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Frühausgabe von Hyndara71

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John mußte zugeben, er war in seinem Element. Er mochte es, wenn er gebraucht wurde, noch mehr, wenn er sich körperlich anstrengen mußte.
Gut, eigentlich war er faul, wirklich und wahrhaftig faul. Wenn er nichts zu tun hatte, dann verbrachte er seine Zeit am allerliebsten auf dem Rücken liegend und gar nichts tuend. Aber etwas zu tun zu haben und sich betätigen zu können lag dicht gefolgt auf Platz 2 seiner internen „Mag ich“-Liste.
Die Athosianer, die bisher in leerstehenden Büroräumen gehaust hatten, zogen jetzt zum Gutteil um in die vormals von den Atlantern besetzten Sääle. Dort hatte das kleine Volk genug Platz für sich selbst und trotzdem Rückzugsgebiete, da die Familien doch meist in den winzigen ehemaligen Büros ihre persönliche Habe ließen. Sprich, man benötigte die Sääle, um sich dem gesellschaftlichen Leben hinzugeben, und die kleinen Räume für die eigene Privatsphäre.
Eine gute und einleuchtende Lösung fand John, als er dem hochgewachsenen Athosianer Halling half, eine schwere Transportkiste der Atlanter aus einem der unteren Sääle zu tragen.
Himmel, das Ding war richtig schwer! John konnte eigentlich nur über Halling staunen, der seinen Teil des Gewichtes klaglos trug, sich nicht einmal besonders anzustrengen schien.
John erinnerte sich an Teyla, als diese plötzlich losgeprescht war, nachdem sie die Wraith auf ihrem Heimatplaneten gespürt hatte. Die schlanke, zierliche Frau hatte dabei ein unglaubliches Tempo vorgelegt, so wie Halling jetzt ihm gegenüber eine besondere Kraft zu beweisen schien.
Also waren die Athosianer doch nicht ganz genau wie die Menschen von der Erde. Ein interessanter Aspekt, auf den John vielleicht den einen oder anderen Anthropologen aufmerksam machen sollte.
Eine weitere Etage voller Privatquartiere war in einem Nachbarturm des bereits bezugsfertigen gefunden worden, so daß John fast den gesamten restlichen Vormittag damit verbracht hatte, die neuen Räumlichkeiten zu untersuchen, ob diese denn auch annehmbar waren.
Dabei hatte er durch Zufall gehört, daß noch längst nicht alle neuen Atlanter sich überhaupt bisher um ein Quartier bemüht hatten. Darum blieben auch zwei der fünf kleinen Sääle in der unteren Etage des Zentralturms zunächst einmal noch geschlossen für die Athosianer.
John mußte zugeben, so ganz verstand er nicht, wie man sich nicht um mehr Privatsphäre bemühen konnte, jetzt, da die Möglichkeit dazu bestand. Sicher, Sergeant Bates hatte nichts dringender gefunden als daß er unbedingt Überwachungskameras hatte anbringen wollen, sowohl bei den Quartieren der Atlanter wie auch bei denen der Athosianer. Wie immer hatte der Sergeant sogar deutlich mehr Wert auf die Überwachung gelegt, was unweigerlich wieder einmal in einen Disput zwischen ihm und John ausgeartet war.
Was auch immer Elizabeth Weir gebissen hatte, sie hatte letztendlich die Entscheidung gefällt, ihm Bates an die Seite zu stellen als internen Sicherheitschef. John konnte nur hoffen, daß es ihr irgendwann einmal zuviel werden würde mit der angezüchteten Paranoia des Marines.
Als sie am neuen Standort der Kiste angekommen waren war John mehr als froh, diese endlich absetzen zu dürfen. Sein Rücken schmerzte, die Muskeln seiner Arme zitterten durch die ungewohnte Anstrengung.
„Jinto freut sich schon sehr auf den morgigen Abend“, begann Halling nun ein Gespräch für den Rückweg in den Saal, um die nächste Kiste zu holen.
Eine Sekunde lang mußte John überlegen, dann fiel es ihm wieder ein: „Der Märchenabend!“ Er grinste etwas gezwungen. „Dann hoffe ich, ich werde die richtige Geschichte erzählen. Was mag er denn so?“
Halling warf ihm einen irritierten Blick zu. „Bisher kannte Jinto eigentlich nur die Erzählungen unserer Ahnen. Die Geschichte unseres Volkes“, antwortete er.
Also recht trockener halbgeschichtlicher umgetaufter Unterricht. Da brauchte er die Latte ja nicht allzu hoch hängen.
John atmete erleichtert auf.
„Kennen Sie viele Geschichten?“ erkundigte Halling sich. „Ich würde gern mehr über Ihren Planeten, diese Erde, erfahren. Welcher Glaubenskonzept hat sich durchgesetzt? Inwieweit spielt die Überlieferung noch in Ihren täglichen Erfährungsschatz mit ein?“
John nickte verstehend. „Ich könnte mit Dr. Weir sprechen. Es ist ein Team Anthropologen mit uns gekommen.“
„Anthropologen?“
„Wissenschaftler, die sich für die Etnwicklungsgeschichte der Menschheit interessieren“, erklärte John.
Noch ein Aspekt, an den er nicht wirklich gedacht hatte bei seinem Münzwurf: Alles und jedes erklären zu müssen. Manchmal war das schon etwas … anstrengend.
Wobei es ihm bei Halling wirklich nichts ausmachte. Mochte vielleicht daran liegen, daß der Athosianer ihm wirklich sympatisch war, auch wenn sie beide kaum mehr verband als das Interesse an Jinto.
John mochte den aufgeweckten Jungen, der ihm hatte sein Nachtsichtgerät abschwatzen wollen. Für ihn war Jinto ein neugieriger Junge, der die richtigen Fragen stellte und sich offen gegenüber den Neuen verhielt. Halling dagegen war Jintos Vater und hatte dementsprechend ein ähnliches Interesse an der Weiterentwickling seines Sprößlings.
„Was mich wirklich interessiert ist Ihre Religion, Major“, fuhr der hochgewachsene Athosianer fort. „Ich muß gestehen, so ganz begreife ich Ihre Rituale nicht.“
John zuckte mit den Schultern. „Da bin ich wohl der komplett falsche Ansprechpartner“, gab er zu Bedenken. „Ich versuche nur zu helfen, so gut ich kann. Da macht meiner Meinung nach Menschlichkeit aus: Hilfsbereitschaft und der Mut und der Wille, für Schwächere einzutreten.“
Halling musterte ihn interessiert. „Aber es gibt religiöse Konzepte?“
„Klar, jede Menge.“ John winkte ab. „Eigentlich für jeden das passende, es sei denn, man findet wirklich nichts.“
Im stillen keimte nicht zum ersten Mal in ihm der Verdacht, daß Halling als eine Art Priester den Athosianern diente. Es würde zumindest dessen Art erklären …
„Und Sie haben dementsprechend nicht das richtige gefunden?“
John vergrub seine Hände tief in den Hosentaschen. „Nicht wirklich“, wich er aus.
„Schade, Major, denn ich halte Sie für einen durchaus spirituellen Menschen.“
Tja, da war Halling aber wohl so ziemlich der einzige …
In diesem Moment hallte ein „Vorsicht!“ den Gang hinunter und ließ die beiden Männer aufsehen. Ein Hubwagen samt Palette war seinem Besitzer ausgebüchst und raste jetzt schnell in ihre Richtung. So schnell, daß Halling keine Zeit zur Reaktion mehr blieb, während John noch gerade eben zur Seite springen konnte.
Der Hubwagen prallte mit Hallings langem, sehnigen Körper zusammen und riß den Athosianer von den Beinen, während sich die Kisten und Kasten auf der Palette bewegten, ihm etngegenzuspringen schienen und ihn schließlich unter sich begruben.
„Oh Mist!“ entfuhr es John. Eine einsame Konservendose rollte an seiner Hand vorbei.
So schnell wie möglich war der Major wieder auf den Beinen und am Unglücksort, um dem Athosianer zu helfen.
Halling lag halb verschüttet unter jeder Menge Konservendosen und Milchpulver. Beides war wohl in den Kisten auf der Palette gewesen.
Schlimmer jedoch als die aufgeplatzten Kisten, deren Inhalt sich über den ganzen Gang ausbreiteten war die Tatsache, daß Hallings Bein bis über das Kniegelenk eingekeilt war zwischen Palette und Hubwagen.
John bemerkte es erst, nachdem er all die verschiedenen Lebensmittel irgendwie zur Seite geschafft hatte und sich das Chaos besser betrachten konnte.
„Das ist nicht gut“, kommentierte er.
Halling stemmte sich auf die Ellenbogen mit schmerzverzerrtem Gesicht. „Mein Bein!“ stöhnte er dabei.
John drückte den Athosianer nachdrücklich wieder auf den Boden zurück und aktivierte sein Funkgerät: „Hier Sheppard. Wir brauchen ein Notteam im unteren Südgang. Ein Athosianer ist verletzt worden. Sein Bein ist eingeklemmt.“
„Es wird schon nicht so schlimm sein“, stöhnte Halling mit schmerzverzerrtem Gesicht.
John sah den Mann streng an. „Liegen bleiben!“ befahl er.
„Beckett hier“, erwachte sein Funkgerät zum Leben, „wie sieht es aus? Wir sind in ein paar Minuten da.“
Was auch nicht verwunderlich war, lag die vorläufige Krankenstation doch ebenfalls im Zentralturm nur wenige Stockwerke unter ihnen.
John kniete neben Halling und runzelte die Stirn. „Der Umzug scheint ja unter keinem guten Stern zu stehen, was?“ versuchte er sich an einem mageren Witz.
Der Athosianer bedachte ihn mit einem fragenden Blick. „Ich verstehe nicht. Warum sollte er nicht unter einem guten Stern stehen?“
John zuckte wieder mit den Schultern. „Naja, zwei Unfälle an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Kein guter Schnitt.“
Hallings Stirn furchte sich noch mehr. „Zwei?“ echote er. „Ich weiß von keinem Unfall gestern.“
Nun war es Johns Stirn, die sich runzelte. „Sicher?“
Halling nickte.
Eigenartig, dachte John. Er war sich absolut sicher, daß in der Zeitung heute morgen von einem Unfall mit einem Athosianer die Rede gewesen war …


Glücklicherweise war Halling kein dauerhafter Schaden zugefügt worden. Der Chefarzt der Expedition, Dr. Carson Beckett, hatte sehr schnell herausgefunden, daß dem Athosianer kaum mehr als ein verstauchter Knöchel und ein verdrehtes Knie fehlten. Beides würde unkompliziert abheilen.
John war erleichtert über diese Diagnose. Nicht, daß er sich schuldig gefühlt hätte, noch größere Schuld als er ohnehin empfand war überhaupt nicht mehr möglich, sondern einfach, weil es ihm leid tat wegen des Unfalls.
Aber dieses Mal hatte er wohl doch einen kleinen Engel auf seiner Schulter, der ihm half, sich eben nicht schuldig zu fühlen.
Nachdem John ein frühes Abendessen eingenommen hatte und seine übliche Runde um den inneren Stadtkern gejoggt war, wollte er sich eigentlich nur noch ausruhen. Die ersten Tage auf Altantis zerrten noch immer an ihm, und die Alpträume über Sumners Tod hatten ihr übriges getan, ihn auszulaugen. Überdies mußte er leider zugeben, daß das ständige Aktivieren und Deaktivieren irgendwelcher Artefakte ihm mental zusetzte, wenn er auch nicht wirklich wußte, wie.
Vielleicht, so beschloß er, sollte er, falls sein Zustand sich nicht besserte, selbst einmal Dr. Beckett aufsuchen und sich untersuchen lassen. Aber bis dahin versuchte er sich erst einmal an bewährtne Hausmitteln, um seine Ruhe zu finden. Und dazu gehörte, daß er sich zumindest für heute früh zurückzog.
Also bog er vom Weg ab, nachdem er sich über Funk abgemeldet hatte vom Dienst, und schlug den Weg zu seinem neuen Quartier ein. Innerlich freute er sich schon darauf. Er mochte den Raum, wenn er auch immer noch nicht wirklich herausgefunden hatte, was ihn von anderen unterschied. Einmal abgesehen von dem morgendlichen Farbspiel von Fenstern und Wänden.
Möglicherweise sollte er beides noch einmal untersuchen um herauszufinden, wie der morgendliche, strahlende Regenbogen eigentlich zu stande kam.
Gerade als er die nächste Treppe nehmen wollte, die ihn direkt zu den Wohnquartierten führen würde, hörte er, wie jemand ihn rief: „Major!“
John stoppte und drehte den Kopf. Ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht, als er sah, wer ihn da gerade angerufen hatte.
„Dr. McKay. Wie geht es Ihnen? Den Tag gut verbracht?“
Für die höfliche Frage erntete er nur einen skeptischen Blick, ehe der Wissenschaftler ihm eine kleine Transportkiste hinhielt, die er bis jetzt getragen habe. „Sie haben etwas in meinem Labor vergessen. Es war nicht leicht, sie den ganzen Tag versteckt zu halten. Also, Major, tun sie mir den Gefallen und suchen sich einen anderen Katzensitter.“
John stutzte. „Aber das ist nicht ...“ versuchte er sich zu verteidigen, während Rodney mit der Entschlossenheit einer Dampflok auf ihn zukam, die Kiste mit der Katze ausstreckend.
„Es ist mir egal, wem sie gehört. Meine ist es nicht, und ich habe keine Zeit, mich um sie zu kümmern. Also nehmen Sie sie zurück.“
Letztendlich blieb John nichts anderes übrig, hatte Rodney ihn doch komplett in die schmale Ecke unter der Treppe gedrängt. Vorsichtig nahm er die Kiste an sich und lüftete eine Ecke des Deckels – um in ein Paar grünleuchtende Katzenaugen zu blicken, die ihm entgegenblinzelten.
„Und Sie sollten dem Vieh die Krallen stutzen lassen. Sie hat mich übel zugerichtet“, beschwerte Rodney sich und hielt ihm einen Finger hin.
John hob die Brauen, dann kniff er die Augen zusammen, als er zunächst nichts erkannte, was irgendwie wie eine schwere Verwundung aussah. Was er schließlich fand hätte jede Nadel genausogut tun können: eine winzige punktförmige Wunde an der Fingerkuppe.
Und davon wollte Rodney draufgehen?
John riß sich zusammen, um nicht zu lachen. „Dann haben Sie vielleicht eine Ahnung, wer diese Zeitung herausgibt? Die Atlantis Sun Times?“ fragte er so höflich wie möglich.
„Das Netzwerk steht noch nicht, Himmelherrgottnochmal!“ brauste Rodney ihn an.
„Ist mir klar. Aber heute morgen lag eine ...“
„Sie werden es wohl auch ein paar Tage ohne Intranet aushalten, Major. Weiß der Himmel, warum Sie einen unserer raren Laptops erhascht haben ...“
„Weil ich militärischer Leiter der Atlantis-Expedition bin“, antwortete John zuckersüß, hob dann die Hand. „Hören Sie, Doc, ich weiß selbst, wie verrückt sich das anhört, aber ich hatte heute morgen eine Zeitung vor der Tür zu meinem Quartier. Sie lag dort einfach.“ Er zuckte in Ermangelung einer besseren Ausdrucksweise mit den Schultern.
Rodney sah ihn einen Moment lang verblüfft an, dann begann er zu lachen. Kurz und abgehackt klang dieses Gelächter. Zugegeben doch noch erstaunlich sympatisch für die Art, wie der Kanadier sich gab.
„Jemand hat Ihnen eine Zeitung zugestellt“, wiederholte Rodney schließlich. „Und wie haben Sie Ihr Abo bezahlt?“
John seufzte. „Ich habe wirklich keine Ahnung mehr, woher sie kam und wer dafür verantwortlich war, Doc. Aber sie war da! Woher wußte ich denn sonst, daß es gestern schon einen Unfall gegeben hat?“
Rodney stutzte. „Es gab gestern einen Unfall? Und warum weiß ich nichts davon?“
„Woher soll ich das wissen? Ich war auch nicht informiert worden.“
Rodney seufzte. Ein müdes, aufgesetztes Lächeln erschien auf seinen Lippen. „Hören Sie, Major, ich kann mir gut vorstellen, daß Sie sich Ihren Aufenthalt hier etwas anders vorgestellt haben. Allein die Sache mit diesen Wraith … Aber Sie sollten doch noch Ihre fünf Sinne beieinander haben, denken Sie nicht? Es ist ein bißchen viel verlangt zu glauben, daß Sie jetzt schon halluzinieren.“
„Ich halluziniere nicht!“ Johns Stimme klang bestimmt.
„Wenn Sie meinen.“
„Ich kann sie Ihnen zeigen“, schlug der Major vor.
„Was zeigen?“
„Die Zeitung!“
Ein weiterer Blick, nach dem John Rodney am liebsten die Augen ausgekratzt hätte.
„Wenn Sie meinen ...“
„Ja, ich meine!“ Damit drehte John sich um und marschierte, die Kiste mit der Katze in beiden Armen tragend und Rodney McKay direkt auf seinen Fersen, los Richtung seines Quartiers.
Vielleicht, so überlegte er dann doch wieder auf dem Weg, reagierte er jetzt doch über. Immerhin war er Rodney McKay dankbar dafür, daß dieser ihm die Puddlejumper gezeigt und damit eine Möglichkeit eröffnet hatte, die Verschleppten zu befreien. WIE dieser Versuch geendet hatte, nun, daran konnte er wirklich nicht McKay die Schuld geben.
Außerdem trug John sich seit Elizabeth Weirs' Aufforderung, sein eigenes Stargate-Team zusammenzustellen, mit dem Gedanken, McKay eben in dieses Team aufzunehmen. Und das nicht nur, weil Dr. Weir es gern sehen würde, wenn sowohl Militär wie auch Wissenschaft in den jeweiligen Teams vertreten wurden. Nein, John wollte das beste Team, das beste der besten von Atlantis, wenn er Dr. Weir jetzt frei zitieren durfte. Und für ihn war damit klar, daß der beste Wissenschaftler eben der Chefwissenschaftler war. Und der hieß nun einmal Rodney McKay.
Allmählich aber ging John auf, warum die übliche Reaktion auf den Kanadier gereizte Ablehnung war. Er selbst mußte sich wirklich zusammenreißen, um ihn nicht anzufahren. Dabei, da war er sich sicher, steckte ein ganz passabler Kerl unter dieser dornigen Schale.
John vertraute seiner Menschenkenntnis. Und damit hatte er bisher meist in seinem Leben richtig gelegen. Die ein, zwei Mal, in denen er sich hatte täuschen lassen, zählten für ihn nicht. Jedenfalls aber riet ihm seine Menschenkenntnis nun, sich den Chefwissenschaftler warm zu halten. Warum? Das wußte er wirklich nicht, nur daß es eben so war.
Wenn er ehrlich war, so fühlte John sich einsam. Durch sein verspätetes und überraschendes Dazustoßen in letzter Minute war er nicht wirklich vertraut mit den Expeditionsteilnehmern, mußte die jeweiligen Macken und Eigenarten der einzelnen Personen erst kennenlernen. Sicher, er als Soldat, der schon fast die ganze Erde bereist hatte auf seinen verschiedenen Stationierungsorten, fiel es relativ leicht, sich weitestgehend unauffällig zu verhalten. Allerdings hatte er es nie weiter gebracht als zum Zweiten Offizier in der Reihe. Die alleinige Verantwortung drückte nun umso schwerer, zum Großteil durch die Art, wie er zum XO geworden war, doch zu einem nicht zu unterschätzenden Teil eben auch dadurch, daß er der Außenseiter der Expedition war.
Damit blieben ihm nicht viele Optionen. Er mußte sich irgendwie eingliedern und versuchen, trotz seiner Stellung in der Rangfolge Anschluß zu finden. Innerhalb des Militärkontingents war da an Freundschaft kaum zu denken, es sei denn wenn es um den jungen Aiden Ford ging, mit dem John sich von Anfang an gut verstanden hatte. Also blieb nur der zivile, und damit umso größere Part der Expedition.
Mit Elizabeth Weir verstand er sich im Rahmen seiner Tätigkeit als befehlshabender Offizier gut und er hatte auch, im Gegensatz zu Sumner, keine Schwierigkeiten damit, sich einer Frau und Zivilistin unterzuordnen. Wenn er ehrlich war, er mochte Dr. Weir wirklich, soweit er sie eben kannte. Sie war ihm sympatisch, und daß vom ersten Moment an, als sie nach seinem „Unfall“ mit dem Antikerthron zu ihm gekommen war und ihn gebeten hatte, sich der Atlantisexpedition anzuschließen.
Aber sie war seine Vorgesetzte. Sich näher mit ihr zu befassen, vor allem durch ihre unterschiedlichen Geschlechter, würde unweigerlich zu Gerüchten führen. Und Gerüchte hatten schon weniger fragwürdige Befehlshaber als ihn zu Fall gebracht, einmal ganz abgesehen davon, daß er Elizabeth eine solche Schmach nicht zumuten wollte. Hatte er nicht sogar gehört, sie habe einen Lebensgefährten auf der Erde?
Nein, entgegen der allgemeinen Einschätzung seiner ehemaligen Vorgesetzten fühlte John sich als Ehrenmann. Und somit hatte sich das Thema Elizabeth Weir erledigt, ehe es überhaupt diskussionswürdig geworden war.
Und dann waren da noch die Athosianer um Teyla Emmagan. Teyla war in Johns Augen eine außergewöhnliche Frau, stark und sexy und durchaus verführerisch. Und sie war eine Kämpferin mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Sie war die schnellste Frau, die er je gesehen hatte. Ein Glück, daß die Olympischen Spiele sich auf die Erde beschränkten, denn gegen eine Teyla Emmagan hätte auch ein Weltklasseläufer seine Schwierigkeiten.
John mochte Teylas Art, wenn auch längst nicht so, wie er Elizabeth Weir heimlich verehrte. Teyla war für ihn jemand, den er näher kennenlernen wollte und die für ihn auf der gleichen Stufe wie er stand. Er war schon sehr gespannt darauf, was er über sie noch alles würde herausfinden können und was sie ihm zeigen würde. Jedenfalls hatte sie ihm angeboten, ihm eine Art rituellem Kampfstil der Pegasus-Galaxie beizubringen. Ein Angebot, daß John auf keinen Fall ausschlagen wollte.
Nahkampf war, zugegeben, nicht seine Stärke. Überhaupt mochte er das Kämpfen eigentlich nicht. Vielleicht untypisch für einen Soldaten. Andererseits war er nicht in erster Linie zur Air Force gegangen, um auf den jeweiligen Schlachtfeldern zu kämpfen. Nein, eigentlich hatte er immer zur NASA wechseln wollen und mit dem Spaceshuttle, beziehungsweise dessen Nachfolgermodell, in den Weltraum zu fliegen. Insofern hatte er es mit dem Stargate-Programm schon ganz richtig getroffen, wenn ihm im Moment auch ein wenig das Gefühl des Fliegens fehlte.
Endlich langten sie bei Johns neuem Quartier an. Und jetzt überkamen den Major doch Zweifel. Er mochte keine Fremden in seiner Privatsphäre. Er brauchte seinen eigenen Abstand. Zudem kannten er und McKay sich kaum.
Hatte er vielleicht doch vergessen, seine Socken alle ins Regal zu räumen?
McKay jedenfalls sah sich interessiert auf dem Gang um, während John nun zögerte. Schließlich aber gab er sich doch einen Ruck und öffnete die Tür.
„Kommen Sie schon rein“, forderte er Rodney auf und trat über die Schwelle, gleich nach einem Platz für die Box mit der Katze darin suchend. In Ermangelung eines Hinweisschildes oder einer comichaften Markierung mitten im Raum stellte er die Kiste unter eines der Fenster und drehte sich dann um.
Rodney war auf der Schwelle stehen geblieben und sah sich aufmerksam um. „Das sind also die Quartiere“, murmelte der Kanadier dabei, „interessant ...“
Sollte McKay etwa zu denen gehören, die sich bisher noch nicht um ein Quartier gekümmert hatten?
Vermutlich ja, ging es John auf. Immerhin war gerade das physikalische Labor seit dem Auftauchen der Stadt aus den Tiefen des Ozeans ein schwärmender Ameisenhaufen.
Rodneys kühler, überheblicher Blick streifte ihn. „Und? Wo ist jetzt Ihre Zeitung?“
Die Zeitung!
John runzelte die Stirn, während er sich zu erinnern versuchte, wo er sie heute morgen hingelegt hatte. Mehr als einen halben Blick hatte er ohnehin nicht auf sie gehabt. Gerade lange genug, daß die Sache mit Unfall hängen geblieben war.
Dann entsann er sich. „Auf meinem Regal!“ Mit drei Schritten war er an Rodneys Seite und stand vor seinem Wäscheaufbewahrungsmöbel.
Da er seit dem Morgen nicht mehr in seinem Quartier gewesen war, sollte die Zeitung eigentlich offen auf dem Regal liegen. Sie konnte auch nicht von einem plötzlichen Windstoß heruntergeweht worden sein, denn die Fenster waren geschlossen. Und da weder Tsunamis Atlantis geschüttelt hatten noch die Stadt irgendwann innerhalb der letzten Stunden eine gravierende Schieflage gehabt hatte, sollte die Zeitung genau da sein, wo er sie hingelegt hatte.
Sollte!
War sie aber nicht!
Nachdem John jedes einzelne Fach des Regals nochmals geprüft und selbiges sogar von der Wand abgerückt hatte in der Hoffnung, die Blattsammlung mit Neuigkeiten sei irgendwie zwischen Regal und Wand geraten, blieb das Ergebnis dasselbe: Nichts! Die Zeitung war verschwunden. Sie war unauffindbar
John begann systematisch den Raum zu durchsuchen, unter den höhnischen Blicken Rodneys, der sich, die Arme vor der Brust gekreuzt, demonstrativ in der Mitte des Zimmers aufbaute, ein überhebliches Grinsen auf den Lippen, und wartete. Und wartete …
John verstand die Welt nicht mehr. Er wußte, er hatte die Zeitung gefunden. Er wußte, er hatte sie mit in sein Quartier genommen. Und er wußte, er hatte sie hier gelassen, ehe er mit der Katze unter seiner Jacke losgezogen war, um McKay aufzusuchen.
Die Zeitung war weg.
„Tja“, machte besagter Rodney schließlich, während John zum zweiten Mal alles durchsuchte, „sieht so aus, als sei Ihr kleiner Aprilscherz nach hinten losgegangen, Major.“
John drehte sich zu dem Kanadier um und mußte sich wirklich eine Sekunde lang auf die Zunge beißen, um seinem Gegenüber nicht das an den Kopf zu schleudern, was ihm auf eben jener lag. Er kniff die Lippen aufeinander und atmete einige Male tief ein, während er in Gedanken von eins aufwärts zählte.
Und dann erinnerte er sich plötzlich an etwas anderes.
Er ging hinüber zu der Kiste, in der die Katze sein sollte, und hob den Deckel. Um dann aufzusehen und Rodneys Grinsen nachzuahmen. „Und sagten Sie nicht, daß Sie die Katze in die Kiste gesperrt hätten? Die ist nämlich nicht hier.“
Dabei wußte John, beides war hier gewesen: Zeitung UND Katze. Nur war ihm gerade eingefallen, daß die Kiste, in die Rodney die Katze gesperrt hatte, plötzlich leichter geworden war in seinen Armen, als er sie hertrug.
Was war hier nur los?
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