ dir Bescheid“, entgegnete Kerry unverbindlich. Jack nickte zur Antwort.

„Okay. Gute Nacht“, antwortete er und trat rückwärts zwei der Stufen herunter.

„Gute Nacht“, erwiderte Kerry. Dann trat sie durch die offene Haustüre nach drinnen und schloss die Türe hinter sich.

Als hinter dem Milchglasfenster in der Haustüre das Licht aufflammte drehte sich Jack um und ging zurück zu seinem Wagen. Nachdem er eingestiegen war, sah er noch einmal hinauf zu Kerrys Haus. Im Wohnzimmer brannte jetzt ebenfalls Licht, und er konnte ihre Silhouette als verschwommenen Schatten erkennen, als sie am Fenster vorbei ging. Dann startete er den Motor und machte sich auf den Heimweg.
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