Never an absolution by Nefertit
Summary: Cameron nach dem Zwischenfall im Irak
Categories: Stargate SG-1 Characters: Cameron Mitchell
Genre: Hurt/Comfort
Challenges: Keine
Series: Keine
Chapters: 1 Completed: Ja Word count: 6079 Read: 2320 Published: 13.01.12 Updated: 13.01.12
Story Notes:
Inspiriert durch eine Folge von Jericho. Die ganze FF ging mir erstaunlich leicht von der Hand, und ich war innerhalb kürzester Zeit fertig. Eine Seltenheit bei mir, wo ich mich sonst immer monatelang mit einer FF rumschlage ...
Ich danke meinen Betas Arana und Karina für Hilfe, Tipps, Verbesserungsvorschläge und das Nachtragen all der vielen Kommas, die ich immer vergesse.

Disclaimer: Alle Charaktere und sämtliche Rechte an SG-1 gehören MGM/UA, World Gekko Corp. und Double Secret Production. Diese Fanfic wurde lediglich zum Spaß geschrieben und nicht, um damit Geld zu verdienen. Jegliche Ähnlichkeiten zu lebenden und toten Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle weiteren Charaktere sind Eigentum des Autors.

1. Kapitel 1 by Nefertit

Kapitel 1 by Nefertit
Die Kneipe war berstend voll an diesem Abend. Die Jukebox spielte lärmend die Lieder herunter, die die Gäste – zumeist Soldaten der nahe gelegenen Air Force Base – gegen einen Quarter wählen konnten, und wie immer an solchen Abenden stand der Drehteller nicht eine Minute still.

In das Leiern der Musik mischten sich die Stimmen der Männer und Frauen, die an Billardtischen, Dartscheiben, der Bar und den Tischen der Kneipe zusammenstanden und ihre Drinks genossen, und die Luft war schwer vom Qualm der vielen Zigaretten.

An der Bar – ziemlich in der Ecke des Raumes und abseits des ganzen fröhlichen Treibens – kauerte Cameron Mitchell auf seinem Barhocker, über ein inzwischen schal gewordenes Bier gebeugt, und gab sich seinen Gedanken hin – das hieß, er überlegte gerade, ob er sich an diesem beschissenen Abend lieber in den Alkohol oder in die Arme irgend eines Mädchens flüchten sollte.

Beides gab es hier zur Genüge. Der Alkohol versiegte hier nie, und die vielen jungen Männer in ihren schmucken Uniformen zogen die jungen Frauen aus der Umgebung scharenweise hierher, von denen einige mehr als willens waren, sich von einem der hübschen Soldaten verführen zu lassen

Cameron hatte schon die ein oder andere entdeckt, die seinem Beutemuster entsprach, und er wusste genau, wie er es anstellen musste, sie herumzukriegen. Er wusste, dass er gut aussah, wie er seinen Charme einsetzen musste und was er sagen musste, um ein Mädchen herum zu kriegen. Es war ein Spiel, das er schon oft gespielt hatte. Und doch war ihm heute Abend nicht danach.

Seit Lindsay ihn verlassen hatte, hatte er jedes Wochenende dem Alkohol den Vorzug gegeben. Er war in die Bar gekommen, hatte sich betrunken, irgendeiner seiner Kameraden hatte ihn nach Hause gebracht oder zumindest in ein Taxi gesetzt, das ihn nach Hause brachte, dort war er auf sein Bett gefallen und erst am anderen Morgen wieder zu sich gekommen, ohne sich genau zu erinnern was am Vorabend geschehen war.

Das war genau der Effekt den er anstrebte: Schlafen und vergessen.

Seit Wochen – Monaten – konnte er nicht mehr richtig schlafen. Wenn er zu Bett ging, lag er stundenlang wach, wälzte sich ruhelos hin und her, unfähig den Schlaf zu finden, den sein Körper so dringend gebraucht hätte, weil die Bilder ihn heimsuchten, sobald er zur Ruhe kam.

Er hatte es mit Sport versucht, war Meilen und Meilen gerannt, hatte Gewichte gestemmt oder den Sandsack in seinem Keller bearbeitet, in der Hoffnung, dass die Erschöpfung groß genug sein würde, dass er würde einschlafen können, und wenn es funktioniert hatte, dann war er mitten in der Nacht hochgeschreckt, schweißgebadet mit Herzrasen und unfähig danach, weiter zu schlafen, weil die Bilder ihn bis in den Schlaf verfolgten.

Der Schlafentzug machte sich langsam auch physisch bemerkbar. Er hatte mehrere Pfund Gewicht verloren, weil er aufgrund des Schlafmangels an Appetitlosigkeit litt, er hatte öfter Kopfschmerzen, war unkonzentriert und reizbar. Die Erlaubnis zum Fliegen hatte er ohnehin im Moment nicht, solange der Arzt ihn nicht wieder flugtauglich geschrieben hatte, also war er zumindest keine Gefahr für andere.

Der Arzt auf der Basis hatte ihm Schlaftabletten verschrieben, doch Cameron hatte nach einigen Versuchen aufgehört, sie zu nehmen. Zwar hatten die Tabletten ihm tatsächlich acht Stunden durchgehenden Schlaf beschert, ohne Albträume, jedoch war es nur ein Zustand der Betäubung gewesen und keineswegs ein erholsamer, gesunder Schlaf, und er war am anderen Morgen wie benebelt gewesen, so dass er zu dem Schluss gekommen war, dass diese Tabletten nichts für ihn waren.

Eine Weile hatte er versucht die Nächte – alle Nächte – mit Lindsay zu verbringen, hatte eine einstündige Autofahrt jeden Morgen von ihrer Wohnung in die Basis in Kauf genommen, weil er gehofft hatte, bei ihr zur Ruhe kommen zu können. Doch auch wenn er abends vom Sex erschöpft in ihren Armen eingeschlafen war, war er trotzdem in der Nacht zitternd und klatschnass geschwitzt aus immer demselben Albtraum hochgefahren.

Natürlich war Lindsay nicht entgangen, dass irgendetwas mit ihm los war. Er konnte ihr kaum verheimlichen, dass etwas nicht stimmte, wenn er sie jede Nacht dadurch aus dem Schlaf riss, dass er selbst schreiend aus einem Albtraum erwachte.

Eine Weile hatte Lindsay es schweigend hingenommen, dass weder er noch sie eine ganze Nacht durchschlafen konnten, doch als sie selbst unter den nächtlichen Störungen zu leiden begann – immerhin musste sie jeden Tag zur Arbeit, egal ob ausgeschlafen oder nicht – hatte sie angefangen, Fragen zu stellen.

Er hatte Lindsay vertraut. Er war schon seit zwei Jahren mit ihr zusammen, und in den Monaten, in denen er im Irak gewesen war, hatte sie auf ihn gewartet. Sie hatte nicht in einem Brief Schluss gemacht, wie die Freundinnen einiger seiner Kameraden, und sie hatte immer noch auf ihn gewartet, als er nach seinem Einsatz zum ersten Mal die Basis hatte verlassen dürfen.

Also hatte er ihr schließlich erzählt, was ihn so quälte, hatte ihr unter Tränen geschildert, was er getan hatte, wie ihn diese Sache seither verfolgte und sein Gewissen belastete, und dass er diese Bilder einfach nicht los wurde.

Doch anstatt dass es ihm dadurch leichter fiel, mit den Geschehnissen umzugehen, fing der Vorfall nun auch noch an, seine Beziehung zu belasten.

Lindsay kam ebenso wenig damit klar wie er, und anstatt ihm zu helfen wurde das Geschehene nun auch noch zu einem Problem für sie. Nach einigen Tagen, in denen sie sich immer mehr von ihm zurückgezogen hatte, beendete sie schließlich die Beziehung.

Er wusste nicht genau, was er erwartet hatte, das sie tun würde, aber das war das letzte gewesen, mit dem er gerechnet hatte. Ihre Worte an diesem Abend hatten ihn zutiefst verletzt, hatten noch Salz in seine Wunden gerieben, und er war völlig erschüttert gewesen, dass sie so darüber – über ihn – denken konnte.

Seit diesem Tag verbrachte er seine freien Abende hier in der Kneipe. Er kannte den Wirt gut, noch aus der Zeit vor seinem Auslandseinsatz, und er ignorierte die besorgten Blicke des älteren Mannes geflissentlich, wenn er wieder einmal betrunken aus der Kneipe geschleift wurde.

Warum der alte Buck ihm immer noch etwas zu trinken gab, wusste er selbst nicht. In den meisten anderen Bars hätte man ihm vermutlich Hausverbot erteilt oder würde ihm zumindest längst keinen Alkohol mehr ausschenken.

Die Wahrheit war, dass Buck es so besser fand, weil er so zumindest ein Auge auf Cameron haben konnte, und es immerhin sicher war, dass Cameron irgendwie nach Hause kam, und nicht irgendwo in einem Hauseingang liegen blieb und ausgeraubt wurde oder am Ende in eine Schlägerei geriet, mit Leuten mit denen nicht zu spaßen war. Doch davon ahnte Cameron nichts, wenn er abends seine Bier und Whisky bestellte.

Auch jetzt leerte er einfach nur den Rest seines abgestandenen Biers und stellte dann das Glas geräuschvoll zurück auf den Tresen.

„Buck!“ rief er dem Barbesitzer zu, der wie jeden Abend hinter dem Tresen stand und Getränke ausschenkte, und signalisierte ihm dann, dass er noch etwas bestellen wollte. Buck wandte sich an jemand, der neben ihm stand und einen Moment später trat Claire hinter der mächtigen Gestalt von Buck hervor.

Claire war Bucks Tochter. Fast im selben Alter wie Cameron arbeitete sie normalerweise in der Stadt als Krankenschwester, doch an manchen Abenden half sie noch immer hinter der Theke aus, in der Kneipe, in der sie quasi mit aufgewachsen war. Cameron kannte Claire seit seinem ersten Monat hier auf der Basis, und er mochte sie gern. Sie war ein wenig burschikos und immer gut gelaunt und jedem eine gute Freundin, der sich die Mühe machte, sie näher kennen zu lernen.

„Hey Cam!“ begrüßte sie ihn gutgelaunt, den stoppeligen Drei-Tage-Bart in seinem Gesicht und die tiefen, dunklen Ringe unter seinen Augen ebenso geflissentlich ignorierend, wie sein zerzaustes Haar und sein ausgeleiertes, zerknittertes Sweatshirt, und strich sich eine Strähne ihres lockigen, dunklen Haares aus der Stirn, „Ich hab schon gehört, dass du zurück bist.“

„Gibst du mir einen Whisky? `Nen doppelten. Auf Eis“, bat Cameron, ohne auf ihre Worte einzugehen. Claire warf ihm einen besorgten Blick zu.

„Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist, Cam? Mein Dad hat mir erzählt, dass du in letzter Zeit öfter mal ...“, sie unterbrach sich kurz, auf der Suche nach Worten, die ein wenig höflicher ausdrückten, was sie sagen wollte, „... ordentlich einen drauf machst hier.“ Cameron wich ihrem fürsorglichen Blick aus und starrte stattdessen in sein leeres Bierglas, auf dessen Grund nur noch ein paar klägliche Schaumreste schwammen.

„Gib mir einfach nur den Whisky, ok?“, sagte er tonlos. Er wollte sich jetzt nicht auf Diskussionen einlassen, er wollte sich einfach nur betäuben.

„Nur unter Protest“, erwiderte Claire energisch, „und nur weil mein Dad fürchtet, dass Du Dich sonst woanders betrinkst, wo niemand auf dich aufpasst.“

„Was auch immer“, entgegnete Cameron gleichgültig. Er wollte es nicht hören.

Claire wandte ihm den Rücken zu und ging zu dem großen, verspiegelten Regal an der Rückwand des Tresen, griff eine der Flaschen Jack Daniels und kehrte damit zurück zu Cameron. Sie nahm ein Glas aus dem Regal unter dem Tresen, gab etwas Eis hinein, goss es halb voll mit Whisky und schob es dann Cameron zu.

Cameron griff nach dem Glas und kippte den Inhalt in einem einzigen Zug hinunter. Das Eis war kalt an seinen Lippen, und das Brennen des scharfen Whiskys in seiner Kehle ließ ihn husten, als er das Glas, das nunmehr nur noch die Eiswürfel enthielt, auf den Tresen zurückstellte.

Er signalisierte Claire wortlos, dass sie ihm nachschenken solle, und Claire kam seinem Wunsch nach - widerstrebend zwar, aber dennoch. Auch das zweite Glas leerte er in einem Zug und hustete dann erneut.

„Noch einen“, sagte er heiser und hielt Claire auffordernd das Glas hin.

„Cam ...“, setzte Claire an, doch er fiel ihr ungehalten in den Satz, bevor sie auch nur ein weiteres Wort sagen konnte.

„Noch einen!“, wiederholte er mit deutlich mehr Nachdruck. Claire seufzte kopfschüttelnd, füllte das Glas dann aber erneut zur Hälfte. Cameron führte das Glas sofort an die Lippen und trank einen weiteren, großen Schluck.

In dem Moment sprach ein anderer Soldat Claire von der Seite her an und bat sie um ein Bier. Claire nickte und wandte sich dann zur Zapfanlage um, die Flasche Jack Daniels noch immer in der Hand.

„Die kannst du hier lassen!“, rief Cameron und griff nach der Flasche, doch der Alkohol hatte seine Reaktionen bereits soweit verlangsamt, dass Claire ihm die Flasche entziehen konnte, bevor er sie richtig zu fassen bekam.

„Keine Chance!“, erklärte sie kategorisch und stellte die Flasche in sicherem Abstand zu Cameron auf den Tresen. Sie zapfte ein Bier für den anderen Gast und kehrte dann zu Cameron zurück. Der hatte inzwischen sein Glas erneut geleert und drehte es jetzt nachdenklich in der Hand, so dass die Eiswürfel leise klirrend gegeneinander schlugen.

„Gib mir noch einen, Claire“, bat er dann, vom Alkohol bereits etwas matt.

„Was zur Hölle ist denn los mit dir, Cam?“ fragte Claire jetzt streng, ohne Anstalten zu machen, ihm nachzuschenken. „Du lässt dich hier regelmäßig vollaufen – früher hast du deine Abende lieber mit Lindsay verbracht.“

„Die Sache mit Lindsay hat sich erledigt“, erwiderte Cameron, und dem gleichgültigen Klang seiner Stimme nach hätte man meinen können, dass ihn diese Tatsache weitaus weniger traf, als es in Wahrheit der Fall war.

„Ist sie der Grund für das hier?“, fragte Claire und machte eine Handbewegung, die die ganze Bar einschloss, jedoch nur Camerons Trinkgelage meinte. Cameron schüttelte nur den Kopf.

„Nein“, antwortete er tonlos und starrte mit hängendem Kopf auf die glitzernden Eiswürfel in seinem Glas.

„Was ist es dann, Cam?“ fragte Claire eindringlich. Cameron ließ den Kopf hängen – noch ein wenig mehr als zuvor und seufzte dann.

„Ich kann nicht darüber reden“, erwiderte er nur und schob Claire sein leeres Glas zu. Claire nahm die Flasche und goss ihm ein wenig Whisky nach.

„Das ist der letzte, verstanden?“ stellte sie streng klar, und ihr Ton ließ keinerlei Zweifel daran, dass in dieser Sache mit ihr nicht zu reden war. Der Ruf ihres Vaters ließ sie sich zu ihm umdrehen. Buck signalisierte ihr, dass er ihre Hilfe brauchte, und sie nickte ihm zu. Bevor sie ihm jedoch zur Hilfe eilte, stellte sie die Flasche noch ein gutes Stück außerhalb Camerons Reichweite hinter den Tresen.

Während Claire sich den anderen Gästen widmete, gemeinsam mit ihrem Vater Bier, Soda und Eistee ausschenkte, und dabei mit den männlichen Gästen schäkerte, leerte Cameron sein Glas ein weiteres Mal. Das Eis war inzwischen fast völlig geschmolzen.

Er fühlte sich inzwischen angenehm benebelt, ganz leicht, und seine Probleme schienen sich tatsächlich langsam im Nichts aufzulösen. Alles was er brauchte, um endlich seinen Frieden zu finden war noch ein wenig mehr...

Über den Tresen hinweg angelte er nach der Flasche, die Claire dort deponiert hatte, doch er konnte sie nicht erreichen. Stattdessen stieß er versehentlich eines der Gläser, die dort standen, um, so dass es erst auf den Tresen kippte, dann wie in Zeitlupe darüber hinunter rollte und schließlich mit einem lauten, vernehmlichen Klirren am Boden zerschellte. Er beugte sich noch ein wenig weiter vor – beinahe wäre er dabei von seinem Barhocker gekippt – und bekam nun endlich den Hals der Flasche zu fassen.

Im selben Moment griff eine Hand energisch nach seinem Unterarm, eine zweite entwand ihm nicht minder bestimmt die Flasche und stellte sie zurück ins Regal. Als Cameron aufblickte, schaute er in das strenge Gesicht von Claire.

„Schluss jetzt, das reicht. Ich denke, du hast eindeutig genug, Cam“, sagte sie nachdrücklich. Resigniert seufzend sank Cameron wieder auf seinem Barhocker zusammen, während Claire eilig die Scherben des zerbrochenen Glases zusammenfegte und in den Mülleimer warf.

Als sie wieder vom Boden aufstand, sah sie Cameron an und schüttelte fassungslos den Kopf. Wäre er etwas weniger betrunken gewesen, hätte er das Entsetzen in ihrem Blick gesehen, darüber, welch jämmerliches Bild er hier gerade bot.

„Gott, Cameron“, flüsterte sie leise. Dann schien sie einen Entschluss zu fassen. Sie trat zu ihrem Vater, sagte etwas zu ihm, wobei sie in Camerons Richtung gestikulierte, und Buck nickte zustimmend. Dann umrundete Claire die Bar und trat neben Cameron. Mit festem Griff packte sie ihn bei den Schultern und drehte ihn zu sich um.

„Komm“, sagte sie sanft, so dass Cameron überrascht aufsah. „Na los, ich bring dich nach Hause.“

„Ich will nicht nach Hause, ich will noch einen Whisky!“, protestierte Cameron matt. Der Alkohol machte ihn bereits etwas schläfrig.

„Nichts da. Du hast genug gehabt. Na komm“, forderte Claire ihn erneut auf, und Cameron rutschte von seinem Barhocker. Ihm war nicht klar gewesen, wie betrunken er war, bis zu dem Moment, in dem er zum ersten Mal wieder auf seinen eigenen Beinen stehen sollte. Sie fühlten sich ganz weich an, als gehörten sie gar nicht zu ihm, und der Boden schien plötzlich unter ihm zu schwanken.

Haltsuchend griff er nach der Kante der Bar, doch wenn Claire ihn nicht gestützt hätte, hätte er vermutlich trotzdem das Gleichgewicht verloren.

„Hey, ganz langsam“, mahnte Claire sachte. Damit nahm sie seinen Arm und legte ihn sich um die Schulter. Auf Claire gestützt schaffte es Cameron, sich von seinem Barhocker zu erheben und zur Türe zu wanken. Zum Glück waren die anderen Gäste so mit sich selbst beschäftigt, dass die wenigsten ihnen überhaupt Beachtung schenkten.

Claire stieß die Eingangstüre der Bar auf und führte Cameron hinaus. Die frische Nachtluft traf Cameron unvorbereitet wie ein Schlag ins Gesicht und schien seinen vernebelten Kopf blitzschnell wieder klarer zu machen. Cameron versuchte, sich dagegen zu wehren, er wollte benebelt sein, er wollte an nichts denken. Das war schließlich der Sinn des Ganzen gewesen.

„Wo bringst du mich hin?“ fragte er, als wäre er sich plötzlich bewusst geworden, dass er auf dem Weg irgendwohin war, während Claire ihn zur Seite des Gebäudes führte, wo unter einem etwas verfallen aussehenden Carport ein verbeulter, hellblauer Pick-Up stand. Es war Bucks Wagen und trug das Logo der Bar auf beiden Türen.

„Erst mal in den Wagen und dann nach Hause“, erwiderte Claire geduldig. Mit einer Hand öffnete sie die Türe an der Beifahrerseite, dann bugsierte sie Cameron auf den Beifahrersitz, und er ließ es widerstandslos mit sich machen. Sie schlug die Türe hinter ihm zu und stieg dann, nachdem sie das Auto umrundet hatte, auf der Fahrerseite ein. Dann ließ sie den Motor an und fuhr rückwärts aus der Einfahrt.

Claire hatte von ihrem Vater Camerons Adresse. Sie kannte den Weg zu dem Apartment-Gebäude, in dem er lebte, und die ersten paar Blocks des Weges legten sie schweigend zurück. Claire konzentrierte sich auf den Straßenverkehr, während Cameron, den Kopf gegen die Seitenscheibe gelehnt, ins Leere starrte.

An der ersten roten Ampel, an der Claire anhalten musste, sah Cameron plötzlich auf und betrachtete Claire ein paar Augenblicke. Als hätte sie seinen Blick bemerkt, wandte sich Claire zu ihm um, und sie erschrak beinahe vor dem hoffnungslosen Ausdruck in seinen früher so lebhaften grünen Augen.

„Danke“, sagte er unvermittelt, und Claire runzelte verwundert die Stirn.

„Wofür?“ fragte sie zurück. Im selben Moment sprang die Ampel wieder auf Grün. Claire nahm es aus den Augenwinkeln heraus wahr und fuhr wieder an. Doch Cameron blieb die Antwort auf ihre Frage schuldig.

Claire lenkte den Wagen durch die abendliche Stadt. Nach einer Weile erreichten sie schließlich das Apartmentgebäude, und Claire parkte den Pick-Up am Straßenrand davor.

Sie stellte den Motor ab und ging um den Wagen herum zu Cameron, der gerade die Türe öffnete und aus dem Wagen kletterte. Er schwankte unsicher und war ganz bleich im Gesicht, und Claire befürchtete, dass er sich gleich übergeben würde.

„Geht es?“ fragte sie, während Cameron sich schwer gegen die Seite des Wagens lehnte und Claire die Autotüre abschloss. Ohne eine Antwort abzuwarten, legte sie sich wieder Camerons Arm um die Schulter und führte ihn in Richtung des Gebäudes.

„Hast du deinen Schlüssel?“ fragte Claire, als sie sich der Haustüre näherten. Cameron begann in seiner Hosentasche zu wühlen, doch weil das Gehen und die Suche nach seinem Schlüssel gleichzeitig ihn in seinem derzeitigen Zustand überforderten, blieb er mitten auf dem Weg stehen.

Er kramte in allen vier Taschen seiner ausgebeulten, verblichenen Jeans und aus der letzten, der linken Gesäßtasche, förderte er schließlich seinen Hausschlüssel hervor.

Auf Claire gestützt gelangte er durch die offene Haustüre und zum Aufzug. Claire dankte innerlich dem Himmel für den Aufzug. Cameron in seinem Zustand mehrere Stockwerke die Treppe hoch zu schaffen, wäre ihr nicht gelungen.

In seinem Stockwerk stiegen sie aus, und gemeinsam legten sie die letzten Meter bis zu Camerons Apartment zurück. Seine Versuche, das Schlüsselloch zu treffen, scheiterten, und so nahm Claire ihm schließlich energisch den Schlüssel aus der Hand und schloss die Türe selbst auf.

Der Anblick, der sich dann bot, ließ sie nach Luft schnappen. Die Wohnung versank beinahe im Chaos. Überall im Wohnzimmer lagen leere Bierflaschen, leere Pizzaschachteln, teilweise vermutlich noch mit den Resten der Pizza darin, getragene Kleidungsstücke und ungelesene Zeitungen, auf dem Tisch, dem Sofa, dem Fußboden, und es roch unangenehm muffig, als wäre seit Wochen nicht gelüftet worden.

„Grundgütiger!“ entfuhr es Claire unwillkürlich, während sie der Türe einen Tritt gab, so dass sie hinter ihnen zu fiel. Gemeinsam mit Cameron ging sie zur Couch, mit der freien Hand fegte sie ein paar Zeitungen und T-Shirts von der Couch und ließ Cameron dann hinein fallen.

Sie blickte noch einmal fassungslos durch die Wohnung. Sie hatte schon Junggesellenwohnungen gesehen, auch solche die chaotisch waren, aber das hier übertraf einfach alles. Aber irgendetwas sagte ihr, dass der Zustand der Wohnung in direktem Zusammenhang stand mit dem emotionalen Zustand, in dem Cameron sich gerade befand.

„Ich mache uns erst mal einen Kaffee“, verkündete sie dann und verschwand in der kleinen Kochnische, die an das Wohnzimmer angrenzte. Hier sah es auch nicht viel besser aus. Benutzte Gläser stapelten sich in der Spüle, aber zum Glück schimmelte wenigstens nichts vor sich hin.

„Keinen Kaffee“, ließ sich Cameron matt von der Couch her vernehmen. Kaffee war das Letzte, das er jetzt brauchte. Claire warf einen Blick über die Schulter zu Cameron. Er hatte seinen Kopf auf die Armlehne gelegt und kauerte so, halb aufrecht, halb liegend auf dem Sofa.

Dann wandte sie sich wieder den Küchenschränken zu. Einen nach dem anderen öffnete sie. In einem fand sie ein paar saubere Tassen, in einem anderen eine Pappschachtel mit Pfefferminztee. Sie warf einen Blick hinein. Zumindest sah der Tee noch genießbar aus. Sie roch an den Teebeuteln und stellte erfreut fest, dass sie noch deutlich nach Minze rochen. Sah aus, als wäre der Tee noch genießbar.

Sie stellte den Herd an und setzte einen Kessel Wasser auf, und nach noch mehr Sucherei fand sie schließlich auch eine Teekanne. Während sie wartete, dass das Wasser kochte, hängte sie drei Teebeutel in die Kanne, und als der Wasserkessel schließlich pfiff, goss sie das kochende Wasser darüber.

Mit der Kanne und den beiden Tassen kehrte sie zurück ins Wohnzimmer und ließ sich neben Cameron auf dem Sofa nieder. Mit dem Arm schob sie eine Pizzaschachtel zur Seite, so dass sie genug freien Platz auf dem Tisch fand, um die Tassen und die Kanne abzustellen.

Cameron lehnte inzwischen an der Rückenlehne des Sofas und starrte an die Decke über sich. Claire lehnte sich ebenfalls zurück, dabei spürte sie unter einem der Kissen auf dem Sofa einen harten Gegenstand. Sie hob das Kissen und förderte einen Bilderrahmen zutage, der Lindsays Foto enthielt. Das Glas war kaputt, ein großer Riss teilte sie in zwei ungleiche Hälften.

Als sie das Bild auf den Tisch stellte, hob Cameron den Blick und sah erst das Bild und dann Claire an.

„Sie hat mich verlassen, weil ich etwas Schreckliches getan habe“, sagte er unvermittelt. Claire hielt in ihrer Tätigkeit inne und wandte sich zu ihm um. Sie hatte bereits die Frage auf den Lippen, was er denn schon Schreckliches getan haben konnte, doch dann sah sie den Blick, mit dem er sie ansah, und schlagartig wurde ihr bewusst, dass Cameron zwei Monate früher aus dem Irak zurück war als ursprünglich geplant, und da wurde ihr klar, dass wirklich etwas Furchtbares geschehen sein musste.

Sie nahm die beiden Teetassen und hielt eine davon Cameron hin, vielleicht würde ein Schluck heißer Tee ihm jetzt gut tun. Doch als er nicht reagierte, stellte sie sie zurück auf den Tisch. Der Tee war ohnehin noch zu heiß, um ihn zu trinken.

Cameron setzte sich auf und lehnte sich nach vorne, die Unterarme auf die Knie gestützt, und starrte auf seine Hände. Es war, als könne er Claire nicht ins Gesicht sehen bei dem was er jetzt sagen würde, als ringe er noch mit sich selbst, ob er es ihr überhaupt sagen sollte – konnte.

Gewiss, sie war eine gute Freundin, er kannte sie seit Jahren und glaubte, sie gut zu kennen, doch was, wenn sie genauso reagieren würde wie Lindsay, was, wenn sie ihn ebenso verurteilen würde? Doch die Last, die er mit sich herumtrug, schien an jedem Tag größer zu werden, ihn jeden Tag ein wenig mehr zu erdrücken, und er wusste, dass er schon bald zusammenbrechen würde.

„Ich – ich habe – ich habe Zivilisten getötet. Unschuldige Menschen“, begann Cameron schließlich stockend und ließ müde den Kopf hängen. Stockend zum einen, weil es ihm nicht leicht fiel, sich der Erinnerung zu stellen, darüber zu sprechen, was geschehen war, zum anderen, weil der Alkohol noch immer seine Zunge lähmte und es ihm schwer machte, die richtigen Worte zu finden.

Claire atmete hörbar ein, doch sie sagte nichts. Sie wollte ihn nicht unterbrechen, jetzt, da er sich durchgerungen hatte, über das, was ihn so quälte, zu sprechen. Stattdessen wartete sie einfach ab, ließ ihm die Zeit, die er brauchte.

Cameron atmete einmal tief durch und sprach dann leiser, mit noch immer gesenktem Kopf weiter.

„Sie hatten mich rausgeschickt, um einen feindlichen Konvoi auszuschalten ... Ich stand unter Beschuss ... der Staffelführer erteilte mir die Freigabe zum feuern, also feuerte ich ...“ Camerons Stimme brach, und er verstummte. Noch immer blickte er Claire nicht an, und dann fiel plötzlich eine Träne auf seine zitternden Hände.

Mit einer wütenden Handbewegung wischte Cameron die Tränen aus seinem Gesicht. Er schniefte einmal und schluckte heftig, dann fuhr er mit tränenerstickter Stimme fort.

„Verdammte Scheiße, es war alles, wie unsere Quelle gesagt hatte. Drei Fahrzeuge ... und ich stand unter Beschuss ... Der Staffelführer hatte den Befehl gegeben! Ich wusste es nicht, verstehst du, ich hatte keine Ahnung, und dann war es zu spät!“ Die letzten Worte gingen halb in dem Schluchzen unter, das seinen Körper schüttelte, und er wandte den Kopf ab und schlug die Hände vors Gesicht.

Claire saß reglos neben ihm, die Augenbrauen zusammengezogen, und versuchte, irgendwie Camerons wirren Worten zu folgen. Kurz war sie sich nicht sicher, ob es der Alkohol war, der seine Sinne verwirrt hatte, so dass er sich irgendetwas zusammen fantasierte, doch dann wurde ihr klar, dass seine Erzählung – so wirr sie sein mochte – real war.

Sie legte ihre Hand auf seine Schulter, und sie stellte erschrocken fest, dass er wie Espenlaub zitterte.

„Ganz ruhig, eines nach dem anderen“, sagte sie vorsichtig, und irgendwie schienen ihre Worte zu ihm durchzudringen.

Mit einer wütenden Handbewegung wischte Cameron die Tränen aus seinem Gesicht. Er schniefte einmal und schluckte heftig, dann fuhr er mit tränenerstickter Stimme fort.

„Ich hatte den Befehl gerade ausgeführt, da brach der Staffelführer ab. Der Konvoi war kein feindlicher Konvoi - es waren Flüchtlinge. Ich hatte einen Flüchtlingskonvoi bombardiert. Ich wurde von jeder Schuld frei gesprochen, aber das ändert nichts daran, dass ich mich schuldig fühle.“ Wieder unterbrach er sich, um ein paar Mal zu schniefen und sich zu räuspern.

„Sie haben mir nie gesagt, wer in dem Konvoi war, aber – wer sitzt denn üblicherweise in Flüchtlings-konvois? Frauen und Kinder. Ich habe unschuldige Frauen und Kinder getötet! Wie soll ich damit weiterleben?“ Wieder verloren sich seine letzten Worte in einem Schluchzen, und Claire schloss die Augen, erschüttert von dem, was sie gerade gehört hatte.

„Oh Gott ...“, flüsterte sie fassungslos. Erst langsam ergaben seine wirren Worte einen Sinn für sie, langsam erst begriff sie was geschehen war.

„Ich sehe es jede Nacht vor mir“, brachte Cameron hilflos schluchzend hervor, „ich kann nicht mehr schlafen, weil ich an nichts anderes denken kann, und wenn ich doch einschlafe, dann träume ich davon! Diese Bilder verfolgen mich.“

Plötzlich gab alles Sinn für Claire, sein ganzes selbstzerstörerisches Verhalten. Plötzlich verstand sie, was er damit bezweckte, wenn er sich Abend um Abend scheinbar sinnlos betrank. Er versuchte, den Bildern zu entkommen, die ihn einfach nicht losließen, auch wenn es eine sehr zweifelhafte Methode war, die er da verfolgte. Sie war ab ihrem zwölften Lebensjahr quasi in der Bar ihres Vaters aufgewachsen. Sie hatte oft genug gesehen, wohin das führen konnte.

„Cameron ...“, murmelte sie, während Cameron selbst immer noch verzweifelt schluchzte, und weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, streckte sie einen Arm nach ihm aus und zog ihn mit den Worten „Komm her“ an sich. Cameron ließ es zu, dass sie ihn in die Arme schloss, und barg schluchzend sein Gesicht an ihrer Schulter.

Seine Hände suchten an irgendetwas Halt und fanden ihn auf ihrem Rücken in den Falten ihrer warmen Strickjacke. Wie ein Ertrinkender klammerte er sich an Claire, und die hielt seinen von Weinkrämpfen geschüttelten Körper einfach fest in ihren Armen. Und Cameron ließ sich von ihr festhalten.

Zum zweiten Mal hatte er sich überwunden, darüber zu sprechen, was im Irak vorgefallen war, aber erst dieses Mal – bei Claire – fand er das, was er so dringend von Lindsay gebraucht hätte: Trost und Verständnis. Doch bei Lindsay war er auf ganz andere Dinge gestoßen.

Sie war geschockt aus dem Bett gesprungen, als er es ihr erzählt hatte, und von diesem Moment an hatten sie sich voneinander entfernt. Sie hätte wissen müssen, dass sie als überzeugte Kriegsgegnerin niemals mit einem Soldaten zusammen sein sollte, hatte sie am letzten Abend gesagt, bevor sie gegangen war, und sie hätte wissen müssen, dass sie nicht würde damit leben können, wenn ihr Freund das Blut Unschuldiger an seinen Händen hätte, und die Erinnerung an diese Worte ließ Cameron noch heftiger schluchzen.

Claire wiegte ihn wie ein Kind und strich ihm mit der Hand beruhigend über sein militärisch kurz geschnittenes Haar.

„Ist schon gut, weine ruhig“, flüsterte sie, wissend, dass beruhigende Worte ohnehin keinen Sinn gehabt hätten. Außerdem sagte ihr Instinkt ihr, dass es ihm gut tun würde, auf diese Art ein wenig Druck abzubauen.

Sie fuhr fort, seinen Kopf zu streicheln, Worte in sein Ohr zu flüstern, an die sie sich später selbst nicht erinnern sollte, und ihn in den Armen zu wiegen wie eine Mutter ihr weinendes Kind, und nach einer ganzen Weile ließ sein Schluchzen nach und hörte irgendwann ganz auf.

Als er sich schließlich aus ihrer festen Umarmung löste und aufsah, war sein Gesicht vom Weinen ganz verquollen, seine Augen gerötet. Claire standen inzwischen selbst die Tränen in den Augen, aber sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln.

Camerons Blick fiel auf das Foto von Lindsay, und die Erinnerung an ihre Worte ließ ihm erneut die Tränen in die Augen treten, doch dieses Mal gelang es ihm, sie zurückzudrängen.

„Sie hat gesagt, das Blut dieser Menschen klebt an meinen Händen. Deswegen ist sie gegangen“, erklärte Cameron jetzt und fügte dann, nach ein paar Augenblicken, an, so leise, dass sie es kaum verstehen konnte: "Sie hat mich 'Kindermörder' genannt. Und sie hatte Recht ..."

„Oh Gott“, kam es über Claires Lippen, und sie hatte das Gefühl, dass sie diese Worte an diesem Abend öfter gebraucht hatte als jemals zuvor. Doch dann besann sie sich auf das, was er gesagt hatte, und Wut regte sich in ihr. Wut auf Lindsay, die kaltherzig genug war, in ihrer Selbstgerechtigkeit einen Mann zu treten, der bereits am Boden lag, und der so offensichtlich unter dem, was er getan hatte, litt wie Cameron.

„Jetzt hör mir mal gut zu!“, sagte sie und blickte ihn dabei streng an, „Das ist absoluter Bullshit! Ich kann nicht glauben, dass sie das wirklich gesagt hat.“ Sie unterbrach sich auf der Suche nach den richtigen Worten. Was sollte sie auch sagen? Sie war nie in einer ähnlichen Situation gewesen, wie hätte sie sich anmaßen können, hier die Psychologin zu spielen. Aber Camerons Blick sagte ihr, dass er irgendetwas von ihr hören wollte – hören musste.

„Du bist nicht schuld am Tod dieser Menschen. Du hast einen Befehl befolgt, du hast dich auf die Informationen verlassen, die man dir gegeben hat. Niemand kann dich dafür verantwortlich machen“, stellte sie schließlich klar, doch Cameron schüttelte den Kopf.

„Aber ich bin derjenige, der den Knopf gedrückt hat“, beharrte er. Claire seufzte resigniert.

„Cameron ...“, begann sie und fügte dann ratlos an: „Ich weiß nicht, was ich tun soll, Cam. Kein vernünftiger Mensch gibt dir die Schuld an dem, was geschehen ist, am allerwenigsten ich. Aber ich kann dir nicht die Absolution erteilen. Niemand kann das. Verzeihen kannst am Ende nur du dir selbst.“

„Ich weiß nicht, ob ich das kann“, antwortete Cameron. Claire seufzte. Sie war mit ihrer Weisheit am Ende.

„Vielleicht ist die Air Force doch nicht das Richtige für mich“, murmelte Cameron dann.

„Ich denke, du solltest diese Entscheidung nicht überstürzen, Cam. Vielleicht solltest du einfach nur mal eine Weile hier raus. Fahr irgendwo hin – nach Hause, zu deinen Eltern“, schlug Claire als Alternative vor, „Krieg erst mal wieder den Kopf frei, bevor du eine so weitreichende Entscheidung fällst. Rede – rede mit deinem Dad. Er war selbst Soldat – vielleicht – vielleicht hat er die Antworten, die du suchst.“

Sie war sich nicht sicher, ob Cameron ihre Worte überhaupt wahrgenommen hatte, denn er saß nur stumm auf dem Sofa, ohne sich zu rühren, doch nach einer Weile blickte er sie schließlich an und nickte.

„Ja, vielleicht hast du recht, vielleicht – wäre das eine gute Idee.“ Die Aussicht, sich nach Hause zu flüchten, an den Ort seiner Kindheit, zu den Menschen, denen er bedingungslos vertrauen konnte, schien ihm mit einem Mal sehr verlockend, der Gedanke daran, mit seinem Vater zu reden, ungemein tröstlich.

Doch jetzt im Moment gewann langsam die Müdigkeit die Überhand. Er war ausgelaugt von den vielen schlaflosen Nächten, das Weinen hatte ihn erschöpft, und der Alkohol tat ein Übriges. Er spürte, wie seine Augenlider schwer wurden, und gähnte einmal herzhaft.

„Darüber kannst du dir aber auch morgen noch Gedanken machen. Jetzt gehörst du erst einmal ins Bett, na komm“, stellte Claire daraufhin fest. Sie griff ihn am Ellbogen und half ihm sanft, aber energisch, auf die Beine. Cameron schwankte einen Moment, aber fand dank Claires Hilfe sein Gleichgewicht schnell wieder.

Zusammen mit ihr schwankte er zur Schlafzimmertüre und stieß sie auf. Claires Hand suchte und fand den Lichtschalter an der Wand, die nackte Glühbirne flammte auf und tauchte den Raum in helles Licht.

Hier im Schlafzimmer herrschte dasselbe hoffnungslose Chaos wie im Wohnzimmer, nur die leeren Pizzaschachteln fehlten zum Glück. Cameron ließ sich schwer auf sein Bett fallen und sank sofort zur Seite auf sein Kopfkissen.

Claire zerrte erst einmal eine getragene Jeans unter ihm hervor und warf sie neben sich auf den Boden. Auf ein Kleidungsstück mehr oder weniger kam es nun auch nicht mehr an. Dann bückte sie sich und zerrte ihm die Schuhe von den Füßen, die ebenfalls irgendwo auf dem Boden landeten. Dann hob sie seine Beine aufs Bett und zog seine Bettdecke über ihn.

„Schlaf jetzt, Cameron“, sagte sie dann.

„Du bist so gut zu mir“, murmelte Cameron schon halb schlafend in die Falten seines Kopfkissens.

„Ja, ja, schon gut“, erwiderte Claire, tätschelte ihm noch einmal die Schulter, doch Cameron bekam es schon gar nicht mehr mit. Seine Augen waren bereits zugefallen, und sein Atem ging langsam und gleichmäßig.

Leise zog Claire sich zurück, löschte das Licht im Schlafzimmer und kehrte ins Wohnzimmer zurück.

Sie ließ die Teekanne und die Tassen auf dem Wohnzimmertisch stehen. Es machte ohnehin keinen Unterschied, ob die drei Teile nun auch noch in der Gegend herum standen oder nicht. Stattdessen ging sie zum Telefon, nahm den kleinen Notizblock, der daneben lag und kritzelte eine schnelle Nachricht darauf.

Ruf mich an, wenn du mich brauchst, Claire

Den Zettel klemmte sie zwischen Telefonhörer und Gabel, spätestens, wenn er das nächste Mal eine Pizza bestellte, würde er sie finden. Dann ging sie zur Türe, löschte das Licht und zog seufzend die Türe hinter sich ins Schloss.
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