Schöne Bescherung by Nyada
Summary: Für John Sheppard sollte es eigentlich ein perfektes, ganz besonderes Weihnachtsfest werden. Nun, wie gesagt... eigentlich.
Categories: Stargate Atlantis Characters: John Sheppard, Other Character, Teyla Emmagan
Genre: Friendship, Humor, Romance, Sequel, X-Mas
Challenges: Keine
Series: Keine
Chapters: 12 Completed: Ja Word count: 47764 Read: 81221 Published: 25.12.11 Updated: 11.04.12
Story Notes:
Eine Art Fortsetzung/Sequel zu meiner Story [SGA] Nachwirkungen. Inspiriert wurde ich von dem Weihnachstklassiker Schöne Bescherung aus dem Jahre 1989 mit Chevy Chase in der Rolle des Familienvaters Clark Griswold.

1. Alle Jahre wieder oder Die Ruhe vor dem Sturm by Nyada

2. Zuhause ist es doch am schönsten by Nyada

3. Mr. Frosty by Nyada

4. Ansichtssace by Nyada

5. Von Entscheidungen und Überraschungsgästen by Nyada

6. Die Heiligen Drei Könige by Nyada

7. Große und kleine Sünden by Nyada

8. Dunkle Wolken am Horizont by Nyada

9. Eiskalte Ãœberraschung by Nyada

10. Bescherung mit Hindernissen by Nyada

11. Väter und Söhne by Nyada

12. Willkommen in der Familie by Nyada

Alle Jahre wieder oder Die Ruhe vor dem Sturm by Nyada
Once again as in olden days
Happy golden days of yore
Faithful friends who were near to us
Will be dear to us once more
Someday soon, we all will be together
If the Fates allow
Until then, we'll have to muddle through somehow
So have yourself a merry little Christmas now.
Judy Garland – Have Yourself A Merry Little Christmas



Als John Sheppard am Morgen des fünfundzwanzigsten Dezembers in Pyjama, Morgenmantel und Pantoffeln durch die leeren Flure seines Elternhauses streifte, kam er nicht darum herum, an jenes Weihnachten vor dreißig Jahren zu denken. Die Erinnerungen waren klar und deutlich, fast so, als sei es erst gestern gewesen, und hafteten selbst nach einer so langen, langen Zeit noch immer an ihm. Die Hoffnung, es irgendwann einmal zu vergessen, hatte John schon vor langer Zeit aufgegeben. Es war schlichtweg unmöglich, die Geschehnisse und die damit verbundenen Bilder in seinem Kopf aus ebendiesem zu verbannen.
Ja, John erinnerte sich an jede Einzelheit dieses Tages, denn es war das erste Weihnachten nach dem plötzlichen, tragischen Tod seiner geliebten Mutter.

Der fünfundzwanzigste Dezember des Jahres 1979 war ein diesiger, wolkenverhangener und für Dezember viel zu warmer Tag gewesen. Es hatte nicht geschneit, so wie der kleine John es sich gewünscht hatte, aber in seiner Euphorie hatte er schnell über die Tatsache, dass es wohl kein weißes Weihnachten geben würde, hinweggesehen. Voller Vorfreude auf die bevorstehende Bescherung, hatte er am Morgen die Augen geöffnet und war aus seinem Bett geklettert. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass dieses Weihnachtsfest anders als die vorherigen werden würde.
Auf leisen Sohlen hatte er sich auf den Weg gemacht, in der Hoffnung, einen Blick auf den prächtigen Tannenbaum werfen zu können, den seine Eltern jedes Jahr im Kaminzimmer aufstellen ließen.
Im Haus war es totenstill gewesen, als er barfuss durch die Flure tapste; die Türen zum Schlafzimmer seiner Eltern und zu dem Zimmer, das sein Bruder bewohnte, waren geschlossen, und der neunjährige John hatte innerlich triumphiert und sich gefreut, dass er es sein würde, der den Weihnachtsbaum der Familie Sheppard als Erster zu Gesicht bekam und nicht sein Bruder Dave. Für ihn und Dave war es jedes Jahr eine Art Wettkampf und dieses Jahr würde er gewinnen!

Während er also nun in seinem Pyjama durch die leeren Flure tapste und sich darüber den Kopf zerbrach, was ihn wohl für Geschenke unter dem Baum erwarteten, bemerkte er nicht, wie ungewöhnlich ruhig es im Haus war. Normalerweise herrschte am Weihnachtstag um diese Zeit schon geschäftiges Treiben auf dem Sheppardschen Anwesen, doch heute war es fast schon unheimlich still.
Dem jüngsten Sohn des Hausherren war dies natürlich nicht aufgefallen und sein kleines Herz hatte schneller und schneller geschlagen je näher er dem Kaminzimmer kam. Als er schließlich vorsichtig die Türklinke herunterdrückte, glaubte er es vor Aufregung nicht mehr länger aushalten zu können. Er kniff die Lippen fest aufeinander, um ein kindliches Kichern zu unterdrücken, öffnete die Tür und betrat das Kaminzimmer. Vor freudiger Erwartung hatte er die Luft angehalten, entließ sie aber prompt wieder. Enttäuschung machte sich in ihm breit und die Erkenntnis traf den kleinen John Sheppard wie ein Schlag. Dieses Weihnachten würde anders sein!

Das erste Weihnachtsfest nach dem Tod seiner Mutter war das erste, wenn auch einzige Fest gewesen, an dem sein Vater keinen Weihnachtsbaum hatte aufstellen lassen. John fand das familiäre Kaminzimmer leer und kalt vor; noch nicht einmal der große Kamin war angefeuert geworden. Er erkannte den Raum, der immer von dem fröhlichen Lachen seiner Mutter erfüllt worden war, nicht mehr wieder. Nichts erinnerte mehr an die familiäre Atmosphäre. Die schönen Stunden, die er und seine Familie in diesem Raum verbracht hatten, waren vergessen, und John wurde klar, dass es dieses Jahr nicht nur der Weihnachtsbaum war, der fehlen würde.

Es war unvermeidbar, dass John sich an diesem heutigen Tag- dreißig Jahre später- an jenes Weihnachten zurückerinnerte, das die Wende in seinem Leben und dem seines Vaters und seines Bruders eingeläutet hatte. Im darauffolgenden Jahr hatte zwar wieder ein Tannenbaum im Kaminzimmer gestanden, doch es war nicht mehr dasselbe gewesen. Weihnachten ohne seine Mutter- für John schwer vorstellbar. Erst seine Mutter hatte dieses Fest wirklich… festlich gemacht. Sie war stets Feuer und Flamme gewesen, wenn es darum ging, Vorbereitungen zu treffen, Geschenke zu kaufen, den Baum zu schmücken, die leidigen Verwandten einzuladen oder Plätzchen zu backen. John erinnerte sich an das Chaos, das im Haus geherrscht hatte; die Angestellten, die wie aufgescheuchte Hühner umhergelaufen waren und rund um die Uhr geackert hatten, damit das Fest der Familie ihres Arbeitgebers perfekt wurde. Und er erinnerte sich an seine Mutter, die wie ein Fels in der Brandung gewesen war, vom Stress augenscheinlich unberührt und mit einem fröhlichen Lächeln auf den Lippen. Für ihre Angestellten war sie eine Feste gewesen, die letzte Rettung; Emmeline Sheppard hatte sich nicht davor gescheut, die niederen Arbeiten ihrer Angestellten zu übernehmen, wenn diese einmal mit ihren Nerven und Kräften am Ende waren. John sah seinen Vater vor sich, der sich immer fürchterlich darüber aufgeregt hatte, wenn er seine Frau mal wieder in der Küche beim Gansausnehmen „erwischt“ hatte. Doch davon hatte sich seine Mutter nicht beirren lassen, nicht im Geringsten.

An dieser Stelle musste John grinsen. Seine Mutter war das genaue Gegenteil seines Vaters gewesen, vielleicht der Grund, warum sie einander so gut ergänzt hatten. Schon hatte oft hatte John zu hören bekommen, dass er voll und ganz nach seiner Mutter kam; sie war eine liebenswerte Chaotin gewesen, genau wie er, hatte stets ihren eigenen Kopf gehabt und sich von niemanden etwas sagen lassen. Die Erinnerungen an seine Mutter hatten im Laufe der Zeit zu verblassen begonnen, waren aber immer noch stark. Wann immer John die Augen schloss und an sie dachte, sah er das kecke Grinsen Emmeline Sheppards vor sich, ihre hochgewachsene, schlanke Gestalt, die langen, in sanften Wellen verlaufenden kastanienbraunen Haare und ihre haselnussfarbenen Augen, die stets herausfordernd gefunkelt hatten. Ihre Lockerheit hatte im krassen Gegensatz zu der autoritären Wesensart ihres Mannes Patrick gestanden, dem sie in punkto Selbstbewusstsein in nichts nachgestanden hatte.

John vermisste seine Mutter. Er vermisste alles an ihr; ihr schiefes Lächeln, das auch das seine war. Ihre ruhige Stimme, die von Whiskey und Zigaretten leicht angeraut war. Ihre Scherze, die fast immer unter die Gürtellinie gegangen waren. Ihr raues, lautes, manchmal geradezu dröhnendes Lachen. Er vermisste alles und nun würde er wieder ein Weihnachtsfest ohne sie verbringen. Man sollte glauben, dreißig Jahre müssten genügen, um zu vergessen, doch John dachte nicht einmal im Traum daran, seine Mutter zu vergessen. Manchmal fragte er sich, wie sein Leben und das seines Vaters und seines Bruders wohl weitergegangen wäre, hätte der Truckfahrer an dem regnerischen Novembertag 1979 den Wagen seiner Mutter nicht übersehen.

Die Gedanken des Soldaten wanderten unwillkürlich zu seinem kleinen Sohn, T.J., der in diesem Augenblick wohl noch friedlich schlief und seine kindliche Fantasie im Land der Träume auslebte. Er wusste, dass sich seine Mutter immer Enkelkinder gewünscht hatte, jedoch war sie viel zu früh aus dem Leben gerissen worden, um zu sehen, wie ihre Söhne heirateten und eine eigene Familie gründeten. John wünschte sich, T.J. hätte seine Großmutter kennengelernt. Emmeline Sheppard war eine herausragende Persönlichkeit gewesen und er war sich sicher, dass T.J. genauso bewundert hätte, wie er es als kleiner Junge getan hatte.

Nun, jedoch, stand ihm und seiner Familie ein weiteres Fest ohne das bindende Glied der Familie Sheppard bevor- ein Umstand, der John grimmig die Lippen aufeinander pressen ließ. Wie jedes Jahr würde es darauf hinauslaufen, dass sein Vater die Existenz seiner Mutter an diesem besonderen Tag verleumden würde. Sein alter Herr sprach seit dem Tod seiner Frau nur selten über sie und stellte sich gut damit, so zu tun, als wäre sie nie da gewesen, eine Tatsache, die John zur Weißglut trieb. Die Heuchlerei seines Vaters machte ihn krank, denn er erinnerte sich nur zu gut daran, dass es nicht immer so gewesen war. Nach dem Tod Emmelines hatte Patrick seine Söhne in die Obhut der Hausdame Mrs. Broderick gegeben, die Tür zu seinem Büro hinter sich abgeschlossen und ward tagelang nicht mehr gesehen. Man konnte nur spekulieren, was der Hausherr hinter verschlossenen Türen getrieben hatte, aber als er schließlich wieder herauskam, tat er so, als wäre nichts geschehen.

Patrick Sheppard führte ein Leben hinter einer Maske. Niemand wusste je, wie es wirklich um ihn bestellt war. Er war Meister darin, seine Emotionen und Gefühle vor anderen zu verbergen, eine Eigenschaft, die John von ihm geerbt hatte. Tief in seinem Inneren wusste John, dass sein Vater nicht das eiskalte Biest war, für das ihn viele hielten. Patrick kannte jedoch kein Pardon, wenn er sich auf eine Sache festgelegt hatte, und hielt eisern an seinen Prinzipien fest. Wie oft hatte die sture, verbissene Art seines Vaters zu Streitigkeiten geführt; John hatte aufgehört zu zählen. Unterhaltungen zwischen ihnen waren stets wie eine tickende Zeitbombe gewesen, von der man nicht genau wusste, wann sie hochging. Fast jeder seiner Besuche hatte damit geendet, dass er und sein Vater sich angeschrieen hatten und einer von ihnen daraufhin empört und fluchend das Haus verließ.

Johns Besuch vor fünf Jahren war da keine Ausnahme gewesen. Nach T.J’s Geburt hatte er, auf Teylas Drängen hin, seinen Vater darüber informiert, dass er Großvater geworden war, und hatte sich sogar zu einem Besuch breitschlagen lassen. Von Anfang an hatte er gewusst, dass es ein Fehler war- zurecht, wie sich schon bald herausstellte. Dave hatte in einer Mail durchsickern lassen, dass ihr Vater seiner Ehe mit Teyla skeptisch gegenüber war, und wie erwartet, hatte Patrick diese „Bedenken“ auch prompt geäußert, als sie mit T.J. zu Besuch gewesen waren. Zuerst hatte er sich höflich gehalten, dann war ihm die ein oder andere flapsige Bemerkung über die Lippen gekommen, dann war er konkreter geworden. An dieser Stelle des Gesprächs hatte John Teyla und das Baby des Raumes verwiesen; er wollte nicht, dass seine Frau den drohenden Streit zwischen ihm und seinem Vater mitbekam und sich womöglich noch dafür die Schuld gab.

Dass sein Vater Teyla gegenüber Vorbehalte hatte, weil sie Mitglied seiner Einheit gewesen war, hatte John nicht weiter verwundert, aber dass er ihn als ihre Möglichkeit, ihr bisherigen Verhältnisse zu verlassen, bezeichnete, hatte das Fass überlaufen lassen. Er war gekommen, um sich mit seinem Vater zu versöhnen und ihm seine neue Familie zu präsentieren und das Resultat war ein gewaltiger Krach gewesen, der wie immer damit geendet hatte, dass John sich seine Familie schnappte und wutentbrannt das Haus verließ.

Der Soldat seufzte. Fünf Jahre war sein letzter Besuch jetzt her. Teyla und T.J. zuliebe zwang er sich dieses Weihnachten mit seinem Vater und der Familie seines Bruders Dave zu verbringen. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er Carson Becketts Angebot, ihn in die schottischen Highlands auf das Anwesen eines Cousin dritten Grades zu begleiten, nur zu gern angenommen. Er hätte sich sogar ein ganzes Wochenende mit Rodney herumgeschlagen und er war sich sicher, dass Elizabeth nichts dagegen gehabt hätte, ihn über die Feiertage mit durchzufüttern. Doch anstatt das Fest der Liebe mit seinen Freunden zu verbringen, war er hier, wartete darauf, dass sein Vater den nächsten Streit anfing, und dachte unentwegt an seine tote Mutter.

Klasse, dachte er, schlimmer konnte es doch gar nicht mehr kommen. Er wagte es nicht, es laut auszusprechen, denn er wollte den Teufel nicht an die Wand malen, zumal war der Empfang am Vorabend überraschend glimpflich vonstatten gelaufen. Sein Vater hatte sich erfreut gezeigt, dass sein jüngster Sohn und seine Familie ihn dieses Weihnachten beehrten. Freundlich hatte er sie begrüßt und sich darüber gewundert, wie groß T.J. doch geworden war. Teylas Schwangerschaft hatte ihm sogar ein kleines Lächeln auf sein strenges Gesicht gezaubert; liebevoll hatte er seine Schwiegertochter begrüßt und sich nach ihrem Befinden und dem des Babys erkundigt. Ein rundum gelungener Einstieg, doch John traute dem Frieden nicht so recht. Er kannte seinen Vater viel zu gut, um ihm dieses ‚Heile Welt’-Getue einfach so, ohne Zweifel abzukaufen. Patrick Sheppard wusste, wann er sein Pokerface aufzusetzen und zu lächeln hatte; er war jahrelang in der Politik tätig gewesen und hatte es im Laufe der Jahrzehnte perfektioniert.
John beschloss auf der Hut zu bleiben und seinen Vater nicht aus den Augen zu lassen, ganz gleich ob Weihnachten war oder nicht.

In Gedanken versunken und sich fragend, wie es Rodney wohl gerade bei der Familie seiner Schwester Jeannie in Kanada erging, ob Evan Lorne, seine Frau Calleigh und ihr Sohn Thomas wohl schon bei den Eltern in Minnesota angekommen waren und Elizabeth schon mit der Zubereitung des traditionell amerikanischen Weihnachtsmenüs kämpfte, schlenderte John weiter durch das scheinbar endlose Gewirr aus Gängen, durch die er als kleiner Junge gestürmt war oder sich von seinem Bruder hatte jagen lassen. Ihr Vater hatte es gehasst und sie immer wieder ermahnt, im Haus nicht zu rennen, doch sie hatten es trotzdem getan. Oder hatten sich auf dem riesigen Dachboden versteckt. Oder in den Pferdeställen. Oder in der Waschküche. Ja, dieses Haus war eine wahre Goldgrube und so hatte es John auch nicht gewundert, dass T.J.- kaum dass er angekommen war- sofort auf Erkundungstour gegangen war, um jeden noch so kleinen Winkel des Hauses zu erkunden. Sein Sohn war ein neugieriges Kind, das alles ganz genau erforschte, weshalb John auch nicht besorgt gewesen war, als T.J. erst nach geschlagenen drei Stunden wieder aufgetaucht war. Abends, als der Junge seinem Vater von seinem Abenteuer berichtet hatte, kam John nicht darum herum hin und wieder zu schmunzeln. T.J. hatte so begeistert von seiner Erkundungstour berichtet, dass er auf dem Bett auf und ab gehüpft war. Mit leuchtenden Augen vertraute er seinem Vater an, dass er einen ganz tollen Platz auf dem Speicher gefunden hatte, nicht wissend, dass auch John sich dort als Junge immer versteckt hatte.

Nachdem er fast eine halbe Stunde aufgeregt und ohne Punkt und Komma geredet hatte, war T.J. mit einem lauten Seufzen in Johns Armen zusammengesunken. Schmunzelnd hatte John seinen Sohn ins Bett getragen, ihn zugedeckt und über den dunkelbraunen Haarschopf gestreichelt und ihm versprochen, dass er ihm noch viele, viele andere geheime Plätze zeigen würde. Ein letztes Mal hatten T.J’s braune Augen an diesem Abend geleuchtet, dann war der Junge eingeschlafen. Noch eine ganze Weile hatte John auf der Bettkante gesessen und seinen Sohn beim Schlafen beobachtet. T.J’s friedlicher Anblick hatte ihn wie immer für einen kurzen Moment alle Sorgen vergessen lassen; selbst der Ärger wegen dem, was in der Vergangenheit zwischen ihm und seinem Vater Patrick vorgefallen war, hatte sich in Luft aufgelöst.
John war es seinem Sohn schuldig, sich um ein gutes Verhältnis zu seinem Vater zu bemühen. Er wollte nicht, dass T.J. etwas von den Spannungen mitbekam, sehr wohl wissend, dass das das kleine Kinderherz nur unnötig belastet hätte. Wenigstens für diese paar Tage wollte sich John bemühen, seinem Vater fair gegenüber zu sein. Für T.J., seinen Vater und auch für sich selbst.

Nachdenklich die Stirn runzelnd, steuerte John nun auf die Tür zum Kaminzimmer zu, die einen Spalt weit geöffnet war und durch die leise die Zeilen von Judy Garlands berühmten Weihnachtslied 'Have Yourself A Merry Christmas' drangen. Wahrscheinlich war es die gute, alte Mrs. Broderick, die versuchte wenigstens etwas Weihnachtsstimmung in diesem Haus zu verbreiten, dachte sich John und beschleunigte seine Schritte. Die alte Hausdame war die einzige Person, die er in all den Jahren wirklich vermisst hatte und das Wiedersehen war wie gewohnt herzlich ausgefallen. Nach dem Tod der Mutter war sie für John und seinen Bruder Dave so etwas wie eine Ersatzmutter geworden. Mrs. Broderick war die gute Seele des Hauses, brachte jeden zum Lachen, war aber auch streng. Nicht einmal Patrick Sheppard traute sich, ihr etwas entgegenzusetzen.

Die rüstige Dame wuselte wie erwartet um den Tannenbaum herum, als John das Zimmer betrat. Er blieb stehen und beobachtete schmunzelnd, wie Mrs. Broderick mit Lametta und Christbaumkugeln um sich warf. Sämtliche Dekorationsartikel lagen um die kleine, rundliche Frau verstreut, während der Baum an sich immer noch viel zu grün, viel zu unspektakulär und viel zu kahl darauf wartete, geschmückt zu werden. Wohl war, Mrs. Broderick mochte zwar ihren Haushalt mit eiserner Hand führen, aber ihre Weihnachtsbaumschmückaktionen waren schon immer chaotisch gewesen. Kaum zu glauben, dass sie es jedes Jahr- bis auf das eine- aufs Neue geschafft hatte, dass die Familie am Abend einen prachtvollen Baum vorfand.

Die mit Weihnachstbaumschmuck um sich werfende Mrs. Broderick stellte sich der ehrenvollen Aufgabe nicht allein; auf den zweiten Blick konnte John Teyla ausmachen, die den Dekorationswahn der älteren Hausdame skeptisch beobachtete, und dann entdeckte er auch T.J., der ebenso irritiert wie seine Mutter zu sein schien. Skepsis stand auf sein liebliches Kindergesicht geschrieben und er runzelte die Stirn, eine Geste, die er sich von Carson Beckett abgeguckt hatte.

„Ich dachte, der Schmuck gehört an den Baum“, hörte John ihn vorsichtig anmerken. T.J., der in seinem Pyjama auf der Couch saß, betrachtete das Chaos zu seinen Füßen und die Furchen auf seiner Stirn wurden noch tiefer.

„Sicher, mein Schatz“, beruhigte Mrs. Broderick ihn, „aber wir müssen ihn doch erst sortieren.“ T.J’s Gesichtsausdruck nach zu ordnen, gehörte das Sortieren der Weihnachtsbaumkugeln genauso wenig zum Schmücken des Baumes wie das Durcheinanderwerfen des glitzernden Lamettas. Er ließ Mrs. Brodericks Worte jedoch kommentarlos auf sich wirken und schien sich dann auf die Person zu besinnen, die soeben das Kaminzimmer betreten hatte.

„Daddy!“, rief er und ein Strahlen breitete sich auf seinem Gesicht auf. „Sieh nur, wir schmücken den Baum!“

„Das sehe ich“, lächelte John, „und ihr macht das toll. Das wird bestimmt der schönste Weihnachtsbaum in der ganzen Stadt.“

T.J. begann auf der Couch aufgeregt auf und ab zu hüpfen, was Teyla auf den Plan rief, die ihren Sohn liebevoll, aber bestimmt ermahnte, er solle stillsitzen. John grinste, als sie das tat. Die Athosianerin war ohne jeden Zweifel das autoritärere Elternteil, während seine Wenigkeit dem Jungen öfter etwas durchgingen ließ.

„Torren“, ließ Teyla ihre Stimme abermals warnend erklingen, als der Junge beim ersten Mal nicht sofort auf sie hörte. „Ich habe Dir gesagt, Du sollst vorsichtig sein. Das sind nicht Deine Möbel, auf denen Du da herumturnst.“

„Ach, lassen Sie ihn doch, Schätzchen“, meldete sich nun Mrs. Broderick zu Wort. „Die Möbel halten schon seit über dreißig Jahren und haben ihrerzeit schon Jonathan und David aushalten müssen.“

„Wirklich?“, fragte Teyla nicht sonderlich überrascht klingend und warf ihrem Mann einen vielsagenden Blick zu. John zuckte mit den Schultern und sie hob die Braue. Die Tatsache, dass auch schon er und sein Bruder auf den Möbeln herumgeturnt waren, schien sie nicht zu überraschen.

Mrs. Broderick, ihrerseits, fuhr fort, den Weihnachtsbaumschmuck zu sortieren, während sie erzählte. „Sie hätten die beiden als kleine Burschen erleben müssen!“ Es war mehr ein Ausruf als eine ruhige Feststellung. „Jeden Tag ist etwas im Haus zu Bruch gegangen.“ Ihre weisen braunen Augen trafen auf die von John. „Und besonders schlimm war unser lieber Jonathan.“

„Mrs. Broderick…“ John verdrehte die Augen. „Wie oft habe ich Ihnen gesagt, dass Sie mich nicht so nennen sollen? Niemand tut das.“ Das war zwar nicht ganz richtig- seine Mutter hatte ihn oft genug Jonathan genannt, meistens dann, wenn er in Schwierigkeiten gesteckt hatte.

„Ach, Jungchen“, seufzte die Hausdame und ließ die Arme sinken, „ich bin alt und habe nicht mehr viele Jahre zu leben. So lass mir doch den Spaß.“

„Ich finde, es klingt sehr… adrett“, gab nun auch Teyla zu Bedenken. John warf ihr einen eisigen Blick zu, lächelte aber Sekunden später wieder, als er auf sie zukam und von hinten die Arme um ihren Leib schlang.

„Adrett, sagst Du?“ Die Athosianerin lachte leise, als er ihren Nacken zu küssen begann, was sowohl Mrs. Broderick als auch T.J. als stille Aufforderung aufzufassen schienen, denn die beiden verkündeten fast gleichzeitig, dass sie noch etwas zu tun hatten; T.J. folgte in Ermangelung einer ihn erwartenden Tätigkeit oder seinem schier unstillbaren Hunger nach selbstgebackenen Plätzchen der Hausdame in die Küche. Seine Eltern blieben allein mit sich selbst und dem Weihnachtsbaumschmuckchaos im Kaminzimmer zurück und lauschten der hellen Kinderstimme ihres Sohnes, bis diese nicht mehr zu hören war.

„Wieso werde ich den Gedanken nicht los, dass Du diese Frau als kleiner Junge sehr gemocht hast?“, fragte Teyla schließlich und lehnte ihren Kopf gegen den Brustkorb ihres Mannes.

„Weil ich sie sehr gemocht habe“, erwiderte John ihr und vergrub seine Nase in ihrem langen rotbraunen Haar. „Für mich war sie so etwas wie meine eigene Mary Poppins. Und ihre Kekse…“ Er seufzte wohlig hinsichtlich der Erinnerung an das köstliche Gebäck der Hausdame. „Du musst ihre Kekse probiert haben.“ Er schlang die Arme fester um seine Frau. „Ich muss Dir gestehen, Tey, dass ich mich in diese Frau unsterblich verliebt habe, als mein Vater sie damals ins Haus geholt hat.“

Teyla lachte leise. „Ich habe schon befürchtet, dass ich nicht die einzige Frau in Deinem Leben sein werde, John“, sagte sie und wandte sich zu ihm um. Der Soldat grinste, beugte sich dann vor und küsste sie kurz, aber zärtlich auf den Mund.

„Und bald wirst Du mich mit noch einer teilen müssen“, meinte er lächelnd und legte seine Hand auf den runden Bauch seiner Frau, in dem in den letzten achteinhalb Monaten ihr gemeinsames Baby herangewachsen war, das in nicht einmal mehr drei Wochen auf die Welt kommen sollte.

„Wir wissen nicht mit Sicherheit, ob es ein Mädchen wird, John“, erinnerte Teyla ihn mit einem sanften Lächeln und deckte seine Hand mit ihrer zu. „Ich hoffe, Du bist nicht allzu enttäuscht, aber Dr. Beckett meinte bei meiner letzten Untersuchung, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass wir wieder einen Sohn bekommen.“

„Aber er schloss ein Mädchen nicht aus, oder?“, hakte John nach.

Teyla schüttelte mit dem Kopf. „Nein, er schloss es nicht aus. Wir müssen uns einfach überraschen lassen.“

„Ich hasse Überraschungen“, murmelte John, als er sich erneut vorbeugte und sie auf die Stirn küsste. „Und außerdem bin ich mir sicher, dass es ein Mädchen wird“, fügte er hinzu, woraufhin Teyla die Augenbrauen anhob.

„Ach, und was lässt Dich da so sicher sein?“, wollte sie wissen.

„Väterliche Intuition“, antwortete der Soldat und die Athosianerin lachte.

„Du meinst dieselbe ‚väterliche Intuition’, die Dir damals schon sagte, dass Torren auch ein Mädchen wird?“, triezte sie ihn. Johns Augen schmälerten sich und er kräuselte beleidigt die Nase.

„Gut, gut, ich gebe zu, dass meine Intuition damals wohl etwas danebenlag“, sagte er schließlich. „Wieso musst Du nur immer wieder damit ankommen? Ja, ich habe mich geirrt, aber dieses Mal“- Er streichelte über ihren Bauch-„bin ich mir ganz sicher. Hundertprozentig sicher. Es wird ein Mädchen.“

Teyla erwiderte seinen Blick liebevoll. „Wir werden sehen“, meinte sie, stellte sich leicht auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Sie lachte auf, als John die Arme um ihre Schultern schlang und den Kuss so leidenschaftlich erwiderte, dass sie beide atemlos waren, als sie sich ein paar Sekunden später wieder voneinander lösten, und seufzte, als ihr Kind mit einem kräftigen Tritt auf sich aufmerksam machte. Ihre Miene verrutschte um einige Millimeter, als das Baby in ihr zu strampeln und zu treten begann, und sie seufzte erneut.

„Alles okay?“, fragte John besorgt, als er sah, dass sie sich den Bauch hielt und das Gesicht verzog. „Tey?“

„Es ist nichts“, antwortete die Athosianerin rasch, bevor er noch nervöser wurde. „Das Baby bewegt sich nur öfter. Und stärker. Hier…“ Sie nahm seine Hand und legte sie zurück auf ihren Bauch. „Spürst Du das?“

Das Baby bewegte sich wieder in ihr und John lächelte. „Wow, was war das? Ein Fuß? Das muss sich komisch anfühlen“, mutmaßte er.

„Als ob es meine Organe mit seinen kleinen Füßchen und seinen winzigen Händen zerquetschen will, ja“, schmunzelte Teyla und zog Sekunden später scharf die Luft ein, als sie das Baby erneut kräftig trat und sie einen kurzen stechenden Schmerz im Unterleib verspürte. „Es wird später bestimmt einmal ein großartiger Footballspieler“, versuchte sie zu scherzen, doch in Johns Ohren klang es alles andere als locker. Es war vielmehr ein Keuchen, das seine Sorge nur noch mehr schürte.

„Bist Du sicher, dass alles in Ordnung ist?“, fragte er sie erneut, als er ihre aufeinander gekniffenen Lippen bemerkte. „Hast Du Schmerzen?“ Er nahm sie vorsichtig an den Ellenbogen und führte sie zu der Couch, damit sie sich setzen konnte.

„John, es geht mir gut“, bemühte sich seine Frau, ihn zu beruhigen. „Das ist am Ende der Schwangerschaft völlig normal und das solltest Du auch wissen.“

„Trotzdem macht es mich nervös.“ Der Soldat half ihr dabei, sich zu setzen. „Eigentlich hatte ich nicht vorgesehen, dass Du das Baby ausgerechnet dann bekommst, wenn wir bei meinem Vater zu Besuch sind. Diesen Triumph will ich ihn bei aller Liebe nicht gönnen.“

Teyla seufzte. „Das Baby wird in zwei Wochen kommen, so wie Dr. Beckett es ausgerechnet hat“, sagte sie dann. „Du musst Dir also keine Sorgen machen. Mir geht es gut und dem Baby geht es auch gut. Alles ist in Ordnung, John.“

Seine Frau noch immer skeptisch musternd, nickte John. Sie musste wohl am besten wissen, wie es um sie und das Baby bestellt war, was aber nicht bedeutete, dass er sich nicht um sie sorgte. Dass Teyla überhaupt schwanger war, kam einem Wunder gleich und allein die Vorstellung, dass ihr oder ihrem Baby etwas zustieß, bereitete John Alpträume. Sie hatten lange warten müssen und es waren viele, viele Tränen vergossen worden, ehe es endlich geklappt hatte. Sie beide waren kurz davor gewesen aufzugeben, als Teyla verkündet hatte, dass sie schwanger war. Von diesem Tag an, hatte John sie wie ein rohes Ei behandelt. Er hatte nicht riskieren wollen, dass ihr oder dem lang ersehnten Baby etwas passierte. Sie beide hatten schon einmal ein Kind verloren und es war schrecklich gewesen; wie lange sie getrauert und wie oft sie einander nachts weinend in den Armen gelegen hatten, wusste John nicht mehr. Dieses neue Baby war ein gottgegebenes Wunder und so bemutterte er seine Frau wo es nur ging, damit es ihr und dem kleinen Wesen, das in ihr heranwuchs, gut ging.

„Ich mach’ mir nur Sorgen“, wiederholte er daher und Teyla nickte und legte ihre Hand an seine Wange.

„Ich weiß“, sagte sie, „und ich mache mir auch Sorgen, aber Du übertreibst ein klitzekleines bisschen, John. Es ist nicht nötig, mich rund um die Uhr im Auge zu behalten. Ich kann auf mich selber aufpassen und ich weiß, was gut für mich und das Baby ist.“

„Okay“, erwiderte John, obwohl er alles andere als beruhigt war. Irgendwie gelang es ihm, die sorgenvollen Gedanken wegzuschieben und ein einigermaßen akzeptables Lächeln aufzusetzen, von dem er wusste, das es seine Frau glücklich machen würde.

„Sehr schön“, sagte die Athosianerin dann tatsächlich wie erwartet, erwiderte sein Lächeln, während sie gleichzeitig seine Hand drückte. „Wir sollten uns jetzt darüber keine Gedanken machen- es ist Weihnachten!“

Es ist Weihnachten. Diese Worte aus Teylas Mund brachten John unwillkürlich zum Grinsen. Bis vor ein paar Jahren hatte die Athosianerin nicht einmal gewusst, was es mit dem merkwürdigen Brauch von der Erde auf sich hatte und sie hatte die Schmückaktionen daheim in Atlantis mit ähnlicher Skepsis beobachtet wie die von Mrs. Broderick. Sie hatte den Sinn des Festes nicht verstanden und warum ein einziges, kleines Baby so viel Macht und Faszination auf die Menschen ausübte. Und dass man Bäume mit bunten Kugeln behängte, hatte sie seltsam gefunden.
Heute schien Teyla nicht mehr ohne das schönste Fest des Jahres zu können. Sie liebte es, ihr Quartier weihnachtlich zu dekorieren und sog jede Information, die sie bezüglich des Weihnachtsfestes bekommen konnte, in sich auf wie ein Schwamm. Es war schon merkwürdig und zugleich höchst amüsant diesen Wandel mitzubekommen; John fand die Akzeptanz seiner Frau bezüglich ‚Erdtraditionen’- wie sie es nannte- höchst beachtenswert- vielleicht auch ein Grund, weshalb er sich jeden Tag aufs Neue in sie verliebte.

„Es ist Weihnachten, John“, wiederholte Teyla in diesem Augenblick mit funkelnden Augen, die an die ihres Sohnes erinnerten. „Wir sind hier, bei der Familie, und alles wird gut werden, glaub mir“, sagte sie mit einem milden Lächeln, das John gar nichts anderes übrig ließ, als dieselbe Vorfreude auf Heiligabend zu verspüren wie sie und ihr Lächeln zu erwidern.

„Es ist Weihnachten“, echote er, drückte ihr einen Kuss auf die Lippen und auf ihren runden Bauch. „Du hast recht; es ist Weihnachten.“ Und zum ersten Mal seit Jahren freute sich John Sheppard auf das bevorstehende Weihnachtsfest, nicht ahnend, dass sich diese Vorfreude schon sehr, sehr bald in Luft auflösen würde.

TBC
Zuhause ist es doch am schönsten by Nyada
Author's Notes:
A/N: Ich fand das Benehmen von Dave in ‚Outcast’ etwas daneben, also habe ich mir die Freiheit genommen, seine Figur etwas… naja, wie soll ich es sagen… freundlicher geschrieben habe.
I'm driving home for Christmas
I can't wait to see those faces
I'm driving home for Christmas, Yeah
I'm moving down that line
And it's been so long
But I will be there
I sing this song
To pass the time away
Driving in my car
Driving home for Christmas
Chris Rea – Driving Home For Christmas



T.J. hatte Dave und Amanda bisher nur einmal gesehen und war damals noch zu klein gewesen, um zu verstehen, dass es sich bei dem Mann mit den eisblauen Augen um seinen Onkel und bei der netten Blondine mit dem Strahlelächeln um seine Tante handelte. Fasziniert hatten die beiden sich über die Wiege gelehnt und das hilflose Baby mit ihren riesigen Köpfen dabei so sehr verängstigt, dass der sechs Monate alte Säugling wie eine Feuersirene aufgejault hatte und die beiden den ganzen Nachmittag nicht mehr aus den Augen gelassen und zu Schreien begonnen hatte, kaum dass Dave und Amanda sich ihm genähert hatten.

Jetzt- fünf Jahre später- leuchteten seine braunen Augen jedoch, als er aus dem Fenster blickte und Daves dunklen Volvo erspähte, der gerade auf den verschneiten Hof vor dem Haus vorfuhr. Aufgeregt begann der Fünfjährige mit so einem Elan auf der Fensterbank auf und ab zu hüpfen, dass John befürchtete, er würde fallen und sich etwas brechen.

„T.J., sei vorsichtig“, mahnte er seinen Sohn, der ihm jedoch nicht zu zuhören schien, denn seine ungeteilte Aufmerksamkeit galt seinen soeben eingetroffenen Verwandten, die aus ihrem Wagen ausstiegen.

„Onkel Dave ist da!“, rief T.J. und begann um John herumzuhüpfen. „Komm, Daddy, Onkel Dave ist da! Nun komm schon!“ Seine kleine Hand griff nach der seines Vaters. „Komm, Daddy!“

„Moment, Moment“, lachte John und folgte seinem Sohn aus dem Kaminzimmer hinaus in den Hausflur. „Immer mit der Ruhe, Kumpel. Nicht so schnell!“

„Daddy“, jaulte T.J., dessen freudiges Gejauchze nun auch den Rest des Haushaltes auf den rief; Teyla und Mrs. Broderick kamen durch die Küchentür und auch Mr. Hopps, der grimmige Stallmeister, der mindestens genauso lange wie Mrs. Broderick für die Familie angestellt war, erschien auf der Bildfläche.

„Mein Gott, von diesem Geschrei bekomme ich Migräne“, schimpfte der Mann mit dem starken Südstaatenakzent, obwohl alle wussten, dass sich der stämmige Stallmeister und der kleine Sohn des jüngsten Abkömmlings Patrick Sheppards bereits am ersten Tag angefreundet hatten. Arthur „Art“ Hopps hatte T.J. bei einem von dessen Streifzügen durch die Pferdeställe aufgegabelt und den kleinen Jungen mit den wirren braunen Haaren und den blitzenden braunen Augen sofort ins Herz geschlossen.

„Onkel Dave ist da“, erklärte T.J. Mr. Hopps und begann wieder zu zappeln, eine seiner Angewohnheiten, die seine Eltern ihm vergebens abzugewöhnen versuchten. Ungeduldig zog er an Johns Hand.

Mrs. Broderick und Mr. Hopps lachten und der Stallmeister fragte, an Teyla gewandt: „Und Sie sind sich sicher, dass das mit dem zweiten Kind so eine gute Idee war?“

„Ich fürchte, Mr. Hopps, dass es jetzt zu spät ist, es zu ändern“, erwiderte die Athosianerin ihm höflich. Wieder war dröhnendes Lachen von den beiden Hausangestellten die Antwort, in welches Teyla kurz einstimmte, nur um wenige Sekunden später ihren Sohn zurückzurufen, der sich inzwischen von der Hand seines Vaters gelöst hatte und zur Haustür geflitzt war- ohne Erfolg; der Junge war bereits durch die Tür ins Freie verschwunden, nur in seinem Pyjama und dicken Socken.

„Was für ein Wirbelwind“, stellte Mrs. Broderick zum wiederholten Male fest und knuffte John im Vorbeigehen in den Ellbogen. „Da kommt er nach Dir, Jonathan.“

„Wohl wahr, wohl wahr, Percy“, pflichtete Art Hopps ihr bei, was ihm einen bitterbösen Blick des jüngsten Sohn seines Arbeitgebers einbrachte. Er folgte Mrs. Broderick, nicht ohne John ein letztes Mal zuzuzwinkern.

„Komm“, sagte Teyla, die sich bei ihrem Mann einhakte, als dieser die Augen verdrehte, „lass uns Deinen Bruder begrüßen.“

John sah sie an… und zögerte auf einmal. Sein Bruder. Fünf Jahre war es her, dass er den drei Jahre älteren Dave das letzte Mal gesehen hatte. Nach dem verheerenden Streit mit seinem Vater hatte es John nicht gewagt, seinem Bruder unter die Augen zu treten. Er hatte ihm in regelmäßigen Abständen Mails geschickt, um ihn und seine Familie auf dem Laufenden zu halten, aber das war nicht dasselbe. John behauptete nicht, dass er seinen Bruder vermisst hatte… aber genauso war es. Er hatte Dave vermisst. Dave war nach Mrs. Broderick die einzige Person gewesen, die nach dem Tod der Mutter zu ihm gehalten und ihn vor den Launen des Vaters beschützt hatte. Dave war stets Johns großes Vorbild gewesen. Sie beide hatten sich immer gut verstanden, abgesehen von den kleinen Streitigkeiten, die für Geschwisterkinder üblich waren und nicht selten mit blutenden Nasen, aufgeschürften Knien und blauen Flecken geendet hatten.
Johns Herz schlug hinsichtlich der Tatsache, dass er nun nach fünf langen Jahren endlich seinen großen Bruder wieder sehen würde, schneller und plötzlich konnte es ihm gar nicht schnell genug gehen.

„Onkel Dave!“ Auf einmal verspürte er eine ähnliche Euphorie wie T.J. und als er die Stimme seines Bruders außerhalb des Hauses vernahm, hatte John zum ersten Mal seit seiner Ankunft das Gefühl, wirklich Hause gekommen zu sein.

*~*~*


„Onkel Dave!“ Dave Sheppard hob den Kopf und drehte sich herum, als man ihn rief. Es dauerte einen Augenblick, ehe seine eisblauen Augen, die er von seinem Vater Patrick hatte, in dem kleinen, ihm entgegenkommenden Jungen seinen Neffen erkannten. Dave stockte für einen kurzen Moment der Atem, dann breitete sich ein fröhliches Lächeln auf seinem sonst so strengen Gesicht aus.

„Mein Gott, T.J.!“, rief er aus, ließ das Gepäck stehen, ging in die Knie und breitete die Arme aus, um seinen Neffen in Empfang zu nehmen. Lachend warf sich der Junge gegen seine Brust und Dave verspürte augenblicklich dasselbe warme Flattern in seinem Brustkorb wie damals, als er den Kleinen zum ersten Mal gesehen hatte. „Lass Dich ansehen!“, sagte er, nachdem er die stürmische Umarmung des Jungen kurz erwidert hatte. „Du meine Güte!“ Dave staunte nicht schlecht; aus dem kleinen, hilflosen Baby war ein fast sechsjähriger Bengel geworden. „Wie groß Du geworden bist!“

T.J. schenkte ihm ein schneidezahnloses Grinsen, welches Dave an den Vater des Jungen erinnerte, dem der Kleine bereits jetzt sehr ähnlich sah. Dieselben wirren, vom Wind zerzausten Haare, auch wenn sie etwas heller als Johns waren, und das gleiche abenteuerlustige Funkeln in den Augen. T.J’s Züge glichen denen seines Vaters sehr und für einen kurzen Moment glaubte Dave seinen kleinen Bruder in jungen Jahren vor sich zu haben.

„O mein Gott, ist das T.J.?“ Daves Frau Amanda hatte den Kleinen erst jetzt entdeckt und strahlte ihren Neffen an.

„Ja, das bin ich“, antwortete T.J. brav und ging daran, seine Tante zu umarmen, wenn auch etwas zurückhaltender als er es bei Dave getan hatte. „Hallo, Tante Mandy“, grüßte er sie höflich.

„Du bist ja richtig in die Höhe geschossen“, wunderte sich nun auch Amanda und drückte das Kind lachend an sich. Auch sie schien es nicht glauben zu können, dass es sich bei dem kleinen Baby aus ihrer Erinnerung und dem kecken Jungen, der nun vor ihr stand, um ein und dieselbe Person handelte.

„Dave! Amanda!“, riss eine wohlbekannte, aber viel zu selten gehörte Stimme die beiden aus ihrer faszinierten Betrachtung ihres Neffen. Als Dave sich umwandte, sah er seinen Bruder auf sich zukommen. Er hatte ein Lächeln auf den Lippen, als er vor Dave zum Stehen kam, ein absolut ehrliches Lächeln, welches keinen Zweifel mehr daran ließ, dass er sich freute, ihn wiederzusehen.

„John“, begrüßte Dave ihn dennoch etwas zurückhaltend. Nach fünf langen Jahren wusste er nicht, wie er ihm am besten gegenübertreten sollte, vor allem nicht nach allem, was passiert war. Er hatte den Streit zwischen John und ihrem Vater selbstverständlich mitbekommen und ihm war auch nicht entgangen, dass sein Bruder danach wutentbrannt samt Frau und Kind das Haus verlassen hatte. Seit diesem Tag vor fünf Jahren hatte er seinen kleinen Bruder nicht mehr gesehen; nun stand er vor ihm, mit einem Grinsen im Gesicht und diesem Funkeln in den Augen, von dem Dave nicht wusste, was er davon halten sollte.

„Hey“, war Johns für ihn typische Erwiderung und er streckte die Hand aus, doch Dave schloss seinen Bruder kurzerhand in eine Umarmung und klopfte ihm auf die Schulter.

„Es ist schön Dich wiederzusehen, John“, sagte er. „Ich… hätte nicht gedacht, dass Du dieses Jahr tatsächlich kommst.“

„Ich auch nicht“, erwiderte sein Bruder nach einer kurzen Pause und Dave nickte. Er wusste, was sein Bruder damit sagen wollte, es brauchte keine Worte, um dem, was in Johns Kopf vorging, Ausdruck zu verleihen. Also beließ es Dave bei einem Schweigen und wandte sich stattdessen seiner Schwägerin zu, die ebenso breit lächelte wie ihr Mann.

„Teyla…“ Er küsste sie liebevoll auf die Wange. „Wie schön Dich zu sehen.“ Sein Blick fiel auf ihren sich unter ihrem langen Cardigan wölbenden Bauch. „So viel mehr von Dir.“

„Es ist auch schön, Dich zu sehen, David.“ Johns Frau war die einzige Person, die ihn bei seinem vollen Namen ansprach; nicht einmal sein Vater nannte ihn David. Sie neigte den Kopf leicht zur Seite, lächelte und begrüßte dann auch Amanda.

„Du meine Güte“, rief Daves Frau aus, als sie ihre Schwägerin kurz, aber herzlich umarmt hatte, und sah auf Teylas Bauch herab. „Was hat er Dir angetan?“ Lachend schüttelten die beiden Frauen ihre Köpfe und John schlang den Arm um die Hüfte seiner Frau.

Seinem Bruder und dessen Frau zuzwinkernd, meinte er: „Es ist ja nicht so, dass sie sich dagegen gewehrt hätte.“ Teyla verdrehte die Augen und knuffte ihn in den Ellenbogen.

„Wann ist es denn soweit?“, wollte Amanda, immer noch lachend, wissen.

„In zwei Wochen“, antwortete Teyla.

Daves Augenbrauen hoben sich. „Zwei Wochen?“, echote er, bevor er seinem Bruder einen Seitenblick zuwarf. „Wie hast Du sie in diesem Zustand durch die Sicherheitszonen bekommen?“

John lachte. „Sagen wir’ so: Ich hatte bei einem alten Freund von der Akademie noch was gut. Er hat uns geflogen. Aber…“ Er klatschte in die Hände. „Kommt doch erst einmal rein.“

„Ihr müsst bestimmt völlig erschöpft sein“, stimmte Teyla ihm zu. „Mrs. Broderick hat gerade frischen Kaffee aufgesetzt.“

„Und Plätzchen“, rief T.J. aufgeregt, von einem Fuß auf den anderen tapsend dazwischen und die Erwachsenen brachen erneut in Gelächter aus.

Amanda seufzte. „Hhm, ihr glaubt ja gar nicht, wie gut sich das anhört.“ Dave stimmte ihr gedanklich zu. Eine fünf Stunden lange Autofahrt lag hinter ihnen und es gab nichts, wonach er sich mehr sehnte, als nach einem starken Kaffee und einem beheizten Raum. Voller Vorfreude schnappte er sich die eine Hälfte des Gepäcks, während John sich um die andere Hälfte kümmerte. Ihren Frauen und T.J. folgend, gingen die beiden Brüder wortlos nebeneinander her. Sie waren schon fast an der Haustür angekommen, als John ihn ansah, lächelte und meinte:

„Willkommen zuhause, Davis.“

Dave grinste seinen kleinen Bruder an. Dann: „Willkommen zuhause… Johnnyboy.“


*~*~*


Den heißen Kaffee genießend, stand John am Fenster der hauseigenen Bibliothek, von wo aus er beinahe das ganze, schneebedeckte Anwesen überblicken konnte; den großen Garten, die nun Winterschlaf haltenden Obstgärten, den Rosengarten, den runden Teich, in dem er und Dave als Kinder immer geschwommen waren, die schneebedeckten, weißeingezäunten Pferdekoppeln, das kleine, an das Grundstück angrenzende Waldstück.

John lächelte in den Dunst des Kaffees hinein. Von den vielen Häusern, in denen er als Kind gewohnt hatte, war dieses ihm besonders ans Herz gewachsen. Es war jenes Haus, das ihm am meisten ähnelte. Es war schlicht und einfach, die klaren Formen und Strukturen der Architektur hatten John schon als kleiner Junge gefallen. Er hasste die pompösen Aufmachungen der anderen Häuser, die hohen Decken, die edlen Holzböden, die verzierten Stuckleisten, denen eh kein Mensch Beachtung schenkte, da sie viel zu weit unten waren, um Aufmerksamkeit zu erregen. Nein, dieses Haus war anders. Dieses Haus strahlte Natürlichkeit aus. In diesem Haus war John geboren worden. Hier war er aufgewachsen, hier hatte er den Großteil seiner Kindheit verbracht, hier hatte er mit seiner Mutter gelebt. Sie hatte dieses Haus genauso geliebt wie er und sich geweigert in eines dieser überteuerten Stadthäuser zu ziehen, so wie Johns Vater es gewollt hatte. Sie hatte um ihr Recht, in diesem Haus zu wohnen, gekämpft. Für sie hatte dieses Haus einen besonderen Wert gehabt- genau wie für John.

Der Soldat war so sehr in seinen Gedanken versunken, dass er seinen Bruder, der neben ihm aufgetaucht war, erst bemerkte, als er zu sprechen begann.

„Sie hat dieses Haus geliebt.“ Daves Stimme war ruhig, dennoch zuckte John zusammen, aber vielmehr weil er sich wieder einmal von seinem großen Bruder ertappt fühlte. Dave war schon immer Meister darin gewesen, zu erkennen, was ihm durch den Kopf ging. Egal wie sehr John versucht hatte, seine wahren Gefühle und Empfindungen vor seinem Bruder zu verstecken, Dave hatte immer gewusst, wie es um ihn bestellt war. So auch jetzt.

John wartete, bis Daves Bemerkung nicht mehr so erdrückend in der Luft hing, dann begegnete er dem Blick seines Bruders. Dave lächelte.

„Es ist nicht schwer, zu erkennen, woran Du denkst“, fasste er das Offensichtliche in Worte. „Du warst schon immer leicht zu durchschauen, John.“

„Und Du warst schon immer gut darin, mir mit Deinen besserwisserischen Getue auf die Nerven zu gehen.“ Die Brüder schmunzelten.

„Denkst Du noch oft an sie?“, fragte Dave schließlich nach einer kurzen Pause und John sah wieder aus dem Fenster.

„Du etwa nicht?“

Dave schüttelte mit dem Kopf, seufzte. „Ich will nicht lügen“, sagte er leise, „ich denke jeden Tag an sie. Sie hat Weihnachten geliebt. Es war ihr Lieblingsfest. Sie ist den ganzen Tag durchs Haus geschwebt, wie auf einer Wolke.“ Seine Mundwinkel begannen zu zucken. „Fast so, als wäre sie in ihrer eigenen Welt gewesen.“

John schmunzelte. „Trotzdem hat sie uns immer dieses scheußliche Gebräu vorgesetzt.“ Er wusste noch immer nicht, was es gewesen war. Das dunkle Gebräu, das seine Mutter ihm und Dave am Weihnachtsmorgen immer gekocht hatte, hatte ihm danach noch tagelang vorm Magen gelegen. Die Besinnlichkeit seiner Mutter an den Weihnachtsfeiertagen in allen Ehren, aber dieses Zeug war seelischer Grausamkeit gleichgekommen.

„Mir hat’s geschmeckt“, meinte Dave schulterzuckend, was ihm einen entsetzten Blick seines kleinen Bruders einbrachte. „Hey, das war ein Scherz“, ruderte er rasch zurück und lachte, als John ein Stück von ihm abrückte. Wieder entstand ein kurzes Schweigen zwischen ihnen, ehe Dave sich räusperte.

„Ich würde alles tun, um sie dieses Jahr dabeizuhaben“, meinte er.

John nickte einfach nur. „Ich auch“, sagte er, dann: „Sie hätte das alles niemals zugelassen.“ Dave wusste genau, wovon sein Bruder sprach, unterbrach ihn jedoch nicht sondern ließ ihn weiterreden. „Sie hätte mich zurechtgewiesen und Dad…“ John brach ab, schüttelte mit dem Kopf.

„…sie hätte Dad auf den Topf gesetzt“, beendete Dave seinen Satz. Die Brüder sahen einander an. Sekunden später grinsten sie.

„Es ist schön, wieder hier zu sein“, meinte John und nippte an seinem Kaffee. „Nach all den Jahren fühlt es sich zum ersten Mal nicht mehr… falsch an.“

„Dad hat das, was er damals zu Dir gesagt hat nicht ernst gemeint, John. Es war nur furchtbar viel für ihn, als du nach sechs Jahren wieder aufgetaucht bist und ihm aus heiterem Himmel eine neue Schwiegertochter und einen Enkelsohn präsentiert hast. Wie hättest Du an seinerstatt reagiert?“, fragte Dave.

„Jedenfalls nicht so“, antwortete John. „Für mich stand damals fest, dass ich nie wieder zurückkommen würde.“

„Dennoch hast Du’s getan.“

John nickte. „Ich… ich hielt es für richtig. Ich bin es Teyla und T.J. schuldig. Ihr seid die einzige Familie, die die beiden noch haben. Und jetzt, wo das Baby bald kommt…“

Dave grinste. „Also bist Du nicht gekommen, weil Du Deinen großen Bruder vermisst hast?“

„Um Himmel Willen, nein“, stöhnte John. „Deine Visage hätte ich auch noch ein, zwei Jährchen länger missen können.“ Ein freches Grinsen huschte über seine Lippen. Dann: „Gut, vielleicht ein klitzekleines bisschen.“ Bevor Dave etwas erwidern konnte, hob er die Hände. „Aber mach jetzt bloß keine Szene, Mann!“

„Ich glaube, dass wir beide langsam zu alt dafür sind, Johnny“, schmunzelte Dave, bevor er seinen Bruder wenige Sekunden später ernst ansah und ihn fragte: „Hast Du schon mit Dad gesprochen?“

John seufzte. „Hab ihn seit gestern Abend nicht mehr gesehen“, antwortete er. „Er ist in seinem Büro verschwunden, nachdem er uns mehr oder weniger in Empfang genommen hat.“

„Und Dir kam nicht in den Sinn, zu ihm zu gehen?“ Tadelnd schüttelte Dave mit dem Kopf, ehe er meinte: „Ihr beide seid so was von stur.“

„Ich bin nicht stur“, entgegnete John trotzig, „nur etwas eigen.“

Dave lachte. „Du bist sturer als ein Esel, Johnny, genau wie Dad. An euch beiden beißen sich die Leute die Zähne aus. Kein Wunder, dass es kracht, wenn ihr beide allein seid. Ihr seid euch einfach zu ähnlich.“

„Was willst Du damit andeuten, Dave?“, seufzte John.

Dave lehnte sich gegen den Fensterrahmen, ließ seinen Blick über den Garten und die angrenzenden Pferdekoppeln schweifen. Er ließ die Frage seines Bruders einige Sekunden in der Luft hängen, ehe er antwortete.

„Es ist Weihnachten, Johnny“, sagte er.

John rollte wieder mit den Augen. „Was für eine spitzfindige Bemerkung. Deine Gabe, das Offensichtliche in Worte zu fassen, überrascht mich immer wieder, Bruderherz.“

„Dein Sarkasmus gefällt mir überhaupt nicht. Es wundert mich, dass Teyla Dir das durchgehen lässt.“

„Sie hat beschlossen, es zu ignorieren“, entgegnete John schulterzuckend. Dann: „Du hast mir noch immer keine Antwort auf meine Frage gegeben?“

„Doch, habe ich.“ Dave verschränkte die Arme vor der Brust. „Es ist Weihnachten. Denkst Du nicht auch, dass es langsam an der Zeit ist, die Sache zwischen Dir und Dad endgültig aus der Welt zu schaffen?“


Lautes Gehupe ertönte, ehe er Johns Antwort zu hören bekam, und Amanda steckte ihren blonden, Lockenkopf durch die Tür.

„Emmett und Graham sind da“, verkündete sie die Ankunft ihrer beiden Söhne mit einem strahlenden Lächeln und bedeutete John und Dave mit einem aufgeregten Winken, ihr zu folgen. „Nun kommt schon, ihr wollt die beiden doch nicht da draußen stehen lassen, oder?“

„Wir kommen gleich, Darling“, sagte Dave und wartete, bis Amanda verschwunden war. Er warf seinem Bruder einen durchdringenden Blick zu, dem John zu seiner Überraschung erwiderte und nicht wie gewohnt auswich. „Ich will mich nicht mit Dir streiten, John.“

„Hatte nicht vor, 'nen Streit anzufangen“, war Johns flapsige Erwiderung, gepaart mit einem bitterbösen, vor Sarkasmus nur so triefenden Lächeln. Er stellte seine Kaffeetasse beiseite und ging daran, die Bibliothek zu verlassen, um seine beiden Neffen in Empfang zu nehmen. Als er an der massiven Holztür angekommen war, drehte er sich noch einmal zu Dave um. „Aber ich sag’ Dir eins, Dave: Misch Dich ja nicht in meine Angelegenheiten ein, klar? Das ist 'ne Sache zwischen mir und Dad.“

Dave grinste. „Ich bin doch nicht lebensmüde. Es ist Weihnachten und ich will meinen Kopf noch etwas behalten.“

John stand regungslos im Türrahmen, dann lächelte auch er, sagte jedoch nichts. Die Stimmen von Daves Söhnen Emmett und Graham ertönten im Hausflur, ebenso T.J’s Quieken, als er von einem seiner Cousins in die Luft befördert wurde. Weitere Familienmitglieder waren eingetroffen, die dieses Weihnachtsfest noch familiärer machen sollten. Ohne noch ein Wort zu verlieren, verließen Dave und John die Bibliothek um die beiden Frischeingetroffenen zu begrüßen.

TBC
Mr. Frosty by Nyada
Frosty the snowman was a jolly happy soul,
With a corncob pipe and a button nose
And two eyes made out of coal.
O, Frosty the snowman
Was alive as he could be,
And the children say he could laugh
And play just the same as you and me.
Gene Autry – Frosty, The Snowman



Eine halbe Stunde, nachdem sich herausgestellt hatte, dass es sich bei dem hupenden Gefährt nicht um Dave und Amandas eintreffenden Nachwuchs sondern den Kurierdienst handelte, klingelte das Telefon und ein etwas gehetzt klingender Emmett Wellington erklärte seinem Vater, dass mit ihm und seinem Bruder wohl nicht innerhalb der nächsten halben Stunden zu rechnen war, da der Festtagsverkehr gelinde ausgedrückt ‚höllisch’ war; Daves verkniffenem Gesichtsausdruck nach zu ordnen, glaubte er seinem ältesten Sohn kein Wort, ließ sich dies aber nicht anmerken und wünschte den beiden noch eine gute Weiterfahrt.

Den Blick, den John zugeworfen bekam, als er sich vorsichtig nach dem Verbleiben seiner beiden Neffen erkundigte, war tödlich und so wunderte es den Soldaten nicht, dass er sich keine viertel Stunde später zusammen mit seinem Bruder, dem guten, alten Mr. Hopps und T.J. vor dem Haus wiederfand und in die grotesk verzogene Miene des absoluten Grauens blickte, welches die letzten Monate nur darauf gewartet hatte, wieder ans Tageslicht zu dürfen.

„Nein“, kam es entschlossen über Johns Lippen, als ihm bewusst wurde, was sein Bruder da von ihm verlangte. „Nein, Dave.“ Er hatte doch nur Interesse bekundet, und womit wurde ihm das gedankt? John wusste, dass Daves Strafen für Fehlverhalten jeglicher Art immer hart ausfielen, aber hiermit übertrieb er nun wirklich!

„Du hast keine andere Wahl“, war die strenge Erwiderung seines Bruders und die keinen Raum für große Diskussionen ließ; Daves Entscheidung, seinen kleinen Bruder für seine „absolut unpassende“ Bemerkung zu bestrafen, stand fest und er sah nicht ein, weiter darüber zu diskutieren.

„Von wegen“, brummelte John seinem Bruder zu, der das vor ihm aufgebaute Monstrum nun ebenso kritisch betrachtete wie Arthur Hopps, welcher nebenbei noch an seiner Feldflasche nippte.

„Feststeht, dass das Ding aufs Dach muss“, bemerkte der alte Stallmeister scharf, eine Tatsache, die John natürlich bewusst war- Daves Strafe hin oder her.

Nichtsdestotrotz schüttelte er mit dem Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich werde ganz sicher nicht aufs Dach klettern, Dave“, beharrte er auf seiner Meinung. „Dieses… Ding ist absolut scheußlich!“ Dave setzte an, ihm etwas zu erwidern, wurde jedoch gleich wieder von John unterbrochen. „Und es ist mir egal, ob das 'ne Tradition ist. Eine dämliche Tradition, wenn ich das anmerken dürfte.“

„John…“

„Dave…“

„Jungs, Jungs.“ Art Hopps hob beschwichtigend die Hände. „Bitte, kein Zank am heiligen Abend. Das Ding muss aufs Dach“, wiederholte er. „Egal wie.“

John seufzte und runzelte nachdenklich die Stirn. „Es ist scheußlich“, beschied er.

„Es ist Tradition“, konterte sein Bruder und John verdrehte die Augen.

„Zum Teufel mit der Tradition, Dave“, zeterte er. „Dieses… Ding ist scheußlich, total überholt und erwähnte ich, dass es lächerlich ist? Nein, das kommt mir dieses Jahr nicht aufs Dach! Nein!“

„Aber, Daddy“, mischte sich nun auch T.J. ein, der, nachdem es ihm bei diesem grauenhaften Anblick die Sprache verschlagen hatte, ebendiese wiedergefunden hatte, „es ist doch nur ein Schneemann.“

„Ja, John, es ist doch nur ein Schneemann.“ In Daves Stimme lag Belustigung und sein Lächeln war falsch und hinterlistig, woraufhin in John der Wunsch aufkeimte, seinem achso klugen, besserwisserischen und fiesen Bruder vor versammelter Mannschaft eine runterzuhauen; er hatte es früher, als sie noch Kinder waren, jeden Tag getan und irgendwie hatte es ihm in den letzten Jahren gefehlt. Was würde es also schon groß ausmachen, alte Gewohnheiten wieder aufleben zu lassen?

„Das Ding muss aufs Dach“, war es wieder von Mr. Hopps zu vernehmen, ehe John dem Gedanken weiter nachgehen konnte. Der Stallmeister nahm einen großzügigen Schluck aus seiner Feldflasche und so langsam schien sich nicht nur John zu fragen, was diese beinhaltete…

Der Soldat seufzte. „Gut“, gab er sich geschlagen; gegen die geballte Macht seines Bruders, seines Sohnes und des traditionsgebundenen Stallmeisters war er machtlos, und was sein Vater erst sagen würde, wollte sich John gar nicht erst ausmalen. Das… Ding musste aufs Dach- irgendwie, heute noch. John kniff grimmig die Lippen aufeinander. Wie immer hatte sein Vater die unangenehmen Aufgaben den anderen überlassen, das war typisch für ihn. Womöglich würde er sich später auch noch furchtbar darüber aufregen, dass sie nicht eher angefangen hatten, aber Patrick Sheppard war ja auch nicht derjenige, der aufs Dach klettern musste, um dieses Ding aufzustellen.

Das Ding war nicht anderes als das personifizierte Grauen in Form eines breit grinsenden Schneemanns, der den Namen Mr. Frosty trug; ein furchtbares Relikt der Vorstadt, für das John- im Gegensatz zum Vorstadtkomitee- noch nie Sympathie empfunden hatte. Es war nicht schwer, Mr. Frosty zu hassen, zumindest nicht für John; er war eine fast zwei Meter hohe Kunststofffigur mit rundem Bauch, Plastikzylinder, Plastikkohleknöpfen, Plastikkarottennase und Plastikaugen. Einzig und allein der etwas struppig aussehende Besen war echt. Mr. Frosty war- wie T.J. es so treffend festgestellt hatte- nichts anderes als ein normaler Schneemann, zwar etwas in die Jahre gekommen, aber durchaus noch als Schneemann zu erkennen.
John hasste Mr. Frosty seit jeher und hatte nicht verstanden, was das Komitee um Bürgermeister Jenkins an diesem Ding fand; er war hässlich, fürchterlich altbacken und was um alles in der Welt hatte ein Schneemann auf dem Dach zu suchen?

John fasste den breit grinsenden Mr. Frosty ins Auge. Der starre Blick der Figur, dieses hässliche Grinsen, diese aufgesetzte Fröhlichkeit- alles an Mr. Frosty kam einer Kriegserklärung gleich. Der Soldat wusste, dass er diese Schlacht verlieren würde, was ihn rasend machte.

„John“, riss ihn Daves Stimme aus den hasserfüllten Gedanken, „es wird langsam kalt. Also bitte…“ Sein Bruder machte eine fließende Handbewegung in Richtung des wartenden Schneemanns. Das falsche Grinsen seines Bruders versetzte John gedanklich in die Vergangenheit zurück, in der nicht ein Tag vergangen war, ohne dass die beiden Brüder sich gestritten hatten. Jeden Tag aufs Neue hatten sie sich gegenseitig aufgezogen, wobei Dave, der Lieblingssohn ihres Vaters, stets mit einem blauen Auge davongekommen war und genau dieses Grinsen auf den Lippen hatte, wenn John wieder einmal auf sein Zimmer geschickt worden war. Dieses Grinsen machte John seit jeher rasend, so auch heute.

„Das wirst Du büßen“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und warf seinem Bruder im Vorbeigehen einen eisigen Blick zu. Wäre T.J. nicht anwesend gewesen und hätte ihn nicht mit diesen großen, braunen, von Unschuld erfüllten Kinderaugen angesehen, hätte John mit Sicherheit noch das ein oder andere nicht ganz so nette Wort hinzugefügt. So beließ er es aber bei einem unverständlichen Brummeln, als er sich daran machte, die Leiter zu erklimmen.

„Schön“, rief er seinem Bruder und Mr. Hopps zu, als er oben angekommen war, und stemmte die Hände in die Hüften. „Lasst es uns hinter uns bringen, bevor ich es mir noch anders überlege“, meinte er und fühlte sich dabei so lächerlich wie schon lange nicht mehr. Er, ein erwachsener Mann von zweiundvierzig Jahren, kletterte aufs Dach um einen albernen Kunststoffschneemann aufzustellen. Lächerlich, schimpfte John innerlich. Einfach nur lächerlich!

„Gut, ich werf’ dann jetzt das Seil hoch“, kam Mr. Hopps Erwiderung nach ein paar Sekunden. Tatsächlich erschien kurz darauf das Ende des Seils; widerstrebend packte John es und zog an. Das Gewicht des am anderen Ende hängenden Mr. Frosty zog den Soldaten kurz nach vorne.

„Verdammt“, fluchte John und stemmte die Füße in die Dachziegeln, die ihm trotz des Schnees überraschenderweise guten Halt boten.

„Alles in Ordnung da oben?“, hörte er Dave rufen.

„Alles bestens. Toll hier oben. Echt 'ne super Aussicht, sollte ich öfters machen“, knurrte John, zog das Seil etwas strammer und begann dann vorsichtig einen Fuß vor den anderen zu setzten und dieses scheußliche Stück „Weihnachtsdekoration“ aufs Dach zu ziehen.

Ob es nun an ihm lag oder an dem Gewicht von Mr. Frosty, dem Schnee oder ob er einfach nicht aufgepasst hatte und unvorsichtig gewesen war, wusste John hinterher nicht mehr. Das Einzige, an was er sich erinnerte, war, dass er es irgendwie geschafft hatte, Mr. Frosty über die Dachkante zu ziehen, begleitet von T.J’s Anfeuerungsrufen. Triumphierend hatte er den vor ihm aufgebauten Schneemann angegrinst. Was danach geschehen war, konnte John nur vermuten...
Wahrscheinlich hatte sich dieses boshafte Stück Plastik aus seiner Verankerung gelöst. Es ging zu schnell, als dass John hätte reagieren können. Er grinste noch immer, als sich Mr. Frosty plötzlich in seine Richtung zu neigen begann. Aus Reflex machte John einen Schritt zurück... und das Unglück nahm seinen Lauf.

Ein Schrei entkam Johns Kehle, als seine Sohle auf dem auf einmal doch sehr rutschigen Dach keinen Halt fand. Er wedelte kurz mit den Armen und es wenigstens so aussehen zu lassen, als hätte er alles versucht, um das Gleichgewicht zu halten, aber schon im nächsten Moment landete er bäuchlings auf den Dachziegeln. Verzweifelt suchte er während seiner eiskalten Abfahrt Halt an den schneebedeckten Dachziegeln, doch es ging viel zu schnell, als hätte er ihn finden können. Ehe er sich versah, war er der Dachkante gefährlich nahe gekommen, und er schaffte es gerade noch rechtzeitig, die Augen zu schließen, bevor er nach einem letzten verzweifelten Versuch, sich an der Dachrinne festzuhalten, in die Tiefe stürzte.

ooOOoo


„Home, sweet Home“, trällerte Emmett Wellington fröhlich, als er seinen Chevy Impala, keine zwanzig Minuten nachdem er seinen Vater angerufen hatte, die Hauseinfahrt entlang manövrierte; der Wagen hatte wahrlich schon bessere Zeiten gesehen und hinsichtlich der völlig verschneiten Auffahrt und der langsam einrostenden Karosserie kostete es Emmett große Mühe und Geschick sein geliebtes Auto in der Spur zu halten und nicht in der nächsten Schneewehe steckenzubleiben. Anscheinend sagte eine warme Stube und ein warmhaltender Whiskey dem guten, alten Arthur Hopps mehr zu, als eine zu räumende Auffahrt.
Emmett konnte nur mit dem Kopf schütteln, wenngleich er den Stallmeister, der gleichzeitig auch das ‚Mädchen für alles’ war, natürlich verstehen konnte. „Art“ Hopps war noch nie für jede überflüssige Arbeit zu begeistern gewesen, weswegen sich Emmett fragte, warum sein Großvater so große Stücke auf ihn hielt. Womöglich lag es an Hopps’ unwiderstehlich widerlichen Art. Vielleicht wagte es Patrick Sheppard aber auch einfach nicht, den alten Mann nach so vielen Jahren der Zusammenarbeit einfach rauszuschmeißen. So weit sich Emmett zurückerinnern konnte, gehörte „Art“ Hopps zum Inventar des Hauses, genauso wie die gutmütige Mrs. Broderick…

Emmett schmunzelte, als er an die großmütterliche Frau dachte, die es schaffte, selbst seinen manchmal sehr mürrischen Großvater mit ihren selbstgebackenen Plätzchen zu besänftigen. Emmetts Vater und sein Onkel waren der netten, alten Dame schon seit jeher verfallen. Nach dem Tod von Emmetts Großmutter, die er leider nicht mehr hatte kennenlernen dürfen, war Mrs. Broderick so etwas wie die gute Seele des Hauses geworden und hatte sich rührend um die beiden Söhne des Hausherrn gekümmert; sein Vater sprach selbst heute noch in den höchsten Tönen von ihr.

Seine Hände etwas fester um das Lenkrad legend, steuerte Emmett das kleine Rondell vor dem Hauseingang an; der Wagen seines Vaters und der seines Onkels parkten bereits dort und so lenkte Emmett seinen Impala in die noch verbleibende Nische, parkte dort und stellte dann den Motor ab. Stille trat ein, nur der Lärm, der aus den Kopfhörern seines Bruders drang und so etwas wie Musik sein sollte, war zu hören.

„Grae, wir sind da“, rief Emmett über seine Schulter hinweg, doch wie erwartet reagierte der auf der Rückbank sitzende Graham nicht im Geringsten. Die Musik- wenn man es denn überhaupt so nennen konnte- war zu laut, als dass der Fünfzehnjährige ihn hätte hören können, also drehte sich Emmett um und boxte gegen Grahams Knie.

„Hey“, brüskierte sich sein kleiner Bruder und seine eisblauen Augen blitzten wütend durch lange, blonde Ponyfransen hindurch. „Alter, was sollte das?“ Graham rieb sich fluchend das Knie.

„Wir sind da“, wiederholte Emmett, „und um Himmels Willen, Grae, mach die Musik leiser. Das ist ja nicht zum aushalten.“ Eigentlich hasste er es, seinen Bruder zurechtzuweisen. Er selbst war mit fünfzehn keinen Deut besser gewesen und hatte seiner Mutter die ein oder andere schlaflose Nacht deswegen bereitet.

„Kein Grund gleich so zu schreien, Mann“, brummelte Graham und drehte, wenn auch etwas widerwillig, die Musik leiser. Mit trüben Augen blickte er aus dem Fenster und fixierte das sich aus der Schneelandschaft erhebende Haus. „Hab ich schon gesagt, wie sehr ich mich freue, hier zu sein?“

Emmett schmunzelte; der Sarkasmus seines kleinen Bruders war wieder einmal nicht zu überhören. Die ganze Fahrt über hatte Graham durchblicken lassen, dass er alles andere als begeistert war, seine Ferien mit der Familie zu verbringen, noch dazu im kalten Norden, für Emmetts sonnenverwöhnten Halbbruder der blanke Horror. Graham wäre wahrscheinlich mit seiner trotzigen Einstellung durchgekommen, hätte ihr Vater nicht ein Machtwort gesprochen und seinen Sohn zurechtgestutzt. Es war allgemein bekannt, dass Graham Sheppard seine freien Tage lieber an den kalifornischen Stränden als im Kreise der Familie verbrachte, aber dieses Jahr hatte ihr Vater kein Erbarmen gezeigt, und so hatte Emmett den schmollenden Graham am Morgen ins Auto verfrachtet und das eiserne Schweigen des Fünfzehnjährigen hingenommen. Obwohl er Grahams Abneigung, Zeit mit der Familie zu verbringen, nicht verstand. Dieses Jahr würde das erste seit langer Zeit sein, dass wieder alle unter einem Dach sein würden; selbst ihr Onkel John hatte versprochen dieses Jahr mit seiner Familie zu kommen.

Die Aussicht, seinen Onkel wiederzusehen, erfüllte Emmett Wellington mit freudiger Erwartung. Es war fast zehn Jahre her, dass er John Sheppard zum letzten Mal gesehen hatte. Emmett hatte seinen Onkel schon immer bewundert und in seinen Augen war er der Mann, der er immer sein wollte. Johns Vorliebe fürs Fliegen hatte den damals vierzehnjährigen Emmett dermaßen fasziniert, dass er beschlossen hatte, es seinem Vorbild gleichzutun und zur Air Force zu gehen. Zehn Jahre waren vergangen und Emmett war fünfundzwanzig, hatte vor drei Wochen sein Studium beendet und war drauf und dran in die Firma seines Großvaters einzusteigen. Das bedeutete nicht, dass er seinen Onkel John nicht mehr als Vorbild sah- er hatte nun nur andere Prioritäten, den es Vorrang zu geben galt…

Zum ersten Mal, seit er den Wagen auf das Grundstück seines Großvaters gelenkt hatte, wandte er sich der neben ihm sitzenden Person zu, die bisher nur aus dem Beifahrerfenster gesehen und sichtlich beeindruckt geschwiegen hatte.

„Na, hab’ ich zu viel versprochen?“, fragte er sie grinsend.

„Das ist…“ Mehr brachte sie nicht zustande; ihr hübscher kleiner Mund verzog sich zu einem Lächeln und ihre braunen Augen strahlten. „Emmett, das ist…“ Ein erneuter Versuch sich auszudrücken, scheiterte.

„Warte erst einmal, bis Du drin bist- vielleicht verschlägt es Dir ja dann nicht allzu arg die Sprache“, neckte er sie, woraufhin sie ihm gegen die Schulter boxte.

„Leute, bitte.“ Graham verdrehte stöhnend die Augen. „Nehmt euch ein Zimmer. “

„Wie wär’s, wenn Du schon mal vorgehst?“, schlug Emmett seinem kleinen Bruder vor, der sich daraufhin tatsächlich seinen Rucksack schnappte und ausstieg.

„Beeilt euch“, rief er über seine Schulter hinweg und ließ dann die Tür zuknallen. Kopfschüttelnd sah Emmett dem durch den Schnee in Richtung Haustür davonstapfenden Graham nach.

„Es ist nicht einfach für ihn“, bemerkte seine Begleiterin. „Jungs in seinem Alter haben anderes im Sinn, als Weihnachten mit der Familie zu verbringen.“

Emmett schnitt eine Grimasse. „Hey, ich bin ein Junge, falls Dir das noch nicht aufgefallen sollte, und ich kann mich noch durchaus daran erinnern, als ich in Grahams Alter war.“

„Na dann ist ja gut“, kam die Erwiderung. „Und ja, mir ist durchaus schon aufgefallen, dass Du ein Junge bist“, fügte sie grinsend hinzu und beugte sich vor. „Erst letzte Nacht hast Du mir das wieder deutlich bewiesen“, säuselte sie gegen seine Lippen.

„Ich will nur sichergehen, dass Du es auch ja nicht vergisst“, surrte er, umfasste ihr Gesicht zärtlich mit den Händen und küsste sie. Es war ein harmloser Kuss verglichen zu dem, was letzte Nacht in seiner Wohnung vorgefallen war, trotzdem zeigte sich Emmett unwillig, als sie sich von ihm löste. Verliebt sah er sie an. „Womit habe ich nur verdient, dass Du mich liebst, Lexie Green?“

Die Brünette warf ihr Haar zurück und lächelte keck, sagte aber nichts sondern machte sich daran aus dem Wagen auszusteigen.

Die Tür war noch nicht zurück ins Schloss gefallen, als jener gellende Schrei ertönte, der in jede Faser von Emmetts Körper durchdrang und so sehr zusammenfahren ließ, dass er sich den Kopf am Autodach stieß. Im Augenwinkel nahm er die Gestalt wahr, die bäuchlings das Vordach des Hauses hinunterrutschte und noch versuchte, sich an der Dachrinne festzuhalten, Sekunden später aber mit dem Gesicht nach unten im frischen Schnee lag.

„O mein Gott“, hörte er jemanden rufen, dann sah er seinen Vater und Mr. Hopps um die Ecke sprinten. Emmetts Blick wanderte durch die Scheibe seines Wagens hinauf zum Dach des Hauses, von wo aus ihm die altbekannte, angsteinflössende Grimasse von Mr. Frosty entgegengrinste.

„Was… was zur Hölle ist das?“, fragte Lexie, die das Monstrum aus Kunststoff nun ebenfalls entdeckt hatte.

„Das ist der Schrecken der Vorstadt, meine liebste Lexie“, antwortete Emmett ihr, während er aus dem Wagen ausstieg, woraufhin sie ihn irritiert ansah. Er umrundete den Wagen und schlang dann den Arm um Lexies Hüfte. „Gewöhn Dich schon mal dran. Du wirst den guten, alten Mr. Frosty noch öfter zu Gesicht bekommen.“

Lexie nickte unsicher. „Sollten… sollten wir nicht nachsehen, ob alles in Ordnung ist?“, fragte sie dann. „Ich meine…“ Sie schaute unsicher in die Richtung, wo sich bereits eine Menschentraube um die vom Dach gestürzte Gestalt gebildet hatte. Emmett musste sich nicht einmal sonderlich anstrengen, um zu erkennen, wer da im hohen Bogen, bei dem Versuch dieses scheußliche Relikt der Vorstadt auf dem Dach zu befestigen, von ebendiesen gesegelt war.

„Mein Gott!“, stöhnte Mrs. Broderick, die zusammen mit Emmetts Stiefmutter und seiner Tante aus dem Haus gestürzt war, kaum dass sein Dad und Mr. Hopps die am Boden liegende Gestalt erreicht hatten. „Holt einen Krankenwagen! Schnell!“

„John!“, rief Emmetts Tante und bahnte sich mit ihrem runden Babybauch einen Weg durch die Masse, keuchte auf, als sie ihren Mann entdeckte, der sich fluchend wie ein Seeräuber auf den Rücken rollte. „JOHN!“

„Mir… mir geht’s gut“, brachte sein Onkel gepresst hervor, auch wenn seine schmerzverzerrte Miene eine andere Sprache sprach. „Alles… okay. Ich… o, verdammt“, stöhnte er, als er versuchte sich aufzurichten.

„Bleib ganz ruhig liegen, John“, mahnte Emmetts Vater seinen jüngeren Bruder, der gerade stöhnend in den Schnee zurücksank. „Nicht bewegen.“

„Hatte ich nicht vor“, kam die keuchende Erwiderung des über und über mit weißem Pulverschnee bedeckten John Sheppard, der wie ein hilfloser Käfer auf dem Rücken lag.

„Emmett“, nahm nun endlich der Vater des jungen Mannes Kenntnis von der Gegenwart seines ältesten Sohnes, „komm her und mach Dich nützlich. Verdammt, wo steckt Grae?“

„Ist wahrscheinlich im Haus“, antwortete Emmett, der dem Befehl seines Vaters unverzüglich nachkam und von Lexie abließ. Auf seinen am Boden liegenden Onkel herabgrinsend, meinte er: „Gelungene Showeinlage, Onkel John. Wäre aber echt nicht nötig gewesen.“

Sein Onkel erwiderte das Grinsen, wenn auch nur mit allergrößter Mühe, blinzelte dann hinauf zum Dach, über dessen Kante hinweg Mr. Frosty’s immerfröhliche Miene zu sehen war. „Ich hasse Dich“, brummelte er, aber niemand wusste genau, ob er nun die Schneemannfigur meinte, oder seinen Bruder, der sich genau in diesem Augenblick über ihn lehnte.

Dave lächelte gequält.

„Wir müssen ihn ins Haus schaffen“, beschied Mr. Hopps, der das Geschehen aus sicherer Entfernung beobachtet hatte.

„Und einen Krankenwagen rufen!“, fügte Mrs. Broderick geradezu hysterisch hinzu. „Mein Gott, Jonathan, was hast Du Dir nur dabei gedacht?“, tadelte sie Emmetts Onkel und hätte ihm wahrscheinlich noch einen Klaps auf den Hinterkopf gegeben, hätte sich der Angesprochene nicht plötzlich kerzengerade aufgesetzt. Seine weitaufgerissenen Augen fixierten etwas hinter Emmett und als dieser sich umwandte, sah er, dass Lexie nicht minder erschrocken dreinblickte.

„John!?“, keuchte sie und wurde dabei so blass, dass Emmett befürchtete, sie würde umkippen.

„Lex…Lexie?“ Die Stimme seines Onkels war nicht mehr als ein Krächzen, was nicht verwunderlich war, hinsichtlich des Sturzes vom Dach. „O… o mein Gott! Lexie Green!?“

TBC
Ansichtssace by Nyada
I'll keep you my dirty little secret,
Dirty little secret
Don't tell anyone or you’ll be just another regret,
Just another regret, hope that you can keep it
My dirty little secret,
Who has to know?
The All-American Rejects – Dirty Little Secret



„Es ist Ansichtssache“, behauptete Dave Sheppard und schlug, nicht ohne seinem jüngeren Bruder einen kurzen Seitenblick zu zu werfen, provokant die Beine übereinander. Johns prompte Reaktion auf diese Geste war ein Stirnrunzeln, welches Dave wohlwollend zur Kenntnis nahm und ihn veranlasste, schelmisch zu grinsen und herausfordernd mit dem Fuß zu wippen. Wenn er seinem Bruder seine missliche Verfassung unter die Nase reiben wollte, durfte er keine Kompromisse eingehen!

Und Dave wusste, wie leicht es sein konnte, seinen Bruder mit den einfachsten Dingen auf die Palme zu bringen. Heute reichte dazu nur ein wippender Fuß…

John reagierte wie zu erwarten.

„Falsch, es ist alles Deine Schuld“, spie er in diesem Moment erbost aus und fasste missmutig den strahlend weißen Gipsverband ins Auge, der von den Zehen seines linken Fußes bis hoch zur Mitte seines Oberschenkels reichte.

Dave grinste erneut, sagte jedoch nichts.

John fiel mit einem Seufzen gegen die Kissen zurück, die ihn am Rücken stützten. „Ich kann’s nicht glauben, dass Du mich gezwungen hast, aufs Dach zu klettern.“

„Und ich kann nicht glauben, dass Du tatsächlich so dumm warst, es zu tun“, meinte Dave und lehnte sich nun ebenfalls zurück. John warf ihm augenblicklich einen frostigen Blick zu, den Dave ungerührt mit einem Schulterzucken abtat.

„Was denn? Du musst schon zugeben, dass das nicht wirklich eine Deiner besten Ideen war, Johnny“, sagte er.

„Nur fürs Protokoll: Es war nicht meine Idee“, korrigierte John ihn bestimmt und mit erhobenem Zeigefinger. „Ich habe von Anfang an gesagt, dass es eine schlechte Idee ist-“

„Trotzdem bist Du aufs Dach geklettert“, fiel Dave ihm grinsend ins Wort. Johns Miene verfinsterte sich.

„Du kannst froh sein, dass ich Dir nicht in Deinen besserwisserischen Arsch treten kann“, zischelte er. „Ich würd’s jetzt nämlich wirklich gerne tun.“ John schürzte die Lippen, doch als Dave sah, dass ein Schmunzeln die Mundwinkel seines Bruders umspielte, wusste er, was als nächstes kommen würde.

„Blödmann“, brummelte John. „Du bist echt ein Arsch, Dave.“

Dave lachte.

„Sind wir dafür nicht ein bisschen zu alt, John?“, fragte er.

„Anscheinend nicht“, erwiderte ihm sein Bruder und nun erreichte das Lächeln auch seine Augen. Es folgte ein Moment des Schweigens, dann meinte John: „Mir hat das irgendwie… gefehlt.“

„Was? Mich als einen Blödmann zu bezeichnen?“

John verdrehte die Augen.

„Ich meine das hier, Schwachkopf“, sagte er und machte eine ihn und seinen Bruder einschließende Handbewegung.

Dave nickte.

„Gut, so hab’ ich mir dieses Weihnachten zwar nicht vorgestellt“, fuhr John fort und starrte wieder auf sein eingegipstes linkes Bein, „aber…“ Er hielt kurz inne. „Es… es ist schön, hier zu sein.“

„Hört, hört“, schmunzelte Dave, „und das von dem Mann, der geschworen hat, nie wieder hierher zu kommen. Was hat Dich Deine Meinung ändern lassen?“

John zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht“, antwortete er. „Ich… ich denke, dass ich alles jetzt aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtete.“

„Sieh an, unser Johnnyboy wird erwachsen“, grinste Dave und erhob sich rasch aus seinem Stuhl, als John mit seiner Krücke ausholte. Lachend wich er der Gehhilfe aus und brachte sich in Sicherheit.

In diesem Moment öffnete sich die Tür und Teyla betrat zusammen mit T.J. das Zimmer, in welches man John verfrachtet hatte, nachdem er aus dem Krankenhaus zurückgekommen war. Während T.J. sofort losflitzte und flink auf das Bett kletterte, blieb sie stehen und betrachtete mit hochgezogener Augenbraue das Bild, das sich ihr bot.

„Es ist nicht das wonach es aussieht“, beeilte sich John zu sagen und ließ die Krücke sinken.

Teylas Augenbraue wanderte noch ein gutes Stück höher und verschwand beinahe in ihrem Haaransatz, als sie sich über ihn beugte, ihm die Haare aus der Stirn strich und ihn auf ebendiese küsste.

„Ja, nur die üblichen Frotzeleien unter Brüdern“, grinste Dave, „und ich wollte sowieso gerade gehen.“ Er fasste seinen Neffen ins Auge, der den weißen Gips seines Vaters faszinierend zu finden schien. „Hey, T.J.“ Der Junge blickte auf. „Ich glaube, ich könnte Deine Hilfe gebrauchen. Wie wär’s, wenn wir zwei jetzt mal ein paar Stifte für Dich suchen, damit Du Deinem Daddy ganz viele, tolle Sachen auf den Gips malen kannst?“

T.J’s braune Augen begannen bei dem Gedanken zu leuchten und er hopste aufgeregt vom Bett und griff nach der Hand seines Onkels, die dieser ihm entgegenstreckte.

John, dem die Vorstellung eines quietschbunten Gipses nicht allzu sehr behagte, seufzte und warf seinem Bruder einen flehenden Blick zu.

„Dave.“

Bis über beide Ohren grinsend folgte Dave seinem kleinen Neffen, der schon jetzt Feuer und Flamme zu sein schien und anscheinend keine weitere Minute verlieren wollte. Die beiden verließen das Zimmer und ließen John mit seiner Frau allein zurück. Der Soldat seufzte zum wiederholten Male, als die Tür zurück ins Schloss fiel, Teyla schmunzelte amüsiert.

„T.J. scheint Dave sehr zu mögen“, bemerkte sie und ließ sich langsam in den Stuhl sinken, auf dem zuvor Dave gesessen hatte.

„Er konnte schon immer gut mit Kindern“, erwiderte John, der unwillkürlich grinsen musste, als er die Bemühungen seiner hochschwangeren Frau, eine einigermaßen bequeme Sitzposition zu finden, beobachtete. „Du weißt schon, dass ich Dir nachher nicht wieder aufhelfen kann?“, erinnerte er sie, woraufhin sie nur mit den Schultern zuckte und über ihren runden Babybauch streichelte.

„Du könntest mir Deine Krücke reichen“, schlug sie augenzwinkernd vor. „Wenn Du damit nach Deinem Bruder schlagen kannst, wirst Du sicherlich auch Deiner armen schwangeren Frau hochhelfen können, nicht wahr?“

John schnitt eine Grimasse.

„Du hast mich auf frischer Tat ertappt“, seufzte er.

„Das ist meine Aufgabe, John“, lächelte Teyla und schenkte ihm ein bittersüßes Lächeln, ehe sich ihre Miene von ‚herausfordernd’ zu ‚liebevoll besorgt’ wandelte. Einfühlsam sah sie ihn an.

„Wie fühlst Du Dich?“, erkundigte sie sich.

Der Soldat seufzte und schnitt eine preisverdächtige Leidensgrimasse, auf die selbst ein Rodney McKay hätte neidisch sein können. Normalerweise gehörte er nicht zu der Sorte von Mann und ließ wie sein Kollege alle an seinem Leid teilhaben, ob sie es nun wollten oder nicht. Heute, jedoch, beschloss John, den sterbenden Schwan zu spielen, sich sehr wohl der Tatsache bewusst, dass dies der sicherste Weg war, um das Mitleid seiner Frau einzuheimsen.

„Wie soll es mir schon gehen?“, beklagte er sich. „Mein eigener Bruder hat versucht mich umzubringen und ich bin bei dem Versuch, einen lächerlichen Schneemann aufzustellen, vom Dach gefallen.“ Hinsichtlich der Tatsache, dass er schon viel Schlimmeres er- und vor allem überlebt hatte, erschien ihm diese heutige Aktion geradezu absurd und es musste sich in den Ohren anderer sicherlich mehr als seltsam anhören; John konnte nur hoffen, dass ein gewisser kanadischer Wissenschaftler niemals Wind von der Sache bekommen würde, sonst hatte er wirklich Grund sich zu beklagen.

Den Gedanken, was Rodney tun würde, falls er jemals von dieser Aktion erfahren würde, beiseite schiebend, konzentrierte sich John nun wieder auf seine Frau, die sich vor beugte und ihm die Wange streichelte.

„O, mein armes Baby.“ Teyla lächelte verrucht. Sie hatte das Spiel und seine Regeln schnell durchschaut. „Was können wir nur tun, damit es Dir besser geht?“

„Mir würde da schon etwas einfallen“, grinste John, „was meine Schmerzen erheblich lindern würde.“ Er stützte sich auf seine Ellenbogen und kam ihr so auf halbem Wege entgegen; ihre Lippen berührten einander in der Mitte. Die Athosianerin seufzte wohlig, als sie seiner Zunge Einlass gewährte und er ihr zärtlich in die Unterlippe biss. Den Kuss bis zur letzten Sekunde voll auskostend, legte John die Hände an ihr Gesicht, lehnte sich dann atemlos zurück und sah sie an.

„Besser?“, wollte sie wissen und er nickte.

„Viel besser“, entgegnete er grinsend.

„Sehr schön.“ Teyla lächelte, als John seine Hand ausstreckte, um über ihren Bauch zu streicheln. „Da es Dir nun besser geht-“ Sie deckte seine Hand mit ihrer zu- „ kannst Du mir ja sicher sagen, wer Lexie Green ist.“

Lexie Green.

John zuckte bei der Erwähnung ihres Namens unwillkürlich zusammen und starrte auf die zarte Hand seiner Frau, die auf seiner, viel größeren, lag.

Er seufzte.

„Lexie Green“, echote er und Teyla nickte.

„Du scheinst sie zu kennen“, bemerkte sie und führte seine Hand an die Stelle, wo das Baby sein Füßchen gegen ihre Bauchdecke stemmte. „Eine alte Freundin von Dir?“, fragte sie.

John schluckte, als er das Baby treten fühlte.

„Kann man so sagen“, antwortete er. „Ich… ich kenn’ sie von früher.“ Erst jetzt wagte er aufzublicken und seine Frau anzusehen. Er wusste, dass er ihr nichts vormachen konnte, weil Teyla ihn jedes Mal, wenn er log, sofort durchschaute. Also beschloss er, nicht einmal zu versuchen ihr etwas vorzuenthalten. Sie war sehr empfindlich, was Unwahrheiten und kleine Flunkereien anging, und er wollte nicht, dass sie sich in ihrem Zustand zu sehr aufregte.

Zögerlich begann er.

„Also… Lexie und ich… nun ja… wir waren mal…“

„…zusammen?“, beendete Teyla seinen Satz. John nickte. Er hatte ihr erzählt, dass er damals, als er nach dem Scheitern ihres ersten Beziehungsanlaufes vor fünf Jahren, auf der Erde eine andere Frau kennen und lieben gelernt hatte; sie wusste jedoch nicht, dass Lexie Green diese Frau gewesen war.

„Es war während der Zeit, die ich auf der Erde verbracht habe“, begann er zu erzählen und warf seiner Frau einen kurzen Blick zu, um zu sehen, wie sie die Informationen aufnahm; Teyla saß ruhig da und hörte ihm ruhig zu, also fuhr John fort: „Wir… wir waren drei Monate zusammen, bis…“

Er brach ab.

Teyla nickte und starrte auf ihre Hände hinab, die nun beide auf ihrem Bauch lagen. John wusste ihren Gesichtsausdruck nicht zu deuten, er war frei von jeglicher Emotion. Es war… merkwürdig sie so still neben sich zu haben.

„Bis Du nach Atlantis zurückgekehrt bist“, sagte sie schließlich. Er nickte wieder und senkte den Blick. Er konnte sich denken, was nun in ihrem Kopf vorgehen musste. Er war selbst nicht stolz darauf, wie es mit Lexie geendet hatte. Genaugenommen, schoss es ihm auf einmal durch den Kopf, hatte es überhaupt kein richtiges Ende gegeben; er war einfach gegangen, ohne zu sagen wohin und wann oder ob er zurückkommen würde. Nach dem Vorfall in dem Strandhaus in East Hampton, der John veranlasst hatte, nach Atlantis zurückzukehren, hatte er sich für Stunden in das nächstbeste Motel geflüchtet und dort den Entschluss gefasst, dass es so nicht weitergehen konnte. Schon am nächsten Morgen hatte er sich auf dem Weg nach Colorado Springs befunden- Lexie Green war in diesem Moment eines seiner geringsten Probleme gewesen.

„Es… tut mir leid, Tey“, sagte er leise, „ich hätte Dir davon erzählen sollen.“

Die Athosianerin schüttelte mit dem Kopf.

„Wer hätte schon ahnen können, dass so etwas jemals passiert“, winkte sie ab. „Du hast ja auch nicht damit gerechnet, sie einmal wiederzusehen.“

In der Tat hatte es nicht zu Johns Plan gehört Lexie Green jemals wiederzusehen. Ja, er hatte sie geliebt und ein paar wenige, wunderschöne Monate mit ihr verbracht, doch letzten Endes hatte ihm sein Herz befohlen, einen anderen Weg einzuschlagen. Er hatte Lexie Green verlassen und war in die Pegasusgalaxie, nach Atlantis, zurückgekehrt, wo er sein Glück gefunden hatte.
In all den Jahren hatte John natürlich hin und wieder an Lexie Green gedacht und sich gefragt, was wohl aus ihr geworden war. Doch während der ganzen Zeit hatte er nie damit gerechnet, sie je wiederzusehen. Und wie hoch standen schon die Chancen, dass sich ihre Wege nach so vielen Jahren kreuzten?

John ignorierte das unterschwellige Ziehen in seiner Brust. Lexie Greens Auftauchen würde nichts daran ändern, dass dieses Weihnachten ganz besonders werden würde, auch wenn ein klärendes Gespräch zwischen ihnen unausweichlich schien. Nach all den Jahren gab es so viele unbeantwortete Fragen und John wollte sich nicht einmal vorstellen, was ihr wohl gerade durch den Kopf gehen musste.

Stattdessen schenkte er seiner Frau ein liebevolles Lächeln.

„Eigentlich hatte ich ja gehofft, Dich nicht mit einer Deiner… Exfreundinnen teilen zu müssen“, meinte Teyla. Dann sagte sie etwas, was John nicht erwartet hatte. „Aber ich finde, Du solltest mit ihr reden.“

John kniff die Lippen aufeinander.

„Warum musst Du alles immer nur so furchtbar objektiv sehen?“, seufzte er. Teyla lächelte, streckte ihre Hand aus und streichelte ihm über die Wange.

„Weil Du es nicht tust“, antwortete sie, „und ich dieses Defizit auszugleichen habe. Ich will mir gar nicht vorstellen, was passieren würde, täte ich es nicht.“

„Willst Du damit andeuten, ich wäre nicht vernünftig?“, fragte John stirnrunzelnd. Er musste zugeben, dass er die Antwort auf diese Frage bereits wusste, aber er wollte es aus dem Mund seiner Frau hören.

Teyla neigte ihren Kopf.

„Rede mit ihr“, wiederholte sie anstatt ihm eine Antwort zu geben. „Ich kann mir vorstellen, dass es nicht nur Dir unangenehm ist.“

„Und das… wäre okay für Dich? Ich meine…“

Teyla lächelte.

„Ich verspreche, ihr nicht den Kopf abzureißen“, entgegnete sie, „und außerdem denke ich, dass es besser für alle Beteiligten werde, wenn diese Sache aus der Welt geschafft wird.“

John nickte.

TBC
Von Entscheidungen und Überraschungsgästen by Nyada
You could be happy and I won't know
But you weren't happy the day I watched you go
And all the things that I wished I had not said
Is it too late to remind you how we were
Most of what I remember makes me sure
I should have stopped you from walking out the door
Snow Patrol – You Could Be Happy



Fünf Jahre waren seit jenem Morgen vergangen, an dem sie allein in dem viel zu großen Bett aufgewacht war. Er hatte nicht neben ihr gelegen, sie angelächelt und ihr wie jeden Morgen einen zärtlichen Kuss gegeben. Er war fort gewesen.
Nichtsdestotrotz war sie an jenem Morgen aufgestanden und war ihren täglichen Arbeiten nachgekommen. Es war nicht das erste Mal, dass er über Nacht fort war, sagte sie sich, meistens kam er im Laufe des Vormittags mit einer einigermaßen plausiblen Erklärung zu ihr zurück.

Dieses Mal, jedoch, sollte es anders sein. Sie hatte so ein Gefühl, tief in ihrem Inneren spürte sie, dass er nicht zurückkommen würde, dennoch versuchte sie es zu ignorieren und sich zu sagen, dass jeden Moment die Tür aufgehen und er hereinspazieren würde. Zu diesem Zeitpunkt hatte ihr Verstand allerdings schon das begriffen, was sie sich nicht einzugestehen traute. Er war gegangen, für immer.

In den darauffolgenden Tagen, Wochen, Monaten geschah es oft, dass sie sich die Schuld für sein plötzliches Verschwinden gab. Unzählige Male lag sie nachts wach im Bett und überlegte fieberhaft, was sie hätte anders machen könne, doch im Laufe der Zeit wurde ihr klar, dass es nicht ihre Schuld war. Sie hatte nichts falsch gemacht. Je häufiger sie sich das sagte, desto schneller wurde ihr bewusst, dass sie es nicht hätte verhindern können. Er wäre so oder so gegangen, es war nur eine Frage der Zeit gewesen.
In ihren drei gemeinsamen Monaten hatte sie ihn als einen Mann mit Höhen und Tiefen kennengelernt, der manchmal unberechenbar sein konnte. In der Anfangszeit ihrer Beziehung hatte sie diese wilde, unzähm- und unvorhersehbare Seite an ihm geliebt, da sie meistens mit ungezügelter Leidenschaft und Verlangen einhergegangen war. Dass diese Seite ihnen irgendwann einmal zum Verhängnis werden würde, hatte sie damals natürlich nicht in Betracht gezogen…

Ein halbes Jahr nachdem er aus ihrem Leben verschwunden war, kam ihr zum ersten Mal der Gedanke, dass er sie einer anderen Frau wegen verlassen hatte. Er liebte schöne Frauen und die Frauen liebten ihn. Er war das, was sich jede Frau wünschte, und brachte alles mit, was die weibliche Sparte des menschlichen Geschlechts verrückt werden ließ. Die gemeinsame Zeit mit ihm hatte gezeigt, dass er genau wusste, was seine Begleiterinnen wollten. Warum sollte ein Mann wie er lange allein bleiben? Er hätte sicher schnell eine andere gefunden, wenn er es darauf hätte ankommen lassen. Und er hatte es bestimmt darauf ankommen lassen, so wie sie ihn kannte.

Im Laufe der Monate war sie sich in ihrer Vermutung, er habe sie wegen einer anderen Frau wegen verlassen, immer sicherer geworden… und hatte getobt. Sie hatte buchstäblich getobt und ihm die Pest an den Hals gewünscht. Sie hatte seine Sachen, die er zurückgelassen hatte, erst aus dem Fenster geworfen, dann wieder eingesammelt und verbrannt. Sie hatte Fotos zerrissen, auf denen sie beide zusammen zu sehen waren. Sie hatte jede Kleinigkeit, die sie an ihn erinnerte, aus ihrem Leben verbannt… nur um am Ende eine fürchterliche, innere Leere zu verspüren.
Zu diesem Zeitpunkt waren fast zwei Jahre vergangen; sie hatte noch nie einem Mann so lange nachgetrauert wie ihm und glaubte, nie über ihn hinweg zu kommen und womöglich allein sterben zu müssen.
Am Tag darauf traf sie auf Emmett Wellington.

Sie hatte ihrer Freundin nur widerstrebend zugestimmt, sie ein Wochenende lang an den Ort zu begleiten, den sie auf ewig mit ihrer verlorenen, großen Liebe in Verbindung setzen würde. Drei wunderschöne Monate war East Hampton ihr gemeinsames Zuhause gewesen, doch nachdem er sie verlassen hatte, konnte sie sich keinen schlimmeren Ort auf Erden vorstellen, als das idyllische Küstenstädtchen an der Ostküste. Niemals wieder wollte sie an diesen Ort zurückkehren, nie wieder das maritime Flair genießen, nie wieder durch die prächtigen Einkaufsstraßen oder über den am Wochenende stattfindenden Markt schlendern. Nie wieder, hatte sie sich fest vorgenommen, aber irgendwie schaffte es das Schicksal schließlich doch, sie nach East Hampton zu führen und auf den Mann treffen zu lassen, der sie alles vergessen lassen und von nun an ihr Leben bestimmen würde.

Eigentlich glaubte sie nicht an so etwas wie Schicksal, doch an diesem Wochenende erlaubte sie sich, eine Ausnahme zu machen. Es konnte kein Zufall sein, dass sie genau an dem Wochenende in East Hampton verweilte, an dem auch Emmett Wellington mit ein paar Freunden in der Stadt das gelungene Examen feierte- es musste Schicksal sein! Eine andere Lösung erschien ihr zu dem Zeitpunkt, als sie zum ersten Mal in Emmetts eisblaue Augen blickte, nicht akzeptabel.

Emmett Wellington war charmant, witzig und sah gut aus. Sie konnte über seine manchmal doch etwas eigenen Witze lachen, aber auch ernste Diskussionen mit ihm führen. Sie konnte ihn lieben, sie konnte ihn hassen, sie konnte sich mit ihm freuen. In einem Augenblick freute sie sich, mit ihm zusammen sein zu können, im nächsten hätte sie ihn zum Mond schießen können. Sie litten, liebten sich, schrieen und lachten. Sie waren wie eine Einheit, die nicht auseinander gerissen werden konnte. Sie waren… perfekt.
Ja, sie erlaubte sich nach nunmehr fast drei Jahren Beziehung zu behaupten, dass Emmett und sie perfekt zusammenpassten und das vom allerersten Moment an. Dass sie sich mit ihm wieder einmal auf ihre Vergangenheit einzulassen drohte, hatte sie damals natürlich noch nicht gewusst. Und wenn sie ehrlich sein sollte, wusste sie nicht, ob sie anders gehandelt hätte, hätte sie gewusst, dass Emmett Wellington niemand Geringeres als der Neffe jenes Mannes war, der ihr zwei Jahre zuvor das Herz gebrochen hatte.


Unsicher und mit schwitzigen Händen lief Lexie Green hinter dem Küchentresen auf und ab und versuchte ihre Gedanken zu ordnen, was sich jedoch als ein schier unmögliches Unterfangen erwies. Sie war zu sehr durch den Wind, als dass sie es schaffte, Ordnung in das Chaos in ihrem Kopf zu bringen. Zu viele Gedanken auf einmal schossen ihr durch den Kopf und sie alle drehten sich nur um eines.

John.

Lexie machte kehrt und ihr nervöses Auf und Ab begann erneut. Nie im Leben hatte sie damit gerechnet, John Sheppard noch einmal wieder zu sehen. Er war aus ihrem Leben verschwunden und sie hatte sich damit abgefunden- zumindest dachte sie das. Lexie wusste auch nicht, was dieses Flattern in ihrem Brustkorb zu bedeuten hatte, als sie John im Schnee hatte liegen sehen. Ihre Kehle war staubtrocken gewesen, als sie ihn erkannte, und es war ihr eiskalt über den Rücken gelaufen, als sich ihre Blicke daraufhin verketteten. Viel zu schnell war dieser Moment jedoch zu Ende gewesen; man hatte John ins Haus geschafft und seitdem hatte sie ihn nicht mehr gesehen.

Dabei gab es nichts, was sich Lexie sehnlicher wünschte, als ihn zu sehen und mit ihm zu reden.

„Sie ziehen eine Miene wie nach sieben Tage Regenwetter“, war auf einmal hinter ihr eine Stimme zu vernehmen. Lexie zuckte zusammen. In ihren Gedanken versunken, hatte sie total vergessen, dass sie nicht allein in der geräumigen Wohnküche des Anwesens war. Als sie sich umdrehte, blickte sie in die freundlichen braunen Augen der Hausdame, die man ihr als Percy Broderick vorgestellt hatte.

Mrs. Broderick lächelte freundlich.

„Nun setzen Sie sich doch erst einmal hin, meine Liebe“, wies sie Lexie an. „Ich bin mir sicher, dass Sie einen Kaffee vertragen könnten, richtig?“

Lexie nickte resigniert. Ein heißer Kaffee hörte sich wirklich sehr gut an, also tat sie wie ihr geheißen und ließ sich auf einen der Barhocker nieder, die sich am Tresen aneinanderreihten.

„So“, meinte Mrs. Broderick, als sie Lexie eine Tasse Kaffee einschenkte, „Sie und unser John kennen sich also?“

Der Kaffee war brühend heiß, doch das war nicht der Grund, warum sich Lexie verschluckte und die braunschwarze Flüssigkeit zurück in die Tasse laufen ließ.

„Wie… wie bitte?“

„Sie und John.“ Die Hausdame stellte die Kaffeekanne beiseite. „Ich hatte vorhin das Gefühl, dass Sie beide sich irgendwoher kennen“, sagte sie. Lexie starrte die rüstige Dame mit halb geöffnetem Mund an. Ihr Herz schlug so schnell in ihrer Brust, dass sie befürchtete, Mrs. Broderick könnte es hören.

„Wir… wir kennen uns von… früher“, platzte es aus Lexie heraus, noch ehe sie wusste, wie ihr geschah. „Von früher“, setzte sie atemlos hinzu.

„Von früher“, echote Mrs. Broderick und für einen Augenblick glaubte Lexie, sie durchschaue ihre Lüge. Wie erleichtert war sie doch, als die Hausdame ihr Sekunden später ein Lächeln schenkte und sich abwandte.

„Von früher, wie schön.“

Lexie entkam ein tonloses Seufzen, als sich Mrs. Broderick wieder der Zubereitung des Weihnachtsessens zuwandte. Schon seit Stunden kochte, brutzelte und garte das Menü für den heutigen Abend in den Töpfen und Pfannen. Ein Duft, der allen das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ, erfüllte die Küche und alle angrenzenden Flure und Räume und alle halblang öffnete sich die Tür und jemand steckte den Kopf in die Küche, um sich zu erkundigen, ob er helfen konnte. Meistens waren diese Angebot jedoch nicht ernst gemeint und nur Tarnung, um eine Nase des appetitlichen Duftes zu nehmen, weshalb die Hausdame die ‚Eindringlinge’ auch meist sofort wieder fortschickte.

„Wissen Sie“, meinte Mrs. Broderick in diesem Moment, „Sie könnten mir einen Gefallen tun, Lexie. Ich darf Sie doch Lexie nennen?“

Die Angesprochene nickte.

„Natürlich dürfen Sie das“, erwiderte sie und stellte ihre Kaffeetasse beiseite. „Was kann ich tun?“, fragte sie und kam in Erwartung, der Hausdame bei der Zubereitung des Essens unter die Arme greifen zu können, um den Tresen herum. Zu ihrer Überraschung deutete Mrs. Broderick jedoch nicht auf einen der vielen, auf dem Herd stehenden Töpfe, sondern auf ein Tablett, das auf der Anrichte bereitstand.

„Wären Sie so gut und bringen Sie das bitte John? Ich würde es ja selbst machen, aber es ist noch so viel zu erledigen.“ Zur Bestätigung ihrer Worte ließ die Hausdame ihren Blick über das, zugegeben, sehr chaotisch aussehende Arbeitsfeld schweifen.

Lexie schluckte, nickte dann aber und nahm das Tablett.

„Kein Problem“, sagte sie mit etwas zittriger Stimme. „Wo… wo finde ich ihn denn?“

„Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, ist er gerade in die Bibliothek… gehumpelt“, antwortete Mrs. Broderick mit einem Schmunzeln und Lexie kräuselte die Stirn. „Den Gang runter, dann links abbiegen. Es ist die erste Tür auf der rechten Seite“, fügte die Hausdame erklärend hinzu.

„Ähem… danke.“ Lexie lächelte verlegen und machte sich mit den Tablett in ihren Händen von dannen. Sie trat hinaus auf den Flur und blieb, als sich die Küchentür hinter ihr geschlossen hatte, unschlüssig stehen. Es verging eine ganze Minute, ehe sie tief Luft holte und sich auf den Weg in Richtung Bibliothek machte. Dies war ihre Chance, zu erfahren, was vor fünf Jahren passiert war, sagte sie sich, als sie, wie Mrs. Broderick gesagt hatte, am Ende des Ganges links abbog und dann vor der angelehnten Tür zur Bibliothek stehenblieb. Erneut atmete sie tief ein und wieder aus, ehe sie die Hand hob und anklopfte. Als sie keine Antwort erhielt, beschloss sie einfach einzutreten.

Die Bibliothek war größer als Lexie sie sich vorgestellt hatte. Sie blieb stehen, kaum dass sie den Raum betreten hatte, und sah sich staunend um. Dies war die wohl bestsortierteste und umfangreichste Hausbibliothek, die sie je gesehen hatte. Ihre Kinnlade klappte herunter, als sie an den langen Regalreihen entlangblickte. Bücher aus mehreren Jahrhunderten reihten sich hier aneinander und versetzten Lexie in Staunen.

„Unglaublich, diese Platzverschwendung“, erklang auf einmal eine ihr so wohlbekannte Stimme und riss Lexie aus ihrer staunenden Betrachtung.

„Kultur braucht nun mal ihren Platz“, erwiderte sie und näherte sich zögerlichen Schrittes dem Fenster, vor wo aus John sie beobachtete. Er saß in einem teuer aussehenden Sessel aus Leder, das gegipste linke Bein hatte er auf einem Hocker abgelegt.

„Ist das für mich?“, fragte er und deutete auf das Tablett in Lexies Händen. Diese nickte und suchte nach einem Tisch oder einer ähnlichen Ablage, stellte das Tablett schließlich auf einen kleinen Kaffeetisch.

„Mrs. Broderick hat mich gebeten, es Dir zu bringen“, sagte sie. John nickte, fasste das Tablett kurz ins Auge, schenkte ihm danach aber keine weitere Betrachtung. Stattdessen ruhte sein Blick auf Lexie, die noch immer unschlüssig im Raum stand und nicht wusste, wohin mit ihren schweißnassen Händen.

„Setz Dich“, bat er sie.

Lexie biss sich auf die Unterlippe. Das hier war das, was sie gewollt hatte; allein mit John, die Möglichkeit mit ihm zu reden. Trotzdem fühlte es sich auf einmal furchtbar falsch an und Lexie zog ernsthaft in Erwägung, wieder zu gehen.

„Lexie.“ Johns Stimme war sanft. „Setz Dich. Bitte.“

Seufzend widerstand Lexie dem Drang, wegzulaufen, und setzte sich auf die nahe liegende Fensterbank. Als sie aufblickte und sich bewusst wurde, dass er sie ansah, musste sie schlucken. Er sah noch immer so aus wie damals. Gut, ein paar Jahre älter vielleicht. Erste Fältchen sammelten sich um seine grünen Augen und feine Linien zeichneten sich um seine Mundwinkel ab. Seine Schläfen waren grauer, als sie sie in Erinnerung hatte, seine dunklen Haare kürzer, aber er schien sie immer noch nicht bändigen zu können. Auf gewisse Weise machte ihn das Alter attraktiv. Körperliche Reife war schon immer etwas gewesen, das Lexie an Männern fasziniert hatte, weshalb es ihr nicht gelang, die Augen von John zu lassen.

„Du siehst gut aus“, merkte sie an, dann, jedoch, fiel ihr Blick auf sein linkes Bein; ein Stück seines Gipses blitzte unter dem Hosenbein hervor. Lexie musste grinsen, als sie die bunten, kindlichen Zeichnungen bemerkte, die den Gips zierten.

„Willst Du auch unterschreiben?“, fragte John und fesselte ihren Blick, als sie zu ihm aufsah. „Ich befürchte nur, dass Du Schwierigkeiten haben wirst, noch eine freie Stelle zu finden.“

Lexie lächelte.

„Später vielleicht“, sagte sie, faltete die Hände in ihrem Schoß und starrte auf ihre Fingerknöchel. Erst als Johns intensiver Blick sie zu durchbohren drohte, hob sie den Kopf und sah ihm in die Augen.

„Ich…ich hätte nicht gedacht, Dich je einmal wiederzusehen“, begann John. „Wie…ist es Dir so ergangen?“

„Du meinst, nachdem Du einfach so von Heute auf Morgen verschwunden bist?“ Lexie hatte nicht vorgehabt, ihre Stimme so bissig klingen zu lassen und als sie sah, wie John die Lippen zusammenkniff, tat es ihr leid.

Sie seufzte.

„Tut…tut mir leid“, stammelte sie. „Ich… ich wollte nicht…“

„Schon okay“, fiel ihr John mit einem Kopfschütteln ins Wort. „Ich… versteh das. An Deiner Stelle wäre ich auch sauer. Was damals passiert ist…“ Er brach ab und ließ seinen Blick aus dem Fenster schweifen. Seine Augen wurden schmal, als ob er versuchte, in der Entfernung etwas zu erkennen. Sekunden später entspannten sie sich jedoch wieder und er wandte seine Aufmerksamkeit wieder Lexie zu.

„Es tut mir leid, Lexie“, fuhr er zögerlich fort. „Ich wünschte, es wäre anders gekommen, aber…“

Dieses Mal war es Lexie, die ihm das Wort abschnitt.

„Ich wusste, dass es eines Tages so kommen würde“, gestand sie, „und ich Dich nicht ewig halten könnte.“ Ihre eigenen Worte überraschten sie, sie ließ sich das jedoch nicht anmerken.

„Trotzdem.“ John schüttelte erneut mit dem Kopf. „Ich hätte nicht so einfach gehen sollen. Es war dumm…“ Er seufzte. „Ich bin nicht gut in Gefühlsdingen, Lexie. Es… Ich… Ich konnte den Gedanken einfach nicht ertragen, dass Du… Und ich…“

Lexie nickte.

„Ich weiß“, sagte sie, „worauf Du hinauswillst, John.“ Ihr Gegenüber reagierte sichtlich erleichtert.

„Es tut mir leid“, meinte er stattdessen wieder.

Lexie senkte den Blick.

„Mir tut es auch leid.“ Sie wusste nicht, wie sie fortfahren sollte, also beschloss sie, einfach das zu sagen, was sie in diesem Moment empfand. „Ich… ich habe Dich geliebt, John, wirklich geliebt, und ich bin fast verrückt geworden, als Du nach unserem Streit nicht mehr wiedergekommen ist.“

Sie sah John schlucken, ließ ihm aber keine Zeit, um etwas zu erwidern. Sie wollte das jetzt los werden. Es hatte fünf Jahre auf ihrer Seele und ihrem Herzen gelastet.

„Ich dachte, es sei meine Schuld“, sprach sie weiter. „Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie oft ich darüber nachgedacht habe, wie ich es hätte verhindern können. Ich… ich erinnere mich noch genau an Deinen Gesichtsausdruck, als Du gegangen bist.“

Jetzt schüttelte John mit dem Kopf.

„Lexie…“

„Nein, nein.“ Sie erhob den Zeigefinger gegen ihn. „Bitte, lass mich ausreden, John.“ Sie wartete und fuhr fort, als er nickte. „Ich habe all die Jahre wirklich gedacht, es sei meine Schuld, dass Du gegangen bist. Nur irgendwann…“ Sie seufzte. „Ich will damit sagen, dass ich Dich verstehe. Du und ich… wir beide… wir wären nicht glücklich geworden und diese Tatsache hat mich verrückt gemacht, weil ich mir das wirklich gewünscht habe. Ich wollte mit Dir zusammen sein und es hat mir das Herz gebrochen, als ich verstand, dass Du es nicht wolltest.“

John schwieg.

„Bitte sag mir nur eines“, bat Lexie ihn und rutschte näher an ihn heran. Sie fixierte ihn mit ihrem Blick, als sie ihn fragte: „Hat es sich gelohnt?“

„Was soll ich Dir darauf antworten, Lex?“, seufzte John. „Was willst Du von mir hören? Dass ich froh bin, dass ich damals einfach abgehauen bin?“

Lexie schüttelte mit dem Kopf.

„Ich möchte, dass Du ehrlich zu mir bist“, erwiderte sie. „Du bist damals gegangen, ohne mir zu sagen warum. Und wenn ich ehrlich sein soll, will ich den Grund auch nicht wissen. Ich will nur, dass Du mir sagst, ob es sich für Dich gelohnt hat.“

John kniff die Lippen aufeinander.

„Sei mir nicht böse“, meinte er schließlich, „wenn ich Dir darauf keine Antwort geben kann.“

„Kannst Du es nicht oder willst Du es nicht?“, hakte Lexie nach.

„Was macht das schon für einen Unterschied?“, fragte John sie. „Es würde alles noch viel komplizierter machen als es eh schon ist. Ich habe damals einen großen Fehler gemacht und es tut mir wirklich sehr leid. Aber…“

„…das Leben geht weiter“, beendete Lexie seinen Satz und John nickte.

„Es tut mir leid“, sagte er wieder.

„Du musst Dich nicht immer bei mir entschuldigen, John“, schmunzelte Lexie. „Ich habe es schon beim ersten Mal verstanden.“

Nun schlich sich auch ein Lächeln auf Johns Gesicht.

„Ich will nur sichergehen, dass Du nicht aus Rachegedanken auf irgendwelche dummen Ideen kommst“, grinste er. „Ich bin mir nämlich nicht so sicher, ob Emmett die Wahrheit gefallen würde.“

„Du meinst die, dass ich mit seinem Onkel geschlafen habe?“, triezte Lexie ihn. John verzog das Gesicht.

„Für den familiären Frieden wäre es sicher nicht fördernd. Und ich hatte eigentlich gehofft, dieses Weihnachten ohne größere Streitigkeiten hinter mich zu bringen.“

„Also, was mich betrifft, ich werde schweigen wie ein Grab.“ Lexie verschloss mit einer drehenden Handbewegung symbolisch ihren Mund. Dann grinste sie keck. „Schließlich will ich ja nicht, dass sich Emmett…“

John, der schon zu ahnen schien, was sie sagen wollte, hob rasch die Hände.

„Okay. Ich denke, ich kann’s mir vorstellen.“

Lexie lachte.

„Dann… dann ist alles in Ordnung zwischen uns beiden?“, fragte sie, als sie sich wieder beruhigt hatte. John zuckte mit den Schultern.

„Ich bin ein großer Junge, ich denke, ich komme damit klar“, griente er und griff nach ihrer Hand. Lexie lächelte und deckte seine Hand mit ihrer eigenen zu. Erneut fanden sich ihre Blicke und sie verloren einander ein letztes Mal in den Augen des jeweils anderen. Jetzt, wo alles zwischen ihnen geklärt war, fühlte sich Lexie viel besser. Auch wenn sie wahrscheinlich nie den wahren Grund für sein Verschwinden herausfinden würde, verspürte sie eine innere Zufriedenheit und konnte nun entspannt den Weihnachtsfeiertagen entgegensehen.


Ein leises Klopfen riss John und sie aus ihrer Starre. Ein letztes Mal drückten sie einander die Hände, ehe John die Schultern durchdrückte.

„Komm rein“, rief er demjenigen zu, der mit dem Klopfen um Einlass gewährt hatte. Eine Frau mit milchkaffeefarbenem Teint und schulterlangen, braunen Haaren betrat den Raum. Sie blieb stehen, als sie Lexie neben John sitzen bemerkte.

„O, ich wusste nicht…“

John, dessen Schultern sich kaum merklich wieder angespannt hatten, als sie den Raum betreten hatte, winkte sie zu sich herüber.

„Kein Problem, Teyla“, sagte er mit einem liebevollen Unterton in seiner Stimme. „Wir waren sowieso gerade fertig, nicht wahr?“ Er sah Lexie an.

„Ja“, erwiderte diese und warf der Frau, die John Teyla genannt hatte, einen kurzen Seitenblick zu. Sie wusste, dass sie Johns Frau war, man hatte sie einander kurz vorgestellt, bevor Teyla mit Dave und dessen Frau Amanda ins Krankenhaus gefahren war.

Teyla lächelte, wenn auch etwas steif.

„Ich wollte euch beiden wirklich nicht stören“, sagte sie, „es gibt da nur etwas, was ich John sagen wollte und was nicht warten kann.“

„Mit Dir ist doch alles in Ordnung, oder?“ Johns Stimme klang alarmiert und er wäre wahrscheinlich aufgesprungen, hätte ihn sein Gipsbein nicht daran gehindert. Sein Blick fiel auf den Bauch seiner Frau. „Bitte sag jetzt nicht…“

Lexie verkniff sich ein Lächeln. An Johns übervorsichtiger Art und seinem ausgeprägten Beschützerinstinkt schien sich nichts geändert zu haben.

„Nein, nein“, winkte Teyla ab und kam, nachdem sie mitten im Raum stehengeblieben war, nun doch zu ihrem Mann herüber. „Mit mir und dem Baby ist alles in Ordnung. Es ist nur… Nun ja, es könnte sein, dass heute Abend noch ein paar Leute mehr am Tisch sitzen werden.“

John hob die Augenbrauen.

„Wie meinst Du das?“, fragte er seine Frau. „Was für Leute denn?“

Teyla wollte ihm gerade etwas erwidern, als die Tür aufgestoßen wurde und ein großer, hünenhafter Mann in die Bibliothek gestürmt kam. Lexie zuckte zusammen, als er sich mit einem rauen Lachen auf John stürzte, der genau so überrascht über das Erscheinen dieses Riesen mit langen, braunen Dreadlocks zu sein schein wie sie.

„Ronon!? Was zur Hölle-“ Weiter kam er nicht, denn genau in diesem Moment betraten zwei weitere, heftig miteinander diskutierende Männer die Bibliothek.

„Ich bitte Sie, Carson“, rief einer von ihnen aus; er trug eine orange Fleecejacke und seinem Gesichtsausdruck nach zu ordnen, war er alles andere als erfreut. „Hätten Sie nicht…“

„Wie oft denn noch, Rodney?“ Der Mann, den man Carson genannt hatte, schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Es tut mir ja leid.“

„Das will ich aber auch hoffen“, entgegnete der andere Mann- Rodney- patzig und verschränkte die Arme vor der Brust. Er grummelte sich etwas in den Bart, jedoch schien seine schlechte Laune augenblicklich zu verschwinden, als er John entdeckte, der die drei Frischeingetroffenen noch immer entgeistert anstarrte.

„Was denn?“, keifte er. „Denken Sie mal nicht, ich sei freiwillig hier, Sheppard.“

John, der sich endlich wieder gefangen zu haben schien, schüttelte mit dem Kopf, sah dann ein weiteres Mal zwischen den drei Männern hin und her.

„Was… was macht Ihr denn hier?“, verlangte er sichtlich aufgebracht zu wissen.

„Wir sind die drei heiligen Könige, was denkst Du denn?“ Der Mann in der orangefarbenen Fleecejacke verdrehte die Augen. „Und wenn ich das mal anmerken darf, es ist alles Carsons Schuld. Ich..." Er brach ab und deutete stattdessen mit dem Finger auf Johns Gipsbein. „Hey, was ist denn mit Deinem Bein passiert?“

TBC
Die Heiligen Drei Könige by Nyada
Yes they went home by another way
Home by another way
Maybe me and you can be wise guys too
And go home by another way
We can make it another way
Safe home as they used to say
Keep a weather eye to the chart on high
And go home another way
James Taylor – Home By Another Way



John Sheppard glaubte Carson Beckett noch nie dermaßen gereizt gesehen zu haben, wie an diesem Tag. Für ihn war der Schotte der wohl freundlichste, gutmütigste und einfühlsamste Mensch, dem er je hatte begegnen hatte dürfen und er hatte ihn noch nie ausfallend werden sehen. Selbst in den haarsträubendsten Situationen blieb der Arzt aus der Nähe von Edinburgh ruhig und gelassen und behielt die Nerven. Dass er diese, jedoch, irgendwann einmal verlieren würde, hatte John nie für möglich gehalten, aber wenn man erst einmal drei Stunden lang Rodney McKays Gezeter über sich hatte ergehen lassen müssen, war bekanntlich alles möglich.

Carson Becketts Wangen glühten, als er tief Luft holte und ein paar Sekunden später wieder ausatmete.

„Wie oft soll ich mich denn noch entschuldigen, Rodney?“, fragte er den Kanadier, der ihm mit vor der Brust verschränkten Armen gegenübersaß. „Es tut mir ja leid und wenn ich-“

„Wenn Sie was?“, blaffte Rodney ihn an. Fassungslos schüttelte er mit dem Kopf. „Ich kann nicht verstehen, wie man so etwas Wichtiges einfach vergessen kann! An so etwas denkt man doch! Also wirklich, nicht einmal Sheppard wäre so dusselig.“

„Hey“, brüskierte sich John und warf dem Wissenschaftler einen eisigen Blick zu, „ich bin rein zufällig noch im Raum, also pass auf, was Du sagst.“

Rodney würdigte ihn keines Blickes und machte nur eine unwirsche Handbewegung, die soviel aussagen sollte, wie: Jaja, schon gut, zur Kenntnis genommen, jetzt sei still. Stattdessen galt seine ganze Aufmerksamkeit dem ihm gegenübersitzenden Carson Beckett.

„Ich… ich kann’s echt nicht glauben“, schimpfte er schließlich und starrte den Mediziner finster an.

„Es tut mir leid, Rodney“, sagte Carson zum wiederholten Male und mit stetig nachlassender Geduld und Ruhe. „Wenn ich es ändern könnte, würde ich es tun, glauben Sie mir.“

„’Wenn ich es ändern könnte…’“, echote Rodney mit schriller Stimme, die nicht nur Carson und John zusammenzucken ließ; auch Ronon, der seit der Ankunft der drei nicht viel gesagt hatte, zeigte nun endlich eine Reaktion auf das andauernde Gezeter des Kanadiers. Teyla, die neben dem Sateder saß, dessen Augenbrauen gerade in ungeahnte Höhen entschwanden, runzelte die Stirn.

„Was ist denn überhaupt passiert?“, wollte sie wissen und John warf seiner Frau einen dankbaren Blick zu. Seit einer halben Stunde saßen sie hier und ließen Rodneys ausgelassene Schimpftirade über sich ergehen, aber den Grund für das plötzliche Erscheinen ihrer drei Freunde hatten sie bisher noch nicht erfahren. Rodney hatte ohne Punkt und Komma geredet und seinen Frust an Carson ausgelassen, während sich der Schotte fortwährend entschuldigt hatte. Einzig und allein Ronon hatte erkannt, dass es besser war die beiden nicht zu unterbrechen, und schwieg seither.

„Was… was passiert ist?“, stammelte Rodney, den Teylas Frage scheinbar etwas aus dem Takt gebracht hatte. „Du willst wissen, was passiert ist?“

„Wir bitten darum“, antwortete John und verdrehte die Augen. „Ich meine, ihr taucht einfach so, aus heiterem Himmel hier auf… Nicht, dass wir uns nicht… freuen, aber 'ne Erklärung wäre schon ganz nett.“

„Eine Erklärung?“, wiederholte Rodney und fuhr, als John nickte, fort: „Der Grund, warum wir hier sind, ist jener, dass unser werter Carson Beckett sämtliche, ich wiederhole sämtliche, Papiere einfach so ‚vergessen’ hat.“

Johns Augenbrauen hoben sich.

„Sie haben die Papiere vergessen?“, wandte er sich an Carson Beckett, doch bevor dieser ihm etwas erwidern konnte, kam Rodney ihm zuvor.

„Nicht nur die Papiere, oh nein“, höhnte er. „Alles, er hat alles vergessen. Die Tickets von uns eingeschlossen. Wegen seiner Unfähigkeit muss ich jetzt meiner kleinen, armen zweijährigen Tochter erklären, dass ich dieses Weihnachten nicht mit ihr verbringen kann.“

„Nun übertreiben Sie aber, Rodney“, setzte sich Carson zur Wehr. „Sie hätten auf ihren Papierkram auch selbst aufpassen können.“ Er wandte sich an John. „Er hat ihn mir nämlich selbst in die Hand gedrückt. Und jetzt dürfen Sie raten mit welcher Begründung.“

„Carson, das tut jetzt nichts zur Sache.“

Der Schotte ignorierte Rodneys Einwand.

„Damit er sie nicht verliert“, beantwortete er seine eigene Frage. „Er hat mir seine Papiere gegeben, damit er sie nicht verliert. Nicht ich, er.“

„Du hast Carson deine Papiere gegeben, damit Du sie nicht verlierst, beschwerst Dich jetzt aber, dass er sie aus Versehen vergessen hat? Wirklich?“ John konnte sich ein amüsiertes Mundwinkelzucken nicht verkneifen, was ihm augenblicklich einen bitterbösen Blick von Rodney bescherte.

„Ja, wirklich“, zischte der Kanadier, „aber ich wüsste nicht, was Dich das angeht. Dich… und Dein jämmerliches Gipsbein.“ Seine blauen Augen blitzten und noch bevor er den Mund auftat, wusste John, dass ihm die nächsten Worte seines Freundes nicht gefallen würden. Zum Glück schien auch Teyla zu ahnen, dass Rodneys folgende Worte alles andere als nett werden würden, weshalb sie rasch das Wort erhob.

„Es ist auf jeden Fall… schön, dass ihr jetzt alle hier seid“, meinte sie, in die Runde blickend. „Wir freuen uns, mit euch Weihnachten feiern zu dürfen.“

„Als ob uns etwas anderes übrig bleibt“, brummelte Rodney beleidigt. „Ich hätte längst im Flieger sitzen sollen.“

„Nicht nur Sie sind ärgerlich darüber, wie die ganze Sache verlaufen ist“, tadelte Carson ihn und sein Blick glitt träumerisch aus dem mit Eismustern überzogenem Fenster. „Ich hatte mich schon so auf ein Wiedersehen mit meiner Familie gefreut. Edward, mein Cousin dritten Grades“, berichtete er, „hatte dieses Jahr extra eine Wandertour durch die Highlands für uns geplant.“

„Eine Wandertour.“ Aus Rodneys Mund klang es beinahe abfällig. „Wissen Sie, Carson, Sie sollten echt lernen, Prioritäten zu setzen. Irgendwo, was-weiß-ich-wie-viele Meilen von hier sitzt mein armes, kleines Mädchen und wartet darauf, dass ich komme, um mit ihr Geschenke auszupacken. Nur leider werde ich nicht kommen, denn ich sitze hier. Hier!“

„Also, mir gefällt’s hier“, meldete sich nun endlich auch Ronon zu Wort, woraufhin Teyla ihm ein Lächeln schenkte und ihre Hand auf seinen Arm legte.

„Wie gesagt, wir freuen uns, dass ihr hier seid“, sagte sie und warf ihrem Mann einen schnellen Blick zu. John runzelte die Stirn, nickte dann aber zustimmend.

„Es dürfte kein Problem werden, euch unterzubringen“, meinte er. „Das Haus ist ja groß genug. Ich müsste nur Mrs. Broderick Bescheid geben, dass sie fürs Essen drei Personen mehr einplanen muss.“

„Das kann ich machen“, bot Teyla sich an. „Ich wollte sowieso gerade nachschauen, ob Torren bei ihr ist.“

„Sagen wir lieber vier“, gab Ronon mit einem kurzen Seitenblick auf Rodney zu Bedenken, dem das natürlich nicht entging.

„Hey! Was soll denn das jetzt schon wieder heißen?“

Ronon zuckte unschuldig mit den Schultern.

„Nichts“, erwiderte er, sich keiner Schuld bewusst, „mir ist nur aufgefallen, dass Sie in letzter Zeit mehr futtern als sonst.“

„Frechheit“, schnaubte Rodney erbost und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. „Nur zu Ihrer Information, Conan. Ich wiege fast noch genauso viel wie bei meiner Ankunft. Ganz im Gegensatz zu manch anderen hier in diesem Raum.“ Sein Blick fixierte John. „Ja, sehr richtig. Ich meine Dich, Mr. Wohlstandsbäuchlein.“

John reagierte schnippisch.

„He, was erwartest Du? Ich habe zwei Schwangerschaften hinter mir! Das hinterlässt auch bei mir Spuren.“

„Als ob Du der Hauptleidtragende wärst“, schmunzelte Teyla und legte die Hände auf ihren Bauch. „Allerdings muss ich Rodney recht geben. Sei mir nicht böse, John, aber deine Uniform hat Dir auch schon mal besser gepasst.“

„Wolltest Du nicht nachsehen, ob unser Sohn bei Mrs. Broderick ist?“, fragte John sie mit einem bittersüßen Lächeln, welches Teyla erwiderte und etwas murmelte, das klang wie Ich wollte es nur einmal erwähnt haben, ehe sie beide Hände auf den Armlehnen des Stuhls, auf dem sie gesessen hatte, abstützte, um sich hochzuhieven.

„Ich werde Sie begleiten, meine Liebe“, meinte Carson. „Sie glauben ja gar nicht, was ich alles für eine heiße Tasse Kaffee tun würde“, fügte er augenzwinkernd hinzu, erhob sich und hielt der Athosianerin dann seine Hand hin, um ihr aus dem niedrigen Sessel hochzuhelfen.

„Es geht schon, danke“, lächelte Teyla, als auch Ronon aufsprang und sich anschickte, ihr zu helfen. Arm in Arm mit dem sympathischen schottischen Arzt, der es auf einmal sehr eilig zu haben schien, wegzukommen, verließ sie die Bibliothek und ließ John und Ronon mit einem schmollenden Rodney McKay zurück.

„Jennifer und Jeannie werden das sicherlich verstehen“, versuchte John seinen Freund aufzumuntern, obwohl er ihn gleichzeitig verstand. Die Vorstellung das Fest der Liebe ohne seine Frau und seinen Sohn verbringen zu müssen, fiel ihm schwer und er wünschte sich, ehrlich gesagt, nicht an Rodneys Statt.

Der Kanadier schürzte die Lippen, wirkte aber, nachdem Carson das Zimmer verlassen hatte, sichtlich entspannter.

„Ja, hhm… okay“, murmelte er schließlich und seufzte. „Und das geht wirklich in Ordnung?“, fragte er John schließlich. „Dass wir hierbleiben? Wir wollen euch nicht zur Last fallen.“

John grinste.

„Ich arbeite jeden Tag mit euch zusammen- was machen da zwei, drei Tage mehr für einen Unterschied?“ Er lächelte. „Und außerdem glaube ich, dass T.J. ganz begeistert davon ist, dass ihr hier seid.“

„Apropos, T.J.“ Rodney fasste grinsend Johns Gipsbein ins Auge, das unter seinem hochgerutschten Hosenbein zum Vorschein kam und über und über mit T.J’s kindlichen Kritzeleien bedeckt war; Dave hatte seinen Neffen tatsächlich mit einer Packung Filzstiften auf seinen Bruder losgelassen und ehe sich John versah, war sein Gips von oben bis unten mit T.J’s Kunstwerken übersäet gewesen.

„Kein Wort“, warnte der Soldat seinen Kollegen mit erhobenem Zeigefinger. Rodney schien sich davon, jedoch, nicht abschrecken zu lassen.

„Du bist vom Dach gefallen? Wirklich?“ T.J. hatte sich sehr gesprächig gezeigt und seinem ‚Onkel Meredith’ den Vorfall sehr genau geschildert und mit ausschweifender Mimik und Gestik untermalt.

„Es war ein Unfall“, zischte John, während sich Rodney und nun auch Ronon über seinen, zugegeben etwas jämmerlichen Anblick amüsierten.

John seufzte tief.

„Ich schwöre euch, ein Wort und ihr könnt Weihnachten im Pferdestall verbringen“, warnte er die beiden. Rodney und Ronon wechselten vielsagende Blicke.

„Vom Dach gefallen“, brummte Ronon und konnte gerade noch rechtzeitig dem Kissen ausweichen, welches John nach ihm schleuderte.

„Ein Wort“, wiederholte John und blickte zwischen seinen beiden Freunden hin und her; beide nickten, dennoch glaubte er nicht daran, dass sie ihn zufrieden lassen würden. Nein, er befürchtete sogar, dass die Geschichte schon bald nach ihrer Rückkehr die Runde in Atlantis machen würde.

John ballte die Fäuste und verfluchte Mr. Frosty für sein verdammt breites, verdammt unheimliches und verdammt falsches Lächeln. Er hasste dieses Ding!

ooOOoo


Als Carson Beckett die Küche des Anwesens betrat, blieb er kurz im Türrahmen stehen und nahm den Duft in sich auf, der ihm entgegenschlug. Es war der Geruch nach Weihnachten… oder besser gesagt der des im Ofen garenden Weihnachtsbratens. Diese wohlduftende Mischung aus allerhand Gewürzen erinnerte Carson an die Weihnachtsfeste in seiner Kindheit und hinsichtlich dieser Erinnerungen blieb ihm schlichtweg nichts anderes übrig, als lobende Worte für die Köchin zu finden.

„Du meine Güte, meine Teure, das riecht ja hervorragend“, flötete er und die kleine Hausdame, deren Name Mrs. Percy Broderick war, errötete bis tief unter ihren grauen Haaransatz.

„Ach, was.“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Sie, Charmeur, Sie. Das ist doch nichts Besonderes.“ Wie ein schüchternes Schulmädchen, schlug sie kokett die Augen nieder und Carson lächelte.

„Das muss eine ganz schöne Arbeit sein, für so viele Leute zu kochen“, bemerkte er anerkennend, als er sich in der geräumigen Küche umsah; überall kochte und brutzelte es und in dem Gewirr aus Töpfen und Pfannen fiel es ihm schwer, den Überblick zu behalten- ganz im Gegenteil zu Mrs. Broderick.

„Iwo, das mache ich doch gerne“, winkte die Hausdame ab. „Ich nehme an, Sie und Ihre beiden Freunde bleiben zum Essen?“, fragte sie ihn, blickte aber zu Teyla, die auf einem der Barhocker Platz genommen hatte. Die Athosianerin nickte.

„John bat mich, Ihnen auszurichten, dass Sie wir mit den drei zu rechnen haben“, erklärte sie, woraufhin Mrs. Broderick seufzte.

„Nun ja, das könnte schwierig werden“, sagte sie, „aber nicht unmöglich. Ich werde die Sauce einfach etwas strecken“, flüsterte sie augenzwinkernd. „Aber ich könnte etwas Hilfe gebrauchen. Vielleicht könnten Sie mir helfen, Mister…“

„Carson Beckett“, sprang Carson ein und schüttelte der Hausdame die Hand. „Wir wurden einander noch gar nicht vorgestellt. Doktor Carson Beckett.“

„Doktor?“, wiederholte Mrs. Broderick und hob anerkennend ihre dünnen Augenbrauen. „Dann nehme ich an, Sie arbeiten mit unserem Jonathan zusammen. Bei der Air Force?“

Carson nickte.

„Kann man so sagen“, antwortete er. „Ich bin eher ein freiwilliger Mitarbeiter, aber mit Leib und Seele dabei.“

„Ein Freiwilliger.“ Mrs. Brodericks braune Augen begannen zu leuchten. „Wie schön. Es ist schön zu wissen, dass sich noch immer so adrette, junge Burschen wie Sie engagieren, um etwas für ihr Land zu tun. Das finde ich toll!“

„Sie werfen ja heute mit Komplimenten nur so um sich“, schmunzelte Teyla, die es inzwischen irgendwie geschafft hatte, sich ohne Hilfe wieder zu erheben. Sie kam um den Tresen herum und stellte sich neben Mrs. Broderick. „Gibt es irgendetwas, wobei ich Ihnen helfen kann?“, fragte sie.

Mrs. Broderick verneinte dies.

„Ich befürchte nicht, meine Liebe“, bedauerte sie. „Amanda hat mir schon einen Großteil der Arbeit abgenommen. Ruhen Sie sich lieber aus. Wir wollen doch nicht, dass Ihnen oder dem Baby etwas passiert.“

„Ich bin schwanger“, lachte Teyla, „nicht krank. Und bis zu meinem Termin sind es noch zwei Wochen. Als ich mit T.J. schwanger war, habe ich fast bis zum letzten Tag gearbeitet.“

„Was der Colonel und ich mehr mit einem weinenden als einem lachenden Auge gesehen haben“, ergänzte Carson streng und lehnte sich mit der Hüfte gegen die Arbeitsplatte. „Sie sollten wirklich langsam einen Gang zurückschalten, Teyla. Ihnen und Ihrem Baby zuliebe. Es wäre besser für Sie beide.“

Teyla seufzte und nickte. Carson wusste sehr wohl, dass sie sich dessen, was er nicht gesagt hatte, bewusst war. Ihre erneute Schwangerschaft hatte von Anfang an unter keinem guten Stern gestanden, allein die Tatsache, dass sie erneut schwanger geworden war, grenzte an ein Wunder. Viele Jahre zuvor war sie während eines Einsatzes schwer verwundet worden und Carson hatte ihre Chancen, ein zweites Mal zu empfangen, als sehr gering eingestuft. Als sich dann ein paar Jahre später bei einer Routineuntersuchung herausstellte, dass die Athosianerin ein Kind erwartete, war nicht nur bei Teyla die Freude groß gewesen. Von Anfang an hatte Carson ihr mit Rat und Tat beiseite gestanden und ihr besonders in den letzten Wochen zur Vorsicht geraten.

„Es geht mir nur um Sie und um den kleinen Wurm“, erinnerte Carson sie. „Ich bin mir sicher, dass der Colonel es nicht gerne sehen würde, wenn Sie sich überanstrengen“, fügte er mit gekräuselter Stirn hinzu, als Teyla sich schickte, einen Topf von der Kochstelle zu heben.

„Mir geht es gut, Carson“, beharrte sie. „Es ist alles in Ordnung.“

„Na, und wenn schon“, meinte Mrs. Broderick, „wir haben ja jetzt einen richtigen Doktor im Haus. Da kann doch eigentlich gar nichts mehr schief-“


Carson hatte es kommen sehen, erschrak dennoch zu Tode, als es geschah. Er hatte schon ein schlechtes Gefühl gehabt, als sie den Topf angehoben hatte, als sie ihn nun fallen ließ und er mit lautem Getöse auf dem Küchenboden aufschlug, bestätigte sich seine Vermutung, dass etwas schief laufen würde.
Mit einem lauten Scheppern krachte der Kochtopf zu Boden, nachdem er der Athosianerin aus den Händen geglitten war. Kochendheißes Wasser ergoss sich über die terracottafarbenen Fliesen und der Inhalt des Topfes, Kartoffeln, verteilte sich über den ganzen Küchenboden.

„Ach du meine Güte!“ Mrs. Broderick machte einen Satz zurück und wich dem Wasser aus, das sich seinen Weg über die Fliesen und in deren Fugen bahnte. Auch Carson wich zurück, nur um gleich darauf einen Schritt auf Teyla zu zu machen, die erschrocken auf das Chaos zu ihren Füßen blickte.

„Teyla?“ Vorsichtig berührte er die Athosianerin an der Schulter. „Teyla, ist alles in Ordnung?“

„Ich… ich…“ Die Athosianerin, deren Gesicht aschfahl geworden war und die am ganzen Leib zitterte, stammelte. Ihre Miene war verzogen, aber Carson konnte nicht sagen, ob es wegen des Schocks war oder wegen etwas anderem. Auf ihrer Stirn standen plötzlich Schweißperlen und sie kniff die Lippen aufeinander- ein sicheres Zeichen dafür, dass sie Schmerzen hatte.

„Kommen Sie, meine Liebe“, sagte Carson, der inzwischen beschlossen hatte, dass es besser war die werdende Mutter an einen etwas ruhigeren Ort zu bringen. „Kommen Sie, wir bringen Sie erst einmal hier weg und dann legen Sie sich hin und gönnen sich und Ihrem Baby etwas Ruhe, okay?“

Teyla nickte und folgte ihm widerstandslos.

TBC
Große und kleine Sünden by Nyada
t's time to open up
All the doors that you keep locked
Nobody gives without a take
Let's take it all
You've been twisted into pieces
By the hands of your emotions
How much longer are you gonna pay
For yesterday
Sins of the father
Black Sabbath – Sins Of The Father


Patrick Sheppard war zweiundsiebzig Jahre alt und war an dem Punkt angelangt, an dem er sich zu fragen begann, was werden würde, wenn er irgendwann in absehbarer Zeit aus dem Leben schied. Er wusste, dass ihm nicht mehr allzu viel Zeit blieb. Sein Herz bereitete ihm schon seit geraumer Zeit Schwierigkeiten und Patrick musste kein examinierter Mediziner sein, um die Anzeichen zu deuten. Er war alt und es war nur noch eine Frage der Zeit, ehe die gute, alte Pumpe, die zweiundsiebzig Jahre lang hervorragende Arbeit geleistet hatte, ihren Dienst quittieren würde.
Über das Ende und den eigenen Tod zu sinnieren, war Patrick stets irgendwie absurd vorgekommen. Bis vor Kurzem hatte er sich nie groß Gedanken über sein Ableben gemacht, dann, vor etwas mehr als einem Jahr, war ein alter Freund von ihm gestorben- mit gerade einmal fünfundsechzig Jahren. Dieser Tag war der Wendepunkt gewesen und Patrick hatte damit begonnen, sein Leben Revue passieren zu lassen.

Zurückblickend konnte er feststellen, dass er ein wirklich aufregendes, erfülltes Leben gehabt hatte. Er hatte immer viel Freude an seinem Leben gehabt und viel erreicht. Ob er stolz auf das war, was er erreicht hatte, war allerdings eine andere Frage…

Es gab tatsächlich vieles, was Patrick Sheppard bereute. Zwar konnte er die wirklich schwerwiegenden Fehler in seinem Leben an einer Hand ablesen, doch nicht selten hatten einfache, fast belanglose Vergehen in seiner Vergangenheit zu einer Katastrophe geführt. Fast sein ganzes Leben hatte aus Verkettungen unglücklicher Umstände bestanden, und beachtete man dies, fiel es schwer, einen Anfang der ganzen Misere zu finden.

Für Patrick war klar, dass er- wenn seine Zeit gekommen war- dem guten, alten Reverend Drury viel zu beichten hatte, womöglich viel mehr, als der Geistesmensch ihm vergeben könnte, doch Patrick wollte, dass nach seinem Ableben nichts ungeklärt bliebe, womit sich seine beiden Söhne im schlechtesten Falle noch herumschlagen müssten. Das wollte er ihnen nicht auch noch antun. Er hatte in der Vergangenheit im Umgang mit ihnen so viel falsch gemacht, nach seinem Tod sollten seine beiden Jungs nicht noch für die Fehler ihres Vaters bestraft werden.

Patrick, der bis zu diesem Zeitpunkt an seinem wuchtigen Mahagonischreibtisch gesessen hatte, kam an diesem Punkt einfach nicht darum herum, in die Vergangenheit abzudriften. Seine Gedanken wanderten zu den beiden Söhnen, die ihm geschenkt worden waren, und sein Blick fiel auf die gerahmte Fotografie, die schon seit vielen, vielen Jahren seinen Schreibtischen zierte und seine beiden Söhne in ihren adretten Schuluniformen zeigte; sein Ältester, Dave, war zu diesem Zeitpunkt siebzehn gewesen, John war gerade fünfzehn geworden. Es erfüllte Patrick mit Stolz, zu sehen, wie sehr seine beiden Söhne ihm auf dieser Schwarzweißfotografie ähnelten. Dave glich seinem Vater noch immer; dieselben harten Gesichtszüge, dieselben, stets etwas streng wirkenden, eisblauen Augen. Sein Bruder, John, hingegen…

Patrick musste seufzen und schmunzeln zugleich. John kam in jeder Hinsicht nach seiner Mutter, auch wenn seine markanten Gesichtszüge denen von Patrick sehr ähnelten. Wann immer Patrick seinen jüngsten Sohn ansah, schaute er auch gleichzeitig in das Gesicht seiner verstorbenen Frau. Es waren Emmelines grüne Augen, die die vom Vater mitgegebene Härte aus Johns Gesicht nahmen, und ihr immer leicht schiefes Lächeln, das ihren Sohn selbst im Alter von zweiundvierzig Jahren noch jungenhaft wirken ließ. Nicht zu vergessen das widerspenstige, nicht zu bändigende Haupthaar, welches Johns Gesamtbild seit jeher ausmachte und über das sich selbst Emmeline das ein oder andere Mal aufgeregt hatte.

Erneut seufzte der ältere Mann und fuhr vorsichtig mit dem Finger an dem goldenen Rahmen der Fotografie entlang. Eine Momentaufnahme aus vergangenen Zeiten, für die Ewigkeit festgehalten, unwiderruflich und unerschütterlich auf Papier gebannt. Viele Jahre waren seit der Aufnahme des Fotos vergangen und während er seine beiden Söhne hatte heranwachsen sehen, hatte Patrick versucht, sich vorzustellen, was später einmal aus ihnen werden würde. Im Großen und Ganzen hatte sich alles, was er sich für sie gewünscht hatte, erfüllt. Beide waren erwachsene, reife Männer geworden, die sicher im Leben standen und glücklich waren. Sowohl Dave als auch John hatten die Frau fürs Leben gefunden und eine Familie gegründet. Patrick hätte nicht stolzer sein können. Er hatte seine Söhne zu anständigen, steuerzahlenden Bürgern herangezogen und im Gegenzug hatten sie ihm liebenswürdige Schwiegertöchter und bezaubernde Enkelkinder geschenkt.

Trotzdem gab es so viel, was Patrick gerne anders gemacht hätte. Er bereute sehr viel, besonders was seinen Jüngsten, John, anging.

John war von Kindesbeinen an anders als sein Bruder gewesen. Patrick hatte erst im Laufe der Jahre den Grund dafür herausgefunden, dass es zwischen ihm und John immer wieder zu heftigen Streitigkeiten gekommen war; sein Jüngster war seiner Wenigkeit einfach viel ähnlicher als sein Bruder, mit dem Patrick stets gut klargekommen war. John hatte viel von seiner Mutter, war aber auch nicht minder streitsüchtig und dickköpfig als sein Vater. Patrick konnte selbst heute nur mit dem Kopf schütteln, wenn er daran dachte, wegen welch belangloser Dinge er und sein jüngster Sohn sich in die Wolle bekommen hatte. Manches Mal hatten sie sich tagelang angeschrieen, dann wieder tagelang geschwiegen.

Das gestörte Verhältnis zwischen ihm und seinem jüngsten Sohn führte Patrick auf seine eigene Unfähigkeit, Kompromisse zu schließen, zurück. Er hatte es nicht gern, wenn Leute anderer Meinung waren, eine seiner wahrscheinlich größten und schwerwiegendsten Eigenarten, die auch zum Bruch zwischen ihm und John geführt hatte. Der ganz große Krach war unvermeidlich gewesen, doch irgendwie war es sowohl Patrick als auch John gelungen ihn immer weiter hinauszuschieben.

Bis zu jenem Tag vor fünf Jahren.

Es war mit Sicherheit keine von Patricks liebsten Erinnerungen. Wenn er daran dachte, wurde ihm übel und sein Herz spannte in seiner Brust. Es war mitunter der schlimmste Streit, den er und John je gehabt hatten. Im Nachhinein konnte Patrick seinen Sohn sogar verstehen. Was er von sich gegeben hatte, war weder nett noch rücksichtsvoll oder der Situation angepasst gewesen, doch Patrick war zu geschockt gewesen, als sein verloren geglaubter Sohn John nach fünf Jahren plötzlich aus dem Nichts auftauchte, um seinem Vater seine Familie vorzustellen, von der Patrick bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal gewusst hatte.

Mit nur einer, unklug platzierten Bemerkung hatte Patrick Sheppard an diesem Abend alles kaputtgemacht und er war noch nicht einmal wütend gewesen, als John daraufhin samt Familie das Haus verließ und schwor, nie wieder zurückzukommen. Bis vor drei Wochen hatte Patrick wirklich geglaubt, seinen Jüngsten nie wieder zu sehen, daher überraschte es ihn selbstverständlich, als John sich aus heiterem Himmel meldete und ankündigte, dass er Weihnachten mit ihm und Daves Familie verbringen wollte. Patrick hatte die kurze Mail, die John Dave geschrieben hatte, immer und immer wieder gelesen. Erst nach dem zehnten Mal war es ihm möglich gewesen, sie aus den Händen zu legen. Gleich darauf hatte er sie ein weiteres Mal gelesen und seine alten Hände hatten zu zittern begonnen, als er den Inhalt der Mail begriff.

John würde nach Hause kommen.

In den drei Wochen, die seither vergangen waren, hatte Patrick fast pausenlos darüber nachgedacht, was er seinem Sohn sagen wollte, wenn er ihm gegenüberstand. Ihm war klar, dass er sich für das, was er damals gesagt hatte, entschuldigen musste, denn er glaubte kaum, dass inzwischen Gras über die Sache gewachsen war. John hatte sich schon immer schwer damit getan, ihm seine Ausbrüche zu verzeihen, und Patrick war bewusst, dass seine Entschuldigung Gewicht haben musste, damit sein Sohn sie annahm. Also hatte er sich Tag und Nacht den Kopf zerbrochen; tagsüber hatte er gedankenversunken in seinem Büro gesessen und nachts hatte er wach im Bett gelegen und keinen Schlaf gefunden. Es würde nicht leicht werden…
… und schließlich tat Patrick das, was er auf jeden Fall hatte vermeiden wollen. Bei Johns Ankunft tat er so, als wäre nie etwas geschehen. Er hatte die Geister der Vergangenheit, die mit seinem Sohn gekommen waren, verdrängt, so wie er es schon immer getan hatte und wahrscheinlich auch bis zu seinem Ende tun würde.
Patrick war noch nie besonders gut darin gewesen, seine Gefühle und Emotionen anderen kundzutun, daher behielt er sie für sich und versteckte sich hinter einer Maske. Er leugnete, log, betrog, nur um nicht sagen zu müssen, wie es um ihn gestellt war. In dieser Hinsicht war John ihm ähnlich. Patrick war das Mundwinkelzucken seines Sohnes nicht entgangen, als er ihn, seine Frau und seinen Enkelsohn überschwänglich begrüßt hatte. Johns Blick war vernichtend gewesen, doch Patrick hatte ihn ignoriert.

Seine Heuchelei beschämte Patrick und aus diesem Grund hatte er sich in seinem Büro verbarrikadiert und vegetierte seit Johns Ankunft am Vorabend still und meist in Gedanken versunken dahin. Er wagte es nicht, seinem jüngsten Sohn nach dem Debakel vom Vortag unter die Augen zu treten. John schien es ebenso zu gehen, denn bis jetzt hatte er ihn in Ruhe gelassen und war nicht aufgetaucht. Nur Dave und dessen gutmütige Frau Amanda hatten ab und zu nach ihm gesehen. Wahrscheinlich, so dachte sich Patrick, wollten sie nur sicher gehen, dass er noch immer lebte und nicht in seinem ledernen Schreibtischstuhl verschieden war.

Patrick schüttelte mit dem Kopf und seufzte resigniert, als er sich zurücklehnte. Es war zum Verzweifeln. Er, ein erwachsener Mann von zweiundsiebzig Jahren, scheute sich davor, seinem Sohn unter die Augen zu treten! Er hatte vieles im Leben erreicht, hatte sich allem und jedem mit mutig vorgewölbter Brust gestellt, war jetzt jedoch nicht in der Lage den unbequemen Tatsachen ins Auge zu sehen und es wie ein Mann zu nehmen.

Er schämte sich zutiefst für seine eigene Schwäche.

Patrick war wieder dabei in seinen Gedanken zu versinken und in Melancholie zu verfallen, als er auf einmal die Scharniere der Bürotür quietschen hörte; es war ein durchdringendes Geräusch, welches ihn zusammenfahren ließ. Ehe sich der ältere Mann versah, schob sich ein kleiner Jungenkörper rückwärts in den Raum herein. Für einen kurzen Moment, fühlte sich Patrick in die Vergangenheit zurückversetzt und sah seinen jüngsten Sohn vor sich, doch als der Junge sich umdrehte, blickte Patrick in die braunen Augen seines Enkelsohnes.

T.J. blieb wie angewurzelt stehen, als er seinen Großvater bemerkte. Seine Augen wurden weit, anscheinend hatte er nicht damit gerechnet, hier jemanden anzutreffen, da das Büro in einem etwas abgelegenen Bereich des Hauses zu finden war. Der ganze Körper des Kindes schien beim Anblick des alten, im Sessel sitzenden Mannes einzufrieren und Patrick fragte sich, was John seinem Sohn über ihn wohl alles erzählt hatte.

„Hallo“, grüßte Patrick den Jungen, der ihn immer noch mit großen Augen anstarrte als wäre er ein Gespenst. Kein Wunder, sagte sich der Hausherr traurig, der Junge war noch ein Baby gewesen, als er ihn das erste und auch letzte Mal gesehen hatte, und die Begrüßung am gestrigen Tag war zu kurz gewesen, als dass der Bursche hätte begreifen können, dass es sich bei dem alten, grauhaarigen Mann um seinen Großvater handelte.

„Hallo, Grandpa“, überraschte ihn der Junge dann jedoch und ein scheues Lächeln stahl sich auf die kindlichen Lippen, ein Lächeln, welches Patrick an John erinnerte. Ihm war schon bei der Ankunft der Familie aufgefallen, dass T.J. sehr viel von seinem Vater hatte, aber wenn die Merkmale seiner Mutter ebenfalls deutlich hervorstachen; T.J. war eine perfekte Mischung aus den beiden, hatte die Gesichtszüge und die widerspenstigen Haare von seinem Vater, auch wenn sie etwas heller als die von John waren, und die Augen seiner Mutter. Er war ein süßes Kind, das sicher jeden verzaubern konnte, wenn es wollte.
Patrick sah in ihm ein jüngeres Abbild seines eigenen Sohnes. John hatte als kleiner Junge dasselbe Blitzen in den Augen und den Schalk im Nacken gehabt, war stets neugierig gewesen, so wie T.J. es auch war. Er hatte immer alles ganz genau wissen wollen, eine Eigenschaft, die sein Sohn von ihm geerbt hatte. Und er war alles andere als schüchtern gewesen…

Auch T.J. schien ein gesundes Selbstbewusstsein sein Eigen nennen zu dürfen, denn er kletterte, nachdem er sich akklimatisiert und kurz im Büro umgeschaut hatte, vollkommen gelöst auf den Sessel, der vor Patricks Schreibtisch aufgebaut war, und sah seinen Großvater mit großen, braunen Augen unverwandt an.

„Wieso versteckst Du Dich hier, Grandpa?“, fragte er frei heraus, wie es nur ein Kind konnte. Dabei wirkte er so unschuldig, dass Patrick gar nicht anders konnte, als ihm zu antworten.
Doch bevor er dazu kam, erhob T.J. wieder seine liebliche Kinderstimme.

„Daddy hat zu Mommy gesagt, dass Du Dich vor ihm versteckst, weil Du Dich mit ihm gestritten hast. Stimmt das, Grandpa?“

Das hatte Patrick nicht erwartet. Sicher, T.J. war ein cleverer Bursche und es überraschte ihn nicht, dass er bestens Bescheid wusste, dass etwas zwischen seinem ‚Grandpa’ und seinem Vater nicht stimmte. Aber dass er es auf den Streit zurückzuführen wusste, der stattgefunden hatte als er noch ein Baby gewesen war, irritierte Patrick.

„Das hat er gesagt?“, hakte er daher vorsichtig bei seinem Enkelsohn nach, der daraufhin eifrig nickte.

„Er ist traurig deswegen“, antwortete T.J. „Er will nicht, dass ihr beide wieder streitet. Deshalb kommt er auch nicht, um nach Dir zu sehen.“ Die Miene des Jungen wurde ernst. „Er sagt, Du hast ihn angeschrieen. Das ist nicht schön, Grandpa.“

Patrick seufzte.

„Nein, dass ist überhaupt nicht schön, mein Junge.“

„Und wieso hast Du Daddy dann angeschrieen?“, fragte T.J. stirnrunzelnd.

„Weil…“

Patrick hielt inne. Wie sollte er einem Fünfjährigen erklären, warum er seinen Vater angeschrieen hatte? Es war viel zu kompliziert, als dass er es einfach so hätte dahersagen können. T.J. würde es sicher nicht verstehen, ganz gleich wie clever er war. Für Kinder war die Welt noch in Ordnung und sie verstanden nicht, wenn Erwachsene sich stritten- T.J. würde da sicher keine Ausnahme bilden.

„Streiten ist nicht schön“, beschied T.J. abermals, als sein Großvater ihm nicht antwortete. „Mommy sagt immer, dass ich mich nicht streiten soll.“

Patrick fand nun endlich seine Stimme wieder. „Da hat Deine Mom recht. Ein junger Gentleman wie Du sollte sich nicht streiten.“

T.J. grinste, als Patrick ihn als einen ‚jungen Gentleman’ bezeichnete, kräuselte dann aber gleich darauf die Stirn und sah seinen Großvater prüfend an.

„Stimmt es, dass Du Mommy nicht magst?“, wollte er plötzlich wissen.

„Wie kommst Du denn auf die Idee?“, fragte Patrick überrascht.

„Hat Daddy gesagt“, antwortete T.J. als wäre es das Normalste in der Welt. „Er sagt, Du magst sie nicht.“

Patrick hob die Augenbrauen und war kurz davor, etwas zu erwidern, als ihm wieder einfiel, dass ihm sein fünfjähriger Enkelsohn gegenübersaß, also behielt er das Wort, das ihm durch den Kopf geisterte, lieber für sich.

„Das hat er gesagt?“, wiederholte er stattdessen, hörte seinem nickenden Enkelsohn aber nur auf halbem Ohr zu, als dieser ihm antwortete. Gut, er hatte seine Bedenken geäußert, als John vor fünf Jahren urplötzlich mit Ehefrau und Baby auftauchte, aber das bedeutete noch lange nicht, dass er seine Schwiegertochter nicht mochte- im Gegenteil! Auch wenn John es möglicherweise so interpretierte, Patrick hielt große Stücke auf seine Schwiegertochter, da es ihr gelungen war, John aus seinem Tief herauszuholen. Teyla war absolut liebenswert und Patrick glaubte nicht, dass es irgendjemanden gab, der sie nicht mochte.

T.J’s bohrender Blick holte Patrick aus den Gedanken. Der Junge sah ihn an und erwartete anscheinend auf irgendetwas eine Antwort. Patrick musste zugeben, dass er die Frage nicht mitbekommen hatte, also sagte er einfach: „Dein Daddy hat sich geirrt. Ich mag Deine Mommy sehr.“

Das schien dem Jungen als Antwort zu genügen. Ein breites Lächeln zog sich über sein ganzes Gesicht.

„Meine Mommy ist die Beste“, trällerte er fröhlich. Dann jedoch wieder dieses nachdenkliche Stirnrunzeln, das eigentlich viel zu ernst für einen Jungen seines Alters war.

„Magst Du meinen Daddy?“

Wieder war diese kindliche Unschuld aus der Stimme des Jungen herauszuhören, was aber nicht bedeutete, dass sich T.J. mit einer einfachen Aussage zufrieden geben würde.

Patrick seufzte. Was sollte er dem Jungen antworten? Es war schon lange her, dass er einem Kind auf so eine Frage hatte antworten müssen. Generell war es lange her, seit er sich das letzte Mal mit einem Kind in T.J’s Alter unterhalten hatte. Daves Söhne Emmett und Graham waren dem Kindsalter schon längst entwachsen. T.J., hingegen, war erst fünf und für ihn bestand die Welt noch immer aus Fragen. Fragen über Fragen, und der Junge wollte sie alle beantwortet haben. Ganz egal wie sehr seine Fragen andere in Verlegenheit brachten, T.J. wollte Antworten!

„Weißt Du, T.J.“, begann Patrick seinem Enkelsohn zu erklären, „es ist nicht so, dass ich Deinen Daddy nicht mag. Ich mag ihn sogar sehr. Es ist nur so, dass Dein Daddy und ich seit vielen, vielen Jahren eine andere Meinung zu einer Sache haben.“ Er hielt kurz inne und musterte seinen Enkel; T.J’s Miene war angestrengt, aber er schien ihm folgen zu können.

„Ihr habt euch gestritten, als ich noch ein Baby war“, bemerkte der Junge. „Und ich bin fünf!“ Er hielt fünf Finger hoch. Kopfschüttelnd rügte er seinen Großvater: „Das sind aber viele, viele Jahre, Grandpa.“

Patrick schmunzelte. „Ja, das ist eine ganz schön lange Zeit, mein Junge.“

„Dann müsst ihr euch wieder vertragen“, beschied T.J.

Wenn das doch nur so einfach wäre, dachte Patrick und seufzte. Plötzlich spürte er, wie sich eine kleine Hand auf sein Knie legte, und als er den Kopf anhob, blickte er in die braunen Augen seines Enkelsohnes, der um seinen Schreibtisch herumgekommen war und ihn ernst ansah.

„Daddy freut sich bestimmt, wenn Du Dich wieder mit ihm verträgst“, meinte T.J. mit kindlicher Stimme, die so gar nicht zu seinem für sein Alter viel zu reifen Gesichtsausdruck passen wollte.

Als wäre das das Stichwort gewesen, waren auf einmal Schritte außerhalb des Büros zu vernehmen, die sich näherten. Patrick konnte sich denken, wer sich da auf dem Weg in sein Büro befand, zuckte aber dennoch unwillkürlich zusammen, als die klare, tiefe Stimme seines Sohnes durch die Wände drang.

„T.J.?“, rief John. „Hey, Kumpel, wo bist Du denn?“

„Ich bin hier, Daddy“, erwiderte der Fünfjährige. Die Schritte seines Vaters hielten kurz inne. Patrick sah seinen Sohn vor dem geistigen Auge, wie er mitten im Flur stehenblieb und überlegte, ob es klug war weiterzugehen. Schon im nächsten Moment, jedoch, öffnete sich die Tür zum Büro und John betrat zögerlich den Raum.

„Da bist Du ja“, sagte er, als er seinen Sohn entdeckte. „Wir haben Dich schon überall gesucht, junger Mann.“ Patrick entging Johns Stirnrunzeln nicht. Sein Sohn bemühte sich scheinbar krampfhaft um ein Lächeln, als er seinen Vater und T.J. einträchtig beieinander sitzen sah.

„Aber, Daddy, ich war doch hier“, erklärte T.J. Seinem Vater ein schneidezahnloses Lächeln schenkend, fügte er hinzu: „Grandpa und ich haben uns unterhalten, nicht wahr, Grandpa?“, fragte er Patrick.

Johns Blick sprang zwischen seinem kleinen Sohn und seinem Vater hin und her und die Falte zwischen seinen Augen vertiefte sich.

„Ja, das haben wir“, bemühte sich Patrick die verfahrene Situation zu retten. „Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen, John.“

„Wir haben uns keine Sorgen gemacht“, erwiderte sein Sohn mit angespannter Miene. „Ich wollte mich nur vergewissern, dass es T.J. gut geht.“

Patrick nickte.

„Na, wie Du siehst“ , meinte er, „geht es ihm hervorragend.“ Patrick streckte die Hand aus und strich seinem Enkelsohn über den dunklen Haarschopf. John verfolgte jede seiner Bewegungen und schien sie genaustens zu analysieren. Sein ganzer Körper wies Zeichen der Anspannung auf, seine Miene war verbissen, die Lippen aufeinander gepresst. Es vergingen mehrere Momente, ehe er wieder den Mund auftat und was über seine Lippen kam, überraschte Patrick zuerst.

„Könntest Du…Würdest Du…“ John seufzte, setzte dann erneut an. „Hättest Du was dagegen, eine Weile auf ihn aufzupassen? Wir müssen noch einmal ins Krankenhaus“, fügte er erklärend hinzu, wurde jedoch von seinem Vater unterbrochen, ehe er weiterreden konnte.

„Ist irgendetwas mit Deinem Bein nicht in Ordnung?“, erkundigte sich Patrick besorgt und ließ seinen Blick kurz über das Gipsbein seines Sohnes schweifen.

John schüttelte mit dem Kopf.

„Mit meinem Bein ist alles in Ordnung“, antwortete er. „Es geht um Teyla. Es ist nichts Ernstes, zumindest nehmen wir das an“, beeilte er sich hinzuzufügen, als Patrick die Augenbrauen anhob, „aber ich will auf Nummer sicher gehen und sie und das Baby einmal gründlich durchchecken lassen. Könntest Du so lange auf T.J. aufpassen… bitte?“

„Was ist denn mit Mommy?“ T.J’s braune Augen funkelten ängstlich.

„Mit Mommy ist alles in Ordnung, Champ“, entgegnete John seinem Sohn. „Wir wollen nur sicher gehen, dass es dem Baby auch gut geht, damit wir heute Abend alle zusammen Weihnachten feiern können.“

Der Junge nickte verstehend.

„Dad?“ John sah seinen Vater an und Patrick nickte.

„Natürlich passe ich auf ihn auf“, sagte er. „Kein Problem. Wir beide verstehen uns super, richtig, T.J.?“

T.J. schenkte seinem Großvater ein strahlendes Lächeln.

„Danke, Dad.“ John, der sich schon auf halben Wege nach draußen befand, wandte sich noch einmal um. „Falls irgendetwas sein sollte, Amanda und Mrs. Broderick…“

„Ich werde schon zurechtkommen, John“, fiel Patrick ihm ins Wort und scheuchte ihn mit den Händen fort. „Nun geh schon und sei bei Deiner Frau. Sie braucht Dich jetzt dringender als wir hier. Los jetzt!“

John stand in der geöffneten Tür. Die Sorge um seine Frau und das gemeinsame Baby stand ihm buchstäblich ins Gesicht geschrieben und sein Anblick verschaffte auch Patrick ein ungutes Gefühl. Er wusste zwar nicht genau, was vorgefallen war, und er glaubte auch nicht, dass John im Moment die Ruhe besaß, ihm zu erzählen, was mit Teyla nicht stimmte, aber Johns Gesichtsausdruck verriet, dass er sich ernsthaft Sorgen machte. Was nicht weiter verwunderlich war, schließlich war seine Schwiegertochter nur knapp zwei Wochen von ihrem Termin entfernt.

„Na los, geh schon“, hielt Patrick seinen Sohn daher zur Eile an. Ihr klärendes Gespräch musste wohl oder übel wieder einmal verschoben werden, im Moment gab es Wichtigeres zu tun.

John begegnete dem Blick seines Vaters furchtlos und für einen ganz kurzen Augenblick glaubte Patrick sogar einen Hauch von einem Lächeln um die Mundwinkel seines Sohnes zu bemerken. Im nächsten Moment war es aber schon wieder verschwunden und John drehte sich um und verließ, so schnell es ihm auf Krücken möglich war, das Büro. Patrick sah ihm nach, wandte seine Aufmerksamkeit dann aber seinem kleinen Enkelsohn zu.

Der ernsthafte Ausdruck in T.J’s Gesicht war einem ängstlichen gewichen und der Fünfjährige kletterte bereitwillig auf den Schoß seines Großvaters, als dieser es ihm anbot.

„Mit Mommy und dem Baby wird doch alles gut gehen, oder?“, fragte er mit piepsiger Stimme.

Patrick nickte.

„Aber gewiss doch“, antwortete er, schlang seine Arme um T.J’s dünnen Leib und drückte das Kind gegen seine Brust. Ein warmes Gefühl durchfuhr ihn und obwohl er nicht wusste, was dem noch hinzuzufügen war, meinte er: „Mit Deiner Mommy und dem Baby wird alles gut gehen. Es ist doch Weihnachten! Und an diesem Tag geht nie etwas schief.“

TBC
Dunkle Wolken am Horizont by Nyada
Die Notaufnahme des Krankenhauses glich einem Bienenstock und der kleine Wartebereich, in dem die Patienten aneinandergereiht saßen und mit mürrischen Gesichtern den umfangreichen Anamnesebogen ausfüllten oder gelangweilt durch die abgegriffenen Klatschzeitungen blätterten, war hoffnungslos überfüllt. Die Leute kamen und sie gingen, ohne dass die anderen groß Notiz von ihnen nahmen. Der datumsfixierte Ansturm während der Feiertage schien hier niemanden mehr zu überraschen und für die Ärzte und Krankenschwestern war die Versorgung der Patienten zur Routine geworden. Sie eilten von Bett zu Bett, ohne sich weiter mit ihren Patienten zu vertraut zu machen. Die Leute wurden versorgt, schnell und effektiv, Entlassungspapiere wurden unterschrieben. Für Außenstehende war es schwer dieses rasch ablaufende Prozedere zu durchschauen. Die Notaufnahme und ihre Angestellten waren wie eine gut geölte Maschine. Verzögerungen gab es keine. Fehler konnten und durften nicht widerfahren. Der Ablauf durfte nicht gestört werden.

Während der Feiertage schien Hochbetrieb in der Notaufnahme zu herrschen und es war schon irgendwie merkwürdig, dass sich die meisten Unfälle ausgerechnet während der Zeit ereigneten, die angeblich die besinnlichste des ganzen Jahres sein sollte und man eigentlich erwartete, dass sich auch die Gemüter der Menschen etwas abkühlten.

Zum wiederholten Male erwischte sich John Sheppard dabei, dass er kurz von den Papieren, die er schon seit geschlagenen zehn Minuten auszufüllen versuchte, aufblickte. Mit aufeinander gepressten Lippen sah er sich in dem, für den Ansturm von Patienten viel zu kleinem Warteraum um. Es fiel ihm schwer, den Überblick über dieses Chaos zu behalten und die Menschansammlung machte ihn nervös. Seit er ein kleiner Junge gewesen war, hasste er Krankenhäuser und er bedauerlicherweise viel zu oft in der Notaufnahme gelandet, was er nicht zuletzt oft den Schikanen seines Bruders zu verdanken hatte. Ja, Dave und er waren in ihrer Jugend Raufbolde gewesen und sie hatten das Pech in Form von verstauchten Knöcheln, gebrochenen Armen und Beinen, blauen Flecken, ausgekugelten Schultern und blutigen Wunden geradezu magisch angezogen. Meistens, jedoch, war es John gewesen, der die Konsequenzen ihres jugendlichen Wahnsinns hatte ausbaden müssen, während sein Bruder mit einem blauen Auge davongekommen war.
Zu diesem Zeitpunkt hatte John begonnen, Krankenhäuser und alles, was damit zu tun hatte, zu hassen und er tat es bis heute. Er konnte zwar nicht mit dem Finger auf das zeigen, was in ihm dieses unbehagliche Gefühl auslöste, kaum dass er die Schwelle übertreten hatte, aber das brauchte er auch nicht zu können, denn es änderte nichts an der Tatsache, dass er Krankenhäuser verabscheute.

Seufzend ließ seinen Blick zurück auf das halbausgefüllte Formular in seinen Händen gleiten. Seine Handschrift war undeutlich und leicht abgeschrägt, ein deutliches Zeichen und für sein, ihn innerlich aufwühlendes Unbehagen. Wohl wissend, dass man sie ohne dieses Formular nicht aufrufen würde, fuhr er fort, es weiter auszufüllen, auch wenn er es am liebsten in der nächsten Mülltonne gesehen hätte. Diese unwichtigen, völlig überbewerteten Formalitäten machten ihn wahnsinnig und er fragte sich ernsthaft, ob wirklich alle Informationen, von denen man erwartete, dass er sie eintrug, wirklich relevant waren. Was interessierte es zum Beispiel die Krankenschwester am Empfang, über welchen Weg man von diesem Krankenhaus erfahren hatte? Es war nicht so, dass man als Patient die große Auswahl hatte- dieses Krankenhaus war das Einzige im Umkreis von achtzig Meilen und der Anlaufspunkt der ganzen Region.

Rasch, wenn auch widerwillig füllte John die restlichen Spalten aus, setzte seine Unterschrift unter das Formular und reichte es dann der bebrillten, jungen Frau hinter dem Empfangstresen. Nicht einmal ein einfaches ‚Dankeschön’ war von dieser zu vernehmen, als sie es lieblos in den, sich neben ihr auftürmenden Haufen einsortierte und ihn resigniert und ohne ihn anzusehen bat, sich wieder zu setzen. Man würde ihn gleich aufrufen und es würde nicht lange dauern, fügte sie tonlos hinzu, was John hinsichtlich der Tatsache, dass der Wartebereich aus allen Nähten platzte, stark bezweifelte. Kam es ihm nur so vor oder war es in den paar Minuten noch voller geworden?

Mit nachdenklich gerunzelter Stirn, klemmte sich John seine Krücken unter die Achseln und humpelte zurück zu seinem Platz, der zu seiner großen Überraschung immer noch unbesetzt zu sein schien. Teyla hatte sich nicht einen Zentimeter gerührt. Mit ausdrucksloser Miene blätterte sie wie die meisten Wartenden durch eine der herumliegenden Zeitungen, doch John wusste, dass sie sich nicht wirklich für die Modetrends des kommenden Frühlings interessierte und dass ihre Gedanken nicht bei den neusten Diätmethoden waren, die auf dem Cover angepriesen wurden.

„Hey“, sagte er und sie blickte auf, als er sich umständlich auf den freien Stuhl neben sie sinken ließ und sich nach einem Platz für seine Krücken umsah, der jedoch nicht vorhanden zu sein, da er sie kurzum in den Händen behielt.

„Es ist alles geklärt, ich habe dieses jämmerliche Formular ausgefüllt“, erklärte er und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. Teyla erwiderte es, doch es erreichte nicht ihre braunen Augen, eine Tatsache, die die Falte zwischen Johns Augen noch tiefer werden ließ. Besorgt musterte er seine Frau von der Seite. Sie hatte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Artikel in ihrer Zeitung zugewandt und ihre Augen flogen über die gedruckten Zeilen, aber John war bewusst, dass sie sie nicht las.

„Hey“, hörte er sich wieder sagen, als er nach ihrer Hand griff und sie drückte. „Alles wird gut, hörst Du?“

Teyla sah auf und zum ersten Mal, seit sie von dem Haus seines Vaters losgefahren waren, bemerkte John die flackernde Angst in ihren Augen. Sie hatte versucht, ihm klarzumachen, dass es ihr gut ging, aber anscheinend machte nicht nur ihn die Krankenhausatmosphäre nervös. Teyla ließ ihre Zeitung sinken, kniff die Lippen aufeinander und ihr Blick begann umherzuschweifen.

„Ich verstehe jetzt, warum Du diesen Ort nicht magst“, sagte sie kurz darauf, ohne ihn dabei anzusehen. „Dieser Ort ist…“

„…unheimlich, merkwürdig, Dir zuwider?“ Johns Mundwinkel hoben sich zu einem unvollendeten Lächeln, dann zuckte er mit dem Schultern. „Ja, so in etwa kannst Du es beschreiben. Das trifft es eigentlich ganz gut.“

Teyla erwiderte ihm nichts, er spürte nur, wie sie sich fester an seine Hand klammerte, als ob sie nach Halt suchte. Also signalisierte er ihr mit einem kurzen Händedruck, dass er da war und sie nicht allein lassen würde. Die Athosianerin schenkte ihm ein kurzes Lächeln, welches auch dieses Mal nicht ihre Augen zu erreichen schien. Es geschah nicht oft, dass sie ihm etwas vorzutäuschen versuchte und John wusste, dass sie sich Sorgen machte.

„Ich bin mir sicher, dass alles in Ordnung ist.“ Er versuchte zuversichtlich zu klingen, auch wenn er sie am liebsten auf Händen persönlich in den nächsten Untersuchungsraum getragen hätte.

„Ich weiß“, sagte Teyla leise und ließ ihre freie Hand auf ihren Bauch sinken. „Das sagst Du immer.“ Nachdenkliches Stirnrunzeln, eine kurze fließende Bewegung über die Wölbung ihres Unterleibs, dann: „Es hat sich seitdem nicht mehr bewegt, John.“

„Vielleicht schläft es“, mutmaßte der Soldat, woraufhin sich, in Erwiderung, die Brauen seiner Frau anhoben und er erleichtert einen Anflug von Erheiterung in ihrem Blick und ein kleines Lächeln bemerkte.

„So etwas wie Schlaf scheinen Deine Kinder nicht zu kennen, John“, triezte sie ihn, wenn auch mit einem besorgt klingenden Unterton in ihrer Stimme, der ihrem Mann natürlich nicht entging.

„Bitte, mach’ Dir keine Sorgen, Tey“, sagte er. „Du wirst sehen, es ist bestimmt alles in Ordnung mit dem Baby. Wir lassen Dich durchchecken und dann sind wir, ehe wir uns versehen, auch wieder zuhause.“

„Okay.“ Teyla holte tief Luft und nickte. Ihre straffen Schulter entspannten sich ein wenig, als sie sich gegen den Stuhl zurücklehnte und das Thema wechselte. „Sollten wir nicht Rodney Bescheid geben, dass es etwas länger dauern könnte?“, fragte sie John, während ihr Blick erneut durch den vollen Wartebereich schweifte.

John dachte kurz an den Kanadier, der ihnen mehr oder weniger bereitwillig angeboten hatte, sie zum Krankenhaus zu fahren, nachdem Dave einen wichtigen Anruf aus der Firma erhalten und sich verdünnisiert hatte. „Ich denke, er wird schon zurechtkommen“, antwortete er seiner Frau. „Er meinte, er hätte noch etwas zu erledigen, und so wie ich Rodney kenne, bedeutet das, dass er das nächstbeste Internetcafe aufsucht, nur um sich hinterher über die ‚achso miese Verbindung’ zu beschweren.“

Teyla, die sichtlich erleichtert über den Themawechsel war, lachte. „Wieso hat er denn nicht euren Computer benutzt?“, wunderte sie sich. „Wäre das nicht viel leichter für ihn gewesen?“

„Wahrscheinlich zieht er die Anonymität in der Masse vor“, spekulierte John schulterzuckend. Ehe er etwas hinzufügen konnte, bemerkte er eine junge Frau, die im Türrahmen aufgetaucht war und sich suchend umsah. Sie hielt eine Akte in den Händen, die John selbst von Weitem als die seine erkannte und so war er schon auf den Füßen, bevor die Ärztin Teylas Namen ausrief, und hielt Teyla die Hand hin, während er mit der anderen seine beiden Krücken balancierte.

Die schwangere Athosianerin war blass geworden, als sie sich von ihrem Mann hochhelfen ließ.

„Alles wird gut, Darling“, flüsterte John ihr zu, als sie sich der lächelnden Ärztin näherten, küsste sie auf die Wange und drückte ihre Hand, die er in seiner hielt. Er überspielte seine eigene Nervosität wie so oft mit einem schiefen Lächeln, doch dieses Mal schien Teyla es ihm nicht abzukaufen und John musste selbst zugeben, dass er schon einmal besser darin gewesen war, ihr etwas vorzumachen.

ooOOoo


Dave Sheppard fühlte sich wie ein Verräter, kaum dass er beschlossen hatte, das Gespräch anzunehmen. Amandas strafender Blick hatte auf ihm gelegen, als er sich entschuldigt und mit dem Telefonhörer am Ohr den Raum verlassen hatte. Wie oft hatte er ihr versprochen, am Weihnachtstag nicht arbeiten zu wollen, und genauso oft hatte er dieses Versprechen gebrochen. Er schämte sich dafür, doch es war bei Weitem nicht so einfach, Teilhaber der Firma seines Vaters zu sein, wie seine Frau es sich vorstellte. Daves Aufgabenbereich hatte sich allein im letzten Jahr geradezu verdreifacht, als sein Vater beschloss, in Zukunft der Gesundheit wegen etwas kürzer zu treten. Allein in den letzten beiden Monaten hatte er fünf neue Mitarbeiter einstellen müssen, um die ihn erwartenden Arbeiten zu schaffen. Die Firma seines Vaters fusionierte gerade mit einem Unternehmen aus Europa, ein großes Vorhaben, und Dave hatte insgeheim schon befürchtet, dass man ihn auch an Weihnachten nicht mit verwaltungstechnischen Aufgaben verschonen würde. Der Anruf war demnach nicht überraschend gekommen, aber ungünstig, sehr ungünstig.

Johns enttäuschter Blick wollte Dave nicht aus dem Kopf gehen und für einen kurzen Augenblick hatte er tatsächlich darüber nachgedacht, den Anrufer abzuwimmeln, um seinen Bruder und dessen Frau wie versprochen ins Krankenhaus fahren zu können. Er hatte seinem Bruder an diesem Tag schon genug Unrecht getan, also wollte er John zumindest diesen Gefallen tun und schließlich ging es um weit mehr. Dave machte sich genauso Sorgen um das Wohlergehen seiner Schwägerin und ihres Babys wie alle anderen und er fühlte sich mies, hinsichtlich der Tatsache, dass er der Arbeit wieder einmal Vorrang gegeben hatte und sich die Familie dafür hintenanstellen musste.


Zusammengesunken saß Dave nun in einem Sessel, das Telefon noch immer in der Hand haltend, der Blick stur geradeaus gerichtet, die Lippen so fest aufeinandergekniffen, dass die Farbe aus ihnen wich. Nicht nur, dass er Amanda wieder einmal verraten hatte, indem er dieses Gespräch angenommen hatte, nein, nun hatte auch noch seinen Bruder unter seinem Workaholicdasein leiden müssen. Dave hätte sich ohrfeigen können; da sah er John das erste Mal seit fünf Jahren und was tat er? Er stürzte sich in seine Arbeit, anstatt Zeit mit seinem kleinen Bruder und dessen Familie zu verbringen!

„Echt super, Dave“, brummelte er in seinen Bart. „Toll, echt toll.“

„Mann, ich hab’s echt vermisst Dich so sehen“, erklang auf einmal eine Stimme hinter ihm und als Dave sich umdrehte, erblickte er seinen Sohn. Emmett stand mit vor der Brust verschränkten Armen im Türrahmen und grinste unverschämt bis über beide Ohren. Als er sich sicher war, dass die Aufmerksamkeit seines Vaters ihm gehörte, stieß der junge Mann sich vom Türrahmen weg und kam langsam auf Dave zu geschlendert.

„So selbstkritisch und gedankenversunken“, sinnierte Emmett, immer noch grinsend und für einen kurzen Moment dachte Dave daran, wie sehr ihn dieses Grinsen an seinen Bruder erinnerte. Es war schon oft vorgekommen, dass man Emmett früher für Johns Sohn gehalten, was, ehrlich gesagt, auch keine Kunst war, denn die beiden sahen sich wirklich sehr ähnlich. Beide kamen voll und ganz nach Patrick Sheppard, besaßen fast dieselbe Statur wie das Familienoberhaupt, hatten dieselben dunklen Haare, auch wenn Dave sich ernsthaft darüber wunderte, wie John seine so… verunstalten konnte. Selbst ihre Mutter, die sonst stets die Ruhe in Person gewesen war, hatte sich darüber aufgeregt, wie John sein Haar zu tragen gepflegt hatte.

Emmett nahm auf der Couch Platz, gegenüber von seinem Vater und fasste den älteren Mann ins Auge. „Ist alles okay, Dad?“, erkundigte er sich und Dave nickte, obwohl dem nicht so war.

„Natürlich“, sagte er, straffte die Schultern. „Sind John und Teyla wieder da?“, fragte er, weil er dachte, dass sein ältester Sohn aus diesem Grund zu ihm gekommen war, um ihn über die Rückkehr der beiden zu informieren. Doch Emmett schüttelte nur mit dem Kopf, lehnte sich mit den Ellenbogen auf seine Oberschenkel und faltete seine Hände.

„Nein“, meinte er, „ich… ich wollte nur…“ Er seufzte. „Ich bin aus einem anderen Grund gekommen und ich hatte gehofft, dass Du mir einen Gefallen tun könntest, Dad.“

Dave runzelte kurz die Stirn, nickte dann aber. Es war selten, dass Emmett mit einem Problem direkt zu ihm kam. Schon als kleiner Junge hatte er aufkommende Schwierigkeiten meistens selbst gelöst… was aber vielleicht auch daran gelegen hatte, dass Dave die ersten vier Jahre nicht einmal gewusst hatte, dass Emmett existierte. Er war aus einer einmaligen Sache mit Daves Collegebekanntschaft Susan Wellington hervorgegangen und Dave hatte erst vier Jahre später erfahren, dass die Nacht, die sie damals miteinander verbracht hatten, nicht ohne Folgen geblieben war. Anfangs hatte sich Dave schwer mit der Vaterrolle getan, war er damals selbst erst vierundzwanzig Jahre alt gewesen. Sein Vater hatte ihm die Hölle heiß gemacht und John, der sich zum ersten Mal nicht im Mittelpunkt des Geschehens befand, hatte sich beeumelt.

Es hatte Jahre gedauert, bis Dave sich in seine Rolle hineingefunden und ein Verhältnis zu Emmett aufgebaut hatte, welches noch immer nicht das Beste war.

„Ich… okay…ja, gut.“ Dave versuchte sich seine Verwunderung nicht anzumerken, aber im Gegensatz zu seinem Bruder, der das Schauspiel im Laufe der Jahre perfektioniert hatte, scheiterte er auf ganzer Linie.

Emmett schien sich bei der ganzen Sache ebenfalls nicht besonders wohlzufühlen und erst nach einem weiteren, tiefen Seufzer, rückte er mit der Sprache oder vielmehr mit einem kleinen samtenen Kästchen heraus, welches er aus seiner Jackentasche fischte und es vor sich auf den Kaffeetisch stellte. Daves Augen wurden weit, als er begriff, was sein Sohn da von ihm verlangte.

„Oh“, meinte er und blickte von dem Kästchen zu seinem Sohn. „Das… das ist ja…“

„…ein Ring, ja“, beendete Emmett den Satz seines Vaters.

„Du willst also…“

„…Lexie fragen, ob sie meine Frau werden will?“ Emmett zuckte erst mit den Schultern, dann nickte er. „Ja… ja, das will ich.“

„Bist Du Dir sicher?“, war das Erste, was aus Dave herausplatzte, nachdem er seine Stimme wiedergefunden hatte und das Kästchen mit spitzen Fingern hochhob, es öffnete und den in schwarzem Samt gebetteten Ring betrachtete. Er war schlicht, silbern und mit Diamanten besetzt, das perfekte Exemplar eines Verlobungsringes, einen ähnlichen hatte er damals Amanda an den Finger gesteckt.

Emmett nickte wieder, wenn auch etwas zögerlicher.

„Ja… ja, das bin ich, zumindest… glaube ich das.“ Sein Blick auf die Box in den Händen seines Vaters. „Und… und wie findest Du ihn?“

Dave klappte das Kästchen wieder zu und gab es seinem, auf dem Couchpolster nervös hin- und herrutschenden Sohn zurück.

„Er ist schön“, antwortete er. „Sehr schön sogar.“

„Glaubst Du, sie… sie sagt Ja?“, fragte Emmett und Dave überkam das Gefühl, dass er ganz und gar nicht hierher gehörte. Gleichzeitig erinnerte sich an das Gespräch, welches er und John geführt hatten, als sein Bruder vorgehabt hatte, Nancy einen Antrag zu machen. John war dermaßen nervös und hibbelig gewesen, dass Dave befürchtete, er würde in Ohnmacht fallen, wenn es soweit sein würde.

„Wieso sollte sie nicht Ja sagen?“, richtete er nun dieselben Worte, die er damals seinem Bruder gesagt hatte, an seinen Sohn. „Sie liebt Dich. Natürlich wird sie Ja sagen.“

„Ich weiß nicht“, erwiderte Emmett. „Seit wir hier sind, ist sie irgendwie… anders. Sie benimmt sich komisch, fast so, als wäre es ihr unangenehm hier zu sein. Ich weiß nicht warum, aber ich mache mir Sorgen, Dad.“

„Wahrscheinlich ahnt sie etwas“, mutmaßte Dave schmunzelnd. „Es ist bestimmt nichts, also mach Dir mal keine Sorgen. Es wird-“ Er wurde von einer urplötzlich in den Raum platzenden Mrs. Broderick unterbrochen, die sich schneller bewegte, als sie es je in der Vergangenheit und ihren jungen Jahren getan hatte.

„Schalt’ den Fernseher an“, keuchte sie atemlos, als sie mitten im Raum zu Stehen kam und Mr. Hopps und Amanda, die ihr gefolgt waren, beinahe in sie hineinliefen. „Schalt’ den Fernseher an!“

„Was ist denn los?“, verlangte Dave zu wissen und schien damit auch Emmett die Worte aus dem Mund zu nehmen.

„Fernseher einschalten“, befahl Mrs. Broderick und tat es schließlich selbst, als sich der verwirrte Dave nicht rührte. Sie schnappte sich die Fernbedienung und zappte durch die Kanäle, bis sie den Nachrichtensender erreichte. Auf dem Bildschirm taten sich Bilder auf, die den Anwesenden den Atem nahmen und die Sprache verschlugen.

„Großer Gott“, brummte Art Hopps, während Mrs. Broderick die Hände über dem Kopf zusammenschlug und einen wimmernden Laut von sich gab. Johns Kollegen betraten nun ebenfalls den Raum und gesellten sich zu den anderen.

„Wir haben es gerade im Radio gehört“, hörte Dave Amanda erklären, doch er war nicht in der Lage seinen Blick vom dem Fernsehbildschirm zu lösen, auf dem gerade ein parkendes Auto von einer eisigen Windböe erfasst, in die Luft geschleudert wurde und auf dem Dach des benachbarten Wagens landete.

„… der plötzlich auftretende Sturm erreichte bereits in den ersten zehn Minuten Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 40 Meilen pro Stunde. Innerhalb einer kurzen Zeitspanne fielen in mehreren Landesteilen bis zu sechzig Zentimeter Neuschnee und unsere Meteorologen gehen davon aus, dass sich die Situation in den nächsten Stunden verschlimmern könnte“, lautete der Bericht der Moderatorin und die Kamera wurde auf eine mit Eis und Schnee ummantelte Straßenlaterne gerichtet.

„Du meine Güte“, entfuhr es Emmett.

„Wir raten Ihnen für die nächsten Stunden nicht das Haus zu verlassen“, fuhr die blonde Moderatorin fort, „Fenster und Türen geschlossen zu halten und einen möglichst sicheren Ort im Haus aufzusuchen, bis die Behörden Entwarnung geben.“

„Bis die Behörden Entwarnung geben?“, wiederholte Art Hopps. „Und wann soll das bitteschön sein?“

„Ssht“, zischte Mrs. Broderick, doch das schienen die einzigen Informationen zum plötzlich eingetretenen Schneesturm gewesen zu sein, denn das Programm hatte bereits zu den Sportmeldungen gewechselt und der Berichterstatter sinnierte mit seiner Co-Moderatorin über die Ergebnisse des letzten Footballspiels.

Schweigen legte sich über die kleine Gruppe, die sich vor dem Fernseher versammelt hatte. Es war schließlich Johns Kollege, den man ihnen als Carson Beckett vorgestellt hatte, der das Schweigen mit einem geseufzten ‚Aye’ brach.

„Das können Sie laut sagen“, stimmte Amanda ihm zu. „Es ist lange her, dass wir hier zum letzten Mal einen derartig schlimmen Blizzard verzeichnen konnten.“

„Mindestens fünfzehn Jahre nicht“, wusste Mr. Hopps kopfschüttelnd zu berichten, was der guten, alten Mrs. Broderick einen weinerlichen Laut entlockte.

„Mein Gott, wie schrecklich“, jammerte sie.

„He“, meinte auf einmal Carson Becketts Begleiter, ein großer Mann mit langen Dreadlocks und düsterer Miene, dessen Namen Dave schon wieder vergessen hatte. „Was ist mit Sheppard, Teyla und McKay? Die sind noch da draußen, oder?“

Erschrockene Stille folgte seiner scharfsinnigen Bemerkung.

„Aye“, wiederholte Carson Beckett .

„O mein Gott“, stöhnte Mrs. Broderick. „Aber… O mein Gott!“

Dave sank in seinem Sessel zusammen, als er zu realisieren und vor allem zu verstehen begann, was der Mann da gerade von sich gegeben hatte. Sein Blick glitt automatisch aus dem, teilweise von Eisblumen bedeckten Fenster. Dunkle Wolken taten sich am Horizont auf und die Äste der kahlen Eiche wippten im Wind auf und ab. So sehr Dave auch versuchte, sich einzureden, dass alles gut werden werde, war es nur eine Frage der Zeit, bis der Sturm das Haus erreichen würde.

„Vielleicht sind sie ja irgendwo drin, im Sicheren“, versuchte Carson Becketts Begleiter zu retten, was noch zu retten war, doch inzwischen hatten alle ihren Blick auf den dunklen Himmel und die wippenden Äste gerichtet und niemand hörte ihm mehr zu.

TBC
Eiskalte Ãœberraschung by Nyada
„…plötzlich…Sturm… 40 Meilen… Neuschnee … befürchten … Situation … schlimmer werden… und …“

Rodney McKay zuckte zusammen, als die Stimme des Radiomoderators einem penetranten, durchgängigen Rauschen wich, untermalt von anderen undefinierbaren Tonfolgen, Lauten und Störfrequenzen, die es dem Kanadier noch schwerer machten, sich auf die verschneite Straße vor ihm zu konzentrieren.

„… Behörden empfehlen… im Haus bleiben… verschlossen halten… bis Entwarnung… möglicherweise Stunden…“, war aus dem Radio des Wagens zu vernehmen.

Im Haus bleiben, wiederholte Rodney gedanklich und seine Augen schmälerten sich. Eine wirklich gute Idee war das, nur leider war er weit davon entfernt, Zuflucht in einem warmen Haus nehmen zu können, denn die Autos vor ihm krochen in Schrittgeschwindigkeit vor sich hin und Rodney rechnete nicht damit, innerhalb der nächsten halben Stunde ans Ziel zu kommen.

„Fahr nicht so dicht auf, McKay“, drang es da auf einmal vom Beifahrersitz, dann. „Pass auf!“ John Sheppard sog scharf die Luft ein, als die Karosserie des Wagens ins Rutschen kam.

„Ich pass schon auf, keine Sorge“, erwiderte Rodney zischelnd und warf seinem Beifahrer einen kurzen, eiskalten Blick zu. Als ob es so einfach war gegen den von der Seite kommenden Wind zu lenken und gleichzeitig den Verkehr im Auge zu behalten. Rodney war froh, dass er sich wenigstens an den Rücklichtern seines Vordermanns orientieren konnte, denn außer den ab und zu rot aufleuchtenden Lichtern konnte er nicht viel im dichten Schneetreiben erkennen. Hinzukommend war die Straße spiegelglatt und die Räder des Wagens waren in den letzten Minuten beim Gasgeben nicht nur einmal durchgedreht.

„Vielleicht wäre es besser, wenn wir rechts ranfahren und warten, bis sich die Sichtverhältnisse etwas bessern?“, war es in diesem Augenblick von der Rückbank des Wagens zu vernehmen. Teyla, die dort saß und beide Hände auf ihrem runden Bauch abgelegt hatte, blickte unsicher aus dem Fenster, auch wenn zu bezweifeln war, dass in dem Schneetreiben etwas erkennen war.

„Ich bin eher dafür, dass wir das jetzt hinter uns bringen und dass ich, wenn wir hoffentlich heute irgendwann zurückkommen, Carson dafür in den Arsch trete, dass er mich in diese Situation gebracht hat“, brummelte Rodney und trat auf die Bremse, als die Lichter vor ihm erneut aufleuchteten.

„Sachte, McKay, sachte“, sagte John, dessen Augen immer weiter wurden, je näher sie den Rücklichtern ihres Vordermanns kamen und der erst wieder ausatmete, als ihr Vordermann Gas gab. „Verdammt, fährst Du immer so?“

Rodney verdrehte die Augen, sagte jedoch nichts. Es war doch immer wieder dasselbe mit diesem Mann, der keinen Unterschied zwischen Auto und Puddle Jumper machte und Rodney für den miserabelsten Fahrer Schrägstrich Piloten zu halten schien. Dabei war Rodney durchaus zufrieden mit seinen Fahrkünsten und was seine Flugkünste betraf, konnte er sich auch nicht beschweren.

„Fährst Du oder ich?“, mahnte er John. „Also bitte, hör auf Dich zu beschweren. Und um Himmels Willen, würdest Du bitte die Finger von dem Radio lassen? Das ist ja nicht zum Aushalten!“

John, der seine Hand ausgestreckt hatte, um an dem Frequenzregler des Autoradios zu drehen, zog diese langsam zurück.

„Ist ja schon gut, McKay, ich wollte ja nur-“

„Jaja, ich weiß ganz genau, was Du wolltest, aber lass Dir gesagt sein, dass es nicht funktionieren wird“, unterbrach Rodney ihn. „Und außerdem nervt es mich zu Tode“, fügte er hinzu.

Johns Augenbrauen hoben sich und Rodney sah aus dem Augenwinkel genau, wie der Soldat seiner Frau durch den Rückspiegel einen amüsierten Blick zuwarf. Teyla lachte leise, auch wenn es nicht ganz so ausgelassen und entspannt klang, wie sonst. Erst in diesem Moment wurde Rodney klar, dass er sich, seit sie zu ihm ins Auto gestiegen waren, noch nicht nach dem Befinden der Athosianerin erkundigt hatte.

„Was… was hat eigentlich der Arzt gesagt?“, fragte er etwas unsicher. Vielleicht gelang es ihm, die angespannte Atmosphäre im Wagen dadurch etwas zu lockern, denn er wusste, wie euphorisch Teyla werden konnte, wenn jemand sie nach auf ihr Baby ansprach. Und auch dieses Mal behielt er recht; kaum dass er die Frage gestellt hatte, stahl sich ein Lächeln auf Teylas Lippen, das eigentlich für sich sprach.

„Es ist alles in Ordnung“, antwortete sie ihm. „Die Ärztin meint, dass es unserem Baby gut geht und wir uns keine Sorgen machen müssen. Alles läuft so, wie es laufen sollte.“ Ihr Blick traf den ihres Mannes im Spiegel. „Richtig, John?“

Der Soldat seufzte.

„Gut, ich gebe zu, dass ich vielleicht etwas übertrieben habe“, gestand er, „aber ich wollte nun mal auf Nummer sicher gehen, Teyla“, ergänzte er und wandte sich zu ihr um, schenkte ihr ein verliebtes Lächeln. „Ich würde es mir niemals verzeihen, wenn Dir oder dem Baby etwas zustößt.“

„O, ich bitte Dich“, mischte sich Rodney ein. „Das klingt ja selbst für Dich etwas sehr geschwollen, findest Du nicht auch?“

„Konzentrier’ Dich lieber auf die Straße“, entgegnete John ihm und begann, bevor Rodney etwas sagen konnte, wieder an dem Frequenzregler herumzudrehen- allerdings ohne Erfolg, so wie Rodney vorausgesagt hatte. Nachdenklich runzelte der Soldat daraufhin die Stirn und er beugte sich leicht vor, um durch die Frontscheibe hinauf in den Himmel blicken zu können.

„Das ist ein ziemlich schlimmer Sturm“, bemerkte Teyla und John nickte.

„Es ist lange her, dass wir hier zum letzten Mal einen Blizzard hatten“, berichtete er und fügte, als er den fragenden Blick seiner Frau bemerkte, erklärend hinzu: „Ein Blizzard ist eigentlich nur ein Ausdruck für einen starken Schneesturm, der hauptsächlich hier in Nordamerika auftritt.“

Teyla runzelte die Stirn. „Und diese… Blizzards“, wiederholte sie. „Sind die sehr gefährlich?“, wollte sie wissen.

„Kommt drauf an“, meinte John. „Meistens dauern sie nur wenige Stunden, aber wenn wir Pech haben, sind wir morgen früh eingeschneit. Als ich sieben war gab es schon einmal so einen schlimmen Sturm. Dave und ich konnten eine Woche lang nicht zur Schule gehen, weil es so lange gedauert hat, den Schnee auf den Straßen zu beseitigen.“

„Das muss so um 1977 gewesen sein, richtig?“, erinnerte sich Rodney, woraufhin John nickte.

„Der Schnee stand so hoch, dass, als wir die Tür aufmachten, gerade einmal ein klitzekleiner Spalt Luft nach oben war“, fuhr er fort zu berichten. „Für ein paar Stunden war’s ganz witzig, danach nur noch beängstigend.“

„Dann sollten wir vielleicht schnell zurückfahren, damit sich die anderen keine zu großen Sorgen machen“, überlegte Teyla laut und faltete die Hände auf ihrem Bauch.

Rodney wollte gerade den Mund auftun, um ihr etwas zu erwidern, als die Lichter des Wagens vor ihnen erneut aufleuchteten und so schnell näher kamen, dass Rodney stark auf die Bremse treten musste. Der Wagen geriet ins Rutschen, kam zur großen Erleichterung aller Insassen aber wenige Meter weiter schliddernd zum Stehen.

„Was ist den los?“, fragte Teyla.

John betrachtete die leuchtenden Rücklichter ihres Vordermanns. „Scheint so, als würde es nicht weitergehen“, meinte er. Dann: „Sieht so aus, als müssten wir umdrehen.“

„Na super, das hat uns gerade noch gefehlt“, seufzte Rodney, der den Officer, der sich ihrem Wagen näherte nun auch bemerkte. Erst als der Polizeibeamte gegen die Scheibe der Fahrerseite klopfte, ließ Rodney diese herunter. Eiskalter Wind schlug ihm entgegen und dicke Schneeflocken tänzelten durch den Spalt hinein.

„Ich muss Sie leider bitten, den Wagen zu wenden und in die Stadt zurückzufahren, Sir“, bedauerte der Polizeibeamte. „Die Straße ist für PKW nicht mehr befahrbar.“

„Kein Problem, Officer“, meinte John vom Beifahrersitz aus, „wir werden schon einen anderen Weg finden.“

„Sie wollen nach Downtown?“, erkundigte sich der Polizeibeamte und trotz seines vermummten Gesichts sah man, dass er die Stirn runzelte, als John nickte. „Ich befürchte, dass das heute nichts mehr wird, tut mir leid. Die Straße ist vollkommen zugeschneit. Nicht mal die Räumfahrzeuge kommen da durch.“ Sein Blick fiel auf die auf der Rückbank sitzende Teyla und die Falten auf seiner Stirn wurden noch tiefer.

„Es tut mir wirklich leid, aber Sie werden sich wohl für heute Nacht eine andere Unterkunft suchen müssen.“ Er seufzte. „Das ist wirklich 'ne Schande, dass das ausgerechnet an Weihnachten passieren muss.“

„Tja“, erwiderte John schulterzuckend, „man kann es sich ja nicht aussuchen, nicht wahr? Wir wünschen Ihnen noch einen schönen Tag.“

„Den wünsche ich Ihnen ebenfalls, Sir.“ Der Polizeibeamte tippte sich an die Mütze. „Und kommen Sie gut dahin, wo auch immer Sie jetzt hinfahren.“ Er verabschiedete sich höflich und machte sich dann auf, zum nächsten Wagen.

„Und was machen wir jetzt?“, wollte Rodney wissen, nachdem er das Fenster wieder hochgekurbelt hatte und beobachtete, wie sein Vordermann versuchte auf der spiegelglatten Straße zu wenden.

„Ich sag’ Dir, was wir jetzt machen.“ John blickte erneut aus dem Fenster und kniff die Augen zusammen, fast so, als versuchte er, die Umgebung zu analysieren und ihren Standort zu bestimmen. Dann deutete er mit dem Daumen über seine Schulter. „Erst einmal drehst Du und dann fährst Du so, wie ich sage.“

Rodney war schon drauf und dran den Rückwärtsgang einzulegen, als er innehielt und seinen Freund scharf ansah.

„Bitte sag jetzt nicht, dass Du eine Abkürzung kennst.“

„Und wenn dem so wäre?“, entgegnete John. Als er Rodneys skeptischen Blick bemerkte, hob er die Augenbrauen. „Was denn? Vertraust Du mir nicht? Nach allem, was wir durchgemacht haben, vertraust Du mir nicht?“

„Das ist es ja“, antwortete Rodney. „Das letzte Mal, als Du sagtest, Du würdest eine Abkürzung kennen, wurden wir von den Genii gefangen genommen, und das bringt mich zu dem Schluss, dass Deine Abkürzungen nicht immer die Besten sind.“

„Das war vor fast zehn Jahren, Rodney“, lachte John. „Aber bitte, wenn Du Weihnachten in irgendeinem überfüllten, schmuddeligen Motel verbringen willst- kein Problem. Fahr zurück.“

Seufzend und äußerst widerwillig legte Rodney den Rückwärtsgang des Wagens ein. „Weißt Du eigentlich, dass Du manchmal extrem nerven kannst?“, fragte er John.

„Halt die Klappe und fahr’, Meredith“, schalt der Soldat ihn schmunzelnd und ehe der Kanadier sich versah, hatte auch er ein breites Grinsen auf den Lippen. Zugeben, es war nicht das Weihnachten, welches er sich erträumt hatte, aber er hätte es wahrlich schlimmer treffen können, als das Fest mit seinen Freunden zu verbringen.
Lächelnd wendete Rodney den Wagen, was sich auf der spiegelglatten Straße als ziemlich umständlich erwies, aber schließlich fuhren sie zurück in Richtung Stadt. Rodney hoffte nur, dass John dieses Mal wusste, wie er ihn zu führen hatte. Wenigstens, so sagte der Wissenschaftler sich, liefen sie dieses Mal nicht Gefahr, gefangen genommen zu werden, und bei näherer Betrachtung glaubte er, dass sich der Himmel über ihnen auch schon wieder aufhellte.

Hätte Rodney zu diesem Zeitpunkt gewusst, was noch alles auf ihn zukommen würde, hätte er sich für diesen Gedanken wahrscheinlich selbst geohrfeigt. So, jedoch, ließ er sich von John Sheppard leiten, nicht ahnend, dass ihre Fahrt schon bald ihr jähes Ende finden würde.


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Patrick Sheppard war ein Mann, der hielt, was er versprach- zumindest meistens. Gut, er musste zugeben, dass er es hin und wieder nicht getan hatte und er war bei aller Liebe nicht stolz darauf. Dieses Mal, jedoch, wusste Patrick, dass es um weit mehr ging, als nur für ein paar Stunden auf seinen Enkelsohn aufzupassen, und so ging er daran, alles zu tun, um das Versprechen, welches er seinem Sohn gegeben hatte, zu halten. Überraschenderweise war es leichter, den kleinen T.J. zu beschäftigen, als Patrick es sich vorgestellt hatte, und er genoss die Gesellschaft des Jungen, der ihn so sehr an seinen eigenen Sohn in seinen jungen Jahren erinnerte.

Für einen kurzen Moment hielt Patrick in seiner Arbeit inne und blickte zu seinem Enkelsohn, nur um festzustellen, dass dieser auf der Couch eingeschlafen war. Ein herzerwärmendes Bild bot sich Patrick, auch wenn er es etwas bedauerte, den Jungen nun nicht mehr in Aktion beobachten zu können. Aber ihn so friedlich zu sehen, auf der Couch schlummernd, die dünnen Arme um eines der Kissen geschlungen, die Lippen leicht geöffnet, erwärmte das Herz des alten Mannes.
Vorsichtig, um keinen Lärm zu machen, schob Patrick seinen Stuhl zurück, erhob sich und schlich auf leisen Sohlen zu seinem Enkelsohn herüber. Die letzten zwei Stunden schienen ihn ermattet zu haben, denn er war glatt auf den Fotoalben, die Patrick ihm zum Anschauen gegeben hatte, eingeschlafen. Patrick bemerkte das erst jetzt und musste unwillkürlich bei dem Anblick schmunzeln.

Ach, Junge, dachte er, als er sich herunterbeugte und T.J’s Oberkörper leicht anhob, damit er das Fotoalbum darunter hervorziehen konnte, vorsichtig, damit er den Jungen bloß nicht weckte.
T.J. ließ sich wie erwartet jedoch nicht in seinem Schlaf stören. Wie sein Vater, schoss es Patrick daraufhin unwillkürlich durch den Kopf und er erinnerte sich daran, dass man damals Bomben neben Johns Bett hätte explodieren lassen können, ohne das der Junge aufgewacht wäre. Schon als Baby war er äußerst genügsam gewesen, ein Umstand, den Patrick und seine Frau Emmeline von ihrem Ältesten, Dave, nicht gewohnt gewesen waren. In seinen ersten drei Lebensjahren war John ein ruhiges Kind gewesen, hatte spät angefangen zu Sprechen und sich damit begnügt auf Dinge, die er haben wollte, zu deuten. Erst als er älter wurde, legte er dieses Verhalten ab und Patrick hatte damals nicht gewusst, ob er froh darüber sein sollte oder nicht.

Heute war er es, auch wenn sich sein Herz voll Wehmut zusammenzog, wenn er seinen Enkel betrachtete, der John so ähnlich war, dass Patrick glaubte, seinen Sohn in jungen Jahren vor sich zu haben. Erst bei genauerem Hinsehen konnte er Merkmale von T.J’s Mutter erkennen, aber wie man es auch drehte oder wendete: Der Junge war ein waschechter Sheppard.

Ein Schmunzeln zog sich über Patricks Lippen und er streckte die Hand aus, um über den dunklen Haarschopf seines Enkelsohnes zu streichen. Wieder reagierte T.J. nur kurz auf die Berührung, kräuselte die Lippen und murmelte ein paar unverständliche Worte im Schlaf, dann herrschte wieder Ruhe und Patrick beschloss, den kleinen Burschen schlafen zu lassen, damit er heute Abend, zur Bescherung, ausgeruht war. Er griff nach der baumwollenen Decke, die über die Rückenlehne der Couch ausgebreitet war, und legte sie über T.J’s zierlichen Körper, deckte ihn bis zum Kinn zu, beugte sich dann erneut vor und küsste das Kind auf die Stirn.

Das Fotoalbum noch immer in den Händen haltend, nahm Patrick wieder hinter seinem Schreibtisch Platz, hielt einen Moment inne, legte das ledereingebundene Buch dann vor sich hin und warf einen Blick hinein. Sein Atem stockte kurz, als ihm klar wurde, dass es sich bei dem Bild, welches T.J. vor dem Einschlafen betrachtet hatte, um das Letzte handelte, auf dem seine Frau zu sehen war. Es handelte sich um eine Familienaufnahme. 14. Juni 1978 war auf der Rückseite vermerkt. Patrick erinnerte sich genau an den Tag, an dem dieses Foto aufgenommen war. Es war Johns achter Geburtstag gewesen und sie waren alle zusammen in den Zoo gegangen, weil das Geburtstagskind sich es so gewünscht hatte.
Das Foto, das Patrick in den Händen hielt, war aber erst später am Tag entstanden und zeigte die Familie im Park. Ein jüngerer Patrick hatte einen Arm um die Taille seiner Frau geschlungen, während er mit anderem Dave umarmte. John war der Mittelpunkt des ganzen Bildes und grinste bis über beide Ohren. Auch in den Gesichtern der anderen Familienmitglieder zeichnete sich Freude ab. Es war das letzte Mal gewesen, dass sie etwas gemeinsam unternommen hatten.
Nur ein halbes Jahr später passierte der Unfall, der das Leben von Patrick und seinen beiden Söhnen für immer verändern sollte.

Rasch versuchte Patrick die Erinnerung an den Tod seiner geliebten Emmeline beiseite zu schieben, doch es gelang ihm nicht ganz. Er entsann sich an die traurigen Gesichter von John und Dave, als sich nach unzähligen Stunden des Wartens herausstellte, dass ihre Mutter es trotz der Bemühungen der Ärzte nicht geschafft hatte und ihren Verletzungen erlegen war. Dave hatte versucht, eine Stütze für seinen kleinen Bruder zu sein, doch schlussendlich stellte es sich heraus, dass John viel besser mit dem Verlust der Mutter umzugehen wusste, als sein älterer Bruder.
Was Patrick selbst betraf, so war er nicht stolz auf sein Verhalten nach Emmelines Tod. Er hatte getrauert, was ihm auch durchaus zugestanden hatte, doch er hatte allein getrauert, nicht mit seinen beiden kleinen Kindern. Nein, statt möglichst viel Zeit mit ihnen zu verbringen, gab er sie in die Obhut der Hausdame und sperrte sich in seinem Zimmer ein. Tage vergingen, ohne dass er ein Lebenszeichen nach draußen entsandte. Als er das Zimmer schließlich verließ, musste er feststellen, dass das Leben außerhalb der schützenden Zimmerwände bereits weiterging. Während er immer wieder in stille Melancholie verfiel und sich bemühte, dies seine Jungs nicht merken zu lassen, lebten John und Dave so weiter, wie sie es vor dem Tod der Mutter auch getan hatten.
Dass auch sie getrauert hatten und mit ihrer lockeren Art nur versuchten, den Schmerz über den Verlust zu übertünchen, sollte Patrick jedoch erst Jahre später erfahren.

Heute, dreißig Jahre später, schmerzte es noch immer, wenn er an seine Frau und an all das, was sie verpasst hatte, dachte. Die Hochzeiten ihrer Söhne hatten ohne sie stattgefunden und die Geburt ihrer Enkelkinder hatte sie nicht miterleben dürfen. Es gab so vieles, von dem sich Patrick wünschte, Emmeline wäre dabei gewesen, und er war sich sicher, dass einiges anders gelaufen wäre, hätte sie damals bei dem Unfall nicht ihr Leben lassen müssen.

Auf der Couch regte sich T.J. und holte den alten Hausherrn in die Realität zurück. Patrick seufzte und klappte das Fotoalbum zu. Wie oft hatte er durch die Seiten geblättert und sich beim Betrachten der Bilder gefragt, wie er es nur so weit hatte kommen lassen können, dass diese scheinbar so glückliche Familie- seine Familie- auseinander gerissen wurde. Er war sich sicher, dass es anders gelaufen wäre, hätte seine Frau noch gelebt. Wahrscheinlich hätte Emmeline in das ein oder andere Mal auf den Topf setzen müssen und er hätte sich ihr widerstandslos gefügt.
Patrick musste lächeln. Auch wenn es nach außen hin nicht so ausgesehen hatte, so war Emmeline Sheppard doch aus demselben Holz geschnitzt gewesen wie er und sie hatte sich von niemanden unterkriegen lassen. In diesem Punkt ähnelten ihre beiden Söhne ihr sehr, besonders John.

Patricks Blick fiel auf den Jungen seines jüngsten Sohnes. Auch in T.J. erkannte er seine verstorbene Frau wieder. Es war nicht schwer, Emmelines Präsenz in seinem Leben zu spüren. Sie schien ihm überall hin zu folgen, wie ein Schatten, und sie beschied darüber, wie er handeln sollte. Und im Moment sah er sie kopfschüttelnd vor sich, wie sie sich darüber aufregend, dass er es noch immer nicht geschafft hatte, Frieden mit seinem jüngsten Sohn zu schließen. Er wusste, dass das erbärmlich war, darauf brauchte ihn niemand aufmerksam zu machen, schon gar nicht seine verstorbene Frau. Die Tatsache, dass er mit John reden musste, sobald er zurückkehrte, schwebte wie ein Damoklesschwert über ihm.

Von außen schlugen die blattlosen Äste gegen die Fensterscheiben seines Büros und als Patrick den Kopf anhob und aus dem Fenster blickte, musste er feststellen, dass es draußen schon fast dunkel war; dabei war es noch nicht einmal vier Uhr. Er hörte den Wind pfeifen und als er sich etwas vorbeugte, sah er im Licht der Garagenlampe dicke Schneeflocken zu Boden fallen. Wann nur, hatte es wieder begonnen, zu schneien?

„Grandpa?“, hörte er plötzlich jemanden sagen und als er sich in seinem Stuhl umwandte, sah er wie T.J. sich aufrichtete und verschlafen seine kleine Augen rieb.

„Hey, Schlafmütze.“ Patrick erhob sich und schlenderte zu seinem Enkelsohn herüber. „Hast Du gut geschlafen?“

T.J. nickte.

„Sind Mommy und Daddy schon wieder da?“, fragte er schlaftrunken und gähnte dann herzhaft.

Patrick verneinte.

„Aber sie werden bestimmt bald kommen“, versicherte er T.J., der daraufhin die Arme um den Leib seines Großvaters schlang und sich an ihn kuschelte. Patrick wurde warm ums Herz und er drückte seinen Enkel fest an sich.

„Sag mal“, meinte er leise, „wie würdest Du es finden, wenn wir zwei jetzt einen heißen Kakao trinken gehen, während wir auf Deine Eltern warten?“

T.J. schien mit einem Mal hellwach zu sein.

„Mit Marshmallows?“, fragte er und Patrick nickte.

„Selbstverständlich mit Marshmallows“, antwortete er. „Ein Kakao ohne Marshmallows ist doch kein richtiger Kakao.“

„Mommy will nicht, dass ich Marshmallows in meinen Kakao tue“, erklärte T.J., fast schon etwas bedauernd. Dann fügte er aber grinsend hinzu: „Aber Daddy tut mir immer Marshmallows rein, wenn Mommy nicht da ist. Aber, psst.“ Er hielt seinen kleinen Finger an seine Lippen. „Das darfst Du ihr nicht verraten, Grandpa.“

„Ich werde mich hüten“, versprach Patrick. „Und?“ Fragend sah er seinen Enkel an. „Bist Du bereit?“ Er reichte ihm seine Hand und T.J. ergriff sie mit strahlenden, braunen Augen.

„Ja“, erwiderte der Fünfjährige, „bin bereit, Sir“, kicherte er und deutete einen saloppen Salut an. Patrick wunderte sich, ob er sich diese Geste von seinem Vater abgeschaut hatte, aber im Grunde war das ja jetzt auch egal. Heißen Kakao mit Marshmallows bekam man schließlich nicht alle Tage!


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Rodney McKay verschränkte die Arme vor dem Brustkorb und bemühte sich, ruhig zu bleiben, aber einen bissigen Kommentar konnte er sich dennoch nicht verkneifen.

„Wieso wundert es mich jetzt nicht, dass das passiert?“ Es war mehr eine laute Überlegung als eine Frage, weswegen er auch nicht erwartete, dass man ihm antwortete. Er rollte kurz mit den Augen, ehe er John einen Blick ganz nach dem Motto 'Ich wusste, dass das keine gute Idee war zuwarf'.

John, der nun ebenfalls ausgestiegen war und um den Wagen herumkam, presste die Lippen aufeinander, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass auch er sich die ganze Sache anders vorgestellt hatte.

„Nun ja“, begann er und legte den Kopf schief. „Vielleicht wenn wir…“ Er brach ab, als er Rodneys entgeisterten Blick bemerkte. „Was denn? Was ist?“

Was ist?“, echote der Kanadier. „Hhm, lass mich überlegen. Ich frage mich nur, warum ich nur so naiv war zu glauben, dass das hier gut geht.“

„Hey“, brüskierte sich John, „geb’ ja nicht mir die Schuld.“ Er hob beschwichtigend die Hände.

Rodney hob die Augenbrauen.

„Wessen Schuld ist es dann?“, verlangte er zu wissen. „Wer hat denn die Abkürzung vorgeschlagen? Du oder ich?“

„Rodney…“

„Ich vergaß, dass John Sheppards Leben nur aus Abkürzungen besteht“, höhnte der Wissenschaftler und stapfte wütend einige Schritte die Straße entlang, ehe er sich wieder zu seinem Freund, der im Lichtkegel der Autoscheinwerfer stand, umdrehte. „Ich wusste gleich, dass das eine schlechte Idee war.“

„Rodney…“

„Nichts, ‚Rodney’.“ Der Kanadier erhob den Finger gegen den Soldaten. „Weißt Du“, begann er, „ich habe mir dieses Weihnachten irgendwie anders vorgestellt.“

„Nicht nur Du, Rodney“, bemerkte John, verstummte jedoch sofort wieder, als Rodney ihm einen eiskalten Blick zuwarf.

„Statt Weihnachten mit meiner Frau und meiner Tochter zu verbringen, musste ich drei lange Stunden mit einem völlig unfähigen Mann in einem Auto verbringen. Dann musste ich mich mit der wohl schlechtesten Internetverbindung des ganzen Planeten auseinandersetzen; selbst in der russischen Eiswüste würde ich schneller eine Mail versenden können.“ Rodney begann nun mit dem erhobenen Zeigefinger zu wedeln. „Und wo wir gerade bei dem Thema ‚Eis’ sind… Mir ist furchtbar kalt und wir wissen noch immer nicht, was wir damit machen sollen.“ Schwungvoll drehte er sich um und fasste den Grund für ihren Fahrtstop ins Auge, einen Baum, der unter der Schneelast zusammengebrochen und auf die Straße gestürzt war und diese nun versperrte.

„Wenn ich’s wüsste, hätte ich es Dir schön längst gesagt, glaub mir“, verteidigte sich John und schlug erregt die Augen nieder, in deren Wimperkränzen sich immer mehr Schneeflocken verfingen.

„Du und Deine Abkürzungen“, schimpfte Rodney. „Ich hätt’s wissen sollen. Das war echt eine blöde Idee.“

John presste die Lippen aufeinander.

„Es tut mir leid, Rodney, aber ich konnte ja auch nicht wissen, dass so etwas passiert“, sagte er.

„Du hättest es Dir aber denken können“, schnarrte der Kanadier und verschränkte wieder die Arme vor der Brust. „Und“, sagte er mit Blick auf den umgestürzten Baum, „was machen wir jetzt?“

John fasste das Hindernis nun ebenfalls ins Visier, hob dann seinen Kopf gen Himmel. Es schneite noch immer und es war bis jetzt kein Ende in Sicht.

„Wir könnten warten, bis es aufhört zu schneien und dann zurück in die Stadt fahren“, schlug er vor. „Wie viel Benzin haben wir eigentlich noch?“

„Keine Ahnung“, erwiderte Rodney schulterzuckend. „Carson meinte, er hätte den Wagen voll getankt, aber das war, bevor wir losfuhren. Wenn wir den Motor und die Heizung laufen lassen, müsste es eigentlich noch für zwei, drei Stunden reichen.“

„Ich hoffe, dass wir nicht so lange warten müssen“, meinte John mit einem allerletzten Blick in den Himmel hinauf.

Rodney seufzte und atmete tief ein und wieder aus.

„Schlimmer kann’s jetzt echt nicht mehr kommen“, jammerte er, als er mit John zurück zum Wagen stapfte, über den sich in den fünf Minuten, die sie nun standen, eine dünne Schneedecke gelegt hatte. Gerade, als sie ihn erreichten, öffnete sich die hintere Tür auf der Beifahrerseite und Teylas wohlbekannte Stimme erklang.

„John?“

„Es ist alles in Ordnung, Tey“, entgegnete er. „Wir werden nur ein bisschen hier warten müssen. Komm, steig wieder ein. Hier draußen ist es zu kalt.“

Die Athosianerin erschien hinter der Autotür. Ihr Gesicht war aschfahl und als sie ihre Stimme erneut erhob, zitterte diese.

„John…“

„Ich hab gesagt, Du sollst wieder einsteigen“, seufzte der Soldat. „Es ist zu-“ Er brach abrupt ab, als er ihre Hand bemerkte, mit der sie sich an den Bauch fasste. „Hey, alles in Ordnung?“, fragte er und humpelte auf sie zu. „Fühlst Du Dich nicht gut?“

Teyla lächelte schwach.

„Ich befürchte, dass wir ein kleines Problem haben“, antwortete sie ihm, leicht außer Atem, und griff nach seiner Hand, sowie er sie endlich erreichte. Sie sah zu ihm auf und klang geradezu verlegen, als sie mit leiser Stimme offenbarte: „Meine Fruchtblase ist gerade geplatzt. Das… das Baby kommt, John.“

TBC
Bescherung mit Hindernissen by Nyada
Es brauchte nicht viel, um Teyla Emmagan in der Annahme, dass etwas nicht stimmte, zu bestätigen. Im Laufe der Jahre hatte sie ein Gespür dafür entwickelt, wenn etwas nicht wie geplant vonstatten lief. Ihre Erfahrung hatte sie gelehrt, Zeichen zu deuten noch ehe sie offensichtlich wurden, und sie hatte es sich zu Eigen gemacht, auf ihre geschulten Sinne zu und ebendiese jahrelange Erfahrung zu vertrauten.
So auch jetzt.

Teyla wusste, dass etwas nicht stimmte, als sie zum wiederholten Male innerhalb weniger Minuten ein kurzes, aber schmerzvolles Ziehen in der Kreuzgegend verspürte. Seufzend rutschte sie auf die Kante der Rückbank vor und stemmte sich die Hand in den Rücken, rieb die schmerzende Stelle und atmete gleichmäßig ein und aus. Das Ziehen, das sich soeben nur auf ihr Kreuzbein konzentriert hatte, strahlte nunmehr weitläufiger und zog sich schließlich bis zur Mitte ihres Rückens hoch. Teyla entkam ein leises Stöhnen, als sich das Ziehen in einen dumpf pochenden Schmerz verwandelte und weiter ausbreitete.
Dies konnte nur eines bedeuten und Teyla schloss mit einem schweren Seufzen die Augen.

„Nicht jetzt“, flüsterte sie. Bitte, nicht jetzt, flehte sie in Gedanken und legte eine Hand an ihren Bauch, der sich, jedoch, genau in diesem Moment verheißungsvoll verkrampfte und die Athosianerin kurz aufkeuchen ließ.

„Bitte“, wiederholte sie und rieb sich über ihren harten Bauch, „nicht jetzt.“ Einen schlechteren Zeitpunkt hätte sie sich wohl kaum aussuchen können. „Nicht jetzt, Kleines, bitte“, flehte sie ihr Ungeborenes an, das in ihr tobte, und Teyla spürte, wie sich das Gewicht des Babys verlagerte und gegen ihr Becken drückte.

„Nicht jetzt“, keuchte sie, als der Schmerz zurückkehrte und jegliche Hoffnung, die sie noch in sich gehabt und an die sie sich geklammert hatte, verschwand. Nicht jetzt. Immer und immer wieder wiederholte sie die Worte, wie ein Gebet, wieder und wieder. Nicht jetzt, bitte, nicht jetzt.

Die Vorfahren schienen ihr an diesem Tag, an dem sowieso irgendwie alles schief zu laufen schien, jedoch nicht wohlgesonnen zu sein, denn ehe Teyla wusste wie ihr geschah, durchfuhr sie ein Schmerz, dessen Intensität sie so sehr überraschte, dass sie laut aufstöhnte. Wie ein Spaten bohrte sich der Schmerz von hinten in ihr Rückrad herein, wanderte dann nach vorne und schon im nächsten Moment überkam Teyla das Gefühl, dass in ihrem Inneren etwas riss. Tränen schossen ihr in die Augen. Keuchend klammerte sie sich an die Lehne des Beifahrersitzes und krümmte sich nach vorne, nur um zu sehen, wie sich ein Schwall Flüssigkeit zwischen ihren Beinen auf den Boden des Autos ergoss.

Einen Moment lang saß die Athosianerin wie vom Donner gerührt da. Außerhalb des Wagens hörte sie John und Rodney miteinander diskutieren, doch sie verstand nicht worüber die beiden Männer sich dermaßen aufregten, dass sie einander ankeiften wie ein altes Ehepaar. Stattdessen starrte sie geradezu fassungslos auf die immer größer werdende Pfütze zu ihren Füßen und versuchte zu begreifen, was da gerade passiert war. Tief in ihrem Inneren wusste sie natürlich sehrwohl, was passiert war, wahrhaben konnte sie es jedoch nicht. Nein, sagte sie sich und schüttelte mit dem Kopf, das darf nicht wahr sein. Nicht jetzt, nicht hier. Es ist zu früh. Nein!

Die Stimmen von John und Rodney wurden lauter und rissen Teyla aus ihrer Starre. Sie blinzelte verwirrt, dann wurden ihre Augen weit, als sie begriff. Es traf sie eiskalt und sie erschauderte kurz, nur um sich im nächsten Moment wieder zur Raison zu rufen und sich aufrecht hinzusetzen. Dies war Grund zur Panik, sagte sie sich, auch wenn genaugenommen das Gegenteil der Fall war, aber Teyla erlaubte es sich nicht, negativ zu denken. Sie schloss kurz die Augen, atmete tief durch und besann sich… und plötzlich musste sie lächeln. Ihre Mundwinkel zogen sich nach oben und ihr Herz begann zu flattern. Freudige Erwartung erfüllte sie und scheuchte die stille Panik, der sie bis eben zu verfallen drohte, fort. Es ist soweit, rief sie sich in den Sinn und entgegen aller Ängste, die sie besonders in den letzten Wochen durchgestanden hatte, fühlte sie sich entspannt. Es gab nichts, wovor sie sich fürchten musste, schließlich hatte sie der Geburt ihres Kindes, die ihr nun bevorstand, entgegengefiebert, auch wenn sie es sich, zugegeben, etwas anders vorgestellt hatte.

Teyla seufzte. Als sie Johns Silhouette durch die Frontscheibe des Wagens ausmachte, glaubte sie plötzlich, es in der Enge des Wagens nicht mehr auszuhalten und sie begann auf der Rückbank hin- und herzurutschen, ehe sie sich schließlich entschied, auszusteigen. Obwohl es bitterkalt war, sie bis eben noch gefroren hatte und es allein schon wegen der Tatsache, dass soeben ihre Fruchtblase geplatzt war, angemessener gewesen wäre, im Wagen sitzenzubleiben, öffnete die Athosianerin die Autotür. Vorsichtig schob sie ihre Beine, die sich auf einmal tonnenschwer anfühlten und an denen noch immer warme Flüssigkeit herablief, über die Kante des Wagens hinweg. Was folgte, war eine akrobatische Meisterleistung, aber irgendwie schaffte es Teyla schließlich doch sich trotz ihres Leibesumfangs allein aus dem Sitz zu hieven und trotz ihrer sich sehr schwach anfühlenden Beine und zitternden Knie stehenzubleiben.

„Schlimmer kann’s jetzt echt nicht mehr kommen“, hörte sie in diesem Moment Rodney jammern. Schritte näherten sich dem, mitten auf der schmalen Landstraße parkenden Wagen. Der frischgefallene Schnee knirschte unter den Schuhsohlen der beiden Männer, die zum Auto zurückkehrten.

Teyla klammerte sich an die Wagentüre, als sie erneut eine Kontraktion heranrollen spürte. Es war ein ziehender Schmerz, intensiver als der vorherige, und Teyla schnappte nach Luft und fasste sich an den Bauch, der sich unter den krampfartigen Schmerzen zusammenzog. Mühevoll verkniff sie sich ein Stöhnen.

„John?“, rief sie ihren Mann.

„Es ist alles in Ordnung, Tey“, entgegnete er ihr, seine Stimme näherte sich. Wenn du wüsstest, dachte sie sich und entließ nun doch ein leises Stöhnen. „Wir werden nur ein bisschen hier warten müssen. Komm, steig wieder ein. Hier draußen ist es zu kalt.“

„John…“ Der Rest ging in einem Keuchen unter und Teylas Augen weiteten sich, als sie plötzlich eine weitere Wehe heimsuchte. Die Schmerzen, die mit der letzten Kontraktion einhergegangen waren, waren gerade erst verebbt, als die Athosianerin spürte, wie sich alles in ihr aufs Neue zusammenkrampfte. Sie warf einen raschen Blick in das verspiegelte Fenster des Wagens und erschrak. Aschfahl war sie geworden und Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. Das kann nicht richtig sein, tönte es in ihr. Nein, da stimmt etwas nicht.

Teyla biss sich auf die Lippen und versuchte sich darauf zu konzentrieren, denn Schmerz wegzuatmen. Sie erinnerte sich, dass es ihr damals, als sie mit Torren in den Wehen gelegen hatte, auch geholfen hatte, zumindest vorübergehend. Carson Beckett hatte es Lamaze genannt, eine Atemtechnik, die auf der Erde wohl sehr populär sein musste, da selbst John etwas damit anzufangen gewusst hatte und ihr widererwarten eine große Hilfe während dieser Stunden gewesen war.

Apropos John… Der Soldat kam genau in diesem Moment in Sichtweite und er runzelte die Stirn, als er sah, dass sie nicht auf ihn gehört hatte und in den Wagen eingestiegen war, so wie er es ihr gesagt hatte.

„Ich hab gesagt, Du sollst wieder einsteigen“, wiederholte er seufzend. „Es ist zu-“ Abrupt brach er ab, als er ihre Hand bemerkte, mit der sie sich an den Bauch fasste. „Hey, alles in Ordnung?“, fragte er. „Fühlst Du Dich nicht gut?“

Teyla lächelte schwach, als er mit seinem Gipsbein und Krücken auf sie zugehumpelt kam. Was sollte sie bloß darauf antworten? Manchmal wunderte sie sich über die Eigenart ihres Mannes, das Offensichtliche nicht zu erkennen, selbst wenn man es ihm, so wie sie, direkt vor die Nase hielt.

„Ich befürchte, dass wir ein kleines Problem haben“, entgegnete sie ihm, etwas außer Atem, wie sie feststellen musste. Ihre Knie drohten unter ihr nachzugeben und sie war froh, als John in greifbare Nähe kam und sie sich an seiner Hand, die er ihr entgegenstreckte, festhalten konnte. Sorge stand ihm ins Gesicht geschrieben und er drückte ihre Hand. Was ist los, schienen seine grünen Augen sie fragen zu wollen und Teyla antwortete ihnen mit leiser, verlegener Stimme: „Meine Fruchtblase ist gerade geplatzt. Das… Baby kommt, John.“

Was folgte, war das Paradebeispiel für John Sheppards recht eigenwillige Art, mit überraschenden Neuigkeiten umzugehen. Zuerst war keinerlei Regung in seinem Gesicht zu erkennen, seine Miene blieb ausdruckslos und er starrte sie an, während ihre Worte langsam zu ihm durchdrangen. Dann, wenige Sekunden später und ganz langsam, hob sich erst die rechte Augenbraue, die linke gesellte sich kurz darauf hinzu und zusammen entschwanden sie in ungeahnte Höhen. Als nächstes begann sein rechter Mundwinkel zu zucken, dann, synchron dazu, sein rechtes Augenlid. Das Aufreißen seiner wunderschönen grünen Augen, in denen sich Teyla jedes Mal verlor, wenn sie ihn ansah, und das Herunterklappen der Kinnlade bildeten den Abschluss seiner kleinen Vorführung.

„Das… Baby… kommt“, wiederholte John, während er sie weiter vollkommen perplex anstarrte. Teyla nickte.

„Das… Was?!“, war es nun von Rodney zu vernehmen, dem es im Gegensatz zu John anscheinend nicht die Sprache verschlagen hatte. „O mein Gott! Das Baby… Aber… Jetzt?!“

Teyla war daran, ihm etwas zu erwidern, als eine Wehe sie aus heiterem Himmel und völlig unerwartet traf. Sie stieß einen überraschten Laut aus, der die beiden, sie begleitenden Männer aus ihrer Starre riss. Ein Schrei, so klar und markerschütternd, dass die Athosianerin selbst erschrak, gefolgt von einem gepeinigten Stöhnen, welches sie ausstieß, als der Schmerz sie in die Knie zwang.

„Teyla!“, hörte sie John rufen, der, nun um einiges aktiver als noch vor fünf Sekunden, seinen Gips und die Krücken ignorierend, einen Satz auf sie zu machte und seine kräftigen Arme um sie schlang und auffing, bevor es ihr vollends den Boden unter den Füßen wegriss.

„Um Himmels Willen“, drang Rodney schrille Stimme von der Seite durch Teylas wattigen Verstand, der sich unter dem Schmerzensansturm zu verabschieden drohte und sich in die dunkelste Ecke ihrerselbst zu verkriechen schien. Teyla selbst nahm die Reaktionen der beiden Männer nicht mehr war, viel zu sehr war sie damit beschäftigt sich auf das Ein- und Ausatmen und nicht auf den glühenden Schmerz in ihrem Unterleib zu konzentrieren, der ihr den Schweiß auf die Stirn und Tränen in die Augen trieb. Die Wehe ließ ihren Körper erzittern und sie war froh, dass Johns starke Arme sie umfingen und festhielten.

„Einfach atmen, Babe“, sagte der Soldat. „Ein- und ausatmen, ein und aus.“ Die Athosianerin brachte ein knappes Nicken zustande und biss während der letzten Momente der Wehe die Zähne zusammen.

„Es… es ist zu früh“, keuchte sie schließlich, als der Schmerz abklang, und sank mit einem Stöhnen gegen das Auto. „Irgendwas… stimmt nicht, John. Es geht zu schnell.“

„Es wird alles gut werden“, versuchte John sie zu beruhigen, seinem Blick konnte sie jedoch entnehmen, dass auch ihm klar war, dass hier etwas nicht stimmen konnte. Es war zu früh und ging zu schnell, viel zu schnell.
Teylas Sinne schlugen Alarm, als sich, kaum dass John ihr geholfen hatte, auf die Rückbank des Wagens zu rutschen, und sie sich von den Schmerzen erholt hatte, die nächste Wehe ankündigte und wenige Sekunden mit solcher Gewalt über sie hereinbrach, dass es sie buchstäblich nach hinten wegriss. Teylas Lippen stoben auseinander und sie schrie laut und lange, warf den Kopf in den Nacken, während ihr Körper sich aufbäumte. Irgendetwas stimmt nicht, wiederholte sie immer und immer wieder in Gedanken. Das ist nicht richtig! Nein, irgendetwas stimmt nicht!

John, der in der geöffneten Wagentüre stehengeblieben war, weil die Rückbank nun, da sie sie der Länge nach für sich beanspruchte, keinen Platz mehr für ihn bot, blickte auf sie herab. Panik ließ seine grünen Augen alarmiert aufblitzen, blanke Panik, und er schien wieder in eine Art Schockstarre zu verfallen, ebenso wie Rodney, der ihm in diesem Augenblick über die Schultern schaute.

Sich durch die letzten Momente der Wehe quälend und die Beine anwinkelnd, schloss Teyla die Augen. Nichts, so wurde ihr bewusst, würde so ablaufen, wie sie es sich vorgestellt hatte oder wie sie und John es geplant hatten. Tränen schossen der Athosianerin in die Augen und ihre freudige Erwartung verpuffte und wich derselben Panik, die in Johns Augen zu erkennen war.
Mühsam rappelte sie sich auf, lehnte sich zurück und rutschte an der geschlossenen Autotür, die hinter ihr lag, hinauf. Die Schmerzen waren noch nicht richtig verklungen, als ihr Körper erneut zu zittern und zu beben begann. Teyla biss die Zähne fest aufeinander, presste ihren Rücken gegen die Kunststoffverkleidung der Wagentür und verkrallte ihre Finger in den Bezug des Rücksitzes.

Ihr Blick traf den ihres Mannes.

„Gut, gut… jaja, wir…“, stammelte John, „…wir fahren Dich ins Krankenhaus.“

Teyla schüttelte mit dem Kopf.

„Das… Baby kommt...jetzt, John“, japste sie, ehe sie erneut aufschrie, vor Schmerz und aus Angst, und ihr Körper sich aufbäumte, als die Schmerzen sie hinterrücks überfielen und sie durchflossen wie ein heißer Strom. Aus ihrem tiefsten Inneren heraus, begann sie auf einmal den Drang, zu pressen, zu verspüren.

Der Soldat erstarrte, als ihr Kopf auf ihre Brust fiel und ein Beben durch ihren schweißbedeckten Körper jagte. Mit weit aufgerissenen Augen blickte er auf sie herab, dann, ein paar Sekunden später, drückte er Rodney, der noch immer hinter ihm stand und sich scheinbar noch immer nicht vom Fleck bewegen konnte, seine Krücken in die Hand und wies ihn an, im Kofferraum nach brauchbaren Gegenständen zu suchen.

Die blauen Augen des Kanadiers weiteten sich.

„Was… was hast Du denn vor?“

John, der gleichzeitig versuchte sich und sein Gipsbein in eine einigermaßen bequeme Position zu manövrieren und einhändig seinen Mantel auszuziehen, antwortete ihm über die Schulter hinweg: „Wonach sieht es denn aus? Ich hole jetzt dieses Baby!“

„Was!? Aber… aber, das… das ist doch Wahnsinn“, begehrte Rodney auf. „Das… Wir können doch nicht… Sie muss ins Krankenhaus, John!“

„Die Zeit haben wir nicht“, entgegnete der Soldat knapp und fand vor den angewinkelten Beinen seiner Frau Platz. „Tey, hör mir zu“, begann er, griff nach ihrer Hand, drückte sie und wartete, bis die Athosianerin ihn ansah. „Wir kriegen das hin. Wir schaffen das, okay?“

„E…es geht zu…schnell“, keuchte Teyla, die die Tränen nun nicht mehr länger zurückhalten konnte. Mit furchterfüllten Augen sah sie ihren Mann an.

„Wir kriegen das hin, Teyla“, wiederholte John mit fester Stimme.

„Aber e…es geht alles zu schnell“, erwiderte sie ihm, schluchzte laut und begann hysterisch nach Luft zu schnappen. „John, ich… ich kann das nicht, nein… nein, ich…“

„Ssht.“ John beugte sich vor und legte ihr einen Finger über die zitternden Lippen und Teyla konnte sehen, dass in diesem Moment eine innere Ruhe in ihrem Mann zu überkommen schien, die auch auf sie übergriff.

„Wir schaffen das“, beruhigte John sie. Er betonte jedes einzelne Wort und fesselte sie mit seinem Blick. Seine grünen Augen zogen sie in ihren Bann und Teyla merkte fast augenblicklich, wie sie sich entspannte.

„Rodney“, wandte sich John an seinen Freund, der noch immer mit dem Boden verwachsen zu sein schein, „wir werden gleich Deine Hilfe gebrauchen können.“

„Ähem… ja…ja, okay“, stammelte der Wissenschaftler. Etwas hilflos und mit der Situation scheinbar überfordert, nickte er, Johns Krücken noch immer in den Händen haltend. „Was… was soll ich tun?“

John warf einen kurzen Blick über seine Schulter und musterte seinen Freund von oben bis unten. Nach kurzer Überlegung verlangte er: „Gib mir Deine Jacke.“

„Ich… ja, gut…“ Rodney tat wie ihm geheißen, entledigte sich hastig seiner Jacke und reichte sie John. „Vielleicht sollte ich erwähnen, dass ich diese Jacke von Jennifer letztes Jahr zu Weihnachten bekommen habe?“, gab er zu Bedenken, als er sah, wie John das Kleidungsstück zwischen Teylas gespreizten Beinen ausbreitete, nachdem er ihr die Hose von ebendiesen gestreift und sie mit seinem Mantel bedeckt hatte. „Es wäre doch wirklich schade, wenn-“

„Deine Jacke ist jetzt gerade doch wohl das geringste Problem, das wir haben“, zischte John ihn an, seine Aufmerksamkeit dann wieder seiner Frau zuwerfend, die genau in diesem Moment den Kopf zurückwarf und ein lautes Jammern ausstieß und die Hände in die Sitzfläche der Rückbank stemmte, um den Halt zu bekommen, den ihr ihre zitternden Beine nicht mehr gaben.

„Du machst das super, Tey“, lobte John seine Frau überschwänglich. „Du musst atmen, hörst Du? So, wie wir das geübt haben, ja? Erinnerst Du Dich?“ Als Teyla nickte und zu hecheln begann, lächelte er. „Sehr gut“, rief er und tat es ihr gleich, hechelte ein paar Sekunden mit ihr zusammen weiter, ehe er den Mantel, der ihre Beine bedeckte, anhob.

„O mein Gott“, platzte es hinter ihm aus Rodney heraus, der genau in dem Moment einen Blick über die Schultern seines Freundes riskierte, als ein Stück vom Kopf des Babys erschien.

„W…was… ist?“ Rodneys aschfahles Gesicht und sein entsetzter Blick versetzten Teyla in Panik. Ächzend richtete sie sich auf, fiel jedoch keine zwei Sekunden später mit einem Stöhnen zurück, als sich die nächste Wehe mit einem stechenden Schmerz ankündigte. Sie verzog das Gesicht zu einer schmerzverzerrten Miene.

„Du machst das super.“ Johns Blick war zwischen ihre Beine gerichtet und er hatte ein breites Grinsen auf den Lippen. „Ich kann den Kopf schon sehen“, informierte er sie lächelnd und bettete die Decke, die Rodney im Kofferraum gefunden hatte, auf seine Arme, um das Baby auffangen zu können.

„Nicht nur Du“, mischte sich Rodney von hinten ein und kniff angewidert die Augen zusammen. „O Gott, das ist ja…Ich…ich sollte das echt nicht sehen.“

John ignorierte ihn und bannte stattdessen den Blick seiner schwer atmenden Frau. „Hey, bist Du bereit eine Mommy zu werden?“, fragte er sie lächelnd.

Teyla erwiderte das Lächeln schwach. „I…ich denke schon“, sagte sie.

„Na schön.“ John wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß weg, der ihm trotz der eisigen Temperaturen, die außerhalb des Wagens herrschten, auf der Stirn stand, und meinte dann zu ihr: „Wenn die nächste Wehe kommt, möchte ich, dass Du dem Baby hilfst. Du darfst so stark pressen wie Du willst, danach hast Du Pause, hast Du mich verstanden, Teyla?“ Als sie nickte, streckte er die Hand aus und streichelte über ihre schweißnasse Wange. „Komm, schau mich an. Wir bekommen jetzt gleich ein Baby und ich will, dass Du weißt, dass ich hier sein werde. Wenn Du mich beschimpfen willst, dann tu’s. Wenn Du mich schlagen oder treten willst, dann tu’s.“

Teyla nickte und verdrehte dann ihre Augen, als der Schmerz mit einer Heftigkeit zurückkehrte, die ihr die Luft abschnürte. Nach Halt suchend, klammerte sie sich mit der rechten Hand an die Rückenlehne der Sitzbank, während sie mit der anderen Hand John am Kragen packte und ihn zu sich riss.

„Sehr gut“, feuerte er sie an, ohne dabei den Blick anzuheben. „ Komm schon, Tey. Pressen!“ Mit all seiner Kraft lehnte er sich gegen ihren Fuß, den sie gegen seine Schulter stemmte, und blickte kurz zwischen ihren Beinen hervor. „Ein letztes Mal noch, Teyla! Pressen, Honey“, drängte sie sie.

Teyla ächzte laut und ihr Körper fiel in sich zusammen, als die Wehen kurz pausierten. „I…ich kann n…nicht, John“, keuchte sie. „Ich kann nicht mehr.“

„Doch, Du kannst“, sagte er. „Hey, sieh mich an. Sieh mich an, Teyla!“ Er wartete, bis sie ihren Kopf hob und ihn ansah, streckte die Hand aus und strich ihr die Haare aus den Augen, lächelte und flüsterte dann: „Nur noch einmal, Babe.“

Teyla, die bereits die Vorboten der nächsten Kontraktion herannahen spürte, schüttelte mit dem Kopf. „N…nein.“ So sicher, wie in diesem Moment, war sie sich in ihrem ganzen Leben noch nie gewesen. Sie hatte keine Kraft mehr.

John ließ nicht locker. „Du schaffst es“, widersprach er ihr. „Wir können jetzt nicht einfach aufhören. Das geht nicht. Nicht jetzt, wo wir soweit gekommen sind.“ Dann wieder: „Du schaffst das. Du schaffst einfach alles. Nur noch einmal, Teyla, dann haben wir unser Baby. Einmal noch, tu’s für mich, bitte.“

Seinem Dackelblick hatte sie noch nie widerstehen können und seine Worte schienen in ihr eine Schublade mit Reserveenergie für Notfälle geöffnet zu haben, denn im nächsten Moment gelang es Teyla, sich in eine sitzende Position zu hieven. Sie stemmte die Handflächen gegen die Sitzfläche der Rückbank, holte einmal tief Luft, ließ den Kopf nach vorne auf die Brust fallen, biss die Zähne zusammen und begann zu pressen.

„Ja, sehr gut“, hörte sie John rufen. „Pressen!“, befahl er ihr und sie tat wie ihr geheißen, presste ein allerletztes Mal mit all ihrer Kraft. Ein lauter, animalischer Laut verließ ihren Mund, als sie spürte, wie das Kind sich durch sie hindurch bewegte und schließlich aus ihr heraus.
Die Schmerzen endeten abrupt und als sie nach all dieser Zeit das erste Mal diese Leere in ihrem Körper spürte, sank sie haltlos und mit einem lauten Ächzen zurück. Ein Moment der absoluten Stille folgte, nur ihr letztes Stöhnen hing in der angespannten Luft. Die Zeit im Wagen schien stehenzubleiben und Teyla wusste nicht, wie lange sie heftig nach Atem ringend dalag, ehe ein lauter, zorniger Schrei die Stille zerriss und die Ankunft ihres Kindes verkündete.

„O mein Gott“, drang eine Stimme zu ihr durch, von der sie zuerst nicht wusste, ob sie sie John oder Rodney zu zuordnen hatte. Das hysterische Lachen, das folgte und laut in ihren Ohren dröhnte, entstammte aber ohne jeden Zweifel der Kehle ihres Mannes und als Teyla die Augen öffnete, blickte sie in Johns strahlendes Gesicht. . Mit Tränen in den Augen und einem überglücklichen Lächeln auf den Lippen schaute er auf das nasse, blutverschmierte, zappelnde Baby hinab, das weich in seinen Armen gelandet war.

„Ist es okay?“, hörte Teyla sich selbst mit erschöpft klingender Stimme fragen, während sie ihren Mann dabei beobachtete, wie er mit einem Tuch, das Rodney, der nun ebenfalls breit grinste, ihm anreichte, den sich windenden Körper des Babys säuberte und vorsichtig mit einem Messer, welches ebenfalls von Rodney herbeigeschafft worden war, die Nabelschnur durchtrennte.

John hob den Kopf und ihre Blicke trafen sich. Ihn so glücklich und gelöst zu sehen, ließ nun auch Teyla alle Barrieren überwinden und ihre Emotionen brachen an die Oberfläche. Ein lautes Schluchzen brach über ihre Lippen, als sie John sagen hörte: „Zehn Finger, zehn Zehen, zwei Arme und Beine, es scheint nichts zu fehlen.“

Sein Blick glitt über das wütend zerknautschte Gesicht des Babys hinunter über den in seinen Händen zappelnden Leib… und plötzlich umspielte ein keckes Grinsen seine Mundwinkel und seine grünen Augen blitzten, als er aufblickte und mit einem stillen Lächeln das verkündete, was Teyla bereits erahnt hatte.

„Es ist ein Junge.“

„Ein Junge?“, wiederholte die Athosianerin und rappelte sich auf, um einen ersten, richtigen Blick auf ihren neugeborenen Sohn werfen zu können.

John nickte. „Ein Junge, ein kleiner, perfekter Junge. Und wunderschön ist er auch noch“, lachte er und schob vorsichtig seine Hände unter den so zerbrechlich wirkenden Körper seines Sohnes. Er war klein, gerade einmal groß genug, dass er in seine Hände passte. Die empörten Schreie des Babys wurden leiser und es schien zu bemerken, dass etwas anders war. Es drehte seinen Kopf, seine Lider flatterten träge und im nächsten Moment blickte John in zwei wache, dunkle Augen, von denen der Soldat schon jetzt wusste, dass sie später dieselbe Farbe wie die Augen Teylas haben würden.

„Wir haben einen Sohn“, wiederholte er mit vor Ergriffenheit zitternder Stimme und Teyla schmunzelte.

„Väterliche Intuition, huh?“, neckte sie ihn mit einem matten Lächeln.

Der Soldat lachte auf. „Beim nächsten Mal wird’s ein Mädchen, ganz bestimmt“, meinte er und die Athosianerin verzog das Gesicht.

„Beim nächsten Mal?“, echote sie und allein bei der Vorstellung zog sich erneut alles in ihr zusammen, weswegen sie entschlossen mit dem Kopf schüttelte. „Das nächste Mal, John Sheppard, wirst Du das Kind austragen und auf die Welt bringen- das schwöre ich Dir. Noch einmal mache ich das nicht mit.“

„Wir werden sehen“, entgegnete John ihr mit einem vielsagenden Zwinkern und legte ihr nun endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, ihren Sohn in die ausgestreckten Arme, lehnte sich dann zurück und betrachtete Mutter und Kind mit einem seligen Lächeln.

„Willkommen auf der Welt, mein Kleiner“, begrüßte Teyla ihren Sohn, dessen Augen in der Zwischenzeit wieder zugefallen waren, und küsste ihn auf die schrumplige, warme Stirn. Ein erleichtertes Gefühl durchfuhr sie und seufzend drückte sie das schlafende Baby an ihre Brust.

„Wow“, sagte Rodney leise, als ob er befürchtete, das kleine Bündel in Teylas Armen zu wecken. „Das… das ist…“

„…ein Wunder“, beendete John den Satz für seinen Freund und fügte, als er den Kopf hob und gen Nachthimmel blickte, der über ihnen aufgerissen war und sich ihnen sternenreich präsentierte, lächelnd und voller Inbrunst hinzu: „Es ist ein Weihnachtswunder.“

„Er ist ein richtiges kleines Christkind“, grinste Rodney, fasste den schlafenden Sohn des Soldaten ins Auge und klopfte John schließlich anerkennend auf die Schulter. „Wow, wer hätte gedacht, dass Du tatsächlich noch einmal so etwas Schönes zustande bekommst“, triezte er seinen Freund, der der Stichelei jedoch nur ein kurzes Augenrollen widmete und dann vollkommen in Gedanken versunken meinte:

„Ja, wer hätte das gedacht.“

TBC
Väter und Söhne by Nyada
All the times that I cried
keeping all the things I knew inside
It's hard, but it's harder to ignore it
If they were right, I'd agree
but it's them they know not me
Now there's a way and I know that I have to go away
I know I have to go
Ronan Keating feat Cat Stevens – Father and son



Patrick Sheppard räusperte sich leise, aber bestimmt, was die hagere Krankenschwester mit dem streng zurückgebundenen, schwarzen Haar jedoch nicht im Geringsten zu interessieren schien- im Gegenteil, sie wandte sich noch intensiver der Betrachtung ihres Boulevardblattes zu. Ihre blassblauen Augen zuckten hinter dicken Brillengläsern, wanderten von links nach rechts, sprangen dann rasch zurück zum Anfang der nächsten Zeile. Begierig sog die Krankenhausangestellte, deren Namensschild preisgab, dass sie auf den Namen Valerie Sanchez hörte, den neusten Klatsch und Tratsch in sich auf, hob hier und da eine ihrer schmal gezupften Augenbrauen oder zog sie zusammen, verformte empört den Mund oder murmelte ein leises ‚Das darf doch nicht wahr sein’ oder ‚Nein, wirklich?’.

„Entschuldigen Sie bitte“, versuchte Patrick ein weiteres Mal die Aufmerksamkeit der Krankenschwester für sich zu gewinnen und klopfte gegen die Glasscheibe, die Flur und Schwesternzimmer voneinander trennte, woraufhin die junge Frau tatsächlich einen Moment von ihrer Zeitung aufblickte.

„Kann ich Ihnen helfen, Sir?“, fragte sie; ihre Stimme klang entgegen ihres zierlichen Körperbaus kräftig und tief und Patrick entnahm dem leicht schnarrenden Unterton, dass Valerie Sanchez alles andere als erfreut über die abendliche Störung war.

Patrick kniff die Lippen zusammen und in ihm regte sich auf einmal der Wunsch, der jungen Frau, deren Augen wieder auf die Zeitschrift in ihren Händen zurückfielen, eine Predigt über patientenorientiertes Auftreten zu halten, aber er besann sich in allerletzter Sekunde eines Besseren und schenkte der Krankenschwester ein, zugegeben, gezwungen freundliches Lächeln.

„Ich bin auf der Suche nach Teyla Sheppard“, erklärte er sein Anliegen. „Würden Sie mir die Freundlichkeit erweisen und mir ihre Zimmernummer nennen?“

Schwester Sanchez’ Blick fiel auf den üppigen Blumenstrauß in Patricks Händen, den er auf die Schnelle im Erdgeschoss im hiesigen Krankenhauskiosk erstanden hatte.

„Die offizielle Besuchszeit ist schon vorbei“, sagte sie, „tut mir leid.“

„Oh, das ist nicht schlimm. Ich werde erwartet“, trumpfte Patrick auf, woraufhin der Blick der Krankenschwester wieder auf den Blumenstrauß fiel, ehe er an ihm herauf- und schließlich wieder herabwanderte.

„Gehören Sie zur Familie?“, wollte die junge Frau wissen, während sie ihn weiter von oben bis unten musterte. Sie hob ihre schmale linke Augenbraue, als sie ihre Betrachtung abgeschlossen hatte und ihm in die Augen sah. „Andernfalls dürfte ich Ihnen nämlich keine Informationen geben, Sir.“

Patrick lächelte.

„Valerie“, sprach er sie an und nun hob sich auch noch ihre rechte Augenbraue, weswegen er nachhakte: „Ich darf Sie doch Valerie nennen, oder?“ Als sie nickte und er die Röte in ihre Wangen kriechen sah, konnte Patrick ein selbstgefälliges Schmunzeln nicht zurückhalten. Zweiundsiebzig Jahre, sagte er zu sich selbst, und er hatte es immer noch drauf, eine Frau zum Erröten zu bringen.

Ihr eine Reihe seiner weißen Zähne präsentierend, lehnte er sich gegen den Rahmen des, in die Wand eingelassenen, Sichtfensters und wiederholte, wie sehr er ihr verbunden wäre, würde sie ihm nun die verlangte Zimmernummer nennen. Sein Lächeln verfehlte seine Wirkung nicht, denn schon im nächsten Augenblick hatte Valerie ihre Zeitschrift gegen eine Krankenakte eingetauscht.

„Mrs. Emmagan-Sheppard liegt in Zimmer 103“, teilte sie Patrick mit, der kurz die Stirn runzelte, da er aus Valerie Sanchez’ Aussage schloss, dass sein Sohn es wohl immer noch nicht fertig gebracht hatte, seiner Frau seinen Namen aufzuerlegen, so wie es sich gehörte. Das war wieder einmal typisch für John, dachte Patrick mürrisch, rief sich aber sogleich zurecht. Er aus einem freudigen Grund hier und nicht, um seinem Sohn vorzuwerfen, Versprechen nicht einhalten zu können.

Er bedankte sich bei Valerie und schenkte ihr ein allerletztes Lächeln, welches die junge Frau bis tief unter ihren schwarzen Haaransatz erröten ließ und sie scheinbar so sehr in Verlegenheit brachte, dass sie sich rasch abwandte und Patrick sich selbst überließ, was sich für diesen aber keinesfalls als ein Problem entpuppte. Er hatte sich Dank seiner beiden Söhne oft genug in diesem Krankenhaus aufhalten müssen und wusste, wie er sich zu orientieren hatte. Selbst die Neugeborenenstation, auf der er sich nunmehr befand, war ihm nicht fremd, hatten doch zumindest zwei seiner Enkelkinder hier das Licht der Welt erblickt.

Schmunzelnd machte sich Patrick auf den Weg in Richtung Zimmer 103, den Strauß Blumen noch immer in den Händen haltend, um das neuste Mitglied der Familie einer allerersten, großväterlichen Inspektion zu unterziehen. Johns Anruf war erst eine halbe Stunde her und trotz des starken Schneefalls, der mit den Ausläufern des Blizzards einhergegangen war, hatte Patrick sich sofort auf den Weg gemacht, als sein Sohn am Telefon verkündet hatte, dass das Baby da war.
Zuerst hatte Patrick nicht verstanden, was sein jüngster Sohn ihm zu sagen versuchte, denn Johns sonst so gefasste Stimme hatte sich am anderen Ende der Leitung überschlagen und es war deutlich herauszuhören gewesen, dass er ein breites Grinsen im Gesicht hatte. In diesem Moment schienen alle Vorbehalte vergessen zu sein, denn John redete vollkommen gelöst drauflos.

„O Dad, es ist echt unglaublich“, erklang es am anderen Ende, nachdem Patrick das Gespräch angenommen hatte. John plapperte ohne Punkt und Komma und Patrick brauchte ein paar Sekunden, bevor ihm schlagartig klar wurde, aus welchem Grund sein Sohn anrief.

„Moment, Moment“, hatte er versucht seinen Sohn zu bremsen. „Was sagst Du da, John?“ Spätestens an diesem Punkt war ihm die Aufmerksamkeit aller, die mit ihm im Kaminzimmer versammelt waren, sicher gewesen und während er versuchte Dave und Amanda mit einer Geste zu verstehen zu geben, dass sie ihm nicht das Telefon aus der Hand reißen sollten, wiederholte er Johns Worte: „Das Baby ist da?“

„Das Baby ist da?“, hatte Amanda wiederholt und nachdem einige Sekunde Ruhe geherrscht und jeder der Anwesenden die Nachricht zu verdauen versucht hatte, brach tosender Jubel im Kaminzimmer aus. Dave und Amanda lagen sich in den Armen, ebenso wie Emmett und seine Freundin, die man Patrick als Lexie Green vorgestellt hatte. Die gute, alte Mrs. Broderick klatschte in die Hände und umarmte dann stürmisch den brummigen Stallmeister Mr. Hopps. Johns Kollegen- Dr. Beckett und Mr. Dex, erinnerte sich Patrick- hatten beide ein breites Grinsen auf den Lippen und auf Daves Jüngster Graham verbarg ein Lächeln hinter seinen langen, blonden Ponysträhnen. Einzig und allein der kleine T.J. hatte nicht verstanden, warum die Erwachsenen sich so sehr freuten und einander in den Armen lagen.

Patrick hatte sie alle mit nur einer einzigen fahrigen Handbewegung zum Schweigen gebracht und dann in den Telefonhörer gefragt: „Es ist doch hoffentlich alles in Ordnung? Mit Teyla und dem Baby?“

„Teyla und dem Kleinen geht’s super“, war Johns Antwort gewesen. Dann hatte er laut gelacht. „Du solltest ihn sehen, Dad. Ein richtiger kleiner Prachtkerl. Teyla sagt, er sieht aus wie ich, aber ich finde, er sieht seiner Mom ähnlich.“

„Er?“, hatte Patrick wiederholt. „Es ist ein Junge?“

„Ein Junge, ja.“ Aus Johns Stimme war der Stolz geradezu herauszuhören gewesen. „Ein kleiner, kräftiger Junge. Dreiundfünfzig Zentimeter lang und siebeneinhalb Pfund schwer. Er… es… es ist wirklich unglaublich, Dad! Ich… ich weiß wirklich nicht…“

An diesem Punkt wurde Patrick bewusst, dass John mit Tränen in den Augen am Telefon hing und ihm von der Geburt seines Sohnes berichtete. Patrick erinnerte sich nicht daran, seinen Sohn jemals zu Tränen gerührt gesehen zu haben, nicht einmal damals, als er und Nancy geheiratet hatten. John hatte seine Emotionen stets für sich behalten, weswegen es Patrick so manches Mal schwer gefallen war, die Gefühlslage seines Sohnes richtig einzuschätzen.
Die Geburt seines Sohnes musste etwas in John ausgelöst haben. Eine Blockade schien überwunden worden zu sein, denn Patrick war sich sicher, dass John unter normalen Umständen eher gestorben wäre als vor seinem Vater in Tränen auszubrechen. Vielleicht war das ein Wink des Schicksals, überlegte sich Patrick, als er nun den Flur entlang ging, seinem Sohn und Enkel entgegen. Vielleicht bedeutete dies, dass endlich die Zeit gekommen war, ein vernünftiges Wort mit seinem Sohn reden zu können und mit der Vergangenheit aufzuräumen.
Patrick wünschte es sich so sehr.

Sein Herz begann auf einmal schneller zu schlagen und ein dicker Kloß in seinem Hals ließ Patrick schlucken. Langsamen Schrittes steuerte er auf den Raum 103 zu, dessen geschlossene Tür sich, nachdem er um die Ecke gebogen war, nun vor ihm auftat. Hinter ihr wartete sein Sohn auf ihn, mit seinem Enkel. Hinsichtlich dieser Vorstellung fing er an zu grinsen und versank so sehr in seinen eigenen Gedanken, dass er zuerst gar nicht merkte, dass er stehengeblieben war und durch ein, in die Wand eingearbeitetes Fenster schaute, hinter dem sich eigentliche Herzstück der Neugeborenenstation befand.
Patrick fand es komisch, fremde Babys durch eine Scheibe zu beobachten wie Tiere im Zoo, aber ehe er sich versah, hatten ihn die kleinen, zerknautschten Gesichtchen in ihren Bann gezogen und er klebte förmlich an der Glasscheibe und ließ den Blick über die vielen Neugeborenen schweifen.
Ein breites Grinsen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, als er in einer hinteren Ecke die wohlbekannte Silhouette eines Mannes ausmachen konnte, der es sich mit einem klitzekleinen Baby auf dem Arm im einem der Sessel gemütlich gemacht hatte. Er trug einen blassgrünen Patientenkittel, unter dem ein Gipsbein hervorblitzte, und lächelte das kleine Bündel Mensch verträumt an.

Als er John mit seinem Sohn im hinteren Bereich der Neugeborenenstation sitzen sah, erfüllte ein warmes Gefühl Patricks Brustkorb und ein Seufzen entkam ihm. Nur schwer gelang es ihm, sich zurückzuhalten und nicht in den Raum zu stürzen, aber das war auch gar nicht nötig, wie sich wenige Sekunden später herausstellte. Als Patrick den Blick auf seinen Sohn legte, sah John auf und seinem Vater direkt in die Augen. Einen Moment lang geschah nichts und die beiden Männer sahen einander nur an, dann, jedoch, lächelte Patrick zaghaft.
Was als Nächstes geschah, versetzte dem alten Mann einen Stich ins Herz. Seine Kehle schnürte sich zusammen und er glaubte, zum ersten Mal nach vielen, vielen Jahren in Tränen auszubrechen, ohne dass es ihn interessierte, was andere von ihm denken würden, wenn er es täte. Ihm war es egal, denn im Moment zählte nämlich nur eines.

Dass John sein Lächeln aus vollem Herzen erwiderte.


ooOOoo



Die Jahre hatten John gezeigt, dass es ihm nichts brachte, Teyla zu widersprechen, da sie meistens und in allem recht behielt, ganz gleich wie man es drehte und wendete. Ihr Gespür für das Richtige hatte sich viele, viele Male als eine Gabe entpuppt, auch wenn es manchmal an seinem männlichen Ego kratzte, seiner Frau gegenüber wieder einmal zugeben zu müssen, dass sie recht hatte, und einzugestehen, dass er im Unrecht war und sich geirrt hatte. Es war sein Schicksal, das Schicksal eines verheirateten Mannes, und wie oft war er deswegen von seinen Freunden aufgezogen worden. Besonders Ronon schien es Freude zu bereiten, es ihm unter die Nase zu reiben, da er der Einzige in seinem Freundeskreis war, der noch nicht unter der Fuchtel einer Frau stand. Noch nicht, pflegte sich John an dieser Stelle immer zu verbessern. Die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt!

Was seine Freunde jedoch nicht wussten, war, dass John das Gespür seiner Frau schätzte. Es hatte ihm und auch den anderen nicht nur einmal den Hintern gerettet und womöglich wäre er ohne es heute nicht hier und ihm würde nicht bewusst werden, dass Teyla wieder einmal recht gehabt und ihn eines Besseren belehrt hatte.

John Sheppard grinste und schaute auf das Bündel in seinen Armen herab. Vorsichtig schob er mit dem Finger die blaue Decke beiseite und sein Lächeln wurde größer, als das kleine, runde Gesicht seines Sohnes erschien, der still vor sich hin döste, nur ab und zu verließ ein seufzender Laut die knospenförmigen Lippen des Babys. Vollkommen fasziniert von den zarten Gesichtszügen des Kindes, gelang es John nicht die Augen von seinem Sohn zu lassen, der friedlich in seinen Armen schlummerte. Schon jetzt hatte er sein Herz an diesen kleinen Menschen verloren und sich bis über beide Ohren in ihn verliebt. Nie wieder wollte er ihn hergeben. Er hatte ihn auf die Welt geholt! Er war es gewesen, der den kleinen Kerl als Erstes gesehen hatte! Es war sein Sohn, er war der Vater dieses kleinen, nach Babypuder duftenden Wunders und es fühlte sich verdammt gut an!

„Hey, Du“, wisperte John beinahe lautlos. Er wagte es nicht, lauter zu sprechen, denn er wollte das Baby nicht wecken. Er wollte es weiter betrachten, seine Finger und Zehen zum wahrscheinlich zehnten Mal zählen und küssen und sich vergewissern, dass es real war, dass sein Sohn wirklich auf der Welt und in seinen Armen war. Dieser kleine, rosige, in allem perfekte Junge mit dem dunklen Haarschopf, den dunklen Augen, der kleinen Stupsnase und den hinreizenden Lippen durfte kein Traum sein! Es war schließlich sein kleiner Junge, sein Sohn.

Die mit dichten schwarzen Wimpern gesäumten Lider des Babys flatterten träge, als John den zarten Leib an seinen Brustkorb drückte und hin und her zu wiegen begann. Einen Moment lang befürchtete der Soldat, der Kleine würde aufwachen, doch das gerade einmal zwei Stunden alte Baby schlief seelenruhig weiter und bestätigte John in der Annahme, dass es wohl die Langschläferambitionen von seinem Vater geerbt hatte.
Was John zurück zu seinem ursprünglichen Gedanken führte, dass Teyla wieder einmal recht gehabt hatte. Mit einem versonnenen Lächeln auf den Lippen blickte er auf seinen Sohn herab. Der kleine Kerl ähnelte ihm wirklich sehr; dieselben dunklen, zerzausten Haare und Augen, die in ein dunkles Grün stachen, glaubte John zumindest, da sich bis jetzt noch keine Möglichkeit zur näheren Betrachtung ergeben hatte, weil sein Sohn die meiste Zeit geschlafen hatte. Selbst die Untersuchungen hatte er die meiste Zeit still über sich ergehen lassen und war prompt wieder eingeschlafen. Zuerst hatten John und Teyla sich gesorgt, dass etwas nicht stimmte, aber der Arzt konnte sie beruhigen; ihr Sohn mochte zwar zwei Wochen zu früh in einem unterkühlten Auto mitten im Nirgendwo auf die Welt gekommen sein, aber es ging ihm gut.
Und schließlich erfreute er doch noch alle mit klarem, zornigem Geschrei, als man ihn in die Arme seines frisch ernannten Patenonkels Rodney legte, welcher sich komischerweise als einziger nicht mit dem Gedanken anfreunden konnte, von nun an ein Teil des Leben dieses schreienden Etwas zu sein.

An dieser Stelle und hinsichtlich an der Erinnerung musste John schmunzeln und so bemerkte er die, in seinem Augenwinkel aufgetauchte Gestalt erst, als diese sich an der Glasscheibe, die Flur und Neugeborenenstation voneinander trennte, die Nase platt drückte. Als John aufsah, musste er zu seiner Überraschung feststellen, dass es sich um seinen Vater handelte, der von draußen hereinblickte und lächelte, als sich ihre Blicke trafen. Er hatte ihn angerufen, pflichtbewusst wie er war, und ihm von der Geburt seines Enkelsohnes berichtet. Patrick Sheppard hatte sich erfreut gezeigt, aber John hätte nie damit gerechnet, dass er persönlich hier erschienen würde. Dave, sicherlich. Amanda, auf jeden Fall. Aber sein Vater? Er hatte es nicht einmal in Erwägung gezogen.

Patrick lächelte und es war das wohl aufrichtigste Lächeln, das John je gesehen hatte. Es war ehrlich gemeint, es war kein maskenhaftes Lächeln, so wie John es von seinem Vater kannte. Nein, es war nichts dergleichen, es war ein von Herzen kommendes, absolut ehrlich gemeintes Lächeln.
Und genau aus diesem Grund erwiderte John es. Er lächelte zurück, er schenkte seinem Vater das wohl erste Lächeln seit vielen Jahren… und es fühlte sich gut an. Es zerriss ihm nicht das Herz, wie er befürchtet hatte, im Gegenteil, es schien eine Tür in seinem Herzen zu öffnen, eine neue Tür, die John bisher verborgen war und von der er nicht wusste, dass es sie gab.

Getrieben von dem Wunsch, zu erkunden, was sich hinter dieser neuen Tür befand, deutete John auf die Tür. Sein Vater schien erst nicht zu verstehen, was er von ihm verlangte, dann, jedoch, näherte er sich langsam der Tür, drückte die Klinke herunter und betrat den kleinen Vorraum der Neugeborenenstation, wo er sich kurz mit einer Säuglingsschwester unterhielt, auf John deutete. Dieser musste unwillkürlich grinsen, als sein Vater, der es gewohnt war, Maßanzüge zu tragen, mit einem dieser unvorteilhaften Patientenkittel ausstaffiert wurde. Die Skepsis stand Patrick ins Gesicht geschrieben, als er mit gerunzelter Stirn die Station betrat, verflüchtigte sich dann aber binnen eines Wimpernschlags und wich einem Lächeln.

„Hey“, sagte Patrick leise.

„Dad?“, empfing John seinen Vater und bemühte sich nicht einmal darum, zu verbergen, dass sein Auftauchen ihn überraschte. „Was machst Du hier?“

„Na, was mache ich hier wohl?“, wiederholte Patrick fast flüsternd. „Ich bin hier, um meinen Enkel zu sehen? Du meine Güte, ist er das?“ Er reckte den Hals, um einen Blick auf das schlafende Baby in Johns Armen werfen zu können.

John nickte, was seinem Vater als Antwort genügte.

„Er ist so klein“, staunte Patrick.

„Ja, merkwürdig, nicht wahr? Das haben Babys so an sich, Dad.“ John war nicht einmal bewusst, dass er in der Gegenwart seines Vaters gescherzt hatte, bis Patrick leise lachte und die Arme ausstreckte.

„Darf ich?“

John sah die ausgestreckten Arme seines Vaters vor sich und zögerte für einen Augenblick, erinnerte sich dann aber, dass sein Vater ihn und Dave großgezogen hatte und wissen musste, wie man mit einem so kleinen Menschen umzugehen hatte. Vorsichtig übergab er daher seinen Sohn den fähigen Händen seines Vaters, der den Kleinen auch sogleich zärtlich an sich drückte, etwas, das er mit Torren nie getan hatte, da ihm John dazu nie die Möglichkeit gegeben hatte.

Patrick lächelte, begann das Baby in seinen Armen zu wiegen und es einer eingehenden Betrachtung zu unterziehen. John hatte seinen Vater noch nie so erlebt, wie in diesem Moment- einfühlsam, zärtlich, väterlich, beschützend. Er war für dieses Baby, seinen Enkelsohn, alles, was er für John, seinen Sohn, nicht gewesen war, aber aus irgendeinem Grund stimmte diese Tatsache den Soldaten nicht traurig.

„Er sieht aus wie Du, John“, meinte Patrick schließlich zu ihm.

Der Soldat schmunzelte.

„Das sagt Teyla auch.“

„Besonders die Haare…“ Sein Vater ließ den Satz unbeendet, aber John wusste, worauf er hinauswollte. Er beugte sich vor und strich über den samtweichen, dunklen Haarflaum seines Sohnes.

„Gott, ja, die Haare“, seufzte er. „Der arme kleine Kerl. Ich hatte gehofft, dass ihm wenigstens das erspart bleibt.“

„Er hat aber auch viel von Teyla“, fuhr Patrick fort und fuhr mit der Fingerkuppe an der kleinen Stupsnase des Babys entlang. „Das ist ihre Nase.“ Sein Finger wanderte zu dem kleinen Grübchen, dass das Baby am Kinn vorzuweisen hatte. „Und das hier“, lächelte er, „hat er von Deiner Mutter.“

John erinnerte sich an das Grübchen am Kinn seiner Mutter, doch dass auch sein Sohn dieses besaß, fiel ihm erst jetzt auf, als sein Vater ihn darauf hinwies. Dass sein Vater seine Mutter ins Gespräch gebracht hatte, stimmte John traurig und er senkte den Kopf, starrte auf den gelben Linoleumboden und seine Schuhspitzen.

„Sie hätte sich gefreut“, murmelte er leise. „Über das Baby, meine ich.“

Patrick ließ sich auf den Sessel neben dem seines Sohnes sinken. „Ja, das hätte sie ganz sicher. Sie hat sich immer gefragt, wie es wohl sein würde, eine Großmutter zu sein.“ Er seufzte leise, blickte dann seinen jüngsten Sohn an. „Sie wäre stolz auf Dich gewesen, John. Und... Du sollst wissen, dass ich… dass ich es auch bin. Ich bin auch stolz auf Dich, sehr stolz.“

Die Worte seines Vaters trafen den Soldaten unerwartet und sie überraschten ihn so sehr, dass er zuerst nichts erwidern konnte und seinen Vater einfach nur anstarrte, was Patrick als Zeichen, fortzufahren, zu deuten schien.

„Ich habe Dir das nie gesagt“, sprach er weiter, „aber ich bin stolz auf Dich, John, auch wenn… ich mich… in Vergangenheit nicht so… verhalten habe.“

„Dad.“ Mehr brachte John nicht über die Lippen; zum einen versagte ihm die Stimme, zum anderen fiel ihm sein Vater ins Wort.

„Es ist wahr“, beharrte Patrick. „Ich bin stolz auf Dich und habe mich in Vergangenheit… wie ein Idiot verhalten. Ich habe alles damit rechtfertigt, dass Du an allem Schuld bist, dabei… war alles meine Schuld. Wahrscheinlich war ich einfach nur zu… feige, mir einzugestehen, dass ich Dich die ganze Zeit über… beneidet habe.“

„Beneidet?“, echote John und Patrick nickte.

„Du hast das getan, wozu ich nie den Mumm gehabt habe“, sagte er. „Du hast Dich von mir nicht verbiegen lassen und bist gegangen. Einfach so.“ Er hielt für einen kurzen Moment inne, um auf seinen schlafenden Enkelsohn zu blicken. Ein selten gehörtes Seufzen verließ Patricks Lippen. „Weiß Du, John“, fuhr er fort, „ein Teil von mir hätte Dich damals am liebsten in der Luft zerrissen. Der andere Teil, jedoch… war stolz auf Dich, weil Du das getan hast, was ich in meinem Leben nie tun durfte, nämlich weglaufen.“

„Ja, eine meiner herausragendsten Eigenschaften“, meinte John mit einem traurigen Lächeln. „Vor Dingen wegzulaufen, die mir Angst machen.“

„Ich habe Dir Angst gemacht?“, wiederholte Patrick und senkte den Kopf, als er den gequälten Ausdruck im Gesicht seines Sohnes bemerkte. „Natürlich habe ich das. Wie hätte es auch anders sein können“, seufzte er.

„Wir beide haben unsere Fehler, Dad.“ Nun war John an der Reihe zu seufzen. „Ich laufe weg und Du…“

„…und ich mache anderen Leuten Angst“, beendete Patrick seinen Satz. „Dabei will ich das gar nicht. Damals dachte ich wirklich, ich täte gut darin, Dein Leben und das von Deinem Bruder zu planen, weil ich wollte, dass es euch gut ergeht und ihr euch euer Leben nicht durch irgendeine banale Dummheit selbst verbaut.“

„Banale Dummheit?“, echote John. „Das war mein Wunsch, zur Air Force zu gehen, für Dich also? Eine banale Dummheit?“

Sein Vater hob die Augenbrauen.

„Du musst schon zugeben, John, dass es nicht unbedingt eine deiner besten Ideen gewesen war. Verzeih mir, aber ich dachte damals wirklich, dass Du den größten Fehler Deines Lebens begehst und ich wollte Dich davor bewahren.“

„Was Du mir auch lautstark zu verstehen gegeben hast“, erinnerte sich John. „Bei mehr als nur einer Gelegenheit.“

„Und Du verstehst immer noch nicht, warum ich das getan habe?“ Als John ihm nicht antwortete, seufzte Patrick zum wiederholten Male, ehe er den Blick seines Sohnes bannte und mit fester Stimme sagte: „Weil Du mein Sohn bist und ich Dich über alles liebe, Jonathan.“

Weil Du mein Sohn bist und ich Dich über alles liebe. Diese allessagenden Worte kamen einem Paukenschlag gleich und John fühlte sich wie betäubt, als sie in seinem Kopf wiederzuhallen begannen. Seit dem Tod seiner Mutter hatte er seinen Vater nicht ein einziges Mal so etwas wie ‚Ich liebe Dich’ oder ‚Ich bin stolz auf Dich’ sagen hören. Nicht ein einziges Mal. Und nun, nach über dreißig Jahren, hatte er gleich beides innerhalb weniger Minuten aufeinander folgend zu hören bekommen und wusste nichts damit anzufangen, wenngleich er sich in den letzten Jahren nichts sehnlicher gewünscht hatte, als solche Worte von seinem Vater zu hören.

„Ich habe in der Vergangenheit viele Fehler gemacht“, fuhr Patrick fort. „Viele, viele Fehler und ich bin heute hierher gekommen, um Dich wissen zu lassen, dass ich ab dem heutigen Tag bemühen werde, nicht mehr alles so engstirnig zu sehen. Und, um mich bei Dir zu entschuldigen.“

„Entschuldigen“, wiederholte John lahm.

Patrick nickte.

„Ja, ich will mich bei Dir für all das, was ich in der Vergangenheit falsch gemacht habe, entschuldigen. Ich weiß, dass Du guten Grund hast, meine Entschuldigung nicht anzunehmen und falls Du es nicht tust, verstehe ich das. Aber ich bitte Dich, es Dir zu überlegen. Wir beide wissen, dass mir nicht mehr allzu viele Jahre bleiben-“

„Dad…“

„Nein, John, nein.“ Patrick schüttelte entschlossen mit dem Kopf. „Lass mich das jetzt bitte hier zu Ende bringen, sonst werde ich mich später selbst dafür hassen. Ich möchte… ach, was sag ich da… ich will, dass Du weißt, wie furchtbar leid mir alles tut. Ich hätte Dich nie so bevormunden dürfen und Dir vertrauen sollen. Es fällt mir schwer, dass zu sagen, aber…Du hattest in allem recht.“

„Hatte ich?“

„Ja, hattest Du. Du hattest in allem recht und ich hätte nie an Dir zweifeln dürfen. Ich spreche damit, die Geschehnisse von vor fünf Jahren an, und ich will Dir sagen, dass ich mich in Bezug auf Dich, Dein Leben und Deine Familie geirrt habe.“ Kurzes Schweigen, dann: „Ich bin stolz auf Dich und auf das, was Du aus Dir und Deinem Leben gemacht hast, John. Ich hätte es nicht besser machen können.“

„Dad…“ John schluckte. Sein Vater hatte ihm gerade die wohl rührendste, emotionalste und herzergreifendste Ansprache gehalten, die er je gehört hatte, und irgendwie kam es John so vor, als hätte sich sein alter Herr wirklich aufrichtig bei ihm für alles entschuldigt. Was unmöglich wahr sein konnte, denn Patrick Sheppard hatte sich noch nie für etwas, was er getan hatte, entschuldigt.

„Und?“ Sein Vater sah ihn durch seine eisblauen Augen an, was John das Gefühl gab, auf einmal ins Rampenlicht gedrängt zu werden. „Verzeihst Du mir?“

Johns Blick hielt dem seines Vaters noch einige Sekunden stand, dann sah er auf seinen Sohn herab, der friedlich in Patrick Sheppards Armen schlief und von alldem nichts mitbekam. Die zarte Brust des Babys hob und senkte sich nieder, ein einfacher Akt, der von der Natur so eingerichtet worden war. Es war ein simpler Automatismus, der über Leben und Tod entscheiden konnte und unter anderen Umständen sicherlich keinerlei besonderen Beachtung wert gewesen wäre. Aber genau in diesem Moment fesselte die sich stetig hebende und senkende Brust des Babys Johns Aufmerksamkeit und sagte ihm, was er zu tun hatte.
Er tat es nicht für sich oder für seinen Vater, der um Vergebung bat. Er tat es für seine Kinder, für Torren und seinen kleinen Bruder, die etwas Besseres verdient hatten als er. Er tat es für seine Söhne, nur für seine Söhne.

„Ich…“ Ein letzter, kurzer Blick auf das schlafende Baby, dann: „Ja… ich verzeihe Dir, Dad. Alles. Ich verzeihe Dir alles.“

Und mit diesem Satz begann etwas Neues. Die Tür in Johns Herzen wurde geschlossen, dafür öffnete sich eine andere, als sein Vater seinen freien Arm um seine Schultern schlang und ihn zu sich zog. Es mochte das Ende ihrer jahrelangen Fehde sein, aber gleichzeitig der Beginn von etwas Wunderbarem.

„Fröhliche Weihnachten, John“, hörte der Soldat seinen Vater flüstern, seine Stimme ein warmes Vibrieren an seinem Ohr.

„Fröhliche Weihnachten, Dad“, erwiderte er, über die Schulter seines Vaters aus dem Fenster hinauf in den Nachthimmel blickend. Hoch droben am Himmelszelt funkelte ein Stern mit all seiner Kraft, verkündete nicht nur die Geburt eines neuen Lebens, sondern pries auch den Fortbestand des Altbewährten. John schloss die Augen, lehnte sich weiter in die Umarmung seines Vaters.

Fröhliche Weihnachten, sagte er zu sich selbst und verspürte zum ersten Mal seit Jahren eine tiefe, innere Zufrieden- und Geborgenheit. Er war daheim. Er war daheim.

TBC
Willkommen in der Familie by Nyada
Cause Grandpa's the local sheriff
Yeah he's the judge and the jury too
Uncle Bill's the undertaker, Son
He'll dig a hole for you
Cousin Jesse, he's just crazy
He'll fight you just for fun
Mama's got a real bad temper
And daddy's got a shotgun
Welcome to the family
Little Big Town – Welcome to the family



„Himmelherrgott, du liebe Güte! Was in Dreiteufelsnamen…“ Persephone Broderick, die großmütterliche Hausdame mit dem sonnigen Gemüt, die von allen nur liebevoll ‚Percy’ gerufen wurde, schlug die Hände über dem Kopf zusammen und zog die präzise gezupften Augenbrauen hoch. Sie hatte in ihrem Leben wahrlich schon Vieles gesehen, aber so etwas… Nein, so etwas verschlug selbst ihr die Sprache- und das sollte schon etwas heißen!

„Mein Gott, seht euch das kleine Kerlchen doch nur einmal an“, rief sie, nicht wissend, ob sie bei dem Anblick des kleinen Babys mit den rabenschwarzen, wild in alle Richtungen abstehenden Haaren in Gelächter oder Tränen ausbrechen sollte. Vielleicht, so überlegte sie sich, war Hysterie sowieso die beste Wahl, denn dieses kleine Bündel Mensch löste Emotionen in ihr aus, von denen sie nicht einmal gewusst hatte, dass es sie gab.

„Wenigstens besteht bei dem Burschen kein Zweifel, wer der Vater ist“, bemerkte ihr werter Kollege und langjähriger Freund Arthur Hopps trocken. „Bei den Haaren. Na, ich weiß ja nicht.“

„Ich bitte euch, mit seinen Haaren ist alles in Ordnung“, wurde der kleine Bursche, um den sich das Gespräch drehte, von seinem Vater verteidigt, in dessen Armen des Baby, völlig ungestört und friedlich vor sich hin schlummerte. John blickte auf seinen gerade einmal einen Tag alten Sohn herab und strich behutsam über den dunklen Haarflaum des Kleinen.

„Daran gibt es überhaupt nichts auszusetzen“, meinte er entschlossen. „Nicht wahr, Kumpel?“, fragte er das schlafende Baby und wiegte es sachte hin und her. „Hör nicht auf diese bösen Leute- mit Deinen Haaren ist alles in Ordnung.“

„Also irgendwie-“ Graham Sheppard beugte sich leicht nach vorne, um seinen kleinen Cousin näher betrachten zu können- „finde ich das schon…süß.“

„Er ist wirklich hinreizend“, bestätigte seine Mutter, Amanda, den Jungen. „Absolut hinreizend.“ Mit glänzenden Augen wandte sie sich an ihren Mann, der neben ihr stand und einen Arm um ihre Hüfte gelegt hatte. „Nicht wahr, Dave? Er ist hinreizend, oder?“

Dave, der wusste, dass seine Frau keine andere Meinung außer die ihre dulden würde, nickte und antwortete pflichtbewusst: „Absolut hinreizend, Darling.“ Gelogen war es nicht, denn er musste sich eingestehen, dass das Baby seines Bruders in der Tat wirklich sehr bezaubernd war. Das kleine Bündel mit dem pechschwarzen Haar und den grünen Augen hatte sich in Windeseile in die Herzen aller eingeschlichen und war nun nicht mehr wegzudenken. Gerade einmal einen Tag auf der Welt, hatte es der kleine Kerl geschafft, seine komplette Familie zu verzaubern, und wollte man Johns Berichten Glauben schenken, so schäkerte er sogar schon mit den Krankenschwestern und hatte die strenge Stationsärztin um den kleinen Finger gewickelt.

Ein Tag war vergangen, seit sie von der Geburt des Kleinen in Kenntnis gesetzt worden waren, und nachdem sich die Nachwehen des Schneesturms endlich gelegt hatten, waren sie allesamt vollzählig im Krankenhaus erschienen und drängten sich nun in das kleine Zimmer, dessen Nummer man ihnen am Empfang genannt hatte. Schulter an Schulter standen sie beieinander und das nur, um das neuste Mitglied der Familie zu betrachten und die stolzen Eltern mit Lobgesängen und Glückwünschen zu überhäufen. Ein riesiger Blumenstrauß zierte das kleine Beistelltischchen und ließ das sowieso schon sehr beengte Krankenzimmer noch kleiner und noch beengter wirken als es in Wirklichkeit eh schon war, was die Anwesenden aber nicht daran hinderte, das Baby zu bewundern, zu verhätscheln und herumzureichen, es zu drücken und zu küssen. Nach zehn endlosen Minuten des Herumreichens schlummerte das kleine Kerlchen nun endlich wieder in den Armen seines Vaters und die anderen waren einfach nur froh und glücklich, dass alles gut gegangen war und es Mutter und Kind gut ging.

„Haben Sie sich denn inzwischen schon einen Namen überlegt?“ Diese Frage ließ die angeregten Gespräche der anderen verstummen. Ronon Dex äußerte sich zum ersten Mal und hatte damit das ausgesprochen, was allen buchstäblich auf der Zunge brannte. Selbstverständlich brauchte der kleine Junge einen Namen und wenn seine Eltern einen für ihn ausgesucht hatten, galt es den jetzt herauszufinden.

„Nun ja.“ Teyla neigte ihren Kopf leicht zur Seite. „John und ich hatten uns ehrlich gesagt noch keine großen Gedanken über einen Namen gemacht.“

„Schließlich dachten wir, wir hätten noch zwei Wochen Zeit“, fügte ihr Ehemann grinsend hinzu, was auch den anderen ein Lächeln aufs Gesicht zauberte.

„Aber“, fuhr Teyla fort, nachdem sie und John Blicke ausgetauscht hatten, „dann ist uns die Entscheidung doch recht einfach gefallen.“

„Das heißt, ihr habt einen Namen?“, fragte Graham und blinzelte durch seine langen, blonden Ponysträhnen hindurch. „Wie heißt er denn nun?“

Teyla drückte die Hand ihres Mannes. „John und ich sind überein gekommen, dass unser Sohn die Namen von zwei Männern tragen soll, die einen besonderen Platz in unserem Leben und in unseren Herzen haben. Ich habe mich für den Namen Aiden entschieden und-“

„Moment“, fiel Rodney, ganz pflichtbewusster Patenonkel des Kleinen, ihr unhöflich ins Wort. „Ihr wollt den armen, kleinen Burschen Aiden nennen!? Nach Lieutenant Ford!?“

John, der zu ahnen schien, worauf sein Freund hinauswollte, rügte ihn augenblicklich, bevor der Kanadier noch auf dumme Ideen kam.

„Lieutenant Ford war… ähem, ich meine, er ist“, korrigierte er sich rasch, als er seinen Fehler bemerkte, „eine herausragende Persönlichkeit.“ Er schluckte, als er an den seit Jahren als verschollenen jungen Soldaten dachte. Es hatte ihn ehrlich überrascht, dass Teyla ausgerechnet diesen Namen für ihren Sohn gewählt hatte, aber er war mehr als einverstanden. Aiden Ford war während der recht kurzen Zeit, die sie beide sich kannten, ein guter Freund für ihn geworden und John war stolz darauf, seinen Sohn nach einem Mann zu nennen, der nicht nur einmal sein Leben für ihn und das Team riskiert hatte.

„Ford“, stammelte Rodney. „Ich glaub’s nicht. Das ist… echt nicht zu glauben.“

„Sie hätten ihn ja schlecht Meredith nennen können“, feixte Ronon, was Rodneys Miene verfinstern und seinen Blick eiskalt werden ließ. Carson Beckett, hingegen, schien diesen Gedanken, jedoch, durchaus amüsant zu finden.

„Aye, das wäre wenigstens originell gewesen“, griente er, „aber das hätte man dem armen, kleinen Burschen nicht antun können.“

Rodney rollte mit den Augen. „Sehr witzig, Carson, ja, sehr witzig.“

„Aiden“, wiederholte Amanda und ließ sich den Namen ihres Neffen langsam auf der Zunge zergehen. „Ein sehr schöner Name.“

„Ein irischer Name“, merkte Patrick Sheppard nickend an, dessen Vorfahren von der grünen Insel westlich Großbritanniens stammten. „Eine sehr gute Wahl, John“, lobte er seinen Sohn. „Das ehrt nicht nur diesen Lieutenant sondern auch unsere Wurzeln.“

„Und wie lautet der zweite Namen?“, fragte Emmett, der mit Lexie in der Nähe der Tür Platz gefunden hatte und dem nicht entgangen war, dass sein Onkel und seine Tante von einem Doppelnamen gesprochen hatten.

John holte tief Luft und wechselte einen kurzen Blick mit seiner Frau, die ihm aufmunternd zuzwinkerte und seine Hand drückte.

„Sein zweiter Name lautet Patrick… nach Dir, Dad“, sagte er schließlich und sah seinen Vater an. „Unser Sohn hört auf den Namen Aiden Patrick Emmagan-Sheppard.“

Im Gesicht seines Vaters begann es zu arbeiten, während er den Sinn der Worte zu realisieren versuchte. Die Sekunden, bis endlich ein breites Lächeln Patricks Gesicht zum Strahlen brachte, erschienen John unsagbar lang. Er hatte lange überlegt und seinen Vorschlag, seinen Sohn nach seinem Vater zu benennen, sehr gut überdacht, bevor er ihn Teyla gegenüber geäußert hatte. Seine Frau hatte ihn zuerst überrascht angesehen, aber wie zu erwarten hatte sie weder versucht es ihm auszureden, noch hatte sie Bedenken geäußert. Stattdessen hatte sie nur leise gemeint, dass sie sehr froh war, dass John und sein Vater überein gekommen waren, und ihn dann einen innigen Kuss gegeben.

„John, ich…“ Patrick atmete tief ein und wieder aus und lehnte sich zurück. „Das ist…Seid ihr euch sicher, dass ihr das wirklich wollt?“

John zuckte salopp mit den Achseln, wenngleich ihn die Frage seines Vaters schon etwas überraschte.

„Ich befürchte, um es zu ändern, ist es jetzt zu spät.“ Er grinste, um seine Nervosität vor seinem alten Herrn und den anderen zu verbergen. „Wir haben den Namen schon eintragen lassen. Und ja, wir sind uns hundertprozentig sicher, Dad.“

„Torren wurde nach meinem Vater benannt“, fügte Teyla erklärend hinzu und warf ihrem nunmehr ältesten Sohn, der neben ihr auf der Bettkante saß und seinen kleinen Bruder bisher nicht einmal aus den Augen gelassen hatte, einen kurzen Seitenblick zu, „und da dachten wir, dass es nur gerecht sei, falls wir noch einen zweiten Sohn bekommen, ihn nach seinem anderen Großvater benennen.“ Kaum dass sie den Satz beendet hatte, entstand im Raum ein Schweigen und die Blicke richten sich unwillkürlich auf das Familienoberhaupt.

„Dad?“, sprach John seinen Vater vorsichtig an. „Das… das ist doch okay für Dich, oder?“

Patrick nickte.

„Aber selbstverständlich ist es das, mein Junge.“ Ein Strahlen breitete sich über sein sonst so streng wirkendes Gesicht aus und seine von Natur aus resignierten blauen Augen leuchteten. Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren glaubte John sogar Tränen in ihnen zu entdecken, aber bevor er seinen Verdacht bestätigen konnte, blinzelte Patrick Sheppard rasch.

„Ich fühle mich geehrt“, sagte er gerührt. „Ich-“ Ein leises Seufzen, das zweifelsohne das kleine Baby in Johns Armen ausgestoßen hatte, unterbrach ihn und die Blicke aller Anwesenden richteten sich auf das neuste Familienmitglied, das nun anscheinend auch endlich mitbekommen hatte, dass all die fremden Leute nur wegen ihm da waren.

T.J., ganz der stolze, große Bruder, der bisher viel zu sehr damit beschäftigt war, seinen kleinen Bruder zu begutachten und einzuschätzen, meldete sich nun auch zu Wort.

„Ich glaube, er wacht auf, Daddy“, meinte er zu seinem Vater, worauf John und alle anderen den Sechsjährigen anlächelten.

„Sieht ganz danach aus, Kumpel.“ John verlagerte das Gewicht des Babys etwas und beugte sich zu seinem Ältesten vor. „Willst Du ihn mal halten?“, fragte er T.J., der darauf wild nickte. Seine braunen Augen begannen zu strahlen, als sein Vater ihm ganz behutsam das kleine, in blaue Decken eingehüllte Baby in die ausgestreckten Arme legte, und der sechsjährige Junge drückte das Bündel fest an sich.

„Er ist richtig süß“, meinte schließlich. „Ich denke, wir können ihn behalten“, beschloss er und die Erwachsenen stimmten ein leises, mehrstimmiges Gelächter an.

„Na, da kann Dein Bruder aber froh sein“, lächelte Teyla ihren Sohn an, der seinen kleinen, neuen Babybruder hochkonzentriert ansah und ihn in seinen Armen wiegte. Dann verdunkelte sich seine Miene jedoch, er runzelte die Stirn und blickte seiner Mutter in die Augen.

„Aber, Mommy.“ Seine kindliche Stimme klang ernst und besorgt. „Jetzt bist Du doch ganz allein“, bemerkte er und meinte dann, an seinen Vater gewandt, im Flüsterton, den dennoch alle hören konnten: „Beim nächsten Mal müssen Du und Mommy aber ein Mädchen machen, Daddy. Okay, abgemacht?“

John spürte, wie ihm die Röte in die Wangen schoss, als seine Familie und die Freunde ihn und Teyla schmunzelnd ansahen.

„Naja“, erwiderte er T.J. und wuschelte ihm durch die dunkelbraunen Haare, „mal schauen, ob sich da was machen lässt.“ Sein Blick traf den von Teyla. Die Athosianerin erwiderte den Blick, dann lächelte sie und ergriff seine Hand.

„Wir werden sehen“, sagte sie.

„Ja, wir werden sehen“, wiederholte John und drückte ihre Hand.


ooOOoo

1 ½ Jahre später



Als Teyla Emmagan am späten Vormittag die Tür zu der kleinen, aber durchaus als heimelig zu bezeichnenden Hotelsuite betrat, war das Erste, was sie hören bekam, ein lautes Kreischen, gefolgt von einem um einige Oktaven tieferen Lachen, welches ihr nur zu gut vertraut war. Die Athosianerin schloss die Tür hinter sich, blieb kurz stehen und lauschte kurz den Geräuschen, die zweifelsohne aus dem Schlafzimmer zu kommen schienen, das an den gemütlich angelegten Wohnbereich angrenzte. Wie sie sah, war die Tür einen Spalt weit geöffnet und sie musste sich nicht groß den Hals verrenken, um zu sehen, was sich auf der Matratze des Bettes abspielte. Ein Laut des Entsetzens entkam Teyla, als sie die beiden Körper entdeckte, die sich auf dem Bettüberwurf wanden und miteinander rangen. Wie angewurzelt blieb sie stehen und lauschte dem tiefen, sehr männlichen Lachen und dem hohen Kichern noch einige Sekunden, ehe sie sich in der Lage fühlte, sich zu bewegen und in das Schlafzimmer zu stürzen… denn das, was sie sah, ging eindeutig zu weit!

„John Sheppard!“, donnerte sie los, als sie ruckartig die Türe öffnete, und die beiden Körper stoben erschrocken auseinander.

„T…Teyla“, stotterte der Soldat und sah sie mit weiten Augen an, fuhr sich durch die von seinen Aktivitäten ganz zerzausten Haare. „Es… es ist nicht das, wonach es aussieht“, beteuerte er und fügte in der Hoffnung, das drohende Donnerwetter abzuwenden, ein rasches ‚Darling’ hinzu.

„Ach ja?“, wiederholte Teyla und stemmte die Hände in die Hüften. „Dann sag mir, was es dann ist“, herrschte sie den Soldaten an, der von Sekunde zu Sekunde kleiner und kleiner wurde und dessen Gesichtsfarbe schlagartig von puterrot zu leichenblass wechselte.

„I…ich kann das erklären, wirklich“, stotterte er und machte sich daran, aus dem Bett zu steigen. Teyla, die die Arme nun vor ihrem Brustkorb verschränkte, sah ihn scharf an.

„Na, auf Deine Erklärung bin ich jetzt mal gespannt“, meinte sie, die linke Augenbraue weit hebend, und bedeutete ihm mit einem kurzen Nicken fortzufahren.

„Nun ja…“ John strich sich erneut durch die Haare, die am Hinterkopf verdächtig abstanden. „Es… nun ja… eigentlich hat es… Die… die Kekse sind Schuld.“

„Die Kekse?“, echote Teyla und John nickte. Er schien etwas hinzufügen zu wollen, doch bevor er dazu kam, bemerkte die Athosianerin im Augenwinkel eine weitere Bewegung unter der Bettdecke. Die Hand ihres Mannes versuchte ihren Verursacher zu warnen, doch da hatte Teyla bereits das Ende der Decke gepackt und sie mit einem Ruck vom Bett gezogen.

„JOHN!“, entkam es ihr nicht minder entsetzt als zuvor. „Was… was… aber…“ Ihr fehlten die Worte, um das, was sie sah, zu beschreiben, also stöhnte sie nur laut auf und schüttelte mit dem Kopf.

„Teyla.“ John hatte sich nun auf seine Knie aufgerichtet. „Es ist wirklich nicht das, wonach es aussieht. Es…“

Die Athosianerin blickte mit Tränen in den Augen auf die dritte Person im Bett ihres Mannes herab, das auch gleichzeitig ihr Bett war. Sie konnte nicht glauben, dass er so etwas in ihrem Bett tat. Ein mit Missgunst und Unglauben gepaarter Laut entkam ihrer Kehle, als sie das Chaos sah, das die drei Personen hinterlassen hatten.

„Keeeeeeeekse“, war es nun auch zu allem Übel von der soeben entdeckten, dritten Person zu vernehmen, die Teyla aus großen, grünen Augen anblickte und verdächtige Krümel an Mundwinkel, Wange und Kragen aufzuweisen hatte.

„John“, jammerte Teyla und hätte am liebsten die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als sie ihre beiden Söhne, Torren und Aiden, entdeckte, die sie, über und über mit Kekskrümeln bedeckt, breit angrinsten. Schokoladenspuren zogen sich über ihre glühenden Wangen und Teyla glaubte einen Herzinfarkt zu bekommen, denn auch die Anzüge der beiden schienen etwas von der braunen, klebrigen Masse abbekommen zu haben.

„Es hat mich eine Stunde gekostet, die beiden fertig zu bekommen, John“, klagte sie, worauf ihr Mann sich mit leiser, verlegener Stimme zu entschuldigen versuchte.

„Tut mir leid.“

„Eine ganze Stunde, John“, wiederholte Teyla. „Und jetzt…“ Sie brach ab, seufzte tief und schwer und deutete auf ihre beiden Söhne. „Jetzt kann ich noch einmal von vorn anfangen!“

Betretenes Schweigen legte sich über den Raum. Teyla starrte ihren Mann an. John senkte erst verlegen den Blick, blickte dann, jedoch, zu Torren herüber, der sich die Kekskrümel von seinem schwarzen Jackettoberteil klopfte und das Gleiche anschließend auch bei seinem kleinen Bruder versuchte. Aiden schien als einziger nicht den Ernst der Lage zu verstehen und hüpfte im Sitzen auf und ab.

„Keeeeekse“, lachte er fröhlich und streckte seine schokoladenüberzogenen Finger nach seiner Mutter aus. „Daddy Keeeeekse, Mama. Schau!“ Doch Teyla hatte den Teller mit den Keksen, die viel zu gut aussahen, um aus der Packung zu stammen, bereits neben ihrem anderthalb Jahre alten Sohn entdeckt. Erneut stöhnte sie auf; nicht nur, dass die drei eine Stunde Arbeit zunichte gemacht hatten, nein, sie hatten auch allen Ernstes etwas vom Büfett des Hotels mitgehen lassen! Der Mann, von dem sie bis eben angenommen hatte, ihn über die Maßen zu lieben, und die beiden Söhne, die sie neun lange Monate in sich getragen und unter Qualen zur Welt gebracht hatte, entpuppten sich als hundsgemeine Keksdiebe! Womit hatte sie das nur verdient?

„Ich… ich glaube es nicht“, presste sie zwischen zusammengekniffenen Lippen hervor und ließ ihren strafenden Blick über die drei Übeltäter gleiten, die der Reihe nach versuchten, mit ihrem gut einstudierten und zur Perfektion ausgereizten Hundewelpenblick, zu retten, was noch zu retten war.

„T.J.“, begann John, als er Teylas vor Wut und Verzweiflung zitternde Lippen bemerkte, „nimm doch bitte Deinen Bruder mit und geht euch die Hände waschen, ja?“

„Dürfen wir danach zu Onkel Dave?“, hakte Torren nach, worauf die grünen Augen seines kleinen Bruders, der neben ihm saß, zu leuchten begannen.

„Onka Dabe?“ Aiden sah seinen Vater mit großen Augen an und ein breites Lächeln verzog seine schokoladenbeschmierten Lippen, als John nickte.

„Aber erst Hände waschen“, wiederholte der Soldat.

„Und keine Kekse mehr“, fügte Teyla rasch hinzu, als sie sah, wie Torren im Vorbeigehen noch einen Keks für unterwegs in seiner Hosentasche verschwinden ließ. Der Sechsjährige muffelte sich etwas in den nicht vorhandenen Bart und griff dann nach der Hand seines kleinen Bruders.

„Komm, Aiden“, sagte er. „Onkel Dave hat sicher auch Kekse.“

„Keeeeekse“, freute sich Aiden und klatschte begeistert in seine kleinen Hände.

„Nein, keine Kekse mehr für euch zwei!“, rief Teyla, doch ihre beiden Söhne waren bereist verschwunden und sie hörte, wie die Hotelzimmertür hinter ihnen ins Schloss fiel. Hinter ihr gaben die Bettfedern ein quietschendes Geräusch von sich und die Athosianerin wirbelte herum.

„Du-“ Sie deutete mit dem Finger auf John, der, seiner halb aufrechten Position nach zu ordnen, eindeutig vorhatte, sich zu verdünnisieren- „sitzen bleiben. Ich bin noch nicht fertig mit Dir!“

„Teyla…“

„Sitzen bleiben, John Sheppard.“

Der Soldat grinste.

„Du siehst heute unglaublich aus“, surrte er verführerisch und schenkte ihr ein Lächeln, das sie unter normalen Umständen hätte schwach werden lassen. Doch dies waren keine normalen Umstände, weshalb Teyla nur unbeeindruckt die Augenbraue anhob.

„Das hilft Dir jetzt nicht“, meinte sie mit eiskalter Stimme, die Johns hoffnungsvolle Miene in sich zusammenfielen ließ wie ein Kartenhaus. Seufzend tat der Dunkelhaarige wie ihm heißen und sank zurück auf die Bettkante.

„Teyla“, begann er erneut und sah sie an, „ich hab’ doch schon gesagt, dass es mir leid tut.“

Seine Frau verschränkte die Arme vor der Brust, löste sie wenige Sekunden später aber wieder und begann vor ihm auf und ab zu laufen.

„Eine Stunde, John“, warf sie ihm vor. „Es hat eine Stunde gedauert, bis ich die beiden angezogen hatte. Als ich mit Aiden fertig war, hatte sich Torren wieder bekleckert, und umgekehrt lief es nicht besser.“ Sie seufzte. „Und jetzt weiß ich nicht, ob ich rechtzeitig fertig werde. Es ist noch so viel-“
Ihr erregtes Auf- und Abmarschieren fand ein jähes Ende, als sie plötzlich von hinten zwei starke Arme umfingen.

„John!“, rief Teyla empört, als der Soldat sie zu sich zog. Sie versuchte sich mit den Händen von seinem Brustkorb wegzustemmen, doch er packte sie fest an den Hüften und hielt sie so zwischen seinen Beinen gefangen.

„Ehrlich jetzt, Du siehst unglaublich aus, Babe“, säuselte er ihr ins Ohr und Teyla verdrehte die Augen.

„Keine Chance, John Sheppard“, erwiderte sie ihm und versuchte sich erneut von ihm zu lösen, kreischte, jedoch, keine zwei Sekunden später auf, als seine maskulinen Hände an ihr herunterwanderten und sie an ihren Gesäßbacken packten. Ehe Teyla wusste, wie ihr geschah, hatte sich John zurückfallen lassen und sie dabei mitgezogen, rollte sich allerdings herum, bevor er aufkam, und drückte sie mit seinem Gewicht in die Matratze unter ihrem Rücken. Mit einem spitzbübischen Grinsen und Teylas Meinung nach für den Moment viel zu dunklen Augen, lehnte er über ihr und ließ seinen Blick über ihren Körper gleiten.

„John, wir-“ Seine Lippen, die sich in genau diesem Moment auf die ihren senkten, hinderten sie am Beenden des Satzes. Der Kuss war nicht von langer Dauer, dafür aber heiß und innig. Er raubte ihr den Atem, weshalb sie erst einmal nach Luft schnappen musste, als John sich wieder von ihr löste.

„Wir können nicht“, brachte sie atemlos hervor. „Wir haben keine Zeit.“

„Wir haben genug Zeit“, widersprach John ihr. „Die Zeremonie beginnt erst in einer Stunde.“ Mit einem schalkhaften Funkeln in den Augen fügte er hinzu: „Das ist mehr als genug Zeit für mich.“

„Aber die Kinder…“

„…werden bei Dave beschäftigt sein“, beendete er ihren Satz. „Ich habe ihn dabei beobachtet, wie er beim Kontrollieren des Büfetts ein ganzes Dutzend von diesen Buttercremetörtchen hat mitgehen lassen.“

„Und aus diesem Grund sahst Du Dich sicher genötigt, es ihm gleichzutun, nicht wahr?“, fragte Teyla grinsend, die Kekskrümel am Mundwinkel ihres Mannes ausmachend, um sie danach mit der Hand wegzuwischen, wobei ein paar von ihnen im Ausschnitt ihres weinroten Kleides landeten. Johns Blick folgte ihnen begierig.

„Denk nicht mal dran“, warnte Teyla ihn, doch da hatte er bereits seine Lippen auf ihren Brustansatz gesenkt, was sie dazu brachte, seufzend den Rücken durchzubiegen und sich ihm entgegenzuwölben. Einen Moment lang gelang es ihr tatsächlich, sich seinen Liebkosungen hinzugeben, dann legte sie ihre Hände jedoch an seine Brust und drückte ihn von sich weg.

„Nein, nein, nein.“ Sie schüttelte mit dem Kopf. „Nein.“ Empört japste sie auf und schlug John auf die Finger, als diese in ihrem Dekolletee auf Wanderschaft gingen. Brummelnd lehnte sich der Soldat zurück und blickte mit traurigen Augen auf sie herab.

„Nein, John“, wiederholte Teyla, seinen Hundewelpenblick ignorierend. „Wir können nicht. Nicht jetzt. Es gibt einfach noch viel zu viel zu tun.“ Einen widerwilligen Laut von sich gebend, rollte John von ihr herunter auf die andere Seite des Bettes, so dass sie sich aufsetzen und ihr weinrotes Kleid, welches sie sich extra für Emmett und Lexies Hochzeit gekauft hatte, glatt streichen konnte.

„Die Zeremonie beginnt in einer Stunde“, wiederholte er. „Was kann es da noch großartig zu erledigen geben? Wenn’s schief läuft, läuft’s nun mal schief. Daran kann man jetzt auch nichts mehr ändern.“

„Dass Du immer alles so negativ sehen musst, John.“

„Nicht negativ, Babe“, verbesserte er sie, „ich sehe es realistisch. Und außerdem-“ Er rappelte sich auf und küsste sie auf die freiliegenden Schultern- „denke ich, dass es besser wäre, wenn wir die beiden jetzt in Ruhe lassen, sonst überlegen sie es sich noch einmal anders. Und das wollen wir doch nicht, oder?“

Teyla begegnete seinem Blick, den er ihr über ihre Schulter hinweg zuwarf. In seinen grünen Augen leuchtete das Verlangen nach ihr, ließ seine Pupillen groß und schwarz werden. Zugegeben, der Gedanke sich von ihm verwöhnen und am ganzen Körper liebkosen zu lassen, war verführerisch und er sah in diesem Frack, den er nur widerwillig angezogen hatte, wirklich am Anbeißen aus und Teyla spürte, wie sie nachgab. Warum auch musste dieser Mann selbst mit Kekskrümeln in den Mundwinkeln so wahnsinnig attraktiv sein?

Schließlich und unter Aufbringung all ihrer Selbstbeherrschung, gelang es ihr dann doch, einen kühlen Kopf zu bewahren und aufzustehen. Heute war ein wichtiger Tag für zwei Personen, die ihr sehr wichtig waren, und es gab noch so viel, was sie zu erledigen hatte; ein heißes Schäferstündchen mit ihrem Mann passte so gar nicht in ihren vollen Terminplan.

„Wir können nicht“, wiederholte sie daher und strich sich zum wiederholten Male das Kleid glatt. „Wir sollten jetzt besser gehen.“

John seufzte schwer, schien aber dennoch einzusehen, dass es ihm nicht gelingen würde, sie vom Gegenteil zu überzeugen, also erhob nun auch er sich und gesellte sich beim Verlassen des Zimmers zu seiner Frau, bot ihr galant den Arm.

„Irgendwie finde ich nicht, dass die beiden schon Ernst machen sollten“, meinte er zu ihr, als sie das Hotelzimmer verließen und den langen Flur entlangschlenderten. „Ich meine, die zwei haben noch ihr ganzes Leben vor sich, warum also jetzt auf die Schnelle heiraten? Sie könnten sich Zeit lassen, so wie wir.“

„Als ob“, höhnte Teyla. „Wenn Du nach dieser Einstellung gelebt hättest, würde ich wahrscheinlich heute noch darauf warten, dass Du den ersten Schritt tust und hätte mich auf reiner Verzweiflung dem nächstbesten an den Hals geworfen.“

„Den Nächstbesten, huh?“ John hob die Augenbrauen. „Der da wäre?“

„Hhm.“ Teyla tippte sich ans Kinn und tat so, als überlegte sie tatsächlich, was sie ihm auf diese eindeutig sarkastisch gemeinte Frage antworten sollte. „Vielleicht wäre ich mal mit Rodney ausgegangen“, sagte sie schließlich.

„O ich bitte Dich, Tey.“

„Oder Ronon. Möglicherweise hätte ich aber auch einen Mann aus meinem Volk erwählt, der Vater meiner Kinder zu werden. Kanaan zum Beispiel- wir sind schon sehr lange, sehr gute Freunde und er bringt genau die Eigenschaften mit, die ich von einem Mann erwarte.“

Sie waren gerade um eine weitere Ecke gebogen und Teyla nahm ganz in der Nähe Stimmen wahr, was nur bedeuten konnte, dass sie sich dem Austragungsort der Zeremonie näherten, als John plötzlich, aus heiterem Himmel stehenblieb, sie zu sich zog und mit dem Rücken gegen die nächstgelegene Wand drückte. Er umfasste ihr zartes Gesicht mit beiden Händen, beugte sich zu ihr herab und küsste sie dann so stürmisch und so leidenschaftlich, dass ihr schwindelig wurde und sie keine andere Möglichkeit sah, als den Kuss zu erwidern. Als sie sich nach ein paar Sekunden wieder voneinander lösten und nach Atem ringend Stirn an Stirn lehnten, glaubte die Athosianerin das Knistern zwischen ihnen förmlich hören zu können.

„Was… was sollte das denn?“, fragte sie ihn atemlos, worauf er mit den Schultern zuckte.

„Keine Ahnung“, lautete Johns Antwort, „ich bin wahrscheinlich nur froh, dass ich nicht den Fehler gemacht und Dich in die Arme irgendeines anderen Kerls getrieben habe.“ Er runzelte kurz die Stirn. „Naja, ausgenommen die Sache mit Yoran, aber…“

„…aber das ist eine andere Geschichte“, beendete Teyla den Satz für ihn, legte die Hand in seinen Nacken, stellte sich auf Zehenspitzen und küsste ihn kurz, aber zärtlich. „Und, John?“

„Mhm?“, war seine, auf ihren Lippen vibrierende Antwort.

„Ich liebe Dich“, wisperte sie, bevor sie ihn ein weiteres Mal küsste. Ihre Lippen trafen sich auf halber Strecke und fanden zu einem intensiven Kuss voller Leidenschaft und Begierde zusammen, der sie beide atemlos zurückließ, als sie sich wieder voneinander lösten. Lächelnd blickten sie einander tief in die Augen.

„Und ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich es nicht täte“, erwiderte John, was ihm einen leichten Seitenhieb einbrachte. Lachend bot er seiner Frau erneut den Arm an und sie schlenderten langsam weiter. Sie hatten den kleinen Saal, in dem die Zeremonie für Emmett und Lexie stattfinden sollte, schon fast erreicht, als er sie noch einmal zum Stehen brachte und sie mit einer solch starken Intensität ansah, dass Teyla ganz anders wurde.

„Ich liebe Dich auch“, sagte er und küsste sie ein allerletztes Mal. „Und daran wird sich auch nie etwas ändern, Teyla. Nie. Das verspreche ich Dir. Niemals.“

ENDE
End Notes:
… genaugenommen ist es das nicht, denn die Fortsetzung steht bereits in den Startlöchern und ich sage euch, es wird bei Weitem nicht so harmonisch weitergehen wie bisher. Wer sich auf Science Fiction freut, den muss ich leider enttäuschen. Ich habe mich wieder für eine Charakterstory entschieden, die sehr, sehr düster werden wird. Ihr dürft also gespannt sein!
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