Auf Ewigkeit by Sphere
Summary: Was wäre aus den Androiden-Duplikaten von SG-1 geworden, wenn sie ihren Planeten nicht hätten verlassen können, wie wir es in „Doppelter Einsatz“ (4/21) gesehen haben...?
Categories: Stargate SG-1 Characters: Daniel Jackson (SG-1), Jack O’Neill (SG-1), Multi-Chara, Samantha Carter (SG-1), Teal’c (SG-1)
Genre: Action, Alternativ Universum, Friendship, General, post-Epi
Challenges: Keine
Series: Keine
Chapters: 5 Completed: Ja Word count: 83553 Read: 26310 Published: 30.05.12 Updated: 13.06.12
Story Notes:
Spoiler:
„Übermenschen“ (Englischer Titel „Tin Man“. Episode 1/18)

Staffel:
Dies ist zwar die Fortsetzung einer Episode aus der ersten Staffel, aber ich schreibe das mit dem Hintergrundwissen, dass sich in den folgenden Jahren ergeben hat.

1. Prolog by Sphere

2. Kapitel 1 by Sphere

3. Kapitel 2 by Sphere

4. Kapitel 3 by Sphere

5. Epilog by Sphere

Prolog by Sphere
Auf Ewigkeit


Prolog

Vor 11.000 Jahren war der Planet Altair eine blühende Welt und die Heimat einer fortschrittlichen Zivilisation, die gerade ihre ersten Schritte in der interstellaren Raumfahrt machte. Seine Bewohner lebten allerdings noch immer in jahrtausendealter Rivalität untereinander. Sie hatten es nie gelernt ihre Konflikte zu überwinden und sich selbst als ein geeinigtes Volk anzusehen. So kam es eines Tages zu einem Krieg, der das Ende ihrer Zivilisation bedeutete.
Diejenigen, die nicht an den direkten Einwirkungen der hochmodernen Waffen starben, siechten noch einige Monate dahin, bis auch ihre Existenz ein Ende nahm. Die Atmosphäre wurde verdeckt durch ein Leichentuch aus radioaktivem Staub. Es wurde Nacht auf Altair, eine Nacht, die sich so schnell nicht lichten würde.
Aufgrund des Mangels an Licht starben alle photosynthesetreibenden Pflanzen aus und alle Wesen, die in der Nahrungskette hinter ihnen standen. Die Biosphäre brach zusammen. Alles, was blieb, waren einige archaische Mirkoorganismen, die schon immer in lebensfeindlichen Gebieten gelebt hatten. Doch auch sie wurden durch die radioaktive Strahlung stark dezimiert. Der extrem saure Regen, der immer wieder auf die tote Welt hinabklatschte verwischte schnell die Spuren der alten Bewohner dieser Welt.
Dennoch war nicht wirklich alles ausradiert worden. Schon immer hatte es in der Geschichte eines Volkes einige Wenige gegeben, die diese Geschichte nachträglich beeinflusst hatten. Oft waren es Genies, die einer Zivilisation ihren Stempel aufdrückten. Ein solches Genie war Hubald gewesen. Er war ein berühmter Ingenieur und wurde besonders bewundert für seine Arbeiten bei der Übertragung eines lebenden Geistes in künstliche Neuralsysteme.
Hubald war aber nicht nur ein genialer Wissenschaftler, er war auch weise genug, um die politische Krise zu erkennen, auf die Altair zusteuerte. Also plante er eine unterirdische Station, die nicht nur einige wenige Auserwählte vor der sich anbahnenden Katastrophe schützen, sondern in den kommenden Jahren ihre Heimat werden würde. Die Station wurde in aller Eile errichtet.
Er wusste jedoch, dass es unmöglich sein würde, lebende Wesen so lange von der Außenwelt abgeschnitten am Leben zu erhalten. Die Wiederaufbereitung von Luft und Wasser würde auf Dauer ein Problem werden und es stand auf die Schnelle nicht genügend Raum für eine ausreichende Nahrungsversorgung zur Verfügung. Also wagte er den Schritt ins Unbekannte und begann den Geist seiner Anhänger in künstliche Körper zu transferieren, die den Originalen in nichts nachstanden.
Anfangs kam es noch häufig zu Komplikationen, die viele seiner Anhänger – und nachher auch ihn selbst – das Leben kosteten. Aber seine Vision lebte weiter und die kleine Station inmitten einer sterbenden Welt füllte sich mit Wesen, die geistig genau die gleichen Merkmale hatten, wie ihre Originale, körperlich jedoch Maschinen waren.
Im Jahr 1998 erreichte SG-1 die Station...


weiter: Teil 1


Kapitel 1 by Sphere


Erster Teil


Mit einem schmatzenden Geräusch verschwand der letzte der Anderen im Wabern des Ereignishorizonts. Einen Augenblick später würden Sie bereits an einem Ort sein, den Jack einst sein Zuhause hatte nennen können.
Das Wurmloch zerriss mit einem Kreischen und schien in viele kleine Sternschnuppen zu zerstauben. Nur der riesige Ring des Tores selbst blieb stehen. So groß war es ihm vorher noch nie erschienen. Es stand da wie ein Mahnmal.
Unwillkürlich fasste Colonel O’Neill an seine Wange und ertastete das Metall des Androidenschädels. Es war nicht kalt, wie er es immer wieder erwartete. Im Gegenteil. Es hatte seine Körpertemperatur und fühlte sich gar nicht wie Metall an. Es war warm und weich wie Fleisch. Nur da, wo eigentlich Knochen hingehörten, war es hart. Die Haut neben der Wunde allerdings hatte etwas von verbranntem Plastik.
Lasst es euch gut gehen hatte er Ihnen gerade gewünscht. Es war ehrlich gemeint gewesen, aber schon jetzt klangen für ihn diese Worte wie Hohn. Ja, Sie sollten es sich gut in Ihrem Leben gehen lassen. Einem Leben, das eigentlich ihnen hätte gehören sollen. Zur Hölle mit Euch!
Mit dem Zusammenbrechen des Wurmlochs war ihre letzte Verbindung zur Erde gekappt. Gerade eben war sie nur einen Schritt entfernt gewesen, jetzt gab es kein Zurück mehr. Die Anderen würden die Rampe hinunter gehen und ihren Platz einnehmen. Dann würden Sie ihnen eine nette Bombe schicken, einen Bericht über das Ganze schreiben und möglichst schnell zur Tagesordnung übergehen.
Der Andere lebte jetzt sein Leben. Dabei hätte Jack das gleiche Recht darauf gehabt, wie Er. Das Einzige, was sie auf diesem gottverlassenen Planeten hielt, waren ihre ach so perfekten Körper, die sie nicht wegließen.
Bedrücktes Schweigen war eingetreten. Selbst der alte Harlan hielt mal den Mund. Mit einem Mal fühlte Jack sich einsam und verlassen. Hoffnungslosigkeit breitete sich aus. „Also dann, Leute, lasst uns das Tor dicht machen“, sagte er halblaut zu seinem Team und versuchte dabei nicht allzu niedergeschlagen zu klingen.
Der Andere hatte ihm nicht vertraut. Er glaubte nicht, dass die Geheimnise der Erde bei ihnen sicher wären. Der Andere war er. Er würde auch keiner Kopie von sich selbst Vertrauen schenken. Und schließlich war er nun eine verdammte Kopie. Es sind Maschinen würde der Andere sagen. Maschinen konnte man im Zweifelsfall umprogrammieren. Dieses Argument schütze Ihn gleichzeitig vor moralischen Bedenken. Maschinen waren nicht lebendig!
Jack hatte nachgegeben und versprochen, dass er das Tor schließen würde, so dass sie weder Besuch von irgendjemandem bekommen, noch diese Welt verlassen konnten. Doch dem Anderen musste klar gewesen sein, dass er das nicht ernst meinte. Jack würde nicht auf dieser Felskugel verrotten.
Warum sollte der Andere sich dann an Sein Wort halten? Wenn sie wirklich das Tor begruben, würde die Bombe ihr Ziel nie erreichen. Es sprach also nichts dagegen auf Nummer sicher zu gehen und doch einen Sprengkopf zu schicken...
Also würden sie das Tor wie abgemacht versiegeln. Vorläufig zumindest, denn ihnen blieb nichts anderes übrig – aber nicht auf ewig.
Mit dem Kran an der Decke der Halle, der sich so anhörte, als ob er Keuchhusten hätte, machten sie mit Harlans Hilfe hinter dem Stargate erst ein wenig Platz, wuchteten es dann aus seiner Verankerung und legten es flach auf den Boden. Zum Schluss stellten sie noch einen schweren Container darüber. Die Seite, mit der er auf dem Stargate auflag, war etwas nach außen gewölbt, so dass er auch den Raum ausfüllte, den normalerweise der Ereignishorizont einnahm. Im Gegensatz zu einer Iris konnte sich auf diese Weise ein Wurmloch gar nicht erst aufbauen.
Damit schaufelten sie sich ihr eigenes Grab, denn das Stargate war der einzige Weg nach draußen. Den Planeten selber konnten sie nicht betreten, da er radioaktiv verstrahlt war. Wegschließen und vergessen.. .
Jack starrte auf den Container, der auf dem Tor lastete wie ein Grabstein. Er empfand nichts dabei. Eine seltsame Leere erfüllte ihn. Alle schwiegen – bis auf Harlan. Der hüpfte aufgeregt hin- und her und kicherte in sich hinein. „Com-traya! “ rief er und schlug die Hände zusammen. „Ich sehe schon: Es ist besser!“
Besser. Harlan hatte so eine schreckliche Art dieses Wort in einer extrem hohen Stimmlage auszusprechen. Und er benutzte es viel zu oft. Es regte Jack jetzt schon auf...
Mit einer knappen Kopfbewegung zeigte er seinen Leuten an, zu verschwinden. Sie folgten ihm und ließen Harlan allein in der Halle zurück.


* * *


Der Moment, als sie den Raum betreten hatten, in dem ihre organischen Körper lagen, hatte ihr Leben, wie sie es bisher geführt hatten, für immer beendet. Vorher hatten sie nicht nur gehofft, dass ihre richtigen Körper noch existierten, sondern dass sie auch in sie zurückkehren konnten. Der Gedanke, dass dies nicht möglich sein könne, war ihnen gar nicht erst gekommen, schließlich hielten sie sich für einzigartig. Sie hatten immer gedacht, das es ein Transfer von ihren richtigen Körpern in diese Maschinen gewesen war und keine Verdopplung ihres Geistes.
Als sie dann ihre Körper sahen, waren sie sich ihres Fehlers bewusst geworden. Jack wusste nicht, was er erwartet hatte, vielleicht dass sie an irgendwelche Geräte angeschlossen wären, welche die seelenlosen Hüllen am Leben hielten. Doch nichts dergleichen war der Fall gewesen. Statt dessen hatten Sie völlig selbstständig geatmet und waren offensichtlich bei Bewusstsein gewesen.
Als Sie sich dann erhoben hatten und sie verblüfft anstarrten, war Jack klar geworden, dass ihre richtigen Körper bereits besetzt waren. Sie konnten nicht zurück, weil ihre Körper immer noch vom Geist der Originale beseelt waren. Sie selbst waren nur Kopien, auf ewig verdammt in den Roboter-Körpern zu bleiben.
Sämtliche Vorstellungen, die sie von ihrem weiteren Leben gehabt hatten, waren damit bedeutungslos geworden. Die Anderen würden nun ihr Leben leben, ohne dass sie daran teilhaben könnten. Sie würden nie ihre Pläne oder auch nur verwaschenen Hoffnungen, die sie für ihre Zukunft gehabt hatten, verwirklichen können.
Sie hatten sich nicht einmal um ihr Leben streiten können – wer es nun leben durfte und wer nicht oder ob sie versuchen sollten, es sich zu teilen oder statt dessen besser getrennter Wege gehen sollten. Sie hatten überhaupt nicht die Möglichkeit, den Planeten zu verlassen. Sie waren auf die Energie der Station angewiesen, außerhalb der Station funktionierten sie nicht. Sie hatten die Anderen ziehen lassen müssen.
Sie würden nicht mehr nach Hause kommen. Lichtjahre von zu Hause entfernt, irgendwo am Hinterteil der Milchstraße hatten sie keine Möglichkeit von hier fort zu kommen.
Keine Möglichkeit? Gehörte dieser Ausdruck wirklich noch zu seinem Vokabular? Zum Vokabular von SG-1?
Verdammt noch mal! Sie mochten vielleicht Kopien sein, aber sie waren immerhin die Kopien des besten Teams, welches das Stargateprogramm zu bieten hatte! Es wäre sehr peinlich, wenn sie es nicht schaffen würden, von hier zu fort zu kommen. Bisher hatten sie noch alles mit heiler Haut überstanden und er hatte nicht vor daran etwas zu ändern.
Jack erhob sich. Er fühlte, wie ihn der alte Tatendrang wieder durchströmte. Die Tatsache, dass er die Erde vorläufig nicht wieder sehen würde, trat in den Hintergrund, als er begann sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Er konnte jetzt nicht absehen, was dieses neue Leben mit sich brachte, aber eines wusste er ganz genau: Harlan täuschte sich, wenn er glaubte, dass sie hier mit ihm die Ewigkeit verbringen würden! Irgendwie mussten sie eine Möglichkeit finden, sich ein neues Leben aufzubauen. Dazu brauchten sie die Freiheit, von hier fort zu gehen.
Er schob das Kinn nach vorn. Wenn SG-1 jemals einen Anführer gebraucht hatte, so jetzt. Er sah sein Team an. Sie befanden sich zusammen in dem Raum, in dem sie anfangs erwacht waren. In der Mitte stand eine Säule, um die herum sich acht Liegen im Kreis gruppierten. Von der Säule hingen mehrere notdürftig zusammengeflickte Kabel und die Wände rosteten vor sich hin.
Carter schien ziemlich deprimiert zu sein. Kein Wunder, manchmal dachte sie einfach zuviel nach. Auch Teal’c und Daniel waren gerade völlig mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt und musterten ihn mit nur mäßigem Interesse, als er zu reden begann. „Also Leute, damit das einmal von Anfang an klar ist: Ich habe nicht die Absicht den Rest meines Lebens hier in dieser Höhle zu verbringen“, erklärte er ihnen eindringlich. „Wir werden uns einen Weg hier raussuchen.“ Er sah einen nach dem anderen an.
Nach kurzem Zögern blitzte es plötzlich in Daniels Augen auf. „Harlan hat gesagt, dass viele seines Volkes mit tragbaren Energiequellen durch das Stargate gegangen seien“, erinnerte er sich.
„Ganz genau.“ Die Idee hatte Jack auch gehabt. „Und deswegen werden wir uns ein paar von diesen Dingern besorgen.“ Er stürmte zur Tür, betätigte den Türöffner und jagte nach draußen in der selbstverständlichen Annahme, dass der Rest ihm folgen würde. „ Harlan!“ rief er in den Korridor „Harlan, wir müssen mit dir reden.“

Sie fanden Harlan in einem der Korridore.
„Harlan“, drängte Daniel sich in der Angst vor, dass Jack zu undiplomatisch werden könnte, „du sagtest doch, dass viele von deiner Art die Station mit tragbaren Energiequellen verlassen hätten.“
Harlan nickte im türkisfarbenen Licht des Korridors betrübt. „Ja. Sehr, sehr bedauerlich“, bekannte er. „Ich hoffte lange, dass sie zurückkehren würden – dies ist schließlich ihr Zuhause...“ Sein Blick wanderte für einen kurzen Augenblick in die Ferne. „Aber jetzt seid ihr ja hier! Und es ist alles besser.“ Er lachte. „ Com-traya!“
„Du wiederholst dich“, knurrte Jack halblaut.
„Hast du noch solche Energiequellen?“ platzte es aus Daniel heraus.
„Oh, nein. Tut mir leid, sie sind alle fort.“ Er sah sie an. „Ihr müsst hier bleiben. Dies ist jetzt eure Heimat.“
Jacks Gesicht verfinsterte sich. „Du meinst“, fragte er lauernd, „dass diese Dinger genauso fort sind, wie damals unsere richtigen Körper?“ Seine Stimme triefte dabei vor Sarkasmus. Harlan sah ihn ängstlich an.
„Aber es müsste doch möglich sein, neue Energiequellen herzustellen, oder?“ warf Carter schnell ein.
Harlan schüttelte den Kopf. „Das liegt außerhalb unserer Fähigkeiten“, bedauerte er.
Jack trat langsam einen Schritt auf Harlan zu. Harlan wich vor ihm zurück. „Hör gut zu, Harlan“, sagte er drohend und trat noch einen Schritt vor. Harlan musste feststellen, dass er jetzt mit dem Rücken zur Wand stand. „Wenn ich rausfinden sollte, dass du uns schon wieder belogen hast, werde ich dich mehr als nur beschädigen, ist das klar?“
Harlan quiekste ängstlich. Er erinnerte sich wohl noch sehr deutlich an Jacks Wutanfall nachdem sie von der Erde zurückgekehrt waren. „Ich versichere dir, ich sage die Wahrheit.“ O’Neill funkelte ihn so böse an, dass Harlan fürchten musste, er könnte jeden Moment vorschnellen, um ihm wieder an die Gugel zu gehen. „Die Energiequellen waren außerirdische Technologie, die wir von einer anderen Welt mitbrachten“, beeilte er sich daher zu sagen. „Wir hatten so wenig davon, dass sie damals gezwungen waren, sie zu verlosen.“
Jack ließ von ihm ab. Verdammt. Schon wieder eine Hoffnung zerstört. Ihm blieb nichts anderes übrig, als Harlan vorerst zu glauben. Er trat mit dem Fuß gegen einen nichtexistenten Stein und schlug den Kopf gegen die gegenüberliegende Wand. Seine Gedanken schienen zu rasen, aber irgendwie kam nichts dabei raus. Am liebsten hätte er einen Moment Ruhe von der Welt gehabt, doch die Welt wollte es nicht so. „Sir?“
Carter stand neben ihm. „Carter!“ rief er, als bemerkte er sie zum ersten Mal hier. Wie hatte er nur sie und ihre Genialität vergessen können? „Sie haben nachgedacht?“
„Ja, Sir...“ bestätigte sie ein wenig verwirrt.
„Gut. Ich hab schon immer vermutet, dass sie nie damit aufhören.“ Er grinste in die Runde. „Also...?“
„Nun ja, Sir... Wir konnten bisher einige Alientechnologien studieren“, begann sie. „Wenn es mir möglich wäre zu verstehen, wie diese Körper funktionieren und wie sie ihre Energie beziehen“, sie holte noch einmal tief Luft, „könnte ich vielleicht mit ein wenig Alien-Know-how selber eine Energiequelle bauen.“
Für Jack ging bei diesen Worten die Sonne wieder auf. Es gab immer eine Lösung! „Das ist natürlich nur eine Theorie, Sir“, schränkte Carter sofort wieder ein. „Ich habe noch nicht viel Ahnung wie wir das anstellen sollen, aber wenn es mir gelingen sollte, die...“
„Tun sie’s, Captain“, unterbrach er sie schnell. „Sie schaffen das.“


* * *


Harlan nahm sie mit ins Labor, wo er sie montiert hatte. Jack hatte sich entschieden seine Wunde von Harlan behandeln zu lassen, um endlich den Anblick des blanken Metalls aus seinem Gesicht zu verbannen. Das würde gleichzeitig eine gute Gelegenheit für Carter werden, mehr über ihre Körper in Erfahrung zu bringen.
Von der Haupthalle des Labors, in der Harlan sie offenbar zusammengebaut hatte, ging außer dem Raum in dem ihre Originale gelegen hatten, ein weiterer Raum ab, in dessen Mitte sich eine einzelne, hüfthohe Liege befand.
Harlan wies sie an zu warten und verschwand hinter einer weiteren Tür. Als sie ihm folgen wollten, stellten sie fest, dass sie verschlossen war. Er wollte offenbar nicht, dass sie ihm über die Schulter sahen. „Ich hoffe, dass Harlan nicht auf Dauer so unkooperativ sein wird“, brummte Teal’c. „Wenn wir diese Technologie verstehen wollen, wäre seine Unterstützung hilfreich.“
Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, denn Harlan blieb lange hinter der Tür. Sie nutzten die Zeit und untersuchten die seltsamen Instrumente, die auf einer Ablage scheinbar völlig durcheinander herumlagen. Viele schienen kaputt zu sein, was allerdings auch damit zusammenhängen konnte, dass sie keine Ahnung hatten, wie man damit umzugehen hatte.
Irgendwann schob sich die Tür wieder beiseite und Harlan kam herein. In der Hand trug er eine kleine, durchsichtige Petrischale, in der ein kreisförmiges Stück Haut schwamm. „ Sooooooo. Deine Wunde wird in Kürze repariert sein!“ Er hätte auch gut Sänger werden können. Es klang wie eine Zeile aus einer schlechten Oper. „ Com-traya!
Kumbaya“, murmelte Jack und beobachtete Harlan misstrauisch dabei, wie er die Schale auf einen kleinen Wagen stellte und einige Geräte von der Ablage hinzulegte, ohne diesen jedoch große Aufmerksamkeit zu schenken. Wie oft Harlan das schon gemacht hatte, wusste nur er selber.
Er schob den Wagen zu der Liege. „Hier. Leg dich hier drauf“, sagte er mit seinem nervenden Lächeln. Jack zögerte. „Vertrau mir.“
„Dir vertrauen? Könnten wir nicht vielleicht mit etwas einfacherem anfangen?“
„Colonel“, flüsterte Carter. Er sah sie an. Wir brauchen ihn, stand in ihrem Blick geschrieben.
„Ach, was soll's“, seufzte er, schwang seine Beine auf die Liege und legte sich flach. „Aber damit das klar ist,“ er wollte schon wieder hochkommen, „keine...“ Sie erfuhren nie was er hatte sagen wollen, denn in diesem Augenblick drehte Harlan an einer kleinen Kurbel am Kopf der Liege und Jack sackte in sich zusammen.

Ein blau-weißes Leuchten ging nun vom Untergrund der Liege aus und ließ das Gesicht von O’Neill blass erscheinen.
Sie waren zwar Roboter, konnten aber immer noch Schmerzen empfinden – nicht so stark, dass sie vermocht hätten ihnen das Bewusstsein zu rauben, aber immer noch äußerst unangenehm. Einem Roboter konnte man kein Betäubungsmittel spritzen. Dafür war es aber möglich mit einem Dämpfungsfeld seine Funktionen soweit herunterfahren, dass das synthetische Hirn nichts mehr von der Außenwelt mitbekam. Genau das war jetzt der Fall; O’Neill spürte nichts mehr und dachte nichts mehr. Er lag praktisch im Koma.
Harlan nahm das neue Stück Haut aus der Schale und platzierte es auf dem Loch, unter dem das Metall von O’Neills Schädel hervorkam. Mit geübten Handgriffen entfernte er die verbrannte Haut am Rand der Wunde und schweißte die neue mit den Werkzeugen fest. Selbst wenn man wusste, dass dort ein Loch gewesen war, konnte man die neue Haut nicht von der alten unterscheiden.
Daraufhin zog Harlan auch noch den Verband vom Arm des Colonels ab und versiegelte die große Schnittwunde, die er sich selbst beigefügt hatte, weil er hatte herausfinden müssen, warum bei der Blutabnahme sich nur weißer Schleim in Dr. Fraisers Spritze gesammelt hatte. Auch hier blieb keine Narbe zurück.

Als Jack aufwachte, hoffte er für einen kurzen Moment, dass die vergangenen Ereignisse alle nicht wirklich gewesen waren. Ihn durchdrang eine Erleichterung, die er früher nur verspürt hatte, wenn er aus einem beängstigenden Albtraum erwacht war. Er atmete tief durch und glaubte damit einfach alle Sorgen, die er bis eben noch gehabt hatte, einfach abstreifen zu können, weil sie nie real gewesen waren – doch dann öffnete er die Augen und sah Harlan.
Er richtete sich auf. Sein Blick wanderte von Harlan weiter zu seinen Leuten. Sie trugen nicht etwa ihre normalen grünen Uniformen, sondern immer noch diese schwarzen Jogginganzüge mit den überhaupt nicht modischen weißen Streifen drauf. Und mit einem mal waren die Sorgen wieder da. Die Idee, es wäre nur ein Traum gewesen blieb nur eine verzweifelte Hoffnung. Wäre ja auch zu schön gewesen...
Er befühlte die Stelle, an der vorher das Metall gewesen war. Es war fort – oder erschien es zumindest zu sein. Es fühlte sich tatsächlich wie echtes Fleisch an. Es war warm und weich und trug auf der Haut sogar ein paar kleine Bartstoppeln.
Er sah wie Harlan ihn gespannt musterte. „Und?“ fragte Jack sein Team.
„Es sieht sehr gut aus, Sir“, sagte Carter.
Daniel wedelte mit der Hand. „Es ist – besser“, benutze er Harlans Worte.
Jack sah Teal’c an, als ob er auch von ihm eine Bestätigung wollte. „Es ist nichts mehr zu sehen, O’Neill“, bekräftigte auch der Jaffa und wenn er das sagte, dann musste es stimmen.
Jack sah wieder zu Harlan, der sein Kichern kaum noch zurückhalten konnte. „Danke“, sagte Jack zerknirscht. „ Com-traya! “ jubelte Harlan. „Es ist besser. “ Schon wieder diese hohe Tonlage...
Carter trat einen Schritt vor. „Harlan. Wir würden gerne mehr über diese Körper erfahren. Wie funktionieren sie? Und die Station: wie produziert sie ihre Energie?“
Harlan wurde schlagartig wieder ernst. „Oh, ihr seid viel zu ungeduldig.“ Zum ersten mal lag echter Ärger in seiner Stimme. „Wenn ihr Geduld zeigen würdet, könntet ihr irgendwann das Geschenk akzeptieren. Begreift ihr denn nicht, was ich euch biete? Unsterblichkeit. Das habt ihr euch doch immer gewünscht.“ Er wandte sich demonstrativ ab.
„Du musst aber begreifen, dass so zu leben einfach nicht unsere Art ist“, versuchte Daniel zu vermitteln.
„Ihr habt es noch nicht einmal versucht!“ schimpfte Harlan. „Wartet ein paar hundert Jahre und ihr werdet sehen...“
„Dann werden wir eben ohne deine Unterstützung auskommen.“ Jack hatte genug. Er ging auf die Tür zu, hinter der Harlan vorhin verschwunden war. „Wir sehen uns da mal um.“
„Nein, wartet.“ Jack blieb stehen und drehte sich mit ernsthaft strapazierter Geduld um. „Hubald – er hat all dies geschaffen. Nicht einmal er war in der Lage eine Energiequelle herzustellen, die klein genug war, damit sie für unsere Bedürfnisse ausreichte.“
Jack gab es auf. „Kommen sie, Carter. Der Kerl wird uns nicht helfen.“

Als sie den Raum betraten, sackte Sam das Herz in die Hose. Es war eine große Halle gefüllt mit langen Reihen von seltsamen Maschinen. Dies musste der Ort sein, an dem die Einzelteile für diese Körper hergestellt wurden. Sie betrachtete eine der Maschinen genauer. Sie hatte keine Ahnung, was sie tun würde, wenn man sie einschaltete oder auch nur wie man sie einschaltete.
Was hatte sie sich da bloß vorgenommen?! Ihr Blick schweifte über die lange Reihe der Geräte und dann von einer Reihe zur nächsten. Es waren so viele. Sie traute sich zu die Funktion einer der Maschinen herauszubekommen, aber schon damit würde sie Probleme bekommen. Wenn sie wissen wollte wie ihre Körper funktionierten, würde sie nicht drum rum kommen die Maschinen zu studieren, um rauszufinden was sie taten – aber was ihr das am Ende bringen würde war jetzt noch kaum abzusehen.
Sie hatte den Fehler gemacht vorzeitig Hoffnungen bei den anderen zu wecken. Selbst, wenn sie eine Ewigkeit Zeit haben sollte, sich dieser Aufgabe zu stellen... sie fürchtete das es sie überfordern würde. Erschwerend kam hinzu, dass sie von keinem der drei Jungs ernsthafte fachliche Hilfe erwarten konnte. Und auf Harlan wollte sie lieber nicht zählen. Wie hatte sie nur so verdammt leichtsinnig sein können? Sie konnte die anderen nur enttäuschen.
Auf der anderen Seite gab es hier kaum etwas wichtigeres als das, was sie sich irrerweise vorgenommen hatte. Sie konnte es sich schlicht nicht leisten zu scheitern.
„Carter?“ fragte O’Neill.
Sie schreckte auf. So überwältigt war sie gewesen, dass sie bisher geschwiegen hatte. Jetzt erwartete der Colonel, dass sie etwas sagte. „Nun, das scheinen alles Maschinen zu sein, mit der die Einzelteile für die synthetischen Körper produziert werden. Ohne konkrete Anleitung wie man sie benutzt, wird das jedoch schwer werden.“
„Könnte ihnen da vielleicht der Computer da weiterhelfen?“
„Ein Computer? Wo? “ Unwillkürlich hatte sie laut gesprochen. Sie folgte dem Arm des Colonels und sah dort eine ausladende Computerkonsole mit mehreren Monitoren. Hinlaufen und sich in den Sessel setzen war für sie eins.
Der Monitor zeigte einen Text in einer Schrift, die sie nicht kannte. Also würde sich Daniel doch noch nützlich machen können. Er musste ihr das übersetzen.
Doch ehe sie oder Daniel etwas sagen konnten, veränderte sich ganz von alleine das Monitorbild und wurde ersetzt durch englische Texte. Wahrscheinlich hatte der Rechner ihre Anwesenheit registriert und entsprechend reagiert.
Der Bildschirm zeigte ein Inhaltverzeichnis und je mehr sie davon las, desto erleichterter fühlte sie sich. Es war ja auch logisch: Einen Plan wie man etwas so komplexes wie einen künstlichen Organismus herstellte, konnte sich kein Mensch merken. Also musste der Bau genau in einer Datenbank dokumentiert sein. Aber es gab sogar noch mehr. Die Datenbank enthielt auch Angaben über das Funktionsprinzip der einzelnen Komponenten.
Es war nur ein Anfang, aber die Bedingungen sahen schon mal nicht schlecht aus.


* * *


Es war ein Gefühl, dass Jack nur als „komisch“ beschreiben konnte. Seit Wochen arbeiteten sie nun schon im Labor und in all der Zeit hatte keiner von ihnen ein Auge zugetan. Kein Wunder eigentlich, denn eine Maschine brauchte keinen Schlaf. Aber an diese Tatsache musste man sich erst einmal gewöhnen.
Er hätte es nie für möglich gehalten, aber er, Daniel und Teal’c halfen Carter tatsächlich bei ihren Forschungen über ihre neuen und so-unglaublich-wunderbaren Körper. Sicher wäre es Carter lieber gewesen, wenn sie eine Horde von Spezialisten aus dem SGC bei sich gehabt hätte, nur leider waren sie drei die einzigen, die zur Verfügung standen. Nicht einmal Harlan wollte helfen.
Obwohl sie sich Mühe gab, sie alle sinnvoll zu beschäftigen, begann Jack sich zu fragen, wer hier eigentlich wem half. Letztlich musste sowieso alles durch Carters Kopf, denn sie war die einzige, die von der Sache etwas verstand. Vielleicht behinderten sie sie nur und sie gab ihnen lediglich etwas zu tun, um ihnen das Gefühl zu geben, dass etwas geschah. Moralische Unterstützung war vermutlich das einzige, mit dem sie ihr wirklich dienen konnten.
Jack schlurfte hinüber zu Daniel, der auf Carters Bitte hin eine der Maschinen unter die Lupe nahm.
„Herr Ingenieur?“ fragte er den Archäologen gelangweilt. „Was haben wir herausgefunden...“
Daniel deutete auf einen flachen Zylinder, der aus einer Seite der Maschine herausragte. „Es dreht sich“, erklärte er ratlos.
„Ja“, seufzte Jack. „Und was noch?“
„Und... es dreht sich!“
„Und das ist gut, ja?“
„Keine Ahnung...“
Jack schaute zu Teal’c hinüber, der neben Captain Carter am Terminal saß und einen Text überflog. Vermutlich durchforstete er ihn nach irgendeinem Thema, das sie für „interessant“ hielt. Er saß mit dem Rücken zu Jack, so dass dieser seinen Gesichtsausdruck nicht sehen konnte, aber er konnte sich Teal’cs stoische Mine auch so sehr gut vorstellen.
„Irgendwie ist es schon faszinierend“, sagte Daniel neben ihm.
„Was?“ fragte Jack automatisch zurück.
„Sehen sie sich um“, Daniel deutete mit einer weitläufigen Geste auf die Halle, die gefüllt war mit Maschinen aller Größen und Formen. „All das ist nötig, um einen Körper wie unseren künstlich herzustellen. In der Natur geht das praktisch von selbst.“
„Bitte, Daniel“, unterbrach er ruhig den Redefluss seines Freundes. „Nicht wieder die Nummer.“
Schon unter normalen Umständen interessierte sich Jack nicht für Daniels philosophische Überlegungen. Jetzt, wo es ihn auch noch unmittelbar betraf, wollte er sie erst recht nicht hören.
Sein Blick wanderte weiter zu Carter, die unruhig vor einem Monitor saß und sich gerade frustriert durch die Haare fuhr. Daniel erkannte wohl seinen Blick. „Sie redet nicht viel“, bemerkte er.
„Oh, eigentlich redet sie sogar sehr viel“, erwiderte Jack. „Nur meine Augen werden immer so schwer, wenn sie das tut.“ Seit sie hier waren hatte er sie bei ihrem technisch-physikalische Gerede nur sehr selten unterbrochen. Vielleicht half ihr das beim Denken und im Moment war es für ihn wichtiger als je zuvor, dass sie das sehr ausführlich tat.
Aber Daniel meinte trotzdem das Richtige: in all den Tagen oder Wochen, in denen sie hier waren, hatte sie sich kein einziges Mal über ihre Fortschritte oder Erfolgschancen geäußert. Er hatte sie auch nicht danach gefragt. Vielleicht war es an der Zeit, das zu ändern. „Kommen sie mit“, sagte er zu Daniel und bahnte sich seinen Weg durch die Maschinen zu Carter hin.
Sie hatte wohl ihr Kommen bemerkt und drehte sich um. „Sir?“ fragte sie.
„Wie sieht’s aus?“ fragte er schlicht.
„Nun ja, Sir...“ druckste sie herum. „Das wird dauern.“

Jack sagte nichts, sah sie nur an. „Ich rede dabei nicht nur von einer kleinen Weile. Es könnte durchaus...“ sie musste sichtlich mit sich ringen, um das hervorzubringen was sie ihnen bisher freiwillig nicht hatte sagen wollen. „Es könnte durchaus ein paar Jahre dauern, Sir.“
Jack schluckte. Er hatte fast damit gerechnet, dass sie so etwas in der Art sagen würde. Elftausend Jahre und weiter bis in die Unendlichkeit spukte Harlans Zitat durch sein künstliches Hirn.
Doch all seine schlimmen Befürchtungen hatten ihn nicht darauf vorbereiten können, jetzt plötzlich in der Realität mit ihnen konfrontiert zu werden. Jahre! Was konnte in dieser Zeit nicht alles geschehen... und schief gehen. Was sollten sie mit all der Zeit anfangen?
„Jahre?!“ brach es auch aus Daniel hervor. „Aber... das muss doch schneller gehen.“
„Tut mir leid, Daniel. Ich sehe nicht, wie dies irgendwie schneller zu machen wäre.“
Jack sah die Verzweiflung in ihren Augen. Sie wusste, wie sehr sie alle auf sie angewiesen waren und tat sicher alles, um ihren Ansprüchen zu entsprechen. Doch hier stieß sie offenbar an ihre Grenzen.
„Lassen sie’s gut sein, Daniel“, sagte Jack. „Ich fürchte, dass Zeit etwas ist, was wir zur genüge haben.“


* * *


O’Neill trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem Gehäuse des Terminals herum, gähnte ausgiebig und schaute auf seine Uhr, nur um festzustellen, das sie nicht da war. Er sah hinüber zu Teal’c, der mit eiserner Geduld an der Tür stand. „Daniel, wie lange dauert das denn noch?“
Eine ganze Weile waren sie noch bei Carter im Labor geblieben, hatten dann jedoch bald erkannt, dass sie ihr eher im Weg rumstanden, als helfen zu können. Daher hatten sie sie in Ruhe arbeiten gelassen und damit begonnen, die Station zu erkunden. Ihr Hauptgedanke war dabei anfangs nur gewesen den Ort kennen zu lernen, an dem sie die nächste Zeit verbringen würden. Doch dann hatten sie sich an die von Harlan erwähnten Ausgänge erinnert und sie gesucht.
Vergeblich. Man konnte nicht ohne jede Ortskenntnis durch die Station irren und davon ausgehen sofort einen Ausgang zu finden. Aus diesem Grund befanden sie sich jetzt in der Zentrale mit dem Hauptterminal und sahen zu, wie Daniel in der Datenbank nach einer Karte der Station suchte.
„Ich hab’s gleich“, antwortete der Archäologe zerstreut, während er über die diversen Kontrollen Befehle in den Computer eingab. „Hier“, murmelte er dann wie zu sich selbst und deutete auf den Bildschirm auf dem sich nun ein Plan der Station drehte, „das sind die Ausgänge.“ Er drehte sich um. „Sehen sie. Drei Stück.“
Ein kurzer Blick, dann hatte Jack sich den Plan in seinem künstlichen Hirn eingeprägt. „Gut. Kommen sie.“ O’Neill war schon auf dem Weg nach draußen.
Daniel beeilte sich hinter ihm herzukommen. „Harlan hat gesagt, dass sie alle Ausgänge versiegelt hätten“, wandte er ein, wie um Jack auf das Schlimmste vorzubereiten.
„Er hat ebenfalls gesagt, dass einige von ihnen auf die Oberfläche gegangen wären“, erhob Teal’c die Stimme. „Folglich muss es einen Weg geben, Daniel Jackson.“
„Ja. Einen der Ausgänge haben sie erst später verschlossen“, antwortete Daniel nervös und beschleunigte seinen Schritt, um Jack ins Gesicht sehen zu können. „Was nichts an der Tatsache ändert, dass jetzt alle zu sind.“
Angeblich, Daniel. Angeblich“, knurrte Jack ohne langsamer zu werden. „Sie sollten ihm nicht so blind vertrauen.“
„Ich vertraue ihm doch gar nicht blind“, verteidigte sich Daniel.
„Doch, das tun sie.“
„Es wäre taktisch unklug gewesen sich alle Auswege zu versperren“, unterbrach Teal’c ruhig.
„Die Station war ihr Ausweg, sie hatten keinen Grund zurück auf die Oberfläche zu gehen. Im Gegenteil: sie mussten sich so gut es ging davon abkapseln“, erklärte Daniel und fügte dann hinzu: „Ich sage das nur, weil ihr fest daran zu glauben scheint, wir könnten hier jetzt einfach rausmarschieren.“
„Es hätte immer etwas eintreten können, das sie gezwungen hätte, wieder nach oben zu gehen“, ging Jack über Daniels Behauptung hinweg.
„Und was wäre das zum Beispiel?“
„Zum Beispiel, wenn sie vor jemandem fliehen wollten, der so dumme Fragen wie sie stellt, Daniel.“
Sie erreichten den Ausgang, welcher der Zentrale am nächsten lag. Es war eine Tür wie jede andere auch. Sie wurde von zwei Scheinwerfern rubinrot und golden angeleuchtet. Jack ging an den Öffnungsmechanismus, betrachtete ihn erst nachdenklich und betätigte ihn dann. Es war ein Griff, den man kurz nach unten zog. Nichts geschah. „Na gut. Teal’c!“ Die beiden mussten sich nicht weiter verständigen, sondern pressten die Handflächen gegen die Tür und zogen. Daniel beeilte sich es ihnen gleich zu tun.
Es war sehr schwer. Nur langsam öffnete sich ein Spalt, der Angriffsfläche für ihre Finger bot. Es knirschte. Nur widerwillig beugte sich die Tür der Kraft der drei Androiden. Dann gab es einen Ruck und alle purzelten übereinander. Die Tür war offen, doch dahinter lag nichts weiter als eine graue Wand.
„Das ist Beton“, erkannte Jack.
„Nein, das ist etwas anderes“, korrigierte Daniel sofort.
„Es ist mir verdammt egal, was es ist!“ fluchte Jack.
„Damit ist der Beweis erbracht, dass Harlan ehrlich zu uns war“, sprach Teal’c das Offensichtliche aus. „Offenbar haben sie die Schächte zur Oberfläche mit diesem Material ausgefüllt“.

Die Sprengladungen zündeten in einer gewaltigen Explosion. Ihre Druckwelle jagte mit einem ohrenbetäubenden Knall durch den Korridor. Selbst in ihrer Deckung wurden sie noch von dem Schwall heißer Luft erfasst, der über ihre Köpfe hinwegfegte.
„Cool“, kam es von O’Neill.
Auch die zwei anderen Ausgänge hatten sich als verschlossen erwiesen. Nach ihren vergeblichen Versuchen dem plombierten Schacht mit Hammer und Meißel beizukommen, hatten sie sich nach besseren Werkzeugen umgesehen. In einer der Lagerhallen hatten sie dann tatsächlich Kernbohrer und ein paar Kanister mit halbflüssigem Sprengstoff gefunden. Für den Bau dieser Anlage waren schwerere Geräte nötig gewesen, aber dies war alles, was sie gefunden hatten.
Es war schwieriger gewesen Löcher für den Sprengstoff zu bohren, als sie erwartet hatten. Dieses seltsame Material war sogar noch härter als Beton. Selbst als Teal’c den Bohrer so stark gegen die Wand gepresst hatte, dass sein Motor kurz davor gewesen war zu blockieren, war außer einem grausigen Kreischen des gequälten Bohrkopfes nicht viel dabei rausgekommen. Es hatte sie eine kleine Ewigkeit gekostet ein gerade mal 10 Zentimeter tiefes Loch zu bohren.
Ganze fünf Löcher hatten sie produziert und dann Sprengstoff in sie gespitzt. Wenn man den gefährlich aussehenden Warnsymbolen auf den Kanistern glauben schenkte, war ein ganz schönes Feuerwerk zu erwarten gewesen und gerade hatte das Zeug sein Versprechen gehalten: die Explosion war um einiges stärker als die von C4-Sprengstoff gewesen.
Sie kamen wieder hinter dem Generator vor, der ihnen als zusätzliche Deckung gedient hatte – mit außerirdischen Sprengstoffen musste man schließlich vorsichtig sein.
Die Luft war heiß. O’Neill bog mit Daniel und Teal’c in den Korridor ein, in dem der Schacht lag. Im allgegenwärtigen Qualm konnte man ihn kaum erkennen. Das Metall der Wände knackte leise, während es wieder abkühlte. Als sie durch den sich nur langsam verziehenden Rauch den verschlossenen Schacht erkennen konnten, war Jack für einen Moment fassungslos.
„Arrgh. Nur Silvesterkracher...“ stöhnte er dann.
Wenn sie erwartet hatten, dass durch die Explosion ein Teil des Materials von der Wand abplatzen und womöglich ein riesiges Loch entstehen würde, dann hatten sie sich getäuscht. Ihre Sprengladungen hatten die Löcher etwas weiter aufgerissen, aber mehr auch nicht. Der Großteil der Explosion war einfach in den Korridor verpufft. „Der Sprengstoff war äußerst ineffektiv“, erklärte Teal’c leidenschaftslos, der O’Neills Bemerkung natürlich nicht verstanden hatte.
Das würde härter werden, als sie sich gedacht hatten. Was waren schon fünf Löchlein in einem wer-weiß-wie-tiefen Schacht.

„Wir sollten unsere Strategie ändern, O’Neill.“
Während Jack auf den von ihnen so gequälten Schachteingang starrte, war der feste Klang von Teal’cs Stimme sein einziger Halt. Jack war nicht bereit einfach so aufzugeben, aber so wie bisher kamen sie definitiv auch nicht weiter.
Nachdem sie mit ihren größeren Sprengungen keinen Erfolg gehabt hatten, waren sie dazu übergegangen, viele kleine Explosionen zu verursachen, mit denen sie sich erhofft hatten, dass durch sie mit der Zeit Risse im Beton entstehen und er zu bröseln beginnen würde.
Diese Hoffnung hatte sie mehr Sprengstoff gekostet, als es hätte sein sollen. Viel zu spät war ihnen aufgefallen, dass über die Jahrhunderte die Hälfte des flüssigen Sprengstoffs in den Kanistern fest und damit wertlos geworden war. Zu allem Überfluss hatte eben der erste Bohrer seinen Geist aufgegeben. Die Dinger waren einfach zu alt, um derartigen Belastungen standhalten zu können.
Die Versiegelung des Schachts indessen hatte alle ihre Bemühungen einfach weggesteckt. Sie wurde nicht bröselig und bis auf einige Löcher, die hässlicher aussahen, als sie tief waren, hatten sie nichts erreicht.
Vielleicht hatten sie sich zu sehr auf diesen Ausgang konzentriert. Vielleicht gab es noch andere Möglichkeiten zur Oberfläche zu kommen. „Harlan sagte doch irgendetwas von Lüftungsschächten“, erinnerte sich Jack. „Könnten wir nicht einen davon benutzen?“
„Diese Schächte sind zu schmal“, erklärte Teal’c.
„Dann vergrößern wir sie eben. Oder wir graben uns einen ganz neuen Stollen“, entgegnete Jack in einem Anfall von Kreativität. „Das Gestein muss doch weicher als dieses Zeugs hier sein.“
„Jack...“
„Wir sollten Carter fragen, was sie dazu meint. Vielleicht kann sie uns eine vernünftige Bohrmaschine ausmacgyvern.
„Jack!“
„Was ist denn?“ erwiderte er, ungehalten darüber, dass Daniel ihn unterbrach.
„Tut mit leid, aber ich beginne mich zu fragen, warum wir das tun.“
Wie bitte? Ungläubig fragte sich Jack, ob Daniel das eben wirklich gesagt hatte. „Weil wir hier raus wollen?“ antwortete er trotzdem ruhig.
„Ja natürlich. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir da oben nicht mehr Bewegungsfreiheit hätten, als auf der Erde. Außerdem ist die Welt da oben zerstört. Es wäre gefährlich.“
Was hatte Jack erwartet? Daniel musste immer Bedenken haben, die er nicht hatte. Es gab nur sehr wenige Themen, in denen sie beide einer Meinung waren. „Gefährlich! Und deswegen wollen sie einfach aufgeben?“
Daniel schüttelte den Kopf. „Glauben sie mir. Ich würde auch gerne da raus. Da oben muss es noch Überreste der alten Zivilisation geben, die ich mir gerne ansehen würde...“ er unterbrach sich, als er merkte, dass er eigentlich Jack nichts vorschwärmen wollte. „Ich meine nur, dass... Es lohnt sich nicht! Wenn wir einen Ausgang gefunden hätten, dann natürlich. Wir hätten hochgehen und uns das ansehen können. Aber stellen sie sich jetzt einmal den Aufwand vor, um da hoch zu kommen. Es muss doch nützlichere Dinge geben, die wir hier tun können.“
„Und das wäre zum Beispiel? Wir sitzen hier vielleicht jahrelang fest! Was wollen sie denn tun? Wir können doch nicht die ganze Zeit dasitzen und Carter Händchen halten.“
Da hatte er Daniel offensichtlich erwischt. Auf die Schnelle hatte er keine konkrete Antwort parat. „Verdammt, ich weiß es nicht!“ fluchte er daher. „ Irgendetwas. Es muss etwas geben.“
Teal’c enthob ihn weiterer Ausführungen. „Ich muss Daniel Jackson zustimmen.“ Nur wenn man genau hinhörte, erkannte man die Enttäuschung, die in seinem Tonfall lag. „Der Aufwand und der Nutzen stehen in einem für uns äußerst ungünstigen Verhältnis.“
„Der Aufwand?“ Plötzlich hatte Jack eine Idee. Erst denken, dann handeln! Es gab vielleicht nicht nur verschiedene Wege hier raus, sondern auch unterschiedliche Mittel. „Wartet hier“, befahl er. „Ich muss was besorgen.“

Daniel war unruhig. Jack hatte recht, wenn er sagte, dass sie im Moment nur wenig anderes zu tun hatten, als zu versuchen, sich nach oben zu buddeln. Möglicherweise hätten sie es auch irgendwie geschafft, obwohl er nicht daran glauben konnte. Sie hatten kaum die nötigen Werkzeuge, um sich durch hunderte Meter von Gestein zu fräsen.
Aber war es die Mühe überhaupt wert? Was war es schon, das sie sich da oben erhoffen konnten?
„Denkst du, wir tun das richtige?“ fragte er Teal’c.
Dessen Antwort war ungewöhnlich unsicher. „Ich weiß es nicht“, gestand er.
Ein Scheppern am Fuß der Treppe kündete von O’Neills Rückkehr. Daniel fragte sich, was es war, das er „besorgt“ hatte.
Seine Frage wurde beantwortet, als er die Strahlenwaffe in Jacks Hand sah. Mit dieser Waffe hatte Harlan die erste Version von Teal’c erschossen. „Die ist neben dem Computerterminal rumgefahren“, erklärte Jack. Daniel war das natürlich nicht aufgefallen.
Sie gingen zusammen die paar Schritte, die zwischen Treppe und Ausgang lagen. Dort hob Jack kommentarlos die Pistole und schoss. Ein orangener Strahl zuckte aus der Mündung, schoss gegen die Wand aus Füllmaterial und verteilte dort in einem kurzen Aufflackern seine Energie ohne irgendeinen Schaden anzurichten.
Grimmig schoss Jack erneut. Diesmal hielt er den Abzug gedrückt. Eine volle Minute lang brandete die Energie der Waffe, die einen Androiden einfach aufzulösen vermochte, gegen die Wand. Doch entweder war es die Wand, die sich nicht für den Strahl interessierte oder es war der Strahl, der sich nicht für die Wand zuständig fühlte.
Als Jack schließlich die Waffe sinken ließ, schien es so, als wäre er um einige Jahre gealtert. Wasserpistolen und Silvesterkracher dachte Daniel in einem Anflug von Jack-Sarkasmus.
Dieser betrachtete lange die Pistole in seiner Hand. Für einen kurzem Moment wunderte sich Daniel über die Beliebtheit dieser Form im Universum. „Würde sich bestimmt gut als Souvenir auf meinem Schreibtisch machen“, sagte Jack mit erstaunlich klarer Stimme. „Aber halt! Das geht ja gar nicht. Wir werden die Erde nie wieder sehen!“ setzte er verbittert hinzu.
„Auf der Oberfläche hätten wir die Erde bestimmt nicht gefunden.“ Das war wieder Teal’c.
„Wir blasen die Aktion ab“, rief Jack, als müsse er es einer ganzen Kompanie zurufen. Er wandte sich ab und wollte gehen.
Doch Daniel hatte nicht vor ihn so verschwinden zu lassen. Es musste nicht nur eine Entscheidung getroffen werden, sie musste auch von allen akzeptiert sein. „Jack!“ rief er ihm nach.
Mitten in der Bewegung drehte sich O’Neill um. „Ja, sie haben recht“, schnauzte er mit mühsam unterdrückter Wut. „ Mal wieder.
Daniel schien es fast so, als würde Jack ihn für ihre Lage verantwortlich machen. Er zwang sich zu schweigen, denn er wusste, dass, wenn er etwas gesagt hätte, es nicht sehr freundlich gewesen wäre.
„Wir sind da oben genauso fehl am Platz wie im Rest des Universums“, fuhr Jack fort und wurde dabei immer lauter. „Aber ich frage euch: Ist das gerecht? Warum wir. Warum nicht die Anderen? Warum müssen wir diejenigen sein, die hier festsitzen?“ Die letzten Worte schrie er fast.
„Die Realität ist nicht immer gerecht“, erklärte Teal’c hart.
„Oh ja. Und das hilft mir jetzt?!“ versetzte Jack wütend. Dann schwieg er und starrte vor sich hin. Es war offensichtlich wie er versuchte seine Erregung in den Griff zu bekommen.
Auch Daniel war sauer, behielt das aber für sich. Mal wieder, hatte Jack gesagt. Als ob es hier um Rechthaberei ging.
„Tut mir leid...“ bekannte Jack schließlich zähneknirschend und sah dabei sowohl Daniel als auch Teal’c an. Dann fügte er fast resigniert hinzu: „Überlegt euch, was wir in den nächsten Jahren tun können.“
Als er diesmal ging, folgte Daniel ihm nicht.


* * *


Ob Jack das jetzt gefiel oder nicht, sie konnten hier nicht fort.
Sie konnten nicht hoch zur Oberfläche. Sie konnten nicht einmal durch das Stargate, denn wohin hätten sie gehen können? Wohin hätte sie gehen sollen?
Nirgendwohin.
Solange sie keine Energiequellen hatten, war eine solche Reise völlig sinnlos. Genauso sinnlos wie es der Versuch zur Oberfläche zu gelangen letztlich gewesen war.
Also blieben sie wo sie waren. Blieben, so sehr es Jack auch widerstrebte. Das einzig vernünftige, was sie tun konnten – vielleicht sogar das einzige was sie überhaupt tun konnten – war auf Carter zu vertrauen. Zu hoffen, dass sie schnell mit ihrer Arbeit fertig werden würde. Sehr schnell.


* * *


Eine ganze Weile waren sie noch zusammen durch die Station gestreift. Jacks ersten Eindruck von ihr hatte dies nur bestätigen können: die Station war schrecklich. Keiner von ihnen hatte etwas gegen unterirdische Anlagen. Sie waren es vom Stargate Center her gewöhnt unter der Erde zu leben. Das SGC war wie eine zweite Heimat gewesen. Dies hier war jedoch anders. Obwohl die Decken teilweise höher lagen, als im Cheyenne Berg, fühlte er sich hier viel eingeengter als dort. Beklemmt.
Es mochte daran liegen, dass sie das SGC jederzeit hätten verlassen können. Vielleicht lag es aber auch an der schlechten Beleuchtung. Der einzige Ort, der richtig hell ausgeleuchtet war, war das Labor. Die Korridore dagegen waren ausgesprochen finster.
Das Licht war hier überhaupt äußerst eigenwillig. Es gab kaum direkte Beleuchtung von der Decke herab. Zwar befanden sich dort oben manchmal lange Reihen von Lampen, doch sie spendeten erstaunlich wenig Licht. Der Großteil der Helligkeit stammte von kleineren, verstecken Scheinwerfern, die farbiges Licht an die Wände warfen. Doch sie verdrängten die Düsternis nicht, sondern färbten sie lediglich ein. So gab es immer wieder Inseln von gelbem, rosanem, dunkelblauen oder türkisfarbenem Licht, die weitgehend von Dunkelheit eingeschlossen wurden.
Die Station war groß genug, dass man sich in ihr verlaufen konnte. Wenn man jedoch einmal eine Sektion gesehen hatte, kannte man sie alle. Es sah alles gleich aus, was die Orientierung anfangs sehr erschwerte. Überall herrschte die gleiche Dämmerung. Das einzig gute an diesem Licht war, dass man so nicht sofort sah, wie verfallen und alt die Station wirklich war.
Sie hatte ihre Blütezeit längst hinter sich. Ein Großteil der Einrichtung funktionierte nicht mehr. Die Wände zeigten Rostspuren und viele der offen an den Wänden oder der Decke entlang führenden Leitungen schienen geflickt zu sein. In manchen der besonders dunklen Ecken türmte sich undefinierbarer Schrott, der früher vielleicht mal eine wichtige Funktion erfüllt hatte.
Unter diesen Umständen war die Erkenntnis, dass sie wenigstens mit ihrer Kleidung nie Probleme bekommen würden, eine der wenigen angenehmen Überrauschungen. Eine von Harlans etwas angenehmeren Seiten war, dass er ein ausgezeichneter Schneider zu sein schien. An Stoff würde es nie mangeln, denn dieser war hier so ziemlich das einzige, woran es nicht fehlte. Es gab soviel davon, dass Jack gerne etwas von dem Zeug gegen was anderes eingetauscht hätte.
Selbst, wenn man bedachte, dass die Kleider auf ungewisse Zeit halten mussten, würden sie ihnen nicht ausgehen, denn das Material war ausgezeichnet. Reißfest und schmutzabweisend wie es war, konnte man es ewig tragen.
Jack fragte sich, wie es hier ausgesehen hatte, als die Station noch voller Roboter gewesen war. Dies alles war in aller Eile errichtet worden. Die Station hatte Platz für etwa eintausend Personen und vermochte ihr Leben – oder zumindest ihre Existenz – zu erhalten.
Darüber hinaus bot sie einem nichts. Zum Bau von irgendwie gearteten Freizeiteinrichtungen hatte es ihnen offenbar nicht mehr gereicht. Das Wort Freizeit allein war schon nicht angemessen, schließlich kam es von Freiheit. Freiheit bedeutete aber nicht bloß die Abwesenheit von Zwängen. Das mochte es hier schon geben. Freiheit bedeutete aber außerdem, dass man frei war zu tun was man wollte – und in diesem Punkt setzte die Station deutliche Grenzen.
Selbst, wenn die Hälfte der alten Bewohner den Herstellungsprozess nicht überstanden hatten, wären es damals immer noch 500 Leute gewesen, die nichts anderes zu tun hatten, als sich gegenseitig auf die Füße zu treten.
Wenn die Population von Ratten größer wurde als Platz für sie war, dann fielen sie übereinander her und dezimierten ihre Zahl so lange bis sie wieder ein erträgliches Maß erreichte. Menschen waren zwar keine Ratten, aber schon nach ein paar Wochen musste es die ersten Reibereien gegeben haben. Wie hatte das erst nach tausend Jahren ausgesehen? Kein Wunder, dass so viele von ihnen geflohen waren.
Teal’c war der erste gewesen, der sich einen eigenen Raum gesucht hatte, in den er sich zum meditieren zurückziehen konnte. Räume standen dafür genug zur Auswahl. In manchen davon lagerte irgendwelches Gerümpel, aber viele waren vollkommen leer.
Jack hatte sich geweigert Teal’cs Beispiel zu folgen. Es wäre für ihn einer Kapitulation gleichgekommen. Wenn man sich häuslich einrichtete, war es immer ein Zeichen dafür, dass man sich damit abfand zu bleiben.
Lange Zeit hatte er das auch durchgehalten, aber auf Dauer hatte er sich dem sich dann doch nicht entziehen können. Es war einfach kein angenehmer Zustand gewesen, allein oder mit den anderen durch die Station zu irren ohne zu wissen wohin oder wieso. Er hatte irgendeine Form von Halt gebraucht. Also hatte auch er schließlich einen Raum für sich in Anspruch genommen. Nicht als ewige Heimat natürlich, sondern eher als provisorische Unterkunft, bis sie hier fort konnten.
Bezeichnerderweise lag sein Raum jedoch ein ordentliches Stück von Teal’cs und Daniels Raum entfernt. Jack wollte sich dadurch nicht von ihnen distanzieren. Auch wenn sie in letzter Zeit ein wenig aneinander geraten waren, war er froh in ihnen jemanden zu haben mit dem er sich aussprechen konnte. Er fürchtete jedoch, dass die ständige Nähe zueinander auf Dauer zu einem Problem werden konnte. Er wollte nicht testen, wie groß ihre Ähnlichkeit zu den Ratten war.
Daher die Entfernung. Jeder von ihnen musste einen Ort haben, an dem er auch mal alleine sein konnte, wenn er das wollte. Sie mochten zwar zusammen in der Station leben müssen, aber das bedeutete nicht, dass sie auch auf engstem Raum wohnen mussten.
Ein Problem blieb jedoch: sie hatten nichts, mit dem sie ihr neues „Zuhause“ füllen konnten. Das einzige, was sie wirklich besaßen waren ihre Kleider. Alles, was ihnen gehört hatte, gehörte jetzt den Anderen. Sie hatten keinen Anspruch mehr darauf. Carter hatte ihrem Gegenstück sogar ihre Armbanduhr überlassen. Damit hatte niemand von ihnen mehr etwas, das sie an ihr altes Leben erinnert hätte und hier gab es nur sehr wenige Dinge, die es Wert waren von ihnen in Besitz genommen zu werden.
Auf der Erde war selbst der kleine Raum im SGC, in dem Jack manchmal übernachtet, sich ausgeruht oder einfach die Zeit tot geschlagen hatte, mit diversen praktischen und persönlichen Dingen gefüllt gewesen. Ein Schreibtisch voll mit Krimskrams, die Schachtel mit den alten Fotos und Briefen, das Bild, das Cassie für ihn gemalt hatte. Ein Bett, ein Fernseher. Es war ein Palast gewesen, wenn er sich im Vergleich dazu das hier ansah.
Doch die Leere in seinem Raum hielt nicht lange an. Jack ließ sich von Harlan dabei helfen einen ganzen Satz von Lampen an die Decke zu montieren. Diese verbreiteten zwar nur trübes Licht, aber es war besser als in den meisten anderen Teilen der Station.
Jack hatte Zeit. Viel Zeit. Er war überrascht über seine eigenen handwerklichen Fähigkeiten, als er sich aus Schrott und einigen Metallteilen ein Bett zusammenbaute. Er brauchte kein Bett, genauso wenig wie er Schlaf brauchte – sie konnten nicht einmal mehr schlafen. Selbst, wenn er es wollte; sein Körper war gar nicht in der Lage dazu. Dennoch war das erste, was er sich baute, ein Bett.
Warum er das tat, war er nicht sicher. Irgendetwas musste er tun und die Bastelei beschäftigte ihn ein bisschen – was vielleicht mit ein Grund dafür gewesen war, dass er sich überhaupt einen Raum genommen hatte.
Oft lag er auf seinem neuen Bett und starrte an die kahle Decke. Das Bett war hart und kalt, aber das störte ihn nicht weiter. Schließlich konnte er sich mit dem neuen Körper weder eine Erkältung noch einen schmerzenden Rücken holen...

Teal’cs einziger Einrichtungsgegenstand war ein Pendel, das er von der Decke baumeln ließ. Es half ihm beim Meditieren. Früher hatte er sich immer auf das Flackern einer Kerzenflamme konzentriert, aber hier gab es keine Kerzen. Die gleichmäßige Bewegung des Pendels musste nun dafür herhalten.
Teal’c meditierte als Jack gegen das Schott wummerte. Das synthetische Gehirn ermöglichte Meditation, er erreichte sogar viel leichter die Freiheit von allen Gedanken. Die tieferen Zustände des Kel’no’reem blieben ihm jedoch verschlossen. Was er auch tat, er blieb immer bei vollem Bewusstsein und war weit davon entfernt seine Körperfunktionen kontrollieren zu können.
„Komm rein.“ Seit kurzem legten sie äußersten Wert darauf, dass man nicht rein kam, ehe der andere einen dazu aufforderte.
„Hi!“ begann Jack. „Wie geht’s Junior ?“
Teal’c saß im Schneidersitz auf dem Fußboden und starrte auf das Pendel. „Ich spüre seine Anwesenheit“, erklärte er düster.
„Oh.“
„Du kannst unbesorgt sein, O’Neill. Er ist nicht in meinem Kopf – es ist rein körperlich“, beruhigte Teal’c.
Er war bereits die zweite Kopie, da die erste nicht richtig funktioniert hatte. Harlan hatte den Fehler gemacht, dem Verstand seines Goa’uld-Symbionten einen Platz in seinem Verstand einzuräumen. Als dieser dann versucht hatte die Kontrolle zu übernehmen, waren sie gemeinsam durchgedreht – für zwei Seelen war in einem Körper nicht genug Platz. Harlan hatte Teal’c erschießen müssen und hatte dann eine zweite Kopie erstellt.
O’Neill nickte. „Teal’c... Ich wollte dir nur sagen, dass wir keine Ahnung hatten, dass Harlan deine... das er dich...“, er stockte und suchte nach den richtigen Worten, „...das er dich fertig stellen würde.“ Das Pendel schwang unbeeindruckt weiter. „Ich meine, wir dachten, wir hätten es ihm ausgeredet und waren danach sowieso ziemlich durch den Wind, so dass wir einfach nicht mitbekommen haben, wie er...“ er sah ihn an. „Na, du weißt schon.“
Teal’c hob den Blick nicht vom Pendel, das weiter seiner Bahn folgte. „Was geschehen ist, ist geschehen“, antwortete er lakonisch.

Meine Damen und Herren, hier spricht ihr Colonel. Willkommen auf PX3989 , hatte Jack bei ihrer Ankunft gewitzelt. Es hatte ein Scherz sein sollen und möglicherweise war es das auch – ein Scherz des Universums auf ihre Kosten. Wenn er gewusst hätte, dass er auf dieser Welt vielleicht den Rest seines Lebens verbringen würde, hätte er besser den Mund gehalten.
Aber eigentlich war er es ja gar nicht gewesen, der diese Worte gesprochen hatte. Der Andere hatte das gesagt und Er war längst wieder fort. Er und Sein Team hätten es gar nicht eiliger damit haben können, von hier zu verschwinden.
Jack fiel es leicht, sich die Situation des Anderen zu versetzen und seine Gedanken zu erraten. Wenn er nicht so wie jetzt die Tatsachen gekannt hätte, dann hätte er genauso gehandelt. Schließlich waren sie beide in vielen Dingen identisch. Was für ein Ignorant er doch war!
Ein aufmunterndes Lächeln. Das war alles gewesen, was sie von Ihm und Seinen Leuten bekommen hatten. Auf den Gedanken, dass Er ihnen vielleicht hätte helfen können, die Station zu verlassen, war Er gar nicht erst gekommen. Im Gegenteil: Jack hatte die Erleichterung bei seinem Gegenstück gesehen, als dieser erfahren hatte, dass er nicht fort konnte.
Ja, tut uns wirklich leid, dass wir euch verlassen müssen. Aber ihr könnt hier ja schließlich nicht fort – das habt ihr doch selber gesagt. Also viel Glück!
Alles klar.
Doch selbst, wenn sie nicht weg konnten, so hätten die Anderen zumindest versuchen können, sie an Ihrem Leben ein wenig teilhaben zu lassen. Sie hätten dafür nichts aufgeben, einfach nur ein wenig in Kontakt bleiben müssen. Sie hätten ihnen helfen können, sich von der Erde und den Menschen, die sie dort zurückgelassen hatten zu verabschieden. Jack hätte sich dringend noch einmal mit Sara aussprechen müssen, an Doppelgänger war sie schließlich gewöhnt.
Doch waren Sie ihnen in dieser Hinsicht auch nur einen kleinen Schritt entgegen gekommen? Nein. Sie hatten ihnen nicht einmal in rein materieller Hinsicht geholfen. Ein paar Container mit Ersatzteilen und Dingen, mit denen man dieses Loch hier wohnlich gestalten konnte, hätten ja schon ausgereicht.
Nicht einmal das hatten sie bekommen, denn eine wie auch immer geartete Hilfe oder Unterstützung hätte von den Anderen verlangt sie als Menschen anzuerkennen, vielleicht sogar als Teil von Ihnen selbst. Doch dazu waren Sie nicht fähig gewesen.
Gut, Jack und seinesgleichen mochten so aussehen wie Sie, so reden wie Sie, aber trotzdem waren sie für die Anderen nur Maschinen. Roboter. Nicht lebendiger und womöglich auch nicht realer als die Person, die man hinter einem Spiegel zu sehen glaubte.
Und darin lag ein weiteres Problem: Den Anderen mussten sie und die ganze Situation überhaupt reichlich irreal vorgekommen sein. Sie waren hier aufgewacht und hatten plötzlich Sich selbst gegenübergestanden. Es musste Ihnen ein wenig vorgekommen sein, als ob Sie gar nicht erwacht wären, sondern statt dessen in einem Traum geblieben waren, in dem Sie Sich selber bei Handlungen beobachten konnten, die nicht Ihre eigenen waren.
Synthetische Gegenstücke, hatte Harlan versucht Ihnen zu erklären. Synthetisch?! hatte der andere Jack ungläubig gefragt. Jack glaubte, dass es Ihm bis zum Schluss schwer gefallen war das ganze Geschehen überhaupt als real zu akzeptieren.


In Ihren Augen waren sie nur Maschinen geblieben. Replikanten. Ausgeburten einer außerirdischen Technologie. Wenn Jack es nicht am eigenen Leib erfahren hätte, dann hätte er auch nicht geglaubt, das die da irgendetwas mit ihm gemein haben könnten. Er hätte sich einfach dagegen gesperrt, denn wenn sie trotz allem mehr als nur Roboter gewesen wären, dann hätten sie die den Anderen etwas wegnehmen können. Als Roboter waren sie bedeutungslos, doch als Menschen hätten sie Ihnen Ihre Einzigartigkeit genommen, einen Teil Ihrer Identität und Ihr Monopol auf Ihre Persönlichkeit. Jack hätte niemals mit einer Maschine, egal wie menschlich sie auch war, sein Leben geteilt. Deswegen hatte Er sie einfach zurückgelassen. Und Er hatte auch noch darauf bestehen müssen, dass sie das Tor verschlossen.
Ja, das Stargate zu vergraben löste wirklich viele Probleme! Es war der perfekte Schutz vor Leuten mit denen man nichts zu tun haben wollte. Ob Goa’uld oder die eigenen Kopien – beide hielt man sich auf diese Art vom Leib.
Vielleicht hatte dabei für den Anderen Sorge um die Erde mitgespielt. Aber es war mit Sicherheit auch eine Furcht ganz privater Natur gewesen. Er hatte gefürchtet, in einen Spiegel zu sehen und dort einen Teil Seiner Persönlichkeit zu erblicken, den Er nicht sehen wollte. Jack war für Ihn etwas, dass nicht Er war, aber Ihm auf seltsame Weise irgendwie ähnelte und dadurch in Seinem Namen Dinge tun konnte, mit denen Er nicht einverstanden war. Er musste Angst gehabt haben Sich aufgrund dieser Ähnlichkeit für etwas verantworten zu müssen, das nicht unter Seiner Kontrolle stand. Und deswegen hatte Er dafür sorgen müssen, dass Jack ruhig gestellt wurde und diese Welt niemals verließ.
Brich all deine Brücken hinter dir ab. Du weißt nie wer dir folgen könnte... Natürlich war es für Sie auch Selbstschutz gewesen. Sie würden sich nie mehr begegnen. Damit hatten die Anderen sich Ihre Einzigartigkeit endgültig gesichert. Sie konnten Ihr Leben einfach fortführen, als wäre nichts geschehen und konnten Sich der Illusion hingeben, dass die Figuren auf PX3989 vielleicht überhaupt nicht real gewesen wären. Sie würden es verdrängen können und nie mehr in Zweifel ziehen müssen, ob Sie wirklich Sie selbst waren oder ob Sie damals richtig gehandelt hatten.
Während die Identität der Anderen aber nie wirklich zur Diskussion gestanden hatte, hatten sie selber diese verloren. Die Anderen waren die gleichen geblieben. Natürlich waren Sie das, warum sollten sich auch Originale, nur weil eine Kopie existierte, plötzlich verändern? Nur in Ihrem Kopf war Ihre Existenz bedroht gewesen.
Doch für Jack und seine Freunde war als Kopien kein Platz im Universum. Als Roboter mit menschlicher Persönlichkeit saßen sie förmlich zwischen zwei Stühlen – sie waren weder leblose Maschinen ohne Bewusstsein noch waren sie echte Menschen, die sich auch so nennen durften. Und dadurch, dass sie aus der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen worden waren, wurde es für sie auch noch sehr schwer, sich wenigstens als Menschen zu fühlen.
Die Anderen hatten sie verraten. Es mochte keine Boshaftigkeit gewesen sein, sondern schlichte Ignoranz oder unbewusstes Wegschauen, das Sie nicht hatte erkennen lassen, was Sie mit Ihrer scheinbar harmlosen und scheinbar logischen Entscheidung sie hier alleine zu lassen, anrichteten. Doch gerade dafür begann Jack Sie zu hassen.
Meine Damen und Herren, willkommen in der Hölle. Wir hoffen, sie hatten einen angenehmen Flug...

Praktisch gleich nachdem die Anderen zur Erde zurückgekehrt waren, hatte Sam sich in ihre Arbeit gestürzt. Seitdem hatte sie sich kaum eine Pause gegönnt. Sie hatte sich ein hohes Ziel gesteckt und setzte alles daran, es auch zu erreichen.
Natürlich war sie sich im Klaren darüber, dass ihr Eifer nicht allein in ihrem bloßen Bestreben lag, einen Weg hier raus zu finden. Ihre Arbeit verlangte volle Konzentration und das war auch gut so, weil sie dadurch kaum Gelegenheit bekam, über ihre Situation nachzudenken.
Sie war von der Erkenntnis damals völlig überrollt worden, dass ihr bisheriges Leben, das sie auch leben hatte wollen und von dem sie in ihrem Alter wie selbstverständlich davon ausgegangen war es noch ein paar Jahrzehnte unbeschwert weiterleben zu können, zu Ende war. Harlan hatte früh versucht sie darauf vorzubereiten, aber sie hatte ihm erst geglaubt, als sie der Wahrheit nicht mehr hatte entkommen können.
Dabei gab es soviel, was sich hinter dem kleinen Wort „Leben“ verbarg. Von einem Moment zum anderen war sie aus ihrer gewohnten Umgebung geschleudert worden, entwurzelt von den Menschen, die ihr nahe standen und herausgerissen aus dem Körper, in dem sie geboren worden war.
So plötzlich war es gekommen, dass sie das Gefühl gehabt hatte, im vollen Lauf gegen eine Glaswand gerannt zu sein. Und noch während sie sich von diesem Schock versucht hatte zu erholen, hatte sie mit ansehen müssen, wie eine andere Version von ihr selbst die Wand einfach durchstieß und sie hinter Sich zurückließ.
Das einzige, was sie behalten hatte, war ihre Arbeit. Zumindest der wissenschaftlich-technische Teil davon. Die Reisen durch das Stargate, an die sie sich im vergangen Jahr gewöhnt hatte, war wie so vieles andere einfach verschwunden. Ihre Arbeit zeigte ihr, dass sie immer noch sie selbst war – mehr oder weniger zumindest, denn sie hatte ihre alten Fähigkeiten behalten. Dies beruhigte sie ein wenig.
Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis sie ihre Situation nicht nur verstanden, sondern auch akzeptiert hatte. Davon sie aber verarbeitet zu haben, war sie vermutlich noch weit entfernt. Nur darin lag jetzt ihr Problem. Es half alles nichts! Sie konnte sich nicht ewig hinter ihrer Arbeit verstecken. Man konnte sich nicht ununterbrochen konzentrieren, wenn da etwas war, über das man nachdenken musste.
Sam dachte an all die Freunde und Verwandten, die sie auf der Erde zurück gelassen hatte. Das Schlimme daran war, dass diese gar keine Ahnung hatten, dass Sam überhaupt weg war und sie vermisste. In Wirklichkeit war sie ja auch gar nicht weg. Die meisten würden es gar nicht erfahren und für diejenigen, die es taten, war sie nicht Sam Carter, sondern nur irgendein Android, der vorgab Sam Carter zu sein und es womöglich auch noch selber glaubte.
Von ihren näheren Verwandten würde sie ihren Bruder wohl am wenigsten vermissen. Sie und Mark hatten sich schon lange nichts mehr zu sagen gehabt. Seit der Geburt seiner Tochter vor einigen Jahren hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Bis auf ihren Dad hatte sie auch zu ihren anderen Verwanden keinen Kontakt. Zuletzt hatte sie einige von ihnen bei der Beerdigung ihrer Mutter getroffen und festgestellt, dass sie von zwei Dritteln nichtmal die Namen kannte.
Auch Dad sah sie kaum. Trotzdem vermisste sie ihn. Er hatte schlecht ausgesehen, als sie ihn das letzte Mal getroffen hatte . Aber sie hatte ihn nicht darauf angesprochen. Es hätte ihn verletzt. Ihr Vater hatte vor seiner Tochter immer der starke Soldat sein wollen, selbst jetzt wo er nur noch General a.D. und sie längst erwachsen war.
Dafür machte er sich um so mehr Sorgen um sie. Er glaubte, dass sie mit ihrer Arbeit nicht glücklich war. Das konnte sie ihm auch schwer ausreden. Analyse von Tiefenraumradartelemetrie, der Job, den sie in den offiziellen Akten hatte, war wirklich nicht besonders aufregend. Er wusste zwar, dass sie der Geheimhaltung unterlag – und er verstand das sehr gut – aber er wusste nicht, dass sie in Wirklichkeit etwas ganz anderes tat. Vielleicht ahnte er es.
Auf jeden Fall hätte sie mit General Hammond reden sollten, dass er in ihre offizielle Akte den Wechsel zu einer anderen Arbeit eintrug. Mit ihrem Doktor in Astrophysik hätte sich da bestimmt etwas passendes gefunden. Vielleicht etwas bei der NASA, wie sie es sich früher immer erträumt hatte.
Sam hatte nie einen sonderlich großen Freundeskreis gehabt. Und er war sicherlich nicht größer geworden, seit sie niemandem mehr hatte sagen dürfen, was sie Tag für Tag wirklich tat. Daher hatten sich fast alle ihre Freunde im Stargate Center befunden. Dazu gehörte vor allem Janet. Die Ärztin war ihr von Anfang an sympathisch gewesen und sie hatten sich gleich verstanden. Sie war auch ein wenig der Ausgleich dafür gewesen, dass Sam fast nur mit Männern zusammenarbeitete.
Auch General Hammond sah sie als ihren Freund an und Sergeant Davis, mit dem sie sich manchmal bei Änderungen an der Kontrollsoftware des Erdentors die Nächte um die Ohren geschlagen hatte.
Aber ihre engsten und besten Freunde waren hier bei ihr und das erleichterte sie. Es änderte nichts daran, dass sie Dad oder Janet vermisste. Aber im Moment war dies wohl das Beste, was sie erwarten konnte.
Die Tatsache, dass sie zusammen Tag für Tag ins Unbekannte vorgestoßen waren, dabei manchmal in Lebensgefahr gerieten und sich gegenseitig ihre Hintern retten mussten, hatte natürlich zusammengeschweißt. Aber das war nicht alles, was sie verband. Sie verstanden sich auch außerhalb des Diensts wunderbar, hatten einen Teil ihrer Freizeit zusammen verbracht. Besonders O’Neill, aber auch sie und Daniel hatten Teal’c, wie er es nannte, „ihre Welt gezeigt“.
Sam hatte nicht immer darauf Lust oder etwas anders zu tun gehabt, aber manchmal hatten sie sich bei einem von ihnen zu Hause getroffen und bei Pizza oder sonst was Filme angeschaut. Oder sie waren zum Essen und reden ins O’Malley’s gegangen. Das war immer sehr schön gewesen, sie hätten das öfters machen sollen.
Inzwischen war sie soweit, dass sie SG-1 als eine Art Ersatzfamilie ansah. Für sie waren Daniel und Teal’c nicht einfach nur Freunde sondern fast schon Brüder. Sie wusste, dass auch Daniel sie auf diese Weise Art betrachtete und Teal’c... es fiel schwer zu sagen, was Teal’c wirklich dachte, aber sie glaubte, dass auch er ähnlich empfand. Er konnte sehr starke emotionale Bindungen eingehen.
Nur mit Jack – dem Colonel – sah es ein wenig anders aus. Sie waren Freunde. Sehr gute Freunde, die sich prächtig verstanden. Sie mochte seinen Humor, seine ganze Art, mit der er sich zum Beispiel vor eine Versammlung aus hohen Vertretern eines Volkes hinstellte, die ihn schwülstig begrüßten, während er sich auf ein einfaches „Hi Leute!“ beschränkte. Er tat gerne so, als sei er schwer von Begriff, aber das war er nicht.
Doch trotz aller Freundschaft herrschte zwischen ihnen immer eine Spannung, die auch nach Dienstschluss nicht verschwand. Sie blieben immer ein bisschen auf dienstlicher Distanz.
Aber da war noch etwas. Etwas das dazu in ständigem Widerspruch stand. Ein Gefühl, dass sie in dieser Form nicht haben wollte. Es hatte sich ganz langsam angeschlichen und als es dann plötzlich vor ihrer Nase auftauchte, war es ihr sehr schwer gefallen es schnell zu verdrängen. Noch immer hoffte sie, dass es einfach verschwinden würde wie eine flüchtige Laune.
Es war schlicht und einfach nicht richtig. Allein schon deswegen, weil sie glaubte, dass er immer noch seiner Ex-Frau nachtrauerte. Aber vor allen Dingen war er ihr CO und sie sein 2IC . Wenn sie Freunde waren, dann

war das gut, aber mehr war absolut unmöglich. Ein Zögern im falschen Moment und das ganze Team konnte sterben. Vielleicht blieb sie deshalb so auf Distanz.
Sam lauschte eine Weile ihren Gedanken nach. Im Prinzip konnte sie sich glücklich schätzen. Sie hatte zwar einige Personen verloren, die ihr wichtig waren, aber sie hatte auf der Erde oder im Universum nichts unerledigt zurückgelassen. Ihre Freunde hier waren in dieser Hinsicht nicht so gut dran.
Es würde nicht leicht werden. Für keinen von ihnen. Aber es würde mit Sicherheit unerträglich werden, wenn sie mit ihrer Arbeit nicht fertig würde. Diese Konservendose mit nur vier Gesichtern darin würde sie bestimmt irgendwann die Wände hochgehen lassen, wenn sie hier nicht raus kam. Also wandte sie sich mit einem Seufzer wieder dem Computerterminal zu.

Harlan schob das kleine Metallblättchen, das früher wahrscheinlich mal blau angesprüht gewesen war, auf dem Spielfeld umher. Das Spiel nannte sich Kadis-Kot. Daniel wollte gar nicht wissen wie viel Zeit Harlan mit diesem selbst gebastelten Spiel verbracht hatte, als es noch Leute gegeben hatte, gegen die er antreten konnte.
„Du siehst besorgt aus“, erkannte Daniel.
„Oh, tue ich das?“ Harlan dachte nach. „Ja, das kann sein. Ich mache mir Sorgen. Es sind deine Freunde.“
„Wieso?“ fragte Daniel.
„Sie helfen nicht die Station zu reparieren. Das ist nicht gut.“ Er schüttelte nervös den Kopf und bekräftigte dann noch mal: „Nicht gut.“
„Na ja, du bist auch nicht gerade hilfreich. Du könntest Sam helfen.“
Harlan tat, als hätte er Dr. Jackson nicht gehört. Diesen wunderte das nicht. Er hatte ausführlich versucht Harlan umzustimmen, ohne Erfolg. Und da Harlan bei diesem Thema immer recht ungnädig wurde, hatte er es des lieben Friedens willen in Zukunft sein gelassen.
„Sie passen sich nicht an. Warum können sie nicht einfach aufhören sie zu sein?“ fragte Harlan statt einer Antwort verzweifelt.
„Du musst das verstehen. Es liegt nun mal in unserer Natur uns so zu verhalten“, erklärte Daniel sanft.
„Nicht du“, schränkte Harlan ein. „Du bist anders. Du hast es verstanden!“
Daniel legte die Stirn in Falten. „Wie meinst du das?“
„Du weißt, dass wir nicht leben können, ohne die Station. Du hilfst sie zu reparieren. Du hilfst mir.“ Er schüttete noch einmal den Kopf. „Die anderen tun das nicht.“
„Du bist enttäuscht“, riet Daniel.
„Nein, nicht enttäuscht. Es wird sich geben.“ Er gluckste. „Sie werden es noch verstehen.“
Nach einiger Zeit fragte er: „Glaubst du, dass sie mir böse sind?“
Daniel zögerte einen Moment. Er hätte Harlan anlügen können, wollte aber nicht sein Vertrauen enttäuschen. „Ein wenig vielleicht...“ gab er zu. „Aber nicht sehr. Ich glaube, dass es vorbei gehen wird. Du hast nur versucht zu überleben. Das werden sie begreifen.“
Daniel schob einen seiner Spielsteine vor. Sie waren mal rot gewesen. Harlan musterte das Spielbrett und kaute nervös an seinen Fingernägeln. Dann kicherte er plötzlich und verschob einen seiner Steine. Daniel hatte verloren. „Ist es eigentlich möglich gegen dich zu verlieren?“
„Oh, wenn du ein paar hundert Jahre übst... vielleicht.“ Er konnte sein Grinsen kaum zurückhalten.
Tss! Auch Daniel konnte nicht anders als das Grinsen zu erwidern. Was für ein Wahnsinn...

Wer hatte sich nicht schon einmal Unsterblichkeit gewünscht. Wenn das Leben zu kurz war, um alle Ziele zu erreichen, wenn das Alter gefürchtet wurde wie eine Krankheit, träumten die Menschen von der Unsterblichkeit.
Für Jack war es die Hölle. Sie waren nun unsterblich, doch was war der Preis? Nicht mehr und nicht weniger als ihr Menschsein. Ein Pakt mit dem Teufel hätte kaum schlimmer ausfallen können.
Der Gedanke an einen perfekten Körper mochte in der Theorie etwas Verlockendes haben. Und tatsächlich waren diese Maschinen nicht nur sehr stark und widerstandsfähig, sondern auch täuschend echt. Niemand konnte sehen, dass es keine echte Haut war, die sich über die metallenen Schädel spannte. Manchmal konnte man vergessen, dass kein Blut in den eigenen Adern kreiste. Doch immer wieder wurde einem eben das schmerzhaft bewusst.
Jack hatte im Labor einen Energieriegel gefunden, der einem der Anderen aus der Tasche gefallen sein musste. Er hatte seit Ewigkeiten nichts mehr gegessen. Wie als ob er am Verhungern gewesen wäre, hatte er die Folie aufgerissen und sich das Ding in den Mund gestopft.
Die Air Force behauptete, dass sie alle Stoffe enthielten, die man zum vorläufigen Überleben brauchte. Jack wusste aus leidiger Erfahrung, bei der er tagelang von diesem Fraß gelebt hatte, dass dies auch stimmte. Nur wurde man nie davon satt und schmecken tat es grauenhaft – wie als ob man Mehl mit Gelatine und ein wenig Zucker vermischte hätte.
Doch jetzt schmeckte er überhaupt nichts. Nicht einmal eine Rückmeldung der Geschmacksnerven, dass da etwas war, dass nach Nichts schmeckte. Jack sah auf die Folie und suchte nach dem Haltbarkeitsdatum. Der Riegel musste noch gut sein. Die Folie hatte auch keinen Riss an einer anderen Stelle, als da wo er sie aufgerissen hatte.
Nur langsam tröpfelte die Wahrheit in sein Bewusstsein. Es lag nicht am Riegel. Er war es, der nichts mehr schmecken konnte. Er hatte keinen Geschmacksinn mehr! Wozu auch, wenn er nicht mehr essen musste? Der Brei des Riegels war wie ein schleimiger Fremdkörper in seinem Mund. Schnell versuchte er das Zeug herunterzuwürgen, aber er konnte nicht schlucken. Immer wieder versuchte er es. Vergeblich. Bisher schien er nie Probleme mit dem Schlucken gehabt zu haben. Schließlich bewirkte er nur das Gegenteil, er begann zu husten und spie den Schmodder wieder aus.
Das war’s also, er konnte nicht einmal mehr essen. Dazu war diese Maschine, die jetzt sein Körper war, einfach nicht geschaffen. Der Gedanke an all die guten Sachen, die er nie wieder schmecken würde, machte ihn krank.
Möglicherweise würde er sich irgendwann mit all dem Abfinden und sich statt dessen auf die Vorteile konzentrieren, die ihre Existenz mit sich brachte. Sie würden alle Zeit der Welt haben, um sich daran zu gewöhnen. Eine andere Wahl hatten sie gar nicht.
Aber Jack fürchtete, dass die Probleme bei ihren Körpern erst beginnen würden, sobald er sich mit viel grundsätzlicheren Dingen wie der Frage befassen würde, was er mit der unendlichen Zeit anfangen sollte, die ihnen nun zur Verfügung stand. Denn was nützte einem die Unsterblichkeit, wenn da nichts mehr war, für das es sich zu Leben lohnte?

Wallace’ Tod war für Harlan der größte anzunehmende Unfall gewesen, sein persönlicher worst case.
Das Ende der eigenen Zivilisation miterleben zu müssen war schon mehr als die meisten hätten verkraften können. Damit hatte es das Schicksaal jedoch nicht bewenden lassen. In den folgenden Jahrtausenden hatte Harlan die Zahl seiner Freunde immer weiter schwinden sehen. Viele waren beim Herstellungsprozess gestorben. Die, die ihn überstanden, hatten sich zum größten Teil nie mit ihrer neuen Existenz anfreunden können. Einer nach dem anderen hatten sie die Reichweite der Energiequelle verlassen und so ihrem Dasein ein Ende gesetzt.
Harlan hatte mit ansehen müssen, wie eine tragbare Energiequelle nach der anderen heimlich aus dem von Hubald verschlossenen Raum entwendet wurde. Es hatte ihn geschmerzt zu sehen, wie seine Freunde die Tür schließlich ganz offen aufbrachen und die Quellen verlosten. Sie waren so besessen von dem Wunsch gewesen, sich ein neues Leben auf einer anderen Welt aufzubauen, dass es außer Mord- und Totschlag keine andere Möglichkeit gegeben hätte, die kleinen Koffer zu verteilen.
Wallace hatte nicht zu denen gehört. Er hatte versucht sie zur Vernunft zu bringen – vergeblich. Sie hatten sich nicht aufhalten lassen, obwohl auch die tragbaren Energiequellen sie nicht auf ewig versorgen konnten. Und selbst diejenigen, die Leer ausgegangen waren, hatten die Station verlassen. Sie hatten sich der irren Möglichkeit hingegeben, draußen irgendeinen Weg zu finden auch ohne die Energie der Station leben zu können – wo doch jeder wusste, dass so was unmöglich war.
Wallace dagegen war in seiner Existenz genauso aufgegangen wie Harlan. Über vier Jahrtausende hinweg war er die einzige andere Person auf dieser Welt gewesen, die Harlan noch gehabt hatte. Dann jedoch kam es zu diesem Unfall und Wallace opferte sein Leben. Seitdem hatte Harlan allein gelebt.
Lange Zeit war die Station vor sich hin gerottet, weil er nicht die Kraft aufgebracht hatte, die nötigen Wartungen vorzunehmen. Viel war in dieser Zeit zerstört worden. Das einzige, was Harlan damals getan hatte, war systematisch alle Uhren zu entfernen. Er hatte es nicht mehr ertragen können zu sehen, wie einerseits die Zeit nur quälend langsam verging und andererseits in dieser quälenden Langsamkeit ganze Lebenspannen an ihm vorbeizogen, ohne dass etwas bemerkenswertes passierte.
Doch Harlan hatte sich auch mit diesem Schlag des Schicksaals abgefunden. Er hatte länger alleine gelebt als fünf Dutzend Menschenleben und er wusste, dass diese Zeit nicht spurlos an ihm vorüber gegangen war. Insgeheim hatte er sich immer gefragt wie lange er es noch alleine aushalten würde.
Es war so still gewesen. Der Stationscomputer war die einzige Stimme, die er über lange Zeit hörte. Doch alles was dieser tat, war Warnungen darüber auszusprechen, was dringend repariert werden musste. Sie mochten einen Geist in einen Computer übertragen können, doch hatten sie es nie geschafft eine echte künstliche Intelligenz zu schaffen, mit der er sich ernstlich unterhalten hätte können. Die seelenlose Stimme hatte ihn sich nur noch einsamer fühlen lassen.
Also hatte er begonnen sich mit Wallace zu unterhalten. Er hatte mehr mit ihm geredet, als zur Zeit in der er noch gelebt hatte. Sie hatten diskutiert und über alltägliche Dinge geredet, manchmal hatten sie sich sogar gestritten.
Harlan hatte sich gefragt, ob es ein Zeichen von Wahnsinn war, wenn man mit einer Person redete, die längst tot war. Es war auf seiner Welt immer allgemein behauptet worden ein solches Verhalten wäre normal, aber wäre es nicht auch normal gewesen durchzudrehen? Und was wäre, wenn er aufgehört hätte mit Wallace zu reden? Vielleicht hätte das ihn in den Wahnsinn getrieben.
Also hatte er weiter geredet. Ob ihn das den Verstand kosten würde oder nicht, hatte er damals nicht sagen können, aber es war jeden Fall angenehmer als die Stille gewesen.
Doch dann war mit einem mal alles besser geworden. Es waren vier neue Freude durch den Ring gekommen. Äußerst prächtige Exemplare ihrer Spezies. Besonders Captain Carter. Weiblich! Und selbst Teal’c – auch wenn er irgendwie anders war.
Vor lauter Freude über den Besuch hatte Harlan den Neuankömmlingen das größte Geschenk gemacht, der er ihnen bieten konnte: Unsterblichkeit und einen perfekten Körper.
Natürlich war er sich dabei im Klaren gewesen, dass er nicht nur aus Menschenliebe handelte. Er brauchte sie schließlich zum überleben. Für seine Gesundheit und die der Station. Aber er schadete ihnen durch seinen Selbstnutz schließlich in keinster Weise! Er tat ihnen ja nichts. Er verbesserte sie nur.
Doch sie hatten ganz anders reagiert, als er erwartet hatte. Ihren Wunsch diese Welt zu verlassen hatte er anfangs mit Unglauben und sogar Angst aufgenommen. Dann war daraus Besorgnis und schließlich Ärger geworden. Warum mussten sie nur so stur sein?
Bei all seinem Verständnis, das er im laufe der Jahrhunderte gegenüber Unsterblichen entwickelt hatte, waren Sterbliche für ihn ein Rätsel geworden. Leider benahmen seine Freunde sich noch wie selbige und daher fiel es ihm schwer sie zu verstehen.
Aber er wollte nicht undankbar sein. Zwar redeten sie nicht viel mit ihm und schlossen ihn noch weitgehend aus ihrer Gesellschaft aus, aber selbst ihr Schweigen war mehr als er sich lange erträumt hatte. Bereits die Tatsache, dass er nicht mehr alleine war, war eine unglaubliche Hilfe.
Inzwischen war er zu der Überzeugung gelangt, dass es besser für sie war, sich langsam von ihrer alten Existenz zu lösen. Sie konnten das nicht so wie er damals von jetzt auf gleich schaffen. Er würde lernen müssen Geduld mit ihnen zu zeigen. Schließlich verfügte er darüber zur Genüge. Wenn sie die Versuche ihrer neuen Existenz zu entfliehen erst einmal richtig ausgelebt hatten, würde es ihnen später umso leichter fallen das Geschenk zu akzeptieren.

Für Jack war es völlig klar gewesen, dass er Daniel im Archiv finden würde. Entweder er war bei Harlan und half ihm – freundlich wie er war – bei den Reparaturen, oder er war hier.
Sie hatten das Archiv bei ihren Erkundungstouren durch die Station gefunden. Der Raum lag auf der untersten Ebene, war nicht sonderlich groß, aber bis zum Rand mit Datenspeichern gefüllt. Die Altairaner hatten gewusst, dass ihre Welt sterben würde und hatten daher versucht, möglichst viel von ihrem Wissen und ihrer Kultur in den Speicher zu laden um so das, was ihr Volk auszeichnete, für die Ewigkeit zu konservieren.
„Ah, Jack. Da sind sie ja!“ begrüßte ihn Daniel begeistert. „Ich habe herausgefunden, was diese Zivilisation ausgelöscht hat. Offenbar gab es einen Krieg mit sehr fortschrittlichen Waffen, der schließlich zu ihrer Vernichtung führte. Allerdings hatte Hubald, der Erschaffer der Station, das jedoch geahnt und...“
„Danke, Daniel. Jetzt nicht“, seufzte Jack. „Schon was rausgefunden, das uns vielleicht weiterhelfen könnte?“
Daniel sah ihn ein wenig irritiert an. Wahrscheinlich hatte er gar nicht die Absicht gehabt, irgendetwas bestimmtes zu suchen, was ihnen weiterhelfen könnte. Es war reine Neugierde, die ihn angetrieben hatte.
Jack fuhr gleichgültig mit den Fingern über die Speicher als suche er nach Staub. „Nein“, gab Daniel zu. „Aber Jack das – das ist das größte Archiv, das ich je gesehen habe. Das Wissen eines ganzen Volkes“, sagte er ehrfürchtig. „Seine Anwesenheit allein ist schon ein Wunder.“
„Ich weiß, das sie das alles total faszinierend finden, aber was nützt einem alles Wissen des Universums, wenn man es mit niemandem teilen kann?“ fragte Jack frustriert und wiederholte dabei unbewusst die Worte von Ernest Littlefield, der über 50 Jahre allein in einem Archiv von vier Alienrassen verbracht hatte. „Ich dachte, das hätten sie inzwischen begriffen!“
„Jack, was ist los?“
„Was los ist? Ich habe eben versucht zu essen. Und ich weiß nicht, wie sie das sehen, aber ich habe ein verdammtes Problem damit, dass wir nur Maschinen sind!“
„Im Prinzip ist der menschliche Körper auch nur eine Maschine.“ Es klang ein wenig so, als hätte Daniel sich diesen Satz in seinem Geist immer und immer wieder vorgesagt und zurecht geschliffen. „Alles, was er tut, tut er, um unseren Geist am Leben zu halten und es ihm zu ermöglichen mit der Umwelt zu interagieren.“
„Genau das ist es“, rief Jack aufgebracht, den erhobenen Zeigefinder wie eine Faust schüttelnd. „Der menschliche Körper. Wir sind aber keine Menschen mehr.“
„Aber all das, was uns zu den Personen macht, die wird sind, ist gleich geblieben. Ich bin immer noch Daniel Jackson. Unsere Erinnerungen, unsere Persönlichkeit. All das ist erhalten geblieben.“
„Wir bleiben Kopien und das werden sie nicht anders nennen“, schnarrte Jack.
„Mag sein, aber wir sind besser als die Originale“, sagte Daniel voller Überzeugung.
„Häh? Daniel, aufwachen!“ er tat so, als würde er ihm aus der Entfernung zuwinken. „Wo immer sie sind – hier ist die Realität!“
„Ich bin mir dessen sehr wohl bewusst.“
„Dann müsste ihnen auch aufgefallen sein, dass uns einiges abhanden gekommen ist, dafür das diese Körper perfekt sein sollen. Haben sie seit wir hier sind jemals geschlafen oder etwas gegessen?“
„Nein. Ich rede ja auch gar nicht von Perfektion...“ Er griff sich an die Nasenwurzel wo früher seine Brille gesessen hatte. „Aber sie müssen das so sehen: Das alles war kein Selbstzweck. Er war eine Notwendigkeit für unsere Körper, da sie ansonsten einfach nicht funktioniert hätten. Wenn man es so betrachtet, war es eigentlich eher eine Behinderung.“
„Also ich für meinen Teil habe gerne gegessen.“
„Ich behaupte ja auch nicht, dass ich es nicht vermissen würde. Aber wenn man es mal objektiv betrachtet, ist es vielleicht wirklich besser so.“
„Ich kann aber jetzt nicht objektiv sein. Ich drehe hier noch durch.“ Mit weiten Schritten begann er den Raum zu durchqueren, wie um seinen Gefühlen Luft zu machen. „Was ist mit Sha’re?“ schoss er dann, als er wieder vor Daniel stand. Wäre er nicht so aufgewühlt gewesen, hätte er den Satz bedauert, sobald er draußen war.
Daniels Gesicht verfinsterte sich für einen Augenblick. „Ich kann nur hoffen, dass mein anderes Ich sie finden wird“, flüsterte er dann.
Jack nahm seine Wanderung durch das Archiv wieder auf. Daniel seufzte und suchte nach einem Weg Jack aufzumuntern. „Sie sollten nicht immer nur das Negative sehen. Schauen sie mich an. Ich brauche keine Brille mehr. Und Sam – sie würde sich hier kaputtmachen, weil sie sich weigern würde zu schlafen, bevor sie das Problem gelöst hätte. Ich bin mir sicher, dass sie froh drum ist.“
Vom anderen Ende des Raumes schnellte Jack herbei und brachte sein Gesicht auf gleiche Höhe mit dem von Daniel, der immer noch auf einem der klapprigen Drehstühle saß. Ihre Nasen berührten sich fast. „Wenn diese Körper nicht wären, hätte sie aber gar nicht das Problem.“ zischte er dann und erhob sich wieder.
„Warten sie doch einfach ab, bis sie es gelöst hat“, bot Daniel ihm an. „Sie können sich ja schon mal überlegen, was sie tun wollen, wenn wir von hier fort können.“

Daniel Jackson hatte nie sehr an seinem Körper gehangen. Er war für ihn immer etwas gewesen, das ihm die Natur ihm mitgegeben hatte und mit dem er nun leben musste. Auf das, was ihm zu dem machte, was er war – nämlich sein Verstand und seine Persönlichkeit – war es ihm dafür umso mehr angekommen. Wenn er in den Spiegel gesehen hatte, sah er immer nur sich selbst und nicht seinen Körper.
Sein Körper war für ihn nie etwas gewesen, auf das er hätte stolz sein können oder das große Fürsorge verdient hätte. Wenn man so wie er sein halbes Leben auf Ausgrabungen und in Universitäten verbracht hatte, fand man einfach keine Zeit dafür. Das rücksichtslose Brüten über schlecht leserlichen Aufzeichnungen hatten ihm seine Augen mit einer Brille gedankt.
Er hatte auch nie Sport betrieben, um diesen Körper zu pflegen. Das war erst gekommen, als er begonnen hatte mit zwei Air Force-Militärs und einem Jaffa-Krieger zusammenzuarbeiten mit denen er irgendwie mithalten musste, wenn sie da draußen Leuten begegnet waren, die was gegen sie hatten. Es war aber nie Selbstzweck gewesen.
Deshalb war der neue Körper für ihn mehr eine Erleichterung als eine Last. Er war immer noch er selbst. Er hatte seinen Körper nie ernsthaft in die Definition seiner Person mit einbezogen. Der Vorteil war, dass er nun frei war von den diversen Zwängen, die ihm sein Körper auferlegt hatte.
Auch die Tatsache, dass er hier vorerst nicht weg konnte, störte ihn nicht. Er war überzeugt davon, dass Sam diesen Zustand eines Tages beenden würde und bis dahin war er reichlich beschäftigt.
In einem einzigen Jahr in SG-1 hatte er mehr gesehen, als in seinem ganzen Leben zuvor. Selbst seine Zeit auf Abydos konnte das nicht aufwiegen. Er hatte die Überreste von Kulturen gefunden, die von der Erde gestammt hatten. Die Kenntnis dieser Zivilisationen hatte viele weiße Flecken in der Geschichtsschreibung der Erde aufgedeckt.
Aber noch viel interessanter als die vergangenen Zivilisationen waren die noch existenten gewesen. Manche hatten sich weiterentwickelt, hatten gar die Menschen von der Erde in ihrer Entwicklung überholt. Andere dagegen lebten immer noch wie sie es auf der Erde schon teils vor tausenden von Jahren getan hatten. Es war unglaublich faszinierend das mit eigenen Augen sehen zu können.
Doch so beeindruckend alles war, so sehr hatte er es jedes Mal bedauert wieder fortgehen zu müssen. Nie hatte er eine Kultur oder ihre Überreste so studieren können, wie sie es verdient hätten. Natürlich hatte er seine Zeit im Stargate Center verbracht seine gesammelten Unterlagen auszuwerten, aber dies war immer nur ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen. Sein einziger Trost war immer die nächste Zivilisation oder das nächste Abenteuer gewesen, das auf sie wartete.
Hier hatte er im Archiv der Station nun endlich einmal die Möglichkeit die Kulturen eines Planeten zu erforschen. Früher wäre er nicht einmal in der Lage gewesen das Archiv überhaupt zu sichten. Jetzt bot sich ihm die einmalige Möglichkeit, es bis ins Detail zu studieren. Es war gewiss der größte Schatz, den Altair zu bieten hatte und er hatte das Glück gehabt ihn zu finden.

Seit Jack der Air Force beigetreten war, hatte er fast sein ganzes folgendes Leben zwei Kennmarken um den Hals getragen. Er hatte sich so daran gewöhnt, dass er sie schon gar nicht mehr gespürt hatte. Die Marken waren zusammen mit seiner Identität verschwunden. Erst jetzt wo sie fehlten, wurde er sich ihrer wieder bewusst.
Deswegen stellte sich Jack aus einer dünnen Metallplatte ein einzelnes kleines Schildchen her, das er von nun an einem Kabel um den Hals trug. Jonathan O’Neill hatte er mit einem Hammer und einer Schraube hineingeschlagen. Keine Personalnummer, keine U.S. Air Force, kein Rang. Sein Name war alles, was ihm von seiner Identität geblieben war.
Aber selbst bei seinem Namen war es zweifelhaft, ob er ihn überhaupt tragen durfte...

Natürlich hätte er es nie gewagt, seine neuen Freunde einem Risiko auszusetzen. Natürlich hätte er sie nie dupliziert, wenn er nicht gewusst hätte, dass es sicher war. Trotzdem war es eine Erleichterung für Harlan gewesen, als er seine Freunde zum ersten Mal bei Bewusstsein gesehen hatte.
Ähnlich war es auch bei ihren organischen Vorlagen gewesen. Es war faszinierend gewesen zuzusehen, wie sie wieder zu Bewusstsein kamen. Auch für sie war der Vorgang sicher, doch es war das erste Mal gewesen, dass organische Vorlagen auch tatsächlich das Bewusstsein zurück erlangt hatten.
Früher hatte die Schaffung eines neuen Körpers noch fast immer den Tod des Originals bedeutet. Das Auslesen der neuronalen Strukturen hatte damals das Gehirn beschädigt. Da nach erfolgreichem Kopieren kein Bedarf mehr am organischen Vorbild bestand, hätte das früher niemanden großartig gestört – wenn sich nicht auch manchmal Fehler in die synthetischen Gehirne eingeschlichen hätten, mit denen die neuen Körper nicht richtig funktionieren konnten. So war es vorgekommen, dass der alte Körper starb, bevor sie eine funktionierende Kopie erstellt hatten. Für Secara, Bareeth und Tira hatte das den Tod bedeutet. Nur diese drei hatte Harlan genauer gekannt, aber es hatte noch mehr Opfer gegeben. Viel zu viele.
Alle hatten sie damals Hubald geraten sein eigenes Kopieren so lange wie möglich aufzuschieben. Sein Wissen war zu wertvoll gewesen. Sie hatten es erst riskieren wollen, wenn es nicht mehr anders ging. Doch Hubald hatte nicht auf sie gehört und sich wie die anderen auch dem Prozess unterworfen, den er entwickelt hatte. Er hatte es nicht überlebt. Viele seiner Geheimnisse waren verloren gegangen.
Nur kurze Zeit später war es dann Wallace gelungen den Scanner, der die Daten zum Kopieren des Hirns lieferte, durch eine kleine Änderung zu verbessern. Danach war es so gut wie nicht mehr vorgekommen, dass jemand bei dem Prozess starb. Ein erfreulicher Nebeneffekt war es gewesen, dass auch ihre Originale unbeschadet daraus hervorgingen.
Wallace hatte immer geglaubt, dass Hubald kurz vor seinem Ableben auch auf die Idee mit dem Scanner gekommen sein musste, die nötigen Änderungen jedoch nicht hatte vornehmen wollen, bevor er sich selber dem Risiko ausgesetzt hatte, das er ihnen bisher zugemutet hatte.
Es war eine große Erleichterung gewesen, dass sich niemand mehr vor dem Duplizieren hatte fürchten müssen. Doch durch diesen Vorteil hatten sie ein Problem bekommen, dass sie vorher nicht gehabt hatten: Was sollten sie jetzt mit ihren Originalen anfangen? Sie konnten sie nicht hier behalten – der Sinn der ganzen Aktion war ja schließlich die Tatsache gewesen, dass sie in der Station nicht auf Dauer leben konnten. Andererseits hatte es niemand über sich gebracht, sie zu wecken und zurück an die Oberfläche zu schicken.
Vorläufig waren sie diesem Problem aus dem Weg gegangen, indem sie sie einfach im Zustand der reduzierten Körperfunktion gelassen hatten, in den sie für den Kopiervorgang versetzt worden waren.
Dann waren auf der Oberfläche die ersten Bomben gefallen und hatten ihre vernichtende Kraft entfaltet. Sie hatten gewusst, dass es soweit kommen würde. Irgendwie hatte es jeder gewusst. Doch dieses Wissen hatte nichts daran geändert, dass es geschah.
Der Reihe nach waren die Datenströme von jeder Stadt, zu der sie Verbindung hatten, abgebrochen. Während sie in den Tiefen der Station sicher waren, hatten sich diese Wahnsinnigen an der Oberfläche gegenseitig ausgelöscht.
Nachdem es vorbei war, hatte sich eine ganze Weile bei ihnen das Gerücht von einem großen unterirdischen Komplex irgendwo auf dem Südkontinent gehalten. Man hatte gemunkelt, dass dort ganze Familien Unterkunft gefunden hätten und das es dort unterirdische Gärten mit künstlichem Sonnenlicht gab. Doch wenn dort oder in irgendeinem unzerstörten Bunker jemand überlebt hätte, dann hätten sie früher oder später irgendwie mit ihm in Kontakt kommen müssen. Seit dem Tag der Vernichtung jedoch kam aus dem Empfänger des Subraum-Radios nur das entnervende Rauschen der Statik.
Von einem Tag auf den anderen plötzlich zu den letzten Überlebenden eines ganzen Planten zu gehören, war ein gewaltiger Schock für sie alle gewesen. Einige hatten sich nie davon erholt und waren einfach zusammengebrochen. So ziemlich jeder hatte sich einmal gefragt, warum ausgerechnet sie verschont geblieben waren. Sie waren nicht besser als alle anderen Altairaner. Warum also sie?
Harlan hatte sich gesagt, dass er nicht aufgeben durfte. Verdient oder nicht, sie trugen jetzt die Verantwortung dafür, dass die Kultur von Altair erhalten blieb – allen Widrigkeiten zum Trotz. Woher er die Kraft genommen hatte, diesen Gedanken die ganze Zeit über aufrecht zu halten und letztlich in dieser neuen Welt zu leben, wusste er bis heute nicht.
Während all dieser Aufregung hatte niemand mehr an ihre organischen Vorlagen gedacht. Trotz all der Aufregung war es war schon komisch, dass keiner auf den Gedanken gekommen war, dass auch Menschen, deren Körperfunktionen zuletzt sogar bis auf das absolute Minimum reduziert worden waren, Nahrung benötigten. Als sie nach langer Zeit wieder nach ihnen gesehen hatten, waren sie alle verhungert gewesen.
Was für ein Unglück...

Das regelmäßige Schwingen des Pendels hatte etwas beruhigendes, selbst wenn man nicht meditierte. Das Pendel folgte seiner Bahn. Auf und ab und wieder auf. Es bewegte sich mit der einmal aufgebrachten Energie, ohne noch weitere zu benötigen. Wenn es keine Reibung gegeben hätte, würde das ewig so weitergehen. Doch immer wurde der Ausschlag irgendwann dann doch kleiner und kleiner.
Die Zeiten des großen Kriegers von Chulak, der selbstlos für die Freiheit seines Volkes kämpfte, waren vorbei. Der Andere hatte seinen Platz eingenommen – oder hatte er selber ihn verlassen?
In dem knappen Jahr, das bis zu seiner Ankunft auf Altair seit seiner Abkehr von Apophis vergangen war, hatte er an seiner damaligen Entscheidung kein einziges Mal gezweifelt. Dennoch war der Schmerz da gewesen, dass er seine Familie hatte zurücklassen müssen und so ihrem Schicksaal überlassen hatte. Oft hatte er sich gewünscht, sein Volk wäre bereits von den falschen Göttern befreit und er hätte wieder mit seiner Familie zusammen leben können.
Es hätte etwas positives sein können das es nun jemanden gab, der für all seine Verpflichtungen gegenüber sich und der Welt einstand, wenn er dadurch die Freiheit erhalten hätte, sich mehr um seine Familie zu kümmern. Er hätte sie von Chulak zu holen und sich mit ihnen auf einer anderen Welt niederlassen können. Doch da war nichts positives, denn er konnte nicht weg. Sollte sich dies eines Tages ändern, dann hätte er vielleicht sogar schon Rya’c überlebt...
Gerade der Schmerz über den Verlust seiner Familie, der Schmerz über das, was er als Primus von Apophis hatte tun müssen, um weiter auf ihn einwirken zu können, war der Grund dafür gewesen, dass er noch so vieles hatte tun wollen – tun müssen um all das zu kompensieren.
Deswegen hatte er den Tau’ri die Treue geschworen. Mit ihnen zusammen hatte er etwas bewirken können. An der Seite der Leute, die später seine besten Freunde wurden, hatte er die Menschen in ihren Reisen durch das Sternentor unterstützen können. Er hatte das Universum erforscht und viele seiner Wunder kennen gelernt.
Dabei hatte er immer versucht seinem Ideal von Gerechtigkeit zu entsprechen. Wenn die Menschen der Welten, die sie besuchten, Hilfe benötigten, bekamen sie diese. Er war sogar bereit gewesen bis ans äußerste zu gehen und sich damals von dem Jungen auf Karthago zum Tode verurteilen zu lassen, weil er dessen Vater erschossen hatte – als symbolische Vergeltung für alle seine Taten.
Und bei alledem hatte er immer seinen Traum von einer Zeit vor Augen gehabt, in der die Goa’uld besiegt waren und die Jaffa frei von dem Glauben, dass diese Götter seien.
Das alles hatte hier an Bedeutung verloren und er konnte nichts weiter tun als dies zu akzeptieren. Er war immer bereit gewesen für eine Sache zu kämpfen, wenn auch nur der Hauch einer Chance des Erfolgs bestanden hatte. Nichts hatte ihn in einem solchen Fall davon abhalten können all seine Kraft und Willensstärke dort hinein zu investieren.
Dinge, auf die er jedoch absolut keinen Einfluss hatte, versuchte er erst gar nicht zu ändern. So etwas wäre närrisch gewesen. Energieverschwendung. Genauso närrisch, wie der Versuch verhindern zu wollen, dass die Sonne aufging. Die Tatsache, ob sie diese Welt verlassen konnten lag nicht in seiner Hand, höchstens in der von Captain Carter. Daher versuchte er sich damit nicht allzu sehr zu beschäftigen.
Doch seine Akzeptanz änderte nichts daran, dass er sich ein wenig schuldig fühlte. Schuldig, weil er nicht das tun konnte, zu was er sich verpflichtet fühlte. Natürlich hatte er dafür eine gute Entschuldigung. Er konnte seine Situation nicht ändern und es gab einen anderen, der all das für ihn tat, wozu er nicht mehr die Möglichkeit hatte. Doch im Moment ging es ihm nicht um das, was er tun konnte oder tun wollte, sondern um das, was er wirklich tat. Und das war im Moment nicht viel.
Um daran etwas zu ändern, hatte er nach anfänglichem Zögern seine Zeit genutzt und begonnen Harlan bei der Reparatur der Station zu helfen. So konnte er auch hier produktiv wirken. Das änderte nur wenig an seinen Gefühlen, aber so bekam es wenigstens einen Sinn, dass er hier war. Nutzlos zu sein, hätte er nicht verkraftet.
Eine ausführliche Reparatur war längst überfällig gewesen, denn Harlan allein war mit der Instandhaltung dieser riesigen Anlage völlig überfordert. Im Gegensatz zu Daniel Jackson, der nur unregelmäßig half und O’Neill, der das nur in akuten Notfällen tat, stand er Harlan regelmäßig zur Seite. Natürlich war „regelmäßig“ hier kein klar definierter Begriff, denn es gab hier auch keine Zeit im normalen Sinne.
Harlan hatte ihn anfangs zwar wie die anderen auch als neuen Freund angesehen, aber war dennoch ein wenig zurückhaltend ihm gegenüber gewesen. Teal’c war schließlich „anders“. Die Jaffa stammten zwar von den Menschen ab, waren aber doch keine. Aber inzwischen schien der kleine Mann seine Meinung geändert zu haben und es mit der Freundschaft ernst zu meinen. Auch Teal’c begann ihn zu achten. Ganz anders als O’Neill, der ihn lediglich duldete, entwickelte Teal’c einen gewissen Respekt für den letzten Überlebenden dieser Welt.
Natürlich hoffte er, dass Captain Carter einen Weg hier raus finden würde, aber er zählte nicht darauf. In seinem Inneren versuchte er sich darauf einzustellen, sich sein ganzes restliches Leben entgegen seiner Überzeugungen nichts anderes würde tun können, als sich mit der Station auseinander zu setzten.

Sie hatten in einem der Räume in Sektion 1 eine Art Gesellschaftsraum eingerichtet. Seine ganze Einrichtung bestand aus einem rechteckigen Tisch, der natürlich aus Metall war. Rund herum standen fünf Stühle mit abgewetzten Polstern. Der fünfte Stuhl für Harlan war erst vor kurzem dazugekommen.
Manchmal trafen sie sich hier und redeten. Nur Sam ließ sich in letzter Zeit nicht blicken. Der Raum war nicht sonderlich gemütlich, aber er war besser als der schreckliche Raum mit den Liegen nahe dem Labor, in dem sie damals erwacht waren und den sie anfangs als Treffpunkt benutzt hatten.
Sie redeten hier über dies und das. Über Dinge, die für sie jetzt Alltag waren. Das einzige Thema, das in dieser Runde jedoch tabu war, war ihr altes Leben. Sie wollten keine Erinnerungen wecken. Nicht hier, nicht in der Gruppe. Wenn sie schon darüber reden mussten, dann taten sie es unter vier Augen. Und genau das war es, was Daniel vorhatte.
Mit dem Rücken zur Tür saß Jack tief über den Tisch gebeugt. Mit möglichst großer Selbstverständlichkeit zog sich Daniel einen der Stühle heran und setzte sich neben ihn. „Hi, Jack. Wie geht’s?“
„Oh, es hat nur jemand mein Leben gestohlen. Nach solchen Kleinigkeiten geht es mir immer wunderbar. Und wie geht’s ihnen?“ Sein Sarkasmus-Level lag heute wohl besonders hoch. Daniel hatte damit gerechnet und schwieg erstmal.
Vor Jack lag eine hässliche, graue Kunststofffolie, die er gerade versuchte in möglichst kleine Stückchen zu zerfleddern. Daniel glaubte Jack inzwischen recht gut zu kennen und musste zugeben, das er inzwischen zu seinem Freund geworden war. Zugeben deswegen, weil sie nach außen hin wohl kaum zusammenpassten. Aber Gegensätze ziehen sich an...
Jack konnte manchmal ziemlich beleidigend sein, aber Daniel wusste, wie er solche Bemerkungen verstehen musste. Er hätte sich Sorgen gemacht, wenn sie eines Tages aufhörten. Jack hatte eine raue Schale – eine Schale mit nichts drin, wie er gescherzt hätte – aber Daniel glaubte, dass an der Sache mit dem weichen Kern durchaus etwas dran war.
„Erinnern sie sich noch an unsere ersten Wochen als SG-1?“ fragte Daniel dann. Jack knurrte nur und produzierte noch mehr Fetzen. „Immer, wenn wir auf der anderen Seite des Tores ankamen, musste ich niesen.“ Er grinste. „Das hat sie immer ziemlich auf die Palme gebracht.“
Doch Jack schwieg. Auch gut, er hatte mit nichts anderem gerechnet. „Als das Stargateprogramm wieder aufgenommen wurde, haben sie mir ne Packung Papiertaschentücher nach Abydos geschickt.“ Er beobachtete O’Neill und wartete auf eine Reaktion. „Ich hab sie ihnen leer zurückgeschickt und Danke. Schickt mehr. drauf geschrieben...“
Und tatsächlich: Jack lächelte versonnen. „Dann wusste ich, dass sie uns auf der anderen Seite erwarten würden und nicht irgendwelche Aliens.“
Genau auf eine solche Äußerung hatte Daniel gewartet. „Ja genau. Sie haben das gewusst.“
Jetzt war es an Daniel zu schweigen und die Worte einwirken zu lassen.
Er sah, dass Jack etwas erwidern wollte, aber dann doch schwieg. Das war gut, denn es bedeutete, dass er nachdachte. Nicht irgendein anderer hatte das damals getan, sondern er selber. Die gleiche Person, die jetzt vor ihm saß und eine Plastikfolie zerriss.
Daniel glaubte, dass jedes weitere Wort ein Wort zuviel gewesen wäre. Er hatte Jack nun eine Richtung gezeigt. Welchen Weg er dort aber beschreiten würde, wusste er nicht. Vorerst konnte er nur hoffen, dass er sich nun ein Weltbild zusammenbauen würde, in dem er selbst einen besseren Platz einnahm als vorher.
Vorsichtig, um Jacks Gedanken nicht zu stören, erhob er sich. Jack hatte von der Folie abgelassen und die Fetzen ein Stückchen von sich fort geschoben. Leise verließ Daniel den Raum.

Wenn Jack allein sein wollte, zog er sich immer in seinen Raum zurück, legte sich auf sein Bett und starrte an die Decke.
Carter hätte das bestimmt „Faulenzen“ genannt, was in einer anderen Umgebung durchaus gepasst hätte, aber schließlich war Faulenzen etwas angenehmes – was man von den Gedanken, die ihm hier durch den Kopf gingen, nicht gerade behaupten konnte.
Das Reisen zu anderen Welten war für ihn nicht einfach nur ein Job gewesen. Ganz zu Anfang vielleicht, als die Air Force ihn gegen seinen Willen wieder in den aktiven Dienst geholt hatte. Aber damals hatte er ja auch noch nicht gewusst, was ihn erwartete. Später war er dankbar dafür gewesen.
Was er bei den Reise empfunden hatte, war zwar nicht die manchmal fast kindliche Begeisterung von Daniel oder Carter über die Entdeckungen, die sie im Universum machten – eine Ruine war für Jack eine Ruine, ganz egal, wo sie stand – aber erst recht nicht die stoische Abgebrühtheit von Teal’c.
Der Gedanke, dass er vielleicht der erste Mensch von der Erde war, der seit Jahrtausenden all diese neuen Welten betrat, war für Jack immer wieder ein erhebendes Gefühl gewesen. Und er brauchte dieses Gefühl. Wie Daniel sagte: das Stargate war wahrscheinlich die größte Entdeckung der Menschheit – und er hatte dazu beigetragen sie zu nutzen.
Von diesem Standpunkt aus war er am Ziel seiner Karriere angekommen. Vielleicht wäre Hammond ein paar Jahre vor ihm in den Ruhestand gegangen und hätte ihn gebeten, das SGC zu übernehmen. Wenn er ehrlich war, hatte er das nie gewollt. Er wollte keinen Bürojob. Und erst recht wollte er sich nicht mit Typen rumärgern müssen, die das Stargate nur aus Berichten kannten und dann auch noch glaubten, sie würden das Universum kennen.
Nein, er wollte raus. Dorthin gehen, wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen war , wie es im Fernsehen so schön hieß. Und nebenbei die Galaxis retten. Nach Charlies Tod war das war zu seinem Lebensinhalt geworden.
Gut, auch er war nicht jünger geworden. Ebenfalls eine Tatsache, die jetzt vorbei war. Wenn er irgendwann nicht mehr in der Lage gewesen wäre auf Missionen zu gehen, dann hätte er in Frieden seinen Abschied genommen und dieses Lebensabschnitt beendet. Freiwillig. Ganz im Gegensatz dazu, dass er jetzt dazu gezwungen wurde.
Er hatte da so eine kleine Hütte in Minnesota. Im Umkreis von mehreren Meilen wäre er dort der einzige Mensch gewesen. Er hätte das Universum, Universum sein lassen können und sein größtes Problem wäre es gewesen, ob er sich nun einen Hund kaufen sollte oder nicht.
Er war sich nicht sicher, ob er auf diese Weise glücklich geworden wäre – vielleicht hätte er sich auch zu Tode gelangweilt. Jetzt würde er nie die Gelegenheit bekommen es rauszufinden.
Ob er wollte oder nicht, dies war jetzt sein Leben und das deprimierte ihn. Dieses Erdloch mit dem verrückten Harlan, an dem Carter bestimmt ein paar lockere Schrauben gefunden hätte, wenn er sie an sich ran gelassen hätte...
Aber in einer Hinsicht hatte Daniel recht gehabt: Der Andere hatte ihm sein Leben nehmen können. Das Leben, das er geführt hatte und das Leben, das er vorgehabt hatte zu führen. Aber er konnte ihm nicht seine Vergangenheit nehmen!
Zwar hatte sein Körper all die Dinge nicht erlebt, so dass Jack lange den Standpunkt vertreten hatte, dass alle Erinnerungen nichts weiter als wertlose Illusionen waren. Nur waren die Erinnerungen in seinem Kopf genauso real wie im Kopf des Anderen und nur das zählte. Seine Vergangenheit hatte ihn zu dem gemacht, was er war. Jack war Daniel dankbar dafür, dass er ihm das vor Augen geführt hatte.
Vielleicht hatte es einen kurzen Moment gegeben, in dem es zwei Jack O’Neills im Universum gegeben hatte. Doch schon im Moment, in dem er die Augen geöffnet hatte, waren sie zwei unterschiedliche Personen geworden. Sie würden sich unabhängig voneinander entwickeln, so wie eineiige Zwillinge schließlich auch nicht identisch waren. Er war immer noch ein Individuum, das war ihm jetzt klar.


* * *


Sam Carter hatte keinen Schimmer wie viel Zeit vergangen war. Es musste lange her sein, seit sie das letzte Mal das Labor verlassen hatte, wie lange, wusste sie jedoch nicht.
Sie hatte damals gesagt, dass sie Jahre brauchen würde und es konnten durchaus ein paar Jahre vergangen sein – Wissen tat sie das aber nicht, vielleicht kam es ihr auch nur so lange vor. Das Zeitgefühl war das erste gewesen, was sie hier unten verloren hatte. Das Fehlen von Tag und Nacht oder wenigstens von Schlafen und Wachen hatte ihre innere Uhr lahm gelegt. Man merkte es normalerweise nicht, wie sehr der Körper auf den normalen Tagesrhythmus eingestellt war. Das seltsame war, dass es in dieser Station nicht eine einzige Uhr zu gab. Auch die Computer schienen über keine interne Uhr zu verfügen, zumindest über keine die man irgendwie abrufen konnte.
Anfangs hatte sie immer wieder Pausen bei ihrer Arbeit eingelegt. Das war äußerst ungewöhnlich für sie gewesen. Wenn sie sich erst einmal in etwas verbissen hatte, war es früher vorgekommen, dass sie bevor sie das Angefangene nicht vollendet hatte, weder schlafen noch essen wollte, obwohl sie das damals noch gemusst hatte. Irgendwann war sie dann vom Knurren ihres Magens geweckt worden und hatte festgestellt, dass sie auf ihrem Schreibtisch eingeschlafen war. Freiwillig hatte sie in solchen Fällen jedoch selten eine Pause gemacht, höchstens wenn ihr Körper sich eine erzwang.
Immer wieder hatte sie hier jedoch das Labor verlassen und hatte sich wie die anderen umgesehen. Erst mit der Zeit war dieser Zwang vergangen. Erst kürzlich war ihr eingefallen, dass es wohl ihre innere Uhr gewesen war, die einfach nicht hatte glauben können, dass sie überhaupt keine Pause brauchte. Als sie dann ihr Zeitgefühl verloren hatte, war auch das Bedürfnis nach Pausen geschwunden.
Aber es war nicht nur, dass sie nicht schlafen und essen musste. Auch ihr Geist brauchte keine Erholung. Die Dinge, die ihr Gehirn früher während des Schlafs geregelt hatte, regelte ihr synthetisches Hirn nun nebenher – und sogar noch mehr. Ihre Gedanken waren wie ein gleichmäßiger, unerschöpflicher Strom, der zudem noch viel klarer zu sein schien. Nicht das sie intelligenter geworden wäre, das Denken viel ihr lediglich leichter und ging vielleicht auch etwas schneller. Es war fast, wie wenn man eine veraltete Software auf einem neuen Computer laufen ließ – es war die gleiche Software, aber sie funktionierte besser.
Vielleicht hatte Daniel wirklich Recht, wenn er sagte, dass sie nur eine Maschine gegen eine andere getauscht hatten. Wenn das so war und Daniel sich das nicht bloß einzureden versuchte, dann war es vielleicht wirklich besser, denn sie zog aus dem neuen Körper durchaus ihren Gewinn.
Gefallen tat ihr dies aber dennoch nicht. Man konnte objektiv etwas betrachten wie man wollte, was brachte es einem, wenn es sich nicht einfach gut anfühlte?
Sie hatte hart gearbeitet und viel dabei gelernt. Sie kannte ihre Körper jetzt genau, wusste wie sie aufgebaut waren, wie sie funktionierten und wie sie ihre Energie bezogen. Sie hatte sogar schon Vorstellungen darüber, was für Teile sie später einmal entfernen oder verkleinern konnte, um Platz für eine autonome Energiequelle zu schaffen, die sie in ihren Körpern tragen konnten.
Doch dies war das Problem. Sie hatte keine Ahnung, wie diese Energiequelle aussehen sollte. Sie hatte alle Energieerzeugungsmethoden von Altair studiert und dabei gehofft, sie könne auf dem Wissen der Altairaner aufbauen und mit ein wenig von ihrem Wissen so verbessern, dass es möglich würde ein für sie passendes Aggregat zu entwerfen.
Die Station selber bezog ihre Energie aus der Wärme des Planeten – kein Prinzip, dass sie sich zu nutze machen konnten. Vor ihrer Vernichtung hatten die Altairaner die kontrollierte Kernfusion entwickelt – doch schien es unmöglich einen Reaktor zu bauen, der klein genug für sie war. Und mit normalen chemischen Batterien hätten sie keine Minute überstanden.
Die Naquada-Technologie hatte sie für einen sehr guten Ansatz gehalten. Tatsächlich lagerten in der Station einige Tonnen dieses seltsamen Materials, aber offenbar hatten die Altairaner damals selber nicht gewusst, was sie damit anfangen sollten.
Sie hatte viel Zeit mit dem Versuch verbracht einen Naquada-Reaktor zu bauen. Sie hatte versucht, hinter die Theorie zu kommen, war aber bereits daran gescheitert. Sie hatte sogar einfach drauf los einen Reaktor entworfen, dabei die Details verwendet, die sie bereits kannte und gehofft, dass sie irgendwann verstehen würde, was sie da tat. Aber die große Erleuchtung war ihr dabei nicht gekommen.
Sam hatte also doch eine Pause gemacht. Eine Zwangspause, denn sie fühlte sich völlig ausgetrocknet. Es gab nichts, was sie nicht schon probiert hätte. Sie wanderte durch die Station ohne darauf zu achten, wohin. Sie lief und lief, bis sie jemanden traf. Nicht, dass sie das beabsichtigt hätte, es war die bloße Wahrscheinlichkeit gewesen, die sie irgendwann mit O’Neill zusammentreffen ließ.
Sie musste sehr lange weg gewesen sein. Der Colonel stand ein halbes Stockwerk über ihr und sein Kopf steckte tatsächlich in einem aufgeschraubten Schott, wo er einen Energieverteiler reparierte. Als sie angekommen waren, hatte er nur äußerst widerwillig geholfen die Station sogar bei einem Notfall zu retten und nun reparierte er schon freiwillig.
„Carter, lange nicht gesehen. Wie läuft die Arbeit?“ rief er zu ihr runter als er sie sah. Er drehte an einem quietschenden Handrad und beendete die Reparatur.
„Es könnte besser sein.“ Sie kletterte die leicht schräg stehende und gelb angeleuchtete Leiter nach oben, während er ein Werkzeug nach dem anderen zurück in den Werkzeugkasten warf.
Sam berichtete ihm wie es um sie stand. Er lehnte an der Wand und hörte ihr aufmerksam zu. Zu ihrer Verwunderung nahm sein Interesse auch nicht ab, als es etwas technischer wurde. „Um ehrlich zu sein, Sir. Ich weiß nicht mehr weiter“, schloss sie.
„Ich möchte nicht behaupten, dass ich alles, was sie gerade erzählt haben, verstanden habe, Captain“, gab er zu. „Aber eines weiß ich ganz genau: Sie haben mehr auf dem Kasten, als wir alle hier zusammen. Und wenn es irgendjemanden gibt, der es schaffen kann uns hier raus zu bringen, dann sind sie das.“ Sam fiel bei diesen Worten aus allen Wolken, aber ihm war es dabei völlig ernst.
„Nehmen sie sich Zeit“, versuchte er sie zu ermutigen. „Betrachten sie es vielleicht mal aus einem anderen Blickwinkel.“
Sie hatte gedacht, Colonel O’Neill inzwischen recht gut zu kennen. Er nahm nie ein Blatt vor den Mund – außer vielleicht, was Komplimente anging. Um ehrlich zu sein war sie darüber in letzter Zeit sogar recht froh gewesen. Von Daniel wusste sie, dass er viel von ihr hielt, jedoch hatte er ihr das noch nie selber gesagt. Das er dies jetzt änderte zeigte wohl, wie ernst es ihm damit war und wie groß sein Interesse, dass sie Erfolg haben würde. Wenn man zudem bedachte, wie lange es gebraucht hatte, bis sie erfahren hatte, dass er geschieden und sein Sohn tot war, passte das irgendwie ins Bild.
Sam wusste nicht, was sie darauf erwidern konnte. Sie teilte zwar nicht seinen Optimismus, konnte ihm diesen aber schlecht nehmen. Aber O’Neill erwartete scheinbar gar nicht, dass sie etwas sagte. Er hob die massive Abdeckplatte vom Boden auf und verschloss mit ihr die Wartungsöffnung, an der er gearbeitet hatte. „Die Einrichtung hier ist ziemlich übel“, bemerkte er im Plauderton, als ob das Gespräch gerade eben nicht statt gefunden hätte. „Da könnte man doch bestimmt was tun. Farbe an die Wände, Fenster und ein paar neue Vorhänge...“
Sie lächelte, dankbar für seinen Versuch sie mit einem unverfänglichen Thema ihre Lage erst einmal vergessen zu lassen. Es war gut, dass ihr mal wieder jemand zeigte, dass es auf der Welt auch noch andere Probleme als die ihren gab.
„Was ist?“ fragte er.
Ihr Gesicht wurde wieder ernst. „Nichts, Sir. Es ist nur – das haben sie damals in der Antarktis auch gesagt...“
„Die Antarktis war gegen das hier aber ne Luxusvilla. Da hatten wir auch nen tiefgefrorenen Schlangenwächter. So was gibt’s hier alles nicht“, sagte er ohne zu zögern. „Oder finden sie es hier etwa so heimelig wie Teal’c?“
„Was hat er denn gesagt?“
„Er sagte, es sei zweckmäßig... bin ich froh, dass er nicht mein Innenausstatter ist.“
Sam grinste in sich hinein. Der Colonel verstand es Leute von der Arbeit abzuhalten, wenn er wollte. Doch nach dem Stress der letzten Zeit war dies genau das, was sie jetzt brauchte. Da sie und der Colonel der Umstände wegen sich lange nicht mehr unterhalten hatten, gab es nun zum Glück genügend Gesprächsstoff, der sie hoffentlich für eine Weile ablenken würde.


* * *


Wenn man davon ausging, dass ein Ereignis unendlich viel Zeit hatte, um stattzufinden, so konnte dieses so unwahrscheinlich sein, wie es wollte – solange es nicht völlig unmöglich war, würde es irgendwann stattfinden. Dies sagte zumindest die Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Doch, wie Sam die leidige Erfahrung machen musste, galt dies nur äußerst theoretisch. Es galt vielleicht für Zahlenkombinationen oder das Verhalten von Elementarteilchen, aber nicht für sie. Sie hätte noch so viel Zeit haben können – wenn sie nicht die nötigen Mittel in die Hand bekam um das Problem zu lösen, so würde das Ereignis der Problemlösung auch nach unendlicher Zeit nicht eintreten.
Das Mittel, das sie brauchte, war schlichtweg Wissen über die Naquada-Technologie. Sie hatte bereits Naquadareaktoren von der Größe eines Hühnereis gesehen. Es war möglich. Dabei stellte auch die geringe Größe, die sie benötigten, keine Unmöglichkeit dar. Sie musste nur in Erfahrung bringen wie man es anstellte.
Doch der Colonel hatte Recht gehabt, als er ihr riet, die Dinge mal etwas anders zu betrachten. Wer sagte denn schließlich, dass sie die Lösung alleine finden musste? Es mochte zwar keine gute Idee sein, aber sie hatte einmal jemanden gekannt, der inzwischen von der Thematik Ahnung haben müsste...

„Sind sie sich im klaren darüber, was sie da vorschlagen?“ O’Neill starrte sie an, als würde gerade eine Goa’uld-Larve über ihren Kopf kriechen. „Die haben uns doch noch nie vertraut. Für die sind wir doch nichts weiter, als ein Haufen Alien-Roboter, die jeden Augenblick irgendeine Teufelei aushecken können!“
Sam sah ruhig ihn über den Tisch hinweg an. Sie hatte damit gerechnet, dass er so reagieren würde. Sein Groll auf die Anderen war immer noch ausgeprägt. Irgendeiner musste schließlich an ihrer Situation schuld tragen. Und das waren nun mal ihre Gegenstücke, die sie hier einfach zurückgelassen hatten. Sam konnte die Reaktion des Colonels nicht nur nachvollziehen – es ging ihr ähnlich. Wäre sie nicht zu der Ansicht gekommen, dass sie keine Alternativen hatten, hätte sie den Gedanken gleich wieder verworfen.
Aber es war nun einmal so, dass sie unmöglich aufgrund einiger weniger Anhaltspunkte oder Ideen eine völlig neue Energiequelle bauen konnte. Das Wissen, das sie in dieser Richtung angesammelt hatte, reichte dafür bei weitem nicht aus. Sie brauchte etwas, das ihr irgendwie weiter half. Ein funktionierendes Gerät oder einen Plan für ein solches. Und wie sie die Andere einschätzte, musste Sie beides inzwischen haben.
Sie war nie auf einen Planeten beschränkt gewesen und hatte genügend Zeit gehabt, Sich das notwendige Wissen zu verschaffen. Die Neugier, die sie beide in sich trugen, dürfte Ihr keine andere Wahl gelassen haben. Daher war Sie der logische Ansprechpartner. Von Ihr würde sie das nötige Know-how bekommen. Zumindest sofern die Erde immer noch existieren sollte...
Sie hatten sich im Gesellschaftsraum getroffen, um die Lage zu besprechen. Bis auf Harlan waren sie seit langer Zeit mal wieder vollständig versammelt. Sam erinnerte das fast ein wenig an die Missionsbriefings auf der Erde, in denen sie sich vor und nach jeder Mission getroffen hatten, um die Lage zu besprechen.
Aber dies war nicht Erde. Dies war nicht der Konferenzraum mit seinem mächtigen Tisch und dem großen, dick gepanzerten Panoramafester zum Torraum hin. Es war ein dunkler und trotz all ihrer Bemühungen ungemütlicher Raum in den trotz seines Spitznamens Gesellschaftsraum nie irgendeine Form menschlicher Wärme gedrungen war. Auch Hammond war nicht hier und der Colonel saß ihr nicht gegenüber, sondern stand auf der anderen Seite des Raumes. Er hatte sich nicht setzen wollen.
„Es ist die einzige Chance, die wir haben“, versetzte Sam. Es klang fast wie eine Beschwörung.
„Schlechte Chance“, erwiderte er knapp. „Oder ist dies seit neuestem die feine Art mit seinen Freunden umzugehen: Sie auf einem Felsen wie diesem verrotten zu lassen. Ohne jegliche Unterstützung, ohne auch nur das geringste Interesse daran zeigen, was aus uns wird! Von so jemandem können wir keine Hilfe erwarten, Carter. Hat niemand ’ne bessere Idee?“
Teal’c ging einfach über O’Neills Gefühlsausbruch hinweg als er vorschlug „Wir könnten auf anderen Welten als der Erde nach hilfreichen Technologien suchen.“
Seine Eigenschaft die Dinge auf den Punkt zu bringen sorgte zusammen mit seiner zwar leisen, aber dennoch immer den ganzen Raum beherrschenden Stimme dafür, dass ihm jeder seine volle Aufmerksamkeit schenkte.
„Also!“ meinte O’Neill zufrieden. „Danke Teal’c.“ Es klang so, als gäbe es nichts, was selbstverständlicher als Teal’cs Vorschlag gewesen wäre.
„Da uns aber auf jeder Welt immer nur begrenzte Zeit zur Verfügung stehen wird, wäre eine Chance auf Erfolg nur sehr gering“, fügte Teal’c unbeeindruckt hinzu.

Der Colonel warf dem Jaffa einen entgeisterten Blick zu. Er hatte sicher nicht damit gerechnet, dass dieser sich gegen ihn stellen würde. Teal’c erwiderte den Blick ruhig. Verzeih mir, schien er damit ausdrücken zu wollen, aber ich bin fest von dem überzeugt, was ich sage.
„Bisher haben wir auch nur für die oberflächliche Erkundung der Umgebung des Sternentors mindestens einen halben Tag gebraucht“, hieb Sam in die gleiche Kerbe. „Unser Energievorrat reicht nur für drei, vier Stunden. Wenn wir aber echte Ergebnisse wollen, brauchen wir weitaus mehr Zeit.“
„Dann kommen wir zwischendurch eben zurück, laden uns wieder auf und schon sind wir wieder am Start. Wo liegt das Problem, Leute?“
„Sir, so wie ich das sehe sind unsere Energiespeicher nur als Reservesysteme gedacht. Für Notfälle oder als Puffer, wenn wir uns in die Randbereiche der Energiequelle begeben. Ein ständiges, exzessives Ent- und Aufladen wird sie nach kurzer Zeit unbrauchbar machen – und wir können sie nicht ersetzen“, dozierte sie und räumte so sein Argument aus.
Er verzog das Gesicht während sie sprach. Derartige Argumente von ihr mochte er nicht. Er konnte darauf nie etwas erwidern. Ein wenig tat es ihr leid, ihm derart widersprechen zu müssen. Er weigerte sich schließlich nur, weil er es für zu gefährlich hielt.
Aber Sam hatte sich freiwillig gemeldet. Sie würde wenn es sein musste, da ganz alleine rüber gehen. Sie wollte es sogar. Wenn sie das zu Ende bringen wollte, was sie angefangen und soviel Zeit und Mühe hinein investiert hatte, ging es gar nicht anders.
„Haben sie überhaupt schon mal darüber nachgedacht, wie sie dahin gelangen wollen?“ fragte O’Neill. „Ich habe kein GDO mehr, sie etwa? Wollen sie an der Iris in Energie oder was-auch-immer zerblasen werden? Das kann ich leider nicht zulassen.“
Natürlich hatte sie sich schon darüber Gedanken gemacht. „Ich hatte vor, die Erde vorher anzufunken und sie davon zu überzeugen, die Iris für mich zu öffnen“, legte sie mit einem kleinen, triumphierenden Lächeln dar.
„Und dann würde ich dem General raten, genau das nicht zu tun...“ knurrte O’Neill in Gedanken an sein anderes Ich. „Deshalb werden sie auch nicht gehen, Captain. Das ist ein Befehl“, sagte er verärgert. „Damit ist das Thema beendet. Was wir jetzt brauchen sind andere Ideen.“
Eine Weile kehrte Ruhe ein. Niemand wusste noch etwas zu sagen. Dann räusperte sich Daniel, der sich die ganze Zeit über rausgehalten hatte. Er war auch der einzige, der sich nicht an den Wunsch des Colonels, das Thema zu begraben, gebunden fühlte. „Wenn ich mich recht erinnere, Jack, dann waren sie doch derjenige, der es vom ersten Tag an als unser oberstes Ziel festgelegt hat, von hier fort zu kommen...“ erklärte er ruhig und in einem Tonfall, dass der Colonel es nicht als Kritik auffassen konnte.
„Da ich nicht glaube, dass wir eine Alternative haben, müssten wir uns also drauf einstellen für immer hier zu bleiben, wenn wir diese Chance nicht wahrnehmen. Auch ich will hier fort, ich denke, wir alle wollen das. Warum sollten wir Sam also nicht die Chance geben, das zu vollenden, was sie im Sinne von uns allen begonnen hat?“
Zufrieden mit seiner eigenen Argumentation und mit O’Neills Schweigen belohnt zeigte sich auf dem Gesicht des Archäologen ein kurzes Lächeln. Daniel hatte wie so oft vernünftig und diplomatisch seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht. Wäre er leidenschaftlicher an die Sache herangegangen hätte das nur zum Streit mit dem Colonel geführt.
Sam warf ihm einen dankbaren Blick dafür zu, dass er sich auf ihre Seite geschlagen hatte. Daniel antwortete mit einem freundlichen Nicken.
O’Neill schwieg lange. Obwohl er versuchte es zu verbergen, konnte sie sehen, wie er mit sich kämpfte. Sein Instinkt sagte ihm, dass es falsch wäre, sein Verstand sagte es ihm. Doch da waren die genannten Argumente, die er nicht einfach fortwischen konnte. Die energische Weigerung und das Berufen auf seine Befehlsgewalt war nur ein letztes Aufflackern gewesen. Er begann sich mit der Idee anzufreunden, ob er wollte oder nicht.
Als Commanding Officer hatte er immer gute Gründe für seine Entscheidungen, die er konsequent umzusetzen vermochte. Doch er wäre ein schlechter Befehlshaber gewesen, hätte er sich nie vom Gegenteil überzeugen lassen. Er konnte sehr wohl auch Entscheidungen treffen, die ihm persönlich zwar zuwider liefen, von denen er aber trotzdem wusste, dass sie richtig waren.
Er sah sie direkt an als er tonlos sagte: „Keiner von denen da drüben will etwas mit uns zu tun haben, Carter. Sind sie wirklich sicher, dass sie das tun wollen?“
„Ja, Sir“, antwortete sie fest und ohne noch einmal zu überlegen. Natürlich wusste sie, dass es nicht nur rein praktische Dinge waren, die in Erwägung gezogen werden mussten. Ihr war klar, dass es für sie dort bestimmt nicht leicht werden würde. Sie musste zugeben sich sogar ein wenig vor ihrer alten Heimat zu fürchten. Aber sie hatte von Anfang an keine Zweifel an ihrer Entscheidung bei sich aufkommen lassen und sie würde jetzt nicht damit anfangen.


Noch einmal schwieg er. Sam war sich sicher, dass die Entscheidung längst getroffen war. Was für eine andere Wahl hatten sie auch. Der Colonel wusste das und musste sich nur noch überwinden es zu sagen. „Sie können gehen, Captain“, seufze er dann. „Aber ich werde sie begleiten.“


* * *


Auf dem Monitor war ein Mann zu sehen, der in ihrem Leben früher eine wichtige Rolle gespielt hatte. Sie hatte befürchtet, dass sie schon so lange hier wären, dass er nicht mehr das Kommando über das SGC hatte. Zum Glück schien das aber nicht der Fall zu sein.
Sam wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, aber Hammond hatte sich kaum verändert. Sie konnte die Verwirrung in seinem Gesicht lesen, als er sie erkannte. „Hallo, General. Hier ist Carter.“ Seine Verwirrung verwandelte sich in Misstrauen. „Das heißt, eigentlich bin ich die Kopie von PX3989.“
Sie war überrascht, wie leicht diese Worte über ihre Lippen kamen. Ich bin die Kopie... Eine Kopie musste sich immer am Original messen, ohne die Chance zu haben, jemals besser als dieses zu sein.
„Einen Moment bitte“, sagte der General und schaltete das Mikro ab. Sie konnte sehen, wie er mit jemandem sprach, der sich außerhalb des Erfassungsbereichs der Kamera befand. Wahrscheinlich war es einer der Anderen. Mit Sicherheit sogar. Ich würde dem General raten, es nicht zu tun hatte der Colonel gesagt. Würde sie das auch tun? Vielleicht stand da ihr Abbild vor dem General.
Sie konnte den anderen Colonel förmlich hören. Halten sie uns diese Typen vom Leib, General würde Er sagen. Gott, sie würde nichts anderes tun. Wer begegnete schon gern einer schlechten Kopie von sich selbst, die man auf einem Felsklumpen im Nirgendwo zurückgelassen hatte. Allein schon, um nicht daran erinnert zu werden was Sie getan hatten, wären Sie dagegen. Der Gedanke, dass Sie es hätten sein können, die da gestrandet wären, musste Sie aufwühlen.
Es würde nicht funktionieren, Sie würden sie nicht kommen lassen.
Es war totenstill. Sam drehte sich nicht zu ihren Kollegen um, die hinter und neben ihr standen. Sie wollte nicht die Gefühle sehen, die sich in ihren Gesichtern widerspiegeln würden. Was sollte sie jetzt tun? Es war ihre letzte Hoffnung gewesen, der sie eine Chance auf Erfolg eingeräumt hatte. Sie würden es anders versuchen müssen. Vielleicht würden sie doch auf einer anderen Welt Hilfe finden. Versuchen mussten sie es zumindest – oder sie würden hier die Ewigkeit verbringen.
Hammond trat wieder vor den Monitor. „Um was geht es, Captain?“
Sie schluckte. Er ging also tatsächlich drauf ein. „Äh.“ Sie versuchte sich wieder zu fangen. Was hatte sie ihm sagen wollen? „Wissen sie, wie man einen Naquadareaktor baut?“
Er sah zur Seite. „Ja, Captain“, bestätigte er.
Oh Gott. Es war möglich. Ihr stockte der Atem. „Wäre es möglich, dass wir zu ihnen kommen und sie mir die Daten übergeben?“
Wieder eine lange Pause. Er besprach sich jetzt offenbar mit mehreren Leuten. Die Anderen. Sie konnte nicht sehen, wie Sie reagierten, wollte es zu gern wissen. Irgendwann antwortete Hammond. „Wir erwarten sie in einer Stunde, Captain. Die Iris wird offen sein.“
„In Ordnung.“ Sie tastete nach dem Schalter, der die Verbindung trennte. Das Bild verschwand.
Mit einem Mal fragte sich Sam, ob ihre Idee wirklich so gut war.

Sams Schritte hallten viel zu laut in dem trostlosen Korridor wieder, durch den sie ging. Sie beobachtete ihren immer wieder von einer anderen Farbe umgeben Schatten, wie er ständig hin- und herwanderte und sich ab und zu in der Dunkelheit verlor.
Der Colonel hatte den Kontrollraum sofort nachdem sie die Verbindung beendet hatte, kommentarlos verlassen. Obwohl sie ausgemacht hatten, dass sie das Wort führen würde, hatte es sie schon ein wenig gewundert, dass er während des Gesprächs nicht über ihre Schulter hinweg „George“, wie er den General seit neuestem nannte, irgendeine zynische Bemerkung an den Kopf geworfen hatte. Vermutlich wollte er sich das für ihren Besuch aufheben.
Carter hatte danach noch eine ganze Weile auf den Bildschirm gestarrt, der irgendwann wieder dazu übergegangen war Statusanzeigen der Stationssysteme zu zeigen. Sie erinnerte sich, dass Daniel irgendetwas aufmunterndes zu ihr gesagt hatte. Sie hatte ihm nicht zugehört. Schließlich hatte dann auch sie den Raum verlassen.
Inzwischen war ihr doch ein wenig mulmig geworden. Bisher war die Reise nur pure Theorie gewesen, doch jetzt würde es bald Realität werden, auch wenn Sam keine Ahnung hatte, wann diese ominöse Stunde, die sie warten sollten, vorbei sein würde.
Aber es war nicht nur die Reise selber, die für ihr Unwohlsein sorgte. Es war auch die Tatsache, dass sie nicht so ablaufen würde, wie sie sich das vorgestellt hatte. Sie wollte nicht, dass O’Neill sie begleitete.
Eigentlich hatte es nicht ihr Problem zu sein, was der Colonel letztendlich tat oder nicht tat, doch schließlich war dies keine Mission, die unter der Leitung ihrer Vorgesetzen entworfen worden war und für die sie beide sich freiwillig gemeldet hatten. Nein, es war ihre Idee gewesen. Sie hatte sich das ausgedacht und deshalb fühlte sie sich verantwortlich.
Lange Zeit hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als noch einmal zur Erde zurückzukehren. Doch inzwischen wollte sie das nicht mehr – nicht, wenn sie dort nicht auch ihr Leben würde weiterführen können.
Sie alle hatten Probleme damit gehabt, sich von ihrer Vergangenheit zu lösen. Es war kein Geheimnis wie schwer das gerade O’Neill gefallen war. Ob er oder überhaupt einer von ihnen es völlig geschafft hatte, wagte sie zu bezweifeln.
Ein Besuch auf der Erde würde nur Erinnerungen wecken und alte Wunden aufreißen. Sie wusste das und sie war die einzige, der sie das zumuten wollte. Sie hatte sich das ausgedacht, sie würde es tun. Es gab keinerlei Grund, warum sie dabei irgendjemand begleiten sollte.
Sie änderte ihre Richtung und bewegte sich zum Gemeinschaftsraum. Er lag ein ganzes Stück vom Kontrollraum entfernt auf einer anderen Etage. Da der Colonel nichts gesagt hatte, als er gegangen war und er sich sicher nicht verstecken würde, vermutete sie ihn dort zu finden.
Sie behielt recht. O’Neill, der sich vorher nicht hatte setzten wollen, saß nun doch am Tisch. Er hatte auf seinem Stammplatz die Beine übergeschlagen und stützte sich mit dem Knie vom Tisch ab, während er mit dem Stuhl kippelte. Obwohl sein Blick ins Leere ging, musste er sie eigentlich sehen. So weggetreten, dass er sie nicht bemerkt hätte, konnte er gar nicht sein. Also wartete Carter einfach ab, bis er auf sie reagierte. Sie wartete eine ganze Weile und begann selber in Gedanken zu versinken.
„Spucken sie’s schon aus, Carter“, knurrte er plötzlich und schreckte sie wieder auf. Als ihr wieder einfiel, warum sie hier war, fühlte sie sich einen Moment wie ein kleines Mädchen, dass man bei etwas Verbotenem ertappt hatte. Obwohl er genauso gut wie sie wusste was auf sie zukommen würde, hatte er vor sie zu begleiten. Dafür hätte sie ihm eigentlich dankbar sein sollen. Doch satt dessen stand sie hier und sagte: „Es ist nicht nötig, dass sie mitkommen, Sir.“
Zu ihrer Erleichterung zeigte er sich nicht gekränkt. „Und wieso nicht?“ fragte er einfach.
Wer ihn nicht kannte, hätte seinen Ton für gleichgültig gehalten, doch sie wusste, dass er so nur sprach, wenn er völlig in Gedanken und vielleicht auch etwas unsicher war.
„Ich denke, ich kann das alleine schaffen“, erklärte sie mit mehr Überzeugung, als sie eigentlich hatte.
„Und was noch?“
Sie schluckte. Hatte er ihr nur nicht zugehört und versuchte sie am reden zu halten oder hatte er sie durchschaut und erkannt, dass dies nicht der einzige Grund war? „Es wird bestimmt nicht leicht werden“, fügte sie hinzu.
O’Neill erzwang ein Lächeln. „Sie glauben also, sie wären erwachsen genug, um auf die Unterstützung eines alten Mannes verzichten zu können, der ihnen in wissenschaftlicher Hinsicht sowieso nicht helfen könnte?“ antwortete er trocken. „Das ist doch schließlich ein Wissenschafts-Trip, oder?“
Sam legte die Stirn in Falten und erwiderte irritiert „Sie sind kein alter Mann, Sir.“
„Ich war außer Dienst, bevor sie mich reaktivierten.“, erinnerte er. Wahrscheinlich wäre es ihm lieber gewesen, wenn dies das einzige Thema gewesen wäre. Langsam schüttelte er den Kopf. Dann zog er das Knie zurück und ließ sich mit dem Stuhl nach vorne kippen. Es gab ein hässliches Geräusch als die metallenen Stuhlbeine über den Boden kratzen. „Gehen sie, Captain.“ Gestand er ihr dann leise zu, so leise als hoffte er, sie würde es nicht hören. Dann versank er wieder in stilles Brüten.
Carter sah ihn überrascht an, sagte aber nichts. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass es so einfach würde.


* * *


Sie hatte schon immer gewusst, dass dieses Gefühl des Fallens, das man bei der Reise durch ein Wurmloch hatte, reine Illusion war – eine Illusion zu der ihr synthetisches Gehirn nicht in der Lage war.
Sam stand auf der Rampe des Stargates im SGC. Am Fuß der Rampe standen im Halbkreis eine Reihe von Soldaten mit Waffen in der Hand. Sie zielten zwar nicht auf sie, waren aber bereit sofort anzulegen und sie zu erschießen.
Viele dieser Männer hatte sie einst gekannt. Meist nicht besonders gut, aber sie hatten sich zumindest immer freundlich gegrüßt. Jetzt starrten sie Sam an, als wäre sie von einem Goa’uld besessen. Sie schienen förmlich darauf zu warten, dass ihre Augen zu glühen begannen.
Der Torraum war groß und hell. Wie oft hatte sie wie selbstverständlich hier gestanden, wenn sie von ihrer Reise zu anderen Planeten zurückgekommen war. Aber nie hatte sie realisiert, wie groß und hell er war. Wunderbar hell. Die Luft war kühl und frisch. Wie schlecht die Luft in der Station seit ihrer Ankunft geworden war, hatte sie die Jahre über gar nicht bemerkt. Hier war alles besser. Es war ihr Zuhause.
Das linke Schott rollte auf und General Hammond trat ein. Die Soldaten machten ihm Platz. „Willkommen auf der Erde, Captain.“ Begrüßte er sie. Willkommen daheim hatte es früher geheißen, das wusste sie ganz genau.
Sie stand oben auf der Rampe in ihrem schwarzen Trainingsanzug und sah auf den Mann mit der Glatze herab. Hinter ihr brach die Verbindung nach PX3989 ab. Das wabernde Licht, das bisher auf die Wände gefallen war, erlosch. Nein, ihr Zuhause war es einmal gewesen. Das war nun vorbei. Ihr wurde klar, dass sie jetzt zwar genau da war, wo sie die ganze Zeit über hatte sein wollen, aber nicht dort, wo sie sein sollte. Sie gehörte nun in eine andere Welt. Vielleicht hätte sie doch auf den Colonel hören sollen und wäre lieber in der Station geblieben.
Mit langsamen Schritten ging sie die so vertraute Rampe herunter. Behutsam, wie als hätte sie Angst, etwas zu zertreten. Das Metall schepperte unter dem großen Gewicht ihres Robot-Körpers. Sie blieb stehen und schaute den Soldaten in die Augen. Sie wichen ihrem Blick aus. Einem nach dem anderen sah sie ins Gesicht, doch selbst diejenigen, die sie gekannt hatten, sahen irgendwo anders hin.
Der einzige, der ihr in die Augen schaute und ihrem Blick standhielt war Hammond. Statt etwas auf seine Begrüßung zu erwidern sah sie ihn an. Da war keine Frucht oder Abneigung in seinem Blick. Er war ernst – und schien besorgt zu sein.
„Kommen sie, Captain. Wir haben inzwischen die Daten für sie vorbereitet.“ Er wies mit dem Arm zur Tür. Dahinter lag der Korridor. Sie betrachtete nachdenklich den ausgestreckten Arm und den Gang auf den er deutete. Nur langsam folgte sie ihm. Sie hörte, wie ihr zwei der Soldaten folgten.
Sie verließen den Torraum und betraten die Gänge des Stargate Centers. Sie mochten niedriger als die der Station sein, aber dafür waren sie hell erleuchtet. Keine Spur von den abartigen Farbscheinwerfern. Hier gab es richtiges weißes Licht. Die Korridore bestanden auch nicht aus kaltem, verrostendem Stahl, sondern aus Beton. Warmes, wenn auch künstliches Gestein.
Sie kannte jeden der abzweigenden Korridore und wusste, was sich hinter jeder Tür verbarg. Alles war ihr so unglaublich vertraut. Dies war einst ihr zweites Zuhause geworden, hier hatte sie gelebt. Sie hätte sich von der Gruppe absetzen können und ihren kleinen Raum aufsuchen können, in dem sie die Nächte verbracht hatte, wenn es ihr nicht mehr gereicht hatte in ihre Wohnung zu fahren. Er war vielleicht 200 Meter von hier entfernt.
Irgendwo musste sich Janet aufhalten. Wie schön wäre es, ihre alte Freundin wieder zu sehen. Sam erinnerte sich an ihre gemeinsame Zeit. Sie vermisste die freundliche Ärztin.
Sie kannte den Weg zum nächsten Lift. Würde sie nach oben fahren, müsste sie dort einen zweiten Aufzug nehmen und wäre dann auf der Oberfläche gewesen. Himmel, Sonne. Die frische, würzige Luft der Erde. Die Wolken am blauen Himmel, das Gras unter ihren Füßen.
Überwältigt von diesen Gedanken begann sie am ganzen Leib zu zittern und blieb stehen. Hellgrauer, sauberer Betonboden mit bunten Markierungen, die einem den Weg wiesen. Sie konnte es nicht ertragen. Dies war ihre Heimat gewesen. Sie hatte es nicht zu träumen gewagt, wieder hier zu stehen. Und jetzt war sie hier, hatte all die Möglichkeiten. Sie hätte überall hingehen können, an all die geliebten und vermissten Orte, aber sie konnte es nicht. Ihr Atem ging stoßweise, sie glaubte ihr nichtexistentes Herz rasen zu fühlen.
Sie war hier, aber würde in Kürze wieder weg sein. Gerade erst hatte sie soviel gewonnen, nur um es sofort wieder zu verlieren. Das konnte sie nicht ertragen. Es war mehr als überhaupt ein Mensch ertragen konnte. Endlich war sie in der lange ersehnten Heimat und doch verdammt sie wieder zu verlassen. Diesmal jedoch auf ewig, das war klar.
Als sie das letzte mal hier gewesen war, war es kein Abschied auf Dauer gewesen. Sam war sich sicher gewesen wieder zurückzukehren und hatte sich nichts beim Verlassen der Basis gedacht. Nun aber würde sie bewusst dies alles hinter sich lassen müssen, in dem Wissen, dass sie es niemals in ihrem ewigen Leben wieder sehen würde.
Sie lehnte keuchend an der Wand. „Captain Carter“, drang wie durch einen Schleier eine Stimme zu ihr. Sie öffnete die Augen. Es war kein Traum. Sie war immer noch im SGC und vor ihr stand Hammond.
Besorgt sah er sie an. „Ist alles in Ordnung mit ihnen?“
Sie versuchte wieder ruhig zu atmen und sich zu fangen. Sie erinnerte sich, bisher noch kein Wort mit Hammond gesprochen zu haben, dabei schien er ernsthaft besorgt zu sein. „Es ist schwierig wieder hier zu sein“, murmelte sie und atmete tief durch. Es ging wieder besser. Allein die Illusion von mehr Sauerstoff im Hirn beruhigte ihren Geist. „Danke, General“, hauchte sie. Der Mann war echt besorgt um seine Leute, selbst wenn sie nicht mehr dazu gehörte.
Sie ging weiter, ein Schritt nach dem anderen – wie eine Maschine. Vor einem der Arbeitsräume blieb Hammond stehen. Hier hatte Sam zum Unverständnis von Colonel O’Neill viele Nächte lang durchgearbeitet. Aber es war nicht zu vergleichen mit der Zeit die sie auf Altair im Labor zugebracht hatte.
Hammond öffnete die Tür und Sam erstarrte. Dort stand Sie. Die Andere. Ihre Vorlage. Sie stand einsam in einer Ecke des Raumes, sichtlich nervös und unsicher wie Sie mit Ihrem Abbild umgehen sollte. „Major Carter, Captain Carter. Ich denke sie kennen sich ja bereits“, hörte sie Hammond sagen.
Major. Sie war befördert worden. Sie hatte sie also bereits überholt. Natürlich. Das Original war immer besser.
Sie betrachtete die Andere. Sie trug eine grüne Uniformhose und ein schwarzes T-Shirt. Ihre Frisur war anders. Besser. Sie war älter geworden. Nicht viel älter – wahrscheinlich viel es ihr nur auf, weil sie ihr eigenes Geicht so gut kannte. So lange konnte sie also doch nicht fort gewesen sein. Aber die paar Jahre standen Ihr nicht schlecht. Es machte Sie irgendwie reifer. Gab Ihr mehr Charakter. Mehr als sie selber hatte.
Nervös streckte die Andere ihr die Hand entgegen. „Hallo“, sagte Sie. Sam blickte Sie eisig an. „Hallo“, erwiderte sie, gab der Anderen jedoch nicht die Hand.
„Wie geht’s dem alten Harlan?“ machte Sie den lächerlichen Versuch die Situation aufzulockern. Sam sah sich um. Der Raum war so unordentlich wie eh und je. Die Tische waren überfüllt mit irgendwelchen Unterlagen. Auf einem davon stand ein kleiner Wecker. Tack, tack machte er. Wie lange hatte sie so etwas nicht mehr gesehen. Der Sekundenzeiger wanderte herum, im nutzlosen Versuch die Zeit zu messen. War eigentlich noch niemandem aufgefallen, dass all die Zeiger sich nur im Kreis drehten, ohne wirklich je voran zu kommen?
Tack, tack. Das Ding maß gnadenlos die Zeit, völlig unbeeindruckt von ihrer subjektiven Wahrnehmung maßte es sich an eine objektive Zeitmessung liefern zu können.
Was machte Harlan? Keine Ahnung, sie hatte ihn schon ewig nicht mehr gesehen. Eigentlich war ihr im Moment auch ziemlich egal was er tat oder ob er überhaupt noch funktionierte. „Es geht ihm gut“, sagte sie der Freundlichkeit halber und drehte den Wecker aufs Gesicht, so dass sie sein Ziffernblatt nicht mehr sehen musste. Tack, tack. Das Geräusch wurde nur noch deutlicher.
„Du brauchst also einen Naquada-Reaktor“, kam die Andere, der Major, endlich zum Thema.
„Ja“, antwortete sie einsilbig. „Er muss klein sein.“
„Wie klein?“ fragte Sie sofort zurück. Viel zu energiegeladen, viel zu motiviert. Aber Erfolge motivierten nun mal...
„Klein genug, um ihn mir in die Brust zu pflanzen“, antwortete sie zynisch.
Die Andere schluckte. Sie ging an den Computer in einer Ecke des Raumes. Er war neu. Die Andere begann zu reden. Es ging irgendwie um die Funktionsweise des Reaktors und Ihre eigene Genialität. Sam hörte nicht zu. Sie würde alle Unterlagen in einem Laptop bekommen.
Was musste Sie in den Jahren nicht alles erreicht haben? Hunderte von Welten hatten sich vor Ihr ausgebreitet. Die faszinierendsten Wesen mussten sich Ihr gezeigt haben. Sie hatte herausgefunden, wie ein Naquadareaktor funktionierte. Was für Wunder hatten sich Ihr noch offenbart? Sie hatte gekämpft und gesiegt, hatte das Leben von Menschen oder ganzen Kulturen gerettet. Und für all das war Sie befördert worden.
Und was hatte sie in dieser Zeit getan? Sie war in einer verfallenden Station gehockt und festgestellt, wie unfähig sie war. Bei all ihrer Energie, die sie investiert hatte, war sie doch daran gescheitert, was der Major gemeistert hatte.
Ihr Blick blieb an einem Kalender an Wand hängen. Mai 2003 . Fünf Jahre. Die Zahl schwebte da, völlig ohne Bezug. Ein Jahr war schon eine sehr lange Zeit gewesen. Das hatte sie zumindest einmal geglaubt, naiv wie sie war. Fünf Jahre hatte sie auf Altair verbracht. Es war ihr viel länger vorgekommen aber dennoch waren schon diese fünf Jahre eine viel zu lange Zeitspanne, die nun unumgänglich verstrichen war. Das Leben hatte sie überholt.
Die Andere erkannte ihren Blick und hielt in ihrem Vortag inne. „Es ist jetzt fast fünf Jahre her“, sagte Sie. „Möchtest du wissen, was seitdem passiert ist?“
„Ja...“ kam es von Sam.
„Nun, ja.“ Für einen Moment trat ein seltsam trauriger Ausdruck auf Ihr Gesicht, doch dann sagte Sie: „Wir haben uns da draußen ein paar Freunde gemacht und Allianzen geschlossen... Da wären zum Beispiel die Tok’ra oder die Asgard...“
„Stopp!“ unterbrach sie Sie. „Ich will es nicht wissen. Vergiss es.“ Sie wollte nicht hören, was sie alles verpasst hatte. Sie hätte das eigentlich alles tun sollen. Sie hätte diese Völker kennen lernen müssen, von denen sie bis gerade eben nicht einmal die Namen gekannt hatte.
„Sam“, hörte sie die Andere sagen. „Du solltest wissen, dass es mir hilft zu wissen, das ihr da draußen seid. Falls mir oder den anderen einmal irgendetwas passieren sollte, dann weiß ich, dass wir in euch weiter leben werden.“
Du hast vielleicht etwas von meiner Existenz, aber das beruht nicht auf Gegenseitigkeit. Sam öffnete wieder die Augen. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie sie sie geschlossen hatte. Sie öffnete die Augen und betrachtete die Andere. Was sie sah war ein schwächliches Gebilde aus langen Kohlenstoffketten, aufgeblasen mit Unmengen von Wasser und aufrecht gehalten von spröden Rohren aus Kalk. Es hätte sie nur einen kurzen Augenblick gekostet, um es wie eine Laus zu zerquetschen und doch hätte sie alles dafür gegeben, wieder diesen Körper zu besitzen.
„Ich muss los“, hörte sie sich sagen. Sie stand auf und stieß dabei den Stuhl nach hinten. „Meine Energie wird knapp.“
„Du bist gerade erst zwanzig Minuten hier“, warf die Andere verwirrt ein.
Minuten! Sie maßen die Zeit in Minuten. Lächerlich. Aber kein Wunder, für einen Sterblichen war eine Minute unglaublich wertvoll.
Sie klemmte sich den bereitstehenden Laptop unter den Arm und stürmte zur Tür hinaus. Erst jetzt stellte sie fest, das Hammond gegangen war. Die Wachen folgten ihr besorgt. Auch die Andere blieb hinter ihr. Sam lief durch die langen Korridore des SGC und wurde dabei immer schneller. Nur fort von hier. Sie gehörte hier nicht mehr her.


Plötzlich hörte sie eine vertraute Stimme hinter sich. „Sam!“ Doktor Fraiser stand in einem der Seitenkorridore. Sie redete jedoch nicht mit ihr, sondern mit der Anderen. Als sie Sam sah, erschrak sie und wurde sichtlich blasser. „Oh mein Gott“, sagte sie mehr zu sich selbst. „Ist das...“ sie ließ den Satz unbeendet. „Ja“, sagte die Andere.
„Janet“, flüsterte Sam. Sie hatte nicht mehr daran geglaubt ihre Freundin noch einmal wieder zu sehen. Doch diese reagierte nicht. Sie konnte förmlich sehen, wie sie sich an ihre letzte Begegnung erinnerte. Sie sah das gleiche Misstrauen und die gleiche Erregung, die sie schon damals gezeigt hatte. Für die Ärztin waren sie nur Zombies ohne Herzschlag, Roboter mit weißem Schleim in den Adern anstatt Blut.
Ihre beste Freundin erkannte sie nicht mehr. Sam drehte sich um und rannte. Sie rannte bis zum Schott des Torraums. Hier war Schluss. Sie tastete ihre Taschen nach einer Magnetkarte ab, doch fand natürlich keine. Erst die Andere konnte den Schlüssel durch das Lesegerät ziehen, um sie gehen zu lassen.
Sie hastete auf das rettende Stargate zu. Wären ihr Jaffa auf den Fersen gewesen hätte sie es nicht eiliger gehabt. Es war bereits angewählt worden, das Wabern des Wurmlochs erwartete sie. Sie erklomm die Rampe. Bevor sie jedoch verschwinden konnte, hörte sie noch einmal ihre eigene Stimme hinter sich. „Sam.“ Sie erstarrte. Vor ihr schimmerte der Ereignishorizont. Sie war unfähig sich umzudrehen. Das hätte bedeutet noch ein letztes mal den Torraum zu sehen. Sie hätte es nicht ertragen können. Sie wollte sich nicht verabschieden, konnte es nicht.
Also stand sie einfach nur da und wartete ungeduldig. Eine innere Kraft hielt sie noch einen kurzen Moment an diesem Ort. Sie konnte nicht weg ehe sie nicht gehört hatte, was die Andere noch zu sagen hatte.
„Viel Glück.“ Das war alles. Sie trat vor und das Wurmloch verschluckte sie.

Die Luft in der Station war einfach scheiße. Sam stolperte die Treppe am Tor hinunter, der Laptop polterte zu Boden. Unten standen immer noch ihre Gefährten, die auf sie gewartet hatten. Sie hatte aber kein Auge für sie, sondern stürmte an ihnen vorbei. Sie rannte und rannte durch die stählernen Korridore dieser Gruft. Lief, als ob sie dadurch allem entkommen könnte. Ihrem alten Leben, ihrem neuen Leben, ihren Erinnerungen an das alte Leben, allem.
Irgendwann erreichte sie den Raum, den sie für sich in Anspruch genommen hatte. Sie stürzte hinein, warf sich auf den kalten Boden und brach in Tränen aus. Sie weinte, wie sie zuletzt als keines Kind geweint hatte.
Doch ihr Schluchzen fand in dem Raum, der genau so leer war wie ihr Leben, keinen Widerhall.


* * *


Jack machte sich große Vorwürfe. Er hätte sie nicht alleine gehen lassen dürfen. Carter war als ein einziges Nervenbündel zurückgekommen. Nichts war von der Energie und der Überzeugung, mit der sie aufgebrochen war, geblieben. Jetzt hatte sie sich in ihrem Raum eingeschlossen und kapselte sich darin völlig von der Umwelt ab.
Er hatte mehrfach versucht mit ihr zu reden. Sie alle hatten es versucht, selbst Harlan. Doch sie reagierte einfach nicht. Jack befürchtete, dass sie sich etwas antun könnte. Harlans Leute hatten sich alle entweder das Leben genommen oder waren in der verzweifelten Hoffnung außerhalb der Station auf Dauer leben zu können von hier geflohen. Wenn Carter etwas geschah, würde er sich das nie verzeihen, selbst wenn er ewig leben würde.
Wäre sie nicht eine verdammte Maschine gewesen, hätte sie sich längst zu Tode gehungert. Aber schließlich konnte nicht nur der Körper sterben, sondern auch der Geist. Nach Charlies Tod war er selber an einem solchen Abgrund gestanden.
Er hätte nie vermocht ihr zu befehlen auf diese Mission zu gehen, egal wie wichtig das auch für sie alle gewesen wäre. Aber das war auch gar nicht nötig gewesen. Carter hatte es sich schließlich in den Kopf gesetzt gehabt freiwillig zu gehen. Er hatte sie lediglich ziehen lassen.
Das war auch in Ordnung gewesen, inzwischen hatte er das eingesehen. Er hätte nicht zulassen können, dass die Anderen ihnen nicht nur ihr Leben nahmen, sondern ihnen auch noch durch die Furcht vor Ihnen die Chance auf ein neues verbauten. Doch er hätte Carter niemals alleine gehen lassen dürfen. Wenn es schon keine andere Wahl gegeben hatte, dann hätte er sie zumindest begleiten müssen.
Aber sie hatte das alleine durchstehen wollen – und Jack war das nur allzu Recht gewesen. Er hatte geahnt, was sie dort erwarten würde. Die Tatsache, dass Carter so unter Schock stand, zeigte sogar, dass seine Befürchtungen noch untertrieben gewesen waren. Nur wegen dieser Befürchtungen hatte er sich überreden lassen zurückzubleiben. Dabei war überreden noch eine Übertreibung: Carter hatte nur das gesagt, was er hatte hören wollen. Nur wegen seinem eigenen Egoismus hatte er ihr nicht beigestanden obwohl es als CO und ihr Freund seine Pflicht gewesen wäre.
Jetzt vergammelte sie in ihrem Raum und er machte sich Vorwürfe. Er verbrachte lange Zeit vor ihrer Tür und redete auf sie ein. Er versuchte ihr wieder Mut zu machen und so zum rauskommen zu bewegen. Aber wie sollte man jemandem etwas geben, an dem es einem selbst mangelte?
Das sich die Stimmung in der Station noch verschlechtern konnte, war eigentlich kaum vorstellbar. Dennoch tat sie es. Es schien fast so, als währe Niedergeschlagenheit etwas Greifbares geworden. Sie redeten kaum noch miteinander. Mit Carter stand und fiel ihre Hoffung auf ein anderes Leben. Die Unsicherheit darüber, was aus ihr werden würde und ob sie es nach ihrer Reise schaffen konnte einen Reaktor zu bauen, nagte an ihren Nerven.
Teal’c war ja schon immer recht isolationistisch gewesen, aber auch Daniel wurde immer mürrischer. Er war wohl doch nicht so glücklich wie es anfangs geschienen hatte. Und Harlan? Auch er schien das alles nicht als besser zu empfinden.
Jack selber verbrachte hin und wieder seine Zeit mit der Reparatur von Dingen. Leider gab es hier auch kaum etwas anderes zu tun. Doch immer wieder kehrte er zu Carters Raum zurück, lehnte sich gegen die Tür und begann zu reden. Er redete einfach drauflos, konnte nachher nicht mehr sagen was. Wem das letztendlich mehr half, ihm oder Carter, oder ob sie ihn überhaupt noch hörte, konnte er nicht sagen.


* * *


Als Jacks Wege ihn einmal wieder zu Carter führten, um nach dem Rechten zu sehen, fand er die Tür zu ihrem Raum offen vor. Der Raum war leer. Eine unglaubliche Erleichterung überfiel ihn. Sofort eilte er zum Labor und tatsächlich fand er sie dort. Sie arbeitete.
Es wäre ihm schwer gefallen, die Erleichterung in Worte zu fassen, die er in diesem Moment empfand. Carter bedeutete ihm mehr, als es eigentlich hätte sein sollten. Es war gut sie wieder auf den Beinen zu sehen.
Sie reagierte nicht, als er eintrat. Sie saß an der Computerkonsole und bediente abwechselnd den Stationscomputer und den Laptop, den sie von der Erde mitgebracht hatte.
„Carter“, sprach er sie an.
„Ich bin beschäftigt, Colonel“, sagte sie müde, ohne dabei allerdings von den Monitoren aufzusehen.
Jack wusste genau, wie ein Mensch aussah, der unter den Nachwirkungen eines großen Schmerzes litt. Er wusste, wie ein Mensch aussah, der in Spiegel blickte und sich fragte wieso er noch lebte. Er wollte ihr helfen. Selbst, wenn sie seine Hilfe nicht wollte, so wollte er sie ihr zumindest anbieten. Wenn sie jemanden brauchte, mit dem sie reden konnte, der ihr half, das zu verarbeiten, was sie dort erlebt hatte, dann würde er da sein.
„Was ist da drüben geschehen?“ fragte er. Doch Carter schien sich entschieden haben, ihn zu ignorieren.
Er löste sich von der Tür und stellte sich neben sie an die Konsole. „Sam...“ hauchte er, so leise, das man es fast für Einbildung hätte halten können. Bisher hatte er bei ihr immer sehr auf die förmliche Anrede bestanden, um Abstand zu wahren.
Tatsächlich sah sie auf. Man konnte ihr ansehen, dass was sie durchgemacht haben musste. „Danke, Colonel“, flüsterte sie und er sah, dass sie es ernst meinte. Sie machte ihm keinen Vorwurf, dass er sie nicht begleitet hatte. Ihr Blick wanderte in die Ferne. „Ich habe sie gehört... Ich habe auch die anderen gehört. Ich weiß nicht mehr was sie gesagt haben, aber ich denke es hat mir geholfen.“
„Wollen sie darüber reden?“ bot er ihr an.
Sie schüttelte den Kopf. „Es geht mir gut. Glauben sie mir. Ich habe viel durchgemacht und bin froh, dass es vorbei ist. Danke, wirklich, aber ich will jetzt nicht darüber reden.“
„Okay.“ Jack mochte immer seine raue Schale zur Schau tragen, aber er konnte auch sehr einfühlsam sein. Er sah, dass sie offenbar wirklich noch nicht den nötigen Abstand gewonnen hatte, um darüber reden zu können. Sie hatte das alleine überstanden und würde auch noch eine Weile alleine daran kauen wollen. Er kannte das sehr gut und er wollte sie nicht drängen.
Also ging er, bevor die Stille unangenehm wurde.


* * *


Ein Häufchen Elend. Mehr war sie nicht gewesen, als sie dort auf dem kalten Fußboden in irgendeiner Ecke gekauert hatte. Halbdunkel wie der Raum war, hätte er ihr Grab werden können. Das Leben, nein, viel eher ihre bloße Existenz, war gelaufen. Alles, was ihr lieb und teuer war hatte sie verloren.
Ihr ganzes Leben war fort. Es war an ihr vorbeigezogen ohne dass sie daran beteiligt gewesen wäre. Sie war wie eine Tote gewesen, die in die Welt der Lebenden zurückgekehrt war. Selbst, wenn die Lebenden irgendwann einmal ihren Tod bedauert hätten, was nicht der Fall gewesen war – sie hatten das Leben, das sie früher miteinander geteilt hatten, einfach weitergelebt. Das Leben ging ohne sie weiter und alles, was sie einst gemeinsam getan hatten, taten ihre Freunde jetzt ohne sie.
Anstatt ihr gab es jetzt die Andere. Den Major. Die Heldin. Sie hatte ihren Platz eingenommen und der Welt vorgegaukelt, dass alles noch beim alten wäre. Wegen Ihr hatte es nie jemanden gegeben, der auch nur einen Gedanken der Trauer an sie verschwendet hatte.
Janet hatte sie nicht erkannt. Für ihre beste Freundin war sie eine Fremde gewesen. Niemand hatte in ihr das gesehen, was sie sein wollte: Sam Carter. Sie konnte es gar nicht sein, dennoch hatte sie es die ganze Zeit über versucht. Sie hatte sogar beinahe geglaubt, es geschafft zu haben. Doch die Realität hatte sie eingeholt und ihr war schmerzhaft bewusst geworden, wie illusorisch das alles gewesen war.
Die Andere war jetzt Sam Carter und zwar so gründlich, das nichts mehr für die Kopie übrig blieb. Sie füllte ihren Platz im Universum so vollständig und übermächtig und alles erdrückend aus, dass für Sam einfach kein Raum mehr war. Sie war nicht einmal mehr ein Schatten. Es erschien ihr so, als hätte die Andere sie ausgesaugt, bis von ihrem ursprünglichen Ich nichts weiter als eine leere Hülle zurückgeblieben war.
Sie hatte alles verloren, ihre Existenz, ihre Identität, einschließlich aller Hoffnung und den Glauben an die Zukunft. Was für einen Zukunft sollte das sein? Das Leben, dass sie hier leben konnte, war es nicht wert, gelebt zu werden! Sie war es nicht wert am Leben zu sein.
Sie hatte einfach nicht mehr die Energie aufgebracht sich dagegen zu wehren. Ihre Welt war zusammengebrochen und sie hatte sich unter den Trümmern begraben lassen. Und hier lag sie nun.
Sie zog sich immer weiter in ihr inneres Jammertal zurück. Sie hörte die Stimmen vor der Tür, doch sie hatten keine Bedeutung mehr für sie. Sie waren Geister aus einem vergangenem Leben. Sam wollte von der Welt da draußen nichts mehr wissen. Manchmal weinte sie. Das Universum hatte sie enttäuscht und verhöhnte sie. Sie wollte da nicht mehr raus.
Ihr kleines Schneckenhaus schirmte sie so gut es ging vor ihrem Leben ab. Das Leben das sie wollte, konnte sie nicht haben, und das, was sie hatte, wollte sie nicht. Am liebsten hätte sie alles vergessen. Sie wollte nichts mehr spüren, nichts mehr empfinden – der Tod wäre ein Segen für sie gewesen.
Ihr Körper mochte unsterblich sein, aber das galt nicht für den Geist. Dunkelheit begann ihre Seele einzuschließen. Ein undurchdringlicher Schleier schien sich über alles zu legen und schirmte sie vor ihrem Leben ab.
Das bisschen Leben, was noch in ihr war, schien langsam aus ihr heraus zu fließen, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte oder wollte. Es war im Gegenteil sogar völlig in ihrem Sinne.
Doch da war noch ein kleiner Funke gewesen. Ein Funke der fast erloschen wäre. Vielleicht waren es die geisterhaften Stimmen aus der anderen Welt gewesen, die ihn all die Zeit über am Leben erhalten hatten. Es war ein winziger Augenblick gewesen, in dem der Funke plötzlich Nahrung fand. Inmitten der Finsternis stand plötzlich ein winziger Gedanke.
Es war der erste Gedanke, der seit langer Zeit aufflackerte und es hätte ihr letzter sein können. In diesem einen Augenblick war ihr klar geworden, dass sie sich entscheiden musste. Sie konnte sich für das Leben entscheiden – oder ihren Geist in die ewige Finsternis hinabdriften lassen.
Der Gedanke traf auf Widerhall. Ein Echo. Auf einmal schien er überall zu sein. Die Flamme erstrahlte sonnenhell in der Finsternis.
Sie hätte in ihrem Jammertal verenden können. Ihr wurde klar, dass sie kurz davor gewesen war, freiwillig in den Tod zu gehen. Sie wollte es nicht. Das Leben mochte schlecht sein, aber das rechtfertigte nicht, dass man es einfach fort warf. Wenn ihre Existenz die Reise durch ein Jammertal in der realen Welt bedeutete, schön – denn es war wenigstens eine Reise. Die einzige Alternative wäre das gähnende Nichts gewesen.
Von diesem Moment an, war es mit ihr wieder aufwärts gegangen. Sie selbst hatte es geschafft, sich aus der Dunkelheit zu befreien, in die sie sich selbst gestürzt hatte. Nicht die Erde oder sonst wer hatte sie dort hin gebracht, sondern nur sie selbst. Die Wahrnehmung bestimmte die eigene Realität und nicht etwa die Realität selber. Wenn sie glaubte, dass das Leben nicht wert war gelebt zu werden, dann war es das auch nicht. Und wenn sie glaubte, dass das Leben es wert war, dann war es das.
Sie musste sich mit ihrer jetzigen Existenz abfinden. Wenn sie leben wollte, hatte sie keine Wahl. Daniel hatte Recht: Der menschliche Körper war auch nur eine Maschine. Schon früher hatte sie gewusst, dass der Mensch nichts weiter war als das Produkt seiner Biologie. Aber sie hatte sich das nie eingestehen wollen, weil es ihr so abwertend vorgekommen war. Dennoch stimmte es. Dabei war es zudem eine Biologie, die ihre Fehler hatte. Fleisch war kein Material für einen Menschen. Sie hatte sich bei manchen Krankheiten oft gefragt, warum der Körper sie nicht in den Griff bekam, obwohl er dazu theoretisch durchaus die Möglichkeiten gehabt hätte.
Jetzt war sie kein Mensch mehr, sie war ein Roboter. Ja. So war es nun einmal. Sie konnte es nicht ändern. Im Gegenteil, sie musste sogar froh darum sein. Sie war froh. Sie war ein Roboter und das war auch gut so!
Der Roboter funktionierte viel besser, als ein Mensch. Der Mensch war das Produkt einer langen Evolution, aber er hatte seine Fehler. Er war minderwertig. Der Roboter alterte nicht, weil es sich ständig selbst reparierte. Er war widerstandsfähig und stark. Er würde niemals krank werden. Erst hier konnte sich ihr Geist richtig entfalten.
Was war dabei zu sagen, dass man war ein Roboter war? Roboter war nicht gleich Roboter. Sie waren keine primitiven Industriemaschinen oder groteske Geschöpfe aus schlechten Filmen. Sie waren sie. Sie waren gut, besser als alles, was sie je gesehen hatte, den Menschen eingeschlossen.
Und die Station – sie mochte vielleicht am Zerfallen sein, aber sie war gottverdammtnochmal ihre Heimat!
Heimat war nicht immer etwas Schönes, aber es war immer etwas, für dass es sich lohnen konnte zu kämpfen. Man konnte zu seiner Heimat stehen. Es war etwas der wenigen Dinge, die sie besaß und war daher entsprechend wertvoll. Sie waren weitaus besser bedient als Leute, die gar keine hatten.
Irgendwann war sie soweit aufzustehen. Sie sah die Welt nun aus einer ganz anderen Sicht. Die Wahrnehmung bestimmt die Realität. Ihre Wahrnehmung hatte sich geändert. Es gab eine Menge zu tun. Endlich sah sie wieder einen Hoffnungsschimmer am Horizont. Auch sie würde erfolgreich sein. Sie würde einen Reaktor bauen, sie würde ihnen wieder das Tor zu den Sternen öffnen. Sie würde etwas zu Stande bringen, dass selbst die Genies von Altair, einer viel hochentwickelteren Zivilisation, als die aus der sie stammte, nicht fertig gebracht hatten.


* * *


Sie hatte es tatsächlich geschafft! Sie hatte einen Naquadareaktor gebaut. Das Meisterwerk stand vor ihr auf dem Tisch. Noch war es viel zu groß, aber es war nur der erste Prototyp. Spätestens der dritte Reaktor würde so klein sein, wie sie ihn benötigten.
Mit den unzähligen Maschinen, mit denen die Einzelteile für die Maschinenkörper gebaut wurden, hatte sie auch die Teile für den Reaktor hergestellt. Dies hatte zwar einiger Improvisation bedurft, aber sie hatte es geschafft. Das Gerät stand vor ihr.
Eine unglaubliche Befriedigung erfüllte sie. Sie hatte sich selbst bewiesen, dass sie nicht unfähig war. Sollte sie es wirklich schaffen ihre Körper energetisch völlig autark zu machen, dann konnte sie von sich selbst behaupten, sich endlich aus dem Schatten ihrer Vorlage heraus gelöst zu haben. Dann würde auch sie sich endlich im Erfolg sonnen zu können.
Zufrieden beobachtete sie den Monitor, der die aktuellen Leistungsdaten des Reaktors zeigte. Seine Effizienz war noch mäßig, dennoch lieferte er schon jetzt mehr Leistung, als sie für ihre Körper benötigten. Die späteren Modelle würde sie so bauen, dass sie weniger Energie, aber diese dafür über einen größeren Zeitraum abgaben. Selbst bei pessimistischen Schätzungen, würde eine einzige Bestückung mit Naquada sie für ein ganzes Jahr versorgen können. Wie sie früher gegessen hatten, mussten sie nun dafür sorgen, dass sie jedes Jahr das Naquada ergänzten.
Sie lauschte dem leisen Brummen ihrer Schöpfung. Es war völlig regelmäßig. Der Reaktor setzte auf eine fantastische Weise die Masse des Naquadas in Energie um. Es war die perfekte Methode der Energiegewinnung. Wenn man einmal wusste wie es funktionierte war es ganz einfach. Das Problem war lediglich gewesen darauf zu kommen.
In Gedanken war sie bereits bei der Erprobung des endgültigen Modells. Dafür würde sie es zwangsläufig an einen ihrer Freunde anschließen müssen.

Wumm, wumm. machte es an der Tür. Jack lag auf seinem Bett und hatte die Augen geschlossen. „Ja?“
Mit einem leisen Schaben glitt die Tür beiseite. Es war Daniel. „Sam meint, dass sie bald soweit ist einen Reaktor testen zu können“, sagte er wie beiläufig.
Jack öffnete die Augen. Daniel lehnte mit den Händen in den Hosentaschen an der Wand. „Na, das ist doch schonmal was.“ Er schwang die Beine über die Bettkante und setzte sich auf. Kein Jubel, keine Ekstase. Wie lange hatte er auf diese Nachricht gewartet?
Jack lauschte in sich hinein. Er war zufrieden, sehr zufrieden. Dennoch konnte er sich nicht richtig freuen. Die Angst enttäuscht zu werden war stärker.
„Was denken sie werden wir tun, wenn wir hier weg können?“
„Ich weiß nicht.“ O’Neill zögerte. So konkret hatte er darüber nie nachgedacht. „Ich denke, wir werden wieder durch das Stargate gehen.“ Sein Gegenüber schwieg, dachte wohl über die Möglichkeiten nach, die sich daraus ergaben. „Vielleicht sind wir wirklich besser...“
„Besser, Jack?“ meinte Daniel bedächtig.
„Ja. Stärker. Schneller. Einfach besser.“ Er sah ihn an. „Stammt doch eigentlich von ihnen... Wir könnten diesen Schlangenköpfen ganz schon in ihre kleinen Ärsche treten.“
Ein Lächeln zeigte sich auf Daniels Gesicht. „Das Terminator -Team, Jack?“
„Warum nicht?“ Jack ließ es sich durch den Kopf gehen. „Teal’c hat bestimmt noch einige Dinge da draußen zu klären.“
„Das haben wir alle.“ Ein seltsamer Ton lag in seiner Stimme. Jacks Blick streifte Daniel. Er hoffte immer noch Sha’re von ihrem Goa’uld zu befreien, verließ sich wohl doch nicht ganz auf den Anderen. Wenigstens bestand nicht die Gefahr, dass er sie so schnell überleben würde. Wenn sie einen Sarkophag benutzte, konnte sie durchaus ein paar tausend Jahre leben. Andererseits: Was war das schon?
Ein Gedanke drängte sich in Jack an die Oberfläche. „Wir machen SG-1 wieder auf.“ Eine irre Idee, wie konnte er nur wagen daran zu denken? „Wir gehen einfach nicht von der Erde aus, sondern von hier. Bleiben eben ein wenig im Hintergrund. Erwischen tun Die uns dabei eh nicht.“
Letztlich war dies genau das, worum es ihm immer gegangen war. Der Gedanke war immer da gewesen, nur nicht so konkret. Er hatte ihn vorher nie ausformuliert und erst recht nicht ausgesprochen, sich statt dessen immer nur in Andeutungen ergeben. Doch er hatte nie vorgehabt sich auf ein bloßes Verlassen der Station, von dem er bisher immer nur gesprochen hatte, zu beschränken. Er hatte sein altes Leben nie völlig abgeschrieben, wollte noch immer so leben, wie er es auch früher getan hatte. Er wollte SG-1 wieder.
Daniel schaute ziemlich skeptisch drein, als er vorsichtig erwiderte: „Ich denke nicht, dass wir derartig euphorisch werden sollten...“
„Das liegt auch ganz bestimmt nicht in meiner Absicht.“ Doch Jack wusste sofort, dass er sich nicht an seine eigene Beteuerung halten konnte. Die Begeisterung, die er eben noch vermisst hatte, brach durch. „Aber denken sie an die Möglichkeiten, die wir jetzt haben“, erklärte er deswegen. „Das ist die Chance auf die wir Jahre lang gewartet haben und ich will verdammt sein, wenn wir sie nicht nutzen.“
Ein wenig kam ihm die Situation schon verkehrt vor. Normalweise war Daniel immer derjenige, der ihn für etwas begeistern musste. „Das Universum ist doch kein Hinterhof. Wie viele Welten mit Sternentoren gibt es? Da ist doch genug Platz für uns alle.“
Während er redete war ein versonnener Ausdruck in Daniels Gesicht getreten. „Wir wären nicht einmal auf das Stargate-Netzwerk beschränkt“, ließ er sich auf Jacks Gedanken ein. „Überlegen sie einmal. Wir könnten uns vielleicht ein Raumschiff besorgen und zu Planeten reisen, die kein Stargate haben. Selbst wenn die Reise Jahre dauern würde... Was würde uns hindern?“
Jack gab zu, sich geirrt zu haben. Er hatte Daniel nie für diese Idee begeistern, sondern nur dazu bringen müssen, seine ewige Besonnenheit abzulegen. Daniel hatte die gleichen Träume wie Jack, sogar noch viel weitreichendere. Und all diese Gedanken begannen nun zögerlich, aber immer schneller aus ihm hervorzusprudeln. Allmählich begannen beide ihre Scheu vor diesen Ideen zu verlieren, diskutierten die Möglichkeiten, die sich nun eröffneten durch und malten sie in den schönsten Farben aus.
Sie hatten unermesslich viel Zeit und ihnen stand ein unermesslicher Raum zur Verfügung. Sie konnten durch das Universum streifen und alles tun, was sie für richtig hielten. Wenn es ihnen beliebte, konnten sie jederzeit zur Station zurückkehren oder sie genauso gut für immer verlassen. Irgendwann könnten sie sogar wieder zurück auf die Erde gehen.
Sie waren frei, der Reaktor war fast fertig, Carter hatte es geschafft – was sollte jetzt noch schief gehen? Die Jahre, in der sie in dieser Station gefangen gewesen waren und nur die Zeit totgeschlagen hatten, waren vorbei. Sie mussten sich nicht mehr von den Umständen vorschreiben lassen wie sie zu leben hatten. Sie konnten endlich wieder so leben, wie sie es wollten. Ganz sicher...

Beeindruckend. Wirklich beeindruckend, das Gerät von Captain Carter. Harlan hätte nicht gedacht, dass so etwas möglich gewesen wäre. Wenn er nicht mit Sicherheit gewusst hätte, dass ihr Unterfangen zum Scheitern verurteilt war, wären ihm beim Anblick des Reaktors sicher Zweifel gekommen.
Er hatte sich von ihr erklären lassen, wie er funktionierte. Sie hatte wahrscheinlich gehofft, dass er sie im Gegenzug unterstützen würde und tatsächlich hatte er mit dem Gedanken gespielt, ihr die Wahrheit zu sagen. Dennoch hatte er sich dagegen entschieden. Sie hätte ihm sowieso nicht geglaubt. Die einzige Möglichkeit, dass sie und die anderen drei ihre Existenz endlich akzeptieren würden, lag darin, dass sie erkennen mussten einfach keine andere Wahl zu haben.
Bis dahin konnte er nur hoffen sie von allzu gefährlichen Experimenten mit dem Reaktor abhalten zu können. Schließlich konnten sie nicht lernen sich an etwas zu gewöhnen, wenn sie tot waren.


* * *


„Glauben sie wirklich, dass dies eine gute Idee war, Captain?“ Jack sah zu Harlan, der in der Ecke des Labors stand. Mit seinen gefalteten Händen, dem schwarzen Umhang über seiner Arbeitskleidung und seinen wenigen Haaren hatte er eine frappierende Ähnlichkeit mit einem Mönch.
„Falls etwas schief gehen sollte, möchte ich ihn dabei haben, Sir“, erklärte Carter.
Obwohl Harlan sich bisher geweigert hatte ihnen bei ihren Plänen zu helfen, konnte Jack dagegen nichts einwenden. Er sah hinüber zu dem kleinen Rolltischchen, das neben der einzelnen Liege stand. Darauf befand sich ein eiförmiges, kleines Gerät. Es war silbern und so glatt, dass man sich darin spiegeln konnte. Mehrere kleine Buchsen führten in sein Inneres. Es war wirklich eine Glanzleistung.
Der Reaktor summte kaum hörbar vor sich hin. Jack fragte sich, ob man das hören würde, wenn er ihn einmal in der Brust tragen würde. Alle seine Hoffnungen ruhten auf diesem Gerät und dem Versuch, der ihnen jetzt bevorstand. Sie mussten erst herausfinden, ob ihre Körper die Energiequelle auch wirklich annahmen, bevor sie das Gerät, das die Energie der Station anzapfte, endgültig aus ihren Körpern ausbauten und dafür den Reaktor einsetzten.
Daniel stand mit verschränkten Armen vor der Liege und schien etwas unsicher zu sein. Kein Wunder, denn er hatte sich zu Jacks Verwunderung bereiterklärt, den Reaktor an sich zu testen. Vielleicht war sein Interesse hier fort zu kommen doch größer als er sich eingestehen wollte. „Daniel?“ fragte er ihn.
Er sah Jack an und nickte tapfer. Carter erklärte ihm, was nun passieren würde. „Wir werden ihre Körperfunktionen mit einem Dämpfungsfeld herunterfahren. Sie haben das ja schon bei Colonel O’Neill gesehen...“ Sie vergewisserte sich davon, dass er ihr folgen konnte. „Es wird jedoch unmöglich sein, ihr Bewusstsein völlig auszuschalten, da wir ansonsten nicht richtig testen können. Sie werden aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr viel fühlen, auch keinen Schmerz... das denken wird ihnen auch schwer fallen.“ Sie wich seinem Blick aus, als sie bekannte: „Die Wahrheit ist aber, dass ich es nicht genau weiß. Wir haben das in dieser Form noch nie gemacht.“ Wenn Daniel diese Erklärung etwas ausmachte, so zeigte er es nicht.
„Ihr habt vor eine andere Energiequelle an seinen Körper anzuschließen“, erkannte Harlan.
„Kluges Kerlchen“, warf Jack trocken ein.
„Das dürft ihr nicht tun, es würde ihn beschädigen.“
„Wieso?“ fragte Carter schnell.
„Alles zu seiner Zeit, alles zu seiner Zeit“, wich Harlan ebenso schnell aus. „Irgendwann werdet ihr es verstehen.“
„Aber...“
„Hören sie gar nicht auf das dumme Geschwätz, Captain“, unterbrach sie der Colonel. „Der will doch bloß nicht, dass wir hier fort kommen.“ Er sah zu Daniel. Dieser zögerte kurz und zuckte dann die Schultern.
„Oh, nein, wartet! Es ist unmöglich“, rief Harlan, als Daniel sich anschickte sich auf die Liege zu legen.
„Wieso?“ warf Teal’c mit steinerner Mine ein.
Auch Daniel konnte nicht länger schweigen. „Harlan, du hast doch gesagt, dass einige deines Volkes fort gingen – mit tragbaren Energiequellen!“ bohrte er nach.
Harlan nickte und machte ein paar Geräusche, die das wohl untersteichen sollten.
„Also wieso ist es unmöglich?“ forderte Daniel ihn heraus.
„Ihr seid anders“, murmelte er kaum hörbar.
„Inwiefern?“ fragte Teal’c.
Harlan wand sich und suchte nach Worten, um sie zu vertrösten. Letztendlich schwieg er aber.
Nach einer kurzen Pause fragte Jack. „Irgendwelche Bedenken?“ Er sah in die Runde. „Daniel?“ Daniel schüttelte den Kopf und legte sich hin.
„Oh. Oh!“ winselte Harlan und begann an seinen Fingernägeln zu kauen. Carter trat an den Kopf der Liege und griff nach der Kurbel, die das Feld steuerte. „Wartet!“ kreischte er dann.
Langsam begann er Jack zu nerven. „Nenn uns einen Grund, einen einzigen triftigen Grund!“ rief er vielleicht ein wenig zu laut.
Der kleine Mann sah mit dem hohen Kragen seines Anzugs ständig so aus, als würde er mit eingezogenem Kopf herumlaufen. Jetzt schien er noch ein Stück kleiner zu werden. „Ihr seid anders als diejenigen, die fort gingen“, erklärte er ängstlich. „Eure Systeme können nur von einer Energiequelle mit den gleichen Eigenheiten wie die der Station gespeist werden. Und so etwas ist unmöglich zu bauen.“ Er strahlte schon wieder. Seine Angewohnheit schlechte Nachrichten wie eine Rettung aus dem Elend darzustellen war genauso unübertroffen wie seine plötzlichen Stimmungsumschwünge.
„Du hast uns extra so gebaut, dass wir nicht weg können?“ fragte Daniel ungläubig.
„Natürlich! Ich konnte doch nicht riskieren, dass ihr wie die anderen geht und nicht zurückkommt“, erklärte Harlan treuherzig mit einem kleinen Lächeln. „Ich brauche euch doch.“
„Du verdammter, kleiner...“ presste Jack zwischen den Zähnen hervor. In seinen Gedanken sah er sich, wie er diesen Mistkerl an die nächste Wand drückte. Doch er beherrschte sich. „Carter?!“ schnauzte er statt dessen. Alles, was er hören wollte, war, dass Harlan Blödsinn verzapfte.
Die Physikerin schluckte und zog die Mundwinkel nach unten. „Nun ja, das wäre theoretisch möglich... Aber ich habe die Leistungsdaten der Energiequelle der Station exakt kopiert, ich kann mir nicht vorstellen, dass es da ein Problem geben könnte.“ Sie sah Harlan fragend an.
Dieser lächelte sie freundlich an. „Das glaubst du vielleicht“, meinte er fröhlich. „Die Abstimmung muss jedoch viel, viel exakter sein – und außerdem dürfte es da noch einiges geben, wovon du gar nicht weißt, dass du drauf achten musst.“ Er kicherte.
Carter schüttelte den Kopf. Sie sahen sich an.
Wenn ein todkranker Mann von den Ärzten eine Operation angeboten bekam, die er nur mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit überleben würde, aber er dafür mit hundertprozentiger Sicherheit in kürze tot sein würde – was würde er tun?
Sie brauchten keine Worte, um sich zu verständigen. Die Entscheidung war längst getroffen.
Daniel nickte noch einmal und Carter drehte an der Kurbel. Ein weißes Licht beleuchtete die Liege von unten. Daniel hörte auf zu atmen. „Aber, aber...“ hörte Jack Harlan jammern. Das Atmen hatte keine wichtige Funktion mehr für sie. Carter hatte ihnen erklärt, dass sie anstatt einer Lunge nun ein ziemlich raffiniertes und äußerst Platz sparendes Röhrensystem hatten, dass zusammen mit einigen Schaltungen in ihrem Hirn ihnen die Illusion von einer normalen Atmung vermittelte.
Wie er so dalag, hätte er eigentlich tot sein müssen. Dennoch waren Daniels Augen noch voller Leben, auch wenn sie bewegungslos an die Decke starrten.
O’Neill wollte jetzt nicht in Carters Haut stecken. Das sagte er sich schon seit sie durch das Stargate auf die Erde gegangen war. Sie mochte zwar viel über ihre Körper wissen, aber das alles war nur Theorie. Sie musste Daniels Brust öffnen und den Reaktor an sein Energiesystem anschließen.
Sie war in der gleichen Situation wie ein Arzt, der noch nie in seinem Leben operiert hatte und dessen erste Operation eine Herztransplantation an seinem besten Freund war. Sie mochten Maschinen sein, aber sie waren Maschinen in Menschengestalt.
Maschinen zu verändern erforderte von niemandem Überwindung. Jack glaubte sogar, dass das Basteln an Geräten für Carter etwas äußerst befriedigendes hatte. Wie war es sonst zu erklären, dass sie es schon öfters vorgezogen hatte, lieber an ihren seltsamen Gebilden rumzuschrauben, anstatt ihre Freizeit mit dem Rest des Teams zu verbringen. Jack hatte sie dafür immer abwechselnd für völlig durchgeknallt und dann wieder für äußerst bewundernswert erklärt.
Doch diese Maschine war nun mal Daniel. Sie sah nicht nur so aus, sie enthielt auch seinen Geist. Wenn Carter einen Fehler machte und der Maschine etwas zustieß, so stieß auch Daniel etwas zu. Was machte es schon für einen Unterschied, ob das Blut rot und flüssig oder weiß und schleimig war. Letztendlich floss beides aus offnen Wunden. Jack hatte weggesehen, als sie mit einem Laser-Skalpell Daniels Bauch geöffnet hatte. Fleischähnliche Lappen hingen nun zu beiden Seiten runter und darunter war Metall zum Vorschein gekommen. Jetzt war da überall dieser Schleim, der schon einmal aus Jacks Arm gequollen war.
Ihr Blut hatte nicht die gleiche Funktion wie das eines Menschen. Es pulsierte nicht einmal durch die Adern – auch der Puls war eine Illusion. Woher hätte der auch kommen sollen, wenn sie kein schlagendes Herz hatten. Das Zeug kroch statt dessen nur langsam durch ihren Körper. Es enthielt größtenteils Rohmaterie, die sich an allen Stellen des Körpers ablagerte, an der Verschleiß aufgetreten war und sorgte so dafür, dass ihre Körper nicht alterten.
O’Neill hatte auf Carters Bitte extra noch einige Lampen aufgetrieben und sie an die Decke montiert, damit sie besser sah, was sie da tat. Es stellte sich jedoch heraus, dass sie nicht viel nützen und so mussten Teal’c und er ihr nicht nur die diversen Werkzeuge reichen, sondern auch zugleich noch mit Taschenlampen in Daniels geöffnete Bauchhöhle leuchten. Wenn es kein Jahrzehnt her gewesen wäre, seit er das letzte Mal was gegessen hätte, dann hätte er sich bestimmt übergeben.
Irgendwann war es geschafft. Mehrere unansehnliche, schwarze Kabel führten vom Reaktor und diversen Messgeräten in Daniels Bauch hinein und verschwanden darin. Völlig erschöpft konnte Carter endlich wieder aufatmen. Er reichte ihr ein improvisiertes Handtuch, an dem sie ihre verklebten Hände abwischen konnte. „Gut gemacht“, flüsterte er.
Nun kam es drauf an. Ein kleiner Schalterdruck und Daniels Körper würde seine Energie nicht mehr von der Station oder seinen internen Reserven, sondern vom Naquadareaktor beziehen. Carter atmete noch einmal tief durch. Sie sah die beiden Männer an. Teal’c nickte ihr entschlossen zu. Keiner achtete auf den total verzweifelten Harlan.
Klick.
Nichts geschah. Alle sahen sie wie gebannt auf die Anzeigen der Messgeräte. Jack hatte keine Ahnung, was sie bedeuteten, aber alle leuchteten in einem beruhigenden Grün. Einen langen Augenblick starrten sie ungläubig auf die Monitore und warteten, dass etwas geschah. Doch alles blieb ruhig.
„Es funktioniert“, sagte Carter tonlos.
Völlig Stille.
Dann begann Teal’c zu lachen. Bisher hatte Jack geglaubt, dass Lächeln seine einzige, seltene Gefühlsregung war. Sein Gelächter war geradezu homerisch und hallte von den Wänden des kleinen Raums wieder. O’Neill und Carter stimmten mit ein. Die angestaute Spannung entlud sich von einem Moment zum anderen.
Nur Harlan stand in einer Ecke und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Er konnte es nicht mit ansehen. „Oh nein...“ schluchzte er.

Auf einmal stand ein markerschütternder Schrei im Raum. Sofort erstarb das Gelächter, aber der Schrei blieb und schien nicht abreißen zu wollen. Daniel hätte nichts fühlen dürfen und dennoch hörte es sich an, als würde er bei lebendigem Leib verbrannt.
Die eben noch grünen Anzeigebalken waren entweder auf nahezu Null gesunken oder lagen hoch im roten Bereich. Der Alarm war unter dem Schrei kaum zu hören. Geistesgegenwärtig schlug Sam auf den Schalter und trennte Daniel so von dem Reaktor.
Einige der roten Anzeigen sanken auf Null, doch er schrie weiter. „Carter!!“ brüllte O’Neill, aber sie wusste nicht was sie tun sollte. Sie hatte ja nicht einmal eine Ahnung was schief gelaufen war. Einen Moment spielte sie mit dem Gedanken ihn einfach aufzuwecken, aber das würde es vielleicht nur schlimmer machen. Hilflos stand sie daneben und sah mit an wie er Qualen litt.
Ihre Gedanken rasten, suchten nach einem Ausweg. Hatte Harlan doch Recht gehabt? Wie hatte sie seine Warnung nur so in den Wind schlagen können? Vielleicht waren es Phasenverschiebungen, die er nicht vertrug oder sie waren in einen Resonanzbereich gerutscht, der sein System überlud...
Aber was nutzten diese Überlegungen, wenn sie nichts tun konnte!
Wie durch ein Wunder hörte es plötzlich auf. Es wurde totenstill. Daniel schrie nicht mehr, dafür wurde sein ganzer Körper von Krämpfen erschüttert.
Hilfe kam von einer Seite, die Carter schon längst abgeschrieben hatte. Harlan hatte sich von Anfang an geweigert ihr zu helfen, doch jetzt, wo das Leben eines seiner Kameraden auf dem Spiel stand, war er da. „Der Reaktor hat sein Energiesystem gestört“, erklärte er jetzt völlig professionell. Sie sah ihn mit offenem Mund an. „Ich kann ihn reparieren.“
„Dann tu es!“ forderte ihn O’Neill auf.
„Ich brauche Ruhe“, verlangte Harlan. „Lasst mich allein. Fort mit euch!“ O’Neill und Teal’c verließen das Labor. Auch Sam machte einige Schritte auf den Ausgang zu. Doch auf halbem Weg blieb sie stehen. Ihr Blick blieb an Daniel haften, wie er sich in seinen Krämpfen wand. Es war ihre Schuld. Sie hatte versagt.
Sie hätte alles getan, um ihm zu helfen, doch sie wusste nicht wie. Nur Harlan konnte ihm helfen. Er stand vor ihr, machte Geräusche wie eine nervöse Hummel und versuchte sie mit windigen Handbewegungen zu verscheuchen.
„Kommen sie, Carter“, hörte sie den Colonel rufen. Wenn sie Daniel durch ihre Abwesenheit helfen konnte, also bitte. Beflügelt von diesem Entschluss stürzte sie aus dem Raum.
Die Tür schlug hinter ihr schwer ins Schott. Orientierungslos blieb sie stehen, die Gedanken wirbelten umher. Langsam bewegte sie sich an dem Endmontagekäfig und seinem Kontrollterminal vorbei zur gegenüberliegenden Seite des Raumes. Verzweifelt stützte sie sich gegen die vergitterte Wand.
Hier brach der Wall, der den so sorgsam zurückgehaltenen Strom der Verzweiflung bisher aufgehalten hatte. Er überrollte sie wie eine alles erstickende Woge. Sie konnte sich nicht dagegen stemmen und so wurde sie mitgerissen. Verzweiflung, Selbstvorwürfe und Furcht vor der Zukunft vereinigten sich zu einem alles vernichtenden Strom, der sich durch ihr Gehirn fräste.
Was habe ich getan?
Von weit her hörte sie eine vertraute Stimme. „Was sie tun mussten.“
Dann tauchte sie vollends unter.


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Kapitel 2 by Sphere


Zweiter Teil


„Eurem Freund geht es schon viel besser!“ hatte er gesagt. O’Neill hatte recht. Dieser überdrehte, kichernde Zwerg. Sie konnte ihn nicht ausstehen.
Die beiden anderen waren sofort zu Daniel geeilt, aber sie konnte es nicht. Sie schämte sich. Sie stand immer noch an der Wand, rührte sich nicht vom Fleck, traute sich dabei nicht einmal die Augen zu öffnen.
Sie hatte geglaubt auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Daniel hatte ihr in dieser Hinsicht vertraut. Doch sie war völlig gelähmt gewesen, als dann etwas schief gelaufen war, mit dem sie einfach nicht gerechnet hatte. Das hätte ihr nicht passieren dürfen.
Sie hatte Harlan nicht geglaubt. So vernarrt war sie in ihre Erfindung gewesen, dass sie die Wahrheit nicht hatte sehen wollen. Es war nicht unmöglich gewesen, was Harlan behauptet hatte. Sie hatte es gewusst und sie hatte es verdrängt.
Daniel hatte für ihren Fehler bezahlen müssen. Wegen ihr hatte er gelitten. Sie war verantwortlich für das, was passiert war, sie hatte ihm diese Schmerzen zugefügt. An seiner Stelle hätte sie da liegen müssen und sich vor Schmerzen winden. Sie konnte sich nicht ausstehen dafür, dass sie das nicht getan hatte.

Jack und Teal’c waren lange fort, als Sam in der Tür erschien. „Wie fühlen sie sich?“ flüsterte sie.
„Komisch“, antwortete Daniel schwach. „Harlan sagt ich müsse erst eine Weile Energie aus der Station beziehen, bis ich wieder richtig funktioniere.“ Er sah sie an. Er mochte Sam sehr. Manchmal glaubte er sie schon ein Leben lang gekannt zu haben. Es tat ihm weh, dass das Leben in letzter Zeit so grausam zu ihr gewesen war. „Sam – sie brauchen sich keine Vorwürfe machen“, sagte er. „Es war meine Entscheidung. Ich bin sicher, dass sie es nicht versucht hätten, wenn sie nicht überzeugt gewesen wären, dass es funktioniert. Dadurch das es das nicht hat, können wir doch erst herausfinden, woran es liegt.“
Sie schwieg. „Harlan hat mir erzählt, was geschehen ist“, fuhr Daniel fort. „Vielleicht hilft es ihnen, wenn ich sage, dass ich mich nicht daran erinnere. Ich schätze es war einfach nur ein unbewusster Reflex meines... künstlichen Gehirns.“
„Es tut mir so leid.“ Sie schien das, was er gesagt hatte nicht gehört zu haben. „Bitte verzeihen sie mir“, hauchte sie. Er sah den Scherz in ihren Augen und wusste wie sie litt.
Daniel lächelte sie aufmunternd an. „Ich muss ihnen nicht verzeihen, weil ich ihnen auch keinen Vorwurf mache.“
Sam nickte. „Danke“, flüsterte sie, erleichtert darüber, dass er auf gewisse Weise ihre Entschuldigung doch annahm. Aber er sah, dass die Vorwürfe, die sie sich machte, blieben. „Gute Besserung.“ Sie trat einen Schritt zurück und ging dann langsam hinaus.


* * *


Für Jack brach mal wieder eine Welt zusammen. Er hatte einen Fehler gemacht. Er hatte gewagt zu hoffen. Es war die Hoffnung gewesen, sich ein anderes Leben aufbauen zu können. Die Hoffnung, dass sein Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit endlich wahr würde und er sich von hier lösen konnte.
Wie sehr hatte er sich das gewünscht. Das Ziel schien so nahe gewesen zu sein. Wie ein Verdurstender war er darauf zu gelaufen, nur um feststellen zu müssen, dass es eine Fata Morgana war.
Jack fühlte sich leer. Sein ganzes Fantasiegebäude, das er mit Daniel zusammen errichtet hatte, hatte nur auf tönernen Füßen gestanden und war wie ein Kartenhaus zusammengebrochen. Und nun waren er und Daniel hier, nicht bereits auf einem anderen Planeten, sondern hier in seinem Raum, wo sie dieses Wolkenschloss gebaut hatten.
„Neue Welten außerhalb des Stargate-Netzwerks“, stöhnte Jack auf. „Was für ein Unsinn.“
Doch der Einwand, auf den er wartete, blieb aus. Daniel ging es zwar längst wieder gut, aber das änderte nichts daran, dass er im Moment geistig nicht anwesend zu sein schien. „Nun sagen sie’s schon“, forderte Jack ihn auf.
„Was?“ fuhr Daniel aus seinen Gedanken hoch.
„Wir konnten nicht wissen, dass es so kommen würde!“
„Ja“, seufzte Daniel. „Wir konnten es nicht...“
Wenn Jack bei sich zu Hause bei seinem Discman die Batterien gewechselt hatte, war das einzige Problem, das auftreten konnte, dass er keine Batterien hatte. Dank Carter hatten sie aber nun die passenden Mega-Batterien gehabt. Was also hätte passieren sollen? Sie konnten es nicht wissen.
Von wegen!
„Ach, zum Teufel! Natürlich konnten wir“, widersprach er. „Eine Milchmädchenrechnung! Es war noch alles viel zu unausgegoren. Man soll den Bären nicht verkaufen, bevor man sein Fell... sie wissen schon.“
Aber das hatten sie beide natürlich schon vorher gewusst. Dennoch hatten sie nicht anders gekonnt. Hoffnung war ein mächtiges Gefühl. Es enthielt ein unglaubliches Potential. In der Hoffnung und den darin zugrunde liegenden Wünschen und Plänen lag die Wurzel von Revolutionen, die eine Gesellschaft zu stürzten vermochten und zum Grundstein einer neuen werden konnten.
Doch was geschah, wenn das Feuer der Hoffnung erlosch?
„Ich denke auf jeden Fall nicht, dass es Sams Schuld war“, warf Daniel ein, der längst die gleichen Gedanken wie Jack gehabt haben musste.
„Es gibt nur einen der Schuld ist“, knurrte Jack. Es war Harlan gewesen, der alles getan hatte, um zu verhindern, dass sie fort konnten. „Ich hätte ihn erschießen sollen.“
Carter war nicht schuld, selbst wenn sie das zu glauben schien. Nach dem Experiment hatte er sich lange mit ihr unterhalten und sie von ihrer Habgier abzubringen versucht, die alleinige Verantwortung für das Geschehene zu übernehmen. Zu diesem Zeitpunkt war er noch überzeugt gewesen, dass das Experiment nur das erste einer kurzen Reihe wäre, die mit dem Erfolg enden würde. Zwar war die Enttäuschung da gewesen, dass es nicht sofort funktioniert hatte, aber noch war er zuversichtlich gewesen.
Doch wenn er etwas von dem verstanden hatte, was Carter von sich gegeben hatte, dann war es, dass sie dem Ziel doch nicht so nahe waren, wie er es geglaubt hatte. Dass sie ihm nicht so schnell näher kommen würden, wie er das hoffte. Dass sie es vielleicht nie erreichen konnten... Und in diesem Moment war ihm klar geworden, wie gefährlich Hoffnung sein konnte.
Carter hatte sich wieder ins Labor zurückgezogen und geschwiegen. Wenn es ein Problem gewesen wäre, dass sie leicht hätte lösen können, hätte sie es ihm inzwischen gesagt. Früher hatte sie zwar manchmal etwas Zeit gebraucht, aber über kurz oder lang war ihr dann immer die zündende Idee gekommen.
Doch wenn sie eine solche Idee gehabt hätte, dann hätte sie das nicht für sich behalten können. Er hatte Carter noch öfters aufgesucht, aber nie hatte sie etwas in dieser Richtung verlauten lassen. Sie hatte ihn immer nur vertröstet und sein Instinkt sagte ihm, dass dies auch so bleiben würde.
Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren...
Er sah wieder hoch zu Daniel. „Denken sie, das wir es noch schaffen werden?“ sprach er die Frage aus, die ihm schon die ganze Zeit auf der Zunge lag.
Daniel schwieg. In seinem Gesicht arbeitete es und für einen Moment schien es so, als würde er doch noch zu einer Antwort ansetzen wollen. Es wurde nichts daraus. Daniel wich Jacks Blick aus und blieb ihm die Antwort schuldig. Aber schließlich war auch das eine Antwort.
Es ist unmöglich hatte der alte Harlan gesagt. Auch Jack wagte es nicht mehr zu hoffen. Eine nochmalige Enttäuschung hätte er nicht verkraftet.
Wenn man nicht hoffte, konnte man auch nicht enttäuscht werden. Teal’c war weise genug gewesen seine Energie nicht auf etwas zu verschwenden, das er bei besten Willen nicht ändern konnte. Auch Jack würde sich von nun an damit abfinden müssen hier zu bleiben. Falls sich daran noch etwas ändern sollte, gut. Wenn nicht... dann auch gut.

Die anderen machten ihr keine Vorwürfe. Keine einzige abfällige Bemerkung zu dem misslungen Versuch war über ihre Lippen gekommen. Vielleicht wäre es dann einfacher für sie gewesen.
Sam störte es nicht, wenn andere ihr etwas vorwarfen, während sie dachte richtig gehandelt zu haben. Es interessierte sie nicht sonderlich, was andere über sie dachten. Sollten sie sie doch kritisieren, das mochte sie zwar ärgern, spielte aber für sie keine weitere Rolle. Dies mochte keine Einstellung sein, die einer Beförderung in der Air Force sehr zuträglich gewesen wäre, aber in dieser Hinsicht war sie wohl mehr Doktor Carter, als Captain Carter.
Die einzige, die ihr Vorwürfe machen konnte, war sie selbst. Die Vorwürfe, die sie sich selbst machte, waren die einzigen, die sie interessierten – und die an ihr nagten.
Sie war äußerst kritisch sich selbst gegenüber. Fehler bei anderen tolerierte sie ohne Probleme, nur bei sich selbst nicht. Sie konnte sich sagen, dass sie es nicht zu eng nehmen sollte, aber das tat sie trotzdem.
Der Reaktor war falsch gebaut gewesen. Schlimm genug, aber es war aber weniger das Scheitern an sich, das sie aufwühlte, sondern dass sie es überhaupt soweit hatte kommen lassen. Sie hätte von Anfang an gründlicher arbeiten müssen. Sie war sich ihrer Verantwortung bewusst gewesen und sie hatte sich dieser nicht als würdig erwiesen. Sie hatte einen Fehler gemacht, der ihr nicht hätte passieren dürfen.
Der Colonel hatte versucht ihr das auszureden. Und natürlich war er der Commanding Officer, aber er hatte ihr ja nichts befohlen und sie beide wussten, dass er sich auf ihr Urteil verlassen hatte. Zwar war Daniel ebenfalls mit dem Versuch einverstanden gewesen, aber er hatte keine Ahnung gehabt. Keiner von ihnen hatte Ahnung gehabt.
Wenn dagegen sie sich gesperrt hätte, dann hätten sie das akzeptieren müssen. Hatte sie sich gesperrt? Nein. Das war ja das Problem.
Diese Scharte musste sie wieder auswetzen. Nicht für die anderen. Nicht für ihren eigenen Wunsch hier fort zu kommen. Allein, um vor sich selbst das Gesicht zu wahren.
Sie war wieder im Labor und versuchte eine Lösung für ihr Problem zu finden. Es ist unmöglich hatte Harlan prophezeit. Was wäre, wenn er Recht behalten würde?


* * *


In den nächsten Jahren versuchte Jack ernsthaft sich anzupassen. Er begann nun regelmäßig die Station zu reparieren.
Das war einfacher, als es auf den ersten Blick erschien. Normalerweise hätte jeder von ihnen sehr viel Zeit benötigt, um den Umgang mit den Geräten zu lernen. Da ihnen allerdings Harlan das nötige Wissen einfach in ihre Gehirne gespeichert hatte, waren diese Fähigkeiten sozusagen angeboren. Immer, wenn Jack etwas über die Technik der Station wissen musste, war die Lösung plötzlich einfach da und er wusste, was zu tun war.
Immer wieder improvisierte er bei seiner Arbeit aus Schrott Ersatzteile. Obwohl dies nicht zu dem eingeimpften Wissen gehörte, war er darin richtig gut.
Er unterhielt sich sogar mit Harlan. Eigentlich konnte er ihn nicht ausstehen. Seine ganze Art war nur als nervend zu beschreiben. Wenn man sowieso schon etwas gereizt war, konnte er einen auf die Palme bringen. Des weiteren vermochte Jack einfach nicht zu vergessen, dass sie letztlich Harlan das Schlamassel verdankten, in dem sie saßen. Doch zu hassen vermochte er ihn dafür nicht. Harlan hatte irgendetwas an sich, das dies verhinderte. Außerdem sah Jack ein, dass eine offene Feindschaft zu jemandem, mit dem man über einen nicht absehbar langen Zeitraum zusammen leben musste, sicherlich nicht förderlich für ihn gewesen wäre.
Also arrangierte er sich mit ihm und versuchte mehr oder weniger normal mit ihm zusammenzuleben und zu arbeiten. Manchmal setzte Harlan sich zu ihnen, wenn Jack sich gerade mit Teal’c oder Daniel unterhielt. Er ließ ihn, aber den einen oder anderen Seitenhieb auf ihn konnte er dann doch nicht unterdrücken. Harlan war darüber allerdings nie beleidigt, er lachte höchstens, was vielleicht mit ein Grund dafür war, dass man ihm einfach nicht auf Dauer böse sein konnte.
Doch obwohl er sich auf den ersten Blick eingelebt hatte, musste Jack letztlich zugeben, dass er nur so tat, als würde er sich anpassen. Er machte sich damit selber etwas vor. Mit der Zeit wurde er dadurch immer gereizter und nervöser. Er merkte es, konnte aber nichts dagegen tun. Jede Kleinigkeit begann ihn aufzuregen. Er vermochte es einfach nicht, sich mit der Situation abzufinden. Im Gegenteil: seine Situation war es, die ihn so zur Weißglut brachte. Und er hatte nicht einmal mehr die Perspektive daran etwas ändern zu können. Er musste es akzeptieren, konnte es aber nicht.
Seit Ewigkeiten hatte er Sam nicht mehr zu Gesicht bekommen. Sie hatte sich eingeschlossen und tat so, als ob sie ihnen keine Rechenschaft schuldig wäre.
Es war interessant, über was sich der Mensch alles aufzuregen vermochte. Darunter waren teilweise Dinge, die er sonst nie wahrgenommen hätte. Diese Kleinigkeiten mochten Tropfen sein, doch wie es so schön hieß, steter Tropfen höhlt den Stein. Dieses kleine Blechstück, dass es wagte, ihm im Weg zu liegen zum Beispiel. Ein Tropfen konnte ein Fass zum überlaufen bringen.
Die Station leitete Wasser in die Tiefen des Planeten, wo es durch die außergewöhnlich hohe Temperatur dort unten erwärmt und wieder zutage gefördert wurde. Aus dieser Wärme gewannen sie ihre Energie. Das Problem dabei war, dass mit dem Wasser alle mögliche Stoffe mit nach oben gespült wurden, die chemisch gesehen so aggressiv waren, dass sie selbst den besten Edelstahl mit der Zeit zerfressen hätten – und dieser Schrott hier sah ihm bereits sehr mitgenommen aus.
Jack reparierte eine der unzähligen Wasserleitungen. Jahrelang hatte er nichts anderes getan, als irgendetwas zu reparieren und es begann ihn aufzuregen. Reparieren war nicht sein Ding. Er war Soldat, er musste etwas tun.
Es machte ihn rasend. Dieses Rohr hatte er bestimmt vor kurzem schon einmal geflickt. Alles, alles kotzte ihn förmlich an. Er hatte das dringende Bedürfnis irgendwohin zu schlagen. Das Licht war hier absolut unter aller Sau. Er konnte nicht sehen, was er hier so bescheuert zusammenbasteltete. Die Schraube klemmte. Jetzt lag auch noch der Schraubenschlüssel so weit unten im Werkzeugkasten.
„Achtung! Undichte Stelle in Abschnitt 37, Sektion 2. Dringende Wartung erforderlich.“ O’Neill hasste den Klang der Stimme des Stationscomputers und dessen ständiges Genörgel. Es regte ihn auf und jetzt war er auch noch so blöd, dass ihm diese verfluchte Schraube aus der Hand glitt und irgendwo im Dunkel verschwand.
VERDAMMT! Er trat gegen das Rohr. Es zerbarst und die Trümmer schlitterten über den hässlichen schwarzgrauen Boden. Das war so klar gewesen: das Rohr führte nichtmal Wasser sondern nur heiße Luft!
Heiße Luft! Es gab hier noch jemanden, der nichts als heiße Luft produzierte. Carter hatte sich jetzt lange genug in ihrem verfluchten Labor verkrochen. Jack warf den schweren Schraubenschlüssel nach den Resten des Rohrs. Natürlich traf er nicht. Mit all dieser Wut im Bauch stürmte er durch die Korridore. Wie eine unaufhaltbare Naturgewalt durchpflügte er die Luft.
Als er das Labor erreichte, marschierte er achtlos an dem Montagekäfig vorbei, in den Raum mit der Liege und wummerte dort gegen die Tür. „Carter, machen sie auf!“
Keine Antwort.
Zur Hölle mit den Umgangsformen. Früher hatte er auch nicht immer auf das „Herein“ gewartet. Er öffnete die Tür. Neben ihm schlug ein schwerer Maschinenblock dumpf gegen die Wand, den er früher bestimmt nichtmal hätte hochstemmen können.
„Raus!“ fuhr ihn Carter an, die dieses Teil geworfen hatte.
Jack stand da wie ein Fels. Vor einer Ewigkeit hätte er die Situation sicher mit einem flapsigen Spruch entschärft, doch diesmal nicht. Er stand mit verschränkten Armen in der Tür und fixierte sie.
„Es funktioniert nicht.“ fluchte Carter, wie um sich zu rechtfertigen.
„Das will ich aber nicht hören!“ schrie Jack auf einmal los.
„Sie haben doch keine Ahnung!“ schrie sie zurück. „Sie wissen doch überhaupt nicht, um was es hier geht, für sie ist Physik doch ein Fremdwort. Ich habe Ahnung davon. Ich weiß es! Und ich sage ihnen, es ist unmöglich!“
„Eines weiß ich auf jeden Fall ganz genau,“ dröhnte er. „Wir werden hier elend verrecken, wenn sie es nicht möglich machen.“
„Das ist mir verdammt bewusst, Colonel und ich sage ihnen, ich tue alles, was in meiner Macht steht, doch ich kann leider nicht hexen.“
„Dann lernen sie es, Captain, dann lernen sie es!“ schnauzte er, drehte sich um und verschwand.

Mit einem dumpfen Geräusch fuhr die Tür hinter dem Colonel zu. Sam entspannte sich wieder. Es hatte gut getan, all ihren Frust aus sich herauszuschreien. Sie lachte in sich hinein. Diese Situation machte ihnen allen zu schaffen. Es war klar gewesen, dass sie eines Tages aneinander geraten würden. Sie versuchte wieder zu Atem zu kommen und zog sich einen der Drehstühle heran.
O’Neill hatte völlig Recht gehabt, auch wenn er vor allem wahrscheinlich genau wie sie nur die Absicht gehabt hatte sich abzureagieren. Sie war ihm nicht böse, denn er hatte sie wach geschüttelt. In letzter Zeit hatte sie kaum etwas zustande gebracht. Es war inzwischen eine Ewigkeit vergangen, viel mehr als diese lächerlichen fünf Jahre und in all der Zeit war sie ihrem Ziel nicht näher gekommen. Ihre ganze Motivation war kurz davor gewesen sich vollständig in unproduktiven Frust umzuwandeln.
Wenn sie aufgab, gab es wirklich keine Hoffnung mehr. Sie würden hier bis in alle Ewigkeit bleiben müssen. Bei diesem Gedanken lief ihr immer ein Schauer über den Rücken.
Ein letztes Mal brachte sie all ihre Energie auf, um das Problem zu lösen.

Es ist unmöglich...


* * *


Jack kehrte in die Halle mit dem Rohr zurück, das er zerschmettert hatte. Wer hatte behauptet, dass ein Wutausbruch Erleichterung verschaffen konnte?? Jetzt hatte er ein kaputtes Rohr mehr, dass er ersetzen musste. Er hatte Glück gehabt, dass es kein kochendes Wasser geführt hatte, wie es eigentlich hätte sein sollen. Das wäre dann ganz schön unangenehm geworden. Aber was vielleicht noch schlimmer war, dass er Carter angebrüllt hatte.
Er holte aus, um gegen den Werkzeugkasten zu treten, hielt aber dann doch inne. Die Vorstellung von Werkzeugen, die durch die Halle flogen und die er dann alle wieder auflesen durfte, gefiel ihm nicht. Er hatte sich mit Carter gestritten, ihr sarkastische Bemerkungen zugeworfen, aber er konnte sich nicht daran erinnern sie jemals ernsthaft angebrüllt zu haben. Angebrüllt, nur um seine Wut an ihr auszulassen.
Er hatte ihr nie gesagt, was er von ihr hielt. Niemals. Vielleicht hatte er gegenüber Daniel oder Teal’c mal geäußert, dass ihn ihre Fähigkeiten beeindruckten. Sie war unglaublich clever und schien einfach für alles eine Erklärung zu haben. Aber seine Bewunderung für sie beschränkte sich nicht nur auf die professionelle Ebene.
Jetzt gab er dem Werkzeugkasten doch einen kleinen Schubs und beobachtete, wie er zur nächsten Wand schlitterte. So war er erst einmal aus dem Weg, während er die Trümmer des Rohrs auflas.
Wenn er sich fragte, wann er angefangen hatte so zu empfinden, musste er ehrlich sagen, dass er es nicht wusste. Die Wurzeln dafür lagen noch auf der Erde, aber darüber im Klaren war er sich erst hier geworden. Überhaupt hatte es eine Weile gedauert, bis er sie als Frau überhaupt wahrgenommen hatte. Irgendwann hatte er erkannt, dass es nicht Sara war, der er nachtrauerte, sondern seiner Ehe im Allgemeinen. Er konnte sich nicht vorstellen, wieder mit ihr zusammenzuleben. Jede Minute davon hätte sie beide an ihren toten Sohn erinnert. Andererseits erinnerte ihn Carter ein wenig an Sara...
Er und Carter waren gute Freude und er glaubte zu wissen, dass sie ihn gut leiden konnte. Doch sie beide waren von Anfang an auf Distanz geblieben. Dabei war es schon ein wenig merkwürdig, wenn man manchmal spät in der Nacht zusammen mit Freuden im Wohnzimmer einer Person saß, die einen selbst nach dem einen oder anderen Bier noch konsequent mit Sir anredete. Dabei wusste er, dass er keinen Deut besser war. Manchmal vergaß er sogar, dass Carter einen Vornamen hatte.
Er wusste, wie sehr sie in ihrer Arbeit aufging, aber immer, wenn sie versuchte darüber zu reden, würgte er sie gerne ab. Manchmal reduzierte er sie einfach auf Carter, sagen sie uns einfach, ob sie es reparieren können.
Eigentlich war das für ihn normal. Er behandelte Daniel ähnlich und meinte es nicht böse. Es war für ihn mehr eine Mischung zwischen freundschaftlicher Stichelei und der Einstellung, dass sie und Daniel sich überall austoben konnten, ihn damit aber verschonen sollten. Er würde sich jedem anderen gegenüber genauso verhalten. Hätte er Carter reden lassen, wäre das einem Eingeständnis gleichgekommen. Außerdem konnte er dieses Technikgeschwätz einfach nicht ertragen, selbst wenn er es gewollt hätte.
Mit den Überresten des Rohres war nichts mehr anzufangen. Er würde ein ganz neues Rohr einbauen müssen.
Als sich damals dieser glattrasierte Tollaner für sie interessiert hatte, hatte er sich noch für sie gefreut. Jetzt war er froh, dass der Typ bei den Nox war und da auch hoffentlich bleiben würde.
Es war auf einer ihrer letzten Missionen gewesen, als er und Carter nicht im SGC, sondern aus dem zweiten Tor auf der Erde herauskamen, das in der Antarktis lag. Das hatten sie damals natürlich nicht gewusst und sie hatten die Antarktis für einen Eisplaneten gehalten. Wer konnte denn schon ahnen, dass es auf der Erde ein zweites Tor gab, das nur nicht mehr richtig funktionierte? Der Grund wegen dem sie von dort aus nicht auf die Erde hatten zurückkehren können, war allerdings nicht der Schaden am Tor gewesen, sondern die Tatsache, dass sie sich bereits auf der Erde befunden hatten.
Er war damals verletzt gewesen und als Carter trotz aller Reparaturversuche die Erde nicht hatte anwählen können, hatte er ihr befohlen auf die Oberfläche zu gehen und dort ihr Glück zu versuchen. Natürlich hatte dies einige Überzeugungsarbeit gekostet, was wohl normal war. Oder normal sein sollte. Er hatte leider schon gegenteilige Erfahrungen gemacht.
Dort oben war bis zum Horizont nichts als Eis und Schnee gewesen, aber anstatt einfach in der Hoffnung loszulaufen etwas oder jemanden zu finden, war sie zu ihm zurückgekommen um mit ihm zu sterben. Normal?
Schon vorher hatte sie etwas zu ihm gesagt, an das er sich noch ganz genau erinnerte, obwohl er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr völlig bei sich gewesen war. Innere Blutungen waren nun mal eine hässliche Sache, vor allem wenn noch Minustemperaturen dazukamen. Er hatte das Gefühl gehabt sich gleichzeitig zu Tode zu schwitzen und zu erfrieren. Trotzdem wusste er noch genau, was sie damals zu ihm gesagt hatte. Colonel. hatte sie gesagt. Falls wir es nicht schaffen sollten... Ich bedaure nichts.
Hölle, was hatte sie damit gemeint? Was war es, dass sie nicht bedauerte? In diesem Augenblick hatte er geglaubt es zu verstehen und gleichzeitig bezweifelt, dass sie ehrlich war. Ich bedaure es hatte er geantwortet ... zu sterben.
Heute zweifelte er an der Deutung dieses kleinen Satzes im Angesicht des Todes. Verdammt, was machte er sich überhaupt für Hoffnungen? Sie würde nicht so auf Distanz bleiben, wenn sie ähnlich fühlen würde. Außerdem hatte sie etwas besseres verdient als einen alten Kotzbrocken wie ihn!
Doch selbst, wenn sie sich beide darüber klar gewesen wären, was sie empfanden – er hätte es nie ausgesprochen, er hätte es immer verleugnet. Sogar vor sich selbst. Er wusste, dass wenn er sich eingestanden hätte sie zu lieben, er nicht mehr in der Lage gewesen wäre zuzulassen, dass ihr Leben in Gefahr geriet. Zu dem Job von ihnen allen gehörte aber nun mal ein gewisses Risiko.
Carter liebte ihren Job genau wie er. Das Problem war wohl, dass ihm nicht nur seine Arbeit an sich etwas bedeutete, sondern auch das Arbeiten mit Carter zusammen. Doch sie konnten nur so zusammenarbeiten, wie sie es bisher getan hatten. Anders hätte es einfach nicht funktioniert.
Jack hatte einmal eine mehr oder weniger offene Beziehung aus der Entfernung mitbekommen und er hatte den Schmerz und die Verzweiflung ins Johnsons Gesicht gesehen, als ihr Freund damals von einem irakischen Scharfschützen niedergestreckt wurde. Er wollte nicht, dass dieser Ausdruck eines Tages in Sams Gesicht stehen würde. Wenn er Johson damals nicht aus dem Schussfeld gezogen hätte, wäre auch sie gestorben.
Deswegen gab es Vorschriften, die eine Beziehung zwischen Mitgliedern einer Einheit streng untersagten. Hätte er dagegen verstoßen, hätte nichts mehr funktioniert. Er wäre nicht mehr in der Lage gewesen Carter zu befehlen, ein Risiko auf sich zu nehmen, selbst wenn dies absolut notwenig für den Rest des Teams gewesen wäre.
Diese Vorschriften galten hier zwar nicht mehr, doch solange auch nur der Hauch einer Chance bestand, dass sie SG-1 wieder beleben könnten, würde er nichts in dieser Richtung unternehmen. Dann würden sie diese Vorschriften nämlich wieder brauchen, schließlich entsprangen sie zumindest in diesem Fall nicht der Laune eines Büroheinis, sondern einfach der Notwendigkeit.
Er warf all die Bruchstücke des Rohrs in eine Ecke der Halle. Dort würden sie bis auf weiteres bleiben. Viel war damit sowieso nicht mehr anzufangen. Ein Schrotthaufen mehr. Manchmal wünschte sich Jack, der Umgang mit emotionalem Ballast wäre genauso einfach.


* * *


Sam stand einsam inmitten der Halle zwischen den Werkzeugmaschinen und fixierte einen Punkt irgendwo vor ihrer Nase. Ewigkeiten waren vergangen. Sie wusste alles, was es zu wissen gab. Sie hatte Aspekte, die sie früher links liegengelassen hatte, von jedem möglichen Standpunkt betrachtet, sie hatte alle Möglichkeiten durchgespielt. Sie hatte ihr synthetisches Gehirn genutzt bis es zu qualmen schien und das alles nur, um zu einem Schluss zu kommen: es ist unmöglich!
Jede Energiequelle wurde mit einer Fertigungsungenauigkeit gebaut. Für alle profanen Geräte, die sie gekannt hatte, war diese nie von Bedeutung gewesen. Aber Harlan war so genial gewesen, dass er ihre Körper exakt auf die fertigungsbedingten Eigenheiten der Energiequelle der Station eingestellt hatte. Es war kein physikalisches, sondern ein technisches Problem: sie konnte mit ihrem Naquadareaktor niemals die Quelle der Station nachahmen. Es war unmöglich, das hatte sie nun erkannt.
Das war auch der Grund dafür, dass sie nicht noch ein Experiment ansetzte. Es gab einfach keine Chance auf Erfolg. Sie hatte seitdem soviel gelernt. Sie hatte den Mechanismus erkundet, der sie an die Quelle der Station band. Sie wusste, was in Daniel an diesem verhängnisvollen Tag abgelaufen war, doch es hatte ihr nichts eingebracht, außer die Kenntnis ihrer Ohnmacht.
Dennoch war sie nicht bereit aufzugeben, sie versuchte immer noch eine Lösung zu finden, war einfach nicht bereit aufzugeben. Vielleicht hatte sie etwas übersehen. Doch ihre Gedanken bewegten sich immer nur im Kreis. Es gab keine Idee, die sie noch nicht verfolgt hätte. Sie konnte den Reaktor nicht verändern, sie konnte ihre Körper nicht verändern, zu tief greifend war die Anpassung. Was blieb also noch?
Es fiel ihr schwer sich zu konzentrieren. Ihre Gedanken schweiften immer wieder ab, als ob sie versuchen würden neue Wege zu finden. Doch da war nichts, außer den alten ausgetrampelten Pfaden. Alles, worüber sie in Sachen Reaktor nachdenken konnte, hatte sie bereits mehrfach durchgekaut bis ans bittere Ende verfolgt. Sie konnte sich nur noch wiederholen – und dabei verlor sich ihr Geist dann immer wieder.
Gefangen zwischen dem Wunsch sich mit dem Thema auseinander zu setzen und der Unfähigkeit sich völlig davon zu lösen, blieben ihre Gedanken irgendwo im Nichts hängen, ohne das Sam zu sagen vermocht hätte, was sie da taten. Erst Tage, Monate später schreckte sie dann jedes mal wieder auf, realisierte, was sie getan hatte und verfluchte sich. Als ob sie nichts besseres zu tun hätte! Sie hätte diese Zeit produktiver nutzen können. Dann versuchte sie sich immer wieder zusammenzureißen, nur um sich wieder zu verlieren.
Als sie damals behauptet hatte es sei unmöglich, hatte sie keine Ahnung gehabt, von was sie sprach. Trotzdem es war so. Es war unmöglich.


* * *


Es hatte für sie nie einen konkreten Augenblick gegeben, in dem sie beschlossen hatte, es aufzugeben. Dennoch hatte sie es getan.
Immer wieder hatte sie das Labor verlassen, um in diesem Fall ganz bewusst auf andere Gedanken zu kommen und sich aus den ewigen Kreisbahnen zu lösen, in der sich ihre Gedanken verfingen. Sie musste sowieso nichts mehr ausprobieren oder nachlesen, sie hatte alles, was sie brauchte im Kopf. Wozu also zurück ins Labor?
Die Abstände ihrer Besuche dort wurden immer größer. Irgendwann war sie dann wirklich nicht mehr dorthin zurückgekehrt. Sie würde in ihrem Leben nie wieder dorthin gehen.
Sie saß in ihrem Raum, der immer noch völlig leer war, und lehnte an der Wand. Dort verbrachte sie Jahre mit der Betrachtung ihrer Hand. Sie wusste bis ins kleinste Detail wie sie aufgebaut war, wie sie funktionierte, wie sie ihre Befehle erhielt und wie sie sich selbst wartete. Es war äußerst beeindruckend.
Sie hatte bestimmt eine bessere Vorstellung über ihren Körper und seine Vorgänge als damals die Mediziner auf der Erde. Doch was nutze es ihr? Sie hatte ihr ganzes Leben dafür verschwendet, einen Weg aus diesem Gefängnis zu finden. Ihr ganzes altes Leben, war im Vergleich zu der Dauer, in der sie eben das versucht hatte, nur ein Augenblinzeln gewesen. Und doch war sie gescheitet.
Alle Energie, die sie darauf verwand hatte, ihr Enthusiasmus, ihre Besessenheit, all die Gaben ihres Verstandes und sie hatte es nicht geschafft. Jetzt war sie ausgetrocknet, nicht einmal in der Lage mehr, sich etwas vorzuwerfen.
Aber dazu würde sie ja noch genügend Zeit haben...

Der Ausschlag des Pendels wurde immer kleiner und kleiner, bis es schließlich vollends zur Ruhe kam. Es war also vorbei. Es hatte lange gedauert, bis diese Nachricht Teal’c erreichte. Zu überraschen vermochte sie ihn nicht mehr. Er hatte es längst gewusst.
Tief in seinem Inneren hatte er bis zuletzt gehofft. Letztlich war es diese Hoffnung gewesen, die ihn angetrieben hatten, etwas für die Station zu tun. Er hatte gehofft sie als Ausgangsbasis für sein neues Leben zu verwenden zu können – aber nicht als ewige Heimat. Ein Krieger, der sein ganzes Leben zu Hause verbrachte war kein Krieger mehr. Es widersprach seiner Kultur und Erziehung hier zu sein.
Teal’c erhob sich vom kalten Fußboden. Sein Körper war über all die Jahrhunderte, in denen er hier gesessen hatte, nie im Stande gewesen, ihn zu erwärmen. Die Körperwärme war zwar da, ließ sich aber vom kalten Boden leicht aufsaugen und wurde von seinem Körper nicht schnell genug nachgebildet, denn auch sie war nur Fassade.
Teal’c überlegte sich, ob er wieder nach draußen gehen sollte, um zu reparieren. Inzwischen half jedoch O’Neill Harlan bei dieser Sache, so dass er dafür nicht wirklich gebraucht wurde. Ob die Reparaturen heute überhaupt noch einen Sinn machten, war er sich nicht sicher. Aber selbst wenn, so fehlte ihm sowieso die Energie dafür. Er war müde geworden. Also beschränkte er sich darauf, dass Pendel wieder anzuheben und in Schwingung zu versetzten. Es würde ihm helfen, über dieses Thema zu meditieren.


* * *


Die ersten tausend Jahre waren die schlimmsten – nicht, dass die folgenden viel besser gewesen wären.
Die Menschen sagten, man würde sich mit der Zeit an alles gewöhnen. Sie hatten keine Ahnung. Nicht nur, dass sie überhaupt keine Vorstellung hatten, wie lange Zeit sein konnte, es stimmte auch schlicht und einfach nicht.
Harlan hatte behauptet, dass Jack sich nach ein paar hundert Jahren an das Leben hier gewöhnen würde. Hatte er sich daran gewöhnt? Nein, er hatte sich allenfalls damit abgefunden. Keiner von ihnen gewöhnte sich völlig an diese Existenz.
Unsterblichkeit war einer der Urträume der Menschheit. Alte Legenden rankten sich um Helden, die sich auf die Suche nach ihr begaben und noch in der Neuzeit hatte es ähnliche Geschichten gegeben. Sie dagegen hatten die Unsterblichkeit nie gesucht. Sie hatten niemanden darum gebeten. Jetzt wussten sie, dass Unsterblichkeit kein Segen war. Sie war ein Fluch.
Ein langes Leben mochte Sinn für jemanden machen, der mehr in seinem Leben vorhatte, als er verwirklichen konnte. Dies mochte das edle Ziel sein, die Welt besser zu gestalten oder auch nur die ausgiebige Befriedigung der eigenen Wünsche. Doch selbst für diese Leute wäre das Leben nach erreichen ihrer Ziele sinnlos geworden.
Nichts davon ließ sich hier realisieren. Wenn es wirklich stimmte, dass Gott tot war, es ihn nie gegeben hatte, dass der Menschheit keine Aufgabe im Universum zugedacht war oder das Individuum mit dem Wohlwollen eines gütigen Gottes lebte, dann blieb dem Menschen nur, sich seine eigenen und ganz persönlichen Ziele zu schaffen. Doch wie sollten die hier aussehen?
Hier gab es keine Ziele, nichts war hier wichtig. Es gab nur das eine: den nicht endenden Kampf ums Überleben. Sie mochten unsterblich sein, doch sie würden die Ewigkeit damit verbringen Tag für Tag um ihr Leben zu kämpfen. Die Station war ihre Existenzgrundlage, aber der Versuch ihren Verfall zu bremsen eine Arbeit ohne Aussicht auf Ende – kaum war etwas repariert, war schon wieder etwas anderes kaputt.
Wenn das Leben nicht schon von vornherein sinnlos war, dann wurde es das hier. Der Mensch war einfach nicht geschaffen ewig zu leben. Es lag in der Natur allen Lebens, abzutreten um Platz für etwas neues, vielleicht besseres zu schaffen. Das lag nicht nur an einer anfälligen Biologie; nur so hatte es Evolution geben können.
Keiner von ihnen hätte sagen können, warum sie es nicht einfach geschehen ließen, warum sie nicht einfach zu irgendeinem Planenten reisten und ihren Energievorrat versiegen ließen. Warum sie die Station nicht einfach dem Verfall überantworteten und auf ihr Ende warteten. Wozu sollten sie noch den Aufwand betreiben, wenn das Leben sowieso keinen Zweck hatte.
Vielleicht fehlte ihnen dazu jetzt die Verzweiflung, die sie anfangs erfüllt hatte und die inzwischen dem verhassten Gefühl der Normalität gewichen war. Vielleicht war es aber auch der letzte Rest ihres Menschseins, an den sie sich klammerten. Der Selbsterhaltungstrieb war ein Urtrieb allen Lebens. Vielleicht fehlte ihnen aber auch einfach der Mut diesen letzten Schritt zu tun...

Wenn Sam auf ihr Leben zurückblickte gab es da nichts, auf das sie stolz sein konnte. Alles, was sie auf der Erde erreicht hatte, konnte sich jetzt die Andere als Verdient anrechnen und das, was sie hier „geleistet“ hatte, war ein Armutszeugnis.
Es mochte schon sein, dass sie einen Naquadareaktor gebaut hatte. Ganz toll, schön klein. Sie konnte damit den dummen Laptop von der Erde betreiben, zu mehr was das Ding letztlich nicht gut gewesen. Doch nichtmal dazu hatte es genutzt. Nach ein paar Jährchen, in denen der Laptop eifrig vor sich hin gebrummt und sie daran erinnert hatte, wie anstrengend sinnloses Nichtstun sein konnte, hatte er den Geist aufgegeben.
Der Reaktor indessen war fröhlich weitergelaufen. Inzwischen musste ihm das Naquada ausgegangen sein. Vielleicht war er auch durchgeschmort. Das war völlig egal.
Sie hatte ihr ganzes Leben mit dem Bau dieses Dings verbracht und versucht, es für sie nutzbar zu machen. Völlig umsonst. Sie war unfähig, ob ihr das nun gefiel oder nicht.
Früher hatte sie einmal geglaubt, das alles, was physikalisch möglich sei, auch machbar wäre. Sie war an einer bloßen technischen Schwierigkeit gescheitert. Da, seht her, die große Physikerin. Wahrscheinlich die beste der Air Force.
Ja. Man sah es.
Wenn sie jemals auch nur einen Hauch von Genialität gehabt hatte, dann hatte die Andere ihr nichts davon vererbt. Die Andere war immer erfolgreich gewesen. Der Major! Sie hätte es sicher geschafft, den Reaktor anzuschließen.
Sam hatte die ganze Zeit versucht vor sich selbst zu beweisen, dass sie ebenso viel Wert war wie die Andere. Sie hatte kein Abklatsch von dem sein wollen, was sie einst gewesen war. Deshalb hatte sie versucht sich einen Platz als Gleichberechtigte neben der Anderen zu erkämpfen.
Doch sie war durch ihre eigene Prüfung gefallen. Sie konnte nichts vorweisen, war also doch nur die minderwertige Kopie. Ein Echo, das im Nichts verhallte. Damit verlor ihr Leben im gleichem Maße an Wert. Alles, was sie tat, würde von der Anderen besser gemacht werden können. Wenn sie Ihr auf einem Gebiet unterlegen war, galt dies womöglich auch für andere Bereiche. Sie konnte noch viel mehr Schwächen haben. Vielleicht war sie nur darauf programmiert sie nicht zu bemerken.
Früher war sie einzigartig gewesen und die Fehler, die sie gemacht hatte, waren ihre Fehler gewesen. Doch als Kopie hatte für sie nicht mehr der Grundsatz zu gelten Ich bin ich und das ist auch gut so, sondern Sie ist Sie und ich sollte so sein wie Sie. Es war nicht einfach nur so, dass die Andere ihr Leben gelebt hatte, sondern Sie hatte ihr auch noch die Möglichkeit genommen ein eigenes Leben zu führen, das den Namen „Leben“ auch verdiente und nicht etwa neben dem der Anderen in Bedeutungslosigkeit versank.
Sie würde es nie schaffen, sich aus dem Schatten ihres erdrückenden Vorbilds zu lösen. Diese Chance war endgültig vorbei, selbst der Tod der Anderen würde daran nichts ändern. Ihr Leben war gescheitert. Alles, was Sam blieb, war die Verbitterung über ihr eigenes Versagen.

Nur langsam war in Jacks Bewusstsein gedrungen, dass die Anderen tot sein mussten. Sorgfältig hatte er deren Existenz verdrängt, doch irgendwann kam die Erinnerung wieder ans Tageslicht, so wie eine Luftblase, die völlig unverhofft aus den Tiefen des Meeres auftauchte. Sie hatten Sie überlebt. Die Anderen waren längst tot.
Jack wusste, das dies für Sam keine Probleme löste, aber er fühlte sich jetzt endlich wieder wirklich und unumstößlich einzigartig im Universum. Es gab keinen Zwilling mehr, an dem er sich hätte messen müssen. Das Universum mochte Platz für alle haben, aber in seinem Geist war nie Raum für sie beide gewesen. Es war eine Erleichterung endlich frei zu sein.
Falls einem von uns irgendetwas zustoßen sollte, hilft es mir zu wissen, dass wir in euch weiter leben werden. Sam hatte Jack irgendwann von diesem Satz ihres Vorbildes erzählt. Das war nichts besonderes, sie alle hatten sich im laufe der Zeit so ziemlich alles erzählt, was überhaupt zu sagen war.
Keiner von ihnen hatte es den Andern je verziehen, dass sie ihnen ihr Leben weggenommen hatten. Dennoch hatte das Wissen, dass da draußen jemand war, der trotz allem dieses Leben weiterführte, zumindest auf Jack irgendwie beruhigend gewirkt. Sie waren es, die in Wirklichkeit in den Anderen weitergelebt hatten und nicht umgekehrt. Das hatte ihn über sein eigenes Dasein ein wenig hinweggetröstet. Er mochte nicht an Seinem Leben teilhaben können, aber dennoch fand es statt. Oder hatte stattgefunden.
Dies war jedoch nun vorbei. Jetzt waren sie zwar frei, aber ob sie es wollten oder nicht – ein Teil von ihnen war mit den Anderen gestorben. Die Anderen hatten ihr Leben gelebt, nicht sie hier auf PX3989. Mit dem Ende der Lebensspanne der Anderen war auch ihr Leben vorbei gewesen. Damit wurden sie zu Relikten einer Zeit, die längst hätte vergessen sein müssen.
Zweifellos hatten die Menschen der Erde sie längst vergessen. Das lag nicht einmal an ihrem mickrigen Gedächtnis. Es war einfach ihre kurze Lebensdauer nach Art der Eintagsfliegen. Ehe sie sich versahen waren sie schon wieder tot und nahmen all ihre Erinnerungen mit sich.
Selbst, wenn sie nur ein Jahrhundert weg gewesen wären – für die Menschen existierten sie nicht mehr. Sie hatten ihnen sowieso nie eine Träne nachgeweint.

Sam Carter hockte noch immer auf dem kalten Fußboden in ihrem Raum und brütete vor sich hin. Es brachte nichts ziellos durch die Station zu wandern. Der Gedanke an ihre Unfähigkeit verfolgte einen überall hin.
Es gab nichts mehr für sie zu tun. Die anderen kümmerten sich um die Station, ihr Job war es gewesen, sie hier heraus zu bringen. Das sie das nicht geschafft hatte und nie schaffen würde, würde sie sich niemals verzeihen. Vielleicht konnte sie es irgendwann verdrängen und unter irgendwelchen immer dicker werdenden Schichten ihres Unterbewusstseins begraben. Doch das änderte nichts daran die Verbitterung da war und immer bleiben würde. Wie ein Splitter in ihrem Kopf – der sie verrückt machte.
Am liebsten hätte sie sich diesen Gedanken noch eine Weile hingegeben, aber irgendwann klopfte es an der Tür. Immer wenn man allein sein wollte, schien es jemanden zu geben, der etwas dagegen hatte.
„Herein“, hörte sie sich sagen.
Es war O’Neill. Er wirkte etwas desorientiert, wie es so in der Tür stand. Vielleicht auch einfach nur unsicher. „Hi“, sagte er.
„Hi“, erwiderte sie langsam.
„Kann ich reinkommen?“
„Ja“, antwortete sie, blieb aber in ihrer Ecke sitzen, ein Knie an sich rangezogen. Stühle hatte sie sowieso keine. Die schwere Tür surrte hinter ihm wieder zu.
„Ich wollte mich nur dafür entschuldigen, dass ich vor... dass ich neulich so unfreundlich war. Ich hätte sie nicht anschreien sollen.“ Er betrachtete interessiert seine Füße.
„Das ist okay“, sagte sie langsam. „Eigentlich sollte ich ihnen dafür danken. Es hat mich für eine Weile wachgerüttelt.“
Er schwieg lange. Eine Eigenheit der Gespräche von Unsterblichen war es, dass sie lange Pausen in einer Unterhaltung ließen. Sie hatten genügend Zeit dafür. „Es funktioniert nicht, oder?“ fragte er dann direkt.
Sam schüttelte den Kopf. Dabei horchte sie in sich hinein, ob da nicht vielleicht irgendwo im Unterbewusstsein doch ein Gedanke war, der Einspruch erhob. Doch da war nichts. Kein Wunder. Vielleicht mochte das Problem lösbar sein, aber dazu war sie auf jeden Fall nicht fähig.
Eine ganze Weile schaute er grübelnd drein. Sie glaubte schon, dass er nichts mehr sagen würde. Sie trennten sich meist wortlos. Ein Gespräch konnte jederzeit wieder aufgenommen werden. Genauso hätte es sie nicht gewundert, wenn er sie so richtig zusammengestaucht hätte. Sie hätte ihm nichtmal widersprechen können. Verdient hatte sie es auf jeden Fall.
Dann sagte er jedoch zu ihrer Überraschung: „Ich kann mir niemanden vorstellen, mit dem ich lieber die Ewigkeit verbringen würde.“

Wenn ein Vater länger lebte, als sein Sohn, dann war das gegen die Natur.
O’Neills Sohn war längst tot gewesen, als er hier ankam. Vielleicht war es besser so – Teal’c hatte Rya’c auf Chulak zurückgelassen. Auch er musste inzwischen tot sein.
Er hatte keine Ahnung, was mit ihm geschehen war, seit er sich hier aufhielt. Teal’c hoffte, dass Bra’tac sich um ihn und seine Frau gekümmert hatte, aber sein alter Lehrmeister würde nicht lange genug gelebt haben. Der Andere hätte sie von Chulak holen und in Sicherheit bringen müssen. Ihm war langfristig gar keine Wahl geblieben. Die Unsicherheit darüber, ob das nun tatsächlich geschehen war oder vielleicht irgendeine Katastrophe dazwischen gekommen war, wühlte ihn auf.
Er machte sich Vorwürfe. Einst hatte er seinem Sohn versprochen, dass er zu ihm zurückkehren würde. Er hatte sich nicht auf einen Zeitpunkt festgelegt, aber er hatte es geschworen – und diesen Schwur hatte er gebrochen. Er hatte seinen Sohn verraten.
Aber das war nicht alles. Nicht nur, dass es seine Pflicht als Vater gewesen wäre, Rya’c beim Aufwachsen zu begleiten und dabei zu sein, wenn aus ihm ein Mann wurde. Als Ehemann hätte er, wenn er seine Frau schon überlebte, zumindest bei ihr am Totenbett sein sollen. Als Sohn hätte er den Mord an seinem eigenen Vater rächen müssen. Selbst wenn der Andere dies alles getan hatte – es war nicht das gleiche, obwohl es jetzt sowieso längst Geschichte war.
Schon als Kind hatte Teal’c lernen müssen seine Gefühle zu beherrschen. Seit er denken konnte, hatte er nach dem Prinzip gelebt, möglichst wenig seiner Emotionen nach außen dringen zu lassen – diesen Luxus gestattete er sich nur selten. Als dann der Zweifel in ihm erwachte, war diese Einstellung lebenswichtig für ihn geworden, denn wenn er der Welt zu früh gezeigt hätte, wie er wirklich zu Apophis stand, wäre er heute nicht mehr am Leben.
Es war jedoch ein Unterschied, ob man seine Gefühle schlicht nicht zeigte, oder sie wirklich verdrängte. Obwohl man es ihm nur selten ansah, war er nicht so ernst und abgebrüht, wie es oft den Anschein machte. Das war auch gut so, denn er hatte seine Gefühle benutzt, um aus ihnen Stärke und Entschlossenheit zu schöpfen, ohne sich dabei jedoch von ihnen behindern zu lassen. Öfter als ihm es lieb war hatte das nicht funktioniert, aber er hatte immer versucht einen kühlen Kopf behalten, der über die Emotionen wachte und sie in Schach hielt.
Hier und heute jedoch bekam er damit zunehmend Probleme. Daher versuchte er schon länger seine Situation so stoisch wie nur möglich zu betrachten und die Dinge einfach freudig aufzunehmen wie sie kamen. Er versuchte die Gefühle wie von einem Balkon der Rationalität herab zu betrachten ohne sie dabei auf sich wirken zu lassen zu müssen. Wenn er sie schon nicht verdrängen konnte, musste er wenigstens versuchen über ihnen zu stehen. Noch hing dieser Balkon jedoch zu tief, als das das Brodeln da unten nicht noch zu ihm hätte hoch schießen können.
Genauso wie er versuchte sich selbst objektiv zu betrachten, so betrachtete er auch seine alten Freunde. Er fragte sich, ob Daniel Jackson wirklich so zufrieden mit ihrer Situation war, wie er den Anschein erweckte. Er schien sich damit abgefunden zu haben, dennoch fiel es Teal’c schwer zu glauben, dass selbst Daniel hier unten glücklich werden konnte.
Früher einmal hatte er Captain Carter und vor allem O’Neill gut gekannt. Er hatte die beiden beobachtet und geahnt, was zwischen ihnen vorging. Eine Weile hatte er sich gefragt, warum sie sich trotz ihrem Interesse füreinander nicht offen näher kamen. Schüchtern waren die beiden gewiss nicht. Dann war ihm klar geworden, dass in einem solchen Fall General Hammond gezwungen gewesen wäre zumindest einen von ihnen aus dem Team zu nehmen.
Also waren die beiden auf Distanz geblieben. O’Neill, Daniel Jackson und Captain Carter redeten sich alle beim Vornamen an, nur nicht O’Neill und Captain Carter untereinander.
Jetzt hatten sie Gelegenheit das alles zu ändern. So erfreulich wie das war, bedeutete es aber gleichzeitig, dass sie mit ihrem alten Leben abgeschlossen hatten. Und sie hatten es geändert. Es hatte eine Weile gedauert, aber schließlich hatten sie sich zusammengerauft. Ja, zusammengerauft, war wohl das richtige Wort. Teal’c war froh, dass er nicht die ganze Story mitbekommen hatte. Aber was er gesehen hatte, reichte aus, um zu erkennen, dass es selbst für Menschen der Erde bestimmt direktere Wege gegeben hätte. Die beiden waren äußerst fähig auf ihren jeweiligen Gebieten und zögerten dort nicht das zu tun, was sie für notwendig hielten, aber was ihre Gefühle anging, waren sie vielleicht doch ein wenig unbeholfen.
Letztendlich spielte das für Teal’c keine Rolle. Er hatte selber genug Sorgen. Die Tatsache, dass die letzte Chance hier fort zu kommen sich ins Nichts aufgelöst hatte, hatte ihm einen schweren Schlag versetzt. Lange war er unfähig gewesen, etwas zu tun. Doch dann war ihm klar geworden, dass er entweder in Selbstmitleid untergehen oder hier wieder produktiv werden konnte.
Und Teal’c musste irgendwie produktiv sein, selbst, wenn nicht mehr auf die gleiche Art wie früher. Ansonsten hätte sein Leben keinen Sinn gehabt. Also war er wieder an die Arbeit gegangen.
Sollten die anderen treiben was sie wollten. Teal’c würde dafür sorgen, dass sie es weiter tun konnten, indem er alles tat, um die Station und damit ihre Existenz weiterhin zu erhalten.

Sam hatte nicht damit gerechnet, dass sie eines Tages einmal Kinder haben würde. Sie hatte diese Möglichkeit nie ganz ausgeschlossen, aber wenn man sich für eine Karriere in der Air Force entschied, war ein solcher Fall doch recht unwahrscheinlich.
Doch nun hatte sich ihre Karriere genauso in Luft aufgelöst, wie ihre Fähigkeit Kinder zu bekommen.
Jack schien sich nicht sicher zu sein, ob er dies bedauern sollte oder nicht, hätte doch die Möglichkeit bestanden, dass er einen Sohn bekam, der ihn im Guten wie im Schlechten an Charlie erinnerte.
Sie hätte gerne ein, zwei Kinder gehabt, wenn sich dazu die Möglichkeit geboten hätte. Das sie nun nicht einmal mehr theoretisch dazu im stande war, war bestimmt keine Tatsache, die sie in Freudentaumel versetzt hätte. Aber da sie sich mit diesem Gedanken schon vorher mehr oder weniger angefreundet hatte, würde dies bestimmt zu den wenigen Dingen gehören, mit denen sie sich wirklich würde abfinden können.

Die Tischplatte war fleckig. Ein trauriges, stumpfes Grau durchzogen von braunen Schlieren. Alle Bemühungen sie sauber zu bekommen, waren gescheitert. Leider war die einzige Farbe, mit der sie den Tisch hatten überziehen können, ein Schutzlack gewesen. Und der war durchsichtig.
Daniel saß im Gesellschaftsraum, doch seine Gedanken waren nicht bei der Tischplatte. Es hatte eine ganze Weile gedauert, aber nachdem die anfängliche Faszination über ihre Situation verfolgen war, war ihm doch ein wenig mulmig geworden. Nicht, weil er seine Meinung über ihre Körper oder die Aussicht eine unermessliche Zeitspanne zu leben geändert hätte, sondern ganz im Gegenteil: Er hatte die Möglichkeiten, die sich ihnen eröffneten, voll ausschöpfen wollen.
Dies war der Grund gewesen, warum er den Reaktor damals getestet hatte. Er hatte fort wollen. Er hatte im Schutz seines neuen Körpers durch das Stargate gehen wollen. Es wäre so viel möglich gewesen, was er hätte tun können. Er hätte die Ewigkeit damit ausfüllen können, Zivilisationen über eine Zeitspanne von mehreren tausend Jahren zu beobachten und womöglich sogar der Evolution zuschauen können. Er hätte die Möglichkeit bekommen wieder nach Sha’re zu suchen.
Doch es hatte nicht funktioniert. Wenn Sha’re heute noch lebte, so wurde sie immer noch von Amaunet beherrscht. Wenn sie dagegen nicht mehr unter ihrer Kontrolle stand, war sie inzwischen gestorben. Keine dieser Möglichkeiten gefiel ihm.
„Daniel?“
„Mmh...“ machte dieser und sah zu Carter hinüber, die an der anderen Seite des Tisches saß. Vor einer Weile war sie hier rein gekommen, sie hatten ein paar Worte gewechselt und dann beide wie so oft schweigend ihren Gedanken nachgehangen.
„Was beschäftigt sie?“
Daniel seufzte. „Seien sie ehrlich: Glauben sie, dass wir Sha’re jemals hätten retten können?“
Sie senkte den Blick. „Ich weiß es nicht, Daniel“, gestand sie. „Als ich damals auf der Erde war, hätte ich Sie fragen können, was bis dahin geschehen war. Doch ich hab es nicht getan. Ich wollte nicht wissen, was ich versäumt hatte.“ Sie machte eine kurze Pause. „Ich habe nur mein Abbild gesehen. Vielleicht waren die anderen schon alle tot...“
Wieder schwiegen sie eine Weile. Eigentlich hätten die Angelegenheiten der Menschen nicht mehr ihr Problem sein sollen. Doch in letzter Zeit kehrten Daniels Gedanken immer wieder in die Jahre nach der Wiederentdeckung des Stargates zurück, in denen er Sha’re gefunden, wieder verloren und nach ihr gesucht hatte.
Nach dem Tod von Ra war er nicht auf die Erde zurückgekehrt, sondern war auf Abydos geblieben, wo sie das Stargate vergraben hatten. „Ich hätte damals glücklich mit ihr auf Abydos leben können“, erinnerte er sich. „Aber das war mir nicht genug. Ich habe das Stargate wieder ausgegraben. Nur dadurch konnten die Goa’uld zurückkehren. Was mit Sha’re geschehen ist, war meine Schuld.“
„Sie konnten nicht vorhersehen, was geschehen würde“, versuchte sie sein Handeln zu rechtfertigen. „Sie hatten nur die besten Absichten. Was dann passiert ist, konnten sie nicht ändern. Und trotzdem haben sie die Verantwortung übernommen und alles getan, um es wieder gut zu machen. Das war mehr, als man von ihnen hätte verlangen können.“
„Ja, ich habe die Verantwortung übernommen. Aber nichts von dem was ich getan habe, hat diesen einen Fehler, den ich gemacht habe, ungeschehen werden lassen.“
„Wenn sie das Stargate nicht wieder geöffnet hätten, dann hätten wir auf der Erde nie die Abydos-Kartusche erhalten. Es hätte keine weiteren Sternentorreisen gegeben.“
„Ich weiß... Aber verleiht mir das Absolution?“ seufzte er schwer. Er hatte gewusst, dass dieses Argument kommen würde. Er hatte es sich selber oft genug vorgehalten. Doch dadurch wurde es nicht besser. Im Gegenteil: hätte er damals gewusst, was geschehen würde, hätte ihn diese Tatsache dazu gezwungen wieder genauso zu handeln. Er hätte gewusst, was mit Sha’re geschehen würde, aber hätte es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren können, der Erde die Reisen durch das Stargate vorzuenthalten. „Ich wünschte nur, dass es anders gekommen wäre. Ein Tag vorher war das Stargate noch vergraben gewesen. Wäre Apophis ein wenig früher aufgebrochen, hätte er Abydos nie erreicht.“
„Daniel...“, versuchte sie einzuwenden. „Sam!“, unterbrach er sie. „Jedes mal, wenn ich durch dieses Tor gegangen bin, war irgendwo in mir der Gedanke, dass wir sie vielleicht diesmal finden würden! Vielleicht ist dies der richtige Planet, vielleicht finden wir wenigstens einen Hinweis oder irgendetwas, das ihr helfen könnte. Wie damals Thors Hammer.
Ich habe mir immer gesagt, dass jetzt mein anderes Ich irgendwo da draußen auf der Suche nach ihr ist. Vielleicht hat Er sie sogar gefunden und die Dinge wieder ins Lot gebracht. Aber in letzter Zeit frage ich mich immer wieder, was bedeutet das für mich? Verstehen sie? Für mich. Ich war genauso wie Er für das verantwortlich, was geschehen ist und ich konnte nie etwas tun, um das wieder gut zu machen.“
Während er sprach ging eine Veränderung mit Sam vor sich. Bis eben hatte sie ihm aufmerksam zugehört. Sie hatte sichtbar mit ihm gefühlt und ihm helfen wollen. Doch nun verfinsterte sich ihre Mine und ihr besorgter Blick ging ins Leere. Sie wirkte zwar nicht abweisend aber dennoch verschlossen.
„Sie konnten nichts tun, weil sie hier nicht fort konnten“, sagte sie schließlich und versuchte ihrer Stimme einen festen Klang zu geben. „Sie brauchen sich keine Vorwürfe zu machen. Niemand kann von ihnen das Unmögliche verlangen... man kann immer nur das verlangen, was auch möglich sein sollte... “ Sie klang unglaublich verbittert. Zuletzt war ihre Stimme doch ein wenig brüchig geworden.
Daniel stand auf und setzte sich neben sie auf die Tischkante. Er hatte nichts weiter gewollt, als ihr zu sagen, was ihn bedrückte. Es hatte ihm fern gelegen ihr die Schuld für seine Probleme zu geben oder sie damit zu belasten. „Sie müssen sich keine Vorwürfe deswegen machen.“
Sie sah an ihm vorbei als sie tonlos erwiderte „Ich mache mir keine Vorwürfe...“

Sam war wieder gegangen. Auch Daniel hatte es schließlich nicht mehr in dem kleinen Raum ausgehalten und war lange Zeit durch die Station gelaufen. Jetzt saß er im Archiv und grübelte weiter.
Er hatte Sha’re schon vor sehr langer Zeit verloren. Früher hatte er noch oft davon geträumt sie wieder zu sehen, obwohl es unmöglich erschienen war. Aber das war schon ewig her. Er kam nicht umhin zuzugeben, dass er sich inzwischen mit der Situation abgefunden hatte. Die ganzen Jahre war er so sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass er kaum noch an Sha’re gedacht hatte. Vielleicht war der Grund, aus dem sich dies jetzt plötzlich geändert hatte, sein schlechtes Gewissen darüber. Vielleicht glaubte er es sich zu einfach gemacht und zu schnell aufgegeben zu haben.
Doch was hatte er schon für eine Wahl gehabt? Sam hatte recht. Manchmal wurde ein Argument erst überzeugend, wenn man es nicht nur von sich selbst, sondern auch von jemand anderem hörte. Er hatte die Verantwortung einzig und allein deswegen abgelegt, weil er keine Chance mehr gehabt hatte ihr noch gerecht zu werden. Daher machte es auch keinen Sinn sich Vorwürfe zu machen – zumindest in der Theorie.
Die Vergangenheit konnte man nicht ändern. Er konnte seine Fehler nicht ungeschehen machen. Aber das Leben ging weiter. Und er würde sich damit abfinden müssen, dass seine Träume auch Träume bleiben würden.


* * *


Es gab eine Zeit, da war Jack glücklich. So viel hatte er verloren, doch irgendwann hatte er erkannt, dass er auch etwas gewonnen hatte, das er in seinem alten Leben nie hätte haben können: Sam. Endlich musste er sich selber nichts mehr vorlügen, endlich hatte er ihr sagen können, was er empfand. Und er war glücklich. Seit Charlies Tod war er nie so glücklich gewesen.
Und irgendwie hatte das das auch auf seine Freunde abgefärbt. Die Tatsache, dass sie nie mehr hier wegkommen würden, hatte sie vielleicht zu Anfang deprimiert, aber wenigstens hatte diese Erkenntnis Klarheit geschaffen. Sie wussten nun, woran sie waren und mussten keine Energie mehr an sinnlose Hoffungen verschwenden.
Es hatte eine Weile gedauert, aber letztendlich hatten sie dann das Beste daraus gemacht. Das Leben war hart, aber das bedeutete nicht, dass sie endlos Trübsal blasen konnten. Nach langer Zeit hatten sie sich alle gemeinsam wieder in dem Raum getroffen, der sich den Namen „Gesellschaftsraum“ früher nie richtig verdient hatte, um ein wenig Spaß zusammen zu haben.
Während Jack versuchte einen möglicht neutralen Gesichtsausdruck zu behalten, musterte er die Karten des selbst gebastelten Pokerspiels. Vielleicht hätte er wie Sam und Daniel passen sollen. Sein Blatt war gut, aber im Moment wünschte er sich, dass es besser gewesen wäre.
Alle musterten ihn gespannt darüber, was er nun tun würde. Selbst in Harlans Blick lag ein gewisses Interesse. Auch er hatte sich inzwischen zu ihnen gesellt, aber noch hatten sie ihn nicht zum mitspielen überreden können. Er hatte sie für verrückt erklärt und vielleicht waren sie das auch, denn Poker gehörte noch zu ihren intelligenteren Spielen. Sie spielten auch alle möglichen anderen Karten- und sonstigen Spiele, die teilweise wirklich verrückt und kindisch waren... einfach aus dem Grund, weil ihnen keine anderen einfielen.
Zwischen Jack und Teal’c lag eine beachtliche Zahl an Schrauben. Natürlich hatten sie kein Geld, um das sie spielen konnten. Aber sie hatten Schrauben und das war schließlich auch was.
Daniel unterbrach die gespannte Stille. „Er blufft, Jack, da bin ich ganz sicher“, mutmaßte er über Teal’c.
Jack musterte die Mine des Jaffa, der ihm direkt gegenüber saß, aber natürlich brachte er es nicht fertig aus seinem Pokerface etwas zu lesen. Daniels Behauptung auf jeden Fall nahm er völlig gelassen hin.
„Ja, das denke ich auch“, sagte Jack langsam. Er war pleite und hatte schlicht und einfach nichts mehr zu verlieren, selbst wenn er jetzt noch bis zum Höchsteinsatz ging. Tastend fuhr er mit den Hand über die Unterseite seines Stuhls. Da war tatsächlich noch eine! Der Kopf der Schraube war so groß, dass er sie bequem mit den Fingern aus der Fassung konnte. „Ich will sehen“, forderte er Teal’c heraus und ließ lässig die neue Schraube zum restlichen Einsatz kullern. Das war nichtmal geschummelt. Wo sie ihre Schrauben herbekamen war letztlich egal. Jack deckte seine Karten, die aus weißer Kunststofffolie bestanden, auf.
Teal’cs Mundwinkel begannen ein Stückchen nach oben zu klettern. Genüsslich breitete er seine eigenen Karten eine nach der anderen vor sich auf dem Tisch aus. Jacks Augen wurden immer größer, als er erkannte, dass da ein Royal Flush entstand. Er hatte also wieder verloren.
„Ich bluffe niemals“, erklärte Teal’c in Daniels Richtung.
„Ach!“ meinte Daniel feixend und lehnte sich ein Stück vor. „Und was war das vorhin, als du ein Gesicht gemacht hast, als hättest du fünf Asse... und dann gar nichts hattest?“
Völlig unbeeindruckt erklärte Teal’c: „Ich habe nie behauptet, so viele Asse zu besitzen.“
Daniel grinste, als er erkannte worauf Teal’c hinaus wollte. „Und deswegen war es kein Bluff? Weil du nichts offen behauptet hast?“
„Genau.“
Teal’c schob die Schrauben zu einem Haufen zusammen und zog ihn zu sich hinüber – schön langsam, damit es auch alle mitbekamen. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen. Vor ihm türmte sich jetzt ein beachtliches Schraubendepot auf.
„Merk dir die Formulierung, Sam“, stichelte Jack. „Du wolltest nie bluffen!“ Er durchschaute sie fast immer, wenn sie das versuchte.
„Und du wolltest nie deinen ganzen Gewinn verspielen“, erwiderte sie schlagfertig.
„Das war Taktik. Ich will euch nur in Sicherheit wiegen.“ Außerdem würden sie die Schrauben jetzt sowieso wieder neu verteilen.
Gerade als er das gesagt hatte, fühlte Jack, wie etwas unter ihm nachgab. Es krachte kurz und er fand sich in mitten der Einzelteile seines Stuhls auf dem Boden wieder.
Als Jack sich von dem Schreck erholt hatte, fiel er in das allgemein ausgebrochene Gelächter mit ein. Hinter der Tischkante erschien Teal’cs dunkles Gesicht. „Jeder Stuhl hat nur sechs Schrauben“, erklärte er und zeigte sein weißes Gebiss.
„Danke für die Warnung“, ächzte Jack.
Sam half ihm nach oben. „Alles in Ordnung, Jack?“ fragte sie, jetzt doch ein wenig besorgt.
„Keine Angst,“ er klopfte sich den Staub von der Kleidung, „du wirst nicht an mir rumschrauben müssen.“
Er biss sich auf die Zunge, als er erkannte, was er da gesagt hatte. Von einem Moment zum anderen erstarb auch das kleinste Lächeln.
Es war bis eben so schön gewesen. Keiner hatte an ihre Lage gedacht. Es kam selten vor, dass sie alle ihre Sorgen vollkommen vergaßen und dies war einer dieser Momente gewesen. Vermutlich war das überhaupt der Grund aus dem sie hier waren: sie versuchten sich abzulenken. Und er hatte sie mit dieser an sich harmlosen Bemerkung wieder auf den Boden der Tatsachen geholt.
Da half jetzt auch keine Entschuldigung mehr. „Also?“ versuchte er daher möglichst schnell wieder davon abzulenken. „Hilft mir jemand mit meinem IKEA-Stuhl?“

Früher einmal war Jack Soldat gewesen. Sein ganzes Leben war er irgendwie in Bewegung gewesen, hatte seinen Körper benutzt.
Die Maschine, die sein Körper war, hatte für ihn etwas unheimliches. Daran hatte sich bis heute nichts geändert. Er hätte längst schlapp und eingerostet sein müssen, völlig aus dem Training. Er hatte hier unten viel zu lange nichts für seine Fitness getan. Dennoch fühlte sich sein Körper verflucht gut an.
Er hatte es geliebt, wenn er seinen Körper spürte. Das Pochen des Herzens, die Bewegung seiner Muskeln. Die Anstrengung, die jede seiner Fasern durchzog und die er dennoch meisterte. Die Maschine hatte kein Bedürfnis nach Sport. Aber er, Jack O’Neill, hatte es.
Früher hatte er manchmal geboxt. Damals hatte er mit dem Gedanken gespielt, es Teal’c beizubringen und inzwischen hatte er sich vorgenommen das auch wirklich zu tun.
Er hatte sich einen Boxbeutel gebastelt. Das Ding war mit Stahlspänen gefüllt und daher unglaublich hart. Aber das waren seine Finger auch. Er fühlte zwar den Schmerz in seinen Fäusten, wenn er auf den Beutel einboxte, jedoch war dieser nicht stark genug, um ihn vom weitermachen abzuhalten. Der Beutel musste auch äußerst schwer sein, dennoch pendeltet er bei Jacks Schlägen hin und her, als ob er federleicht wäre. Die Maschine schien die Kraft eines Presslufthammers zu entwickeln.
Während er um den schwingenden Beutel herumtänzelte und einen Hieb nach dem anderen austeilte, suchte er nach einer Reaktion der Maschine. Früher hatte er immer irgendeine Rückmeldung von seinem Körper bekommen. Es hatte ihn angestrengt und ihn erschöpft. Es hatte sich gut angefühlt.
Er sagte sich, dass irgendwann die Maschine auch eine Pause brauchen musste. Jede Maschine überhitzte einmal oder tat sonst etwas, das ihre Funktion beeinträchtigte. O’Neill war fest entschlossen, diesen Punkt zu erreichen. Er wollte die Maschine fühlen, wie sie aufgeben wollte. Dann würde er sie solange allein mit seinem Willen dazu zwingen weiterzumachen, wie es möglich war. Er würde sie besiegen.
Jahrelang drosch er auf den Sack ein. Hin und wieder tauchten seine Freunde bei ihm auf, fragten was er da trieb oder ob er nicht lieber mit ihnen Kadis-Kot spielen wollte. Doch Jack lehnte ab und hörte nicht auf. Er wollte nicht aufhören bis die Maschine an ihre Grenzen stieß. Aber die Maschine ermüdete nicht.
Er gab nicht auf. Der Geist musste einfach länger durchhalten können als der Körper. Er hatte die Macht über seinen Körper zu triumphieren. In seinem alten Körper hatte er das immer wieder geschafft und er wollte es wieder tun. Er wollte der Maschine eine Niederlage beibringen.
Viele Menschen wurden auf der Erde geboren und starben wieder, während er auf den Sack eindrosch und sich weigerte einzusehen, dass er dies in alle Ewigkeit fortsetzen konnte ohne etwas zu erreichen. So blieb ihm nichts weiter übrig, als es irgendwann dann doch zu akzeptieren. Die Maschine war einfach besser als er. Sie würde nie müde werden – er war es. Die Maschine gab hier den Ton an, nicht er. Also gab er es auf.

„Ja. Bis dann“, grummelte Jack eher zu sich selbst, als Teal’c im Halbdunkel des Korridors verschwand.
Es war immer normal gewesen, dass sie sich ab und zu trennten, um eine Pause bei ihren diversen Spielen und was sie sonst noch taten, zu machen. Dann gingen sie wieder ihren ganz persönlichen Beschäftigungen nach. Man konnte schließlich nicht die ganze Zeit gemeinsam verbringen.
Dabei fielen diese Pausen beliebig lange aus. Zeit spielte keine Rolle, wenn man in einer Gruppe lebte, in der alle unsterblich waren. Nur die Sterblichen mussten die Zeit in Einheiten aufteilen. Sie hatten das nicht mehr nötig.
Derartige Unterbrechungen waren nie ein Problem für sie gewesen. Jack hatte jedoch zusehends das Gefühl, dass sie ein Zeichen dafür waren, dass sie sich auseinander gelebt hatten. Er und Sam waren da vielleicht die einzige Ausnahme, aber auch das konnte nicht wirklich darüber hinwegtäuschen, dass die Familie, die sie einmal gewesen waren, in ihrer alten Form nicht mehr existierte. Sie verloren nicht nur das Interesse an dem, was sie zusammen taten, sondern auch das Interesse an Gesellschaft an sich.
O’Neill hob den Ball auf und warf ihn ohne genau hinzusehen gegen die Decke. Er prallte im spitzen Winkel ab und flog direkt durch den Basketballkorb an der Wand. Von der Wand prallte er wiederum ab, kam einmal am Boden auf und flog Jack direkt in die Arme, der ihn gelangweilt auffing.
Auf diesen Ball war er einmal mächtig stolz gewesen. Zusammen mit Teal’c hatte er es geschafft ihn mit den hiesigen Materialien zu basteln und so mit Luft zu füllen, dass er vom Boden abprallte. Sie hatten viel Freude mit dem Ding gehabt. Jetzt war der Ball so undicht, dass er schon kurz nach dem Aufpumpen wieder weich wie ein geschrumpelter Luftballon war.
Jack sah hinüber zu Daniel, der ebenso gelangweilt wie er selbst an einem Container lehnte und ihn beobachtete. O’Neill ließ den Ball zwischen seinen Fingerspitzen rotieren. Ihm war völlig klar, was Daniel in diesem Moment dachte. Er kannte diesen Gesichtsausdruck und er kannte den Gedanken.
Sie hatten es in den letzten Jahrhunderten tatsächlich geschafft, diese düsteren Hallen mit etwas Freude zu füllen. Vermutlich hatte die Station vorher noch nie soviel Lachen gehört. Es war eine schöne Zeit gewesen, aber ein Höhepunkt war nur deshalb ein Höhepunkt, weil er von tiefer gelegenen Punkten umgeben war.
„Wie lange kann man Basketball spielen und dabei auch noch Spaß haben?“ fragten sie beide wie aus einem Mund heraus.
Daniel lachte kurz und trocken auf. Die vereinzelten Momente in denen man ganz genau wusste, was der andere sagen würde, waren jedes mal erschreckend und faszinierend zugleich. Und das, was sie da gesagt hatten, traf die Sache leider auf den Punkt.
Die Ablenkung hatte ihnen geholfen, doch das war jetzt vorbei. Sie hatten alles unternommen, was man gemeinsam unternehmen konnte. Basketball war nicht das einzige Spiel das sie heute langweilte. Daher würde Teal’c auch so schnell nicht wieder kommen. Sie alle waren diesen ganzen gemeinsamen Aktionen überdrüssig.

Das Archiv war ein Wunder. Man musste nicht zu anderen Planten reisen, um sich die Ewigkeit über beschäftigen zu können. Auch hier konnte man leben. In der Zeit, als Daniel die Station hatte verlassen wollen, hatte er aus dem Blick verloren was sie ihm bot.
Der ganze Wert des Archivs war ihm vorher nie so bewusst gewesen. Erst jetzt wurde ihm klar, dass es nicht einfach nur irgendein Archiv war. Besonders, weil die sich stapelnden Computerspeicher so klein erschienen, war es schwer vorstellbar, wie groß es wirklich war. Das Wort „groß“ allein traf es nicht und „gigantisch“ wäre zwar um einiges protziger gewesen, traf aber immer noch nicht die richtige Dimension.
Ein Planet umfasste schließlich nicht bloß eine Kultur. Der ganze Planet war über fünftausend Jahre genauso bevölkert gewesen wie die Erde! Auf der ganzen Oberfläche hatten sich hunderte von Kulturen entwickelt und waren wieder untergegangen. Jede davon mit ihrer eigenen Geschichte, Kultur und Technik.
Das Archiv war umfangreicher, als er es je zu träumen gewagt hatte. Die Altairaner hatten hier äußerst erfolgreich versucht ein vollständiges Bild von sich selbst und ihren Wurzeln zu schaffen. Generationen von Studenten der ganzen Welt in Archäologie, Anthropologie, Geschichte, Politik, Psychologie, Soziologie und den diversen Naturwissenschaften hätten hier ihre Doktorarbeiten bestreiten können. Und es gehörte ihm alleine. Ihm alleine stand es zu, diesen Schatz zu heben und ihn zu nutzen. Das Wissen einer ganzen Welt mit einer Geschichte über mehrere tausend Jahre.
Aber das Archiv vermittelte nicht nur Wissen über eine Zivilisation, es war die Zivilisation. Ganz Altair vereinigte sich hier. Es zeigte die großen Zusammenhänge wie auch die einzelnen Menschen, die eine Zivilisation schließlich ausmachten. Das Archiv konnte diese Welt wieder lebendig machen.
Gerade die alten griechischen Philosophen hatten sich lange mit der Frage beschäftigt, was es war, nach dem der Mensch in letzter Konsequenz strebte. Letztendlich waren sie dabei aber immer nur bei ihren persönlichen Glücksvorstellungen gelandet und hatten den Fehler gemacht zu glauben, dies sei die allgemeingültige Lösung.
Daniel hatte nun seine persönliche Definition gefunden. Eine Weile hatte er geglaubt ohne seine Frau nie wieder glücklich werden zu können. Vielleicht war da auch etwas wahres dran. Sein Leben würde nie wieder so aussehen, wie es einmal gewesen war. Aber trotzdem würde es weiter gehen.
Bei aller Liebe zu Sha’re hatte es immer noch etwas gegeben, dass ihn angetrieben hatte. Es war etwas, dass zwar nie so stark gewesen war wie diese Liebe, aber dafür um einiges älter war und ihn sein ganzes Leben über begleitet und geprägt hatte. Es war die Suche nach Wissen gewesen. Sein ganzes Leben hatte er nach Wissen gesucht. Nun hatte er es gefunden. Dies war es, nach dem er strebte. Es war sein Lebensziel, auch wenn ihm das nie so bewusst gewesen war.
Vielleicht war ihm nichts anderes übrig geblieben als sich so zu entwickeln. Schon seine Eltern waren Archäologen gewesen, die versucht hatten die Geheimnisse der Geschichte zu ergründen. Sie waren bis zu ihrem plötzlichen Tod durch die ganze Welt gereist – und was war dem kleinen Daniel da anderes übrig geblieben, als sich für die Sachen zu interessieren, die schon seine Eltern taten.
Letztlich war es seine unbändige Neugier gewesen, die es möglich gemacht hatte, das er hier stand. Wenn er nicht sein ganzes Leben damit verbracht hätte, dort zu suchen, wo sich sonst niemand hinwagte und Fragen zu stellen, die auch er nicht sofort zu beantworten wusste, wenn er nicht ein Experte der Archäologie geworden wäre, der zwar in der Fachwelt verschien war und von Uni zu Uni gejagt wurde, weil ihm niemand zuhören wollte, aber dennoch viele Ideen hatten, die sich als richtig erwiesen, dann wäre er auch nicht für die Air Force mit ihrem Stargateprogramm interessant geworden.
Und auch hier gab es wieder neue Rätsel. Gleichzeitig hoffte er mit diesem unglaublichen Wissen, die alten Rätsel lösen zu können. Da war zum Beispiel die Frage, wer es gewesen war, der lange bevor die Goa’uld als falsche Götter vom Himmel gekommen waren, Menschen von der Erde nach Altair gebracht hatte. Vielleicht waren es die Antiker selbst gewesen. Falls das so wäre, dann musste es im Archiv stehen und Daniel würde es finden. Das Wissen über das mysteriöse Volk, das die Stargates erbaut hatte, könnte sich als sehr wertvoll erweisen.
Damit war Daniel über Jahrtausende hinweg der einzige außer Harlan, der eine Beschäftigung hatte, die ihn wirklich ausfüllte.

Jack hatte so lange gegen Harlan Kadis-Kot gespielt, bis er ihn besiegt hatte – und dann das Interesse verloren. So war es mit allem gewesen und so würde es auch in Zukunft mit allem sein.
Trotzdem hatte er immer wieder etwas neues zu tun gefunden. Es war erstaunlich, wie erfinderisch der Geist in dieser Hinsicht sein konnte. Da war zum Beispiel das Archiv. Neben den geschichtlichen Aufzeichnungen enthielt es auch tonnenweise Literatur und sogar Filme.
Jack war eine ganze Weile neben Daniel an einem zweiten Monitor zwischen den sich auftürmenden Datenspeichern gehockt und hatte sich das Zeugs angesehen. Er bekam aber nie einen echten Bezug zur Handlung, fühlte sich nie angesprochen. Vielleicht lag es dran, dass die Altairaner eine ganz andere Art hatten ihre Geschichten zu erzählen. Doch das eigentliche Problem war wohl, dass alle Geschichten von Menschen handelten – und mit denen wollte Jack nichts mehr zu tun haben. So blieb ihm nichts anderes übrig als einzusehen, dass er im Archiv definitiv keine Beschäftigung finden würde.
Sam dagegen schrieb Bücher. Natürlich über Physik. Sie meinte, dass sie das schon immer mal hatte tun wollen, aber dazu nie Zeit gefunden hatte.
Die Bücher waren gut. Jack hatte einige davon gelesen. Da sie wohl Zeit herausschinden wollte, hatte sie praktisch bei Adam und Eva angefangen und so hatte sogar er noch etwas über Wurmlöcher, Naquadareaktoren und Roboterkörper gelernt.
Irgendwann hatte sie jedoch angefangen sich zu wiederholen. Sie schrieb die selben Bücher noch einmal, nur diesmal vielleicht etwas hochtrabender für die Fachwelt oder auch mal für Kinder oder das breite Publikum und vor allen Dingen – für sich selbst.
Jack war derweil zum Golfen übergegangen. Ein paar hundert Jahre hatte er nichts anderes getan, als eine Stahlkugel mit einem Rohr quer durch die Station zu schlagen.
Irgendwann hatte er auch darauf keine Lust mehr gehabt und begonnen Skulpturen herzustellen. Früher wäre er nie im Leben auf eine solche Idee gekommen, aber Not macht erfinderisch. Er hatte Schrott zusammengesucht mit dem beim besten Willen nichts mehr anzufangen war – was nicht schwierig war – und hatte ihn neu zusammengeschweißt.
Er hatte nie eine Idee gehabt, was es einmal werden sollte. Er hatte einfach geschweißt bis er auf die Idee kam, Hey, das sieht doch aus wie ein Hund .. .oder was auch immer. Dann hatte er noch ein paar Teile hinzugeschweißt und so wurde es tatsächlich ein Hund.
Irgendwann waren ihm dann die Teile ausgegangen und er hatte alles noch mal zerlegt und von vorne angefangen. Dabei wurden die Hunde immer seltener und surrealtische, manchmal fast beängstigende Körper immer häufiger.
Doch was konnte jemanden schon die Ewigkeit über beschäftigen? Jetzt standen die Skulpturen in langen Reihen Spalier in unzähligen Korridoren wie die stummen Wächter einer untergegangen Zivilisation. Auch Sam hatte das Bücherschreiben inzwischen aufgegeben. Nichts war in der Lage einen auf Dauer fesseln zu können – und irgendwann gingen einem dann doch die Ideen aus.
Es war einer dieser sich ewig dehnenden Augenblicke, in denen er sich völlig orientierungslos fragte, was er nun noch tun könnte, als ihm der größte Witz des Universums eingefallen war. Dabei war er ursprünglich gar nicht als Witz gemeint gewesen. Ganz im Gegenteil. Es war eine der frommen Geschichten, die man kleinen Kindern im Religionsunterricht erzählte.
Ein Mann stirbt und kommt in den Himmel. Ein Engel fragt ihn, wie er die Ewigkeit verbringen wolle und der Mann wünscht sich lauter dumme Dinge: eine Villa mit viel Geld drinnen und jeden Tag was gutes zu essen!
Nach tausend Jahren kommt der Engel wieder und fragt den Mann, der inzwischen todunglücklich ist und sich langweilt, wie es ihm ginge. Der meint, dass dies wohl kaum der Himmel sein könnte, worauf der Engel erwidert, dass es die Hölle sei, in die er sich selber gewünscht hätte.

Soweit so gut. Doch was war dann der Himmel, hatte sich der kleine Jack gefragt. Und tatsächlich gab es in der Geschichte auch noch den Nachbarn des Mannes. Er hatte sich einen kleinen, bescheidenen Schemel gewünscht, mit dem er bis in alle Ewigkeit Gott zu Füßen sitzen konnte, um ihn zu bewundern.
Als er sich daran erinnerte war Jack in schallendes Gelächter ausgebrochen. Er hatte gelacht, wie es nur ein Unsterblicher tun konnte, der schon wieder viel zu lange nichts mehr zu lachen gehabt hatte. Wie lächerlich. Wie naiv! Bis in alle Ewigkeit!! Diese Sterblichen hatten doch überhaupt keine Ahnung, was sie da sagten, wenn sie von Ewigkeit redeten. Und auch noch die erste Mine, mit der alle der Geschichte gelauscht hatten!
Die Idee, dass es irgendetwas geben könne, was man bis in die Unendlichkeit tun konnte, war völlig absurd. Selbst der Anblick eines nicht-existenten Gottes konnte es nicht sein.
Jack hätte den Autor dieser Geschichte so gern gesehen, wie er da saß. Er gab ihm tausend Jahre, vielleicht auch zehntausend. Danach würde jemand kommen müssen, um ihn von seinem bescheidenen Schemel ins göttliche Irrenhaus zu schleifen.
Selbst, wenn ihnen das Universum offen gestanden hätte, wäre auch das ihnen irgendwann überdrüssig geworden. Es gab nichts, absolut nichts, was einen auf Ewigkeit beschäftigen würde.
Er ertappte sich bereits bei der Frage, wann er das Interesse an Sam verlieren würde. Was wäre aus all den glücklichen Märchenpaaren geworden, wenn das Ende ihrer Tage nicht gekommen wäre? Er mochte sie lieben, doch was war hier unten schon ewig, wenn man mal von ihrem Leben absah...

Als Sam Jacks Raum betrat, war dieser dunkel. Ihre Augen passten sich blitzschnell an das schwache Licht an, so dass sie sehen konnte, wie Jack auf seinem selbstgezimmerten Bett hockte und sie anstarrte.
Die Tür rollte zu und ihr wurde klar, dass er nicht sie ansah, sondern die Tür und die Wand hinter ihr. In der Mitte des Raums stand ein Projektor, den er irgendwo ausgegraben haben musste, der einen Sternenhimmel an die Wand projizierte.
Sie trat ein Stück in den Raum hinein und betrachtete das Bild. Der Projektor brummte alterschwach vor sich hin.
„Sie sind wunderschön“, sagte er auf einmal. „Die Sterne meine ich. Wir können sie hier unten nur nicht mehr sehen.“
Sie waren tatsächlich wunderschön. Das Bild musste in einer klaren Nacht fern jeder Lichtquelle gemacht worden sein. Zu einer Zeit, als man auf Altair den Himmel noch hatte sehen können. Die Sterne funkelten so hell, wie man es nur selten sah.
„Aber sie wirken so fremd. Die Sternbilder sind fort“, redete er wie zu sich selbst. „Da wird einem erst klar, wie weit wir von der Erde fort sind...“
27.000 Lichtjahre , war die Zahl sofort in ihrem Kopf. Aber sie verzichtete darauf es auszusprechen. Er wusste es.
Nach dem Tod seines Sohnes hatte Jack jede Nacht auf seiner Terrasse gesessen und mit seinem kleinen Fernrohr die Sterne betrachtet. Er hatte sowieso nicht schlafen können.
„Sara und ich waren draußen im Garten als wir den Schuss hörten“, erinnerte er sich. Sam kannte die Geschichte. Er hatte sie ihr schon oft genug erzählt. Er stöhnte. „Wie konnte ich nur...“ Ein einziges Mal hatte er seine Dienstwaffe geladen und ungesichert zu Hause rumliegen lassen. Unverantwortlich, wenn man ein Kind im Haus hatte. Die ganze Zeit über hatte er versucht Charlie von jeder Art von Waffe fernzuhalten, selbst wenn es sich dabei nur um eine Wasserpistole gehandelt hatte. Aber was nutzte das schon. Charlie hatte keine Ahnung gehabt, was er da tat, als er Jacks Pistole in die Hand nahm. Er wusste nicht, dass sie geladen war und ihn zu töten vermochte. Das Unglück hatte Jack damals so gelähmt, dass er sich nicht einmal mit seiner Frau darüber unterhalten hatte. So hatten sie sich auseinandergelebt.
„Ich glaube Sara hat es mir verziehen. Sie konnte es nur nicht vergessen“, fuhr er fort. Wie oft hatte sie das schon gehört. „Bei mir war es umgekehrt. Ich habe es mir nie verziehen – aber früher konnte ich es wenigstens manchmal vergessen.“ Er sah sie an. In der Dunkelheit spiegelten seine Augen das Sternenlicht wieder. Es gab viel in seinem Leben, an das er sich nicht gern zurückerinnerte und dies war bestimmt das Schlimmste. „Doch diese Gehirne vergessen nicht. Ich versuche es zu verdrängen, aber die Bilder tauchen immer und immer wieder auf.“
„Das ist nicht wahr, Jack. Wir vergessen sehr wohl. Oder weißt du noch, was du getan hast bevor du den Projektor aufgestellt hast?“ Sie mochten sich an alles erinnern, was sie sich gemerkt hatte, aber sie merken sich nicht alles. Der Geist machte sich einfach nicht mehr die Mühe. Man hatte etwas so oft getan oder gesehen, dass es auf dieses eine Mal einfach nicht mehr ankam.
Sie hatte keine Lust sich das länger anzuhören. Nicht, dass sie nicht Mitleid mit ihm gehabt hätte. Natürlich hatte sie das, sie liebte ihn, wenn auch heute nicht mehr so wie früher. Vielleicht war sie es ihm schuldig auf ihn einzugehen, aber wenn man die Geschichte so oft gehört hatte wie sie, reichte es langsam. Oft waren nicht einmal ein paar Jahre Luft gewesen, bis er es wieder jemandem erzählen musste.
Vielleicht hatte sie ihm jetzt etwas gegeben, dass ihn ablenken würde. Vielleicht würde er einige Zeit versuchen sich zu erinnern, was er zuletzt so getan hatte. Oder auch nicht. Sam verließ den Raum. Im Notfall hatten sie alle Zeit der Welt das Gespräch fortzuführen.

Wenn es wirklich stimmte, dass dem Menschen eine unsterbliche Seele innewohnte, was war dann mit ihnen? Konnte man die Seele eines Menschen kopieren, konnte eine künstliche Intelligenz eine Seele haben? Oder bildeten sie sich nur ein eine zu haben und waren vielleicht darauf programmiert zu glauben, dass sie noch sie selbst waren?
Wenn auch sie eine Seele hatten, was würde dann geschehen, wenn in ferner Zukunft ihre Existenz endete? Zwei identische Seelen – wie konnte das sein. Würden ihm Engel vor den Toren ins Jenseits den Zugang verweigern, weil sie schon vor langer Zeit einen Haken hinter seinen Namen gesetzt hatten? Sicher nicht...
Jack war nie ein sehr religiöser Mensch gewesen. Dazu hatte er viel zu sehr auf dem Boden der Tatsachen gestanden. Er hatte zuviel Leid und Ungerechtigkeit gesehen, so viele Tote. Er wusste, dass Gott ihm nie mit einer Kavallerie zu Hilfe kommen würde, um seinen Hintern zu retten, dennoch war in seinem Hinterkopf immer der Glaube gewesen, dass es ihn gab.
Religion war nichts, dass einem mit Verhaltesregeln oder Ritualen das Leben absichtlich schwer machen wollte. Gott mochte nie direkt in das Geschehen auf Erden eingreifen, aber das musste er auch gar nicht. Er half den Menschen allein durch seine Anwesenheit, ohne für jemanden Partei zu ergreifen. Er gab den Gläubigen das Wissen in einer feindlichen Welt geliebt zu werden. Er vergab einem Fehler, die man sich selbst nie verzieh.
Das hatte ihm geholfen – früher einmal. Sein Problem war wohl gewesen, dass er nie darüber nachgedacht hatte, was er da glaubte. Über den Sinn des Lebens nachzudenken hatte er lieber anderen Leuten, insbesondere Daniel, überlassen. Jetzt wagte er zu zweifeln.
Wie konnte ein gütiger Gott ihnen das antun? Es war ein uraltes Argument, aber niemand hatte verdient, was sie hier durchmachten. Wenn es Gott wirklich gab, dann verdiente er keine Anbetung. Jemand der ein Universum schuf, um es dann sich selbst zu überlassen obwohl es so voller Leid war, währe von jedem ordentlichen Gericht wegen unterlassener Hilfeleistung und fahrlässiger Tötung in Milliardenhöhe verurteilt worden, Neutralität hin oder her.
Das das Universum einen Schöpfer benötigte bezweifelte er, aber vielleicht waren es die Menschen die Götter brauchten. Und weil sie sie brauchten erfanden sie sich welche. Es gab auf der Erde so viele Religionen und fast jede erhob ultimativen Wahrheitsanspruch. Warum sollte da ausgerechnet eine einzelne davon die Weisheit gepachtet haben? Vielleicht ergab sich, wenn man sie alle betrachtete eine Art kleinster gemeinsamer Nenner der Moral, aber die Tatsache, dass es so viele Menschen waren, die prinzipiell an etwas Höheres glaubten, bewies nicht dessen Existenz. Früher hatte auch die ganze Erdbevölkerung geglaubt die Erde sei eine Scheibe...
Nein, es gab keinen Gott. Letztlich war das für Jacke aber keine Frage von Argumenten, denn das Problem war, dass man nicht die Nichtexistenz von etwas beweisen konnte, was theoretisch möglich war. Wäre die Existenz oder Nichtexistenz Gottes – wenn man mal die ganzen Aliens beiseite ließ – mit Argumenten beweisbar gewesen, dann hätte die Geschichte der Menschheit ganz anders ausgesehen.
Für Jack war es eine reine Sache des Gefühls. Und dieses Gefühl sagte ihm, dass jemand der so lange gelebt hatte wie er, von der Existenz eines so mächtigen Wesens irgendetwas hätte mitbekommen müssen.
Dabei musste er natürlich zugeben, immer noch nicht mehr zu wissen als vor zigtausend Jahren. Ihm blieb immer noch nichts weiter, als einfach zu glauben, denn auch der Glaube an die Nichtexistenz von etwas war ein Glaube. Aber diese Unsicherheit konnte ihn nicht davon abhalten, sich seine Gedanken zu machen. Und vermutlich blieb ihm nichts anderes übrig.
Vor kurzem hatte Daniel die Idee aufgebracht, dass die Menschen der Erde – sofern sie sich denn für sie interessiert hätten – sie vielleicht als Übermenschen bezeichnen würden. Da sie keine Ahnung hatten, musste für sie ein Androidenkörper etwas so tolles sein, dass dieser Begriff gerechtfertigt war. Doch wären sie wirklich Übermenschen gewesen, dann hätten sie auch in geistiger Hinsicht wachsen müssen und das hatten sie nicht getan – zumindest noch nicht.
Sie waren also doch keine Übermenschen und das störte Jack nicht weiter – die Bezeichnung erschien ihm sowieso viel zu angeberisch. Aber es hatte ihn zu der Frage geführt, was sie denn dann überhaupt waren, schließlich waren sie auch längst keine Menschen mehr. Zwar ähnelten sie diesen noch, so wie die Menschen mehr als sie sich zugestehen wollten den Affen ähnelten, aber trotzdem waren sie keine mehr. Überhaut waren sie nichts, was irgendwie definiert wäre.
Und dies war das Problem. Er hatte auf die elementare Frage Was bin ich? keine Antwort mehr. Zwar hatte er als Mensch auch keine Antwort gewusst, aber er hatte geglaubt, dass es eine gab und dass sie zufrieden stellend war. Doch zusammen mit seinem Menschsein hatte er auch seinen Platz in der Welt verloren, die Sicherheit einer Antwort. Er musste sich nun neu orientieren. Er brauchte ein neues Weltbild. Und zwar eines, das ihn nicht noch einmal enttäuschen konnte.
In einem anderen Leben, so schien es ihm heute, war er auf einer Welt gewesen, von der er einmal gedacht hatte, dass er ihre Nummer vergessen hätte. Sein neues Gehirn aber war unglaublich gut darin verschüttete Erinnerungen wieder ans Licht zu bringen. Auf der Erde nannte man die Welt Q81B5A. Der äußerst einfallsreiche Name, den ihre Bewohner ihr gegeben hatten, lautete schlicht „Boden“.
Die Bauten dort hatten O’Neill an die Stätten der Mayas und Inkas erinnert. Sie waren völlig aus Stein, was nicht verwunderlich war, denn Holz war dort Mangelwahre gewesen. Daniel hatte jedoch daran gezweifelt, dass sie etwas mit diesen Kulturen zu tun hätten, denn sie kannten deren Götterkult nicht. Obwohl sie riesige Felsenpyramiden gebaut hatten war keine davon ein Tempel oder ein Grabmal gewesen, sondern es waren öffentliche Gebäude gewesen.
Eines Abends hatten sie dem Oberpriester zuhören müssen. Eine Geste des gegenseitigen Kennenlernens und der Freundschaft. Dieses Ereignis schien ziemlich wichtig für diese Leute gewesen zu sein, denn sie hatten sogar ein Lagerfeuer aus wertvollem Holz entfacht. So in etwa stellte Jack sich vor, hatten einst Priester dem ungebildeten und leichtgläubigen Volk die Geschichten erzählt, die nachher im alten Testament zu lesen waren.
Als der Priester dann anfing von Atomen zu reden, hatte er geglaubt sich verhört zu haben. Seit sie den Nox begegnet waren, war er sich nie mehr sicher gewesen, ob eine Kultur wirklich so primitiv war, wie sie erschien. Was wussten die von Atomen? Daniel hatte ihn jedoch beruhigt. Er meinte, dass selbst die alten Griechen auf der Erde schon davon geredet hatten.
Jack hatte das alles damals nicht weiter interessiert; er hatte die meiste Zeit damit verbracht immer wieder den schützenden Klettverschluss von seiner Uhr zu reißen und auf ihr Display zu starren. Doch was dieser Priester erzählt hatte, ergab für ihn heute durchaus Sinn.
Der Priester erklärte, dass die Welt aus Atomen bestünde. Alles bestand aus Atomen und deren Existenz hatte an sich keinen tieferen Sinn. Sie existierten nur aus einer Laune des Schicksaals heraus.
Das war aber nicht schlimm. Worauf es ankam, waren nicht die Atome an sich, sondern das Zusammenspiel, das sich zwischen ihnen ergab. Irgendwann hatten sich die Atome völlig selbstständig zu Strukturen zusammengefunden. Das war kein Prozess, der auf eine göttliche Schöpfungskraft, sondern allein auf das Verhalten der Atome zurückzuführen war, das auf Naturgesetzen basierte.
Doch es war nicht einfach ein bloßes Zusammenklumpen der Atome, das einmal geschah und dann vorbei war. Selbst in so etwas totem wie einem Stein wirkten die Atome des Steins weiterhin mit anderen Atomen zusammen, zum Beispiel wenn der Stein von Wasser langsam blank geschliffen wurde.
Alles, was im Universum geschah, war letztlich auf ein Zusammenspiel der Atome zurückzuführen. Auch das, was man im allgemeinen als „Leben“ bezeichnete, entstand allein und ausschließlich daraus. In Lebewesen war es lediglich viel komplexer als in „toter“ Materie – sofern man eine solche Unterscheidung überhaupt noch treffen konnte. Dort war es aber nicht das plumpe Wirken zwischen Wasser und Stein. Es waren äußerst komplizierte chemische und physikalische Vorgänge, die ein riesiges System aus sich selbst regelnden Mechanismen bildeten.
Diese Leute hatten keine Ahnung von Biologie oder Physik gehabt und dennoch hatten sie geahnt, dass Leben auf nichts weiter zurückzuführen war, als auf Molekülchen und elektrische Impulse, die irgendwelche Kleinigkeiten taten aber in ihrer Gesamtheit und Komplexität etwas so beeindruckendes wie den menschlichen Geist schaffen konnten, der in der Lage war über sich selbst nachzudenken.
Letztlich war das Prinzip das gleiche wie beim Stein, aber die Gesamtheit nicht. Wenn der Stein ein einzelner Ton war, dann war das Leben eine Symphonie. Viel, viel komplexer und viel, viel schöner, aber letztlich doch „nur“ aus Tönen bestehend.
Nicht, das deswegen das Verhalten von Menschen oder des Universums vollständig vorhersehbar gewesen wären. Das Zusammenspiel der Atome war zu komplex dazu. Zudem schrieben die Naturgesetzte selbst eine gewisse Unsicherheit vor und außerdem konnte man die Ausgangssituation nie gut genug kennen, um genauere Vorhersagen über die spätere Entwicklung liefern zu können als der Wetterbericht.
Auf den ersten Blick war ihm das völlig menschenverachtend erschienen. Menschen unterschieden sich nicht vom Stein, weil sie auch aus Atomen bestanden! So einfach war es jedoch nicht. Auch wenn die Existenz dieser Atome prinzipiell sinnlos war, so galt dies nicht zwangsläufig auch für die Dinge, die sie bildeten. Der Mensch war dank seines Geistes in der Lage Dinge zu bewirken. Er konnte die Welt verändern, er konnte sich selber Ziele setzen und sie verwirklichen. Er schuf sich selbst seinen Lebenssinn. Aus der Haltung dieser Leute sprach keine Verachtung für das Leben, sondern im Gegenteil ein unheimlicher Respekt vor dem, was die Evolution aus einfachen Atomen gemacht hatte.
Dieses Konzept konnte man aber noch erweitern. Dies war gerade der Punkt, der Jack daran so gefiel und der Grund dafür, warum er sich jetzt daran erinnerte. Leben und Geist waren nicht an eine bestimmte Form gebunden! Jede komplex organisierte Struktur konnte es hervorbringen. Die Funktion des menschlichen Hirns war rein auf das Zusammenwirken von Atomen zurückzuführen. Was ihr künstliches Hirn tat, war nichts anderes. Es steuerte sich genauso selbstständig wie das menschliche. Die Atome mussten kein Fleisch und Blut bilden, um auf die Art und Weise zusammenzuwirken, die einen Geist möglich machte.
Sie waren Maschinen, aber das bedeutete in keinster Weise, dass sie nicht den gleichen Wert gehabt hätten, wie jedes andere intelligente Wesen des Universums auch. Sie hatten durchaus eine Seele! Nicht im religiösen Sinn. Es war nichts göttliches oder etwas, das nach ihrem Tod weiterlebte. Es war statt dessen der Geist, der von ihrem Gehirn allein aufgrund der Naturgesetze produziert wurde. Sie waren keine seelenlosen Geschöpfe.
Ob diese Idee der Wahrheit jetzt näher lag oder nicht, sie half Jack in diesem Augenblick auf jeden Fall weiter als der Glaube an einen gleichgültigen Gott und ein fragliches Paradies nach einem in sehr weiter Ferne liegenden Tod.


* * *


Ihre Gedanken waren irgendwo in den Wolken. Aus den Tiefen ihres Bewusstseins tauchen zusammenhanglos Erinnerungen auf und zerstoben wieder. Gedanken bilden sich aus, reihten sich zu einer Kette, die dann auf einmal endete. Zeitlos, bedeutungslos. Sie fühlte sich wie ein Vogel, der durch ihre innere Welt flog, aber nirgendwo lange blieb.
Lange Zeit war da nichts als Leere. Sie ließ ihren Geist schweifen, fand aber nichts, wo sie sich hätte niederlassen können. Sie konnte ewig driften, ohne dass sie dabei einen wirklich konkreten Gedanken gehabt hätte. Es kam ihr vor, als schwebe sie in einer endlosen Kaverne irgendwo in der Dunkelheit. Sie konnte in der Finsternis nichts erkennen, wusste aber, dass sie eingeschlossen war.
Hier gab es nichts außer den Nebelschleiern, die ihre innere Welt durchzogen wie gestaltgewordene Melancholie. Träge Nebelschwaden, die über den Boden krochen. Sie konnten eine Seele völlig ausfüllen. Der Nebel mochte zwar schweben, aber er war unglaublich schwer und setzte sich überall ab, umhüllte sie. Und mit jedem Atemzug sog sie die von ihr selbst ausgeströmte Traurigkeit wieder ein. Der Nebel füllte ihre Lungen und breitete sich in ihr aus.
Irgendwann fing sie an zu summen. Leise, damit es niemand außer ihr hörte. Sie ließ ihrem Geist freien lauf und lauschte den Tönen, die das aus dem Inneren ihrer Seele quollen. Sie war erstaunt wie schön und traurig sie waren.
Sie redeten nicht mehr miteinander. Längst nicht mehr. Eigentlich sollte man erwarten, dass Unsterbliche aufgrund der unendlichen Zeit, die ihnen zur Verfügung stand, auch entsprechend lange Gespräche führten. Dies mochte früher einmal der Fall gewesen sein. Einst hatten sie über alles geredet, was ihnen in den Sinn gekommen war. Sie hatten über völlig banale Dinge gesprochen oder sich gegenseitig ihr Herz ausgeschüttet. Doch ein Gespräch konnte kein Problem lösen, höchstens den Umgang mit dem selben verändern. Und wie sollte man damit umgehen? Es gab so viel, das sie schon eine Ewigkeit belastete. Ihr Versagen, ihre eigene Unfähigkeit im Schatten der Anderen. Das alles hatte sie niemals losgelassen.
Heute gab es einfach nichts mehr zu sagen. Ein düsteres Schweigen erfüllte die Station. Jeder hatte bereits alles gesagt, jeder hatte bereits alles gehört und sie hatten keine Lust sich alles noch mal anhören zu müssen.
Irgendwann hatte sie Daniel im Archiv besucht und irgendeine Bemerkung gemacht, dass er sich immer noch da aufhielt. Daraufhin hatte er sie angefahren, dass es wohl sein Problem sei, „wie er die Ewigkeit verbringe“. Wie recht er hatte. Sie hatte ihn allein gelassen. Es war wirklich das Problem eines jeden einzelnen von ihnen wie er mit der Ewigkeit fertig wurde. Doch keiner schaffte es.
Es war nicht schwer einander aus dem Weg zu gehen, wenn man die typischen Aufenthaltsorte der anderen mied. So konnte man lange durch die Station wandern ohne jemandem zu begegnen. Manchmal kam es jedoch vor, dass man sich an einer Stelle traf, die der Computer als fällig zur Reparatur ausgerufen hatte. Traf man als zweiter ein, verkrümelte man sich so schnell wie möglich wieder, nur um allein zu sein. Die anderen erinnerten einen nur an die eigenen Probleme.
Niemand konnte ihr helfen, also musste sie es allein schaffen. Doch schon die Dinge für sich selbst zu formulieren, um sie dann angehen zu können, war schwierig. Man war nicht unbedingt ehrlich gegenüber sich selbst.
Also begann sie zu summen. Sie musste keine Worte formulieren, um alles aus sich rauszuspülen. Sie musste nicht denken, sie musste mit niemanden darüber reden. Sie ließ die Klänge einfach fließen. Manchmal konnte Musik Gefühle besser ausdrücken als Worte. Mit den langen, melodischen Tonketten schien auch der Dunst aus ihr zu entweichen. Die Depressionen blieben, aber sie fühlte sich ein wenig befreiter.

Er hasste das Archiv. Er hasste sich, er hasste diese Welt. Hier ruhte der größte Schatz dieses Planeten, das Wissen einer ganzen Welt und er vermochte es nicht zu würdigen. Er konnte es einfach nicht mehr. Es war langweilig. Total überflüssig. Was interessierte es ihn, was ein Typ gesagt hatte, der schon fünftausend Jahre tot gewesen war, bevor das Archiv überhaupt gegründet wurde.
Daniel hatte nie gelernt, er hatte immer nur geforscht. Es war sein Leben gewesen. Er hatte versucht, Dinge zu finden und sie in den richtigen Zusammenhang zu bringen. Doch im Archiv gab es keine Rätsel mehr zu lösen. Alles war aufgearbeitet. Es war nicht so, dass er nach langem Suchen und Detektivarbeit vielleicht etwas über die Erbauer der Stargates herausbekommen hätte, wie er es lange gehofft hatte. Alles, was im Archiv war, konnte er über einen praktischen Index erreichen.
Und trotzdem waren noch so viele Fragen offen. Es war zum verzweifeln, wie als würde er auf einem Haufen Geld sitzen, ohne es ausgeben zu können. Er scheiterte nicht daran, dass es keine Rätsel mehr gegeben hätte, sondern daran, dass selbst dieses phantastische Archiv ihm bei der Suche nach Antworten nicht weiterhelfen konnte.
Hier gab es nichts für ihn in zu tun. Es war keine wirkliche Forschung, die er hier betrieb. Alles, was ihm blieb, war, das Zeugs zu lesen. Doch wofür? Wofür?? Es würde ihm in seinem späteren Leben nichts mehr nutzen und es gab niemandem, den er es lehren konnte. Selbst, wenn ihm einer der anderen vor lauter Langeweile zugehört hätte, wozu war es gut? Auch sie könnten damit nicht wirklich etwas anfangen. Am Ende wäre er dann wieder so weit wie vorher.
Und so wurde alles, was er hier tat und überhaupt je getan hatte, sinnlos.
Er hasste sich für diese Einstellung. Als er damals im Archiv der vier Spezies gestanden hatte, war er noch bereit gewesen, sein Leben für dieses Wissen zu riskieren, denn Wissen war Selbstzweck. Man forschte nicht, um technische Neuerungen zu machen, sondern allein weil das Wissen selbst es wert war. Es schaffte das, was schon Myriaden von Religionen seit Anbeginn der Zeit versucht hatten: ein Verständnis von der Welt zu schaffen.
Daniel hätte es nie gewagt, etwas gegen Leute zu sagen, die nicht dieser Meinung waren. Es war nun mal ihre Art. Aber es war eben nicht seine Art, dass er nichts mehr für das Archiv und sein Wissen übrig hatte. Es regte ihn auf und er verabscheute sich dafür.
Er wollte raus, raus aus dem Archiv, raus aus der Station. Manchmal glaubte er hier drin zu platzen. Er wollte wieder durch das Stargate gehen.
Doch was erhoffte es sich davon? Eine neue Kultur, die er studieren konnte? Vielleicht wäre sie interessanter als die der Menschen. Aber nein, es wäre nicht besser als das hier. Das Archiv war nicht zu überbieten und dennoch würde es ihn noch zu Tode langweilen! Was wollte er dann da draußen? Einfach nur Auslauf haben, mal was anderes sehen, wie eine Ratte, die man zu lange in einem Käfig gehalten hatte?
Er konnte sich nicht konzentrieren. Sein Blick glitt immer wieder durch den Monitor hindurch. Er spielte gedankenverloren mit den Einstellungen des Computers herum, zog sinnlose Markierungen in die Texte hinein oder zoomte und scrollte durch die Zeilen hindurch.
Plötzlich stand in großen Lettern „Nichts“ auf dem Monitor geschrieben. Es war der riesenhafte Ausschnitt aus einem der Texte. Daniel stoppte sein fruchtloses zoomen. Nichts. Er zog einen Rahmen um das Wort. War es nicht bezeichnend, dass in dem Wort Nichts das Wort Ich enthalten war? nICHts. Ich bin nichts. Ein Niemand. Was tue ich schon hier?
Aber auch das war mal wieder typisch für den neuen Daniel! Dieses Selbstmitleid, dass er sich in letzter Zeit zugelegt hatte. Immer, wenn etwas nicht so lief wie es sich Dr. Jackson vorstellte, bemitleidete Dr. Jackson sich selbst. Es war doch so schön in der Tragik der eigenen Situation zu baden, sich vielleicht noch viel deprimierendere Entwicklungen auszudenken.
Selbstmitleid hatte noch niemandem genutzt und er würde da sicherlich nicht der erste sein. Aber er hörte ja nicht auf den gesunden Menschenverstand. Verdammt Daniel, hör dir doch selber einmal zu! Er machte sich kaputt. Es war erbärmlich, was er da trieb, aber er konnte nichts dagegen machen.
Eine hilflose Wut überkam ihn. Er sah, was mit ihm los war, aber vermochte es nicht zu ändern. Dabei wäre es zu ändern gewesen, wenn er nicht so...
Immer wieder versuchte er sich zusammenzureißen und versuchte, statt sich seiner Wut hinzugeben, lieber das Geschenk zu nutzen, das ihm in den Schoß gefallen war. Es war eine unerschöpfliche Quelle des Wissens. Er konnte endlich eine Kultur bis ins Detail studieren. Er wünschte es sich von ganzem Herzen sich dem Studium wieder widmen zu können. Wieder er selbst zu sein, wäre zu schön. Doch er konnte es nicht. Dazu hatte er sich viel zu sehr verändert.
Er löschte die Markierungen und zoomte wieder auf normale Größe zurück. Er musste es versuchen.
Das war so klar gewesen! Er hatte keine Ahnung, wo er zuletzt gewesen war. Er scrollte nach oben, las ein paar Zeilen, scrollte weiter, las wieder. Er glaubte nicht, es schon gelesen zu haben, aber es kam ihm unheimlich bekannt vor. Durch den Wandel der Technik konnte eine Gesellschaft sich in einem anderen Licht präsentieren, aber letztlich konnte es sie von ihren Strukturen her vor ein paar Jahrhunderten schon einmal gegeben haben. Die Leute und Orte hießen anders, aber die Geschichten blieben die selben. Es geschah etwas und die Menschen begannen nach dem gleichen zu schreien, nach dem schon andere vor ihnen geschrieen hatten.
Nein! Oh, nein. Konnte er nicht einmal beim Thema bleiben?! Warum konnte er sich nicht konzentrieren? Warum schweiften seine Gedanken immer wieder ab? Es musste doch gehen! Was gab es hier sonst zu tun? Er hatte sein ganzes Leben doch mit dem verbracht, was er gerade versuchte zu tun, wie konnte es da sinnlos sein?
Schluchzend lag er auf der Konsole und tat schon wieder nichts...

Manchmal fragte sich Jack, wie es enden würde. Ihr Leben würde lange dauern. Sehr, sehr, sehr lange. So lange, dass man es getrost eine Ewigkeit nennen konnte. Doch es würde nicht unendlich währen. Nicht, dass er sich deswegen hätte Sorgen machen müssen oder erleichtert sein sollen. Aber wenn einem ein langes Leben etwas einbrachte, dann war es die Fähigkeit langfristig zu denken. Und langfristig würde es irgendetwas geben, das ihr Leben auf die eine oder andere Art irgendwann einmal beendete.
Vielleicht würden sie lange genug leben, um das Ende von Altairs Sonne mitzuerleben. Jack kannte Bilder von explodierten Sternen und den leuchtenden Gaswolken, die sie zurückließen. Sie sahen sehr schön aus. Er fragte sich, wie es wäre auf einer Welt zu leben, auf der es immer heißer und heißer wurde, weil die Sonne immer näher rückte. Wie es wäre wenn die Ozeane zu kochen begannen und der Sonnenwind die Atmosphäre davon blies. Ob sie es noch erleben würden, wie der Planet verdampfte, bevor er von seiner eigenen Sonne verschluckt wurde?
Doch selbst wenn die Sonne Altairs um einiges älter wäre, als die der Erde, dann würde das sicherlich noch ein paar Milliarden Jahre dauern. Ein Zeitraum, der ihm inzwischen nicht mehr so fantastisch groß erschien wie früher, aber dennoch groß genug, das er bezweifelte, ihn zu überleben.
Die Station würden sie auf keinen Fall Milliarden Jahre erhalten können. Sie würden an die Oberfläche gehen müssen. Jack sah ein Bild vor sich, klar, als ob er es mit eigenen Augen gesehen hätte. Er sah den Ausgang einer Höhle, die einen Schacht zur Station verbarg, den sie wieder freigelegt hatten. Vor diesem Ausgang standen fünf verdreckte Gestalten, die mit den Händen ihre Augen gegen das herrliche Licht der Sonne abschirmten.
Die Welt da draußen bestand aus grünen Hügeln und war bewachsen mit weichem Gras. An den Hängen wuchsen vereinzelte kleine Wäldchen und unter ihnen lag ein schöner, kleiner See, an dem seltsame Pflanzen in die Höhe ragten. Die Luft war frisch und angenehm warm. Der Himmel war blau und es gab nur einige vereinzelte, kleine Wölkchen, die wie Watte langsam dahin zogen. Auf der Wiese wuchsen viele bunte, außerirdische Blümchen... Altair hatte sich wieder erholt.
Es wäre wie ein Garten Eden. Sie würden sich keine Sorgen um Nahrung oder Unterschlupf machen müssen, sondern nur, dass sie immer über Energie verfügten.
Sie würden die Energiequelle nach oben bringen. Einen Transport durch den Hyperraum würde sie nicht überstehen, aber auf dem Planeten konnten sie sie beliebig verlegen. Der Begriff Quelle war dabei eigentlich missverständlich. Sie gab die Energie an ihre Körper weiter, aber sie erzeugte sie nicht. Das übernahm das geothermische Kraftwerk der Station.
Sie würden die Quelle nach oben schaffen und Sam würde sicherlich eine Möglichkeit finden, sie dort oben zu betreiben. Vielleicht mit Solarzellen. Oder sie würden Naquadavorkommen für einen Groß-Reaktor finden.
Jack hoffte wirklich, dass die Zukunft so aussehen würde, aber zu glauben vermochte er es nicht. Die Energiequelle war so ziemlich das robusteste Gerät, das es hier unten gab. Sie hatte kaum Verschleiß und ließ sich auch notfalls reparieren. Aber irgendwann würde ihr Herzstück ausfallen und sich nicht mehr reparieren lassen. Und genau dieses Herzstück sorgte für die exakte Modulierung der Energie auf die sie angewiesen waren. Würden sie es ersetzen, wäre das ihr Tod.
Doch dies war nicht das einzige. Er hatte Harlan zugehört, was er über den Untergang seiner Zivilisation erzählt hatte. Er hatte Daniel zugehört, was er ihm über die Hintergründe erzählt hatte und vor allem hatte er Sam zugehört, was sie ihm über die Waffen erzählt hatte, die da zum Einsatz gekommen waren. Und wenn er etwas davon wieder verdrängt hatte, dann hatte er nicht zuletzt auch Teal’c zugehört, der es ihm wieder ins Gedächtnis gerufen hatte.
Die Atombomben, vor der sich viele auf der Erde gefürchtet hatten, waren nichts gegen die Waffen der Altairaner gewesen. In diesen waren künstliche Elemente zu Einsatz gekommen, die sich nicht in das gewöhnliche Periodensystem einreihen ließen, weil sie irgendwie zu einem Teil im Hyperraum hingen. Sie vermochten unglaublich viel Energie freizusetzen, noch mehr als Naquada. Sam hätte ihm davon vorschwärmen können, wenn er sie gelassen hätte.
Die Bomben waren verheerend gewesen. Einige von ihnen waren so groß gewesen, dass sie die Erdkruste aufgerissen und dabei Vulkane erzeugt hatten, die bis heute immer wieder neuen Staub in die Atmosphäre wirbelten. Sie konnten froh sein, dass der nächste Vulkan weit genug weg war, sonst wäre die Station längst unter den Erdbeben zusammengestürzt.
Der große Nachteil dieser Hyper-Elemente war zudem, dass sie radioaktiv waren und bei ihrem Zerfall viel harte Strahlung abgaben. Aufgrund ihrer hohen Halbwertszeit verteilte sich diese Strahlung zwar über einen großen Zeitraum, aber das machte die Sache nicht besser, denn die Strahlung war trotzdem immer noch tödlich und nahm aufgrund des langsamen Zerfalls praktisch nicht ab.
Dummerweise hatten sich die Elemente jedem Versuch ihre Halbwertszeit genau zu bestimmen widersetzt und so war niemand in der Lage gewesen vorherzusagen, wie groß der Zeitraum denn nun war, über den sich die Strahlung verteilte und wie lange es dauern würde, bis die radioaktive Strahlung überhaupt merklich weniger wurde. Ein Zweifel, dass es sehr, sehr, sehr lange dauern würde, hatte jedoch nie bestanden...
Das einzige Leben, dass es auf Altair heute trotz der widrigen Bedingungen vermutlich noch gab, waren winzige Einzeller in den Tiefen der Erde oder der Ozeane, die weder Licht noch Sauerstoff brauchten. Bis sich daraus wieder höheres Leben entwickeln würde, war es ein langer Weg. Deswegen würde aus den grünen Wiesen wohl nichts werden, schließlich hatten selbst die Dinosaurier noch kein Gras gekannt.
Nein, er konnte nicht daran glauben, so schön die Aussicht auch gewesen wäre. Dafür formte sich in Momenten, in denen er mal wieder zu diesem Schluss kam, ein anderes Bild. Es war einmal in seinem Kopf entstanden und es wollte nicht wieder daraus verschwinden. Es deprimierte ihn. Er fürchtete sich vor dem Bild, hoffte das er sich irren würde.
Wieder sah er sie vor sich. Uralt und doch äußerlich um keine Minute gealtert. Irgendwann würde das letzte Ersatzteil verbaut sein, die letzte improvisierte Reparatur vollzogen. Es würden keine Worte zwischen ihnen nötig sein, um dies zu erkennen. Wenn dann noch etwas kaputt ging, würden sie es nicht mehr reparieren können. Sie würden sich ansehen und um die Energiequelle versammeln.
Früher hatte diese Halbmeter große Kugel hoch über ihren Köpfen in der Halle mit dem Stargate geschwebt und aus Schlitzen orange-rot geglüht. Jetzt lag sie auf dem Boden und das Glühen war kaum noch zu sehen. Sie würden sich im Kreis um die Quelle setzen wie um ein Lagerfeuer, für das kein Holz mehr da war und wissen, dass sie sterben würden. Sie würden sitzen und warten und irgendwann würde etwas seinen Geist aufgeben. Vielleicht war es eine Lappalie, aber diese würde sie ihr Leben kosten, das scheinbar eine Unendlichkeit gewährt hatte.
Der Energiefluss von der Quelle würde versiegen, sie würden in sich zusammensinken und gemeinsam das Leben aushauchen.

Eine Konservendose. Man konnte diesen Ort mit allen möglichen Worten belegen, die schöner klangen, aber letztendlich änderte ein Wort nicht den Gegenstand, den es beschrieb. Und das hier war nun mal eine Konservendose.
Wenn Jacks Raum nur zum schlafen oder arbeiten gedacht gewesen wäre, dann hätte die Größe ausgereicht. Um darin wohnen, war er jedoch viel zu klein.
Sein einziger Vorteil bestand darin, dass er dank Jacks Bemühungen schön hell war. Er wollte nicht hinaus in die dunkle Station. Da blieb er lieber da, wo es hell war. Und dies war nun mal einer der hellsten Orte.
Je länger er sich jedoch in ihm aufhielt, desto kleiner schien der Raum zu werden. Jack wusste, dass er sich das einbildete, aber er konnte sich dieses Gefühls nicht erwehren. Dann begann er immer auf- und ab zu gehen, wie ein Löwe in seinem Käfig. Immer von einer Wand zur anderen, immer im Kreis.
Manchmal öffnete er die Tür, um den Raum größer erscheinen zu lassen. Der Korridor dahinter war stockdunkel. Die offene Tür erschien ihm wie ein dunkler, weit aufgerissener Rachen. Eigentlich wollte er niemanden einladen hier herein zu kommen, doch die Tür stand offen wie die sprichwörtliche Büchse der Pandora, die bereit war das ganze Unglück dieser Welt zu ihm hinein zu lassen. Wenn er den Platz nicht gebraucht hätte, hätte er die Tür sofort wieder geschlossen.
Sein Tisch hatte ursprünglich im rechten Winkel zur Wand gestanden. Auf ihm standen ein Computerterminal, ein kleiner Hund aus Schrottteilen und aller möglicher unsinniger Krimskrams. Er hatte den Tisch jetzt parallel und direkt an die Wand gestellt, nur um mehr Platz bei seinen unruhigen Runden zu haben.
Den Schrank mit seinen Kleidern hatte er gegen einen weniger sperrigen eingetauscht. Er hatte längst damit aufgehört die Klamotten einfach zum Spaß zu wechseln, entsprechend war sein Vorrat an neuen Kleidern sowieso geschrumpft. Auch den großen Schrott-Mann mit dem Gebiss anstatt Kopf und Schlangen anstatt Armen hatte er aus dem Weg geschafft. Er stand jetzt vor der Tür. Vielleicht schreckte er dort jemanden ab, hier herein zu kommen. Auf jeden Fall verbrauchte er drinnen keinen Platz mehr.
Immer im Kreis, immer im Kreis. Sein ganzes Leben schien diesem Prinzip zu folgen. Jack hatte nie unter Klaustrophobie gelitten, aber wenn er sich hier zu lange aufhielt, war er irgendwann der Panik nahe. Die Wände schienen immer näher zu kommen. Dabei taten sie ihm nicht den Gefallen, ihn irgendwann zu erreichen, so dass es vorbei gewesen wäre. Sie beschränkten sich nur auf das immerwährende bedrohliche heranrücken.
Er glaubte sein Herz rasen zu fühlen und konnte es nicht verhindern, dass er zu zittern begann. Immer wieder blieb ihm nichts anderes mehr übrig, als fluchtartig durch die offene Tür zu verschwinden.
Mit langen Schritten durchmaß er dann die Station. Er ging vorbei an leeren Tanks, offen verlegten Leitungen und scheinbar sinnlosen Metallgerüsten. Vorbei an verschiedenen Aggregatblöcken, glimmenden Schaltschränken und verkommenen Ersatzteilregalen. Die Hinweise auf den Wänden waren längst vergilbt und abgeblättert. Seine Schritte klangen dumpf auf dem massiven Stahlfußboden und schepperten, wenn er über Metallroste oder Abdeckplatten lief. Die Geräusche von wackelnden Treppen und lockeren Geländern waren nicht gerade vertrauen erweckend.
Die Dämmerung war weiter vorangeschritten. Der Zahn der Zeit hatte auch vor den Lampen nicht halt gemacht und ihre Reihen stark gelichtet. Schon als sie hier ankamen waren neue Lampen knapp gewesen. Inzwischen hatten sie aus diversen Teilen neue gebaut. Dabei war ihr schwaches Licht nicht einmal weiß, sondern gelblich. Manche von ihnen flimmerten von Anfang an und gingen wahnsinnig schnell an und aus. Man nahm es kaum wahr, aber es machte einen nervös. Aber auch der Bau dieser neuen Lampen wurde immer schwieriger, da auch die Einzelteile knapp zu werden drohten. Irgendwann würde es für immer Nacht werden. Sein Weg führte Jack immer wieder an den langen Reihen der Skulpturen vorbei, die er einst geschaffen hatte. Einige von ihnen wurden immer noch beleuchtet. Im farbigen Licht der Scheinwerfer erschienen sie noch skurriler als sonst und warfen bizarre Schatten. Manchmal glaubte er eine Bewegung gesehen zu haben. Sie jagten ihm Angst ein, wenn er so nahe an ihnen vorbeilief. Insgeheim fürchtete Jack, sie könnten zum Leben erwachen und als Ausgeburten seines Unbewussten durch die Station streifen. Die Geister die ich rief...
Die Station sprach zu einem. Man musste nur zuhören. Ihre Stimme war allerdings nicht die die künstliche Stimme des Stationscomputers. Es waren die Laute, welche die Station selbst produzierte. Ein ständiges Gluckern und Brummen und Summen und Wummern wo man auch hinkam. Es mochte vertraut sein, aber daher längst nicht angenehm.
Die Station war wie ein allgegenwärtiger Feind. Eine stille Feindschaft herrschte zwischen ihr und Jack, denn sie ließ ihn nicht fort. Wenn der biblische Jonas die Ewigkeit im Bauch des Wals verbracht hätte, dann hätte er ihn auch gehasst.
Schon von weitem schlug ihm der Atem von Sektion 3 entgegen. Es roch nach Rost und Alter. Dies war der Bereich, der schon von Anfang an die meisten Probleme gemacht hatte. Sie hatten ihn aufgegeben und stillgelegt. Nichts arbeitete mehr dort. Sie hatten alles ausgeschlachtet.
Hier war es weitaus kühler als im Rest der Station, denn es gab hier keine Rohre mehr, die heißes Wasser führten. Kälte wie in einer Gruft. Sämtliche Geräusche waren verloschen, nichts brummte oder gluckste hier. Es gab nur das hohle Echo der eigenen Schritte.
Alles, was nicht niet- und nagelfest gewesen war, hatten sie mitgenommen, um es zur Reparatur der anderen Sektionen zu verwenden. Auch die Lampen, so dass es jetzt stockfinster war. Selbst wenn er Infrarot hätte sehen können – hier gab es längst keine Temperaturunterschiede mehr. Aber Jack kannte sich gut genug aus, um den Weg auch ohne Licht zu finden.
Immer wieder kam das Verlangen in ihm hoch durch das Stargate zu gehen. Doch das war nicht möglich. Es ging ihnen wie Tantalos in der griechischen Mythologie – inzwischen verstand selbst Jack etwas davon. Tantalos war von den Göttern damit bestraft worden bis zum Kinn in Wasser zu stehen, das perverserweise immer genau dann vor ihm zurückwich, wenn er, durstig wie er war, versuchte davon zu trinken. Durch das Stargate war das Universum nur einen Schritt entfernt, aber dieser Weg war ihnen verschlossen.
Oft stand er in Halle, in der sich einst das Gate erhoben hatte. Der große, schwere Container lastete immer noch auf ihm. Es war ein Grab.
Hin und wieder strichen seine Hände fast zärtlich über die 39 Tasten des Anwahlgeräts. Einmal hatte er dabei aus Versehen eines der Symbole eingedrückt und das Stargate war in seinem Grab wieder zum Leben erwacht. Wie als ob seit seiner letzten Benutzung nichts passiert sei, nahm es wieder seine Funktion auf. Jack hörte, wie mit einem leisen Zischen sich das Anwahlrad in Bewegung setzte.
Er hatte hinab auf das DHD gesehen. Das Symbol, das er gedrückt hatte, leuchtete. Auriga . Die erste Koordinate der Erde. Hörbar rastete Auriga ein, das Geräusch war ihm immer noch unheimlich vertraut, obwohl er es so lange nicht mehr vernommen hatte. Jack sah hinüber zum Gate. Der Grabstein vermochte das Tor nicht zum Schweigen zu bringen. Wenn sie wirklich die Absicht gehabt hätten, es nicht mehr zu benutzen, hätten sie es zerlegen sollen. Die primitiven Kulturen, denen sie empfohlen hatten das Tor zu vergraben, hätten das nicht gekonnt. Sie mit Sicherheit schon.
Der Chevron, der auf Auriga eingerastet war, leuchtete in seinem düsten Rot unter dem Container hervor wie das Auge eines Drachen. Das Tor wartete auf die nächste Koordinate. Jack hatte auf das DHD gesehen. Es hatte ihn in den Fingern gejuckt die restliche Adresse einzugeben. Doch das Wasser wich vor Tantalos zurück. Es ging nicht!
Er hatte gemacht, dass er davon kam.
Die Station hatte die Form eines Schuhkartons und erstreckte sich über mehrere Stockwerke. Wenn man lange genug geradeaus lief, war es unvermeidbar, dass man irgendwann abbiegen musste. Letztendlich lief man also auch hier nur im Kreis.
Es gab eine sehr große Anzahl von Routen, die man durch die Station nehmen konnte, doch letztlich war die Zahl begrenzt. Er kannte die Konservendose in- und auswendig. Er konnte einen detaillierten Plan von ihr zeichnen oder sie mit geschlossenen Augen durchqueren. Das war nicht nur eine Mutmaßung; er hatte es schon oft getan.
Jack hatte es immer gewusst, dass er sich auch bei seinen Touren durch die Station letztlich nur im Kreis bewegte, dennoch hatte es ihm gereicht, sich bewegen zu können. Irgendwann war es jedoch auch in sein Unterbewusstsein gedrungen, dass er im Prinzip das selbe tat, wie in seinem winzigen Raum.
Dann blieb er immer resigniert stehen und musste in den meisten Fällen feststellen, dass er sich wieder im Torraum befand.

Bei seinen Wanderungen durch die Station traf Jack eines Tages an dem Boxbeutel, den er vor Ewigkeiten aufgehängt hatte, Daniel.
Einst hatte er geglaubt ihn zu kennen. Daniel war freundlich und versöhnlich gewesen. Er war bereit gewesen alles zu tun, um Leuten zu helfen, die er nicht einmal kannte. Sofern er einmal zu Waffe griff, dann nur, wenn es wirklich notwendig war. Er war kein Heiliger gewesen. Natürlich nicht. Jack hatte den Hass in seinen Augen gesehen, wenn er sich daran erinnerte, wie die Goa’uld seine Frau mitnahmen, um sie zu einem ihrer Wirte zu machen.
Bei alledem hatte Daniel Jackson jedoch nie die Kontrolle über sich verloren. Er war sich immer äußerst bewusst über das gewesen, was er gerade tat. Von der Person, die dort auf den Boxbeutel eindrosch, wollte Jack das nicht behaupten.
Voller Zorn schlug Daniel auf den Sack ein. Blind vor Wut wie er war, geschah das ziemlich unkoordiniert, aber dafür umso brutaler. Der Beutel war schon völlig zerknautscht. Daniel lebte seine Aggressionen völlig aus. Blindwütig trieb er immer wieder seine Fäuste zwischen die Stahlspäne. Es musste eine Wut sein, die er über Jahre hinweg zurückgehalten hatte und die sich nun ihren Weg nach draußen suchte. Jack hatte keine Ahnung woher sie kommen mochte.
„Daniel!“ platzte es aus ihm heraus.
Daniel sah ihn nur kurz an und rief, während er bereits weiter den Sack traktierte „Verschwinden sie, Jack.“
Jack dachte nicht daran dem folge zu leisten. Nicht jetzt. Er trat vor und hielt den Beutel fest, der wild von einer Seite zur anderen schaukelte. „Was ist los, Daniel?“ rief er zurück. Daniel trommelte nur noch weiter gegen den Sack, der nun von Jack an seinem Platz gehalten wurde. „Ist das Archiv durchgebrannt, oder was?“
Mit einem kräftigen Hieb schlug Daniel Jack den Sack aus der Hand, so dass er zwischen ihnen hin- und her schwang. Anklagend zeigte er mit dem Finger auf ihn. „Erwähnen sie es nichtmal, Jack!“ zischte er. „Ich hasse es!“ Er passte den Beutel ab und versetzte ihm einen weiten Stoß.
„Wie bitte? Erklären sie mir das“, redete Jack auf ihn ein. Doch Daniel tat schon wieder so, als würde er ihn nicht hören. Jack packte den Sack und zerriss die Kette, an dem er hing. Dumpf fiel er zu Boden. „Daniel! Hören sie. Ich habe keine Lust die Ewigkeit mit einem Mann zu verbringen, der alle paar Jahre auf etwas einschlagen muss, weil er nicht mit seinen Problemen fertig wird!“ schrie er ihn an.
Vielleicht konnte er so zu ihm durchdringen. „Also erklären sie es mir“, fügte er leiser hinzu.
Daniel schüttelte den Kopf und begann wild auf- und ab zu gehen. Die Energie, die er gerade noch in die Fäuste geschickt hatte, lief nun in seine Beine. Schließlich blieb er stehen. „Jede Zeile die ich lese, glaube ich schon mal gelesen zu haben, obwohl ich ganz genau weiß, dass es nicht sein kann“, sagte er dann mühsam beherrscht. „Ich kann nicht glauben, dass ich damit früher mein Leben verbracht habe.“
Anfangs hatte Jack noch geglaubt, dass er derjenige sei, der hier als erstes durchdrehen würde. Daniel war es gewesen, der damals versucht hatte ihn zu beruhigen. „Was ist mit ihrer alles-ist-besser-Nummer passiert?“
Daniel trat gegen den Beutel. Er flog gegen die nächste Wand und platze auf. „Nichts ist besser!“ grollte er. Er schien seine Wanderung durch den Raum wieder aufnehmen zu wollen. „Ich drehe hier noch durch. Ich platze! Ich muss hier irgendwie raus. Ich ertrage er nicht mehr!“ Er drehte sich um und stürmte durch einen der Gänge hinaus.
„Wohin gehen sie?“ rief Jack ihm nach.
„Zurück ins Archiv. Es gibt noch so viel zu tun.“
Jack folgte ihm. „Warten sie Daniel.“ Der reagierte schon wieder nicht. „Warum tun wir es nicht einfach?`“
Daniel blieb wie angewurzelt stehen und drehte sich um. „Was?“ fragte er lauernd.
„Von hier fortgehen.“


* * *


Geblendet schloss Jack die Augen. Er war es gewöhnt in der Dämmerung etwas sehen zu müssen. Hier schien die Sonne grell am Himmel. Ihr Licht wurde vom Boden reflektiert. Es war so hell, dass ihm die Augen weh taten. Nur langsam schälten sich die Konturen der Umgebung heraus.
Die trockene Luft brannte in seinen Lungen. Es war unglaublich heiß. 740215 war immer noch die gleiche Felswüste wie damals. Die unnatürlich große, gelbe Sonne stand hoch am Himmel. Es war keine Wolke zu sehen.
Die Wüste war eine endlose Ebene, die aus unzähligen, ineinander verschachtelten Felsblöcken bestand, die alle eine holprige, aber im Großen und Ganzen doch flache, Oberfläche bildeten. Es gab nur wenig herumliegendes Gestein – scharfkantige Felsbrocken der unterschiedlichsten Größen und ein wenig feiner Sand dazwischen.
Der Boden war dunkelbraun, wie Erde oder Holz. Der Himmel, der sich über ihm aufspannte, hatte ein blasses blau. Platz. Es gab keine Decke über dem Kopf. Da war nur der blaue Himmel und das Weltall über ihm. Bis zum Horizont war nichts zu sehen.
Freiheit. Die Schwerkraft hier war geringer als auf Altair. Es gab kein Hindernis, keine Wand, die ihn hätte stoppen können. Mit dem Zusammenbruch des Wurmlochs von Altair war nicht nur die Nabelschnur der Energiequelle durchtrennt worden. Es hatte auch die Leine zerrissen, die ihn an diesen Ort gefesselt hatte.
Hier gab es nichts, dass ihn irgendwie einschränkte. Nichts und niemand konnte ihn aufhalten. Es gab nur die endlose Ebene unter seinen Füßen und den endlosen Himmel über seinem Kopf.
Jack jagte los. Einfach der Nase nach. Er sprintete über Stock und Stein dem Horizont entgegen. Zum ersten mal konnte er die Fähigkeiten seines Körpers voll ausschöpfen. Er erreichte eine wahnsinnige Geschwindigkeit. Er fühlte, wie seine Beine immer schneller umherwirbelten und wie er schließlich auf Widerstand seines Körpers stieß. Sein Körper reagierte auf das, was er tat! Es schien nicht schneller zu gehen, aber Jack schaffte es trotzdem noch an Geschwindigkeit zuzulegen.
Zum ersten Mal seit langem fühlte sich Jack wieder richtig lebendig. Er fühlte seinen Körper bis ins letzte synthetische Härchen hinein. Er spürte wie sich die Gelenke bewegten und ihn über die Ebene trugen. Es tat unglaublich gut. Er hatte die Maschine unter Kontrolle, er triumphierte über sie. Sie tat dass, was er von ihr verlangte. Sein Wille zwang sie zu Höchstleistungen. Er hielt den Atem an und die Maschine folgte weiter ihrem Kurs. Sie brauchte keinen Sauerstoff.
Nichts konnte ihn aufhalten, wie er durch die Ebene rauschte wie ein Wirbelwind. Über einen riesigen Felsbrocken in seinem Weg setzte er mit einem gewaltigen Sprung hinweg. Für einen kurzen Moment glaubte er zu schweben, dann setzte er auf und rannte er weiter. Er fühlte, wie kleine Steine unter der Wucht seiner Schritte zermalmt wurden.
Wie im Rausch pflügte er Kilometer um Kilometer durch die Wüste und hinterließ nichts als eine Staubfahne.

740215 hatte sich nicht verändert, seit Daniel diese Welt durch die Kamera des MALPs gemustert hatte. Geologische Vorgänge spielten sich offensichtlich in noch größeren Zeiträumen, als ihr bisheriges Leben ab. Damals hatten sie auf der Erde gemeinsam beschlossen, dass es nicht nötig wäre, hier ein Team herzuschicken. Es war eine tote, trostlose Welt.
Ein wenig ratlos stieg Daniel die Stufen des Stargates hinab. Sie waren fast völlig mit Kies und feinem Sand bedeckt. Er hatte sich oft ausgemalt wie es wäre wieder zu anderen Welten zu reisen, war aber nie zu einem Entschluss gekommen, was er tun würde, wenn er einmal da war.
Er drehte sich um sich selbst. Das Stargate und das hiesige DHD waren die einzigen Erhebungen hier. Das Tor schimmerte im grellen Licht der großen Sonne. Jack war inzwischen zu einem kleinen Strich in der Landschaft geschrumpft.
Eine innere Ruhe füllte ihn aus. Zum ersten Mal seit langem konnte er wieder frei durchatmen. In der Station hatte er noch alles zertrümmern wollen. Hier gab es nichts zum zertrümmern. Auf eine gewisse Weise übertrug sich die blanke Friedlichkeit der Landschaft auch auf ihn.
Daniel erkannte jetzt was es war, das er in der Station gesucht aber nie gefunden hatte. Einsamkeit. Er hatte versucht sich von der Gesellschaft der anderen abzukapseln. Er hatte sich zuletzt selbst nicht mehr ausstehen können, aber es war immer leichter, dies auf die ganze Menschheit abzuwälzen, anstatt es auf einem selbst ruhen zu lassen. Lieber hatte er sich eingeredet Gesellschaft nicht ausstehen zu können.
In der Station hatte er jedoch nie Einsamkeit gefunden, selbst wenn er sich im Archiv einschloss, das sich im untersten Stockwerk der Station befand. Er hatte immer gewusst, dass die anderen nicht weit waren und jederzeit vor seiner Tür erscheinen konnten.
Hier war er wirklich allein. Jack war längst nicht mehr zu sehen. Es gab keinen anderen Ort, an dem man einsamer sein konnte, als in einer Wüste. Selbst, wenn man frei im Weltraum schweben würde – dort gab es nichts mehr, an dem man den Platz um einen ermessen konnte. Hier sah das Auge den Horizont und er wusste, dass da sonst nichts mehr war.
Sein Blick strich über die Landschaft und er sah – Nichts. Es war wunderschön. Ein brauner Balken unten, ein blauer darüber und das Bild der Wüste wäre fertig gewesen. Es beeindruckte durch seine Schlichtheit und pure Größe.
Hier wuchs kein Grashalm und keine Flechte. Er hielt die Luft an und lauschte. Es war völlig windstill, nichts regte sich. Nicht einmal er erzeugte Geräusche, die er hätte hören können. Kein Atem, kein Herzschlag. Es war völlig ruhig. Daniel breitete die Arme aus, wie als ob er die Leere um sich herum völlig ausfüllen wollte und platzte. Alles, was er über die Zeit hinweg in sich aufgestaut hatte, entlud sich in diesem einen Augenblick. Ein gewaltiger Schrei entsprang seiner Kehle und raste durch die Wüste. Ein Leuchtfeuer des Lebens inmitten des Nirgendwo.
Daniel sah dem Pfad nach, den Jack hinterlassen hatte. Er konnte nicht anders. Seine Beine setzten sich in Bewegung und er raste hinter O’Neill her.

Vor ihnen fiel der Boden fast im rechten Winkel ab und führte einige hundert Meter in die Tiefe. Erst, wenn man kurz vor dem Abgrund stand, wurde man sich klar, dass die Ebene ein riesiges Plateau über einer noch viel größeren Ebene war.
Direkt an der Kante standen zwei einsame Gestalten und betrachteten friedlich die Landschaft. Der Boden tief unter ihnen sah genauso aus, wie der, auf dem sie standen. Sie mochten nicht weiter können, aber das machte nichts. Von hier aus hatten sie einen perfekten Blick über die große Ebene. Wenn man weit genug vortrat, so dass man den Abgrund nicht mehr sehen konnte, hatte man das Gefühl über der Ebene zu schweben und sie völlig im Blick zu haben. Die Schwerkraft schien keine Bedeutung mehr zu haben. Sie waren wie Vögel, die hoch am Himmel kreisten und hinab auf die Erdoberfläche sahen. So musste sich Gott gefühlt haben, als er über seine Schöpfung blickte und sah, dass es gut war. Sehr, sehr gut. Zum ersten Mal in ihrem künstlichen Leben waren sie frei.
Der kleine Planet drehte sich viel rascher um seine Achse wie die Erde, so dass die große Sonne wahnsinnig schnell über den Himmel wanderte. Sie stand inzwischen um einiges tiefer und strahlte ihnen ins Gesicht. Sie blinzelten nicht, denn sie konnten in die Sonne sehen, ohne dass es ihren Augen geschadet hätte. Sie sogen ihr Licht förmlich in sich auf und versuchten die Dunkelheit und Kälte, die sich über Jahrtausende in ihnen eingenistet hatte, zu vertreiben. Noch nie in ihrem langen Leben hatte Sonne auf ihre künstliche Haut geschienen. Es war ein gutes Gefühl.
Das Licht knallte nun frontal auf ihre schwarzen Kleider. In der Station war es immer schwül gewesen. Jetzt war es richtig heiß; die Luft trocken und sauber. Angenehm.
Ihre Schatten waren länger geworden. Der Himmel war nun dunkelblau. Ein kühler Wind strich durch ihr Haar. Er kam von dort, von wo sie gekommen waren und strömte in die Regionen, die jetzt stärker von der Sonne erwärmt wurden. In der Ebene weit unter ihnen erhoben sich feine Staubfahnen.
Sie wussten nicht, wie viel Energiereserven sie noch hatten. Sie spürten nichts, ahnten aber, dass der Sprint sie sehr geschwächt haben musste. Es war zweifelhaft, ob sie den Weg zurück schaffen würden.
„Bereuen sie es, Daniel?“ fragte Jack leise.
„Nein“, kam die Antwort. „Und sie?“
„Nicht im geringsten.“


* * *


Erst als es klopfte wurde ihr bewusst, wo sie sich aufhielt. Wenn man sich eine Ewigkeit an ein- und demselben Ort aufgehalten hatte, spielte es keine Rolle mehr, wo genau man sich dort befand.
Sam war schon in jeder Ecke der Station gewesen und kannte jeden Quadratzentimeter. Sie hatte auch schon praktisch alles getan, was man hier so tun konnte. Dies machte alles nicht nur zu etwas normalem oder langweiligem, sondern zu auch etwas äußerst stupidem.
Des weiteren war es sowieso völlig ohne Bedeutung, was man gerade machte und was nicht. Wenn ein Sterblicher darüber nachdachte, was er gerade nicht tat, dann hatte er immer irgendwo den Gedanken im Hinterkopf, dass er es vielleicht nie tun würde. Für sie war das keine Frage. Sie hatten alle Zeit der Welt. Was sie jetzt nicht taten, konnten sie jederzeit nachholen.
Jetzt jedoch klopfte es an ihre Tür und Sam wurde sich klar, dass sie sich in ihrem Raum aufhielt. Sie hatte ihn immer noch nicht mit irgendwelchen Dingen gefüllt. Wahrscheinlich würde sie das auch nie tun. Sie konnte es ja jederzeit nachholen.
Nur widerstrebend kehrte sie in die Realität zurück. „Herein“, murrte sie. Dann sah sie auf und stellte fest, dass sie die Tür verriegelt hatte. Sie trat zur Tür und zog den Griff nach unten, der daneben angebracht war. Die Tür glitt zur Seite und der Griff schnappte wieder nach oben.
Herein kam ein völlig durch den Wind gedrehter Harlan. „Ein großer Notfall“, sprudelte es aus ihm hervor. „Du musst helfen. Wirst du helfen. Ja? Nein?“
Sie schüttelte den Kopf, wie um wach zu werden. „Harlan!“ unterbrach sie ihn.
„Ja?“
„Was ist passiert?“
„Sie sind durch den Ring gegangen. Ich sagte ihnen, dass es gefährlich sei. Ich flehte sie an. Aber sie wollten nicht hören. Sie haben gesagt, dass sie zurückkommen würden, aber jetzt sind sie schon viel zu lange weg. Oooooh, ihr müsst ihnen nach. Ihr müsst sie zurückholen. Ich hab mich an sie gewöhnt. Ich kann ohne sie doch nicht mehr funktionieren“, redete er wie ein Wasserfall.
„Wer ist fort?“ fragte Carter.
„Colonel O’Neill und Doktor Jackson.“ Er konnte durchaus exakte Antworten liefern, wenn er nur wollte.
„Hast du gesehen, welche Koordinaten sie eingegeben haben?“
Harlan nickte nervös. Natürlich hatte er das.

Flink huschten Harlans Hände über die Tasten des Anwahlgeräts und gaben die Koordinaten der Welt an, zu der Jack und Daniel gereist waren. Sam konnte sich nicht vorstellen, was die beiden dazu getrieben haben könnte. Es war Wahnsinn. Sie wusste das und sie hatte geglaubt, dass die anderen es auch wussten. Offensichtlich war das aber doch nicht der Fall. Die beiden riskierten ihr Leben ohne sie und Teal’c zumindest davon in Kenntnis zu setzen.
Brausend wie eine Naturgewalt brach der Vortex aus dem Gate hervor. Es war immer wieder faszinierend. Erst als er wieder in sich zusammenfiel, stabilisierte sich der Ereignishorizont. Zögerlich erklomm Sam die Stufen zum Tor und blieb vor der Grenze zum Wurmloch stehen. Die Fluktuationen des Horizonts ließen ihn wie die Oberfläche eines senkrecht stehenden Teiches erscheinen.
Hinter dem Schimmern glaubte sie verschwommen den Torraum des SGC erkennen können. Es war Einbildung, aber sie schien Hammond und die Andere sehen zu können, wie sie hinter den Soldaten mit den Waffen standen und voller Misstrauen das Tor von der anderen Seite her musterten.
Sam wusste, dass es Wahnsinn war. Sie wusste es besser als jeder andere, denn sie hatte diesen Wahnsinn erlebt. Sie hatte das Risiko schon einmal auf sich genommen und war durch das Tor gegangen. Ausgerechnet zur Erde war sie gereist. Es war ein Fehler gewesen. Es hatte ihr nichts als Schmerzen eingebracht, die sie nur mühsam überwunden hatte. Und letztlich war die Reise zudem völlig überflüssig gewesen. Die Naquada-Technologie hatte ihnen nichts genutzt.
Sie kannte das Universum da draußen. Es war tückisch, es lockte einen an, wie eine fleischfressende Pflanze die Fliege. Jeder, der seinem Ruf folgte, würde es bereuen. Sie hatte es bereut, oh ja. Sie hatte auch genug Zeit dafür gehabt. Nur wer wirklich frei war, hatte eine Chance in der Welt da draußen zu bestehen. Wenn überhaupt. Sie hatte sich damals geschworen nie noch einmal so schutzlos diesen Planeten zu verlassen, wie sie es damals getan hatte. Sie trug keinen Reaktor in der Brust, also würde sie hier bleiben.
Carter hörte Harlan, wie er sie drängte. Sie blieb wie erstarrt vor dem Tor stehen. Selbst, wenn sie es gewollt hätte, wäre es ihr nicht möglich gewesen, hindurch zu gehen. Sie hatte ihre Lektion gelernt. Erst jetzt merkte sie, dass ihr linker Fuß immer noch nicht auf der obersten Stufe der Treppe stand. Er hing noch frei in der Luft. Sie ließ ihn auf die untere Stufe zurücksinken. „Nein.“
Harlan versuchte sie umzustimmen, aber auch wenn sie zugehört hätte, wäre er kaum in der Lage gewesen ihren Entschluss zu kippen. Schließlich verschwand er, kam aber schon nach kurzer Zeit wieder zurück. Zum ersten Mal konnte sie sich wieder sicher sein, dass es wirklich nicht lange gedauert hatte. Ein Wurmloch konnte nicht länger als 38 Minuten bestehen und die Verbindung nach 740215 stand noch als Harlan wieder kam.
Teal’c war bei ihm. „Ich kann nicht“, erklärte sie auch ihm.
„Captain Carter, es ist deine Pflicht.“
„Ich bin kein Captain mehr!“ korrigierte sie ihn gereizt.
Er senkte den Kopf und deutete ein Nicken an. „Es ist auch eine Pflicht für Samantha Carter“, fügte er dann sanft hinzu.
„Es tut mir leid,“ beharrte sie.
„O’Neill ist da draußen,“ erinnerte er. „Wenn ihm und Daniel Jackson etwas zugestoßen ist, werde ich nicht in der Lage sein, beide hierher zurückzubringen.“
„Gutes Argument!“ rief Harlan.
„Nein.“ Wie oft sollte sie das noch wiederholen?
Teal’c sah zu Harlan hinüber. „Dann wirst du mich begleiten.“
Harlan trat einen Schritt zurück. „Oh. Oh, nein. Ich gehöre hier her.“
„Notfalls werde ich dich tragen“, erklärte Teal’c ausdruckslos. Wenn Harlan sich sonst auch so schnell wie in diesem Augenblick verkrümelt hätte, wenn er einen zu nerven begann, wäre das schön gewesen.
Teal’c sah Carter einen Moment mit unergründlichem Blick an. „Ich werde alles was in meiner Macht steht tun, um sie zu retten, aber ich weiß nicht ob ich alleine erfolgreich sein kann“, erklärte er salbungsvoll. „Folge mir, wenn es dir möglich ist.“ Dann verschwand er.
Sie sah ihm nach. Sam stand nun ganz allein in der Halle. Der Ereignishorizont gluckerte leise vor sich hin und warf sein waberndes blau-weißes Licht auf die Wände. Hatte sie wirklich geglaubt, dass jetzt, wo sie nicht mehr in der Air Force war, es keine Pflicht mehr in ihrem Leben gab?
Was immer sie jetzt auch war, früher war sie einmal ein Mensch gewesen – und Menschen halfen einander. Was sie auch durchgemacht hatte, es war ihre Pflicht. Sie ging wieder die Stufen hinauf und zögerte erneut. Wenn doch alle Probleme durch eine simple Erkenntnis zu lösen gewesen wären...
Das Wurmloch war jetzt vielleicht 30 Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt und sie konnte sich trotz allem nicht überwinden, ihm noch näher zu kommen.
Jack... Sie musterte den Horizont als wäre er der Übergang zur Unterwelt, für den ihn manche Völker hielten. Von dort gab es gewöhnlich keine Wiederkehr. Trotzdem hatte es in den Mythologien immer wieder Helden gegeben, die es gewagt hatten. Für sie war es kein blindes, sondern ein kalkuliertes Risiko gewesen.
Die Zeit drängte. Sie wusste, dass das Tor nicht ewig in der Lage sein würde, die Verbindung aufrecht zu erhalten. Das Wurmloch konnte jeden Moment zusammenbrechen. Sam wusste, dass es dann vorbei gewesen wäre. Sie würde es nicht über sich bringen die Adresse noch einmal zu wählen.
Carter gab sich keine Chance noch einmal darüber nachzudenken, als sie einen Schritt nach vorne tat.



Nicht hinsehen. Nur nicht hinsehen. Die beiden hatten eine höllisch gute Wahl getroffen. Sie fühlte, wie sich Euphorie in ihr ausbreitete und versuchte sie irgendwie einzudämmen. Sie hatte die Wüste gesehen. Es gab hier so viel Platz.
Die dunkle, neblige Höhle, in der sie sich manchmal eingeschlossen gefühlt hatte, schien sich aufgelöst zu haben. Eine Last war von ihr gewichen, sie fühlte sich leicht und beflügelt.
Aber sie wusste, dass es nur ein Trugbild war. Sie wusste, dass es sich auflösen würde wie eine Seifenblase. Es war unvermeidbar, dass sie wieder nach Altair zurück mussten. Sie war auf dem Kelch der fleischfressenden Pflanze gelandet und musste jetzt sie aufpassen, dass sie nicht hineinfiel.
Sie konnte die Augen schließen, um nichts zu sehen und sie konnte aufhören zu atmen, um nicht die saubere Luft einatmen zu müssen, aber sie kam nicht umhin die Wärme der Sonne zu spüren. Diese Welt war wundervoll; früher hatten sie nicht einmal ein UAV zu ihr gesendet.
Sie musste die Augen wieder öffnen, wenn sie den anderen helfen wollte. Die tiefstehende Sonne am tiefblauen Himmel strahlte ihr ins Gesicht.
Vielleicht konnte sie sich gestatten, es ein wenig zu genießen. Aber sie durfte sich nicht überwältigen lassen. Ständig musste sie sich bewusst sein, dass sie bald wieder fort sein würde.
Teal’c war schon ein ganzes Stück von ihr entfernt. Er lief dem Horizont entgegen. Von Jack und Daniel war nichts zu sehen. Sie sah aber die Spur die Teal’c hinterlassen hatte. Es war der einzige Trampelpfad, der vom Tor wegführte, also mussten schon Jack und Daniel ihn getreten haben. Sie folgte Teal’c.


* * *


Es wäre ein Fehler gewesen ihnen zu folgen. Harlan hatte diesen Planeten nie verlassen, weder mit einem Raumschiff, noch durch den Ring. Er gehörte hierher.
Der Ring war ihm unheimlich. Harlan gehörte zu einem Volk, dass schon Hyperraumantriebe kannte und auch er wusste, was der Ring tat und wie er es tat. Dennoch jagte es ihm immer wieder Schauer über den Rücken, wenn er sah, wie Leute auf der einen Seite in das Energiefeld hinein traten und auf der anderen Seite nicht wieder zum Vorschein kamen. So etwas durfte nicht sein.
Die wenigsten, die durch den Ring gegangen waren, kamen wieder zurück. Dennoch hatte er Geschichten dieser wenigen gehört. Er hatte lange genug Zeit gehabt, um zu hören, was SG-1 alles zu berichten hatte. Er konnte nicht nachvollziehen, was Menschen dazu trieb da durch zu gehen. Das Universum mochte voller Wunder und Schätze sein, aber eine Kugel beendete immer noch ein Leben. Da blieb er doch lieber hier.
Seit die Station in ihrer Aufbauphase einigermaßen bewohnbar gewesen war, hatte er sie nicht mehr verlassen. Sie bot ihm Sicherheit und Geborgenheit. Hier wusste er, woran er war. Das Universum dagegen kannte er nicht und er fürchtete es.
Jetzt war er wieder allein. Er hatte ihnen gesagt, dass sie nicht gehen sollten und er hatte die beiden anderen hinterher geschickt, um sie zurückzuholen. Mehr vermochte er nicht zu tun. Entscheidungen waren Entscheidungen. Man musste konsequent bleiben. Wenn man Raum für Zweifel ließ, dann beschäftigten diese einen ewig. Also musste man bei der einmal getroffenen Entscheidung bleiben. Er hatte die Wahl gehabt, er hatte sich entschieden, es war vorbei. Entweder sie kamen zurück oder sie kamen nicht zurück.

Teal’c hatte ihn nie um etwas gebeten. Nur Harlan war es gewesen, der immer wieder Teal’c darum bat, ihm zu helfen. Und das hatte er getan, sogar noch weit mehr als das.
Jetzt hatte Teal’c ihn um etwas gebeten. Zwar hatte er es nicht offen ausgesprochen, aber dennoch hatte eine Bitte hinter der Forderung gestanden, ihn zu begleiten, um bei der Rettung seiner Freunde zu helfen.
Die Station war so leer ohne sie. Er hatte sich an sie gewöhnt. Er konnte nicht mehr leben ohne sie. Sie waren auch seine Freunde. Gute Freunde! Mit ihnen hätte er die Ewigkeit verbringen können. Ohne sie würde er vielleicht den Rest seines Lebens in Einsamkeit verbringen müssen. Grauenhaft!
Der Gedanke machte ihm Angst. Harlan wusste besser als jeder andere was Einsamkeit bedeutete. Dieser Abschnitt seines Lebens kam ihm im Rückblick wie ein Albtraum vor, aus dem er erwacht war. Doch nun schien ihn dieser Albtraum von einem Moment zum andern wieder Realität zu werden und ihn zu umschlingen.
Er hatte die Chance gehabt, ihnen zu helfen. Diese Chance war nun vertan, er hatte sich entschieden. Aber das Leben würde weiter gehen. Würde es nach einer ausgeschlagenen Chance einfach enden, so hätte keine bewohnte Welt Probleme mit Überbevölkerung gehabt.
Es war doch immer das gleiche: Er traf eine Entscheidung, die er sich vorher mehr oder weniger gut überlegte. Wenn sie sich dann doch als falsch erweisen sollte, würde er daraus lernen. Je größer der Fehler war, desto größer war die Lektion die er dadurch lernte. Er würde diesen Fehler dann nie wieder machen.
Und dies war ein Fehler gewesen, das fühlte er jetzt. Er würde einen solchen Fehler nie wieder begehen. Es fragte sich nur, ob er dazu noch einmal Gelegenheit haben würde.


* * *


Teal’c hätte nie gedacht, dass er das Wissen, das er sich als Krieger erworben hatte, noch einmal brauchen würde. Er trabte durch die Wüste. Er bewegte sich schnell voran, aber nicht so schnell, als das es übermäßig Energie gekostet hätte. Es war ihm sehr bewusst, dass er hier auf dem trockenen saß und seine Energie und Zeit begrenzt waren.
Er folgte der Spur, welche die beiden hinterlassen hatten. Früher war er einmal sehr gut im Spurenlesen gewesen. Ihrem Pfad zu folgen war aber in einer Umgebung, die seit Urzeiten allenfalls vom Wind geformt wurde, wirklich nicht schwierig. Sie hatten sich sehr schnell bewegt. Sie waren schneller gelaufen, als er je einen Menschen oder ein anderes Wesen hatte rennen sehen. Ihre Füße hatten mit der Wucht, mit der sie den Boden berührten, regelmäßig Steine und kleine Felsbrocken zermahlen.
Teal’c wusste, dass Samantha Carter hinter ihm war. Er hatte gewusst, dass sie ihm folgen würde. Es war beruhigend zu sehen, dass er nach all dieser Zeit das Verhalten seiner alten Freunde noch vorhersehen konnte. Zumindest teilweise. Bei O’Neill und Daniel Jackson hatte es offenbar nicht funktioniert. Er hatte es nicht kommen sehen. Vermutlich war es ein spontaner Entschluss gewesen. Ein äußerst leichtsinniger.
Die Sonne stand jetzt dicht am rötlich leuchtenden Horizont. Der Himmel darüber nahm einen violetten Ton an. Er fand die beiden ausgestreckt auf dem Wüstenboden liegen. Sie hatten offenbar versucht, zum Tor zurückzukehren, sich aber mit ihrer Energie verkalkuliert gehabt. Der Spurt musste ganz schön an ihren Reserven gezehrt haben. Offenbar hatten sie versucht sich gegenseitig zu stützen, bevor sie zu Boden gegangen waren.
Sie regten sich nicht. Dies war, wie Teal’c wusste, nicht unbedingt besorgniserregend. Unterschritt die Energiereserve ein gewisses Niveau, so tat der Körper alles, um das künstliche Gehirn am Leben zu halten. Alles andere trat dann in den Hintergrund, denn sobald das Hirn einmal seine Funktion einstellte, würde es sie nie wieder aufnehmen können. Deswegen zitterten sie nicht einmal mehr.
Nach kurzer Überlegung kümmerte er sich um Daniel Jackson. Samantha Carter würde sich sicherlich um O’Neill kümmern wollen. Er lud sich Daniel auf den Rücken. Eine leichte Übung für den ehemaligen Primus von Apophis. Dennoch überraschte es ihn immer wieder wie federleicht ihm solche Aktionen heute fielen. Obwohl Daniels Roboterkörper das Vielfache eines Menschen wog, schien er fast keine Kraft zu brauchen, um ihn hochzuheben.
Er wartete nicht auf Samantha. Sie war später als er durch das Tor gekommen und hatte noch mehr Reserven als er. Teal’c trabte zurück zum Tor, Samantha entgegen und an ihr vorbei. Er überlegte, ob er sich lieber beeilen sollte und dabei viel Energie zu verbrauchen oder lieber langsamer machten sollte, während seine normalen Körperfunktionen Energie benötigten.
Er begann sich zu fragen, was die beiden gerade auf diese Welt geführt hatte. Wenn sie die Erde oder eine andere bewohnte Welt aufgesucht hätten, wäre dies für ihn nachvollziehbar gewesen. Sie hätten sehen können, was aus diesen Welten geworden war. Sie hätten für einen kurzen Moment wieder daheim sein könnten. Dafür wäre er vielleicht bereit gewesen das Risiko auf sich zu nehmen. Aber diese Wüste hier inmitten des Nirgendwo...
Sie hatten eine gewaltige Strecke zurückgelegt. Als er sich umgedreht hatte, war das Tor kaum mehr zu sehen gewesen. Erst langsam wurde es wieder größer. Teal’c brauchte sich nicht umzudrehen, um sich davon zu überzeugen, dass Samantha Carter hinter ihm war. Er konnte sie hören.
Er hatte das Tor fast erreicht und steuerte bereits das DHD an, als seine Beine unter ihm nachgaben. Sie knickten ohne Vorwarnung einfach zusammen und Teal’c ging zu Boden. Daniels Gewicht schlug auf seinen Rücken. So kurz vor dem Ziel musste ihm die Energie ausgehen. Mühsam schob er sich unter Daniels Körper hervor. Sämtliche Kraft war aus ihm gewichen. Die ganze Stärke war nichts als Illusion.
Er konnte nicht aufstehen. Die Signale erreichten zwar noch die Beine, aber es gab nicht genügend Energie, um die Befehle umzusetzen. Teal’c wusste genau, was in seinem Körper vor sich ging. Seine Beine zitterten, wenn es sie bewegen wollte, taten aber ansonsten nichts.
Er stöhnte auf, streckte die Arme nach vorne und krallte sich an einer flachen Felskante fest. Dann zog er sich nach vorne. Der Klimmzug brachte ihn ein kleines Stück dem DHD näher. Noch ein Stück. Wie es sich für eine Maschine gehörte, arbeitete er sich vor. Ein Zug nach dem anderen.
Dann ging es nicht mehr. Auch seine Arme begannen zu zittern. Noch ein letzter Zug. Geschafft! Was sprach gegen noch einen letzten Zug. Und noch einen...
Doch irgendwann blieb der letzte dann der letzte. Er konnte seine Arme nicht mehr bewegen. Er sah zum Anwahlgerät. Es war vielleicht noch 50 Meter entfernt. Doch so klein die Strecke auch war, für ihn war sie unüberwindbar. Er sackte in sich zusammen. Der Atem ging langsamer.
Die Sonne versank hinter dem Horizont.
Das war es also gewesen. Ihre Existenz würde hier auf einer Welt irgendwo im Nichts enden – wie passend. Und das alles wegen 50 Metern.
Sie hatten ewig gelebt und waren durch die Hölle auf Erden gegangen. Diese menschliche Analogie war äußerst passend. Vielleicht war es höhere Gerechtigkeit. Vielleicht hatte er durch das Leben auf Altair für all seine Taten und Verfehlungen gebüßt. Vielleicht bedeutete der Tod die endgültige Erlösung.
Sie waren gemeinsam durch die Hölle gegangen und würden gemeinsam enden. Das war der Lauf der Dinge. Teal’c konnte nicht mehr zu kämpfen. Alles, was er wollte, war Frieden.
Es war vorbei. Er hatte sich immer geschworen, dass, wenn er eines Tages sterben würde, er dann frei sein würde. Er war frei. Also konnte es geschehen.
Es wurde Nacht. Obwohl seine Augen offen waren, konnte er nichts mehr sehen. In seinen Ohren begann es zu rauschen. Sein letzter klarer Gedanke war, dass er nun sterben würde.


* * *


Er wurde von starken Armen gepackt und hoch gehoben. Wahrscheinlich war es nur Einbildung. Seine Ohren gluckerten. Es hörte sich an, wie wenn man unter eine Wasseroberfläche tauchte und die Luftblasen nach oben steigen hörte. Er litt bereits unter Wahnvorstellungen. Seinem Hirn mangelte es nicht an Sauerstoff, sondern an Energie.
Das Gluckern wurde lauter. Es erschien ihm seltsam vertraut. Ihm wurde schwindlig. Er konnte seine Beine nicht mehr spüren. Das Gluckern schien seinen Kopf sprengen zu wollen und dann purzelte er auf Altair die Stufen des Stargates herunter.
Schlagartig kehrte das Leben in Teal’c zurück. Es ging ihm plötzlich wieder besser. Die Energie flutete durch seinen Körper und brachte jedes Bauteil zu seiner Funktion zurück.
Er schlug die Augen auf und rollte sich vollends von der Treppe herunter. Das Gluckern war nun kaum noch zu hören. Es war der Ereignishorizont des Wurmlochs. Mit einem schmatzenden Geräusch trat Harlan aus ihm hervor. „ Com-traya! Ihr seid alle wieder hier.“ Dann brach er in wildes Gekicher aus.
Teal’c sah, wie sich O’Neill vom Boden erhob. Er taumelte. Er hatte viel länger von den Reserven zehren müssen als Teal’c. Er torkelte auf ihn zu, packte ihn an den Schultern und stützte sich dort ab. Da war ein Feuer in seinen Augen, dass er noch nie zuvor gesehen hatte. „Teal’c, du hast die Welt dort gesehen“, krächzte er. „ Warum zur Hölle hast du uns nicht dort gelassen?“


weiter: Kapitel 3

Kapitel 3 by Sphere


Dritter Teil


Jack wanderte ziellos durch die Station wie auf der Suche nach Freiheit, die er soeben verloren hatte. Einem Rausch folgte der Kater. Dies schien eine Konstante im Universum zu sein, die auch hier nicht ihre Gültigkeit verloren hatte.
Es war so überwältigend gewesen, dass es kaum in Worte zu fassen war. Tag für Tag hatte er immer nur das selbe gesehen, so dass er dagegen völlig abgestumpft war. Von einem Augenblick zum anderen waren dann völlig neue Eindrücke auf ihn eingeströmt. Die Freiheit, die sich ihm aufgetan hatte, war berauschend gewesen. Die schlichte Schönheit der Landschaft hatte ihn in Ekstase versetzt. Für einen kurzen Augenblick war er glücklich gewesen.
Doch das Glück war ihm zwischen den Fingern zerronnen, er hatte nicht vermocht es zu halten. All das, was er so plötzlich gewonnen hatte, verschwand wie es gekommen war und hinterließ nichts als Leere und Enttäuschung.
Sie würden in nächster Zeit nicht noch einmal hinaus können. Ihre Systeme verkrafteten keine zu häufige Auf- und Entladung. Es könnte sie umbringen oder dauerhaften Schaden verursachen. Sie würden sich wieder damit abfinden müssen auf Dauer hier zu bleiben – damit war er wieder ganz am Anfang.
Irgendwann würden sich ihre Körper erholt haben und wieder in der Lage sein, sie erneut für einen Augenblick von hier fort zu bringen. Nur dann würde es keiner von ihnen mehr wollen. Es hätte bedeutet, dass sie das, was sie jetzt durchmachten, noch einmal durchleben mussten. Denn nach ein, zwei Reisen würde auch in Zukunft wieder Schluss damit sein. Noch einmal würde er das nicht verkraften können.
Jack konnte jetzt nachempfinden, was in Sam damals los gewesen war, als sie von der Erde zurückgekommen war. Wie gewonnen, so zerronnen. Einst war die Freiheit, die er dort erlebt hatte, völlig normal für ihn gewesen. Sie hätte ihn nie in einen Rausch versetzt. Jetzt war sie etwas wertvolles geworden – und unerreichbares.
Alles, was sie dort drüben gewannen, würden sie wieder verlieren – und vielleicht noch mehr. Es war gefährlich da draußen. Man konnte keine fünf Schritte gehen, ehe einem die Energie ausging. Sam hatte ihr Besuch auf der Erde fast den Verstand gekostet und sie waren gerade mit dem Leben davon gekommen.
Das Universum mochte nur einen Schritt entfernt sein, aber es war ein Schritt in die falsche Richtung, ein Schritt über einen Abgrund. Er auf jeden Fall würde das Tor nie wieder benutzen. Und wenn jemand wie er es wagte das Wort „nie“ zu benutzen, dann meinte er es auch so.
Als Teal’c Harlan fand, saß dieser hinter dem Hauptterminal des Stationscomputers. Harlan war ein äußerst nervöses Individuum, dessen Verhalten auf Teal’c durchaus irritierend wirkte. Dennoch musste er sich eingestehen, dass Harlan trotz all seiner Schrullen letztlich eine gute Seele war.
Harlan beobachtete Teal’c ohne besonderes Interesse, als er den Raum betrat und sich vor ihm aufbaute. „Harlan,“ verkündete Teal’c, „ich stehe in deiner Schuld. Du hast mein Leben und das meiner Freunde gerettet.“
„Oh, nein, nein, nein“, antwortete Harlan und kam hinter dem blauleuchtenden Terminal hervor. „Wir helfen uns doch gegenseitig. Du hilfst mir, ich helfe dir. So läuft das“, erklärte er.
Teal’c erinnerte sich daran, dass Harlan sich nach ihrer ersten Ankunft hier überhaupt nicht kooperativ gezeigt hatte. Auch als er nach ´215 aufgebrochen war, hatte er sich nicht erbaut über seine Bitte nach Hilfe gezeigt. Aber letztlich waren es Taten, die zählten und nicht Worte. Er würde ihm jetzt nicht widersprechen. „In der Tat“, war daher alles, was er darauf erwiderte. Dann verbeugte er sich jedoch trotzdem noch einmal. „Danke.“
Com-traya“, antwortete Harlan.
Die Welt jenseits des Stargates hatte Teal’c nichts bedeutet. Es war Niemandsland in dem nichts und niemand lebte. Eine tote Welt ohne jeden Wert. Inzwischen wusste er, was die anderen dorthin getrieben hatte. Er konnte es nachvollziehen, doch letztlich waren es alles Dinge ohne praktischen Nutzen gewesen.
Trotzdem erkannte Teal’c, dass der Besuch ihn aufgewühlt hatte. Es war nicht die Welt an sich gewesen. Sie hatte ihn jedoch daran erinnert, dass es in seinem Leben sehr viel gab, das er unerledigt zurückgelassen hatte. All die Zeit hatte nichts daran geändert, dass er sich noch immer schuldig fühlte, weil er so viele Dinge versäumt hatte zu tun.
Eigentlich hatte er erwartet, dass diese Gefühle langsam verblassen würden. Doch das war nicht der Fall gewesen. In seinem Hinterkopf waren sie immer geblieben und hatten sich mit der Zeit eher verfestigt, als zu verschwinden. Wenn etwas verschwunden war, dann war es der Zweifel an diesem Schuldgefühl und der Glaube an die Argumente zu seiner Verteidigung.
Theoretisch gab es die Möglichkeit Chulak oder die Erde genauso zu besuchen wie 740215. Er hätte sehen können, ob sich die Dinge auch ohne seine persönliche Anwesenheit zu seiner Zufriedenheit gewendet hatten. Das hätte vielleicht sein Gewissen beruhigt.
Natürlich war es der Ausflug gewesen, der diese Idee wieder zum Vorschein gebracht hatte. Nur genauso natürlich hatte er ihm auch gleichzeitig das vor Augen geführt, was er schon vorher gewusst hatte: Die Welt da draußen lag heute so wenig in seinem Einflussbereich wie früher. Er hätte dort nicht einmal genügend Zeit gehabt, um sich überhaupt ein Bild zu machen, geschweige denn etwas zu ändern, wenn es dort nicht so aussah, wie er es sich wünschte. Das jedoch hätte ihn dann noch weitaus mehr aufgewühlt als die stetige Ungewissheit. Allein der Gedanke war also Energieverschwendung. Wie so vieles.
Eine Weile hatte er tatsächlich geglaubt, er könne negative Emotionen mit positiven aufwiegen. Doch letztlich waren alle Emotionen zu unberechenbar. Er hoffte, dass er irgendwann es nicht nur schaffen würde, sich von seinen Gefühlen nicht mehr beeindrucken zu lassen, wie er es bisher versuchte, sondern sich völlig von ihnen zu lösen. Dieser Wunsch wuchs bereits seit langem in ihm. Erst, wenn er frei war von sämtlichen Irrationalitäten, würde er auch frei sein von den Lasten dieser Welt. Nur wer völlig in sich selbst ruhte, konnte ein zufriedenes und letztlich auch glückliches Leben führen.

Sie war froh wieder hier zu sein. Sam musste zugeben, dass dieser Gedanke sie ein wenig überraschte. Insgeheim hatte sie befürchtet, dass sie wieder in die gleichen Depressionen stürzen könnte, wie nach dem Besuch der Erde.
Doch da war nur ein leises Bedauern. ´215 war eine wunderschöne Welt gewesen. Sie hätte nie gedacht, dass der Anblick von Nichts sie so berühren konnte. Bei aller Vorsicht sich nicht gar zu sehr darauf einzulassen, war es doch unvermeidbar gewesen, dass sie es genossen hatte. Es war schade gewesen, den Planeten wieder verlassen zu müssen. Dennoch hatte sie nicht das Gefühl etwas verloren zu haben.
Vielleicht lag es daran, dass sie sich völlig mit dem Leben hier abgefunden hatte. Die Station war zu ihrer Heimat geworden. Sie war ihr vertrauter als jeder andere Ort geworden, an dem sie sonst einmal gelebt hatte. Als sie von der Erde zurückgekommen war, war die Akzeptanz ihrer Situation, die sie im Folgenden entwickelt hatte, mehr eine Trotzreaktion und bloßer Überlebenswille gewesen. Sie hatte niemals wirklich hier leben wollen, aber hatte sich schlichtweg daran gewöhnt. Jetzt schien sie ihre Situation so verinnerlicht zu haben, dass der Gedanke an eine andere Existenz sie kalt ließ.
Doch vielleicht war dies nicht die ganze Wahrheit. Vielleicht war sie auch zu einer größeren Gefühlsregung als bloßer Traurigkeit gar nicht mehr fähig.
Ihr Gehirn vermochte sich wie sein biologisches Vorbild den Umständen anzupassen. Ein Blinder begann besser zu hören. Bewegungen oder Denkmuster konnten trainiert werden. Das, was im Gehirn bereits angelegt war, konnte ausgebaut werden, so dass es ganz leicht fiel. Doch daraus konnte auch ein Nachteil werden, denn ein Mann, der von Kindesbeinen auf ein Schwert geführt hatte, vermochte keine Feder mehr in die Hand zu nehmen, ohne dass sie zerbrach.
Was war, wenn in ihnen etwas ähnliches vorging? Seit sie hier waren, waren sie alle unvermeidlichen emotionalen Schwankungen unterlegen. Doch letztlich hatte sich das gelegt und eingependelt. Eine Ewigkeit hatte sie immer die gleiche Verbitterung und später Melancholie verspürt. Was wäre, wenn sich ihr Gehirn so sehr daran gewöhnt hatte, so sehr diese Strukturen geübt hatte, dass sie zu nichts anderem mehr fähig war? Die Herausforderung durch das Stargate zu gehen, hatte sie gelähmt, aber ihr nicht Angst oder Verzweiflung eingejagt. Auch war sie in letzter Zeit nie richtig glücklich gewesen. Abgesehen davon, dass es dafür keinen Grund gab, konnte sie es vielleicht gar nicht mehr!
Ihre leise Melodie zog wie eine kleine Rauchfahne im Wind durch den Raum.

Daniel hatte sich völlig verausgabt. Den anderen war es sofort besser gegangen, aber er musste lange Zeit nah an der Energiequelle verbringen, um sich zu erholen. Vielleicht bildete er sich das auch nur ein, denn eigentlich hätte es nicht nötig sein dürfen. Dennoch dauerte es dauerte lange, bis er glaubte, sich wieder besser zu fühlen.
Gerade in geistiger Hinsicht hatte ihn der Ausflug erschöpft. Über die Jahre hinweg hatte er viel angestaut gehabt: Gefühle wie Unzufriedenheit mit seiner Situation, Selbstzweifel oder sogar Selbsthass. Eine totale innere Zerrissenheit.
Es war klar gewesen, dass er eines Tages platzen musste. Und das hatte er sehr gründlich getan. Wie ein Stausee im Gebirge, dessen Damm dem Druck nicht mehr standhalten konnte, war eine reißende Flut unterdrückter Gefühle hervorgebrochen und hatte sich ins Tal gewälzt.
Jetzt fühlte er sich erleichtert. Der Strom hatte alles mit sich genommen. Es herrschte die Ruhe nach dem Sturm. Nun galt es die Verwüstungen des Wassers zu beseitigen und mit sich selbst ins Reine zu kommen.
Daniel war nicht ins Archiv zurückgekehrt. Er tat einfach nur noch das, was ihm in den Sinn kam. Dies war nicht nur äußerst entspannend, sondern verhinderte auch, dass sich irgendwo wieder etwas aufstaute.
Im Prinzip tat er jetzt das, was die anderen schon vor langer Zeit getan hatten: Er versuchte sich zu beschäftigen. Er begann damit, die damals provisorisch gedachte Einrichtung seines kleinen Raumes, total umzugestalten und so einzurichten, dass es darin einigermaßen wohnlich war.
Er begann ein Tagebuch zu führen. Das Wort „Tagebuch“ passte zwar nicht wirklich, aber es kam dem doch am nächsten.
Eigentlich war es nicht einmal ein Buch im herkömmlichen Sinne – wenn es hier jemals Papier gegeben hatte, so war es längst zu Staub zerfallen. Er tippte sein Buch statt dessen in einen Ableger des Stationscomputers, wo es sich zu den anderen Daten im Archiv zusammen mit Sams Büchern gesellen würde.
Daniel schrieb dort alles rein, was ihn so beschäftigte. Seinem Tagebuch konnte er all seine innersten Gedanken und Wünsche anvertrauen. Außerdem berichtete er dort auch über die Geschehnisse in der Vergangenheit. Vielleicht würde es ja, falls er doch einmal sterben sollte, irgendwann einmal jemand lesen und erfahren, was hier unten über einen unermesslichen Zeitraum hinweg passiert war. Jedoch würde niemand wirklich alles lesen können, da die Länge dieses Buches irgendwann ein so gewaltiges Ausmaß erreichte, dass die Lebensspanne eines Menschen unmöglich ausgereicht hätte, um es vollständig durchlesen zu können.
Aber Daniel tat nie wieder etwas so lange, bis es ihn zu frustrieren begann. Immer wieder unterbrach er seine Arbeit an dem Buch – eigentlich war es mehr eine Sammlung von unterschiedlichen Texten, als ein Buch mit einer inneren Ordnung – und tat etwas anderes, bis ihm irgendwann wieder danach war.
Er verbrachte viel Zeit mit der Betrachtung der Dinge, die Jack zusammengeschweißt hatte. Viele von ihnen waren wirklich kunstvoll und zeugten von großer Übung und großem Können – und an vielen hätte Sigmund Freud bestimmt seine helle Freude gehabt.
Jeder Künstler durchlebte verschiedene Phasen, in denen er einen anderen Stil verwendete. Jack hatte mehrere Lebensspannen mit dem Schweißen zugebracht und entsprechend waren seine Werke sehr unterschiedlich ausgefallen.
Da waren zum einen die sehr konkreten Dinge oder Figuren. Sehr viele Hunde, wie ihm auffiel. Jack hatte Hunde geliebt, aber er war auf der Erde nie regelmäßig genug zu Hause gewesen, um sich einen anzuschaffen.
Und dann waren da noch die ganzen surrealistischen Figuren oder auch die völlig abstrakten... Dinger. Es waren skurrile und teilweise Angst einflößende Gestalten und Tiere, ineinander geschachtelte Kreise und unentwirrbare Knoten.
Jack hatte dabei bestimmt nicht nachgedacht, was er da tat. Und dies war gerade etwas, was für einen Psychologen interessant gewesen wäre. Wenn man nicht darüber nachdachte, was man tat, bedeutete dass, dass man dem Unterbewusstsein freien Lauf ließ. Aus dem Ergebnis konnte man also – wenn man den Seelenklempnern glauben schenkte – auf das Unbewusste schließen. In gewisser Weise beruhigten diese Gebilde also Daniel, weil sie deutlich zeigten, dass er nicht der einzige mit Problemen war.
Bei allem, was er tat, durfte natürlich nicht die obligatorische Wartung der Station fehlen. Dies war nicht nur etwas, dass einfach überlebenswichtig war; sie hatten auch eine stille Übereinkunft getroffen, dass jeder etwas für die Station tat, wenn er sich gerade dazu in der Lage fühlte.
Irgendwann kehrte Daniel dann auch wieder ganz von alleine ins Archiv zurück. Es war infantil gewesen, zu versuchen, alles auf einen Schlag durchzuarbeiten. Er ging die Sache jetzt völlig locker an, sichtete die Daten und überlegte sich vorher, was es wert war, gelesen zu werden. Er verglich ernsthaft die Texte miteinander, die ihm früher so bekannt vorgekommen waren, und prüfte, inwieweit sie wirklich gleich waren.
Ob er es schaffen würde, sich auf Dauer zu beschäftigen, bezweifelte er. Alles wurde einem mit der Zeit überdrüssig, das sah er an den anderen. Außerdem war da immer noch der Teil von ihm, in dem das Unwohlsein gegenüber ihm selbst, dass er so lange geschürt hatte, Wurzeln geschlagen hatte. Diesem Teil würde er immer unsympathisch bleiben.
Aber was sollte er schon tun, außer zu leben?


* * *


Die Wellen hatten sich geglättet. Immer seltener sah Teal’c hinunter, wo die Gefühle unter ihm immer weiter weg erschienen. Irgendwann verlor er sie völlig aus dem Blick.
Teal’c ruhte in sich selbst. Er tat nichts mehr, saß völlig ohne jede Regung in seinem Raum. Eine ungeheure Trägheit erfüllte ihn. Wäre er in Sirup eingeschlossen, wäre es einfacher gewesen sich zu bewegen. Allein aufzustehen hätte einen ungeahnten Willensakt erfordert. Danach noch etwas zu tun, erschien unmöglich.
Er war wie ein schwerer Körper, der sich auf einer unebenen Oberfläche verhakt hatte. Es erforderte nicht nur eine ständige Kraft, um den Körper entgegen der Reibung in Bewegung zu halten, sondern auch eine enorme Anstrengung, um ihn als erstes einmal aus der Verkantung zu lösen. Diese Kraft war Teal’c nicht bereit aufzubringen.
Nach einer Ewigkeit hatte Teal’c es endgültig geschafft, sich seiner Gefühle zu entledigen. Was blieb, war der Verstand in seiner reinsten Form. Und wenn er auf ihn hörte, dann gab es keinen rationalen Grund, irgendetwas zu tun.
Jemand hatte mal gesagt, dass die Zeit ein Raubtier sei, dass einen ein Leben lang verfolgte. Hier unten hatte das Raubtier keine Zähne. Dies bedeutete zum einen, dass er ihm nie zu Opfer fallen würde, aber auch, dass ihm deswegen jeglicher Antrieb fehlte. Er musste nicht vor der Zeit davonlaufen und blieb so einfach auf der Stelle stehen.
In der Natur gab es ein Prinzip, nach dem alles einem möglichst energiearmen Zustand entgegenstrebte. In seiner inneren Welt, die nun bar jeder Gefühle war, gab es keine Spannungen oder Unregelmäßigkeiten und damit auch keine Energie mehr. Diesem Prinzip nach hatte er also das ultimative Ziel erreicht, den idealen Zustand, nach dem alles strebte.
Das dieser nichts weiter war als Erstarrung ohne jede Bewegung oder Veränderung, störte ihn nicht. Bewegung brauchte man nur, wenn man einem Ziel entgegen strebte. Nach seiner Sicht der Dinge hatte er sein Ziel erreicht.
Ein Großteil der Aktivität von Lebewesen rührte von ihrem Interesse her sich selbst und ihre Art zu erhalten. Dies war schon der Grund gewesen, warum Leben überhaupt entstanden war. Die erste DNA oder primitive Zelle hatten nun mal die besondere Eigenschaft gehabt, ihre Struktur zu erhalten und zu vervielfältigen. So hatten sie sich durchgesetzt. Dieses Prinzip zog sich vom Einzeller bis hoch zum Menschen. Der Mensch ging Tag für Tag zur Arbeit, um etwas zu Essen zu haben und letztlich leben zu können.
Teal’c musste nichts für die Erhaltung seines Lebens tun. Dafür war gesorgt. Er brauchte nichts, als die Energie der Station und die bekam er ohne selber aktiv werden zu müssen. Längst fühlte er sich nicht mehr verpflichtet den anderen bei der Reparatur der Quelle zu helfen. Er hatte das lange genug ganz allein gemacht. Seine Schuldigkeit war getan.
Letztlich war er auch nicht wirklich daran interessiert, dass die Quelle weiterlief. Sollte sie irgendwann ihren Dienst einstellen, wäre auch das Teal’c recht gewesen. Aber er schien zu wissen, dass dieser Zeitpunkt noch in weiter Ferne lag.
Bei weitem bestand das Leben von intelligenten Wesen jedoch nicht nur aus dem Kampf ums Überleben. Da gab es immer noch genug andere Dinge, die sich weder mit diesem Trieb noch mit bloßer Logik erklären ließen. Dies begann mit dem Bedürfnis Hobbys und scheinbar sinnlose Freizeitbeschäftigungen auszuüben und erstreckte sich bis zum dem Forschungsdrang, der die Tau’ri nach Amerika und zu den Sternen geführt hatte. Es war nicht immer völlig logisch. Eine innere Kraft schien die Menschen dazu zu treiben. Diese Kraft lag in ihrer Gefühlswelt – und die hatte Teal’c ausgesperrt.
Damit gab es nichts mehr, was ihn dazu hätte veranlassen können, etwas zu tun. Da es nicht vernünftig gewesen wäre dies zu bedauern, tat er es auch nicht.
In der Tatsache, dass er nichts mehr unternahm, lag gleichzeitig auch sein Desinteresse, sein Leben zu erhalten. Wozu hätte er das auch tun sollen, wenn er hier sowieso keinen Zweck erfüllte?

Nachdem Jack lange genug darüber gebrütet hatte, was nun eigentlich auf 740215 passiert war, riss er ein paar Wände ein.
Er fragte sich, warum er nicht schon früher auf diese Idee gekommen war. Die an seinen Raum angrenzenden Kammern standen leer. Die Räume der anderen befanden sich an entgegengesetzten Enden der Station. Also störte es niemanden, als er die Wände zwischen seinem Raum und den beiden Räumen, die rechts von ihm lagen, entfernte.
Es hatte ihn eine Weile beschäftigt, da die Wände Rohre und Kabel führten, die er neu verlegen musste – aber es lohnte sich. Er verzichtete nur aus dem Grund darauf noch einen weiteren Raum zu erschließen, weil er nicht genug Lampen gehabt hätte, um ihn ausreichend zu beleuchten. Aber es reichte auch. Jetzt hatte er dreimal soviel Platz wie vorher.
Inzwischen hatte er es auch geschafft sich bei Teal’c dafür zu bedanken, dass er versucht hatte ihn von ´215 zu holen, und sich für seine anfängliche Reaktion zu entschuldigen. Nur gegenüber Harlan hatte er sich nicht weiter geäußert. Das ausgerechnet er es sein musste, dem er in letzter Konsequenz sein Leben schuldete, passte ihm gar nicht.
Auf jeden Fall war Jack inzwischen froh darüber, das er nicht auf dem Planeten geblieben war. Das bisschen Freiheit, das er dort noch hätte genießen können, wäre tödlich gewesen – und es wäre bedauerlich, wenn sein Leben dort geendet hätte.


* * *


Die Zeit ging ins Land. Keiner wusste genau wie viel, aber es war vermutlich sehr viel Zeit.
Sie schien langsam zu vergehen, doch was bedeutete schon ihre subjektive Wahrnehmung. Vielleicht verlief sie sogar schneller, als sie es früher getan hatte, wer konnte das schon sagen. Der Strom der Zeit rann dahin und da es an seinem Ufer keine Anhaltspunkte gab, konnte niemand sagen, wie schnell er wirklich floss.
Sie waren alt. Uralt. Jack wusste, wie sich ein alter Körper anfühlte; ein Körper, der schneller alterte, als er es eigentlich sollte. Doch jetzt war er in genau der umgekehrten Situation. Er mochte sich irren, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass es irgendwo Wesen gab, die älter als sie waren.
Früher einmal hatte es geheißen, dass Alter ein Zeichen von Weisheit war. Deswegen waren die Alten in vielen Gesellschaften auch so geachtet gewesen. Jack stellte sich die personifizierte Weisheit als einen alten Mann vor. Eine gebeugte Gestalt mit weißen Haaren und langem, weißem Bart.
Sie hatten sich in all der Zeit kein bisschen verändert. Ihre Haut zeigte weder Falten noch war sie brüchig wie alter Kunststoff. Ihre Haare wurden weder grau noch fielen sie aus. Ihre Körper waren viel zu raffiniert gebaut, als das sie das zugelassen hätten. Jedes Teilchen in ihnen vermochte abgelöst, bis in subatomarer Ebene umgebaut und an einer beliebigen Stelle wieder angebracht werden. So grausam konnte Nanotechnik sein.
Es gab keinen Verschleiß, weil sie alle, ohne es zu merken, ständig Teilchen für Teilchen neu gebaut und renoviert wurden. Wenn sie einmal zu träge waren leichte Verletzungen wie Schnittwunden, die sie sich zum Beispiel bei den Reparaturen der Station zugezogen hatten, zu reparieren, dann heilten sie von selbst, wenn sie nur lange genug warteten.
Selbst, wenn mal ein Härchen ausfiel; aus der Energie der Station konnten ihre Körper sogar neue Masse erschaffen, um die verlorene zu ersetzen. Sam hatte ihm erzählt, dass sie einmal versucht hatte sich die Haare zu schneiden. Doch ihr Körper hatte den „Schaden“ repariert und nach einiger Zeit hatten ihre Haare wieder die ursprüngliche Länge gehabt.
Aber in den Körpern, die noch genauso erschienen wie an dem Tag, als sie Altair zum ersten Mal betreten hatten, wohnten Wesen, an denen die Zeit überhaupt nicht spurlos vorbeigegangen war. Ihr Geist lebte in einem Körper wie ein Einsiedlerkrebs in einem Schneckenhaus. Uralte und teils deprimierte Geschöpfe in jungen und starken Körpern.
Doch die Zeit hatte ihnen nicht nur kein sichtbares Alter gebracht sondern auch keine Weisheit. Jack konnte viel von sich behaupten, aber dass er oder einer von ihnen so weise geworden wäre, wie es sich für ihr enormes Alter gehörte, würde er nicht wagen zu behaupten.
Das einzige, was hier zerfiel, waren nicht ihre Körper, sondern alles um sie herum. Sie hatten lange und hart gekämpft und sie hatten den Kampf gegen die Luftumwälzungsanlage der Station verloren. Sie funktionierte nicht mehr.
Die Umwälzanlage mit ihren Reinigungs- und Wiederaufbereitungssystemen war nichts, was für ihr Überleben wichtig gewesen wäre, da es hier unten niemanden gab, der Sauerstoff verbrauchte. Das sie mit ihren künstlichen Lungen trotzdem noch so taten, als würden sie atmen, hatte ihnen früher vielleicht dabei geholfen, sich wie Menschen zu fühlen, zu glauben, alles sei normal. Inzwischen war dieses Stück Technik genauso überflüssig, wie der der Blinddarm des Menschen.
Das unangenehme daran war nur, dass sie mit jedem Atemzug riechen mussten, wie die Luft ohne die Umwälzung immer schlechter wurde. Schon als sie von ´215 zurückgekommen waren, war die Luft schlecht gewesen, es hatte jedoch einen Ausflug ins Freie gebraucht, um das zu bemerken. Als die Anlage ausfiel, bemerkten sie es sofort. In der inaktiven Sektion 3 war es wenigstens kühl, aber jetzt wurde im Rest der Station die Luft nicht nur sehr schnell abgestanden sondern auch heiß. Ein nicht zu beschreibender Mief füllte sie aus, der sich mit der Hitze und Feuchtigkeit aus undichten geothermischen Rohren mischte.
Doch irgendwann war ein Niveau erreicht, ab dem es nicht mehr schlimmer wurde; kaum schlimmer werden konnte. Und sie hatten sich daran gewöhnt. Wenn man lange genug auf einer Erbse saß, würde man ihre Existenz irgendwann vergessen. Inzwischen war es Jack unmöglich geworden herauszufinden, ob die Luft immer noch so schlecht war oder sich womöglich wundersamerweise mit der Zeit wieder gebessert hatte.
Auf der Suche nach Ersatzteilen hatte er die ganze Station durchstöbert. Nicht einmal das Labor hatte er dabei außen vorgelassen, obwohl dies früher einmal Sams heilige Gefilde gewesen waren. Sie hatte sich in eine Furie verwandeln können, wenn man sie hier gestört hatte. Jetzt war es Niemandsland.
Als die Luftumwälzung noch funktioniert und die Luft ständig gereinigt und in Bewegung gehalten hatte, war Staub nie ein Problem für sie gewesen. Jetzt jedoch begannen sich die unvermeidbaren Partikel in der Luft abzusetzen.
Im Labor war es besonders schlimm. Hier hatte es seit ewigen Zeiten keinen Luftzug mehr gegeben, der den Staub wieder aufgewirbelt hätte. Das Labor hätte ausgesehen, als ob Sam nur mal kurz weggegangen wäre, wenn da nicht die dicke Staubschicht gewesen wäre.
Besonders viele brauchbare Sachen fand er nicht, dafür aber den Laptop von der Erde. Als er den Staub von ihm streichen wollte, zerbröselte das Kunststoffgehäuse unter seinen Fingern. Da hatten sich die Menschen über die Unverrottbarkeit ihrer Plastikberge aufgeregt und jetzt das...
So würde es letztlich mit allem enden. Auch mit ihnen. Jack konnte nur hoffen, dass dieser Zeitpunkt noch in weiter Ferne lag.

Das Pendel schwang nach oben und verharrte frei in der Luft schwebend. Teal’c fixierte es, als könne er dem Pendel auf diese Weise klar machen, dass es lieber der Schwerkraft folgen sollte, anstatt bei seinem größten Ausschlag einfach stehen zu bleiben. Doch entgegen allen Naturgesetzen blieb es dort hängen, wie um Teal’cs Rationalität zu verhöhnen.
Sein Verstand sagte ihm, dass es unmöglich sein konnte, dass ein Pendel plötzlich stehen blieb. Logischerweise musste er es sich also einbilden. Es konnte gar nicht real sein. Auf der anderen Seite wusste er, dass ihn seine Augen noch nie getrogen hatten.
Die Schnur, an der das Gewichtstück hing, begann sich langsam zu kräuseln. Wie die Oberfläche eines Sees, über den der Wind hinweg strich. Hier gab es keinen Wind. Er kniff die Augen zusammen, doch die Bewegung verschwand nicht. Im Gegenteil: sie wurde stärker. Die Schnur schwang immer heftiger, wand sich, wie als wenn sie eine Schlage wäre. Und vielleicht war dieser Vergleich gar nicht so schlecht, denn sie begann sich auch aufzublähen, größer zu werden.
Auf ihrer Oberfläche zeigten sich Muster, wie auf der Haut einer Schlage. Die Farbmuster, die Schuppen – es war unmöglich. Und auch das Gewichtsstück begann sich zu verformen. Es wurde zu einem menschlichen Schädel. Nein, kein Schädel, es war eine Fratze mit weit aufgerissenen Maul. Die Augen glühten und das ganze seltsame Wesen, das mit dem Schwanz immer noch an der Decke hing, schoss ihm entgegen, genau auf ihn zu.
Teal’c riss die Augen auf. Diesmal in der Realität. Das Pendel hing bewegungslos von der Decke herab. Es war Ewigkeiten her seit er es zuletzt angestoßen hatte.
Er musste geträumt haben, aber er wusste genau, dass dies nicht möglich war. Er konnte nicht mehr träumen. Sein Körper erlaubte das nicht. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Wahrscheinlich war es besser, wenn er sich von Doktor Fraiser untersuchen ließ. Er erhob sich und machte sich auf den Weg zur Krankenstation.
Die Straßen waren dunkel. Die wenigen leuchtenden Straßenlaternen konnten die Dunkelheit kaum durchdringen. Teal’c trug keinen Hut, der sein Tattoo auf der Stirn vor den Menschen verborgen hätte. Aber das war in Ordnung, denn die Straßen waren völlig leergefegt. Niemand war zu sehen, nicht einmal ein Auto kam ihm entgegen.
Er öffnete die Tür zur Krankenstation, dort war aber niemand. Doktor Fraiser musste schon sehr lange fort sein, denn überall lag Staub. Vielleicht sollte er warten, bis sie wieder kam. Aber nein, er wusste ja, wo sie war. Wo sie sein musste. Sie war auf Chulak und half dort den Leuten. Er würde sie dort finden.
Teal’c machte sich auf den Weg zum Torraum. Das Stargate Center erschien ihm seltsam leer, aber dies war schon richtig so. Irgendwann mussten sie ja mal schlafen. Er erreichte den Torraum. Auch hier war es dunkel.
Das Stargate stand nicht auf seinem Platz.
Mit der Gewalt eines Blitzschlages riss es ihn in die Realität zurück. Er halluzinierte!
Von einem Moment zum anderen war wieder die Rationalität da, die er so lange kultiviert hatte. Wahnsinn. Er wurde wahnsinnig. Ohne irgendeine emotionale Regung fällte Teal’cs Verstand dieses Urteil und teilte es ihm schonungslos mit – es gab keine Gefühle die er dadurch hätte verletzen können.
Ernüchtert sah Teal’c sich um und lauschte. Er suchte nach weiteren Illusionen, doch es schien vorbei zu sein. Alles war wieder so, wie es sein sollte. Da war nur der Container mit dem Gate und die dahinter liegende Halle. Auch hinter ihm sah er nichts als das gewohnte Treppenhaus und der Gang zur Zentrale. Wenn da irgendeine Halluzination war, so nahm er sie nicht wahr. Das aber hätte wiederum bedeutet, dass er immer noch nicht völlig bei sich gewesen wäre.
Teal’c horchte in sich hinein. Er fühlte sich normal, alles schien in Ordnung zu sein. Es sprach alles dafür, dass er wieder im Vollbesitz seiner Kräfte war. Die Verwirrung und leichte Unruhe, die er eben noch verspürt hatte, waren verschwunden. Da war kein Gefühl mehr, keine emotionale Reaktion auf die Erkenntnis seines Zustandes. Er empfand keine Angst oder Panik, nicht einmal Überraschung. Es schien fast so, als hätte er geahnt gehabt irgendwann den Verstand zu verlieren, so dass dieser Zustand für ihn jetzt fast schon selbstverständlich war.
Bereits öfters hatte er bei sich bemerkt, dass er intuitiv Dinge kommen sah oder andererseits manchmal auch nicht daran glauben konnte, dass etwas geschehen würde. Wenn die Halluzinationen aus seinem Unterbewusstsein kamen, so war es nur logisch, dass sein Unterbewusstsein etwas bemerkt hatte, noch bevor der Wahnsinn sein Wachbewusstsein erreichte.
Wenn man seinen Zustand in diesem Moment überhaupt mit einem Gefühl beschreiben konnte, dann war es Gleichgültigkeit. Teal’c wusste, dass er nicht umhin kam zu akzeptieren, dass seine mentale Disziplin zu bröckeln begann. Die bloße Tatsache, dass sich die Oberfläche verkrustet hatte, bedeutete nicht, dass darunter nicht noch flüssiges Magma brodelte und versuchte durch die Kruste zu entweichen. Aber es hätte keinen Sinn gemacht, zu versuchen einfach darüber hinweg zu gehen, als wäre nichts passiert. Er konnte es nicht ändern. Was geschehen ist, ist geschehen dachte er ...aber muss nicht unbedingt so bleiben. Man brauchte keine Gefühle um Wahnsinn als etwas Negatives zu bewerten. Er störte definitiv Teal’cs Ruhe und musste daher zurückgedrängt werden, genau wie er es schon früher mit seinen Emotionen versucht hatte.
Teal’c würde dagegen ankämpfen. Und dies war keine Vorahnung. Es war ein feierlicher Beschluss.


* * *


Es gab in der Station einen Ort, den Jack häufig aufsuchte. Es wäre übertrieben gewesen, ihn als seinen Lieblingsort zu bezeichnen. Mit Liebe hatte das nichts zu tun. Er erinnerte ihn an das Plateau auf ´215.
Es war ein Schacht etwa in der Mitte der Station, der sich durch sämtliche Stockwerke zog. Auf jedem Stockwerk endeten zwei gegenüberliegende Korridore an einem Geländer, von dem aus man in die Tiefe sehen konnte. Meist stand er auf der obersten Etage und sah hinab. Es war zwar nur ein schwacher Abglanz dessen, was er gesehen hatte, als er an dem Abgrund gestanden war, aber es kam dem hier am nächsten. Hier fühlte er sich nicht so eingeengt.
Manchmal stellte er sich auch auf den Boden des Schachtes und sah nach oben. Nach Himmel sah die Decke über ihm jedoch nicht aus, was wohl der Grund dafür war, dass ihn dies nicht so sehr befriedigte wie der Blick nach unten.
Auch Daniel kam oft hier her. Schon oft hatte Jack einfach hier gestanden und darauf gewartet, dass jemand vorbeikam. Irgendwann kam immer jemand. Und in den meisten Fällen war es Daniel gewesen.
Es war also kein großer Zufall, als er ihn dort antraf. Daniel stand diesmal jedoch hinter dem Geländer, die Füße nur noch auf der Kante des Stockwerks. Seine Arme hatte er nach hinten gestreckt und hielt sich so am Geländer fest.
Wie ein Schlafwandler, der plötzlich geweckt wurde, blieb Jack stehen. Seit Ewigkeiten war alles seinen gewohnten Gang gegangen, so dass sich sein Hirn schwer damit tat die neue Situation zu verarbeiten. Während Jack noch versuchte zu begreifen, was da vor sich ging sprach Daniel. „Ich fragte mich schon, ob wir uns noch einmal sehen würden, Jack“, sagte er leise und ohne sich umzudrehen.
Nur langsam kroch die Erkenntnis in sein Bewusstsein was Daniel offensichtlich beabsichtigte zu tun. „Daniel, sie können das nicht tun“, kam es von Jack ein wenig unbeholfen. Er hatte seit Ewigkeiten kein einziges Wort mehr gesprochen, seine eigene Stimme erschien ihm wie die eines Fremden.
Daniel lachte kurz und humorlos auf. „Was kann ich nicht? Da runter springen?“ Es klang völlig hoffnungslos. „Natürlich kann ich das. Das ist eine der wenigen Freiheiten, die wir noch haben.“ Er hielt einen Moment inne.
Jack wusste nicht, was er sagen sollte. „Es gibt doch sicherlich noch soviel, was sie mit ihrem Leben anstellen können“, erwiderte er ohne sehr überzeugend zu klingen. Die ganze Situation kam ihm immer noch reichlich irreal vor.
Daniel starrte noch immer in die Tiefe des Schachts. „Was tut eine Pflanze, Jack?“ fragte er dann statt einer Antwort.
Für Jack kam diese Frage völlig unvorbereitet. Er kramte in seinem Gedächtnis herum. „Sie produziert Sauerstoff“, antwortete er dann unsicher.
„Genau. Das ist so ziemlich alles, was sie tut.“ Daniels Stimme klang so, als würde sie aus einem tiefen, dunkeln Loch kommen. „Und sie tut es nur, weil sie ihn selber zum atmen braucht. Alles, was sie tut, tut sie, um zu überleben... Kommt ihnen das nicht bekannt vor?“
Das tat es. Verdammt. Er hatte recht. Jack wollte etwas sagen, aber es fiel ihm kein Gegenargument ein.
„Die Pflanze bekommt von der Sinnlosigkeit ihres Tuns wenigstens nichts mit“, sinnierte Daniel vor sich hin.
Jack schüttelte den Kopf und versuchte endlich wach zu werden. „Daniel,“ beschwor er ihn, „sie können das nicht tun. Sie sind mein Freund, wir brauchen sie doch.“
„Jetzt klingen sie schon wie Harlan“, antwortete Daniel betrübt und drehte sich um. Zum ersten Mal konnte Jack in seine Augen sehen und erschrak. Sie waren wie zwei tiefe Brunnenschächte auf deren Grund die Resignation lag. Daniel Jackson hatte jeden Lebenswillen verloren. „Vielleicht macht das Leben für sie noch einen Sinn“, fuhr dieser fort. „Aber für mich...“ Er drehte sich wieder um. „Wir alle haben bereits länger gelebt, als es uns zusteht. Ich kann nicht mehr“, flüsterte er.
„Daniel...“ Jack blieben die Worte im Hals stecken. Er wusste, dass er ihn nicht zurückhalten konnte.
„Es tut mir leid, Jack. Sagen sie ihnen, dass es mir leid tut.“ Dann ließ er los.
Wie in Zeitlupe schien er nach vorne zu kippen. Jack schrie etwas und machte einen Satz vor zum Geländer, doch er kam zu spät. Ohne irgendeinen Laut von sich zu geben fiel die kleine Gestalt dem Boden entgegen. Mit einem dumpfen Schlag schlug sie auf. Selbst hier oben erzitterte noch der Boden und die Schwingung setzte sich fort bis in seine Seele.
Neiiiin! Daniel!! “ schrie er und jagte aus dem Korridor hinaus zu den Treppen. Nur nach unten. So schnell ihn seine Beine trugen hastete er die Stufen hinab. Die Roste schepperten. Die letzten drei Stockwerke sprang Jack einfach hinab und setzte hart auf. Er rannte in den Korridor und fand Daniel am Boden des Schachts liegen.
Er war tot, man musste kein Experte sein, um das zu sehen. Ein Körper mit diesem Gewicht, aus dieser Höhe...
Daniel war tot, Jack konnte es nicht glauben. Die Beine des Roboters vermochten ihn nicht länger zu tragen, er ging zu Boden und kniete neben der Leiche nieder. Zum ersten Mal seit langem war da wieder ein richtiges Gefühl. Es tat weh, unglaublich weh. Jack sah, wie Tränen vor ihm auf den Fußboden tropften. Er war sein Freund gewesen. Eine Ewigkeit waren sie Freunde gewesen! Und jetzt war er auf einmal fort.


* * *


Auch Harlan konnte ihm nicht mehr helfen. Jacks Gesicht war eine Maske, als er davon erfuhr. Außer ihm war nur noch Sam da. Teal’c ließ sich nicht blicken.
Einen Augenblick hatte Jack gehofft, dass Harlan ihn reparieren könnte. Doch dies hätte Daniel sicher nicht gewollt. Jetzt fragte er sich, ob er es bedauern oder erleichtert sein sollte. Der Tod stand ihnen also als Option noch offen. Daniel hatte recht gehabt: dieser Ausgang war ihnen nicht versperrt.
Das Daniel diesen Weg jedoch gegangen war, konnte er immer noch nicht begreifen. Der Schmerz darüber saß tief. Der Tod war etwas, das einen Unsterblichen noch überraschender einholte als einen Sterblichen. Er war so fern gewesen. Jack hatte wirklich geglaubt, dass alles ewig so weiter gehen würde. Das er den Tod von einem seiner Leute mit ansehen müsste ohne selber betroffen zu sein, hatte er für unmöglich gehalten.
Vor langer Zeit war er als Teamführer einmal für ihn verantwortlich gewesen. Dies war jetzt vorbei, aber das machte es nicht besser. Als er Daniel kennen gelernt hatte, war dieser ihm auf die Nerven gegangen. Jack hatte ihn für nichts weiter als einen weltfremden Wissenschaftler gehalten und für Daniel war er selber sicher nur der hirnlose Soldat gewesen. Sie beide hatten festgestellt, dass sie kaum weiter von der Realität hätten entfernt sein können. Ob sich Daniel geändert hatte oder er sich an ihn gewöhnt hatte, vermochte er nicht zu sagen. Auf jeden Fall waren sie eine Ewigkeit – eine Ewigkeit! – Freunde gewesen.
Daniel hatte eine ganz andere Art gehabt, die Dinge zu betrachten. Er war Optimist gewesen, ein Idealist. Manchmal waren sie deswegen aneinander geraten, denn Jack hatte sich immer als Pragmatiker gesehen. Daniel hatte geglaubt, dass es für jedes Problem eine andere Lösung als die offensichtliche geben müsse. Und oft hatte er Recht behalten. Dafür hatte Jack ihn bewundert.
Selbst ihre Zeit hier hatte nichts daran ändern können, dass er sich mit ihm mindestens genauso verbunden gefühlt hatte, wie mit den anderen Leuten seines alten Teams. Jetzt war er fort und Jack fürchtete sich vor dem Augenblick, an dem er sich auch daran gewöhnen würde.

Als Sam das Labor betrat, war Harlan fort. Auch von Jack war nichts mehr zu sehen. Nur noch Daniel lag auf der Liege.
Sie hatte ihn seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Sein jetziges Aussehen erschreckte sie. Sam wollte ihn nicht auf diese Weise in Erinnerung behalten. Doch sie konnte nicht anders: anstatt wieder zu gehen, trat sie an die Liege heran.
„Sie verändern die Menschen, Daniel“, hörte sie sich sagen. Sie wusste genau, dass ihre Worte ihn nie mehr erreichen würden, aber ein kleiner Teil von ihr hoffte das Unmögliche. Sie wünschte sich, sie hätte ihm das sagen können, als er noch gelebt hatte. „Die Art, wie sie die Dinge sehen... sie hat damals auch mich verändert.“ Sam legte ihre Hand auf seinen Arm. Sie hatte einen Klos im Hals. „Sie haben mir gezeigt, auf was es wirklich ankommt.“
Es war so lange her, dass es schon fast nicht mehr wahr war, doch sie hatte es ihm nie vergessen. Ihr Bild von ihm stand bis heute fest. Er hatte ihr gezeigt, die Welt aus einer etwas anderen Sicht zu sehen. Daniel hatte immer versucht sich in Menschen und alle anderen Wesen hineinzuversetzen, sie zu verstehen und auf sie einzugehen – und sich nicht gleich mit aller Gewalt zur Wehr zu setzen, wenn sie sich auf den ersten Blick als nicht freundlich erwiesen. Daniel hatte es immer im Gefühl gehabt, ob eine Handlung nun richtig und moralisch war, oder nicht. Er hatte nicht jedem vertraut, aber er hatte an das Gute in allen Wesen geglaubt.
Sie hatte von ihm gelernt und dafür war sie ihm dankbar. Aber das war nicht alles. Seine Freundschaft hatte ihr viel bedeutet. In gewisser Weise war für sie Daniel mehr ein Bruder gewesen, als es Mark jemals gewesen war.
Sie hatte nie das Bedürfnis gehabt, ihm das alles zu sagen. Erst jetzt, wo es zu spät war, glaubte sie etwas versäumt zu haben. Selbst hier vergingen Chancen und kamen nicht wieder. Seit undenklichen Zeiten kam wieder ein Schluchzen aus ihrer Kehle. „Warum warten wir so lange damit den Menschen zu sagen, was sie uns wirklich bedeuten?“ weinte sie. „Ich denke, ich habe wohl einfach gehofft, dass du es immer wusstest...“

Es hätte nicht geschehen dürfen. Harlan hatte bereits fest geglaubt, dass es nicht mehr passieren würde. Sie schienen sich alle so schön angepasst zu haben. Sie erschienen zufrieden. Er war zufrieden. Und jetzt das.
Ausgerechnet Dr. Jackson. Er war derjenige gewesen, der ihm von Anfang an den größten Respekt und die größte Freundschaft entgegengebracht hatte. Harlan hatte ihn sehr gemocht.
Er hatte schon viele gute und weniger gute Freunde gesehen, wie sie starben, ihre Funktion einstellten oder die Station für immer verließen. Eine Weile hatte er gehofft, dass er sich daran gewöhnen würde, doch so oft es auch geschah, dies war etwas, dass ihm immer wieder Schmerzen bereitete. Harlan mochte vielleicht ein wenig verrückt sein, aber er hatte nie die Fähigkeit zu Trauern verloren.
Und das tat er nun. Er trauerte um Dr. Jackson und vor alles trauerte er um sich, weil er einen Freund verloren hatte.


* * *


O’Neill wusste nicht, was Harlan mit Daniels Leiche angestellt hatte. Eines Tages war sie einfach fort gewesen. Jack fragte nicht, denn eigentlich wollte er es gar nicht wissen. Dennoch hatte er das Gefühl gehabt, eine Gedenktafel anbringen zu müssen.
Es war eine schwere Metallplatte, die er an der rechten Wand des Torraumes angebracht hatte. Würde je jemand aus dem Stargate kommen, würde er auch die Tafel finden.
Daniel Jackson stand dort in säuberlichen Buchstaben zu lesen. Jack hatte sich sehr lange überlegt ob er noch etwas dazuschreiben sollte. Eine Jahreszahl, einen intelligenten Satz... Doch er tat es nicht. Es war schon schlimm genug einen Menschen auf einen Namen auf einem Grabstein reduzieren zu müssen. Da musste man von diesem Namen nicht noch unnötig ablenken.
Jeder, der ihn gekannt hatte, würde sich bei diesem Namen an Daniel erinnern. Und falls jemals jemand anderes den Namen lesen würde, dem würde ein Satz mehr oder weniger auch nicht weiterhelfen. Hinter diesem Namen stand für den, der ihn kannte so viel, wie man nie in einem Text unterbringen konnte.
Er fragte sich immer wieder, was ihn in den Tod getrieben haben könnte. Er hatte geglaubt, ihn gekannt zu haben. Wenn man soviel Zeit miteinander verbracht hatte, war dies unvermeidlich gewesen. Doch hier zeigte sich wie viel Wahrheit in dem Satz Jeder ist sich selbst der Nächste steckte.
Jack wollte diesen Satz weniger auf den Egoismus beziehen, sondern viel mehr auf die Unfähigkeit eines jeden zu sehen, was wirklich in dem Gegenüber vor sich ging. Genauso wenig wie man das völlig ergründen konnte, konnte man auch nicht wirklich Einfluss auf ihn nehmen oder ihm helfen. Man konnte es versuchen, aber letztlich war jeder völlig auf sich allein gestellt.
Jack hatte gesehen, was eine Zeit lang in Daniel vorgegangen war. Wahrscheinlich hatte er sich von seinen Selbstzweifeln nie richtig erholt. Er hatte gesagt, dass er keinen Sinn mehr im Leben sehen würde. Dies mochte daran gelegen haben, dass er einfach nichts mehr zu tun wusste oder aber auch, dass er ernsthafte Probleme mit seiner Weltanschauung bekommen hatte. Jack wusste es nicht. Genauso wenig wusste er, ob in diesem Augenblick vielleicht einer seiner anderen Freunde ähnliche Gedanken hegte.

In der Düsternis konnte Jack nur Sams Silhouette erkennen, die sich gegen die zerfallende Halle abhob. Sam stand vor der vor der Wand, an der er die Plakette für Daniel angebracht hatte.
Jack blieb hinter dem Geländer der Treppe stehen, die hinauf in die Halle führte, und betrachtete Sam für einen Moment lang. Entweder hatte sie sein Kommen nicht bemerkt oder sie reagierte nicht darauf.
Wenn Daniels Tod sie erschüttert hatte, so hatte sie dies ihm nicht gezeigt. Völlig gefasst schien sie es hingenommen zu haben. Allein die Tatsache, dass sie jetzt hier stand bewies, dass es ihr doch nahe ging. Der Verlust musste sehr schmerzhaft für sie sein.
Er kam hinter dem Geländer vor und trat zu ihr in die Halle. Einen kurzen Moment sah sie zu ihm auf, dann wandte sie sich wieder ab, starrte jedoch nicht auf die Platte sondern auf die Wand. Er fragte sich, was ihr Gesichtsausdruck bedeutete – ob er überhaupt etwas bedeutete. Kein Alter oder nicht, Sam hatte war nicht mehr die selbe. Sie schien sich in sich selbst zurückgezogen zu haben und er hatte in letzter Zeit immer das Gefühl gehabt, sie nie wirklich zu erreichen.
„Ich dachte es wäre gut, wenn etwas von ihm die Zeit überdauert“, erklärte Jack mit Blick auf die Platte.
Schweigen.
„Ich komme oft hier her“, bekannte sie irgendwann.
Jack hatte davon nichts bemerkt. Kein Wunder, denn sie gingen noch immer ihre eigenen Wege, wie sie es schon vor Daniels Tod getan hatten.
Er überlegte, wie seine Beziehung zu Sam im Moment aussah. Vernachlässigt. Alles war so selbstverständlich geworden, dass sie sich schlicht vernachlässigt hatten. Doch nun war Daniel fort und nichts war mehr selbstverständlich.
Vorsichtig legte er seinen Arm um ihre Schulter. Sie war verkrampft und dieser Krampf schien sich auch nicht in der Zeit zu lösen, in der seine Hand auf ihrer Schulter lag. Aber vielleicht musste das auch nicht passieren. Sam schien es recht zu sein, dass seine Hand da war. Auch wenn sie sich davon nichts anmerken ließ, so glaubte er auf diese Weise nun doch zu ihr vorzudringen.
Lange standen sie noch gemeinsam vor der Platte, bevor sie sich wortlos trennten.

Es dauerte lange bis er Teal’c endlich fand. Er reparierte eines der Kühlungsventile. Jack war sich sicher es vor Kurzem erst repariert zu haben. Er konnte nicht sehen, was Teal’c in dem dunklen Loch in der Wand tat, in das er sich tief hineinlehnte, aber er war sich ziemlich sicher, dass eine Reparatur völlig überflüssig war. Egal.
„Teal’c!“ rief er, denn dieser schien ihn nicht zu bemerken.
Schwerfällig zog Teal’c seinen Oberkörper aus der Luke hervor. „O’Neill?“ fragte er desinteressiert.
„Daniel ist tot.“
Teal’cs Gesicht blieb ausdruckslos. Einer der wenigen verblieben grünen Scheinwerfer strahlte es an und verlieh ihm beinahe dämonische Züge.
Jack wartete lange auf eine Reaktion. Erst, als Teal’c sich wieder der Luke zuwenden wollte, fragte er ungläubig „Interessiert dich das überhaupt nicht?“
Teal’c kam wieder hervor. „Nein.“
„Moment, langsam.“ Jack schnitt eine Grimasse. „Wie bitte?“ Er glaubte seinen Ohren nicht zu trauen.
„Welchen Teil an der Aussage Es interessiert mich nicht muss ich dir erklären, O’Neill?“ fragte Teal’c ruhig zurück.
„Was du mir erklären musst?!“ platzte Jack hervor. „Warum ist es dir egal?“
„Es ist so“, war die lakonische Antwort.
Jack schwieg. Was sollte er da machen? Offenbar war es wichtiger Teal’c das zu sagen, was er sagen wollte, als er gedacht hatte. Nach einigem Zögern kam er dann darauf zu sprechen.
„Hör zu, Teal’c.“ Teal’c stand immer noch abwartend neben der Luke mit dem perfekt funktionierenden Ventil. „Weswegen ich eigentlich gekommen bin, ist, um dir zu sagen, dass ich dir gegenüber nicht ganz ehrlich war“, eröffnete er ihm.
Sie hatten es nicht gewusst. Sie waren so mit ihren eigenen Problemen beschäftigt gewesen, dass sie es nicht bemerkt hatten. Schalt die verdammte Maschine aus, Harlan. Er hatte geglaubt, dass die Sache damit erledigt sei, dass Harlan es nicht wagen würde, Teal’c noch einmal zu duplizieren – jetzt, wo sie dahinter gekommen waren.
Er hatte sich das so lange eingeredet, bis er es selbst geglaubt hatte, doch es stimmte nicht.
Die Erinnerung an die Wahrheit blitze vor seinem inneren Auge wieder auf. Er, Carter und Daniel hatten sich von den Anderen abgesetzt. Die anfängliche Faszination der beiden über die Duplizierung ihres Geistes hatte sich gelegt. Sie hatten zusammen sein wollen. Zusammen hatten sie versucht die Erkenntnis zu verdauen, dass es für sie kein Zurück mehr gab.
Sie standen vor dem Labor. Jack sah sich selbst, wie er zum Eingang des Labors starrte und Harlan darin verschwinden sah. Er hatte gewusst, was er vorhatte. Und er hatte seine Freunde angesehen und gewusst, dass sie es auch wussten. In diesem Augenblick hatten sie gemeinsam eine düstere Entscheidung getroffen.
Sie wollten nicht allein sein. Sie wollten Teal’c bei sich haben. Also ließen sie Harlan gewähren. Die Erinnerung an diese Übereinkunft verdrängten sie so schnell es ging. Es war einfach nicht geschehen...

Teal’c schwieg. „Als ich vor langer Zeit sagte, wir hätten keine Ahnung gehabt, dass Harlan deine Herstellung vollenden wollte, war das gelogen. Wir wussten es ganz genau, aber wir ließen es geschehen.“
„Ich weiß“, erwiderte Teal’c schlicht.
„Woher denn das?“ fragte Jack ein wenig verblüfft.
„Von Harlan.“
Jack schluckte. Warum hatte er ihn nie darauf angesprochen? „Der Grund, warum ich dir das ausgerechnet jetzt sage, ist folgender...“ fuhr er fort, „Weißt du, wir haben schon damals geahnt, dass es schwer würde die Ewigkeit so alleine zu bestreiten. Aber wir wollten nicht alleine sein. Also haben wie zugelassen, dass du doch noch zu uns gestoßen bist.“
Da Teal’c nichts sagte, redete er einfach weiter. „Ich möchte nur, dass du weißt, wie wichtig du uns damals warst und dass du uns noch immer... wahnsinnig wichtig bist. Ich könnte mir nicht vorstellen, wie das Leben aussehen würde, wenn auch du eines Tages nicht mehr da wärst. Okay?“
Jack wollte auf jeden Fall vermeiden, dass noch jemand eine Dummheit begehen würde und deshalb sagte er das. Er wollte Teal’c das Gefühl geben, gebraucht zu werden. Früher hätte er ein derartiges Bekenntnis kaum über sich gebracht. Dafür fühlte er sich jetzt, wo es endlich heraus war, umso erleichterter.
Als er eine Weile geschwiegen hatte fragte Teal’c schließlich „Ist das alles?“
„Ja.“
„Gut“, antwortete Teal’c und lehnte sich kommentarlos wieder in die Luke.

Jack lag neben Sam auf seinem harten und unbequemen Bett, das ihm längst nicht mehr kalt vorkam. Die letzten Ereignisse hatten sie beide wieder ein Stückchen zusammenrücken lassen – wenn auch nur ein sehr kleines Stückchen.
Er lag auf dem Rücken und starrte an die Decke. „Was hast du?“ fragte sie irgendwann, ob besorgt oder nur interessiert, vermochte er nicht genau zu sagen.
„Ich habe mit Daniel geredet, bevor er...“ Er seufzte und drehte sich zur Seite. „Du weißt schon.“ Er schwieg eine Weile und dachte nach. Daniels letzte Worte geisterten durch sein Hirn. „Ich konnte ihn nicht aufhalten“, gestand er.
Immer wieder fragte er sich, ob es doch irgendwie möglich gewesen wäre, ob er nur etwas hätte sagen müssen, was ihm damals nicht eingefallen war. Schließlich war man hinterher immer klüger. Doch wäre das überhaupt in Daniels Sinn gewesen? Was tut eine Pflanze, Jack?
Was taten sie schon! Sie überlebten – und sorgten dafür, dass es auch so blieb.
„Mir fiel kein Argument ein, dass ihn davon hätte überzeugen können, sich für das Leben zu entscheiden.“ Jack schüttelte den Kopf und sah sie dann verzweifelt an. „Das macht mir Angst.“

Jack sah die kleine Metallmarke an, die er immer noch um den Hals trug. Jonathan O’Neill stand da drauf. Das war nicht er, nicht wirklich. Jonathan hatte er immer nur auf dem Papier geheißen, niemand hatte ihn so genannt. Jonathan O’Neill war längst tot. Auch wenn er die Marke damals für sich gemacht hatte, so hatte er letztlich nicht seinen Namen, sondern den des Anderen auf das Metallblättchen geschrieben.
Daniel war tot. Er wäre es vielleicht nicht gewesen, wenn er sich völlig mit seiner Existenz abgefunden hätte. Jack riss mit einem kräftigen Ruck das Kabel durch, an dem die Marke über einen unermesslichen Zeitraum hinweg an seinem Hals gebaumelt hatte und warf sie achtlos auf zu dem anderen Müll auf seinem Tisch, der sich in seinem langen Leben dort angesammelt hatte.


* * *


Teal’c hatte den Tod von Daniel zwar mitbekommen, aber er war über diesen genauso selbstverständlich hinweggegangen, wie man normalerweise über alle möglichen Nichtigkeiten des Alltags hinwegging.
Das hatte er natürlich nicht realisiert. In jüngster Zeit hatte sich sein Zustand weiter verschlechtert. Er kämpfte dagegen an, wie er es sich vorgenommen hatte und war davon überzeugt, dabei auch Erfolg zu haben. Doch diese Überzeugung war nicht mehr Wert als der Glaube eines Träumers wach zu sein. Mit der Zeit hatten sich die Halluzinationen eher gehäuft anstatt weniger zu werden.
Es fiel ihm in letzter Zeit schwer zu meditieren. Immer, wenn er versuchte seinen Geist zu leeren, wurde er von einer seltsamen Unruhe erfasst, die eine normale Meditation unmöglich machte. Inzwischen hatte er jedoch einen anderen Weg gefunden, um Abstand von der Welt zu gewinnen. Er konzentrierte sich dazu auf ein Bild, das ihn selbst zeigte, wie er auf einer großen, grauen Fläche stand, die sich zu allen Seiten bis in die Unendlichkeit ausdehnte und so sein ganzes Universum ausfüllte.
Vielleicht war die Ähnlichkeit mit der endlosen Wüste von 740215 dabei kein Zufall und dieser Planet hatte doch einen tieferen Eindruck bei ihm hinterlassen, als er sich hatte eingestehen wollen. Aber dieser Ort hier stellte keinen Planeten dar. Im Prinzip war diese triste Umgebung das Abbild seiner eigenen Seele, so wie er sie haben wollte und so wie sie lange Zeit über auch ausgesehen hatte.
Am liebsten hätte Teal’c wieder die Leere in seinem Kopf gehabt, die für ihn lange Zeit über so normal gewesen war. Doch Leere hatte per Definition nichts, an dem man sich festhalten konnte. Nichts, auf das man sich konzentrieren konnte. Mit dem Bild der endlosen Fläche hatte er etwas, das dieser Leere so nah wie möglich kam und ihm dabei gleichzeitig Halt bot. Es war etwas, das er sich vorstellen konnte, auf das er sich zu konzentrieren vermochte. Wenn er ganz fest an diese Welt dachte, dann verschwanden eventuelle Halluzinationen und sich aufbäumende Gefühle sanken wieder ins Unbewusste zurück.
Das vermittelte ihm das Gefühl seinen Wahnsinn unter Kontrolle zu haben. Doch das war für Teal’c nur eine Illusion unter vielen. Allerdings eine, die er nicht durchschaute.
Immer, wenn er sich bei klarem Verstand fühlte, versuchte er zu ergründen woher seine geistige Verwirrung kam. Ob er selbst in der Lage war, sich objektiv genug zu betrachten, um das beurteilen zu könnten, wusste er nicht, aber er versuchte es dennoch, da er hoffte durch ein Verstehen der Ursachen besser gegen die Wirkungen kämpfen zu können.
Auf Chulak gab es das Märchen von einem König, der einen Vulkan zuschütten lies, um den darin hausenden Dämon, der regelmäßig sein Volk heimsuchte, zum Schweigen zu bringen. Teal’c fragte sich, ob er nicht das gleiche getan hatte. Im Gegensatz zu seinen Freunden, die alle auf die eine oder andere Art und mehr oder weniger erfolgreich versucht hatten, sich mit ihrem Schmerz auseinander zu setzen, hatte er schlicht geleugnet, dass es einen Schmerz gab, den es zu verarbeiten galt. Er hatte ihn nicht einmal zu den Akten gelegt, er hatte geleugnet überhaupt Akten zu haben.
Einst hatte er seine innere Zufriedenheit gefunden, als er geglaubt hatte, sich erfolgreich von allen Gefühlen getrennt zu haben. So paradox dies erscheinen mochte, in seiner scheinbaren Gefühllosigkeit war er glücklich gewesen.
Dabei hatte er sich der Fähigkeit Gefühle zu empfinden vermutlich nie wirklich entledigen können. Wenn sich jemand von jemandem entledigt hatte, dann waren es seine Gefühle, die sich ihm und seiner Kontrolle entzogen hatten.
Über einen ewigen Zeitraum hatte er in absoluter Inaktivität verharrt, da er keinen Grund mehr dafür gesehen irgendetwas zu tun oder auch nur zu denken. Doch er hätte wissen müssen, dass man ein Hirn nicht davon abhalten konnte zu denken, denn der Großteil seiner Aktivität lief immer unbewusst ab.
Indem er sich von seinen Gefühlen und Gedanken löste, hatte vermutlich gerade dieser unbewusste Teil seines Verstandes die Instanz verloren, die ihm sonst Dinge zum nachdenken lieferte und seine Gedanken in die richtigen Bahnen lenkte. Länger als es eine ganze Dynastie von Psychologen es hätte beobachten können, hatte er nichts als sich selbst gehabt, mit dem er sich beschäftigen konnte und hatte sich dabei an irgendwelchen Ideen oder alten Schuldgefühlen festgefressen.
Jetzt hatte Teal’c leider erkennen müssen, dass sein Unterbewusstsein zudem Mittel und Wege hatte sich bemerkbar zu machen, selbst wenn er ihm nicht zuhören wollte – vor allem wenn er nicht zuhören wollte. Lange hatte die Kruste gehalten, doch schließlich war sein Dämon wie im Märchen wieder hervorgebrochen und all die fixen Ideen, die er ohne es zu wissen gezüchtet haben musste, hatten sich in Form von Halluzinationen und Erscheinungen manifestiert.
Anfangs gelang es ihm noch sie zurückzudrängen und wieder in seine sterile Ruhe zurückzukehren, doch mit jedem mal wurden sie stärker und mit jedem mal musste er die erschreckende Feststellung machen, dass er ihnen immer mehr zuhörte, ihnen immer mehr glaubte, sich hineinsteigerte... und wahnsinnig wurde.
In Teal’cs Versuchen dem Wahnsinn zu entkommen, war sein graues Universum einer seiner Zufluchtsorte. Wo er doch genau hätte wissen müssen, dass er nirgends vor sich selbst sicher war. Gerade eine Vorstellungswelt war immer nur so stabil, wie die Person, die sie sich ausdachte.
Wie sich der Gedanke an den kleinen Kieselstein, der vor ihm auf der grauen Fläche lag, in sein Bewusstsein hatte schleichen können, wusste er selber nicht. Er wusste nur, dass er ihn nicht loswerden würde, weil allein der Gedanke an ihn Grundlage seiner Existenz war – ein Gedanke, den er ebenfalls nicht loswerden würde. Erst recht nicht, wenn er krampfhaft versuchte sich seiner zu entledigen.
Also stellte sich Teal’c einfach vor, wie er seinen Fuß auf den Stein stellte. Es gab ein leises, knirschendes Geräusch, als sich der harte Stein in die spröde Fläche bohrte. Teal’c konnte sehen, wie sich von seinem Fuß aus ein haarfeiner Riss über die Ebene ausbreitete und lautlos der Unendlichkeit entgegen strebte.
Automatisch lenkte er seine Aufmerksamkeit von dem Riss weg, hoch zum nicht-existenten Himmel. Inmitten des Grau hing eine Sonne, die dort nicht hingehörte und sich langsam zu verdunkeln begann. Es war die Sonne von Chulak. Dort gab es keine Sonnenfinsternisse. Nur den Aberglauben, dass die Welt untergehen würde, wenn sie sich einmal doch verdunkeln sollte.
Teal’c empfand nichts bei diesen Ereignissen. Sie störten ihn lediglich, waren nicht gut. Daher öffnete er seine Augen und löste sich wieder aus seiner Traumwelt.
„Was ist nur aus dir geworden, Teal’c?“ fragte Bra`tac verbittert.
Teal’c sah nicht hin. Er konzentrierte sich vielmehr auf die Schalter-Platine, die er sorgfältig gegen die Wand seines Raumes gelehnt hatte. Die Welt ist im Gleichgewicht, dachte er, nur der Mensch ist es nicht.
Seltsam, dass er gerade jetzt daran dachte. Bra’tac hatte es ihn einst gelehrt.
„Einst zitterten selbst die mächtigen unter den Systemlords, wenn sie deinen Namen hörten. Vor Wut... und vor Angst“, brabbelte die Halluzination vor sich hin. „Aber du hast dich verändert, Teal’c. Du bist nicht mehr der Krieger von damals, das Vorbild aller freiheitssuchenden Jaffa.“
Er musste Bra’tac nicht ansehen, um zu wissen, wie er aussah. Schließlich war er in seinem Kopf. Er war alt geworden. Sein Gesicht war eingefallen und er war deutlich abgemagert. Die Rüstung lastete schwer auf ihm. Trotzdem stand er kerzengerade vor ihm und in seinen Augen brannte das Feuer, dass auch einmal in Teal’c gebrannt hatte.
„Einst haben wir einen Unterschied gemacht. Es mag weniger gewesen sein, als wir uns gewünscht hatten, aber wir haben etwas verändert. Was dagegen machst du heute?!“
Je wütender und je gefühlvoller Bra’tac wurde, desto kühler schien Teal’c zu werden. Es kam oft vor, dass er Halluzinationen hatte. In den meisten Fällen berührten sie ihn kaum. Ihre Anwesenheit sowie die Unlogik der Argumente, die sie vorbrachten, waren zwar lästig – aber mehr auch nicht.
Doch hin und wieder kam es vor, dass es die Erscheinungen waren, die kalt und gefühllos wurden. Dann konnten sie etwas in ihm berühren. Vielleicht lag es nicht einmal an dem was sie sagten, aber was immer es war, traf auf Resonanz und alles krampfte sich in Teal’c zusammen. Dann wurde er... emotional.
„Was bist du eigentlich?“ rief die Illusion und versuchte ihn mit ihrer Verachtung zu provozieren. „Ein Krieger? Oder ein altes Weib. Ein Krüppel, der auf den eigenen Tod wartet?“
Teal’c drehte die Platine gedankenverloren in den Händen und betrachtete sie genau. Er hatte sie bei einer seiner Reparaturen aus einem Rechnerknoten ausgebaut. Sie war kaputt gewesen, leider konnten sie an den molekularen Schaltkreisen nichts reparieren. Es war schon schade, was im SGC alles kaputt ging, nachdem es so lange gehalten hatte...
„Ich verschwende meine Zeit! Er hat ja nicht einmal mehr irgendwelche Interessen. Nicht einmal den Tod sucht er“, brauste Bra’tac. Wütend wollte er sich abwenden, kam aber dann doch zurück und sagte mühsam beherrscht: „Ich sage dir etwas, Teal’c. Leben nur um des Lebens willen bedeutet nichts.“
Teal’c dachte an die seltsame Kreatur, die ihm erschienen war, als die Illusionen begonnen hatten. Sie war noch öfter aufgetaucht. Immer, wenn er sie sah, wurde er unruhig. Eine seltsame Abneigung und Verachtung gegenüber diesem Ding, die er nicht erklären konnte, erfüllte ihn. Seine Gesichtszüge hatten sich seit ihrem ersten Erscheinen verändert. Wie als ob sie von Anfang an irgendein Ziel gehabt hätten, ein Vorbild, dem sie ähnlich sein wollten. Aber er hatte nie rausgefunden, wem oder was dieses Ding ähnelte.
„Du hast einfach aufgegeben, wie ein schleimiger Targ und alles im Stich gelassen, was es Wert gewesen wäre, dafür zu sterben. Sieh mich an! Ich sterbe. Während ich meine Zeit an dich vergeude sieche ich dahin. Meine Printa hat mich verlassen und ich bin zu alt für eine neue. Aber habe ich aufgegeben?
Die Platine hatte etwa die anderthalbfache Fläche seiner Hand und war vielleicht zehn Zentimeter dick. Er betrachtete die farbigen Interferenzmuster auf ihrer Oberfläche, die sich änderten, wenn man sie anders ins Licht hielt. Irgendetwas hatte diese Platine mit der Schlage zu tun. Er wusste nur nicht was. Deshalb hatte er die Platine auch nicht entsorgt, sondern mitgenommen, um darüber nachdenken zu können.
Trotz der farbigen Streifen spiegelte sie noch ein klares Bild der Umgebung wieder. Sie war auch ein wenig durchsichtig, so dass er hinter ihr die Konturen Bra’tacs erkennen konnte, der sich gerade voller Enttäuschung von ihm abwandte und versuchte vor seinem Tod soviel Entfernung wie möglich zwischen sich und Teal’c zu legen. Dieser zweifelte jedoch nicht daran, dass Bra’tac das noch öfters tun würde. „Ich schäme mich dafür, dass ich dich einst meinen vielversprechendsten Schüler nannte!“
Teal’c schrie auf und ließ die Platine los, als wäre sie glühend heiß. Sie fiel zu Boden und zerbrach in Myriaden kleinster Splitter.
Er bekam Angst. Das Spiegelbild auf der Oberfläche! Voller Entsetzen starrte er auf den Fußboden. Das Ding, die Schlage. Er hatte sein Spiegelbild auf der Platine gesehen. Die Schlange trug seine Gesichtszüge! Entstellt und verzerrt, aber dennoch seine.
Zitternd machte er sich daran die Splitter zusammenzukehren. Vielleicht konnte er sie wieder zusammenfügen, vielleicht... Teal’c fürchtete nicht die Schlange, sondern die Erkenntnis, die sie mit sich brachte. Er wollte nicht hören, dass seine Abneigung gegen die Schlange eine Abneigung gegen sich selbst war.
Während er auf den Knien rutschte und krampfhaft daran glaubte, die zersplitterte Platine wieder zu reparieren zu können, vernahm er ein leises Lachen. „Das machst du sehr gut, mein treuer Diener“, erklärte Apophis selbstgefällig. Teal’c sprang auf die Beine und fuhr herum. Der Goa’uld saß in seinem damals noch recht schlichten Thron und betrachtete ihn herablassend.
„Du hast deine Familie verraten und in meiner Obhut gelassen“, erzählte dieser wie nebenbei. „Dann bist du wie zum Spott kurz wieder vorbeigekommen. Es kann lange dauern, aber das Leben eines Jaffa ist lang“, fuhr er mit Teal’cs Stimme fort. „Du hast deinem Sohn versprochen, dass du zurückkommen würdest.“ Apophis neigte sich ein Stückchen Teal’c entgegen. „Bist du zurückgekommen?“ Er lehnte sich wieder zurück. Seine bedrohlich tiefe Stimme war nun kalt wie Eis. „Du hast dein Wort gebrochen. Und wozu das alles? Um alles zu verraten, wofür du das getan hast. Alle deine Ideale sind hier in diesem Targ-Loch zur Hölle gefahren.“
Teal’cs Atem ging schneller. Sein Schädel dröhnte wie eine schwingende Glocke, doch er blieb ruhig. Gefährlich ruhig.
Seine Aufmerksamkeit wurde von der Wand, die er feindselig anstarrte, durch den beißenden Geruch verbrannten Fleischs und brennender Häusern abgelenkt. „Chulak brennt, Teal’c“, sagte Apophis. „Sieh die Leichen all derer, die sich gegen die Götter erhoben.“
Teal’c sah sie. Tausende. Diener aller falschen Götter, die es gab. Aller Kasten, die es gab. Alle tot. Und alle starrten sie ihn an. Hätten sie laut geschrieen Du hast uns verraten! Du hast falsche Hoffnungen in uns geweckt und uns dann im Stich gelassen! hätte ihr Vorwurf nicht deutlicher sein können.
„Das ist nicht wahr“, presste Teal’c zwischen den Zähnen vor.
Der Parasit verzog das Gesicht seines Wirtes zu einem sardonischen Grinsen. „Woher willst du das wissen? Du warst nie hier... Heute hat der Wind der Geschichte ihre Asche unwiederbringlich verweht.“
„Lügner!“ schrie Teal’c.
Apophis sprang auf. „Und mit jedem Tag, den du nicht hier warst, hat unsere Göttlichkeit heller erstrahlt!“ schrie er zurück.
Teal’c stürzte sich auf ihn. Er schlug ins Leere, kugelte sich über den Boden, wie als ob er mit einem unsichtbareren Gegner kämpfen würde und hörte selbst dann nicht auf, als er längst erkannt hatte, dass sein Apophis gar nicht real war.
Schließlich sprang er auf die Füße. „Zeig dich mir, Schol’wa !“ tobte er.
Und der Gerufene erschien. Das Ding. Die widerliche Schlange mit seinem Gesicht.
Mit einem Mal schien Teal’c kleiner zu werden. Entsetzt starrte er vor sich hin, versuchte sich gegen seine eigenen Gedanken abzuschirmen. Er zog sich in seine Fantasiewelt zurück, floh gerade an den Ort, aus dem seine Halluzinationen stammten.
Der Riss hatte sich aufgeweitet und der graue Boden sich aufgewölbt. Nichts war so, wie es sein sollte. Die Welt ist im Gleichgewicht... Er stand dicht am Kraterrand seines Vulkans. Unter seinen Füßen rutschte das poröse, graue Gestein den Abhang hinunter. ... nur der Mensch ist es nicht. ...ich bin es nicht!
Teal’c wollte fort. Er versuchte sich den Vulkan wegzudenken. Er glaubte fortrennen zu können, nach unten, in die Ebene. Der Unendlichkeit entgegen und weg von hier. Irgendwo anders hin. Das Bild von den Wäldern und Feldern Chulaks, blitzte kurz auf, wie eine weitere heile Welt, in die er sich hätte retten können, aber auch sie änderte nichts daran, dass er sich einfach nicht vom Kraterrand lösen konnte. Teal’c wusste ohne hinsehen zu müssen, dass im Krater die Finsternis und das Chaos brodelten. Sein Chaos.
Während der Vulkan erbebte lag Teal’c inmitten des Raumes in den Tiefen der Station von Altair am Boden und weinte über seine Unfähigkeit nicht einmal die Welt seines eigenen Geistes kontrollieren zu können.


* * *


Natürlich gewöhnte Jack sich daran. Das Leben ging auch ohne Daniel weiter. Das er lernte, sich damit abzufinden, nachdem er lange genug getrauert hatte, war eine völlig natürliche Sache. Doch irgendwie hinterließ es einen bitteren Nachgeschmack, da er sich schon an so viele unangenehme Dinge gewöhnt hatte.
Letztlich hatte Daniels Tod Jacks Lebensrhythmus nicht verändert, denn Daniel war in letzter Zeit nicht Teil davon gewesen. Dies war einmal anders gewesen. Gerade in der Zeit nach ihrem Besuch auf ´215, nach dem Daniel nicht immer nur die ganze Zeit im Archiv rumgehangen war, hatten sie ziemlich viel Zeit miteinander verbracht, in der sie ihr Interesse an endlosen Schachspielen wieder belebt hatten.
Von Dauer war das natürlich nicht gewesen und so waren sie sich bald wieder aus dem Weg gegangen, um alleine sein zu können. Das wurde für sie alle manchmal so selbstverständlich, lief so routiniert und ohne Nachdenken ab, dass man fast vergaß, dass man hier nicht so allein war, wie es den Anschein hatte. Und tatsächlich hatte Jack einige Zeit nach Daniels Tod versucht einfach so weiterzuleben, wie er es bisher getan hatte. Er hatte versucht den Soldaten in sich wieder zu finden, der es gewohnt war Leute zu verlieren. Der Soldat, der sich sagte Was soll ich denn tun? Er ist weg! ...und mir bleibt nicht anderes übrig als weiterzumachen.
Doch es hatte nicht funktioniert. Wahrscheinlich hätte es das auch früher nie wirklich getan. Es ging schließlich nicht um irgendjemanden, sondern um Daniel. Sie waren ein Team gewesen. Niemand konnte sich wirklich vorstellen, was sie hier wie damals zusammen durchgemacht hatten. Was jeder dem anderen bedeutet hatte. Erkonnte einfach nicht darüber hinweggehen. Im Gegenteil: Er hätte alles dafür gegeben, Daniel wieder bei sich zu haben. Obwohl er oft Ruhe und Einsamkeit gesucht hatte, war es ihm unglaublich schwer gefallen, sich damit abfinden, dass er jetzt wirklich ein Stückchen mehr allein war, als in der Zeit davor.
Manchmal versuchte er darüber mit Sam zu reden. Aber sie redete ja nicht und er hatte trotz aller Bemühungen nichts daran ändern können. Jack glaubte, dass sie ihre eigenen Probleme hatte. Seit sie daran gescheitert war, sie hier fortzubringen, hatte sie viel von ihrer alten Selbstsicherheit verloren und mit der Zeit begann er zu fürchten, dass durch Daniels Tod alles irgendwann zu viel für sie werden würde.
Zusammen mit Harlan hatte er daher den Naquadareaktor und die beiden funktionsfähigen Prototypen an die Energiequelle angeschlossen. In ihnen verfeuerten sie das Naquada, das immer noch in der Station lagerte. Auf diese Weise entlasteten sie ein wenig die geothermischen Systeme.
Die Idee dazu war allerdings nicht der Sorge um diese Systeme entsprungen, sondern lag in Jacks Besorgnis um Sam. Er wollte sie aufmuntern. Vielleicht war dies genau der falsche Weg dahin – indem er sie an ihre Reaktoren erinnerte, riss er vielleicht nur alte Wunden auf. Aber er ging das Risiko ein. Er wollte ihr zeigen, dass sie nicht umsonst geschuftet hatte, dass die Reaktoren doch noch einen wichtigen Zweck erfüllten.
Sam hatte gelächelt, doch dieses Lächeln hatte ihre Augen nicht erreicht. Sie hatte gesagt, dass es eine gute Idee sei. Sie hatte gesagt, dass sie sich freuen würde. Sie hatte gesagt, dass sie es zu schätzen wüsste, wenn er sich Sorgen um sie machte und versuchte sie aufzumuntern. Was Sam aber dachte, hatte er nie herausbekommen.
Vielleicht war es das gleiche Phänomen, dass er schon bei Harlan beobachtet hatte: das er es einfach verlernte andere Leute einzuschätzen. Wie sollte er auch jemanden einschätzen können, wenn seine eigenen Gefühle lange Zeit einfach nur so dahingedümpelt waren? Noch dazu, wenn er den Großteil dieser Zeit allein verbracht hatte, so dass Mimik eines anderen schon aus Prinzip ungewohnt wirkte.
Aber Jack glaubte nicht, dass der Grund allein bei ihm lag. So schlecht stand es um ihn auch noch nicht. Sam wollte einfach nicht, dass die Welt um sie herum mitbekam, was sie fühlte. Deshalb war ihr Gesicht so ausdruckslos. Er hatte oft das Gefühl, dass ihre Mimik nur noch ein Spiel mit den künstlichen Muskeln ohne Bezug zu ihrem Inneren war. Das Pokerface, das sie beim Pokern früher aufgesetzt hatte, war nichts dagegen – es hatte ihn nicht so aufgewühlt.
Das einzige, was vielleicht Aufschluss darüber geben konnte, was in ihr vorging, waren ihre Augen. Für Jack waren die Augen der Spiegel der Seele. Sie waren wahrscheinlich das einzige, an dem ein normaler Sterblicher erkannt hätte, dass er es nicht mit einem anderen Sterblichen zu tun hatte, sondern mit etwas anderem.
Er hatte ihre blauen Augen geliebt, sie hatten ihn an den Himmel der Erde erinnert. Jetzt waren sie wie zwei dunkle, unergründliche Seen von denen es unmöglich zu sagen war, was sich unter ihrer Oberfläche verbarg. Jack hätte es niemals gewagt, in einen solchen See hinabzutauchen, denn er fürchtete, dass er aus der endlosen Tiefe nicht mehr hervor ans Tageslicht kommen würde.
Sein Instinkt sagte ihm, dass dort irgendwo in ihr, wohlbehütet und gegen sich selbst und die Außenwelt abgeschirmt ein tiefer, alles verzehrender Schmerz war. Ein Schmerz, der im laufe der Zeit wie ein Krebsgeschwür gewachsen war. Ein Ort, an dem sich alle Qualen ihrer Welt versammelt hatten. Vielleicht würde sie davon irgendwann überwältigt werden – doch sie ließ ja niemanden an diesen Schmerz heran, der ihr helfen könnte mit ihm fertig zu werden. Vermutlich nicht einmal sich selbst.
Manchmal begegnete er Teal’c, der durch die Station geisterte und mit einem Eifer, den er vorher noch nie bei ihm beobachtet hatte, die Station reparierte. Doch Teal’c war schon immer ein verschlossener Einzelgänger gewesen. Man musste nicht immer verstehen warum er etwas tat oder nicht tat.
Wieder ging die Zeit ins Land. Ob es nun tausend, zehntausend oder gar hunderttausend Jahre waren, vermochte Jack dabei nicht zu sagen. Unnötig zu erwähnen, wie unwichtig das auch gewesen wäre.
Dummerweise wiederholte er den Fehler zu glauben, dass sich nichts verändern würde.

Teal’c war fort. Es dauerte eine ganze Weile, bis er es bemerkte, denn es war nichts ungewöhnliches, wenn er ihn lange Zeit über nicht sah. Es war auch nicht das Fehlen von Teal’c, das ihm aufgefallen war, sondern die Tatsache, dass das Sternentor wieder an seinem Platz auf der steinernen Treppe stand.
Das letzte eingerastete Symbol, war das von Altair gewesen. Der Ursprungsort. Das bedeutete, dass bei der letzten Wurmlochverbindung jemand rausgewählt hatte und das nicht etwa, wie es eigentlich hätte sein müssen, die letzte Verbindung das eingehenden Wurmloch von 740215 gewesen war. Jemand musste diese Welt also verlassen haben und war nicht wieder zurückgekehrt.
Sofort machte er sich auf die Suche nach Sam. Als erstes fand er allerdings Harlan. Zusammen hatten sie die Station durchsucht und tatsächlich Sam gefunden. Von Teal’c hatte jedoch jede Spur gefehlt.
Jetzt, wo sie wussten wer das Tor benutzt haben musste, hatte Jack erraten können wohin es die letzte Verbindung aufgebaut hatte. Chulak. Teal’c war in seine Heimat zurückgekehrt. Das interne Logbuch des DHD, das Sam untersuchte, bestätigte seine Vermutung.
Es wäre sinnlos gewesen ihm zu folgen. Selbst, wenn sie ihn gefunden hätten, selbst wenn sie den Besuch dort überlebt hätten, so wäre das einzige Ergebnis gewesen, Teal’cs Leiche zu finden. Es war schon so lange her, dass ihm längst die Energie ausgegangen war. Sie hatten einfach zu lange gebraucht.
Doch diesmal konnte er nicht behaupten, es nicht geahnt zu haben. Er hatte es geahnt. Er hatte sich zuletzt sogar mehr Sorgen um Teal’c gemacht, als um Sam.
Anfangs hatte er noch geglaubt, dass er ihn einfach nur unregelmäßig sehen würde. Doch dann hatte er gemerkt, dass Teal’c richtiggehende Phasen von besessener Reparatur einerseits und völliger Isolation andererseits hatte. Dies war es, was ihn misstrauisch gemacht hatte.
Auch die Tatsache, dass viele Einrichtungen, die Jack begutachtete, schlampig repariert oder sogar durch unsachgemäßes Herumschrauben beschädigt erschienen, war ihm anfangs nicht weiter aufgefallen. Es wäre durchaus möglich gewesen, dass es sich dabei nur um normale Schäden handelte, aber mit der Zeit war es ihm dann doch merkwürdig vorgekommen. Er hatte Teal’c schon länger im Verdacht gehabt, dass er Dinge „reparierte“, die es gar nicht nötig hatten. Stammten die Schäden vielleicht von ihm, der nicht mehr wusste, was er da anrichtete?
Die Station zu reparieren war ihnen allen in Fleisch und Blut übergegangen. Sie waren äußerst vertraut damit und vertraute Vorgänge beruhigten. Jack erschien das Leben immer so einfach, wenn er Dinge reparierte. Die Probleme waren leicht zu überblicken und meistens auch leicht zu beheben.
Wenn er jetzt daran zurückdachte, war Jack sich sicher, was er damals allenfalls vermutet hatte: Wenn Teal’c Fehler bei so einfachen und vertrauten Abläufen machte, musste es ihm sehr schlecht gegangen sein. Er musste große Probleme gehabt und versucht haben mit diesen selber fertig zu werden. Die dafür nötige Kraft und Stabilität hatte er in der vertrauten Reparatur gesucht. Nur offensichtlich hatte es ihm nicht geholfen.
Jack erinnerte sich an Teal’cs Reaktion auf Daniels Tod. Hatte seine scheinbare Gleichgültigkeit damit zu tun gehabt, dass er viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war, als das die Außenwelt für ihn noch eine Bedeutung gehabt hätte? Normalerweise wäre er nie einfach über den Tod von Daniel hinweggegangen, er hätte genauso getrauert wie er und Sam. Wahrscheinlich hätte er ein Jaffa-Totenritual abgehalten... Doch er hatte nicht einmal mit der Schulter gezuckt. War seine Reaktion der Aufschrei einer gequälten Seele gewesen, den Jack damals nur nicht hatte hören wollen?
Vielleicht war er zu langsam gewesen. Wenn er sich früher Sorgen gemacht und entsprechend reagiert hätte, wäre es vielleicht anders gekommen. Aber Jack hatte seine Zeit gebraucht. Erst lange Zeit nachdem er ihm von Daniels Tod berichtet hatte, hatte er Teal’c erneut aufgesucht.
Er hatte gewusst, dass der Jaffa ihn nicht sehen wollte. Prinzipiell war das normal, sie alle hatten solche Phasen. Aber gerade die Tatsache, dass diese bei Teal’c so oft vorkamen, war ja der Grund, warum er ihn eben nicht allein ließ.
Das Pendel, dass über Ewigkeiten an der Decke seines Raumes gehangen hatte, war verschwunden. Die Schur hatte in mehrere Stücke zerrissen auf dem Boden gelegen, das Gewichtstück war nirgends zu sehen gewesen. In einer Ecke des Raumes hatten die Splitter einer Platine gelegen, die sorgfältig in der alten Platinenform angeordnet waren und so fast den Eindruck erweckt hatten, als wäre diese noch ganz. Die Wände hatten große Dellen aufgewiesen, die aussahen, als hätte Teal’c sich mit voller Wucht gegen sie geworfen.
Dieser hatte in Meditationshaltung am Boden gesessen. Sein Atem ging heftig und unregelmäßig. Auf einmal hatte er die Augen aufgerissen und O’Neill damit direkt fixiert. Die sanfte Ernsthaftigkeit, die darin sonst zu lesen gewesen war, war verschwunden. Er starrte ihn mit flackerndem Blick an, blinzelte dabei kein einziges Mal.
Wenn er Teal’c früher aus seiner Meditation geweckt hatte, war er immer noch ein wenig abwesend erschienen. Jetzt war er völlig wach und Jack glaubte zu spüren, dass in diesem Moment Teal’cs Universum nur aus ihnen beiden bestand. Er glaubte nicht, dass Teal’c meditiert hatte, dazu war sein Zorn zu offensichtlich – ein Zorn, der sich jetzt auf ihn zu richten schien.
„Die Sonne hat sich verdunkelt“, sprach Teal’c dann mit Grabesstimme, die Jack völlig fremd vorkam. „Die Felder verdorren. Der Berg hat sich aufgetan.“ Jack schluckte. Teal’c fantasierte. Damit hatte er nicht gerechnet.
„Hey, Teal’c! Ich bin’s. Komm zu dir“, hörte er sich sagen.
Doch Teal’c setzte seine apokalyptischen Äußerungen fort. „Die Ozeane kochen. Das Land bebt.“ Und dann erhob er sich. Wie ein Riese, der sich bisher zusammengekauert hatte, wuchs er vor ihm in die Höhe. Jeder Muskel seines Körpers schien gespannt zu sein. Die Arme hoben sich ein Stück vom Körper ab, wie als ob er gleich zupacken wollte, seine Beine waren gespannt wie Federn.
Teal’c war ihm noch nie so groß und mächtig vorgekommen wie in diesem Moment. Jack konnte durch die Ärmel der Kleidung seine großen Muskeln sehen und erinnerte sich daran, dass Teal’c immer noch um einiges stärker als er war. „Das Volk stirbt.“ Teal’c starrte ihn an und es schien so, als ob er Jack die Schuld für den Untergang seiner fiktiven Welt gab.
Und in diesem Augenblick beschloss dieser lieber zu gehen. Er hatte gesehen, dass man mit Teal’c im Moment nicht reden konnte. Er war nicht ansprechbar gewesen. Was hätte es gebracht, wenn er darauf gewartet hätte, bis er sich auf ihn gestürzt hätte? Jack war gegangen, um Teal’c die Möglichkeit zum Abkühlen und ihm zum Überlegen zu geben.
Händeringend versuchte er eine überzeugende logische Begründung zu finden, die ihn zu dem gleichen Ergebnis geführt hätte, wenn er in diesem Moment nachgedacht hätte. Vielleicht war es ja wirklich sinnvoll gewesen, zu gehen, aber er wusste genau, dass der wahre Grund für sein Weggehen nicht in der Vernunft lag. Keine seiner vorgeschobenen Begründungen entsprach der Wahrheit.
Er hatte nicht nachgedacht. In Wirklichkeit hatte er Angst bekommen. Er, Jack O’Neill, früher Colonel in der Air Force und Kommandant von SG-1 hatte Angst vor Teal’c bekommen. Vor seinem Freund, seinem Bruder, dem Jaffa, welcher der Erde seine Treue geschworen hatte.
Jetzt im Rückblick ergab alles einen Sinn. Das ewige Leben hatte Teal’c in den Wahnsinn getrieben. Der Grund für sein seltsames Verhalten war gewesen, dass er den Verstand verloren hatte. Und Jack hatte daneben gestanden und es geschehen lassen.
Er wusste, dass Teal’c unglaublich willenstark war. Wenn er es nicht geschafft hatte, dagegen anzukämpfen, dann glaubte er nicht, dass er dabei noch etwas hätte tun können. Er hätte in ihm keine Kräfte mobilisieren können, die Teal’c nicht selber aufzubringen vermocht hätte.
Aber er hatte es nicht einmal versucht. Er hatte ihm nicht geholfen. Er war gegangen und war nicht wiedergekommen. Früher wäre ihm das nicht passiert. Colonel Jonathan O’Neill hätte seinem Freund geholfen. Notfalls hätte er sich mit ihm geprügelt, aber er hätte nicht zugelassen, dass er so einfach dem Wahnsinn verfiel.
Doch die Zeit hatte ihn verändert. Er war nicht mehr der Typ, dessen Namen auf der Marke gestanden hatte, die er die ganze Zeit über um den Hals getragen hatte. Früher hatte allein schon der normale Alltag für ihn mehr neue Situationen bereitgehalten, mit denen es galt fertig zu werden, als hier unten.
Früher war er mit nichts weiter als den spärlichen Daten eines MALPs vor Augen durch das Stargate zu anderen Planeten aufgebrochen und hatte sich den Situationen, die ihn dort erwartet hatten, gestellt. Hier war immer alles gleich. Es gab nichts Neues, nichts Unbekanntes. Er war es einfach nicht mehr gewöhnt, mit Situationen wie einem wahnsinnigen Teal’c fertig zu werden.
Doch diese Entschuldigung ließ er nicht gelten. Ganz egal, was man durchgemacht hatte, man half seinen Freunden. Es wäre seine Pflicht gewesen. Doch Jack O’Neill, der Android, hatte nichts dergleichen getan. Jetzt war Teal’c tot. Und er war schuld.

Eine Leitung war undicht geworden, so dass Wasser aus ihr heraus rinnen konnte. Es sammelte sich in einem kleinen Becken auf der Oberseite der Metallverkleidung eines Notfall-Generators, der sich unter dem Rohr befand.
Jack hatte die undichte Stelle nicht gesehen. In diesem Abschnitt der Station waren alle Lampen ausgefallen und es war stockfinster. Aber es hatte das Tropfen gehört und das Wasser in der Vertiefung gefunden. Es roch ein wenig nach Schwefel, doch Jack verspürte den seltsamen Drang sich darin die Hände zu waschen.
Teal’c...
Wenn er nicht gewesen wäre und Teal’c überredet hätte mit ihnen auf die Erde zu kommen, dann wäre er auch nicht hier gelandet. Letztlich war Jack dafür verantwortlich, dass Teal’c mit ihnen hier gestrandet war.
Jack erinnerte sich noch an ihre erste Begegnung. Hilf mir, hatte er ihn im Angesicht des Todes beschworen. Wir können diese Leute retten.
Der höchste Krieger des herrschenden Goa’uld hatte ihn angestarrt. Das haben schon viele gesagt hatte er mit seiner tiefen Stimme geantwortet und dann seine Entscheidung getroffen. Aber du bist der erste, dem ich es zutraue!
Teal’c hatte ihnen geholfen. Sie waren mit all den von dutzenden Welten entführten Menschen von Chulak entkommen. Und er hatte Teal’c überzeugt mit ihnen zu kommen und nicht etwa als Schol’wa auf Chulak zu bleiben.
Teal’c...
Sie waren Freunde geworden, Brüder. Wenn es jemanden gegeben hätte, dem er blind und ohne irgendeine Frage zu stellen sein Leben anvertraut hätte, dann wäre es Teal’c gewesen. Er wäre mit ihm durch die Hölle gegangen. Er hätte ihn nie im Stich gelassen und er wusste, dass dies auch für Teal’c galt.
Teal’c hatte ihm geholfen und er hatte Teal’c geholfen. Ich habe diesem Mann erzählt, dass auf unserer Welt, jeder Mensch Rechte hat. Nur weil er nicht auf diesem Planeten geboren ist, bedeutet das noch lange nicht, dass sie ihm diese Rechte vorenthalten können!
Nicht nur im Kampf waren sie Seite an Seite gestanden. Er hatte Teal’c gezeigt, wie man sich unter Menschen bewegte. Teal’c hatte ihn an seiner Weisheit teilhaben lassen, die er in seinem damals 98 Jahre dauernden Leben erlangt hatte. Inzwischen eine lächerliche Zahl, aber Teal’c war ihm früher ein guter Ratgeber gewesen und Jack hoffte, dass er das auch für Teal’c gewesen war.
Teal’c...
Jetzt wäre es wieder an Jack gewesen zu helfen. Wenn dies nicht die Hölle war, was dann? Doch er hatte versagt. Hilf mir! Es schien ihm so, als wäre es Teal’c gewesen, der diese Worte gesprochen hatte.
Er machte sich Vorwürfe. Wieder war ein Mensch gestorben, weil er sich eine Verfehlung zu schulden hatte kommen lassen. Doch wenn jemand wusste, dass Selbstvorwürfe niemanden mehr lebendig machten, dann war es Jack. Ansonsten wäre Charlie längst wieder am Leben gewesen.
Aber das änderte nichts daran, dass er versagt hatte. Hilf mir!! Er hatte nicht geholfen. Er hatte gehofft, dass alles von selbst wieder so würde, wie es Ewigkeiten gewesen war. Und nun stand er hier, Jack O’Neill, und wusch sich seine Hände in Unschuld.

Doch immer, wenn man glaubte, dass es nicht noch schlimmer kommen könnte, kam es schlimmer...

Sam war tot.
Nach Teal’cs Verschwinden verbrachte Jack viel Zeit damit durch die Station zu streifen und nach Ungewöhnlichkeiten Ausschau zu halten. Es gab ihm ein wenig das Gefühl, die Situation unter Kontrolle zu haben. Er hatte sie nicht unter Kontrolle.
Er fand Sam im Labor. Sie lag auf dem Operationstisch, auf dem damals Daniel gelegen hatte. Sie atmete nicht mehr. Das war kein Zeichnen von Leben, aber Jack spürte, dass sie tot war.
Von der Liege führte ein schwarzes Kabel zu einer Buchse an der Wand. Es war vorher nicht da gewesen. In die Liege war eine milchig-weiße Platte eingelassen gewesen, die immer aufgeleuchtet hatte, wenn das Feld aktiv war, mit dem sie eine Narkose simulierten. Jetzt hatte sich die Platte grau verfärbt.
Durchgebrannt stand der Gedanke in Jacks Gehirn. Sam musste das Gerät überlastet und so ihre Funktionen zu einem dauerhaften Stillstand gebracht haben. Natürlich hatte sie sich dabei keinen Fehler erlaubt. Bei etwas so wichtigem wie ihrem eigenen Tod hätte sie nie etwas falsch gemacht...
Es war vorbei. Jack stand an der Liege, sah auf sie hinab und wartete auf den Schmerz, den die Frau verdiente, die er vor einer Ewigkeit einmal geliebt hatte. Er wartete auf die schneidende Trauer, die sich durch ihn hindurchwühlen und ihn vor lauter Verzweiflung zusammenbrechen lassen würde. Doch nichts geschah.
Jack wartete geduldig. Manchmal dauerte es schließlich eine Weile bis sich ein Gefühl einstellte. Manchmal musste man die Situation erst realisieren. Aber der Schmerz kam nicht, würde nie kommen. Zu einem derartigen Gefühlsausbruch war er längst nicht mehr fähig.
Wie gerne wäre er in die Knie gesunken und hätte um sie geweint, zwischen den Schluchzern um Luft gerungen. Den Schmerz und die Wut über diese grausame Welt einfach hinausgeschrieen. Aber alles, was er empfand, war ein dumpfes Gefühl der Bedrückung. Das Gefühl etwas verloren zu haben – doch keinen Schmerz.
Er betrachtete sie, wie sie dort auf der Liege lag. Er hatte in seinem Leben schon viele Tote gesehen und wusste, wie sie aussahen, wenn sie eine Zeit lang gelegen hatten. Die Haut wurde blass und das Fleisch eingefallen. Das Blut folgte dem Ruf der Schwerkraft und sammelte sich in den tieferen Regionen des Körpers.
Doch Sams Gesicht zeigte davon keinerlei Anzeichen. Selbst im schummrigen Licht des Labors sah es immer noch so lebendig aus, als könne sie jeden Moment die Augen öffnen und sich von der Liege erheben, als ob sie nur geschlafen hätte.
Jack wusste, dass sie nie wieder aufstehen würde. Er dachte an die glückliche Zeit, die sie zusammen verbracht hatten. All das war jetzt vorbei. Er hatte auch Sam verloren.
Sie lag völlig entspannt da, die rechte Hand mit der kleinen Multifunktionsfernbedienung an ihrer Seite. Doch der Finger auf der tödlichen Taste erschien nicht verkrampft, sondern locker. Auch ihr Gesicht war völlig entspannt. Es schien fast so, als läge darauf ein sanftes Lächeln. Es war lange her, seit er sie zuletzt so zufrieden gesehen hatte. Sie war glücklich gewesen, als es zu Ende ging. Er hoffte, dass sie endlich ihren Frieden gefunden hatte.

Jack blieb bei ihr. Er konnte nicht weg. Er konnte sie nicht einfach hinter sich lassen, als hätte sie ihm nichts bedeutet. Sie war die letzte der alten Familie gewesen. Der letzte Rest von dem, was ihn hier draußen im Nirgendwo an Menschlichkeit erinnert hatte und gleichzeitig den letzten Rest Menschlichkeit in seinem Herzen am Leben gehalten hatte.
Auf eine gewisse Weise hatten sie sich immer gegenseitig gestützt. Sie alle. Allein durch ihre Anwesenheit sich Mut gemacht und das Gefühl gegeben, nicht völlig verlassen zu sein. Vielleicht hatte in der gegenseitigen Hilfe ihr letzter Lebenssinn gelegen. Ein Sinn, der nun genauso tot war, wie die Frau, die er geliebt hatte.
Lange Zeit hoffte er, dass er es doch noch schaffen würde, eine Träne für sie zu vergießen, doch nicht einmal das war ihm vergönnt. Daniels Tod hatte er nicht verhindern können, den Wahnsinn von Teal’cs hatte er nicht bemerken wollen und nun war er nicht einmal mehr in der Lage Sam zu betrauern, denn da war nichts weiter als dieses Gefühl der Bedrückung, das sich wie ein großes Gewicht auf ihn zu legen schien und das Atmen schwer machte. Aber Jack wollte auch gar nicht mehr atmen. Mit Sam war ein Teil von ihm gestorben. Auch er hörte zu atmen auf.
Während auf anderen Planeten Generationen kamen und vergingen, Gesellschaften entstanden und zerfielen, blieb Jack neben Sam stehen und wachte über sie. Es war das einzige, was für ihn zählte. Wäre der Planet unter ihm auseinander gebrochen, er wäre nicht von ihrer Seite gewichen.
Mit der Zeit konnte er beobachten, wie die Staubschicht im Labor dicker wurde. Langsam und schleichend zwar, wie der Zerfall der Station und seines Lebens, aber dennoch sichtbar. Dabei legte er sich nicht nur auf die Einrichtung des Labors, sondern begann auch Sam zu bedecken. Ihren Körper, ihr Gesicht. Doch er wagte nicht den Staub fortzuwischen, hätte dies doch bedeutet, sie noch einmal zu berühren. Genauso scheute er davor zurück sich ihr ein Stückchen zu nähren, um den Staub wenigstens von ihrem Gesicht zu pusten.
Der Staub hüllte sie ein wie ein Leichentuch. Und er legte sich auch auf Jack. Er stand völlig still und regungslos. Leblos wie Sam. Niemand hätte auf den ersten Blick zu sagen vermocht, ob in ihm überhaupt noch Leben war. Unter dem grauen Schleier des Staubes sah er aus wie eine Statue: Der Unsterbliche auf Totenwache für seine Gefährtin. Der vermeintlich Unsterbliche...
Irgendwann erschien Harlan und schreckte Jack aus seinen Gedanken auf. Dieser hatte völlig vergessen, dass es außerhalb dieses Raumes überhaupt noch eine Welt gab. Lange Zeit hatte es einfach nur ihn und seine Vergangenheit mit Sam gegeben.
Jack wurde bewusst, dass sie inzwischen völlig von Staub bedeckt war. Harlan indessen begann mit seinem üblichen Gejammer, das er schon beim Tod von Daniel und Teal’c abgespult hatte. Jack vermochte sich nicht darüber zu ärgern, aber er konnte es sich schlicht nicht anhören.
Wortlos und ohne Harlan auch nur eines Blickes zu würdigen drehte er sich um und verließ das Labor. Der Staub von Jahrtausenden wehte von seinem Körper hinab und vereinigte sich mit dem Staub des Bodens, durch den er hindurchstapfte.
Jack sah nicht zurück. Er brauchte keinen Blick über die Schulter, um sich von Sam zu verabschieden oder ein letztes Bild von ihr in seine Erinnerung aufzunehmen. Er hatte sich lange genug von ihr verabschiedet. Dieser Lebensabschnitt war nun endgültig vorbei. Was nun kam wusste er nicht. Im Moment wollte er es auch gar nicht wissen.
Seine Füße trugen ihn zum Schacht im Herzen der Station. Er fand sich an der gleichen Stelle wieder, an der Daniel damals gestanden hatte, nur das er das Geländer noch vor sich hatte. Er starrte hinunter auf den Boden des Schachtes. Es wäre so einfach.
Wieder versank er in sich selbst. Leere bereitete sich in seinem Kopf aus. Er starrte vor sich hin und wartete auf etwas, ohne genau zu wissen worauf.
Irgendwann hörte er Harlan neben sich. Er wusste nicht wie lange er schon dort stand. Er hätte kurz nach ihm hier eintreffen können und Jack hätte ihn nicht bemerkt. „Es tut mir sehr leid um deine Freundin“, erklärte Harlan sanft.
Jack sagte nichts. Er konnte darauf nichts sagen, starrte nur hinab in die Tiefe.
Harlan stand neben ihm und sah genau wie er hinunter in den Schacht, als versuche er zu verstehen, was es war, dass Jack da unten suchte. Die Zeit verging und Harlan blieb neben ihm, starrte hinab in die Unendlichkeit, wie als ob er das Leid mit Jack teilen wollte.
Für Jack war das Schweigen und die Einsamkeit etwas normales, alltägliches geworden und obwohl er sie selbst gewählt hatte, war die Stille, die nur vom Flüstern der Station unterbrochen wurde, immer ein Feind für ihn gewesen. Jetzt, wo Harlan schweigend neben ihm stand, kam ihm zum ersten Mal seit langem diese Stille wieder angenehm vor.
„Harlan?“ fragte er plötzlich aus einem Impuls heraus. Er lauschte dem Klang seiner Stimme nach, dem Echo, dass sie warf. Bis gerade eben hatte er gedacht, sie nie mehr zu hören.
„Mmmh?“ antwortete Harlan.
„Wie lange ist es jetzt her – seit wir hier her kamen?“ hörte Jack sich fragen. Eine leise Erleichterung erfüllte ihn über sein wieder aufkeimendes Interesse an der Umwelt.
„Das weiß ich nicht“, gestand Harlan betrübt.
Jack glaubte ihm. Seit er von ihm hatte wissen wollen, was mit den tragbaren Energiequellen geschehen war, war Harlan immer ehrlich zu ihm gewesen. Er vertraute ihm inzwischen. „Ich hatte immer gedacht, dass du irgendwo noch eine Uhr versteckt hättest und manchmal nach ihr sehen würdest“, überlegte er laut.
„Das hatte ich auch... Aber ich habe einmal zu lange nicht nach ihr gesehen. Sie funktioniert nicht mehr. Das ist jetzt schon sehr lange her.“
Jack nickte. „Und die Welt da draußen? Altair?“ fragte er.
Harlan seufzte. „Oh, wir können immer noch nicht raus. Radioaktive Strahlung, Unwetter, sehr, sehr gefährlich.“ Sehr schien ihn das allerdings nicht zu stören.
Mit einem mal wurde Jack bewusst, dass er doch nicht ganz alleine war. Harlan war hier. Er war ihm noch geblieben. Als einziger.
Früher hatte er ihn nicht leiden können und irgendwie hatte er sich so an diese Einstellung gewöhnt gehabt, dass er nicht gemerkt hatte, wie sehr er den kleinen Mann zu schätzen gelernt hatte.
„Harlan“, hörte er sich sagen. „Ich glaube ich habe in all den Jahren nie einen Zweifel daran gelassen, dass ich dich nicht leiden könne.“ Er zögerte kurz. „Das tut mir leid“, gestand er dann.
Com-traya!“ freute sich Harlan und umarmte Jack. Er hatte sich in all der Zeit wirklich kaum verändert. Jack fragte sich, ob er bereuen sollte, was er gerade gesagt hatte.

Teal’c. Daniel Jackson. Samantha Carter. Drei Namen auf drei Metallplatten an der Wand. Seine Leute, seine Familie. Alle tot.
Neben den Schildern war an der Wand nun noch auf jeder Seite Platz für eine weitere Plakette. Für ihn und Harlan. Diese Erkenntnis erschreckte ihn. Jack hatte die Größe der Platte von Daniel damals nicht bewusst so gewählt, dass noch vier weitere daneben passen würden.
Der Mensch ist nicht dazu geschaffen ewig zu leben. Einst hatte er das zu Harlan gesagt. Die drei Plaketten bewiesen die Behauptung, die er damals aufgestellt hatte. Wenn seine Freunde es nicht geschafft hatten, würde es keiner schaffen. Sie waren die Besten gewesen. Intelligenz, Willensstärke, geistige Flexibilität und noch so vieles mehr. Das alles waren Dinge, die sie ausgezeichnet hatten. Dinge, die man hier unten brauchte.
Doch es hatte nicht gereicht. Das Beste war nicht genug. Kein Mensch konnte unendlich leben.
Wann würde es also ihn treffen? Würde er ewig leben können? Oder würde er vorher wie Teal’c den Verstand verlieren, sich in eine andere Welt flüchten, weil er diese hier nicht ertragen konnte. Oder würde er einfach nur so schrullig werden wie Harlan?
...und weiter bis in die Unendlichkeit. Das hatte Harlan gesagt. Er war auch der einzige, dem er das zutraute. Aber vielleicht war Harlan auch kein Mensch mehr. Vielleicht durfte man nicht „normal“ sein, wenn man unsterblich sein wollte.
Immer öfters begann sich Jack zu fragen, ob die einzige Alternative, die er hatte, entweder darin bestand freiwillig abzutreten oder darauf zu warten auf die eine oder andere Weise verrückt zu werden.
Vielleicht hatte es bei seinen Freunden auch damit angefangen, dass sie sich bewusst oder unbewusst diese Frage gestellt – und dann entschieden hatten. Daher machte ihm nicht nur der Gedanke an sich Angst, sondern auch die Tatsache, dass er ihn in Betracht zog.

Der Raum wirkte leer. Obwohl der Tisch durchaus für eine gewisse Füllung sorgte, fehlte etwas wichtiges.
Jacks Blick haftete an den leeren Stühlen, die um den Tisch des Gemeinschaftsraums herumstanden. Sie standen für Lücken, Löcher in seinem Universum, die sich nicht mehr schließen würden.
Schon früher hatte Jack hier alleine gesessen, doch nie war ihm der Raum ihm derartig trostlos und verlassen erschienen wie heute. Er dachte daran, wie es gewesen war, als dort noch seine Freunde gesessen hatten. Die Vorstellung von ihnen, wie sie sich hier zusammenfanden, einfach alle Sorgen vergaßen und fröhlich waren, erschien ihm so lebendig. Er konnte jeden einzelnen von ihnen förmlich vor sich sehen, hörte ihre Stimmen, glaubte wieder die tiefe innere Verbundenheit zueinander zu spüren.
Jahrhunderte hatten sie an diesem Ort verbracht. Nicht immer waren sie dabei fröhlich gewesen. Auch viele ernste Gespräche hatten sie hier geführt. Führen können. Damals...
Jack fühlte sich einsam. Irgendwie bemerkte man oft erst wie wichtig einem etwas war, wenn es fort war. Die eben noch so lebendige Erinnerung an seine Freunde verschwand wieder und wich der Realität der leeren Stühle, von denen er sich so sehr wünschte, dass sie besetzt gewesen wären.
„The same procedure as last year, Mr. O’Neill?” fragte er in den Raum hinein, als ihm bewusst wurde, was er gerade tat.
Doch da war niemand, der auf seinen Sarkasmus irgendwie hätte reagieren können. Es gab kein Grinsen von Sam, keinen irritierten Blick von Teal’c. Da war Nichts. Nicht einmal ein Butler. Der Raum konnte ihm nicht antworten.
Er hätte alles dafür gegeben noch einmal mit wenigstens einem der so vertrauten Freunde zu reden, bei ihnen nach Rat und Beistand zu suchen. Unglücklicherweise lag nur der Grund dafür gerade in der Tatsache, dass er dies nie wieder würde tun können...


* * *


Er fragte sich, wie Harlan es geschafft hatte die ganze Zeit zu überstehen ohne sich merklich zu ändern. Sie alle hatten sich verändert, er sah es an sich selbst. Nur Harlan nicht. Er konnte sich das nur so erklären, dass Harlan bereits seine Hölle durchquert hatte. Fünfeinhalbtausend Jahre völlig allein. Damals hatte er sich verändert. Die Person, die er vorher gewesen war, war sicherlich ganz anders gewesen. Doch er hatte diese Zeit überlebt. Sie hatte ihn geprägt und von da an hatte ihn wohl nichts mehr beeindrucken können.
Früher wäre es eine Horrorvision für ihn gewesen mit Harlan alleine zu sein. Heute war er froh drum.
Manchmal unterhielten sie sich. Dabei kam es weniger auf das an, was sie sagten, sondern einfach das sie etwas sagten. Es war besser, als mit sich selbst oder den Wänden zu reden. Das meinte zumindest Harlan, der das eine ganze Weile praktiziert hatte. Jack hingegen bezweifelte dies manchmal.
Harlan hatte auch erzählt, dass er Wallace irgendwann besser gekannt hatte, als sich selbst. Jack wunderte das nicht und er überlegte, ob dies auch für Harlan und ihn einmal gelten würde.
Das Stargate stand immer noch offen. Sie hatten es seit Teal’cs Fortgehen nicht wieder versiegelt. Das Tor stand da und wartete mit seiner unendlichen Geduld darauf, dass wieder jemand kommen würde, um es zu benutzen. Die Stargates waren für die Ewigkeit gebaut, niemand wusste genau wie alt sie waren und irgendwie hatte Jack das Gefühl, dass es noch hier stehen würde, wenn er längst zu Staub zerfallen war.
Sie beide hofften, dass eines Tages jemand zu ihnen kommen würde. Jack verstand inzwischen, warum Harlan sie damals dupliziert hatte. Inzwischen hätte auch er keine Skrupel mehr das Selbe zu tun. Vielleicht kamen ja irgendwann neue Freunde, die mit ihnen den Rest der Ewigkeit verbrachten.
Aber selbst, wenn sie sich als Feinde herausstellen sollten oder nur mal kurz vorbeischneiten, so würden sie doch wenigstens Abwechslung bringen.
Doch dieser Tag sollte nie kommen.

Was Jack immer vorausgesehen hatte, war eingetreten. Die Dämmerung war vorbei und die Nacht war angebrochen. Eine Nacht, die keine Hoffnung auf einen neuen Morgen ließ.
Alle Lampen waren Opfer ihres Alters geworden und sie hatten keine Möglichkeit mehr neue zu basteln. Die letzte Birne leuchtete ausgerechnet in einem der unteren Korridore. Als sie noch funktionierte, hatte Jack sich unter sie gestellt und zur Decke hoch gesehen, wo die kleine Sonne in trübem Licht erstrahlte. Vielleicht war es das letzte Licht, dass er zu sehen bekam. Er genoss die Helligkeit.
Irgendwann hatte er gehört, wie langsam ein helles Sirren aus dem Ultraschallbereich heran gekrochen kam und wie die Lampe zu flackern begann, fast wie eine Kerze im Wind. Und dann, mit einem leisen Knacken, war die Lampe erloschen.
Jetzt gab es nur noch das diffuse Licht einiger flimmernder Computermonitore, kleiner, beleuchteter Displays und den bunten Kontrolldioden. Doch auch dies würde irgendwann... na ja. Wenigstens konnte er jetzt nicht mehr den Wänden beim rosten zusehen.
Aber er brauchte kein Licht, um sich hier zurechtzufinden. Schon oft hatte er Dinge erledigt ohne hinzusehen. Wenn etwas kaputt war, dann meldete es der Stationscomputer, der teilweise immer noch funktionierte, oder er merkte es auch ohne Licht. Es gab schließlich noch andere Sinne. Er hörte es, wenn etwas nicht stimmte oder er roch es. Und dann konnte er sich den Rest ertasten.
Er hatte die Station von Anfang an als schwächstes Glied angesehen. Er hatte gedacht, dass sie eines Tages am Versagen der Station scheitern würden. Doch das war wohl zu pessimistisch gewesen, denn die Station war nicht das Problem. Das Problem waren sie selber gewesen. Während seine Freunde es nicht überlebt hatten, funktionierte die Station noch immer. Die Tatsache, dass sie ursprünglich für viel mehr Bewohner ausgelegt war, musste Jack und seine Gefährten bisher gerettet haben, denn es hatte immer gereicht, nur einen Bruchteil von ihr funktionsfähig zu halten. Fünf Leute hatten viel geringere Ansprüche als tausend. Würden hier immer noch alle von Hubalds Anhängern wohnen, hätten sie es nicht geschafft.
Doch wie lange würden sie noch durchhalten können? Nach Sektion 3 hatten sie nun auch die Sektionen 4 und 5 aufgegeben. Gerade bei Sektion 5 hatten sie sich das lange überlegt. Sie hätten ihn bestimmt noch eine Weile halten können, doch der Aufwand hätte in keinem Verhältnis zum Nutzen gestanden.
Durch die Stilllegung der beiden Sektionen, die sie dann ausgeschlachtet hatten, würden sie sie mit der Erhaltung der beiden letzten Sektionen – 1 und 2 – wenigstens in nächster Zeit keine Probleme mehr haben. Der Vorteil an der traurigen Tatsache, dass sie nur noch zu zweit waren, war außerdem, dass die Energieerzeugung nicht mehr auf Volllast laufen musste – auch wenn „Volllast“ nur ein winziger Bruchteil von dem war, was die Anlage früher einmal hatte leisten können.


* * *


Meter um quälte sich der Lift nach oben. Jack fürchtete, dass der Motor jeden Moment seinen Geist aufgeben könnte, schließlich war er seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt worden.
Eigentlich war die Bezeichnung „Lift“ für diese Apparatur viel zu gut, nur Jack fiel leider kein besseres Wort ein. Es war ein quadratischer Metallrost von ziemlich genau einem Quadratmeter Größe, der einen Schacht von gleichen Ausmaßen ausfüllte – einen Schacht, der vielleicht hoch zur Oberfläche führte. Unter dem Rost war ein Elektromotor angebracht, der sich an zwei an den Wänden verlaufenden Schienen langsam nach oben zog.
Der Schacht war stockdunkel. Jack hatte seine rechte Hand an die Wand gelegt und konnte so fühlen, wie sie langsam an ihm vorbei glitt. Er hatte inzwischen aufgehört zu schätzen, wie hoch er nun schon war. Manchmal sah er hinab zu seinen Füßen, wo er wusste, dass er bei Licht durch den Rost hindurch den Boden des Schachtes hätte sehen können. Er war jetzt auf jeden Fall so hoch, dass es seinen Tod bedeutet hätte, wenn sich der Motor plötzlich aus den Schienen löste oder ins Leere griff.
Er spürte, wie der Einfluss der Energiequelle langsam abebbte. Er kannte dieses Gefühl. Innerhalb der Station gab es das auch. Wenn man sich in die tiefste Ecke zurückzog war dort der Energiefluss kaum, aber doch fühlbar schwächer. Dies beeinträchtigte einen jedoch nicht, selbst wenn man schwer schuftete. Jack hatte genug Zeit gehabt, das auszutesten.
Hier allerdings würde es ihn bestimmt beeinträchtigen, denn die Reichweite der Quelle erstreckte sich bestimmt nicht bis an die Oberfläche.
Er hatte also doch Recht gehabt! Die Altairaner waren doch nicht so dumm gewesen, alle Ausgänge zu versiegeln. Aber offenbar war dieser Schacht ein Geheimnis gewesen. Ein letztes Hintertürchen Hubalds falls etwas Unvorhergesehenes passieren sollte und geheim gehalten, um seine Anhänger vor Dummheiten zu bewahren.
Er glaubte nicht, dass Harlan davon gewusst hatte. Der Zugang war hinter einem schweren, metallenen Schrank für Ersatzteile verborgen gewesen. Irgendwann war der Schrank leer gewesen und einer von ihnen hatte ihn weggeschafft, vermutlich um aus seinen Metallplatten neue Rohre für das geothermische System zu formen.
Aber damals waren die Fugen der Tür noch so dicht an der Wand gewesen, dass man bei der düsteren Beleuchtung sie nicht gesehen hatte. Doch mit der Zeit hatte sich das Metall verzogen und die gute Wertarbeit zerstört. Jack hatte die Tür damals geöffnet und den Lift gefunden. Doch er hatte ihn nie benutzt.
Damals hatte Sam noch gelebt. Sogar Teal’c. Jack war sich sicher, dass mindestens Sam den Lift gesehen haben musste, doch sie hatte sich ihm gegenüber dazu nie geäußert – genau wie er. Keiner von ihnen hatte das Bedürfnis mehr gehabt, hoch zur Oberfläche zu gehen. Er war sich nicht sicher, warum. Vielleicht war es Trägheit oder Furcht gewesen. Oder der Gedanke, der sich inzwischen tief in ihnen verwurzelt hatte, dass man die Station nicht verlassen durfte und konnte.
Also warum war er jetzt hier?
Er hatte nicht darüber nachgedacht. Er war an dem Ort vorbeigekommen, von dem er wusste, dass dort in der Dunkelheit der Lift lag. Und diesmal hatte er ihn benutzt. Was ihn auf einmal dazu getrieben hatte, wusste er nicht.
Jack hatte sich überlegt, dass er vielleicht nur die Welt sehen wollte, auf der er lebte. Dass er diese Sache nicht unerledigt lassen wollte. Doch die Welt in der er lebte, war nicht der Planet da draußen, sondern immer die Station da unten gewesen.
Mit einem Ruck setzte der Motor aus. Das Gitter, auf dem er stand, verharrte in der tödlichen Höhe und überließ ihn der Dunkelheit. Na lustig, dachte er. Das war ja so klar.
Er konnte sich mit den Füßen und dem Rücken gegen die Schachtwände stützen und sich nach oben schieben. Das hatte er natürlich zu Anfang ausprobiert, aber gehofft, es sich ersparen zu können.
Doch bevor er damit anfing, glomm hinter ihm ein schwaches, rotes Leuchten auf. Er drehte sich um und erkannte, dass er gar nicht stecken geblieben war. Er war oben angekommen.
Vor ihm erstreckte sich ein kurzer Korridor, der an einem mächtigen, runden Schott endete. Da die Lampen nicht die ganzen Jahrtausende über durchgeleuchtet hatten, funktionierten einige von ihnen noch und tauchten den Gang in ein unheimliches, rotes Licht.
Er verließ den Lift. Dabei bemerkte er, das die Tür zum Lift noch in der Wand steckte. Er glaubte nicht, dass sie den Schacht noch einmal verschließen würde.
Seine Schritte klangen dumpf. Das Metall, aus dem der Gang bestand, schimmerte bläulich. Ein solches Material gab es unten nicht. Der Korridor war sicherlich mit einem dicken Mantel davon ausgekleidet.
Es war interessant seit langem mal wieder seinen eigenen Schatten zu sehen. Erst recht, da er gleich von mehreren Lampen erzeugt wurde. Jack kratzte sich am Oberschenkel.
Er hielt inne. Wann hatte es ihn zuletzt gejuckt? Doch dann wusste er es plötzlich. Es gehörte zu dem Wissen, dass ihnen Harlan damals mit auf dem Weg gegeben hatte: Er mochte zwar nicht mehr schmecken können, aber dafür hatte er einen anderen Sinn bekommen, der ihm weitaus mehr nutzte. Er konnte radioaktive Strahlung spüren.
Das Jucken erinnerte ihn ein wenig an die Einschläge in einem Geigerzähler, aber dies war wohl kein passender Vergleich, denn er spürte nichts von der normalen, allgegenwärtigen Strahlung die ihm auch nichts ausmachte. Das er es jetzt spürte bedeutete wohl, dass er in einen Bereich kam, in dem die Strahlung für ihn langsam gefährlich wurde.
Dem Körper machte radioaktive Strahlung wenig aus, aber seinem Gehirn dafür umso mehr. Eine Weile würde nichts passieren, doch mit der Zeit wurde die Wahrscheinlichkeit für eine Kettenreaktion größer, die ihm das Hirn förmlich verbrennen würde. Da er inzwischen keine Energie mehr von der Quelle erhielt, begann er sich gleichgültig zu fragen, was ihn wohl früher umbringen würde: die Strahlung oder der Energiemangel.
Er erreichte das Schott. Daneben befand sich eine Taste. Sie leuchtete blau. Blau war gut, es bedeutete „bereit“ – auf der Erde wäre sie wahrscheinlich grün gewesen. Er drückte die Taste. Sie knirschte ein wenig, wie als hätte sich feiner Staub in die Ritzen gesetzt.
Dann begann es hinter den Wänden zu rumoren. Mit einem lauten Wummern nahm ein uralter Motor seinen Dienst wieder auf und zog das Schott zur Seite. Es war wie ein riesiges Zahnrad mit stumpfen Zähnen, das schwerfällig zur Seite rollte. Es war einen guten Meter dick.
Hinter dem Schott befand sich ein lang gezogener Schleusenraum. Jack zögerte nicht und tat ein. Auch hier gab es die roten Lampen. Hinter ihm schloss sich das Schott wieder. Langsam ging er zum nächsten Schott. Hier gab es keine Taste. Das Schott blieb verschlossen.
Er sah sich um. Am Boden befanden sich mehrere Abflussschlitze, die wohl in eine Kanalisation führten. Die Wände waren gespickt mit kleinen Düsen. Reinigungsdüsen sprach Harlans eingeimpftes Wissen. Sie sprühten Ankömmlinge ab und reinigten sie von radioaktiven Rückständen. Die Flüssigkeit verschwand in den Abflüssen.
Das Schott hatte sich früher bestimmt automatisch geöffnet, aber schließlich war es schon ein Wunder gewesen, dass sich überhaupt das erste geöffnet hatte. Er konnte nicht erwarten, dass der andere Motor auch funktionierte. Obwohl sein Leben nicht mehr lange dauern würde, wenn sich herausstellen sollte, dass er hier feststeckte, behielt er die Ruhe. Als relativ Unsterblicher lernte man Geduld zu haben.
Und tatsächlich begann es auch am Außenschott irgendwann zu dröhnen und der zweite Motor begann lautstark das Schott wegzurollen. Er kam nicht weit. Er hatte noch nichtmal die halbe Strecke zurückgelegt, da blieb er stecken. Der Motor heulte, er dröhnte und knurrte. Dann erstarb das Geräusch.
Die Öffnung war groß genug, dass Jack bequem durchkam. Dahinter erstreckte sich ein weiterer Gang, der jedoch leicht abwärts führte. Damit das Wasser nicht zum Schott kommt, flüsterte etwas in ihm. Welches Wasser?
Hinter ihm ertönte noch einmal der Motor und versuchte das Schott wieder zu schließen. In seinen Versuchen es aufzureißen hatte es sich aber anscheinend so festgefahren, dass er es jetzt auch nicht mehr schließen konnte. Der Motor gab auf.
Hier waren schon weitaus mehr Lampen ausgefallen. Die Juckreize wurden jetzt häufiger. Der Gang endete in einem weiteren Schacht aus dem gleichen blauen Metall wie die Korridore. Er war jedoch rund. Am Boden befand sich ein grobes Metallgitter, das ebenfalls in die Kanalisation führte.
Er sah nach oben. Im Schacht glühten nur zwei Lampen, die untere flackerte. Wenn er genau hinsah konnte er sehen, dass der Schacht in einer Luke endete. An seiner Wand waren Leitersprossen eingelassen. Sie wirkten erstaunlich stabil. Er belastete sie vorsichtig und stellte fest, dass sie sein nicht zu vernachlässigendes Gewicht trugen.
Er kletterte nach oben. Es waren an die fünfzehn Meter, eine Höhe, die auch für ihn tödlich war, aber das kümmerte ihn nur am Rande. Dann erreichte die Decke. Es war wirklich eine Luke. Sie hatte zum Öffnen ein großes Handrad. Dies war nicht unbedingt die intelligenteste Lösung, denn Jack brauchte schließlich eine Hand, um sich an der Leiter festzuhalten.
Das Rad bewegte sich keinen Millimeter. Einen Moment glaubte Jack die Kraft seines Roboterarms würde nicht ausreichen, doch dann gab der Mechanismus knirschend nach und ließ sich daraufhin mehr oder weniger leicht drehen.
Schließlich erreichte er den Anstoß. Jack hob die Luke ein wenig an. Sie war leichter als er erwartet hatte, vermutlich hatte der saure Regen im Laufe der Zeit ihre Dicke ziemlich reduziert.
Welches Wasser? Dieses Wasser! Draußen groß es in Strömen. Er stieß die Luke vollends auf und stecke seinen Kopf aus der Luke. Das Kribbeln überzog jetzt seinen ganzen Körper, wie als ob er in einem Ameisenhaufen liegen würde. Harlan hatte Recht gehabt, als er von der Strahlung hier oben geredet hatte.
Ein Gewitter tobte. Das Grollen des Donners ließ sich nicht mehr in einzelne Schläge differenzieren, war eine ständige, laute Geräuschkulisse. Es war düster. Das Licht stammte hier nicht von der Sonne, sondern von unzähligen Blitzen, die oft in schneller Folge durch die schwarzen Wolken zuckten und die Landschaft stroboskopartig erhellten.
Der Wind wechselte ständig die Richtung und peitschte den Regen gegen Jacks Körper. Innerhalb von Sekunden war er völlig durchnässt. Er hörte wie das Wasser den Schacht hinunterplätscherte. Er umklammerte fest den Rand der Luke, um nicht abzurutschen.
Er sah zum Himmel. Die Wolkendecke war so dicht, dass er nicht mit Sicherheit zu sagen vermocht hätte, ob es Tag oder Nacht war. Die Wolken waren schwarz und erschienen irgendwie dreckig.
Zum ersten mal seit dem Tod von Sam zog er wieder Luft in seine künstlichen Lungen. Wie, um sich von seiner Menschlichkeit und vielleicht auch ein wenig von seinem Leben zu verabschieden hatte er es sich abgewöhnt gehabt. Die Luft war kalt und feucht. Es roch nach Schlamm. Das Kribbeln schien jetzt auch seine nur rudimentär vorhandenen Lungen zu erfüllen. Es fühlte sich nicht gut an, deswegen hörte er auch gleich wieder damit auf.
Jack ließ seinen Blick über die Landschaft schweifen. Es war eine einzige, schlammige Fläche.
Schon bevor die letzten Pflanzenwurzeln zu Staub zerfallen waren, hatte die Erosion durch den ständigen Regen ihr zerstörerisches Werk begonnen. Sie hatte jeden Hügel abgetragen und mit den Schlammmassen der Hügel die Täler zwischen ihnen gefüllt. Jetzt war alles flach wie die Oberfläche eines großes Sumpfs.
Die Altairaner hatten den Schacht damals wie ein Rohr im Boden mit diesem blauen Metall ausgekleidet. Dieses Rohr hatte seine alte Höhe behalten und so sah Jack aus einer Höhe von fast drei Metern auf das herab, was einmal fruchtbare Erde gewesen war. Drei Meter Erde waren im Laufe der Zeit einfach weggespült worden.
Die riesige Fläche wurde durchzogen von tiefen Rinnen, die sich das Wasser gegraben hatte, das nicht mehr vom völlig durchnässten Boden aufgenommen werden konnte. Das Regenwasser, das sie führten, sammelten sich wie ein Netz aus Adern auf der Haut eines Ungeheuers in immer größeren Rinnen. Ganze Ströme entstanden auf diese Weise. Jack folgte ihrem Verlauf. Dann sah er links von sich, wo das ganze Wasser hinkam. Es war ein riesiger See voller brauner Brühe.
Nein, ein See war immer etwas Tiefes. Dies hier war bestimmt nicht tief, es war nur eine ganz flache Senke. Deswegen war der See auch so groß. Er war nichts weiter, als eine riesengroße Pfütze.
Und er drehte sich weiter. Hinter sich sah er noch mehrere Rohre der Station aus dem durchnässten Boden ragen. Lüftungsschächte zur Kühlung. Einige von ihnen waren in sich zusammengefallen, zwischen ihnen vermoderte undefinierbarer Schrott. Und da waren die drei Ausgänge, von denen sie gewusst hatten. Einer davon war groß genug um ganze Maschinenblöcke in die Tiefe zu schaffen.
Das blaue Metall war inzwischen so matschig-braun wie die Erde. Die Korrosion hatte auch ihm schwer zugesetzt. Die früher sicherlich glatte Oberfläche war rau geworden und erschien ziemlich porös.
Der Donner grollte weiter. Jack drehte sich zur anderen Seite. Dort lag zu seiner Überraschung eine riesige Stadt. Oder besser die Ruine einer Stadt. Durch den ständigen Regen und die Dunkelheit konnte er sie kaum erkennen. Sie begann rechts von ihm und zog sich dann scheinbar schnurgerade weiter bis sie sich im Regen verlor.
Es mussten einst gewaltige Wolkenkratzer gewesen sein. Harlan hatte ihm von den Städten seines Volkes erzählt. Bei einigen Gebäuden hatte man ihre Höhe schon in Kilometern gemessen. Doch jetzt zeugten davon nur noch die Trümmer. Die Häuser waren in sich zusammengefallen, ihr Schutt füllte die Straßen dutzende von Metern hoch. Nur noch einige Stummel erhoben sich kaum der Rede wert über die Haufen aus zermahlenem Beton und korrodiertem Metall. Einige Stützstreben ragen aus ihnen hervor wie anklagend dem Himmel entgegen gestreckte Hände.
Und in Richtung Stadt lag noch etwas anderes. Vielleicht hundert Meter von dem Luk entfernt lag eine Gestalt im Matsch. Es musste einer von Harlans Leuten gewesen sein. Das künstliche Fleisch war zu Staub zerfallen. Bis auf seine Metallteile hatte er sich völlig aufgelöst. Das früher silber-graue Material hatte sich schwarz verfärbt. Seine Form erinnerte fatal an ein menschliches Gerippe. Im Tod sind wir alle gleich. Zum Glück lag der Tote mit dem Gesicht im Matsch.
Er musste schon lange hier liegen, ein Teil von den Überresten war von Schlamm bedeckt, aber er war nicht darin versunken, was nach dieser Zeit eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Vielleicht war er verschüttet gewesen und wurde erst jetzt wieder vom Regen freigelegt.
Ein furchtbarer Verdacht stieg in Jack auf. Was wäre, wenn Teal’c zwar das Stargate geöffnet hatte, aber dann nicht hindurch gegangen war? Vielleicht war er statt dessen durch die Tür, die Jack unten geöffnet hatte, so wie er hier auf die Oberfläche gekommen – um zu sterben.
Nein, Teal’c war größer und kräftiger gewesen... Aber konnte er das aus dieser Entfernung beurteilen?
Eine Windböe erfasste den Regen und trug ihn zur Seite, so dass er für einen kurzen Moment im zuckenden Licht der Blitze die Stadt besser erkennen konnte. Eines der vielen Gräber der untergegangen Zivilisation. Es ging ein Reiz von ihr aus. So wie er ohne zu überlegen den Lift betreten hatte, spürte er, wie er gerne hinab gesprungen und auf sie zu marschiert wäre. Vielleicht hätte er sie sogar noch erreicht.
Wieso war er hier?
Jack fürchtete den Tod nicht und er hing auch längst nicht mehr am Leben. Die Ruinen würden auch sein Grab werden. Vielleicht würde er dort sogar seine verlorenen Gefährten finden. Sie alle waren diesen Weg gegangen, wieso also nicht auch er? Der Mensch ist nicht dazu geschaffen ewig zu leben...
Warum war er hier? Er war hier, um sein Leben zu beenden – das wurde ihm jetzt klar. Es war nicht das Ergebnis einen langen Kampfes mit sich selbst. Er hatte nie in seiner Verzweiflung beschlossen, dass es keinen anderen Weg für ihn gab. Er war nicht bewusst mit dieser Absicht hierher gekommen. Seine Füße hatten ihn geführt, nicht sein Verstand.
Jack starrte in den Regen. Er war es leid. Das Leben hatte sich zu einem Feind von ihm entwickelt. Immer der nur gleiche Trott. Immer nur die Aussicht auf das Versagen der Station.
Auch Harlan konnte nichts daran ändern, dass er sich verlassen fühlte. Im Stich gelassen nicht nur von seinen Freunden, sondern auch von der Welt wie er sie kannte. Zurückgelassen in einem Universum für das er als angeblich Unsterblicher ein Fremdkörper war, etwas unnatürliches, unwillkommenes. Er gehörte nicht in diese dunkle Welt, deren Feindseligkeit er förmlich spüren konnte.
Es nagte an ihm. Schon seit langem. Da war nichts mehr in seinem Leben außer dem Gefühl fehl am Platz zu sein. Was sollte er also noch hier? Sein Blick wanderte zurück zu der Gestalt am Boden. Wer immer es war, er hatte diese Frage definitiv mit „nichts mehr“ beantwortet. Was tut eine Pflanze, Jack?
Sie produziert Sauerstoff und das tut sie nur, weil sie ihn selber zum atmen braucht. Ihre ganze Existenz dient nur der Sicherung dieser Existenz.
Das Argument hatte ihn damals so überrumpelt, dass er nichts dagegen hätte sagen können. Doch Daniel hatte etwas übersehen. Eine Pflanze produzierte immer mehr Sauerstoff, als sie selber benötigte. Es gab einen Überschuss, der in der Umwelt verblieb. Die Pflanze tat nichts weiter, als ihr Leben zu erhalten, aber ohne es zu wissen, ohne es zu wollen, ermöglichte ihre bloße Existenz das sauerstoffatmende Leben auf einem ganzen Planeten. Dadurch bekam eine auf den ersten Blick sinnlose Existenz ihren Sinn. Die Pflanze war sich ihrer Bedeutung und ihres Werts, der sich daraus ergab, nur nicht bewusst.
Jack kletterte nicht aus der Luke. Er sah nicht nach, ob im Matsch vielleicht ein goldenes Tattoo lag, er ging nicht hinaus in diese tote Welt.
Selbstmord. Er hatte dieses Wort bisher nie in den Mund genommen, wie als ob er versucht hätte die Handlung der anderen zu decken. Denn in diesem Wort steckte bereits eine Wertung: SelbstMORD. Moral war immer relativ, das hatte er inzwischen erkannt, aber dennoch erschien ihm dieser Ausweg nicht richtig. Er hatte schon mit dem Gedanken an Selbstmord gespielt, als Charlie gestorben war. Aber er hatte es nicht getan.
Jack vermochte es nicht zu erklären, erst recht nicht rational, aber der spürte, dass dies nicht sein Weg war. Er fürchtete den Tod nicht, wenn das Ende eines fernen Tages kam, würde er sich nicht gegen sein Schicksaal stellen. Aber er würde nichts tun, um es zu beschleunigen.
Jack sah noch einmal zur Stadt. Das verlockende Flüstern war verschwunden. Jetzt war da nur noch das Rauschen des Regens und das Grollen des Donners.
Jack zog die Luke wieder hinter sich zu.

Harlan war am Verzweifeln, doch Jack schien das nicht zu bemerken.
Er spürte mit jeder Faser, dass die Station starb. Harlan war beim Bau von Anfang an dabei gewesen. Er kannte sie in- und auswendig. Dies war seine Welt. Er hatte alles getan, um sie über die Zeit am laufen zu halten. Nicht nur aus bloßer Notwendigkeit heraus, sondern einfach aus dem Grund, weil sie seine Heimat war. Er liebte die Station. Der Gedanke, dass sie zerfiel machte ihn krank.
Er hatte soviel Arbeit in sie gesteckt, so viele Mühen auf sich genommen. In der Station steckte so viel von ihm selbst, sie war sein Schatz, sie war das einzige, was er in der Phase der Einsamkeit noch gehabt hatte. Und jetzt lag sie in ihrem langen, langen Todeskampf, an dessen Ausgang trotz ihrer Bemühungen kein Zweifel bestand.
Doch es war nicht nur die Station, die ihn verzweifeln ließ. Harlan fürchtete sich vor nichts – nicht einmal dem Tod – bis auf eine Ausnahme: Er hatte panische Angst vor der Einsamkeit. Er würde den Tod der Station verkraften, er würde es verkraften seinen eigenen Tod kommen zu sehen, aber er wollte nie mehr einsam sein.
Die Zeit der Einsamkeit kam ihm heute völlig irreal vor. Sie war wie ein längst vergessener Feind aus den Tiefen der Vergangenheit, der wieder am Horizont erschien. Drei seiner Freunde hatten ihn verlassen, einfach so. Und jetzt war nur noch Jack übrig. Er fürchtete, dass auch er ihn eines Tages verlassen würde.
Jack hatte ihm gesagt, dass er den Tod von Daniel damals nicht vorhergesehen hatte. Wie sollte er, Harlan, dann erkennen, was in Jack vorging? Dieses Problem beschäftigte ihn lange Zeit und irgendwann hielt er es nicht mehr aus. Vielleicht machte er dadurch alles kaputt, aber er hatte Jack gefragt, ob er manchmal mit dem Gedanken spielte seiner Existenz ein Ende zu setzen.
Ohne irgendwie von der Frage beeindruckt zu sein oder auch nur darüber nachzudenken hatte dieser einfach geantwortet „Nein.“ Eine Weile hatte das Harlan beruhigt, aber letztlich war er so schlau wie vorher geblieben. Er wusste nicht, was wirklich in Jack vorging. Vielleicht überlegte Jack es sich irgendwann anders.
Harlan hatte keinen Schimmer, was er dann tun würde...


* * *


Wenn die Zeit früher für ihn keine Bedeutung gehabt hatte, dann wurde sie nun zu etwas völlig abstraktem.
Jack wusste, dass es etwas wie Vergangenheit gab. Er wusste, dass es einen Planeten mit dem Namen Erde gab und dass er früher einmal nicht mit Harlan allein gewesen war. Doch dies alles war nur noch ein Echo aus einem anderen Leben. Das war nicht wirklich er gewesen. Es lag so weit zurück, dass es keinen Bezug mehr zu ihm hatte.
Außerdem merkte er, wie sein Gedächtnis nachließ. Es lag nicht am Alter, sondern schlicht daran, dass jeder Speicher begrenzt war. Sein Hirn musste jetzt ständig entscheiden, was er sich merken sollte und was er vergaß.
Er wusste auch noch, dass es Zukunft gab. Zukunft war etwas, das noch nicht war und das irgendwann kommen würde. Nur lag sie in so weiter Ferne, dass auch sie für ihn kaum eine Bedeutung hatte.
Mit was er aber ernsthafte Probleme hatte, waren nicht Vergangenheit oder Zukunft, sondern die Gegenwart. Es gab eine gewisse Zahl von Dingen, die er jetzt tat. Reparieren, Worte mit Harlan austauschen und Nichtstun. Er hing mal hier und mal dort rum, ging durch Korridore und Hallen und schaffte es zusammen mit Harlan irgendwie die Station betriebsfähig zu halten. Neben diesen Tätigkeiten gab es hier nicht viel zu tun und dieses Wenige hatte er schon öfters getan, als er zählen konnte. Alles kannte er inzwischen auswendig, nichts davon war mehr etwas besonderes. Viel mehr noch: es war alles eins.
Es kam vor, dass er sich fragte, ob er das, was er gerade zu tun glaubte, wirklich tat oder ob er nur einer Erinnerung davon nachhing, die so genau und so real war, dass er sie nicht von der Realität unterscheiden konnte. Die Realität selber indessen nahm er kaum noch wahr. Sie war einfach für ihn nicht mehr von Interesse, weil sie ihm nichts Neues mehr bot. Es geschah nichts mehr von Bedeutung, egal wie viel Zeit auch verging. Selbst ein „Notfall“ mit der Station konnte ihn nicht mehr aus seiner Routine reißen.
Doch zu seinen Erinnerungen stand er nicht viel besser, als zur Wirklichkeit. Auch sie kannte er zur Genüge, er hatte sie oft genug vor seinem inneren Auge ablaufen lassen und sie langweilten ihn. Außerdem hatte er genau wie mit der Realität auch mit seinen Erinnerungen Probleme sie einzuordnen.
Wenn er versuchte sich zu erinnern, was er unmittelbar vorher, also vor dem jetzt, getan hatte, war dieser Versuch zum Scheitern verurteilt. Er glaubte sich zwar die Dinge zu merken, die er tat, aber da sie sich nicht voneinander unterschieden, konnte er sie nicht auseinander halten und folglich weder zählen noch in eine zeitliche Reihenfolge bringen. Alles, Realität und Erinnerung, verschwammen, flossen ineinander und wurden zu einem untrennbarer Einheitsbrei.
Manchmal versuchte er diesen Brei noch zu entwirren. Er dachte über seine Situation nach oder hing zumindest der Erinnerung an den einen oder anderen Gedankengang nach, der sich dann eine Ewigkeit gebetsmühlenartig wiederholen konnte.
Aber manchmal war dann auch wieder Leere in seinem Schädel. Er brachte es hin und wieder fertig an überhaupt nichts zu denken. Was hätte das auch sein sollen. Er hatte nicht nur alles getan, was man hier tun konnte, er hatte auch alles gedacht. Und so verloren sich nicht nur die Geschehnisse im Nebel der Zeit, sondern auch die Zeit selber.

Er hörte das Rauschen von Wasser, das sich eine Etage über ihm abgekühlt hatte und wieder kondensiert war. Es sammelte sich und floss blubbernd durch ein Rohr ganz in seiner Nähe ab. Das Geräusch war immer da. In der sekundären Turbinenkammer im hinteren Teil von Abschnitt 42 in Sektion 2 hörte es sich immer gleich an. Nirgendwo anders konnte man dieses Geräusch sonst hören.
Im vorderen Teil von Abschnitt 42 dagegen war von diesem Rauschen nichts mehr zu hören. Hier gab es nur das laute Wummern des Verdichters. Der Korridor, der um den Verdichter herumführte, war mit Abdeckplatten ausgelegt, die man für Wartungs- und Reparaturarbeiten öffnen konnte. So erreiche er die Stromkabel, die unter anderem auch den Verdichter versorgten. Er verwendete eines dieser Kabel um einen anderen Verdichter, nämlich den in Abschnitt 12, zu versorgen. Der Verdichter hier kam auch mit einem Kabel weniger aus.
Die Abdeckplatte am Boden vor der Vorderfront des Verdichters hing ein wenig durch. Wenn man auf ihr stand konnte man das rote Leuchten einer einfachen Halbleiterdiode sehen, das aus einem der Seitenkorridore im angrenzenden Abschnitt 40 kam. Es war eine von insgesamt fünf roten Dioden in der Station. Nein, falsch. Es waren acht Dioden. Wobei fünf der acht die gleichen waren, wie die anderen fünf...
Es waren fünf und es waren acht. Gleichzeitig.
Natürlich konnte es nicht gleichzeitig sein, das wusste er schon, nur machte seine Erinnerung keinen Unterschied zwischen dem Zeitpunkt, an dem es fünf Dioden und an dem es acht gewesen waren. Rein von der Logik her betrachtet mussten es früher acht und jetzt fünf sein. Anders ging es nicht. Wie gut, dass er noch seinen Verstand hatte, um sich die Dinge herzuleiten, die er vergaß!
Er kannte die genaue Reihenfolge, in der die Bauteile der Station ausfielen. Er hatte sie vergessen. Begrenzter Speicher, unnötiges Wissen. Sein Gehirn bot nicht genug Platz für alle Erinnerungen. Es war auch nicht wichtig. Gehörte die Diode in Abschnitt 40 überhaupt noch zu den acht, die leuchteten?
Sie hatte geleuchtet, aber tat sie das jetzt noch? Er konnte sich genau erinnern, wie es aussah, wenn man von der durchhängenden Abdeckplatte in Abschnitt 42 zu ihr hinüber blickte. Natürlich konnte sie aber auch inzwischen längst aus sein. Er konnte sich Abschnitt 42 genauso gut dunkel vorstellen. Dunkle Abschnitte waren alle gleich: Man sah sie nicht. Es gab viele dunkle Abschnitte. Gehörten auch die Abschnitte 40 bis 42 dazu? Wenn er auf der durchhängenden Abdeckplatte gestanden hätte, hätte er es sagen können. Von dort unten hatte er ein Kabel verwendet um den Verdichter in Abschnitt 12 zu versorgen. Doch er stand nicht auf dieser Abdeckplatte. Er griff fester zu.
Seine Finger umschlossen zwei Rotorblätter. Es rauschte, wie es nur im hinteren Teil von Abschnitt 42 in Sektion 2 rauschte. Er versetzte die große Turbine, von der er wusste, dass sie in der Dunkelheit über ihm hing, in Bewegung. Sie begann sich zu drehen. Die Drehung wurde auf einen Generator ein Stockwerk über ihm übertragen. Seine Achse stand nicht mehr ganz gerade, weil er bei jeder seiner Umdrehungen ein schabendes Geräusch machte.
Die Turbine wurde normalerweise von relativ kaltem, aber dafür umso schnelleren Wasserdampf in Bewegung gesetzt. Es waren sogar insgesamt zwei Turbinen hier, eine primäre und eine sekundäre. Man konnte die sekundäre Turbine aus ihrer Kammer ziehen und in die entstehende Öffnung kriechen, um an die primäre Turbine zu kommen... Offensichtlich hatte er das getan.
Hier konnte man das Rauschen und Blubbern hören, dass nur hier zu hören war. Zu diesem Geräusch mischte sich das Knirschen eines Sandkorns, dass im Getriebe der Turbine zermahlen wurde. Manchmal geriet trotz aller Filter so etwas in den Wasserkreislauf. Das beschädigte die Turbinen. Doch nicht jetzt. Jetzt war sie offenbar in Ordnung. Warum war er dann überhaupt hier?
Er griff nach dem Messgerät an der Achse der Turbine. Er erinnerte sich nicht, es dort hin gehängt zu haben, aber eine Überraschung, dass es sich tatsächlich dort befand, war es nicht. Es war immer dort. Natürlich. Er hängte er immer dort auf, wenn er hier war.
Unendlich langsam kroch er mit dem Messgerät in der Hand aus der Kammer der sekundären Turbine in Abschnitt 42 und schlurfte hinüber zu Abschnitt 40. Dort leuchtete eine rote Diode. Es war eine von insgesamt vier, die noch in Betrieb waren. Er hob die Hand und fand darin eines der Messgeräte, dass die Belastbarkeit von Turbinen testete. Wie es das tat hatte er wohl vergessen. Es hatte ihn nie interessiert. Im Licht der Diode konnte er ihr Display ablesen. Die Turbine war in Ordnung.
Er drehte sich um und ging zurück. Das Messgerät hielt er so fest umschlossen, dass seine Hand zu schmerzen begann. Ein guter Trick. So würde er auf dem Rückweg nicht vergessen, was er zu tun hatte. Er zählte die Schritte, die er von der Diode in Abschnitt 40 zum hinteren Teil von Abschnitt 42 benötigte. Hier ließ ihn seine Erinnerung nicht im Stich. Wenn man wie ein Maulwurf im Dunkeln lebte, musste man sich einfach auf diese Art orientieren.
Er erreichte sein Ziel. Aus der Kammer konnte er das Rauschen und Blubbern hören, dass aus dem nahen Rohr kam. Weiter hinten in diesem Abschnitt wurde dieser Ton bereits vom Wummern des Verdichters übertönt. Nachdem er eines seiner Stromkabel entwendet hatte, um den Verdichter in Abschnitt 12 zu betreiben, war es ein wenig leiser geworden, allerdings nicht viel.
Er ging weiter und stieß dabei gegen die sekundäre Turbine, die in den Gang hineinragte. Er erinnerte sich an den Schmerz in seiner Hand und bemerkte darin das Messgerät.
Zurück in Abschnitt 40 sah er noch einmal auf das Display. Er hatte sich also korrekt erinnert. Die primäre Turbine war stabil genug, um weiterzuarbeiten. Hatte er sie repariert oder nur überprüft? Er tat beides so oft. Die sekundäre Turbine fuhr auf ihren Schienen zurück in die sekundäre Turbinenkammer in Abschnitt 42, Sektion 2. Die Turbine konnte man auch in den Gang hinausziehen und in ihre Kammer klettern, um an die primäre Turbine zu gelangen, wenn man sie reparieren oder mit einem dieser kleinen Messgeräte überprüfen wollte. Aber das würde er irgendwann später einmal tun...

Schritte, die nicht von ihm stammten. Es gab viele, von denen sie kommen konnten, doch von diesen vielen kam nur einer wirklich in Frage. Harlan. Mit ihm war er alleine hier. Nur er konnte es sein. Er konnte ihn in der Dunkelheit nicht sehen, aber er hörte, wie er auf ihn zukam. Sie stießen zusammen.
Orientieren konnten sie sich beide ohne Probleme, denn die Station war dunkel. Doch wenn ein unvorhergesehenes Hindernis in den Weg kam, konnten sie das natürlich nicht wissen und stießen dagegen. Er fluchte und stand auf, wie er es ständig tat. Es war immer das gleiche. Sie brauchten sich nicht einmal mehr dafür zu entschuldigen, dafür war es zu selbstverständlich. Aber fluchen, das musste er immer. Es war immer der gleiche Fluch. Er kannte sehr viele Flüche und hatte eine große Auswahl, welchen er diesmal verwenden sollte.
Harlan ging an ihm vorbei, ohne ihn auch nur zu streifen. Diesmal war er zur Seite getreten und so hatte Harlan ihn einfach passieren können.
Harlan lachte. Er wusste nicht, warum Harlan das tat. Er hatte ihn schon oft lachen gehört, war aber nie dahinter gekommen, was das sollte. Er dachte darüber nach und beschloss ihn danach zu fragen. Doch Harlan war nicht da. Das musste etwas mit der Zeit zu tun haben und deswegen verzichtete er darauf, weiter darüber nachzudenken, warum Harlan nicht da war. Oder nie da gewesen war. Oder nicht mehr da war. Oder da sein würde. Oder... Oder aber die Zeit! Die Erinnerung an alles...
Probleme, die mit der Zeit zu tun hatten, bereiteten ihm Kopfschmerzen. Eigentlich war er ja der Ansicht, dass er von diesem Thema besonders viel hätte verstehen müssen. Warum das allerdings offenbar nicht der Fall war, verschloss sich ihm. Er lachte. Das Geräusch klang seltsam. Nicht ungewohnt, er kannte es genau. Aber seltsam. Alles klang seltsam, wenn man nur den Laut hörte ohne ihn mit einem Sinn verbinden zu können.
Er hatte nach Harlan gesucht, um ihn zu fragen warum er ständig lachte. Manchmal lachte Harlan, wenn sie sich begegneten. Die Station war groß, aber irgendwann fand er ihn. Er beschloss ihn zu suchen, drehte sich um und stieß gegen Harlan. Er fluchte, während er sich am Geländer nach oben zog. Harlan kicherte. Er ging zur Sektion 1 um dort einmal nach dem Rechten zu sehen.


* * *


Lange Zeit lebte er einfach so vor sich hin. Dabei war das noch übertrieben: Er lebte nicht, er einfach da. So wie eine Sonne da war, weil sich dort vor langer Zeit einmal Atome gesammelt hatten.
Doch das war nicht schlimm. Ein Stern hatte auch seine Daseinberechtigung. Ihn aber deswegen oder aus einem anderen Grund irgendwie bewerten zu wollen, wäre rein subjektiv gewesen.
Irgendwann tönte ein Master Alarm durch die dunklen Korridore der Station. Der auf einen Bruchteil der alten Größe zusammengeschrumpfte Computer der Station plärrte Warnungen einem maroden Lautsprecher. Es dauerte eine Weile, bis er erkannte, dass dies nicht seiner Erinnerung entstammte, sondern jetzt war.
Er setzte sich in Bewegung. Das Plärren verlor sich in den langen Gängen von Sektion 1. Schnell, aber nicht hektisch, bewegte er sich durch die Dunkelheit zur Energiequelle. Sie drohte sich zu überladen. Der Master Alarm besagte das. Er kannte es zur Genüge, denn es war schon oft vorgekommen. Es war bedrohlich, aber sie wurden damit fertig. Ständig.
Die Energiequelle lag auf ihrer Halterung am Boden. Das rote Licht, das aus ihren Schlitzen strahlte, war wegen der beginnenden Überladung heller als sonst. In dieser grellen Beleuchtung konnte er sehen, dass Harlan hier war und an dem Problem arbeitete. Auch er selbst wusste genau was er zu tun hatte. Es war völlig normal, alles war schon da gewesen.
Was jedoch nicht normal war, das war der weiße Überschlagsblitz, der plötzlich durch den Raum fuhr, genau durch Harlans Brust hindurch.
Harlan ging zu Boden und Jack stürzte zu ihm hin. Im verlöschenden, roten Licht konnte er die große Wunde sehen, die genau bei seinen Energiesystemen lag. Harlan war so gut wie tot.
„Harlan“, sagte er. „Du kannst mich doch nicht hier alleinlassen.“
Der kleine Mann brachte ein Lächeln zustande. „Das hab ich Wallace damals auch gesagt.“ Dann stellte er seine Funktion ein.

Jack blieb neben Harlan knien. Das Leuchten der Quelle war erloschen, die Energiezufuhr versiegt. Er würde sterben.
Sterben gehörte zu den Dingen, die in der Zukunft lagen. Fern und unerreichbar. Es war nicht jetzt... hatte er zumindest geglaubt. Doch da hatte er sich wohl geirrt. Der richtige Zusammenhang war ihm abhanden gekommen.
Zeit! Ihre Eigenschaft war es immer gewesen, dass etwas, das in der Zukunft lag, irgendwann – aber unaufhaltsam – zum jetzt wurde. Man musste das nur einmal begreifen, dann war es ganz logisch.
Die Energiequelle funktionierte nicht mehr – das Lagerfeuer war es erloschen, wie er es immer hatte kommen sehen. Was er jedoch nicht geahnt hatte, war, dass er dabei alleine sein würde. Er hatte sich immer davor gefürchtet, allein zu sterben. Er hatte gehofft, dass seine Freunde bei ihm sein würden. Das Sam bei ihm wäre, wenn es soweit kam.
Zum ersten Mal wurde ihm bewusst, dass Harlan bei einem Master Alarm immer den gefährlicheren Teil des Jobs gemacht hatte. Sie hatten das immer so gemacht und er hatte das nie in Frage gestellt. Er hatte überhaupt in letzter Zeit sehr wenig in Frage gestellt.
Nach Harlans Einsatz wäre es Jack bestimmt möglich gewesen, die Energiequelle zu reparieren – noch war Brennholz da, noch konnte er das Feuer am Leben halten. Doch er wollte nicht allein sein. Er wollte nicht völlig einsam in der dunklen Station leben, wo die einzigen Schritte, die er hörte, nur von ihm stammten. Auf diese Art würde er nicht auf sein Ende warten.
Nein. Wenn das Ende kam, würde er sich nicht dagegen stellen. An diesem Entschluss hielt er fest. Seine Freunde hatten den Tod gesucht. Er würde das nicht tun müssen, denn der Tod würde von selbst zu ihm kommen. Er fürchtete ihn nicht. Er würde nicht vor ihm davonlaufen.
Jack sank neben Harlan auf die Seite. So hatte es immer sein sollen. Ein alter Mann, der wusste, dass er sterben würde, aber keine Angst davor hatte.
Seine Gedanken drifteten zurück in die Vergangenheit. Die Welt dort war ihm zuletzt so unglaublich fern erschienen, dass er an der Realität seiner Erinnerung gezweifelt hatte. Er hatte sich weit von der Wirklichkeit entfernt, doch nun, im Angesicht des Todes, kehrte er zu seinen Wurzeln zurück und wie als ob sein Hirn noch einmal seine letzte Kraft aufbringen wollte, begann sich die Verwirrung, die ihn umfangen hatte, zu lösen.
Erst jetzt, wo er bereit war zu sterben, verwandelte er sich vom dahinvegetierenden Unsterblichen wieder zurück zum Menschen. Dabei reiste er mit seinen Gedanken nicht nur zurück in die Vergangenheit, sondern auch zurück in seiner geistigen Entwicklung. Und so war plötzlich wieder der Gedanke an den Anderen in seinem Kopf, für den bisher kein Platz mehr gewesen war.
Er hatte ihm längst verziehen, dass er sein Leben gelebt hatte. Doch wie es nun tatsächlich ausgesehen hatte, das hatte er sich nie gefragt. Selbst damals nicht, als die Erinnerungen noch frisch gewesen waren. Er hatte nie erfahren, ob das Leben seinen Wünschen und denen des anderen entsprochen hatte.
Vielleicht war er eines Tages nicht auf der Erde zurückgekehrt. War auf einem anderen Planeten gefallen. Oder aber er war gealtert, friedlich in Rente gegangen, hatte sich mit seiner Frau versöhnt und Sam geheiratet. Er hatte seinen Lebensabend an seiner Holzhütte an dem kleinen See verbracht, an dem man ewig fischen konnte, ohne je Stress mit einem anbeißenden Fisch zu bekommen.
Doch was war inzwischen aus der Menschheit geworden? Jack hatte früher nie derart langfristig gedacht. Erst heute eröffnete sich ihm diese Perspektive und er war frei genug, darüber nachzudenken. War die Menschheit überhaupt in der Lage so lange zu leben, wie er es getan hatte? War vielleicht das eingetreten, was viele Pessimisten befürchtet hatten und sie hatte sich selbst ausgelöscht?
Erschwerend kam noch hinzu, dass sie da draußen schließlich nicht nur Freunde gehabt hatten. Schon auf ihrer ersten Reise damals waren sie den Goa’uld auf die Füße getreten und das hatten diese ihnen nie verziehen. Hatten die Goa’uld sich inzwischen in ihren Bruderkriegen ausgelöscht? Aber selbst, wenn das der Fall war, so gab es im Universum bestimmt noch andere Wesen, die über die Erde hergefallen konnten, um sie in einen Schlackeklumpen zu verwandeln.
Genauso gut war es möglich, dass die Erde Alliierte gefunden hatte, mit denen sie sich zu verteidigen vermocht hatte. Die Möglichkeit bestand, dass die Menschheit durch die Stargates und mit Raumschiffen konsequent ins All vorgestoßen war und endlich in dem Ozean schwamm, in dem sie sich vorher allenfalls die Füße gekühlt hatte. Die Menschen waren seit Jahrtausenden zahlenmäßig das dominante Volk in der Milchstraße gewesen. Sie könnten sich alle unter einer gemeinsamen Führung zusammengefunden haben.
Nirgendwo war das Universum weiter weg als hier. Vielleicht war es voll von Menschen, die friedlich mit all den anderen Wesen des Universums zusammen lebten ohne das er etwas davon mitbekam.
Jack hätte in seinem langen Leben gerne ein wenig Weisheit erworben. Er hatte über das Leben und das Universum nachgedacht, Theorien darüber aufgestellt, sich selbst von ihrer Richtigkeit überzeugt, nur um sie dann wieder zu verwerfen. Sehr viel Zeit hatte er dafür gehabt, aber letztlich war er nur so schlau wie vorher geblieben. Ob es vielleicht doch eine Kraft oder einen Gott gab, der alles lenkte oder es die Naturgesetzte waren, die in ihrer quantenmechanischen Unvorhersehbarkeit das Universum zusammenhielten – wenn er ehrlich zu sich war, wusste er es bis heute nicht. Aber vielleicht war ja gerade das die größte Weisheit: Ich weiß, das ich nichts weiß.
Seine Energie neigte sich dem Ende zu, schon konnte er sich nicht mehr bewegen. Es tat nicht weh, wenn man sich nicht dagegen wehrte.
Sein Leben war hart gewesen. Er hatte viel durchmachen müssen, aber es war auch schön gewesen. Er bereute es nicht, dass er damals die Station nicht verlassen hatte. Aber wenn er noch zu lange hier gelebt hätte, dann hätte sich das vielleicht geändert. Deswegen ging er jetzt.
Er spürte, wie Dunkelheit ihn umfing. Es war nicht das Fehlen von Licht, sondern eine Dunkelheit des Geistes. Die Welt um ihn herum schien schrumpfen. Bald würde darin kein Platz mehr für ihn sein, dann wäre da nur noch die Dunkelheit. Wir haben bereits länger gelebt, als es uns zugestanden hätte.
Das Universum wurde kleiner und kleiner, verwandelte sich in einen Punkt. Und irgendwann war dann da nichts mehr. Kein Universum. Keine Dunkelheit. Kein Jack O’Neill...


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Epilog by Sphere


Epilog


200.000 Jahre nach dem Tod von Jack O’Neill erreichte ein Forscherteam die inzwischen in weiten Teilen verschüttete Station. Ironischerweise waren diese einzigen Lebewesen, welche die Station noch einmal zu sehen bekamen, keine Menschen. Sie entstammten nicht einmal der Milchstraße, sondern waren dort nur auf der Durchreise. Sie blieben nicht lange genug, um die Tragödie zu erkennen, die sich hier abgespielt hatte.
Es dauerte noch ungefähr zehn Millionen Jahre, bis sich Altair wieder von den Verwüstungen erholte, die seine Bewohner angerichtet hatten. In den Ozeanen begann sich wieder Leben zu entwickeln, doch der Planet bekam nicht noch einmal die Chance ein intelligentes Volk hervorzubringen, da sich seine Sonne zu einem roten Riesen ausdehnte und die inneren Planeten einschließlich Altair verschluckte.
Heute zeugen von dem Sonnensystem nur noch die ausgebrannten Überreste eines weißen Zwerges, der irgendwo durch die Leere des Alls schwebt.


ENDE


(c) Peter Kollmann

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