Schwarzes Eis by Shendara
Summary: Daniel versucht, aus Jack Details über eine Mission herauszubekommen, an die er sich selbst nicht mehr erinnern kann.
Categories: Stargate SG-1 Characters: Daniel Jackson (SG-1), Jack O’Neill (SG-1), Multi-Chara
Genre: General, Romance, Slash
Challenges: Keine
Series: Keine
Chapters: 1 Completed: Ja Word count: 7157 Read: 3157 Published: 09.05.12 Updated: 09.05.12
Story Notes:
Ich weiß, dass diese Story teilweise stark an die Folge Solitudes erinnert, hoffe aber, dass im Endeffekt die Unterschiede doch überwiegen. Vielen, vielen Dank an Antares, die dieses Monster einer Story (von der Handlung her, nicht der Länge) rechtschreibmäßig in Ordnung gebracht und etliche Plot-Löcher gestopft hat. Ohne sie wäre das Ganze hier eine Ansammlung von Szenen, die im Endeffekt absolut keinen Sinn ergeben.

1. Kapitel 1 by Shendara

Kapitel 1 by Shendara
Schwarzes Eis


"Nein." Er schloss seine Augen und wünschte, dasselbe auch mit seinen Ohren machen zu können. Er wollte nichts davon hören. Damals nicht, jetzt nicht und in Zukunft auch nicht. Warum, zum Teufel, konnte Daniel es nicht einfach vergessen? In dem Moment, in dem er sich selbst die Frage stellte, hatte Jack auch schon seine Antwort: Weil es Daniel war, mit dem er es hier zu tun hatte, darum.

"Jack..." Sein Name war das einzige Wort für eine Weile, bevor Daniel zum nächsten, endgültigen Schlag ausholte. Das Argument, von dem er genau wusste, dass Jack ihm nichts entgegenzusetzen hatte, und sei aus auch noch so irrational. "Ich war dabei, ich habe es erlebt. Habe ich jetzt nicht auch ein Recht darauf, zu erfahren, was genau passiert ist?" Eine Hand legte sich auf seine rechte Wange und Jack reagierte automatisch, legte den Kopf schief und drückte sich etwas fester gegen Daniels Handfläche. Es war immer das Gleiche - eine leichte Berührung von Daniel und er konnte ihm nichts mehr entgegen setzen.

Verdammt. Er hasste es, wenn Daniel ihm auf diese Tour kam. "Es wird dir nicht gefallen." Als ob er das nicht schon längst wusste. Die Hand bewegte sich weiter, bis sie in seinem Nacken lag und leichten Druck ausübte. Nicht wirklich fordernd, aber auch nicht nachgebend. Einfach da und nicht zu vergessen. Genau wie Daniel selbst.

"Auf diese Idee wäre ich nie gekommen. Also?" Neugierig, erwartungsvoll... er sollte dafür dankbar sein, dass Daniel überhaupt noch Fragen stellen konnte und er in der Lage war, sie zu beantworten.

Was die Erinnerungen an diese eine Mission aber auch nicht wirklich erträglicher machte.



"Daniel? Daniel!" Wie auch schon die zig Male zuvor, in denen er versucht hatte, Daniels Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, versagte Jack. "Komm schon, Danny. Verdammt, das Spiel wird langsam alt, Zeit, dir was Neues einfallen zu lassen." Noch während die Worte seinen Mund verließen, wünschte er sich zum tausendsten Mal, dass es wirklich so einfach wäre.

Ein Spiel. Ein Spiel, dass einem der Teilnehmer nicht mehr gefiel und deshalb abgebrochen wurde.

Doch sie waren keine Kinder auf dem Kinderspielplatz und er war nicht der Junge, der den anderen den ganzen Spaß verdarb.

Er war ein Air Force Colonel, der seit über einer halben Stunde verzweifelt versuchte, zu seinem besten Freund durchzudringen. Erfolglos.

Er war der befehlshabende Offizier eines Teams, das aus nur noch aus zwei Mann bestand, beide verletzt.

Er hatte mehr Angst, als jemals zuvor in seinem Leben.

Und Daniel hatte sich zurückgezogen... dorthin wohin er sich in letzter Zeit öfter und öfter verkroch. Irgendein Platz tief in ihm drinnen, an dem ihm nichts und niemand erreichen konnte.

Verdammter Sarkophag. Auch kein neuer Gedanke, ganz im Gegenteil. Eher sein häufigster in den letzten Wochen. Seit ihrem letzten Besuch auf Shylas Planet. Seitdem Daniel sich vom Rest des Teams emotional zurückgezogen hatte. Und trotzdem war es nicht Daniels, sondern seine Schuld, dass sie jetzt hier festsaßen.

"Daniel, komm schon..." Wut brachte nichts, genauso wenig wie Beleidigungen, Flüche oder Betteln. Eo auch immer Daniel war, was auch immer sich jetzt in ihm abspielte, er war in seiner eigenen Welt - seiner persönlichen Hölle - und nichts und niemand brachte ihn da raus, bevor er nicht dazu bereit war.

Und diesmal würde er von seiner selbstgeschaffenen Hölle in einer, die Colonel Jack O'Neill verbrochen hatte, erwachen.

Einer Hölle aus Eis und Kälte und Tod. Einer Hölle, deren einziger Ausweg wohl der Tod war.

"Jack?" Leise und unsicher, aber eindeutig sein Name. Gesprochen von Daniel. Es riss Jack aus seinen Selbstvorwürfen und lenkte ihn für ein paar Sekunden von Schmerzen und Kälte ab. Danke, Gott.

"Hey, Daniel. Wieder bei mir?"

Daniel ignorierte die Frage - wie zu erwarten. "Was ist passiert?"

"Wir sitzen fest."

"Wo? Und, Jack?"

"Ja?"

"Sag' jetzt nicht hier, bitte. Sag es nicht."

"Okay."

Die Unterhaltung erstarb, als beide Männer mit den Augen die Umgebung absuchten, in der Hoffnung, die Richtung wiederzufinden, in der das Gate lag.

Dass es ein hoffnungsloses Unternehmen war, war ihnen beiden klar. Sie befanden sich in einer kleinen Höhle - kaum groß genug, um diese Bezeichnung überhaupt zu verdienen -, die sie zumindest ein wenig vom eiskalten Wind schützte. Hinter ihnen eine riesige Bergkette, in alle anderen Himmelsrichtungen erstreckte sich endlose, schwarze Leere - eine zugefrorene Landschaft, in der hin und wieder Steine oder tote Bäume auftauchten, aber sonst nichts. Gar nichts. Das Stargate war in irgendeiner dieser Richtungen, meilenweit entfernt; der Rest des Teams mittlerweile zurück auf der Erde. Falls sie seine Befehle befolgt hatten. Jack runzelte die Stirn - er würde sich damit beschäftigen, wenn es vorbei war. Aber er hatte Vertrauen - sein Team wusste, was das Beste war und dass es immer gut war, seinen Befehlen ohne Fragen zu folgen. Sie waren immerhin beim Militär.

Oh, yeah. Und wie of hat Daniel genau einen meiner Befehle ignoriert, wenn er ihm nicht gerade passte? Seit wann gibt Teal'c was aufs Protokoll? Und seit wann verhält Carter sich ihrem Rang entsprechend, wenn ich nicht in der Nähe bin?

Jack hoffte, dass die anderen beiden wenigstens dieses eine Mal seine Befehle befolgt hatten - der Gedanke daran, dass außer ihm und Daniel auch noch der Rest von SG-1 auf diesem Planeten draufging, war ihm ganz und gar zuwider.

"Jack?"

"Hmm?"

"Wie schlimm sind wir dran?"

Eine gute Frage, eine verdammt gute sogar. Das Licht war weg, es war stockdunkel und Jack sah keinen Sinn darin, die Batterien seiner Lampe zu verschwenden, wenn es nicht unbedingt notwendig war.

Lügen, Beschönigungen - es ist nicht so schlimm, wirklich nicht - schossen ihm durch den Kopf, doch schlussendlich entschied er sich doch für die Wahrheit. Daniel war kein Kind, er konnte die Wahrheit vertragen. Abgesehen davon, dass Jack nicht auf die Szene neugierig war, die ihm blühte, sobald Daniel erkannte, dass er belogen worden war.

"Verdammt schlimm. Geschätzte zwei Gehstunden vom Gate entfernt - aber der Teufel allein weiß, in welche Richtung. Es ist kalt, wie du sicher schon bemerkt hast, und ich schätze mal, dass es im Verlauf der Nacht noch wesentlich kälter werden wird." Wie sie das überleben sollten wusste er zwar noch nicht, aber wie schon das Problem mit Teal'c und Carter schob er es beiseite; er würde sich darum kümmern, wenn es soweit war. Live in the Moment und so weiter und so fort. "Wir sind beide in beschissener Verfassung..."

Er kam nicht weiter, Daniels nächste Frage raubte ihm für einige Zeit den Atem und blockierte sämtliche Gedanken. "Was ist passiert, Jack?"

Was ist passiert? Was ist passiert?! "An was kannst du dich erinnern?" War es vielleicht doch mehr als nur ein kleiner Kratzer? Eine ernsthafte Kopfverletzung? Und wenn ja, was lauerte sonst noch alles unter der dicken Kleidung? Erinnerungsverlust war immer kritisch - vor allem, wenn man so etwas wie eine gottverdammte Lawine vergaß.

Für einige Minuten herrschte Stille und Jack glaubte schon, dass Daniel wieder das Bewusstsein verloren hatte oder dorthin zurückgegangen war, doch schließlich antwortete er. "Das Briefing, die Vorbereitungen auf die Mission. Die Ankunft hier auf... wie war noch mal der Name?"

Shit. "Ist nicht wichtig, Daniel. Ich weiß es selbst nicht mehr." Das war gar nicht mal so weit hergeholt. Diese ganze PX-Buchstaben-Zahlen-Kombinationen gingen allesamt langsam aber sicher ineinander über, bis man sie fast nicht mehr auseinander halten konnte. Und das hier war ein Planet, dessen Bezeichnung er ganz besonders gerne vergessen hätte. Daniel nahm die Worte mit einem unartikulierten Laut zur Kenntnis - derart atypisch, dass Jacks Angst gleich noch ein paar Markierungen auf der Skala hinaufschnellte.

"Egal", sagte er nach einiger Zeit. "Wir haben uns umgesehen aber nichts gefunden. Du hast dich beschwert - nichts Neues dabei." Jack konnte bei dem Kommentar ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken. "Ich erinnere mich noch vage daran, dass wir zum Gate zurückwollten. Dann... nichts mehr, sorry."

"Teal'c und Sam sind vorausgegangen", beantwortete Jack die ungestellte Frage. "Wir wollten in wenigen Minuten nachkommen - der Ruf der Natur, wenn du weißt, was ich meine." Und das war es, was es am Schwersten machte. Dass im Grunde genommen er daran Schuld war, dass sie jetzt hier festsaßen. Er und seine verdammten, nur allzu menschlichen Bedürfnisse. "Du wolltest auf mich warten. Wir waren in der Nähe eines Abhangs, als plötzlich das ganze Ding auf uns runterkrachte." Zumindest hatte es sich so angehört und angefühlt. In Wirklichkeit, schätzte Jack, waren es wohl eher nur die oberen Schnee- und Eisschichten, vermischt mit losem Gestein, die sich auf der Steigung nicht länger halten konnten und ausgerechnet in dem Moment lösten, in dem zwei Fremde von einem anderen Planeten genau darunter gestanden hatten.

Das Universum war unfair. Sein Sinn für Humor war auch alles andere als gut.


"Das ist doch noch nicht alles gewesen, oder?" durchbrach Daniels Stimme das Gewirr aus Erinnerungen und halb verdrängten Ängsten.

"Nein, ist es nicht. Aber wenn du es hören willst, musst du warten, bis ich soweit bin, oder wir vergessen das Ganze sofort, klar?"

"Okay." Leise und beruhigend. Jack seufzte.

"Tut mir Leid. Es ist nur so..." Hilflos brach er ab, unfähig in Worte zu fassen, was ihm derart zu schaffen machte. Worte waren noch nie seine Stärke gewesen, ganz im Gegensatz zu Daniel. Es war wohl eine Ironie des Schicksals, dass jetzt ausgerechnet er Daniel erzählen musste, was passiert war.

Ich sollte froh sein, überhaupt die Chance zu haben, es ihm zu erzählen. Wie ging noch einmal das alte Sprichwort, das Daniel vor ein paar Wochen gebraucht hatte? Ein wahrer Wort ward nie gesprochen? Genau, das war es. Das erste Mal seit Beginn des Berichts - und als das sah er es an, um nicht ganz dem Terror zu verfallen - hob Jack den Kopf und suchte Blickkontakt mit Daniel.

Einem lebendigen und gesunden Daniel, trotz allem. Ein paar Narben mehr, aber was machte das schon aus? Daniel hatte den einen Eisplaneten überlebt; er gleich zwei von Sorte. Wie groß waren die Chancen dafür? Nicht, dass es ihn interessierte, aber er wettete, Carter konnte es ihm ausrechnen.

"Jack?"

"Ja, ja. Sofort." Zeit, wieder in so etwas wie Ordnung in seine Gedanken zu bringen, damit diese Farce hier endlich zu Ende gehen konnte. Warum eigentlich quälte Daniel ihn damit und las nicht einfach die Missionsberichte? Und warum kam er jetzt damit, nach mehr als zwei Jahren?

Jack kannte die Antworten auf diese Fragen, bloß wollte er nicht darüber nachdenken. Stattdessen erzählte er weiter.


"Wie schlimm?", wiederholte Daniel. Er klang schwächer als zuvor und für einen Moment spielte Jack mit dem Gedanken, die Taschenlampe zu gebrauchen, um seinen Zustand zu überprüfen, doch er verwarf den Gedanken wieder. Zu einem guten Teil aus Angst vor dem, was er finden würde.

Abgesehen davon ging er jede Wette ein, dass es Daniel - Kopfverletzung hin oder her - besser ging als ihm selbst. Und er wollte verhindern, dass Daniel herausbekam, wie mies es ihm wirklich ging.

"Schlimm", murmelte er. "Dein Kopf hat etwas abbekommen", und zwar mehr, als ich ursprünglich angenommen hatte, "rechtes Handgelenk gebrochen", das war das erste gewesen, was ihm aufgefallen war, "und dazu sicher noch ein paar Millionen Prellungen und Quetschungen." Einmal ganz zu schweigen von eventuellen inneren Verletzungen.

"Und du?"

"Ich bin okay."

"Klar bist du das. Und ich habe keine Kopfschmerzen und kalt ist mir auch nicht. Jack, ich will es wissen. Wir sitzen hier fest, ich habe ein Recht darauf, zu erfahren, wie unsere Chancen stehen."

Chancen? Welche Chancen? Sie waren so gut wie tot, bloß bisher noch nicht bereit dazu, sich einfach hinzulegen und mit dem Atmen aufzuhören. Mit der Betonung auf noch.

"Null."

"Was?"

Gott, war Daniel heute mit Absicht derart schwer von Begriff? Er hat einen auf den Kopf bekommen, du Idiot, wies er sich gleich darauf selbst zurecht. Seine eigenen Gedanken waren ein Wirrwarr, in dem er sich kaum mehr auskannte - oder zumindest noch weniger als sonst - er wollte sich nicht einmal vorstellen, wie es in Daniels Kopf zugehen musste. "Unsere Chancen? Nicht existent. Carter könnte sie dir vielleicht genau auf zehn Stellen hinter das Komma berechnen, aber du wirst mit meiner Einschätzung der Lage zufrieden sein müssen."

"Wie schlimm?"

"Wie schlimm was?" War es nur er, oder machte Daniel wirklich von Minute zu Minute weniger Sinn?

"Wie schlimm bist du verletzt? Und keine Ausreden, Jack. Ich weiß genau, dass es dir schlecht geht. Ich will jetzt nur noch wissen, wie schlecht, okay?"

Jacks erste Reaktion war ein unwissendes und hilfloses Schulterzucken, was Daniel nicht sehen konnte. Er hörte aber das harsche Ausatmen Jacks, als die schlichte Bewegung Schmerzen durch seinen Körper jagte.

"Jack?"

Daniels Stimme drang zu ihm durch, half ihm dabei, die Schmerzen wieder unter Kontrolle zu bringen. Er hatte keine Ahnung, wie lange es dauerte, doch schließlich erlosch das Feuer des akuten Schmerzes und ließ nur die konstanten Schmerzen, die er in den letzten geschätzten drei Stunden seit der Lawine zu ignorieren gelernt hatte, zurück.

"Jack!"

Rollentausch. Es war nicht amüsant, absolut nicht, doch trotzdem konnte Jack ein Lachen nur knapp unterdrücken. Lachen war zuviel Bewegung. Zuviel Bewegung sorgte dafür, dass er sich den Tod wünschte. Und der Tod durfte ihn erst holen, wenn er Daniel irgendwie in Sicherheit gebracht hatte. Er hatte keine Ahnung, wie er das schaffen sollte, aber es wäre wirklich nicht das erste Mal, dass er das Unmögliche ohne vorherige Planung schaffte.

"Keine Ahnung", brachte er schließlich heraus. "Aber es fühlt sich nicht gut an... ganz und gar nicht."

Er konnte zwar nicht sehen, aber stattdessen fühlen und hören, wie Daniel näher kam. Es dauerte einige Zeit und es war deutlich, wie viel Kraft es Daniel kostete, doch schlussendlich hatte er den knappen halben Meter, der ihn von Jack trennte, überwunden. Seine Körperwärme war genau das, was sein unterkühlter Körper jetzt brauchte und instinktiv lehnte Jack sich an ihn. Daniels einzige Reaktion darauf war, einen Arm um Jacks Schultern zu schlingen und ihn näher an sich zu drücken, während er mit der zweiten Hand versuchte, sich einen Eindruck von Jacks Zustand zu machen. Sein gebrochenes Handgelenk schien er für den Moment vergessen zu haben und Jack war zu ko, um ihn daran zu erinnern, besser auf sich selbst aufzupassen. Außerdem... was brachte es jetzt noch? Tot waren sie ja sowieso.

"Wo ist deine Taschenlampe?"

"Neben mir. Wozu?"

"Ich will wissen, wie's dir geht. Dazu muss ich dich sehen."

Oh. Irgendwo, irgendwie wusste Jack, dass seine Frage überflüssig war und ihm die Antwort auch so hätte klar sein müssen. Wäre sie vermutlich auch gewesen, wenn sein Gehirn nicht halb eingefroren wäre und er noch halbwegs klar denken könnte. So, wie die Dinge aber im Moment aussahen, war er froh, dass er überhaupt noch denken konnte.

"Verdammt..."

Erst Daniels leiser Fluch riss Jack aus seinen Überlegungen und es dauerte noch ein paar Sekunden mehr, bevor er überhaupt bemerkte, dass Daniel mittlerweile die Taschenlampe gefunden und eingeschaltet hatte. Verflucht, er musste um etliches schlimmer dran sein, als er bisher gedacht hatte, wenn er schon nicht mehr mitbekam, was sich direkt vor seiner Nase abspielte.


"Ich erinnere mich... dunkel", sagte Daniel, als Jack wieder einmal eine Pause in seiner Erzählung einlegte.

"Was?" Jack hatte Angst; er wollte nicht, dass Daniel sich an diese Mission erinnerte. Es war eins der wenigen Dinge in seinem Leben, für die er wirklich dankbar war - schlimm genug, dass er sich daran erinnern musste, dass er Alpträume darüber hatte. Bitte nicht auch noch Daniel. Nicht Daniel, der auch so schon viel zu viele Dämonen hatte, die ihm das Leben erschwerten, wenn schon nicht zur Hölle machten.

Es herrschte Stille, während Daniel seine Gedanken ordnete und versuchte, alte und neue Erinnerungen mit Jacks Erzählungen und den Missionsberichten in Einklang zu bringen. Jack betete - auch wenn er nicht wusste, zu wem; wenn man es tagtäglich mit Aliens, die sich als Götter ausgaben, zu tun hatte, war es schwer, sich den Glauben zu erhalten -, dass die Erinnerungen weiterhin unter Schock und wusste der Teufel was sonst noch vergraben blieben.

Er wusste auch so, dass ihm seine Bitte nicht erfüllt werden würde. Warum auch? Ihm wurde fast nie ein Herzenswunsch wirklich erfüllt, warum also dieser hier? Eben, genau. Deswegen war Daniels nächste Worte zwar unerwünscht aber alles andere als unerwartet.

"Ich... ich kann mich wieder erinnern." Leise, unsicher, aber Jack war davon überzeugt, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis Daniel die neuen Erinnerungen in seinem Kopf als Wahrheit erkannte und sie schließlich akzeptierte.

Mit einem leichten Kopfschütteln wandte Jack sich ab und starrte aus dem Fenster hinaus auf die verlassene Straße. Drei Uhr Nachts, jeder normale Mensch schlief. Aber was war an ihm und Daniel schon normal? "Toll." Zehnmal zu ironisch und überhaupt eine viel zu flapsige Erwiderung. Aber was sollte er groß sagen oder tun? Schreiend das Schicksal verfluchen? Daniel beschwören, dass alles nur eine Ausgeburt der teuflischen Schmerzen in Verbindung mit akuter Todesangst war? Vergiss' es, er glaubt es dir nie. Abgesehen davon wollte er Daniel nicht anlügen. Hatte es von Anfang an, seit dem Ende der Mission, seit dem Moment, an dem ihm klar geworden war, dass Daniel sich an nichts mehr erinnern konnte, nicht gewollt.

Er hatte auch nie gelogen. Er hatte bloß nicht alles erzählt.

Er wollte Daniel nur die Wahrheit ersparen. Er hätte wissen müssen, dass es sinnlos war und sein damals anscheinend so guter Plan ihm früher oder später auf den Kopf fallen würde. Alles in allem war es ein Wunder, dass es zwei Jahre lang gut gegangen war. Zwei Jahre waren eine verdammt lange Zeit, vor allem in einer Branche wie der ihren. Vielleicht war es genug, um die Sache rational besprechen zu können.

Und Jack würde einmal in seinem Leben wirklich mit einem anderen Menschen über sein Innenleben sprechen und nicht länger in Lügen, Halbwahrheiten und Sprüchen Zuflucht suchen. Daniel hatte die Wahrheit verdient - oder zumindest Jacks Sicht der Dinge - und Jack wollte die Last endlich mit jemanden teilen.

Als die Entscheidung gefallen war, wandte Jack sich wieder um und suchte Daniels Blick - nur um angesichts Daniels ruhiger, nicht im geringsten wütender Haltung total aus dem Gleichgewicht gebracht zu werden. Das war es nicht, was er erwartete hatte, ganz und gar nicht. Wut, Ärger... all das und noch mehr. Aber keine stille Akzeptanz. Und doch hätte genau damit rechnen müssen, oder? Das hier war immerhin Daniel.

"Erzähl weiter."

"Daniel..."

"Nein, Jack." Daniel hob eine Hand, unterband damit jeden weiteren Einwand von Seiten Jacks. "Ich verstehe. Ich verstehe dich vermutlich besser als du dich selbst." Er lächelte leicht bei diesen Worten, doch es verschwand sofort wieder, als er weitersprach. "Ich kann mich erinnern... oder zumindest glaube ich, dass ich es tue. Was aber nichts daran ändert, dass ich es hören will. Deine Sicht der Dinge. Ich will eine andere Perspektive als die meine." Haltung, Blick... nichts sprach davon, dass Daniel tief in seinem Inneren Warum hast du es mir nie gesagt? Warum das jahrelange Versteckspiel? schrie. Wenn er es getan hätte, wäre es vielleicht leichter gewesen. Aber diese stille Akzeptanz... so typisch Daniel. Und genauso typisch von Jack, dass sie ihn wütend machte. Aber nicht jetzt. Zuviel stand auf dem Spiel.

Jack schluckte seinen Ärger hinunter und nickte, er konnte Daniel seine Sicht der Dinge geben. Mehr auch nicht. Keine Erklärungen für das Wie und Warum oder gar das Wieso, keine Absolution, keine Entschuldigung. Bloß ein weiterer Bericht, nur mit etwas mehr Details als der, der in irgendeiner Akte im SGC verschimmelte.


"Warum hast du nichts gesagt?" Daniel wäre wohl wütend geworden, hätte er noch die Kraft dafür gehabt. So allerdings kam seine Frage etwas atemloser und leiser, als er sich eigentlich gewünscht hätte - was allerdings nichts daran änderte, dass er seine Meinung und Gefühle mit den leise gezischten Worten genauso gut oder vielleicht sogar noch besser vermittelte, als wenn er geschrieen hätte.

Jack zuckte leicht zusammen und konnte ein leises Stöhnen nicht unterdrücken, als Daniels rechte Hand weiter über seine Schultern und den Oberkörper wanderte und dort nach Verletzungen suchte. Verdammt, das war absolut nicht notwendig! Er wusste auch so, dass da einige gebrochene Knochen lauerten, er brauchte keine Bestätigung durch Dr. Jacksons unsanfte Berührungen.

"Sorry." Jacks wort- aber nicht lautloser Protest sorgte augenblicklich dafür, dass Daniels Bewegungen langsamer, koordinierter - und um vieles sanfter - wurden.

Am Ende der flüchtigen Untersuchung ließ Daniel sich bloß mit einem leisen Seufzen neben Jack hinfallen, nachdem er die Taschenlampe wieder abgeschaltet hatte. Ein Beweis dafür, wie viel er in seinen knappen zwei Jahren beim Militär schon aufgeschnappt hatte. Für einen Moment fragte Jack sich, wie die Sache wohl in weiteren drei oder vier Jahren aussehen würde - nur um vor der Antwort zurückzuschrecken. Er wollte sich Daniel nicht als Soldat vorstellen, ihm war die Wissenschaftler-Version wesentlich lieber.

Aber trotzdem... wie lange konnte ein Mann den Horror, dem sie sich fast tagtäglich ausgesetzt sahen, durchhalten, bevor er sich veränderte? Und dann als zynischer Bastard endet - bestes Beispiel dafür ein gewisser Colonel Jack O'Neill. Verdammt, jetzt war er wohl endgültig soweit, dass er über das ernsthafteste Thema nicht nachdenken konnte, ohne zumindest in Gedanken einen Spruch dazu abzulassen. Gab ihm wirklich zu denken, ob es nicht klüger gewesen wäre, wenn er nach der ersten Abydos-Mission wirklich Schluss gemacht hätte. Auf welche Art und Weise auch immer.

Was, zum Teufel, tat er eigentlich noch hier, im Stargate-Programm? Außer Befehle erst in Frage zu stellen und dann doch wie der brave kleine Soldat, der er nun mal war, zu befolgen? Außer, sein Team immer und immer wieder in Lebensgefahr zu bringen?

Damit ist jetzt ja Schluss, oder? Es ist aus und vorbei, Jack. Du bist so gut wie tot und mit dir geht auch noch Daniel mit drauf. Tolle Leistung.

"Wir brauchen ein Wunder." Daniel konnte über die Worte auch nicht überraschter sein als er selbst. Sie hatten, ohne den Umweg über sein Gehirn zu machen, einfach so seinen Mund verlassen.

"Wäre nicht das erste Mal, dass wir auch eines bekommen."

Autsch. Es tat weh, sich selbst mit Daniels Stimme reden zu hören. "Dann sollten wir mal hoffen, dass unser Vorrat noch nicht erschöpft ist." Sarkasmus war noch immer sein Spiel und er war der ungeschlagene Meister darin.

"Jack?"

"Hmm?"

"Es tut mir leid."

"Was?" Die Frage war überrascht, neugierig... verwirrt. Wofür hatte Daniel sich zu entschuldigen? Wenn sie schon soweit waren, sollte er derjenige sein, der sich entschuldigte. Immerhin waren sie wegen ihm in die Lawine geraten.

"Was ich im Büro gesagt habe. Vor der Mission. Ich habe es nicht so gemeint."

"Und denk daran: Diesmal pass darauf auf, wo du deine
Waffe ablegst, okay?"

In Daniels Augen blitzte es kurz auf, doch nach einer Sekunde hatte er sich
wieder unter Kontrolle und gab ein knappes "ja, Jack", zurück.

Nicht genug. Bei weitem nicht. Wenn Daniel schon dumm - nein, nicht
dumm, VERGESSLICH
- genug war, um seine Waffe auf einer Mission frei
zugänglich liegen zu lassen, hatte er es verdient, auf dieses Versehen aufmerksam
gemacht zu werden. Diesmal war nichts geschehen. Aber was
war das nächste Mal?

Wiederholt. So circa fünfzig Mal am Tag und hundert Mal vor Beginn der
nächsten Mission.

"Versprich es mir", verlangte er.

"Gott, Jack! Ja, von mir aus, ich verspreche es. Zufrieden?"

"Das klang nicht sonderlich ehrlich." Er wollte sich den Kommentar wirklich
verkneifen, aber er schlüpfte trotzdem durch die mentalen Filter und wurde
ausgesprochen. Shit.

Daniel sah nicht einmal von seinem Buch auf, als er seine Antwort gab. "Du
hast mir versprochen, zu helfen, Sha'uri wieder zu bekommen - ich habe
bisher davon noch nichts davon mitbekommen, dass wir es wirklich
versuchen. Ich habe zumindest vor, mein Versprechen zu halten, was ist mit dir?"

Der Kommentar saß und Jack hatte keine Antwort darauf. Mit einem mentalen
Schulterzucken verließ er Daniels Büro, um eine - irgendeine –
Beschäftigung zu finden.

Was er im... Verdammt, Danny, versuchst du jetzt noch schnell deinen Frieden mit mir zu machen? Der Gedanke brachte ein leicht hysterisches Gefühl mit sich, doch Jack konnte die Energie, sich darum zu kümmern, nicht länger aufbringen. "Schon okay. Vergeben und vergessen." Und du hattest Recht. Nicht einmal jetzt brachte er es fertig, die Worte laut auszusprechen.

"Ich meine es wirklich. Es tut mir leid."

Gott... "Ich weiß, Daniel, ich weiß." Unbewusst wurde seine Stimme leiser und weicher - ein verzweifelter Versuch, dafür zu sorgen, dass Daniel ohne völlig überflüssige Schuldgefühle wegen eines dummen Kommentars in den Tod ging? Jack hoffte zwar, dass es nicht der Fall war, wurde das Gefühl aber nicht los, dass es genau das war. "Außerdem", sagte nach einer Weile, "hattest du Recht." Da, er hatte es gesagt. Warum nur fühlte er sich nicht besser?

"Trotzdem hätte ich dich nicht so angehen sollen."

Nein, hättest du nicht. Aber ich hätte vielleicht etwas mehr Taktgefühl zeigen sollen und dir Rede und Antwort stehen, als es um Sha'uri ging. Ich würde sagen, wir sind quitt. "Du hattest deine Gründe." Und zwar bessere, als ich. Sein Grund? Feigheit. Er wollte es nicht sein, der Daniel verkündete, dass die Suche nach Sha'uri bei den Missionsprioritäten so weit unten war, dass es nicht einmal erwähnt wurden. "Du warst ehrlich. Das ist mehr, als was ich von mir behaupten kann."

"Ich bin nicht naiv. Ich weiß, wie unwichtig Sha'uri für das SGC ist und ich weiß, wie wichtig meine Arbeit ist. Und ich weiß auch, wie unsinnig es ist, noch weiter zu hoffen."

Alles, nur das nicht. Er wollte nicht, dass Daniel die Hoffnung aufgab. Solange es noch wenigstens eine Person im Team - verdammt, im SGC, dem gesamten gottverdammten Programm - gab, die sich ihre Illusionen nicht von der kalten, grauen Wirklichkeit rauben ließ, konnte auch er, Jack O'Neill, noch daran glauben, dass ihre Arbeit irgend einen Sinn hatte. Dass es wirklich Menschen auf der Erde gab, die es wert waren, vor den Goa'uld beschützt zu werden.

Aber was, wenn Daniel diese Unschuld, diese Naivität verlor? Ein weiteres Opfer dieses nicht ganz so kalten Krieges wurde? Der Gedanke war zu viel, zu deprimierend, um weiter verfolgt zu werden und mit einem lauten Seufzen versuchte er, ihn wieder zu verdrängen.

Erfolglos.

Und um die ganze Sache noch schlimmer zu machen spürte er, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Es sind die Schmerzen, versuchte er sich seine atypische Reaktion zu erklären. Der Blutverlust - wenigstens hat Daniel das nicht bemerkt... verdammt, egal, was es ist... bring es unter Kontrolle! Jetzt!

"Tut mir leid, es erwähnt zu haben."

Diese Entschuldigungs-Tour wurde langweilig. Ganz zu schweigen davon, dass sie absolut nicht zu Daniel passte - zuviel war wirklich zuviel - und dafür sorgte, dass Jacks Nerven noch schneller als der Rest von ihm dem Tod entgegen gingen.

"Hör' auf damit!", schnappte er wütend. Jetzt war der richtige Zeitpunkt dafür, dass entweder einem von ihnen beiden ein brillianter Plan, das Gate zu finden und auch dorthin zu kommen, einfiel, oder dass Sam und Teal'c auftauchten und sie retteten. Beides war mehr als unwahrscheinlich aber das Einzige, was verhindern konnte, dass Daniel ihm noch weiter das Herz ausschüttete.

Er war kein verdammter Psychologe und um ehrlich zu sein wollte er auch gar nicht wissen, was mit Daniel nicht in Ordnung war. Er hatte genug mit seinen eigenen Problemen zu tun, vielen Dank. Daniel war sein Fels in der Brandung und das Wissen, dass sein Felsen kurz vorm Bersten stand ließ auch für ihn selbst nichts Gutes verheißen.

Einen Moment später wurde ihm bewusst, wie irrational und selbstsüchtig seine Gedanken waren - die Kälte und der Blutverlust schienen sich jetzt wirklich bemerkbar zu machen. Mit einem leisen Seufzen versuchte er, in eine etwas bequemere Position zu kommen. Dummerweise erregte das leise Geräusch Daniels Aufmerksamkeit.

"Jack?"

"Was ist?" Er war jenseits des Punktes, an dem er sich noch darum kümmerte, wie seine Worte aufgefasst werden konnten.

"Wie lange noch?"

Einatmen. Ausatmen, erinnerte er sich selbst. Und ruhig bleiben. "Wie lange bis was?", brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

"Du kennst dich bei solchen Dingen besser aus... wie lange noch, bis wir tot sind?" Die Ruhe, mit der Daniel seine Frage stellte, ließ Jack erschaudern.

"Wie meinst du das?", fragte er, weil es wirklich nicht wusste, wie er die Frage zu verstehen hatten.

"Unterkühlung. Wie lange dauert es, bis zwei Menschen - die noch dazu verletzt sind - an Unterkühlung sterben?"

Keine Ahnung, ist mir auch egal. Jack entschied sich dazu, keine Antwort zu geben. Stattdessen stellte er die Frage, die ihn seit Monaten verfolgte: "Wie war es im Sarkophag?"

"Sarkophag? Jack?" Daniel war verwirrt und Jack konnte es ihm nicht einmal verübeln. Immerhin hatte die Frage mit ihrer derzeitigen Situation überhaupt nichts zu tun - was auch genau der Grund war, warum Jack sie gestellt hatte. Zur Ablenkung. Und weil ihn die Antwort interessierte.

"Du weißt schon. Der Goa'uld Sarkophag auf... wo war es noch mal? Shylas Planet."


"In dem Moment hatte ich wirklich Angst, dass es für dich endgültig zu spät ist", unterbrach Daniel Jacks Monolog. "Ich meine... ich weiß, dass ich mich in den ersten Wochen nachher etwas seltsam benommen habe.", Jack konnte sich das abfällige Schnaufen nicht verkneifen und lächelte schließlich leicht, als Daniel seine nonverbale Korrektur mit einem Nicken zur Kenntnis nahm. "Gut, ich habe mich sehr seltsam benommen. Aber du? In einer Lage wie dieser und du stellst mir die Frage, wie es mit Shyla war, um Himmels willen!" Bei der bloßen Erinnerung daran schüttelte Daniel noch immer fassungslos den Kopf. Nur dir, Jack, fällt so etwas überhaupt ein, sagte sein Blick.

"Ich habe dich damals nicht gefragt, wie es mit Shyla war, sondern wie es im Sarkophag war", korrigierte Jack ihn. Er wollte nicht wissen, wie es mit Shyla war, vielen Dank. Das, was er wusste, war genug, um ihn auf die Palme zu treiben. Es hatte eine Weile gedauert, bis er es wieder geschafft hatte, seine durchgedrehte Phantasie wieder halbwegs unter Kontrolle zu bringen und die Bilder von Daniel und Shyla - zusammen, im Bett - wieder zu verdrängen.

Eine Vorstellung, auf die er gut und gerne verzichten konnte. Und er würde sie jetzt nicht wieder von Daniel an die Oberfläche bringen lassen. Nein, nein, nein!

Auch wenn er, rein rational gesehen, wusste, dass die ganze Affäre nur ein Produkt des Sarkophags, der mit Daniels Gehirnchemie herumgepfuscht hatte, war, konnte er sich ein innerliches Zusammenzucken nicht verkneifen, wenn immer er daran zurückdachte. Was zwar nicht oft vorkam, doch hin und wieder....

Daniel und Frauen. Seit Sha'uri eigentlich kein großes Thema mehr, und sie war Jack egal. Sie war immerhin zuvor gewesen. Bevor er Daniel wirklich kennen gelernt hatte, bevor er ein Teil seines Teams geworden war, bevor er...

"Huhu... Jack? Noch da?"

"Hmm? Ja, ja." Irgendwie. Gerade noch. Vielleicht. Seine Gedanken waren durcheinander, zu viele Erinnerungen versuchten auf einmal die dominante zu werden und alle anderen zurück zu stoßen...

Seine erste Begegnung mit Daniel... Verdammte Wissenschaftler; alles nur Gerede, Rauch ohne Feuer... Wie sollte der Typ schon herausfinden, was diese komischen Symbole bedeuteten, wenn Katherine Langford und ihr Top-Team es nicht schaffen?

Aber wie er es geschafft hatte...

... Daniels erster Tod, im Kampf gegen Ra. Die hilflose Wut, die er damals empfunden hatte, zusammen mit Trauer. Ein Gefühl, von dem er geglaubt hatte, es nach Charlies Tod endgültig aus seinem Leben verbannt zu haben...

... seine Wiederauferstehung - von Ra nur zurück ins Leben gerufen, um Jack und den Rest seines Teams vor den Augen Kasufs und seines Volkes zu töten...

... das Wiedersehen nach über einem Jahr...

... Daniel, angeschossen und kaum mehr bei Bewusstsein vor diesem außerirdischen Ding, das sich als Dimensionsspiegel entpuppte...

... und dann, wenig später: Daniel auf Apophis' Mutterschiff, schon wieder von einer Stabwaffe verletzt, so gut wie tot. Als letzte Verteidigung blieb er zurück, um dafür zu sorgen, dass das C4 auch wirklich in die Luft ging, während der Rest von SG-1 zusammen mit Bra'tac in die Todesgleiter floh...

Daniel, halb erfroren, aber noch immer besser dran als Jack, als er versuchte, sie beide mit sinnlosen Gerede bei Bewusstsein zu halten...

"Jack!"

Es dauerte, bis er Daniels leisen Ruf wirklich registrierte - und selbst dann hielt er noch für einigen Sekunden an den Horrorbildern der Vergangenheit fest. Besser solche Erinnerungen als gar keine? Eine Frage, auf die er die Antwort nicht kannte. Es gab Tage, an denen gäbe er alles und noch etwas dafür, die Erinnerungen an sein gesamtes Leben auslöschen zu können.

Und dann gab es Tage, an denen er sein Leben für nichts und niemanden ändern wollte.

Die Tage, an denen sie keine Missionen hatten und er mit Daniel einen normalen Tag außerhalb der Basis verbringen konnte.

Oder die Tage nach einer schweren Mission, an der sie sich beide keinen unnötigen Meter vom Haus entfernten und einfach nur ihre Ruhe wollten und auch hatten.

Oder die Tage...

Zeit, das Phantasieren zu unterbrechen und sich auf Daniel und das Hier und Jetzt zu konzentrieren.

Leichter gesagt, als getan.

"Du hast meine Frage nie beantwortet. Über den Sarkophag." Er war neugierig und wollte Antworten auf seine Fragen haben - damals genauso wie auch jetzt.

Daniel zuckte kurz mit den Schultern. "Es gibt nichts zu erzählen."

Daniel hatte gelernt, zu lügen - verdammt gut sogar. "Die Wahrheit, Daniel."

Erst bekam er keine Antwort und Jack konnte regelrecht sehen, wie Daniels Wut langsam überhand nahm und Neugier und Sorge über seinen, Jacks, mentalen Zustand zur Seite schob. "Welche Wahrheit willst du denn?", fragte er schließlich leise. Zu leise, zu sanft. "Willst du wissen, wie es im Sarkophag war? Sorry, dann kann ich dir nicht helfen." Er schüttelte kurz den Kopf und wandte dann den Blick ab, um Jack nicht mehr in die Augen sehen zu müssen. "Ich erinnere mich nicht daran. Oder willst du wissen, wie es nach dem Sarkophag war?" Daniels Lächeln bei diesen Worten jagte Jack einen Schauer über den Rücken - zu sehr erinnerte es ihn an den vergeistigten Gesichtsausdruck, den er während seiner Abhängigkeit zur Schau gestellt hatte. "Es war toll, das beste Gefühl überhaupt. Und erst der Sex..."

Jack hielt es nicht länger aus. Mit einem lauten "Stop!" unterbrach er Daniels Monolog. "Nicht weiter."

"Warum nicht? Du wolltest es doch wissen, oder? Warum hast du sonst gefragt?"

Gute Fragen - noch schöner wäre es, wenn Jack auch gute Antworten darauf hätte. Oder überhaupt Antworten. "Vergiss' es", murmelte er schließlich. Feigling!, höhnte eine Stimme in seinem Kopf. Du willst zwar wissen wie es war, aber der bloße Gedanke daran, dass er mit Shyla Sex hatte, treibt dich in den Wahnsinn... Jack verdrängte die ungewollte Stimme, doch sie hatte recht.

Der Teil der ganzen Episode war es, gegen den er sich innerlich am meisten wehrte . Nicht Daniels Abhängigkeit oder seine plötzliche Kälte gegenüber seinem Team, nicht seine, Carters und Teal'cs Gefangenschaft in den Minen, oh nein. Sein Hauptproblem war, dass Daniel mit dieser Frau ins Bett gegangen war. Erbärmlich.

Wohin ist eigentlich die alte Tradition, dass die Prinzessin bis zur ihrer Hochzeitsnacht Jungfrau blieb, verschwunden? Ein Relikt alter Zeit, das wohl sogar schon total zurückgebliebene Welten ad acta gelegt haben? So fern es jemals außerhalb von Märchen existiert hat. Bei dem Gedanken konnte er sich ein bitteres Lachen nicht länger verkneifen.

"Jack?" Keine Wut mehr, stattdessen Sorge gemischt mit... was eigentlich? Resignation? Jack konnte es nicht genau sagen.

"Vergiss' es", wiederholte er, diesmal etwas lauter. Mit Mühe schaffte er es seinen Kopf wieder zu heben, zur Seite zu drehen und Daniel in die Augen zu sehen. Unter ihnen krochen noch immer in unregelmäßigen Abständen vereinzelte Autos über die Straße. Kurz vor vier Uhr Morgens. In zwei Stunden mussten sie los, wenn sie rechtzeitig zur Einsatzbesprechung zurück im SGC sein wollten.

Die Chance, in dieser Nacht noch zu Schlaf zu kommen, lag bei weit unter Null.

"Warum?"

Jack brauchte einen Moment, bis er wusste, worauf Daniels Frage sich bezog. Er konzentrierte sich wieder auf die aktuelle Konfrontation... falls man es überhaupt als eine solche bezeichnen konnte. "Es geht mich nichts an, mit wem du ins Bett gehst." Die Worte quälten sich langsam aus ihm heraus und jedes einzelne wehrte sich vehement dagegen, ausgesprochen zu werden Es ging ihn etwas an, mit wem Daniel schlief, verdammt noch einmal! Und zwar nicht nur aus militärischen Gründen, auch wenn diese eine nicht unerhebliche Rolle spielten.

Daniel zuckte mit den Schultern. "Damals nicht, nein", stimmte er zu. "Aber jetzt..." Er ließ den Satz offen, Jack konnte ihn interpretieren, wie er wollte.

"Ich hoffe, das heißt nicht, du schläfst mit jemanden, von dem ich nichts weiß." Es war zwar nicht viel besser, aber nicht ganz so schlimm wie Besser für dich, wenn es außer mir niemanden in deinem Sexleben gibt. Nicht, dass Daniel nicht auch bei dieser sensiblen Formulierung wusste, was Jack im Grunde genommen meinte.

"Nein, Jack." Mit einem Mal klang Daniel so müde und erschöpft, wie er auch aussah. Kein Wunder - er hatte in den vergangenen zwei Tagen noch weniger Schlaf abbekommen, als Jack, und dazu jetzt noch diese Unterhaltung, die neuen/alten Erinnerungen... der Mann musste kurz vorm Umkippen stehen und Jack war nicht weit hinterher. "Da ist niemand. Niemand außer dir." Er starrte wieder aus dem Fenster.

Es ließ sich nicht leugnen, die paar Worte bedeuteten Jack mehr, als er bereit war, sich selbst einzugestehen.

"Gut, damit wäre das Thema wohl erledigt." Selbst für seine eigenen Ohren klangen die Worte hohl, doch Daniel schien es nicht zu bemerken. Mit einem raschen Blick vergewisserte Jack sich, dass sich auf der Straße nichts faszinierendes abspielte - Daniels Blick nach zu schließen, konnte man meinen, da unten wäre gerade ein Goa'uld samt Jaffa und Pyramidenschiff materialisiert -, dann warf er einen Blick auf die Uhr.

Fünf nach vier. Auch wenn Schlaf für dieses Nacht außer Frage stand, hatten sie beide noch gute eineinhalb Stunden, bevor sie sich für die Basis fertig machen musste. "Komm mit." Keine Reaktion. "Daniel." Noch immer nichts. Worte brachten nichts - nichts Neues bei Daniel - also griff Jack auf eine andere, altbewährte Methode, Daniels Aufmerksamkeit zu erregen, zurück. Er trat hinter ihn, schlang beide Arme um Daniels Taille und legte sein Kinn auf Daniels Schulter. "Wir sollten ins Bett gehen."

Daniel reagierte mit einem kurzen, humorlosen Lachen. "Wozu? Schlaf? Vergiss' es."

"Nein, kein Schlaf", stimmte Jack ruhig zu. "Aber etwas Ruhe wird uns auch nicht schaden. Es ist spät." Eine unnötige Feststellung - der Verkehr auf der Straße wurde langsam stärker, als die ersten Leute sich auf den Weg zur Arbeit, beziehungsweise den nach Hause, machten und am Horizont zeichnete sich schwach die Dämmerung ab.

Nicht dazu bereit, noch weiter über das oder überhaupt irgendein Thema zu diskutieren, drehte Jack sich in Richtung Bett, ließ Daniel jedoch nicht ganz los. Der folgte kommentar- und widerstandslos.

"Du hast nicht erzählt, was später passiert ist", sagte er einige Minuten später, als sie beide im Bett lagen, Daniels Arme um Jack geschlungen.

Jack gab nicht vor, die Frage nicht zu verstehen. "Du hast gesagt, dass du dich wieder erinnern kannst."

"Hmm." Mehr hatte Daniel dazu nicht zu sagen.

"Tust du?"

"Was?"

"Dich erinnern."

Stille. Dann: "Ja." Wieder eine Pause. "Ich glaube, ja..."

Jack seufzte. "Willst du es hören?"

Daniel dachte kurz darüber nach, schüttelte dann jedoch den Kopf. "Genauso wenig wie du über Shyla hören willst", murmelte er schließlich. Er drückte sich etwas fester gegen Jacks Rücken. "Vielleicht ein anderes Mal."

"Hmm. Ja, okay, was auch immer." Jack konnte bloß hoffen, dass dieses andere Mal nie kam - er hatte keinerlei Bedürfnis, noch einmal die Erinnerungen an diesen Eisblock von einem Planeten heraufzubeschwören. Was nicht hieß, dass er es nicht - nach angemessenem Protest, selbstverständlich - wieder tun würde, sollte Daniel noch einmal fragen. "Bis nachher." Gute Nacht schien unangebracht.

Daniel sagte nichts mehr, bloß der für einen Moment stärkere Druck seiner Umarmung zeigte Jack, dass seine Worte noch gehört worden waren. Trotz allem schien Schlaf jetzt nicht nur möglich sondern sogar unausweichlich zu sein und Jack wollte verdammt sein, wenn er ihnen beiden nicht noch ein paar Stunden mehr verschaffen konnte. Ein schneller Griff und der Wecker war ausgeschaltet. Zum Teufel mit dem SCG, Hammond und Dienstplänen - er wusste nicht, wann Daniel und er sich eine Ruhepause mehr verdient hatten, als nach den vergangenen zweiundsiebzig Stunden.

Daniel war es, der zuerst einschlief, während Jack noch damit kämpfte, die Erinnerungen daran, wie er ihre Rettung damals auf dem Eisplaneten behindert hatte, wieder zu verdrängen. Es war egal, dass Daniel sich jetzt wieder erinnern konnte, wichtig war nur, dass Jack es ihm nicht hatte erzählen müssen.

Wie sollte er es in Worte fassen, dass sie beide fast erfroren wären, nur weil der die Rufe des Rettungsteams für Halluzinationen gehalten und nicht darauf reagiert hatte? Er selbst konnte sich nicht vergeben, im Gegensatz zu Daniel.

Und im Endeffekt war Daniels Akzeptanz alles, was zählte.

"Gib' endlich Ruhe."

Jack bezweifelte ernsthaft, dass Daniel auch nur halb wach war und verhielt sich deswegen eine Antwort. Kurz darauf war auch er eingeschlafen.


fin

15.07.03
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